London Royals. Der Kronprinz - Isabel Kritzer - E-Book

London Royals. Der Kronprinz E-Book

Isabel Kritzer

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Beschreibung

**Gefangen zwischen royaler Pflicht und verbotener Liebe**  Als die Tänzerin Solace River in einem Londoner Nachtclub auf den mysteriösen DJ KiNG trifft, ahnt sie nicht, wie sehr sein Name Programm ist. Eingeengt von seinen royalen Pflichten und den damit verbundenen Erwartungen, führt der charmante Kronprinz nachts ein wildes Doppelleben, welches unter keinen Umständen auffliegen darf, wenn er seinen bereits dürftigen Ruf nicht völlig ruinieren möchte. Ausgerechnet Solace führt den bekanntesten Social-Media-Account der Stadt und könnte Kings Identität mit nur einem Post offenlegen. Als sich ihre Wege immer wieder kreuzen, wird aus anfänglicher Faszination bald mehr. Doch schafft es Solace, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen und kann King sein Misstrauen überwinden?  Persönliche Leseempfehlung: »Verkleideter Prinz meets Sex and the City Girls - humorvoll, sexy und wundervoll leicht.« - Valentina Fast, Autorin  //Dies ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Isabel Kritzer

London Royals. Der Kronprinz

**Gefangen zwischen royaler Pflicht und verbotener Liebe**

Als die Tänzerin Solace River in einem Londoner Nachtclub auf den mysteriösen DJ KiNG trifft, ahnt sie nicht, wie sehr sein Name Programm ist. Eingeengt von seinen royalen Pflichten und den damit verbundenen Erwartungen, führt der charmante Kronprinz nachts ein wildes Doppelleben, welches unter keinen Umständen auffliegen darf, wenn er seinen bereits dürftigen Ruf nicht völlig ruinieren möchte. Ausgerechnet Solace führt den bekanntesten Social-Media-Account der Stadt und könnte Kings Identität mit nur einem Post offenlegen. Als sich ihre Wege immer wieder kreuzen, wird aus anfänglicher Faszination bald mehr. Doch schafft es Solace, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen und kann King sein Misstrauen überwinden?

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Vita

Playlist

Danksagung

© Christina Grimm

Isabel Kritzer wurde 1993 in Süddeutschland geboren und studierte Kommunikation und BWL. Inzwischen lebt sie mit ihrem Mann in Stuttgart und arbeitet dort als Marketingmanagerin für eine Bank. Sie liebt romantische Geschichten und reist in ihrer Freizeit gerne in fremde Länder oder tauscht sich mit ihren Leserinnen und Lesern auf Social Media aus.

Für allePowerfrauen.

Gebt alles,nur niemals auf!

Playlist

only one king (feat. jung youth) – tommee profitt

fuchs – lea

thank you – lena

rolling in the deep – adele

you should see me in a crown – billie eilish

lamborghini doors – apache 207

half light – banners

sex on fire – kings of leon

don’t stop me now – queen

remedy – leony

let it go – idina menzel

time – nf

i can’t carry this anymore – anson seabra

bow & arrow – little may

fly before you fall – cynthia erivo

love me again – jaydan wolf, robbe & piero

Prolog

Gegenwart

Freitag – Schloss Windsor

Kronprinz Liron Kingston Lourd-Rydell

»Du bist der skandalträchtigste Kronprinz, den das Königreich jemals hatte!«

»Sagt wer? Einer deiner Speichellecker hier auf Schloss Windsor?« Mein Stirnrunzeln sprach Bände, was ich von dieser Behauptung hielt. Nämlich gar nichts. Aber da ich extra aus meinem Büro im Londoner West End vor den uralten, papierbedeckten Schreibtisch meiner Mutter zitiert worden war – hinter dem sie immer saß, wenn sie eine Standpauke für nötig hielt –, kam sicher noch mehr.

Prompt strafte sie mich mit einem indignierten Blick, während in ihren eisblauen Augen Enttäuschung und Bedauern miteinander rangen. »Ich sage das.« Der Ich-bin-die-Königin-von-Großbritannien-und-Nordirland-Tonfall ließ keinen Zweifel daran. Ihre Empörung brachte sogar den weinroten Stoff ihres hochgeschlossenen Kleids zum Erzittern – und im Gleichtakt die Perlenkette darauf. Ja, selbst Maisie, Mums weiße Corgidame, hob das kleine Köpfchen auf dem königlichen Schoß und funkelte mich abwertend mit den schwarzen Knopfaugen an.

Es war nicht zu fassen.

»Ab heute wird sich einiges ändern. Du wirst dich ändern«, kündigte Queen Beatrice Isla Lourd-Rydell in ihrem offiziellen Tonfall an und die Worte durchdrangen mich vom Scheitel bis zur Sohle.

Fuck. Sie meinte es ernst!

Die Erkenntnis brachte mich zum Erstarren, selbst meine Gesichtszüge gefroren. Doch in mir begann es zu brodeln. Statt tief durchzuatmen, wie ich es nun tat, hätte ich mir am liebsten den dunkelblauen Schlips, den ich zum obligatorisch-royalen Kiton-Anzug trug, vom Hals gerissen.

Ich fragte ich mich einmal mehr, ob ich bei der Geburt vertauscht worden war. Das würde wenigstens erklären, warum Mum so steif und ich so freigeistig war. Oder ich kam mehr nach dem König. Leider ließ sich das nicht mehr feststellen. Dad war kurz vor meiner Geburt gestorben – ein tragischer Autounfall – und für Mum hatte, selbst bei seinem Andenken, repräsentative Makellosigkeit oberste Priorität. Wie eigentlich in jeder Lebenslage: Nicht grundlos waren die tadellos frisierten, markanten Wellen in ihren langen braunen Haaren nach ihr benannt worden. Genau wie das blaue Muster der Strukturtapete hinter ihr, das royale Tradition und gradlinige Moderne verband. Demgegenüber stand mein chaotischer Freigeist, den Mum seit Jahren wie Maisie zu dressieren versuchte. In meinem Kopf klang daher alles Offizielle von ihr wie: »Sitz, platz, bleib, für das Volk.«

»Wie bitte?!« Ungläubig riss Mum die Augen auf.

Verdammt, hatte ich das laut gesagt?

»Bedaure.« Aus anerzogenem Reflex senkte ich den Kopf, um Reue zu zeigen. Gleichzeitig ärgerte ich mich noch mehr. Über mich, aber auch weil Mums Standpauken leider nie ganz von der Hand zu weisen waren.

Du könntest ihr heute die Wahrheit erzählen. Deine Version, erinnerte mich die Stimme meiner Vernunft.

Die Idee war verlockend, doch nein. Die Königin würde eher einen Herzinfarkt erleiden, als meine Entscheidungen gutzuheißen. Egal, welche Gründe es dafür gegeben hatte, für sie zählte nur die Außenwirkung. Und meine war nun mal … eher mittelprächtig.

Trotzdem ärgerte es mich, dass mir in Momenten wie diesen, vor ihrem mehr als drei Meter langen, dunklen Imperial-Schreibtisch mit dem lächerlichen weißen Wählscheibentelefon von weiß-der-Geier-wann darauf nie eine schlagfertige Verteidigung gelang. Ihr gegenüber. Weil mich die Vorstellung von noch mehr royalen Pflichten jedes verdammte Mal rotsehen ließ. Ich seufzte tonlos. Dann nahm ich doch einen Anlauf, um wenigstens die Stille zwischen uns zu durchbrechen. »Es tut mir wirklich leid.«

»So? Und ich hatte wirklich gehofft, wir wären irgendwann über leere Phrasen hinaus?«, durchschaute Mum mich sofort. Ihr mütterlicher Wahrheitsradar hatte von Anfang an viel zu gut funktioniert. Und das, obwohl ich unter Aufsicht einer ganzen Parade von Ammen, Kindermädchen und Hauslehrern groß geworden war.

