Long John Silver - Björn Larsson - E-Book
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Long John Silver E-Book

Björn Larsson

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Beschreibung

Der berühmte Held von der "Schatzinsel" muss einiges richtigstellen. Hier erzählt er sein Leben und gibt uns eine schonungslose Einführung in die Welt der Seeleute und Piraten, die ganz und gar anders ist als in romantischen Romanen und heroischen Biografien. Long John Silver berichtet von Kapitänen, Teerjacken und Lügenhälsen, von Freunden und Verrätern, Meuterern und Sklavenhändlern, und nicht zuletzt von einem gewissen Jim Hawkins. Gesetze werden zu Richtlinien, und Silver selbst vom Glücksritter zum Feind der Menschheit.

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Seitenzahl: 676

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Über dieses Buch

Der berühmte Held von der »Schatzinsel« muss einiges richtigstellen. Hier erzählt er sein Leben und gibt uns eine schonungslose Einführung in die Welt der Seeleute und Piraten, die ganz und gar anders ist als in romantischen Romanen und heroischen Biografien.

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Björn Larsson (*1953) ist Professor für Französisch in Schweden, seine Leidenschaft ist aber das Segeln, das er mit der Schriftstellerei verbindet. Im Sommer lebt er auf einem Segelboot. Björn Larsson wurde u. a. 2004 mit dem schwedischen Literaturpreis Östrabopriset ausgezeichnet.

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Jörg Scherzer ist als Übersetzer aus dem Dänischen, Norwegischen und vor allem aus dem Schwedischen tätig.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Björn Larsson

Long John Silver

Der abenteuerliche Bericht über mein freies Leben und meinen Lebenswandel als Glücksritter und Feind der Menschheit

Aus dem Schwedischen von Jörg Scherzer

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Die Originalausgabe erschien 1995 im Verlag Norstedts, Stockholm.

Die deutsche Erstausgabe erschien 1996 im Berlin Verlag.

Originaltitel: Long John Silver (1995)

Diese Ausgabe erscheint in Vereinbarung mit Nordin Agency AB, Schweden.

© by Björn Larsson 1995

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: ewg3D/iStock (Takelage); hidesy/iStock (Kompass)

Umschlaggestaltung: Heike Ossenkop

ISBN 978-3-293-30969-2

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

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Version vom 14.06.2022, 05:51h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

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Inhaltsverzeichnis

LONG JOHN SILVER

Falls es Ereignisse und Verwicklungen in den Erzählungen …1 – Wir schreiben 1742. Ich habe lange gelebt …2 – Ich spüre noch, wie mir das Messer des …3 – Am Horizont geht die Sonne auf, und sie …4 – Es ist gut möglich, dass ich 1685 geboren …5 – Heute, als ich kurz nach Sonnenaufgang erwachte …6 – Der Presstruppe der Flotte hatte ich entkommen können …7 – Zehn Jahre lang fuhr ich unter Kapitän Wilkinson …8 – Als ich wieder zu mir kam, sah ich …9 – Als ich meinen Bericht über mein bis dahin …10 – Ich lachte noch in mich hinein, als ich …11 – Leben. Um jeden Preis. Das war mein Ziel …12 – Ein neues Kapitel also, wie man so sagt …13 – Heute Morgen, als die Sonne am Horizont aufstieg …14 – Unter allen bekannten Namen und Orten war der …15 – Es versteht sich von selbst, dass ich Herrn …16 – Zwei Wochen dauerte es, bis ich wiederhergestellt war …17 – Ja, Herr Defoe, sicherlich erkennt Ihr an diesen …18 – Als Butterworth am folgenden Morgen auf Deck kam …19 – Dolores, ganze neunzehn Jahre lang sind wir zusammen …20 – Im Inneren aufgewühlt, ging ich also mit Scudamore …21 – Das Erste, was ich am nächsten Morgen sah …22 – Kann man sich etwas vorstellen, das lächerlicher und …23 – Also wurde ich einen Tag, nachdem die Sorgenfri …24 – Frei und elend waren sie, diese letzten Bastarde …25 – Heute Nachmittag meinte ich, ein Segel am Horizont …26 – Dort also stand ich, mit Deval, den ich …27 – Ja, Herr Defoe, Ihr seht also, dass ich …28 – Wir waren also wieder vereint, Edward, der Ehrliche …29 – Kapitän Skinner war für Edward England der Anfang …30 – Nun also habt Ihr sie erfahren, Herr Defoe …31 – Immer häufiger gehen die Tage ineinander über …32 – Vor zwei Tagen, in der Morgendämmerung, lichtete die …33 – Bester Jim Hawkins! Ich weiß nicht, ob dieser …34 – Also schreibe ich mein Leben, und bestimmt …35 – Die ganze Nacht segelten wir nach Süden …36 – Allem Anschein nach war Flint ein leibhaftiger Mensch …37 – Die Erinnerung an meinen ersten Tag auf der …38 – Ja, Jim, ich vergesse Dich, so wie ich …39 – An jenem Morgen, wie an so vielen anderen …40 – Also war es zu früh, John Silver ein …Der Admiralität zu Händen – Postscriptum