Fieberhaft überlegte ich, wie ich reagieren sollte. Wollte ich Wahrheit wählen oder Pflicht – und mehr über ihre zukünftigen Pläne für mich herausfinden?

»Sag mir, was genau tut dir leid, Liron?« Mum wedelte elegant mit der Hand, um anzudeuten, dass es eine rhetorische Frage gewesen war und nicht mehr um meinen verbalen Fauxpas ging. »Ich sage dir, was mir leidtut: Dass ich dir gestattet habe, deine royalen Pflichten zu vernachlässigen, um künstlerische Flausen zu verfolgen! Ich dachte, du wächst daran. Wirst reifer. Erwachsen. Erkennst deinen Weg. Aber nein, das war ein Trugschluss.«

»Wie bitte?« Schlagartig war meine Verärgerung zurück und ich gab nur zu gerne meine der Etikette geschuldete joviale Haltung auf. »Ich habe nach meinem Studium etwas geschafft, von dem andere nur träumen können. Meine Künstleragentur ist die beste in ganz London! Die Stars reißen sich darum, dass ich sie unter Vertrag nehme. Etwas Derartiges in so kurzer Zeit aus dem Boden zu stampfen, ist noch niemandem gelungen. Das weißt du.« Fassungslosigkeit darüber, dass sie meine harte Arbeit der vergangenen vierundzwanzig Monate einfach als ›künstlerische Flausen‹ herabwürdigte, schwang in meinen Worten mit.

»Papperlapapp!«

Papperlapapp? Das saloppe Wort aus ihrem Mund verstörte mich. Wer war diese Frau und was hatte sie mit meiner sonst zumindest ansatzweise empathischen Mutter gemacht?

»Ein Kronprinz sollte sein Volk – sein Königreich – führen, kein Unternehmen. Und dein Titel ist nicht da, um Stars zu beeindrucken.«

»Mum, bitte! Das Vereinigte Königreich ist eine konstitutionelle Monarchie. Das Parlament hier in London führt das Volk und das Land. Weder ich noch du.«

»Und wenn schon. Jedes Gesetz, das das Parlament beschließt, tritt erst in Kraft, sobald es die königliche Zustimmung hat – meine Zustimmung.«

»Die ist doch pro forma«, murmelte ich.

»Wie bitte? Ich bin das offizielle Staatsoberhaupt! Jeden Tag berichten die Medien darüber. Über uns, die königliche Familie. Sicher nicht, weil wir so machtlos sind! Ganz im Gegenteil. Und deshalb geht es so nicht weiter«, fuhr sie streng fort. »Irgendwann wirst du das Königreich – an meiner statt gekrönt – repräsentieren. Aber ganz sicher nicht auf die aktuelle Art und Weise. Das Volk, die Medien, alle verlieren den Glauben an das Königshaus. Wegen dir! 1200 Jahre, unzählige Generationen und du machst alles zunichte! Hast du denn gar kein Ehrgefühl?«

Ihr anklagender Tonfall ließ mir mein heute Morgen extra braun getöntes, sorgfältig frisiertes Haar im Nacken zu Berge stehen und mich hinterfragen, ob ein Konterbier zum Frühstück die richtige Wahl gewesen war. Meinen aufkommenden Magenschmerzen nach: Nein. Aber derart entrüstet hatte Mum auch noch nie mit mir gesprochen. Gut, ich war ihr einziges Kind und damit der einzig mögliche Thronfolger.

Nichtsdestotrotz …

Maisie fiepte kläglich, als spürte sie, dass die Stimmung nicht nur kurzzeitig gekippt war. Die Corgidame erlebte ihre stoische Herrin sicher nicht oft derart aufgebracht.

Ich seufzte tonlos. Schon wieder. Aber ich ahnte, dass mein Leben, wie ich es kannte, zu einem jähen Ende kommen könnte; wenn das tatsächlich Mums Wunsch war.

»Also, was bedeutet das alles?«, fragte ich und musterte – nur um sie nicht anzusehen – für mehrere Herzschläge den pompös ausstaffierten Raum mit den blassblauen Vorhängen. Er fühlte sich zu eng an – wie ein Gefängnis, meine ganz persönliche Zelle, die ich niemals würde verlassen können, selbst wenn ich den Raum oder gleich das Schloss verließ und flüchtete. »Noch mehr Interviews und Fototermine? Mehr Winken, Salutieren und Lächeln?«

»Nein. Es soll heißen, dass ich lange genug darauf gewartet habe, dass du deine Verantwortung ernst nimmst. Herrgott, du bist der Kronprinz! Etwas, das du offensichtlich nie verinnerlichen wirst.« Mum fixierte mich, als wäre ich ein Rätsel, das sie schon lange zu lösen versuchte.

Ich versuchte derweil zu verdauen, dass sie gerade geflucht hatte. »Ich bitte dich«, stieß ich dann aus. »Ich habe Fehler gemacht. Aber ich bin nicht von Paparazzi mit Drogen im Club fotografiert worden wie Prinzessin Ella von Schweden. Und sie haben mich auch nicht wie Prinz Aijmah von Bhutan an einem öffentlichen Strand beim Sex abgelichtet. Ich verdiene mein eigenes Geld und liege dem Steuerzahler kaum auf der Tasche!«

Ich fand das vorbildlich. Nur die nötige Verschwendung von Steuergeldern bei Staatsanlässen.

Die Queen nickte grimmig. »Stimmt, du hast einiges richtig gemacht: zum Beispiel keine Nacktbilder.« Es folgte eine bedeutungsschwere Pause, in der wir vermutlich beide an meinen Cousin Ed dachten. »Dafür hast du ein uneheliches Kind gezeugt, das nicht nur für Wochen die Klatschspalten mit Spekulationen gefüllt hat, sondern sein und dein restliches Leben lang Grund für Klatsch und Tratsch sein wird!«

Damit hatte sie recht.

Aber musste sie schon wieder darauf rumreiten?

Schließlich würden ihre Worte daran nichts ändern.

Widerwille stieg in mir auf …

»Halt Reece da raus!« Bisher hatte niemand Fotos von seinem Gesicht veröffentlicht – der wohl einzige Punkt, in dem Mum, Tiffany und ich uns einig waren. Zum Schutz nannten wir ihn in der Öffentlichkeit auch nie bei seinem wahren Namen. Wir wollten ihm den royalen Zirkus und das Schaulaufen ersparen, zumindest bis er älter war; obwohl ich mich fragte, ob wir ihm damit einen Gefallen taten. Durch das Geheimnis um Reece’ Identität waren die Klatschblätter noch heißer darauf, ihn abzubilden. Wie ich die Presse hasste!

»Tja, du hast ihn da reinmanövriert«, kommentierte Mum barsch. »Du hast euch reihenweise zukünftige Titelseiten gesichert. Und ich kann mich nicht des Gefühls erwehren, dass du stolz darauf bist. Besonders, da du all die negativen Schlagzeilen in positive wandeln könntest, dich aber standhaft weigerst, einfach die Mutter deines Sohnes zu heiraten!«

Einfach? Das konnte nur sie sagen.

»Etwas, das mir wirklich unverständlich ist. Tiffany wäre so glücklich«, wies sie mich unverblümt auf den ihrer Meinung nach größten Schandfleck meines Kronprinzendaseins hin. »Was habe ich nur falsch gemacht?«, seufzte sie schließlich und streichelte selbstgerecht Maisie.

Für mich fühlten sich ihre Worte wie mehrere Schläge unter der Gürtellinie an. Und ich hatte ihr die direkte Vorlage dafür geliefert … Meine Züge verhärteten sich.

»Vielleicht stellst du diese Frage bei Gelegenheit deinen Angestellten, denen du meine Erziehung überlassen hast«, gab ich bissig zurück und richtete mich zu meiner vollen Größe von beachtlichen ein Meter neunzig auf. Es war wohl wirklich an der Zeit, Klartext zu reden. »Ich würde – und werde – mich immer wieder gegen diese Heirat entscheiden«, machte ich Mum klar und begrub damit hoffentlich jegliche Vorstellungen ihrerseits von Titelblättern mit royalem Hochzeitsschnickschnack, Tiffany und mir.

»Tiffany mag adelig, damit in deinen Augen angemessen und optisch atemberaubend sein – und ich war dumm genug auf sie reinzufallen. Aber ich werde keine Ehe mit einer manipulativen Frau führen, nur weil es aufgrund eines althergebrachten Rollenverständnisses passend erscheint. Wenn du mich fragst, steht eine Frau, die ein Kind bekommt, um es als emotionales Druckmittel für eine Hochzeit zu benutzen, da sie scharf auf meine Titel und den Thron ist, auf einer Stufe mit Terroristen.«

Mum öffnete wie in Zeitlupe den Mund, doch nun imitierte ich ihre abwinkende Handbewegung und redete einfach weiter, so wütend war ich: »Ich weiß, ich weiß, du siehst das anders. Keiner will hören, was der Kronprinz zu sagen hat. Oder nein, warte, sie rennen mir ja sogar für Interviews und Fotos hinterher. Ich stehe permanent unter Beobachtung. Aber weder du noch die Presse oder die royalen Fans wollen wirklich mich sehen, ihr sucht das atmende Abziehbild eurer Vorstellung eines Prinzen. Ihr wollt, dass ich genau das sage und mache, was ihr erwartet – wie ein verdammter Schauspieler, der sich an ein Skript hält. Dass ich nicke, lächle und den ganzen Tag dankbar bin. Und ich bin dankbar: für meinen wunderbaren Sohn, für den Erfolg meiner Agentur, für den verdammten Frieden im überwiegenden Teil der Welt. Aber versteh doch, ich gebe euch schon jetzt mehr von dem, was ihr wollt, als ich tatsächlich bin. Ich bin nicht aus dem Märchenwald, keine Figur, die man nach Belieben aus einer Kiste holt und aufzieht, damit sie tanzt, sondern ein echter Mensch mit einem echten Leben und echten Gefühlen.« Ich atmete schwer. Endlich war es mir gelungen, mich zu verteidigen.

Stille trat ein.

Dann nickte Mum langsam.

Maisie bettete ihr flaumiges Köpfchen, ganz, als hätte das Gehörte auch sie erschöpft, wieder auf Mums Schoß.

Nachdenklich strich diese ihr mit dem Zeigefinger über die weißen Hundeohren. Ihre Streitbarkeit hatte sich infolge meines seltenen Ausbruchs sichtlich gelegt. »Tja, das Leben ist manchmal sonderbar und manchmal wunderbar«, kommentierte sie.

»Dann hast du vermutlich die wunderbaren Momente abbekommen, denn ich habe in den letzten Jahren die sonderbaren erwischt«, grummelte ich und dachte an all die unliebsamen Wiedersehen mit Tiffany im Zuge des gemeinsamen Sorgerechts, bei denen sie sich fast jedes Mal aufs Neue an mich ranzuschmeißen versuchte. Aber die Schuld an dem Schlamassel musste ich bei mir selbst suchen. Ich Strohkopf war ihr auf den Verführungsleim gegangen. Zum Glück war ich wenigstens nicht kleben geblieben.

»Nun, du scheinst dich nicht genug zu bemühen«, stellte Mum indes trocken fest.

Nicht die Leier …

»Das tut mir aber leid«, murmelte ich sarkastisch.

»Dir vielleicht nicht, mir schon«, beschied sie mir kühl.

»Ah?« Waren wir bei ihrer Einleitung und kamen endlich zu dem Grund, warum sie mich heute eigentlich auf ihren Sommersitz zitiert hatte? Beim Gedanken an meine künftige royale Rolle, was immer diese beinhalten mochte, wünschte ich mich sofort ins West End zurück. Mein Büro dort war wunderbar klimatisiert und – abgesehen von mir – eine Royals-freie Zone.

Zu meiner Verwunderung schob Mum eine Ausgabe der London Times über ihren Schreibtisch. »Druckfrisch. Hier, lies! Die Öffentlichkeit spekuliert, ob ein DJ KiNG …«

Meine Züge entgleisten.

»… den besseren Regenten abgeben würde. Verstehst du jetzt, wie groß der Handlungsbedarf ist?«

DJ KiNG, war alles, was ich denken konnte. Und: Oh, fuck. Wusste sie es? Ich schielte zu ihr, meine Zunge klebte papptrocken an meinem Gaumen.

Mum betrachtete mit größter Intensität die fett gedruckte Überschrift der Ausgabe. »DJ KiNG. Allein der Künstlername ist unfassbar respektlos!«, empörte sie sich. »Ich kann das nur als Scherz auffassen, obwohl ich nicht darüber lache. Wirklich nicht.« Ihre zur Faust geballte Hand traf plötzlich mit einem satten Geräusch die Tischplatte.

Ich zuckte zusammen.

Maisie ebenso.

Heute geriet wirklich alles aus den Fugen.

»Dahinter steckt bestimmt eine Marketingagentur, die das für den größten Coup aller Zeiten hält«, mutmaßte Mum derweil ernsthaft pikiert. »Oder sich von dieser Serie abgeschaut hat, dass so etwas funktioniert! Wie hieß die noch mal?«, fragte sie mich und ich realisierte, dass sie es nicht wusste. Nicht irgendwie davon erfahren hatte und deshalb so … anders war.

»Gossip Girl.« Ich war derart erleichtert, dass mir beim Ausatmen ein hörbares Seufzen entwich.

»Da kann man wirklich nur seufzen«, verstand sie mich falsch und betrachtete das unter der Überschrift abgedruckte, sehr dunkle Bild. »DJ KiNG ist genauso kreativ wie Queen B.«

»Deinen Kleidungsstil haben sie bei Blair doch ganz gut getroffen«, entfuhr es mir salopp vor Beruhigung.

»Aber nicht den Charakter! Und natürlich sieht dir der junge Mann ähnlicher.«

»Na ja.« Mir wurde sofort heiß und kalt. Kam jetzt der Moment, um doch …

»Von der Statur, meine ich«, merkte Mum an. Sie legte den Kopf schief. »Und der Haltung. Mehr kann ich in diesem Pixelmeer nicht erkennen. Dass sie das überhaupt drucken!«, regte sie sich weiter auf.

»Eben.« Ich schluckte nervös, während sie einen letzten langen Blick auf das verschwommene Foto warf.

»Dieses Bild ist noch schlechter als der Künstlername«, urteilte sie vernichtend.