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Falls es Ereignisse und Verwicklungen in den Erzählungen über Piratenkapitäne gibt, die ihnen einen romanhaften Charakter verleihen, so sind sie darum nicht erfunden oder eigens hierzu konstruiert worden. Es sind Erzählungen, mit denen der Verfasser wenig Bekanntschaft gemacht hat, von denen er jedoch glaubt, da er sie selbst, als sie erzählt wurden, für sehr unterhaltsam gehalten hat, dass sie beim Leser dieselbe Wirkung tun möchten.

Kapitän Johnson, alias Daniel Defoe,

A General History of the Pirates, 1724

Im ehrbaren Dienst gibt es schlechte Verpflegung, niedrige Heuer und harte Arbeit, in diesem aber Reichtum und Überfluss, Vergnügen und Genuss, Freiheit und Macht. Und wer möchte nicht, dass sich die Waagschale auf dieser Seite neigt, da die einzige Gefahr, die man zu gewärtigen hat, im schlimmsten Fall ein verdrossener Blick oder zwei sind, wenn man gehängt wird. Nein, mein Motto soll sein ein kurzes, vergnügtes Leben.

Kapitän Bartholomew Roberts,

Von Gnaden der Mannschaft gewählter Piratenkapitän, 1721

Sagt William, sehr ernst: Mein Freund, ich muss dir gestehen, dass ich es leid bin, dich so reden zu hören, diejenigen, die niemals an den Tod denken, sterben meist, ohne daran zu denken.

Ich scherzte noch eine Weile und sagte: Sei so lieb, sprich nicht vom Tod. Wie können wir wissen, dass wir jemals sterben werden?

Darauf muss ich dir nicht antworten, sagt William, es steht mir schlecht an, dir als Kapitän hier an Bord Vorwürfe zu machen, ich wünschte mir aber, du würdest anders vom Tode sprechen, es ist eine grässliche Angelegenheit.

William, sag zu mir, was du willst, sagte ich, ich nehms dir nicht übel.

Seine Worte rührten mich sehr.

Sagt William, während ihm die Tränen über das Gesicht strömen: Weil viele Menschen leben, als ob sie niemals sterben müssten, sterben so viele, ohne dass sie zu leben wüssten.

Kapitän Singleton,

Piratenkapitän von Daniel Defoes Gnaden, 1720

Barbecue ist kein gewöhnlicher Mann. In jungen Jahren hat er eine gute Ausbildung genossen und kann reden wie ein Buch, wenn er in der passenden Laune ist. Und mutig ist er – ein Löwe ist nichts im Vergleich zu Long John!

Israel Hands, Steuermann bei Teach,

genannt Schwarzbart, später in Flints Kompanie

Alle wissen, dass du gern predigst, John, manche jedoch schalten und walten ebenso gut wie du, und trotzdem waren sie nicht so streng und bitter und duldeten ein wenig Spaß und taten, was zu tun war, wie alle lustigen Kameraden.