Ich straffte mich, bevor ich ernst sagte: »Mum, ich habe deinen Standpunkt verstanden.«

»Wirklich? Liron, der Artikel sollte nicht nur mich, sondern vor allem dich wachrütteln. Deine Außenwahrnehmung ist ein akutes Problem!«

»Ja … Ich verspreche dir und dem Königreich keine Schande mehr zu machen. Ganz im Gegenteil.« Etwas leiser fügte ich hinzu: »Wenn es das ist, was du wünschst?«

»Natürlich ist es das, was ich mir wünsche. Mehr wollte ich nie. Nur, dass du deine Rolle erfüllst – so wie wir alle.« Bedächtig streichelte die Queen wieder über Maisies Köpfchen. »Es wäre schön, wenn du dabei ein bisschen glücklich wärst; aber wer will schon anmaßend sein.«

Mein rechter Mundwinkel zuckte nach oben, ich nickte. Auch wenn wir oft gegensätzliche Ansichten vertraten, wollte ich sie nie enttäuschen. Aber das war nicht einfach: Macht und Geld machten selbst rechtschaffene Menschen gierig. Ich würde mich also in Zukunft bedeckt halten und in einen Mönch verwandeln müssen und damit jegliche Chance, jemals noch die zu treffen, die ich tatsächlich würde heiraten wollen, aufgeben. Denn wenn mich eines todsicher auf die Titelseite der Klatschblätter brachte, dann war es ein Foto von mir und einer Frau. Doch vermutlich gab es die Eine sowieso nicht für einen Kronprinzen, höchstens für einen Märchenprinzen.

Trotzdem fragte ich mich unwillkürlich, was ich machen würde, sollte mir die Liebe zufällig über den Weg laufen? Mir ging da ein Mädchen nicht mehr aus dem Kopf. Wir hatten uns nur kurz gesehen, vor circa drei Jahren, doch sie hatte mich verzaubert. Die Aufrichtigkeit in ihren Augen. Die Präsenz, die sie ausgestrahlt hatte. Und ihr Lächeln. Vor allem ihr herzliches Lächeln. Ich hatte sie nie wieder gesehen.

So war das Leben.

Bei ihr würde ich allerdings auf mein Versprechen pfeifen, oder?

Egal, denn mir wurde klar, dass ich viel Dringlicheres zu überdenken hatte, als alte Erinnerungen. Nämlich meinen überheblichen Künstlernamen und meine Verkleidung. Versprechen hin oder her, ich konnte mich nicht von der elektrisierenden Londoner Club-Szene fernhalten. Dort war ich ja auch nicht Liron. Nicht einmal ein Märchenprinz – und schon gar kein Kronprinz – war ein wasserstoffblonder DJ mit Bart, wilden Babes im Arm und heißen Beats in Dauerschleife. Beide waren brünette Anzugträger mit pathetischem Dauerlächeln im glatt rasierten Gesicht; wie ich gerade, sah man von den verrutschten Mundwinkeln und dem rumorenden Konterbier in meinem Magen ab. Dort war ich Ich.

»Ich werde mein Bestes geben, Mum«, bestätigte ich resigniert der Königin von Großbritannien und Nordirland, die dadurch zum ersten Mal bei diesem Gespräch lächelte. »Keine Kronprinz-Skandale mehr«, schwor ich ihr und mir.

Wenn das mal klappte …

1

Vor drei Jahren

Montag – Guildhall School of Music and Drama

Erster Tag an der Universität

Solace River

Der Himmel über London war tiefblau und kristallklar. Man spürte nicht den leisesten Windhauch, nicht einmal zwischen den im Schatten liegenden Häuserreihen an der Silk Street. Die Wetterlage war damit in etwa so wahrscheinlich wie die Chance auf eine Privataudienz bei der Queen und etwas, von dem oft geträumt wurde, in dessen Genuss aber selten jemand kam.

Allerdings hatte ich heute keinen längeren Blick für den Himmel übrig. Genauso wenig meine voll bepackte Schwester, die neben mir auf dem Speed Highwalk entlanghastete. Wir wollten nur schnell ankommen. Zuerst an der Guildhall School of Music and Drama. Und dann, in einigen Jahren, am Ziel unserer Träume: vor dem ganz großen Publikum.

Tatsächlich waren wir – wortwörtlich – auf dem besten Weg dahin, doch mit jedem weiteren Schritt spürte ich mehr das Gewicht der beiden Taschen, die ich trug, löste sich mein Optimismus mehr auf, genau wie meine Frisur. Aus meinem blauen Lieblingshaargummi, von dem ich mir heute Morgen eine extra Portion Glück erhofft hatte, rutschten immer mehr meiner langen haselnussbraunen Haarsträhnen. Und noch bevor wir den Eingang der Guildhall erreichten, bedauerte ich bereits, dass ich verschlafen und dadurch keine Zeit gehabt hatte, meine Haare ordentlich mit Haarnadeln hochzustecken – wie Rosie.

Wer verschlief denn bitte am ersten Tag?

Offensichtlich ich.

Londons ungewohnter Großstadtlärm und die Nervosität hatten mich in unserer neuen gemeinsamen Wohnung lange wachgehalten und als ich endlich Ruhe gefunden hatte, hatte ich geschlafen wie ein Stein. Immerhin hatte Rosie mich noch fast rechtzeitig geweckt.

Als meine Schwester und ich jetzt schwer atmend das moderne Foyer der weltweit führenden Universität für Musik und Theater betraten, hielt ich erleichtert inne. Wir hatten es sogar mehr als rechtzeitig hierher geschafft.

Schnell versuchte ich mich zu orientieren und den frühmorgendlichen Stress abzuschütteln, während Rosie sich bereits beschwingt im Kreis drehte und mich aufgeregt fragte: »Wusstest du, dass der aktuelle James Bond, Daniel Craig, hier Schauspiel studiert hat?«

Wem sagte sie das. »Hast du auch gelesen, dass Orlando Bloom und Jude Law auf der Guildhall waren?« Auf einmal hatte ich weit mehr als ein bisschen zusätzlicher Panik im Bauch. Daniel Craig, Orlando Bloom, Jude Law. Das waren verdammt große Fußstapfen, in die wir da treten wollten.

»Ja. Cool, oder? Laut der London Times wollte sogar seine Hoheit – oder sollte ich sagen Royal Hotness –, Kronprinz Liron Lourd-Rydell, hier studieren. Der Palast hat es aber verboten.«

»Der Palast? Verboten?« Ich rümpfte irritiert die Nase. Gleichzeitig nahm ich die luftige Deckenhöhe, die warme Beleuchtung und die schicke Einrichtung in mich auf. Natürlich war ich virtuell schon oft hier gewesen, vor allem seit der Zusage, in echt war allerdings alles so viel … beeindruckender.

»Klar, Queen B fand es wohl nicht angemessen«, konkretisierte Rosie schulterzuckend. »Der Prinz macht jetzt etwas Würdigeres.«

»Soso. Was denn?« Warum hielten sich Adelige eigentlich für etwas Besseres? War falscher Stolz vererbbar?

»Ich glaube ein Wirtschaftsstudium? Oder was auch immer, er ist inzwischen schon im letzten Semester. Aber … Was ich sagen wollte: Wir können uns auf gut aussehende männliche Kommilitonen einstellen!« Rosie wackelte mit den Augenbrauen.

Ich grinste. Die männlichen Schauspielstudenten würden meine goldblonde Schwester umschwärmen wie die Motten das Licht. Aus der Ferne dachten viele, sie wäre Amanda Seyfried, bis sie vor ihr standen und feststellten, dass sie jünger, charismatischer und noch strahlender war – und alle höflich abblitzen ließ. Fast taten mir ihre zukünftigen Bewunderer jetzt schon leid.

»Ich würde sagen: eine schöne Aussicht für mich – oder na ja: uns – und freie Auswahl für dich. Ich werde dafür keine Zeit haben«, meinte sie prompt.

»Aber ich?« Vielsagend zog ich die braunen Augenbrauen hoch. Irgendwann mussten wir endlich das Gespräch führen. Darüber, warum sie einerseits immer wieder das Thema Jungs zur Sprache brachte, andererseits aber niemanden datete. Das war doch nicht normal? Ich notierte mir den Gedanken auf meiner mentalen To-do-Liste. Diese wuchs seit unserem Umzug von Witney nach London im gleichen Maß wie wahrscheinlich das Unkraut in meinem kleinen Kräutergarten, den ich in Oxfordshire bei Mum und Dad hatte zurücklassen müssen. Ich musterte meine Schwester.