Israel Hands zu John Silver

Ich war inzwischen so erschrocken über seine Grausamkeit, Falschheit und Macht, dass ich schaudern musste, als er seine Hand auf meinen Arm legte.

Jim Hawkins über John Silver

Glücksritter vertrauen einander nicht, und daran tun sie wohl. Ich jedoch folge meiner Art. Tut ein Kamerad – und ich meine einen, der mir wohlbekannt ist – nicht, was er tun soll, dann lebt er nicht auf derselben Welt wie der alte John. Manche hatten Angst vor Pew, und andere hatten Angst vor Flint, Flint in höchsteigener Person aber hatte Angst vor mir. Er hatte Angst, und er war stolz auf mich.

Long John Silver, genannt Barbecue,

Quartermeister bei den Kapitänen England, Taylor und Flint

Von Silver haben wir nichts mehr gehört. Dieser entsetzliche einbeinige Seemann ist endlich aus meinem Leben verschwunden, wahrscheinlich hat er seine alte Negerin wiedergefunden und verbringt ein ruhiges, angenehmes Leben gemeinsam mit ihr und Kapitän Flint. Das steht zu hoffen, denn seine Aussichten, in einer anderen Welt auf bessere Verhältnisse zu stoßen, sind sehr gering.

Jim Hawkins

1

Wir schreiben 1742. Ich habe lange gelebt. Die ich gekannt habe, sind alle tot. Einigen von ihnen habe ich selbst in jene andere Welt verholfen, falls es sie gibt. Ich hoffe jedenfalls mit aller Kraft, dass es sie nicht gibt, denn in der Hölle würden wir uns wiedersehen. Pew, der Blinde, Israel Hands, Billy Bones, Morgan, der Idiot, der es gewagt hat, mir den Schwarzen Fleck zu verpassen, und die anderen alle, und sogar Flint, Gott steh ihm bei, falls es Gott gibt. Und alle würden sie mich begrüßen, sie würden sich verbeugen und verneigen und sagen, nun sei alles wie früher. Aber zugleich würde ihre Angst strahlen wie eine glühende Sonne auf ein blasses Meer. Angst wovor?, frage ich. In der Hölle müssen sie doch wenigstens den Tod nicht fürchten.

Nein, vor dem Tod haben sie sich niemals gefürchtet, im Großen und Ganzen war es ihnen egal, ob sie lebten oder starben. Und doch hätten sie sogar in der Hölle Angst vor mir. Warum?, frage ich. Alle hatten Angst vor mir, sogar Flint, der im Übrigen der mutigste Mann war, den ich jemals gesehen habe.

Trotz allem danke ich meinem Glücksstern, dass wir Flints Schatz nie gefunden haben. Denn ich weiß, wie es gekommen wäre. Die anderen hätten binnen weniger Tage jeden Shilling durchgebracht. Und dann wären sie zum alten Long John Silver gekommen, dem einzigen Kopf, mit dem sie sich je brüsten konnten, und hätten um mehr gebettelt und geschmeichelt. So ist es immer gewesen, und gelernt haben sie es nie.

Eines aber habe ich begriffen. Es gibt Menschen, die nicht wissen, dass sie leben. Mir scheint, sie wissen überhaupt nicht, dass es sie gibt. Vielleicht ist das der Unterschied. Ich gehe vorsichtig um mit dem bisschen Haut, das sich an dem, was von meinem Körper übrig ist, gehalten hat. Besser zum Tod verurteilt als selbst aufgehängt, sage ich mir, wenn ich wählen soll.

War ich deshalb keinem anderen gleich, weil ich besser als jeder andere wusste, wie man lebt? Weil ich besser als jeder andere wusste, dass es nur auf dieser Seite des Grabes Gelegenheit zu leben gibt? Habe ich deshalb die Ärgsten und die Besten zu Tode erschreckt? Weil mir das künftige Leben gleichgültig war?

Aber es ist wahr, ein Vergnügen war es nicht, mein Nächster und Verbündeter zu sein. Barbecue haben sie mich genannt, von dem Tage an, an dem ich mein Bein verlor. Ja, wenn ich mich an irgendetwas in diesem Leben erinnere, dann daran, wie ich mein Bein verlor und meinen Namen bekam. Jedes Mal, wenn ich aufstehe, werde ich daran erinnert.

2

Ich spüre noch, wie mir das Messer des Feldschers ins Fleisch schneidet, als sei es Butter. Vier Mann sollten mich festhalten, aber ich sagte ihnen, kümmert euch um eure Angelegenheiten. Sie machten große Augen und sahen den Feldscher an, aber nicht einmal da wagten sie zu widersprechen. Der Feldscher legte das Messer weg und griff zur Knochensäge.

»Du bist kein Mensch«, sagte er, als er fertig war und mir das Bein abgesägt hatte, ohne dass auch nur ein Laut über meine Lippen gekommen wäre.

»Nicht?«, fragte ich und raffte meine letzten Kräfte zusammen, zu einem Lächeln, das ihn mehr erschreckt haben dürfte als alles andere.

»Was soll ich denn sonst sein?«, fragte ich.

Am nächsten Morgen kroch ich hinauf an Deck. Ich wollte leben. Ich habe zu viele gesehen, die verfault sind im Kielschweindunst, in Erbrochenem, in Blut und am Kaltbrand. Ich sehe noch deutlich vor mir, wie mein Kopf über den Schandeckel ragte. Die Arbeit stockte, als hätte Flint mit seiner heiseren, durchdringenden Stimme einen Befehl gebrüllt. Manche, das wusste ich, denn so dumm war ich nicht, hatten gehofft, dass ich sterbe. Vor allem ihnen zwinkerte ich zu, bis sie den Blick abwandten oder zurückwichen. Charlie Hangpitt, der seinen Namen bekommen hatte, weil er die entschieden größte Rute an Bord hatte, legte ein solches Tempo vor, dass er gegen die Reling flog und über Bord fiel und mit den Armen wedelte wie eine Windmühle. Ein Gelächter stimmte ich an, das sich sogar in meinen Ohren anhörte, als komme es aus der Unterwelt oder von jenseits des Grabes. Ich lachte, bis mir die Tränen herunterliefen. Ein ordentliches Lachen verlängert das Leben, heißt es. Vielleicht. Dann muss man aber auch lachen, bevor es so weit ist. Liegt man erst auf der Bank und bekommt das Bein abgesägt, ist es zu spät.

Dann fiel mir auf, dass nur ich lachte und sonst niemand. Dreißig furchterregende Piraten standen wie Statuen überall auf dem Schiff herum und glotzten, dass ihnen die Augen fast aus den Höhlen quollen.

»Los, lacht, ihr Memmen!«, brüllte ich, und alle dreißig fingen an zu lachen.

Das klang wie dreißig Mäuler, die einander niederbrüllen wollten. So verdreht war das, dass auch ich wieder zu lachen anfing. Vielleicht habe ich nie im Leben so viel Spaß gehabt. Zu guter Letzt blieb mir ihr Gekrächze im Hals stecken.

»Zum Teufel, hört auf und belegt!«, brüllte ich, und alle Mäuler klappten zu.

Im selben Augenblick stieg Flint vom Achterdeck herunter. Er hatte alles, ohne eine Miene zu verziehen, mit angesehen und kam mit einem vergnügten, aber doch respektvollen Grinsen auf mich zu.

»Schön, Euch wiederzusehen, Silver«, sagte er.

Ich gab keine Antwort. Es war nie gut, wenn man Flint persönlich zu sehen bekam. Er drehte sich zur Mannschaft um und sagte: »An Bord brauchen wir richtige Kerle.«

Und dann bückte er sich, packte, sodass alle es sehen konnten, das Ende meines Beinstumpfs und presste es zusammen.

Mir wurde schwarz vor Augen, aber ohnmächtig wurde ich nicht, und ich gab keinen Ton von mir.