Ein sehnsüchtiger Ausdruck hatte sich auf ihr fein gezeichnetes Gesicht gelegt. Rosie und ich waren fast gleich alt, da unsere Eltern sie kurz vor meiner Geburt adoptiert hatten. Eine lange Geschichte. Seitdem waren wir fast immer zusammen, überall in einem Jahrgang und meist sogar in der selben Klasse gewesen. Deshalb war es uns ganz natürlich erschienen, gemeinsam vom Land in die Stadt zu ziehen, um uns ein Appartement zu teilen und an der Guildhall zu studieren. Rosie Schauspiel, ich Tanz.

»Ich bin jedenfalls nach wie vor froh, nicht mit dir in einem Studiengang zu sein«, gestand ich leise.

»Wie meinst du das?« Rosie schaute mich verwirrt an.

Bevor ich es ihr erklären konnte, verabschiedete sich aber nicht nur mein Haargummi gänzlich, sondern verrutschte auch der Halsausschnitt meines locker fallenden Pullovers. Großartig. Von wegen jedem neuen Anfang wohnte ein eigener Glanz inne, oder so ähnlich. Tja, Rosie war die Durchorganisierte von uns beiden. Hätte ich mich nur wie sie in enge Jeans, Ballerinas und ein Top mit Strickjacke geworfen.

Während ich mein Haargummi aufsammelte und meinen Pullover zurechtrückte, murmelte ich: »Na, Nurejew und Polunin haben nicht hier studiert. Das legt, genau betrachtet, die Latte des Studiums für mich nicht ganz so hoch wie für dich mit Schauspiel.«

Meine Schwester musterte mich einen Moment lang, als wäre ich verrückt geworden, dann ließ sie ihr perlendes Lachen hören.

»Was?«, fragte ich und beneidete sie um ihre Lockerheit.

»Vielleicht hättest du dich dann an der Royal Ballet School bewerben sollen?«, stichelte sie amüsiert. »Im Ernst, Solace, das ist kein Argument, vergleich dich nicht mit Nurejew und Polunin. Du liebst so viele Tanzrichtungen, ich erwarte in ein paar Jahren eher eine weibliche Michael Jackson. Michaela J.?« Zufrieden nickte sie. »Solace River aka the new M. J. – der hellste Stern am Tanzhimmel. Da hast du deine Messlatte! Und gib dich nicht mit weniger zufrieden, ich werde es auf keinen Fall.« Ihr Blick wurde eindringlich. »Wirklich. Man sollte sich nie mit anderen vergleichen. Für unsere Ausbildung ist es egal, wer hier studiert hat. Danach öffnet es uns vielleicht Türen.« Sie wirkte auf einmal so viel älter, als sie eigentlich war. So viel weiser und auch ein bisschen … hoffnungsvoll?

»Alle wollen berühmt werden«, fuhr sie fort. »Alle, Sol.«

Seit Mum von einer Reise nach Spanien träumte und bei ihren Recherchen herausgefunden hatte, das Sol auf Spanisch Sonne hieß, hatte sich die Abkürzung zu meinem Spitznamen gemausert.

»Aber wir? Wir werden es eines Tages sein.« Sie klang überraschend sicher. »Schau bei der Vorstellungsrunde nachher in die Gesichter deines Jahrgangs und präg sie dir ein. Das sind die, mit denen du von Stunde null an konkurrieren wirst. Das sind nicht deine Freunde, es sind Wölfe im Schafspelz.«

Ich nickte langsam, denn wer wusste schon besser Bescheid als Rosie? Meine Schwester war bereits ein Star. Oder zumindest war sie schon mal einer gewesen: einer der berühmtesten Kinderstars Englands. Zu meinem Bedauern sprach sie kaum über die Zeit, in der ich sie wenig gesehen hatte und von der ich deshalb auch nur wenig mitbekommen hatte. Normalerweise war Rosie allgemein eher zurückhaltend und nicht wie heute Ratschlag-gebend. Eigentlich war ich die Mitteilsamere und Resolutere von uns beiden. Ihre kurze Ansprache zeigte mir aber, dass sie noch da drin war: die ursprüngliche Rosie. Die Rosie von vor ihrer Zeit als Star.

Ein melodischer Gong riss mich aus der Nostalgie und wir setzten beide stumm unseren Weg fort, tiefer ins Hauptgebäude der Guildhall hinein.

Ich wusste, dass wir mit einem Versprechen an uns selbst zu unseren Vorstellungsrunden gingen: Wir würden eines Tages berühmt sein.

2

Montag – Guildhall School of Music and Drama

Erster Tag an der Universität

Der Vormittag schmolz in einer Flut neuer Eindrücke dahin: belebte Flure, kreative Menschen, moderne Räume, hoffnungsvolle Gesichter, informative Gespräche. Bis ein weiterer, lauter Gong die Mittagspause verkündete.

Eilig griff ich nach meinen mitgebrachten sowie den nach und nach dazugekommenen Sachen und machte mich vollbepackt auf den Weg zur Cafeteria. Dort hatten Rosie und ich uns schon auf der Herfahrt mit der Tube zum Essen verabredet.

Je schneller ich mich nun allerdings mit meinen Taschen, dem Berg an brandneuen Büchern und dem Beutel mit meinen Tanzsachen durch die engen Flure kämpfte, desto näher schienen mir die Wände zu kommen. Die Lücken zwischen den Studierenden schienen immer kleiner zu werden und mein Weg wurde zum waschechten Hindernisparcours. Viel zu viele Studierende drängten sich im denkmalgeschützten Teil der Guildhall, drückten sich an mir vorbei oder ließen sich, wie ich jetzt, im Strom der anderen zu den Treppen des Silk-Street-Gebäudes treiben. Es war unangenehm. Angenehm war dabei nur: Der Lärmpegel hätte bei der Masse an Menschen ohrenbetäubend sein müssen, doch hüllte uns eine fast sakrale Stille ein.

Diese wurde ab und an vom zarten Klang unterschiedlicher Melodien durchbrochen, die wie ein verblassender Hauch über die vielen Köpfe hinwegtanzten. Mal leiser, mal lauter, je nachdem, ob eine der vom Flur abgehenden Türen geöffnet oder geschlossen wurde.

Die musikalische Atmosphäre war wundervoll.

Wahrscheinlich fiel mir deshalb das laute Flüstern einer Gruppe älterer Studierender umso stärker auf – und das nicht im positiven Sinne. Vielleicht lag es auch daran, dass ich bereits eine gehörige Portion Abneigung gegenüber der Platinblonden in ihrer Mitte entwickelt hatte. Denn bei meinem dringend notwendigen WC-Gang während der letzten kurzen Pause hatte ich ungewollt ein wenig schmeichelhaftes Gespräch belauscht. Tiffany – die Platinblonde, wie ich beim Verlassen der Räumlichkeiten gehört hatte – lästerte gern über Neue. Was ich mitbekommen hatte, war wirklich unverschämt gewesen und ich wollte durch mein heute etwas aufgelöstes Aussehen nicht ihr nächstes Opfer sein.

Ich wollte nur zur Cafeteria.

Wie ich ein zweites Mal unbemerkt an ihr vorbeikommen sollte, wusste ich noch nicht. Immerhin kannte mich keiner aus der Gruppe und ich war taff. Schließlich hatten Rosie und ich es von einem Kaff auf dem Land nur durch Talent und Zähigkeit auf eine der führenden britischen Hochschulen geschafft. Die Guildhall zählte international zu den zehn besten Universitäten der Welt für darstellende Kunst und entsprechend hart war das Zulassungsverfahren. Erst musste man die Auditions bestehen. Dafür hatten wir im Vorfeld Referenzen und ein Bewerbungsvideo eingereicht. Dann musste man – bei Einladung zu den Auditions in London, Cardiff, Edinburgh, Newcastle, Nottingham oder New York, Hongkong, Seoul oder Tokio –, das eigene Können live beweisen. Schaffte man es anschließend zum persönlichen Interview, wie Rosie und ich, ging es darum, die Motivationsfrage richtig zu beantworten. Man musste das hier wollen – mehr als alles andere. Nur zehn Prozent der Bewerber gelang es zu überzeugen.

Während ich Schritt für Schritt weiterging, umklammerte ich verkrampft meinen Bücherstapel. Wir alle hier waren die Lastenesel unserer Sehnsüchte. Nicht nur sichtbar, sondern auch mental lag ein großes Gewicht auf uns. Der Druck, berühmt zu werden. Die Chance, alles zu gewinnen. Ruhm und Reichtum. Aber ich war nicht naiv, wie Rosie aufgrund ihrer Erfahrung glaubte. Wenn ich scheiterte, dann, weil ich nicht gut genug war. Ich würde mir meinen Traum auf keinen Fall von jemand anderem zerstören lassen.

Hungrig kämpfte ich mich weiter den Flur entlang und hielt den Blick auf Tiffany gerichtet, was dazu führte, dass ich mit voller Breitseite in einen anderen Stapel laufender Bücher, Taschen und Krimskrams krachte, der nach schrillem Aufquieken erst schwankte, bevor er unter der Wucht meines letzten energischen Schritts zusammenbrach.

Es regnete Bücher, die wie wild flatternde Vögel zwischen weiteren Studierenden zu Boden segelten. Der stockende Durchgangsverkehr um uns herum kam zum Erliegen.

O nein.

»Sorry, das tut mir ja so leid, bitte entschuldige«, stammelte ich, krampfhaft damit beschäftigt, meine eigenen Sachen festzuhalten, nicht dass diese sich zu dem Chaos gesellten.

Aber verdammt, wie sollte ich mit zwei vollen Händen helfen?

»Kein Problem.«

Eindeutig eine weibliche Stimme.

Ein Blick an meinen stabilisierten Habseligkeiten vorbei zeigte mir, wen ich da umgerannt hatte: ein feengleiches rothaariges Mädchen mit blasser Haut, vielen Sommersprossen und einem echt coolen dunkelgrauen Filzhut. Dieser hatte eine breite Krempe und wurde von hellen Perlen sowie einem geflochtenen Lederband geschmückt, von dessen Enden fröhlich mehrere Federn – seitlich der Hutkrempe – herabbaumelten. Ich mochte das Mädchen auf den ersten Blick, ganz im Gegenteil zum lauter werdenden Getuschel um uns herum und den genervten Gesichtern derer, die nun warten mussten. Als ob hier noch nie jemandem ein derartiges Missgeschick passiert wäre.

Kurzerhand schob ich einen neben mir an der Wand lehnenden Studenten zur Seite, der starrte. »Darf ich mal? Danke.« Genervt legte ich meine Sachen an der frei gewordenen Stelle ab, drehte mich um und bückte mich, um der Rothaarigen dabei zu helfen, ihre Bücher sowie alles andere einzusammeln.

Natürlich guckten die Umstehenden nur – sehr sympathisch.

Augenrollend registrierte ich, dass auch bereits wieder Bewegung in die Studierenden kam. Als das Gröbste zusammengeräumt war, streckte ich dem Mädchen meinen Teil entgegen. »Hier. Und hi … Der Zusammenstoß tut mir echt leid.« Ich fand, doppelt hielt bei Entschuldigungen immer besser. »Ich bin Solace.«

Die Rothaarige schenkte mir über die Bücher hinweg, die sie entgegennahm, ein kleines Lächeln. »Poppy. Schön dich kennenzulernen. Und bitte mach dich nicht fertig, es sind nur Bücher. Wahrscheinlich ist die gratis Flugstunde eben das Aufregendste, was ihnen je passiert ist.« Als würde sie genauer darüber nachdenken, zog sie auf lustige Weise die Nase kraus.

Ich blinzelte verblüfft. »Okay. Also …«

»… war es dir eine Ehre, die Bücher vom Elend ihres langweiligen Daseins zu erlösen«, schlug sie mir zwinkernd vor. Einige Sommersprossen tanzten dabei auf ihrem geraden Nasenrücken und den hohen Wangenknochen.

Sie war umwerfend. Falls sie wie Rosie Schauspiel studierte, würde sie reihenweise für Blockbuster gecastet werden, wenn sie annähernd so gut spielte, wie sie verständnisvoll reagierte. Und wäre damit eine echte Konkurrenz für meine Schwester.

»Absolut«, stimmte ich ihr überrumpelt zu. An Poppys spezielle Art musste ich mich noch gewöhnen. Aber das wollte ich, erkannte ich. Vielleicht studierte sie ja wirklich Schauspiel oder Musik und es gab Hoffnung, dass ich gerade eine Freundin gefunden hatte, keine Konkurrentin. Bei mir im Einführungskurs war sie schon mal nicht gewesen.

Poppy drehte derweil suchend den Kopf.

Ich ebenso.

Wir hatten all ihre Sachen aufgesammelt. Immer mehr Studierende drückten sich an uns vorbei. Die unmittelbar vor uns stehende Gruppe um Tiffany leider nicht.

Ich sah genauer hin.

Tiffany blickte eindeutig zu uns.

Zu mir.

Sie tuschelten über mich!

Ich konnte es jetzt fast körperlich spüren. Unwillkürlich ballte ich die Hände zu Fäusten, als ich Tiffany so laut zu ihren Freundinnen sagen hörte, dass ich es verstehen konnte: »Ich weiß wirklich nicht, warum man die angenommen hat.«

Wow. Sie war ein noch größeres Miststück, als ich vermutet hatte. Was glaubte sie schon über mich zu wissen? Ich hatte mir den Arsch aufgerissen, um hier zu sein – nicht nur durch Tanztraining, seit ich laufen konnte, auch die Aufnahme war anspruchsvoll gewesen. Allem Gefrotzel zum Trotz waren die Standards für Tanz sehr hoch. Da würde ich mir meinen Arsch jetzt sicher nicht noch von ihr aufreißen lassen.

Mein Arsch.

Meine Regeln.

Nur einen öffentlichen Streit, in den das hier schnell ausarten konnte, wie ich mich kannte, wollte ich einerseits auch nicht. Andererseits hatte ich nicht erwartet am ersten Tag Freunde zu finden. Und ich hatte mir versprochen: Wenn ich aufgenommen werden würde, würde ich alles schaffen. Besonders seit Rosies Ansprache arbeitete ich verstärkt daran, den Satz mitsamt der entsprechenden Zuversicht zu verinnerlichen. Alles außer einem erfolgreichen Abschluss kam nicht infrage, schon allein weil die Studiengebühren, die Mum und Dad gerade so zahlen konnten, horrend waren.

Mit zusammengepressten Lippen begann ich meine Sachen neben der Wand einzusammeln, aber Bitch T war noch nicht fertig …

»Meine kleine Schwester ist im selben Jahrgang und studiert auch Tanz. Audrey hat mir eben von der Vorstellungsrunde erzählt.«

Audrey? Da hatte wohl jemand in der Familie eine Breakfast at Tiffany’s-Obsession …

»Der Dorftrampel da kommt vom platten Land und hat eine Schwester, die hier Schauspiel studiert. Ich weiß nicht, wo die beiden etwas über die schönen Künste gelernt haben sollen.« Sie stutzte geziert. »Den Namen des Kuhkaffs habe ich doch glatt vergessen. So unbedeutend. Jedenfalls sind sie neu in London, wie man sieht.« Sie betonte es, als wäre ich zum ersten Mal in der Zivilisation.