Flint richtete sich wieder auf und sah seine Männer an, die vor Schreck in eigentümlichen Grimassen und Posituren dastanden.

»Da seht ihr es«, sagte Flint gelassen. »Silver ist ein richtiger Kerl.«

Das war bei Flint Freundlichkeit und menschliche Wärme. Mehr war nicht möglich.

Den ganzen Tag saß ich in der Sonne. Der Schmerz kam und ging, er pulsierte wie ein Herz. Aber ich lebte.

Nur dass ich lebte, zählte. Israel Hands hatte mir eine Flasche Rum hingestellt, als sei Rum die Quelle des Lebens, aber die rührte ich den ganzen Tag nicht an. Rum habe ich nie gebraucht, und gewiss nicht an diesem Tag.

Später, am Abend, bat ich John, den Schiffsjungen, eine Lampe zu bringen und sich neben mich zu setzen. Ich hatte immer eine Schwäche für junge Männer. Nicht um sie anzurühren. Im Gegenteil. Für Körper und Haut habe ich nicht viel übrig, ganz gleich, wem sie gehören. Wenn ich mit Frauen geschlafen habe, und das muss man, um nicht verrückt zu werden, dann habe ich es, mit Verlaub, immer so schnell wie möglich hinter mich gebracht. Mit Jungen ist das anders. Die sind sauber wie ein frisch gekratzter Schiffsrumpf, glatt wie geputztes Messing, unschuldiger als Nonnen. Als könnte ihnen nichts etwas anhaben, auch das Allerschlimmste nicht. Nehmt nur Jim, Jim Hawkins von der Hispaniola. Er hat Israel Hands erschossen, das war gut so, und er stand dabei, als die Leute um ihn herum vor Schmerzen brüllten und starben. Und doch schien eigentlich nichts geschehen zu sein, als wir diese verdammte Insel verließen. Er glaubte trotzdem, er hätte noch das ganze Leben vor sich.

John war genauso. Er wich nicht zurück, als ich ihm in der lauen karibischen Nacht wie einem alten Freund den Arm um die Schultern legte.

»Herr Silver, habt Ihr Schmerzen?«, fragte er sogar.

Danke der Nachfrage, dachte ich. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Wie hätte ich erklären können, dass ich Schmerzen in einem Fuß hatte, den es nicht mehr gab oder der irgendwo in der Nähe der alten Walrus herumschwamm, wenn die Haie ihn noch nicht gefressen hatten. Ich bedauerte, dass ich den Feldscher nicht gebeten hatte, er möchte mein Bein für mich aufheben. Ich hätte das Fleisch abgekratzt und die Knochen zur Erinnerung behalten, genau das. Stattdessen hatte ich jetzt vor Augen, wie irgendein Schwarzer es am Strand fand und keine Ahnung hatte, dass es einmal mir gehört hatte, mir, Long John Silver, keinem anderen.

»Nein«, sagte ich zu John nur, »Herr Silver hat niemals Schmerzen. Wie sähe das denn aus? Wer hätte Respekt vor mir, wenn ich wegen eines Beines heulen würde?«

John sah mich an, bis oben hin voll Bewunderung. Und natürlich glaubte er mir.

»Jetzt musst du mir vom Gefecht erzählen«, sagte ich zu ihm.

»Aber Ihr seid doch selbst dabei gewesen, Herr Silver?«

»Ja, das stimmt. Aber ich will, dass du erzählst. Ich hatte sozusagen nicht die Zeit, alles genau zu verfolgen. Ich hatte alle Hände voll zu tun, sozusagen.«

John schien das zu verstehen. Natürlich wusste er nicht, worauf ich hinauswollte.