Ich biss die Zähne zusammen und sah auf.

Tiffany machte eine Bewegung hin zu mir und war sich meiner direkten Aufmerksamkeit wohlbewusst. »Große Träume«, sagte sie in herablassendem Tonfall, der im inzwischen totenstillen Flur widerhallte und den seidenen Faden guter Laune durchtrennte, wie die Guillotine im Tower früher Genicke. »Die haben wir alle. Aber Potenzial …«

Keiner bewegte sich.

Ich hob herausfordernd das Kinn.

Poppy schaute schockiert zu Tiffany.

Die selbstgekrönte Queen der Guildhall – eindeutig – lächelte kalt. »… eher nicht. London braucht kein talentloses Gesindel. Genauso wenig wie die GSMD. Der Beirat will sich sozial, weltoffen und tolerant zeigen, aber niemand hier will wirklich Dorftrampel willkommen heißen. Dein Körpergefühl reicht ja nicht einmal, um einen Flur ohne Unfälle entlangzulaufen. Und du sollst tanzen können? Weltklasse?!«, ätzte sie. »Ach, bitte. Dass ich nicht lache.«

Wut durchfuhr mich. Heiß und schmerzlich. Es reichte. Ich war bereit etwas sehr Unziemliches vom Land – bitte, wenn schon gerne – zu erwidern.

Poppy war schneller: »Solace wird ihr Talent noch beweisen können«, warf sie laut ein, »dafür wissen wir ja jetzt bereits, wie gering deines ist. Wie sehr musst du von Zweifeln zerfressen sein, wenn du Fremde an ihrem ersten Tag beleidigst, um dich besser zu fühlen?«

BÄM.

Bitch T wurde blass.

Das saß.

Der ganze Flur schien den Atem anzuhalten.

Doch Poppy schenkte der geschockten Tiffany nur einen treuherzigen Augenaufschlag. »Ich stelle mir all diese Zweifel zermürbend vor«, schob sie mit sanfter Stimme und einem süßen Lächeln nach. »Du hast wirklich mein Mitgefühl. Es tut mir furchtbar leid, dass du dich von anderen bedroht fühlst. Aber nur weil dir das Talent mitten im Studium ausgeht, ist das nicht bei jedem der Fall. Denn wie du schon bemerkt hast: Menschen unterscheiden sich voneinander.«

Schach.

»Ich schätze, deshalb solltest du lieber intensiv darüber nachdenken, ob der Druck hier das Richtige für dich ist. Statt Fremde als Ventil zu benutzen.«

Matt. In drei Zügen.

Tiffanys Gesichtsfarbe wechselte von blass zu einem glühenden Rot.

Das stand ihr gar nicht.

»Bild dir deine Überlegenheit ruhig ein, wenn du dann besser schlafen kannst«, giftete sie an Poppy gerichtet. »Und du«, wechselte sie plötzlich wieder zu mir.

Ich blinzelte überrascht.

»Glaub mir, jemand wie ich – kultiviert und mit Beziehungen – wird jemandem wie dir und deiner Schwester immer vorgezogen werden«, schmetterte Tiffany mir entgegen. »Kommt alle in der Realität an!«

Da war ich längst, besten Dank.

»Na, dann hast du ja nichts zu befürchten«, konterte ich. Tiffany machte mir plötzlich keine Angst mehr. Sie konnte große Töne spucken, so viel sie wollte, es war zu spät. Sie war effektiv von Poppy geschlagen worden. Das hatte sie nur noch nicht begriffen, denn sie schnaubte ungläubig.

Eine Handbewegung Tiffanys und ihre Entourage folgte ihr kommentarlos den Flur hinab.

Sobald die Gruppe außer Sichtweite war, kam wieder Bewegung in die Studierenden um uns herum. Türen schlugen, leise Musik erklang. Keiner schenkte Poppy und mir einen zweiten Blick, ganz als wäre nie etwas geschehen. Es war seltsam und gleichzeitig beruhigend.

»Danke«, sagte ich mittlerweile zum dritten Mal, diesmal regelrecht enthusiastisch. »Das war fantastisch!«

Poppy, die tief durchatmete, lächelte mich zwischen ihren Taschen und Büchern an. »Manchmal habe ich ein etwas hitziges Temperament. Dann schnappt sich mein Gerechtigkeitssinn einfach das Mikro.« Sie zuckte fast entschuldigend die Achseln.

»Find ich toll!« Ich rückte enger zu ihr, bevor sie erneut umgerannt wurde.

»Ich bin mir nicht sicher, ob das gerade wirklich klug war oder ob wir deshalb in Zukunft mit Tiffany noch echte Probleme bekommen.«

»Ist mir egal«, gestand ich impulsiv. »Das eben musste gesagt werden!«

»Du meinst, das war es so oder so wert. Zum Wohl aller?«, fragte Poppy fast so nachdenklich wie Rosie heute Morgen.

»Wir werden sehen. Vielleicht denkt Tiffany mal ernsthaft über deine Worte nach … Sag mal, willst du mit in die Cafeteria kommen? Da wollte ich eigentlich hin, um mich mit meiner Schwester zu treffen«, wechselte ich das Thema.

»Gerne.« Poppy errötete. »Mein Magen hat schon vor zwei Stunden einen Notruf abgesetzt. Möglicherweise war ich deshalb so gereizt …«

Passenderweise knurrte mein Magen. Laut. »Meiner ist wohl auch nicht mehr ganz er selbst«, murmelte ich grinsend. Aber statt dass es mir – wie sonst – peinlich gewesen wäre, lachten wir gemeinsam.

Dann gingen wir los. Zwei Schafe, die sich inmitten all der Wölfe gefunden hatten. Was würde Rosie wohl zu all dem sagen?

3

Montag – Guildhall School of Music and Drama

Erster Tag an der Universität

»Nein! Das hat diese Kuh nicht gewagt! Das … Also …« Rosies Augen waren so weit aufgerissen, dass ich dachte, ihre Augäpfel müssten ihr gleich rausfallen und über den schnöden, weißen Plastiktisch zu mir herüberkullern.

Wir saßen zu dritt in der Cafeteria und Poppy, die neben mir auf einen der praktischen Lehnstühle gesunken war, hatte Rosie, nachdem ich die beiden einander vorgestellt hatte – da Poppy weder Tanz noch Schauspiel, sondern Musik studierte –, brühwarm jedes Detail unseres Zusammentreffens mit Tiffany berichtet. Das typische Kennenlernen hatten wir also einfach übersprungen, Tiffany war das Thema.

Während ich tief seufzte, nickte Poppy nun amüsiert, bevor sie ein leises Lachen ausstieß und beruhigend ihre Hand auf Rosies legte.

Meine Schwester, deren Tag offensichtlich gerade erst so richtig spannend wurde, sah inzwischen so aus, als wollte sie jemanden – wohl im Speziellen Bitch T – mit der Gabel, die sie krampfhaft umklammerte, erstechen. Der Teller Baked Beans vor ihr würde vermutlich kalt sein, bis sie ihm wieder Beachtung schenkte.

»Beruhig dich«, mahnte Poppy Rosie. Und sie hatte recht damit.

Ich verkniff mir allerdings ein Seufzen, weil Poppys Beschwichtigung wenig ernst zu nehmend war, da sie währenddessen weiter über den Vorfall im Flur kicherte.

»Wirklich, Rosie. Iss«, bekräftigte ich deshalb.

»Ich will aber nach dem, was ich gerade erfahren habe, nicht essen. Oder mich beruhigen«, murrte meine Schwester bockig. »Ich will …«

»Rosie«, versuchte ich es noch mal strenger. Sie war doch sonst nicht so emotional? »Tiffany hat es absolut nicht verdient, dass wir uns eine weitere Sekunde über sie aufregen. Sie ist ein Ekel, die Quoten-Zicke, es war eine einmalige Angelegenheit. Und sie ist …«

»Adelig«, warf Poppy ernst ein.

»Was?«, fragte ich überrumpelt und starrte fassungslos auf den Teller Nudeln mit Tomatensoße, den ich mir vor ein paar Minuten an der Essensausgabe, weiter vorne in der Cafeteria, geholt hatte. Der Hunger war mir plötzlich auch vergangen.

»Ja, sie ist irgendwie mit der Queen verwandt. Aber ich glaube, eher entfernt«, führte Poppy ungerührt aus. »Oder zumindest hat sie mit ihr zu tun, verkehrt in den gleichen Kreisen und so. Habe ich gehört.«

»Verwandt zu sein oder sich zu kennen, ist ein himmelweiter Unterschied!«, warf ich ein.

»Na ja, so oder so ist sie durch ihre Beziehungen dann wohl tatsächlich gut vernetzt«, murmelte Rosie. Dabei blitzte in ihren Augen etwas auf, das ich nie zuvor gesehen hatte. War es Eifersucht? Wut? Abscheu? Ich konnte es nicht sagen.

»Und objektiv betrachtet ist sie gutaussehend«, meinte Poppy.

»Wenn man auf künstlich steht«, merkte ich an.

Poppy und Rosie rollten mit den Augen.

»Wenn man auf Society-Ideale steht. Sie könnte eines Tages den Kronprinzen heiraten«, sinnierte Poppy. »Oder irgendeinen anderen Adeligen.«

»Soll sie lieber irgendeinen niederen Adeligen in den Wahnsinn treiben«, kommentierte Rosie. »Nur bitte nicht den Kronprinzen, sonst ist unser Land und Leben in Gefahr und wir müssen auswandern.«

Poppy kicherte wieder.

»Nun ja, aber …«, entgegnete ich. Aber was? Der Kronprinz hatte kein politisches Gewicht? Nein, lieber … »Karma schlägt immer zurück!«

»Fragt sich nur wann«, brummte Poppy missmutig und biss eine Spur zu aggressiv in ihren Apfel, den sie schon vor einer Weile aus einer ihrer unzähligen Taschen geholt hatte.

Langsam schob ich mein fast unberührtes Tablett von mir und betrachtete sie mit ihrer fantastischen Ausstrahlung und ihrem verrückten Hut und meine Schwester, deren Schönheit bereits jetzt die Blicke der männlichen Studenten in unserer unmittelbaren Umgebung auf sich zog. Gegen die beiden kam ich mir mit meinen braunen Haaren, der durchschnittlichen Statur – und absolut keiner außergewöhnlichen Eigenschaft – wie die graue Maus vor, die Tiffany in mir sah. Ich hatte mich nie selbst klein gemacht. Aber heute? Heute überforderte mich die Situation, der Tag, die Konkurrenz. Ich wollte nichts mehr als auf die ganz großen Bühnen und tanzen. Wollte die Welt verzaubern. Das Publikum an der Magie des Augenblicks teilhaben lassen, wenn ich mit meinem Körper den Naturgesetzen trotzte. Wollte tanzen wie niemand zuvor. Nicht Nurejew, nicht Polunin, nicht Michael Jackson.

Und ich wusste, dass ich es konnte.

Manchmal.

Dann war da dieses Urvertrauen in meinen Körper, das heute leider nicht bis zum Selbstvertrauen in meinen Geist vordrang. Tiffanys Worte hatten mich doch getroffen, wurde mir in dem Moment klar. Und sie würde nicht die einzige Kritikerin auf meinem Weg zu ebenjenen großen Bühnen bleiben, von denen ich träumte. Es würden andere kommen, die genauso versuchen würden, mir mein Talent abzusprechen. Andere, die dieselbe Rolle würden tanzen wollen. Andere mit besserem Aussehen, mehr Charme, mehr Charisma und mehr Beziehungen als ich. Mehr Talent. Verdammt.

Hinter meinen Augen begann es zu brennen.

Krampfhaft blinzelte ich. Nein. Nein. Nein. Ich hatte es so weit geschafft. Ich würde alles schaffen, versuchte ich mich selbst an mein Mantra zu erinnern.

»Hey«, hörte ich Rosies Stimme und sah verschwommen, wie Poppy ihren halb aufgegessenen Apfel senkte und mich ernst von der Seite musterte.

Wieder blinzelte ich gegen die Tränen an. Sogar erfolgreich, während sich meine Mundwinkel nach oben hoben, zu etwas wie einem Lächeln.

»Ich denke, du solltest Tiffany beweisen, dass sie falsch liegt«, sagte Rosie da entschlossen.

Sofort wollte ich abwinken, doch meine Schwester beugte sich über den Tisch und fixierte mich mit einem ihrer seltenen Jetzt-rede-ich-Blicke. Wenn Rosie wollte – also so ungefähr jedes Schaltjahr einmal –, konnte sie verdammt furchteinflößend sein. Und heute war wohl alles anders als normalerweise. Oder … Nun ja, Rosie war in ein gewohntes Umfeld zurückgekehrt und ich befand mich in einem mir unbekannten Habitat. Umkreist von blutrünstigen Wölfen.

»Weißt du, vielleicht musst du es vielmehr dir selbst beweisen«, überlegte Poppy laut.

Als ich erstaunt zu ihr sah, schob sie schulterzuckend hinterher: »Ich weiß genau, was in dir vorgeht. In meiner Familie versteht keiner meine Liebe zur Musik. Na ja«, unterbrach sie sich selbst. »Fast keiner. Meine Mum schon. Sie ist großartig, wirklich. Aber … Unwichtig.« Sie winkte ab. »Darum geht es jetzt nicht. Du, Solace, bist diejenige, die an das glauben muss, was du tust. Du. Unerschütterlich. Ohne Zweifel. Mit ganzem Herzen. Denn dann macht es dir nichts mehr aus, was andere sagen. Dann können sie dich nicht mehr verunsichern, weil du dir nämlich sicher bist.«

Rosie nickte zustimmend. »Und weißt du was, Solace? Ich habe eine Idee.« Sie grinste so breit und zuversichtlich, dass sich der Knoten in meinem Magen schon allein deswegen ein ganzes Stück löste. Rosie grinste selten, also musste es eine tolle Idee sein. »Lass uns dir – und allen Tiffanys dieser Welt – beweisen, dass du grazil und einzigartig bist! Ein Star, kein Trampel.« Rosies Worte klangen wie ein Schlachtruf.

»Okay«, hörte ich mich, nun ebenfalls entschlossen, sagen. Und einfach so war das, was auch immer genau, beschlossene Sache.

»Dann los, los, los!«, spornte Rosie mich und Poppy plötzlich an, während sie bereits aufstand, ihre Sachen einsammelte und das Kunststück vollbrachte, gleichzeitig ihr Tablett mit einem halbvollen Teller Baked Beans zu balancieren. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, Ladys«, ließ sie uns, so gut gelaunt wie lange nicht mehr, wissen.

»Aber …«, setzte ich überrumpelt an.

»Nichts da!«, unterbrach sie mich direkt. »Solace River, du springst jetzt über deinen Schatten und zeigst es dir selbst und dieser adeligen Kuh!«

»Okay«, murmelte ich wieder wenig eloquent und suchte mein Zeug, das unter den Tisch gerutscht war, zusammen. Aus dem Augenwinkel sah ich Poppys amüsierte Miene, während sie sich ebenfalls ihre Sachen schnappte.