»Wir haben Geiseln gemacht«, sagte er. »Eine Frau ist auch dabei.«

»Wo ist sie jetzt?«

»Ich glaube, Flint hat sie.«

Was ganz sicher der Fall war. Flint war vernarrt in Frauen, nie konnte er die Finger von ihnen lassen. Ich habe viele Kapitäne gekannt und bin mit einer ganzen Menge gesegelt, einer schlimmer als der andere. Keiner aber, kein Einziger, hat sich herausgenommen, eine Geisel persönlich mit Beschlag zu belegen. Manche sind abgesetzt worden, weil sie versuchten, sich eine Dame zur privaten Verfügung zu halten. Ich selbst habe in die Statuten geschrieben, dass keiner eine Frau antasten darf. Flint aber durfte. Ich entsinne mich nicht einmal, was in den Statuten der Walrus stand. Vermutlich gar nichts. Flint hatte seine eigenen Statuten.

»Ach, tatsächlich«, sagte ich zu John. »Und was meinst du, was Kapitän Flint mit ihr macht?«

Der arme Junge errötete so stark, dass es mich rührte.

»Und das Gefecht?«, fügte ich hinzu, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. »Du sollst doch erzählen, wie das mit dem Gefecht gewesen ist.«

»Wo soll ich denn anfangen, Herr Silver?«

»Am Anfang. Eine Geschichte beginnt immer am Anfang.«

Er sollte lernen. Alle jungen Männer müssen ihr Sprüchlein kennen, sonst führt man sie immer wieder an der Nase herum.

»In der Morgendämmerung entdeckte der Ausguck ein Schiff«, begann John. »Es war gutes Wetter, und er hatte weite Sicht. Wir setzten volles Zeug, aber erst gegen acht Glasen hatten wir sie eingeholt. Der Untersteuermann hisste die rote Flagge.«

»Und was bedeutet das?«, fragte ich.

»Dass kein Pardon gegeben wird«, antwortete John mit flinker Zunge.

»Und was heißt das?«

John sah verwirrt aus.

»Das weiß ich nicht genau«, sagte er schließlich verlegen.

»Dann will ich es dir sagen. Es heißt, dass es einen Kampf auf Leben und Tod gibt. Und der Gewinner darf bestimmen, ob die anderen am Leben bleiben oder nicht. Verstehst du?«

»Ja, Herr Silver.«

»Erzähl weiter!«

»Israel Hands hat gesagt, Flint ist ein wackerer Kapitän, Flint hätte dafür gesorgt, dass der Feind die Sonne im Gesicht hat und in Lee hinter uns liegt. Hands hat gesagt, die hätten keine Chance, und sie sollten lieber aufgeben und nicht solche wie uns herausfordern. Erst sind wir achtern um sie herumgefahren und haben eine Breitseite abgefeuert. Dann haben wir gehalst und haben noch einmal geschossen, mit allen Kanonen. Sie hatten eine Menge Löcher in ihren Segeln, und einer von ihren Masten ist umgefallen.«

»Umgefallen?«

»Das war freundlich ausgedrückt. Eine Kugel hatte genau ihren Großmast getroffen, der wie Brennholz zersplitterte und mit ohrenbetäubendem Krachen über Bord stürzte. Das Großsegel knallte wie eine Peitsche, als es zerriss. Ein paar von ihren Scharfschützen stießen ihre letzten Schreie aus, als sie mit ins Meer gezogen wurden.«

»Abgegangen«, fügte John hinzu, als höre sich das besser an. »Und dann?«

»Dann stand die ganze Besatzung der Walrus an der Reling. Alle hatten Musketen und Säbel und Enterhaken. Alle haben geschrien.«

»Warum haben sie geschrien?«

»Um den anderen Angst zu machen«, sagte John selbstsicher. Er glaubte das zu wissen.

»Richtig!«, antwortete ich. »Oder sie schrien, weil sie sich vor Angst fast in die Hosen gemacht hätten.«

John sah mich verblüfft an.

»Sind denn nicht alle auf der Walrus mutig?«, fragte er.

Ich antwortete nicht. Er sollte lernen, selbst zu denken. »Und dann?«, fragte ich wieder. »Was geschah dann?«

John zögerte.

»Ich weiß nicht genau, was dann geschah. Das andere Schiff drehte plötzlich bei, bevor wir entern konnten. Jemand sagte, der zerschossene Mast im Wasser sei gegen ihren Steven geknallt. Dann feuerten auch sie eine Breitseite ab. Wir hatten ein paar Tote. Und Ihr wurdet am Bein getroffen, Herr Silver. Aber dann rammten wir sie, und unsere Leute sprangen an Bord, um zu kämpfen. Lange hat es nicht gedauert. Dann wurde ihre Flagge gestrichen.«

»Einen Augenblick«, unterbrach ich ihn. »Das ist wichtig, hör jetzt genau zu. Du hast gesagt, alle auf der Walrus haben an der Reling gestanden. Weißt du genau, dass es alle waren?«

»Herr Bones, der Untersteuermann, nicht. Der stand die ganze Zeit am Ruder.«

»Das stimmt. Aber außer Bones auf der Brücke, wer stand denn noch auf Deck; irgendwo mitten auf Deck, hinter uns anderen? Denk nach!«

»Keiner«, sagte John, aber dann verbesserte er sich: »Oder doch, einer stand nicht an der Reling.«

»Wer?«, fragte ich und verriet nicht, dass ich es bereits wusste. »Deval, der Franzose«, sagte John.

»Weißt du das genau?«, fragte ich weiter. Dabei wusste ich natürlich, dass John recht hatte.

Der Junge musste meiner Stimme etwas angemerkt haben. Er zögerte, sagte dann aber: »Ja, ich bin sicher.«

Ich holte tief Atem, legte die Arme um John und drückte ihn an mich.

»Unter Männern«, sagte ich, und er strahlte vor Stolz.

»Das hast du gut erzählt«, fuhr ich fort, als ich ihn wieder losgelassen hatte. »Und jetzt gibt der alte Silver dir einen Rat. Du musst lernen, wie man Geschichten erzählt. Wie man die Dinge ausschmückt und lügt. Dann kommst du immer und überall zurecht. Stumm sein und nicht wissen, was man sagen soll, das ist das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann.«

John nickte.

»Jetzt will ich ein wenig Ruhe haben«, sagte ich. »Ganz allein hier sitzen und den Mond und die Sterne betrachten. Du kannst in deine Koje gehen. Du hast dein Tagwerk getan, so wahr ich Silver heiße.«

»Ja, danke«, sagte John. Er wusste natürlich nicht, wofür er sich bedankte.

Ich sah ihn weggehen und lehnte mich zurück. Er hatte mir das Leben gerettet, wollte ich meinen. Ich weiß nicht, ob ich es lange ertragen hätte, nicht zu wissen, wer mich da von hinten hatte erschießen wollen. Nur ich wusste, dass mich die Kugel getroffen hatte, als die Breitseite schon abgefeuert war. Unmittelbar danach, aber danach. Deval, die feige Ratte, der einmal mein Freund sein wollte, hatte von hinten auf mich geschossen. Was für ein Glück für John Silver, dass die alte Walrus krängte, als die Breitseite uns traf. Sonst wäre ich tot gewesen, und meine Geschichte wäre zu Ende, und das, wie bei so vielen unserer Zunft, wegen nichts.

Ich schloss die Augen und wartete auf den kommenden Tag.

Am nächsten Morgen hinkte ich hinauf in Flints Kajüte und trat ein, ohne zu klopfen. Er lag mit der Dame im Bett.

»Sieh mal an, Silver«, sagte er. »Ihr macht einen Spaziergang?«

»So gut es geht, Flint«, sagte ich nur.

Flint verzog den Mund und warf der Frau neben sich einen bedeutungsvollen Blick zu.

»Silver«, sagte Flint, »ist an Bord der Einzige, der etwas taugt. Was für ein Glück, dass er nicht navigieren kann, denn dann wäre er der Kapitän und ich der Quartermeister. Nicht wahr, Silver?«

»Vielleicht. Aber ich komme nicht wegen meiner Vortrefflichkeit.«

Flint sah, dass ich es ernst meinte, er setzte sich im Bett auf. Seine Brust erinnerte an einen Fuchspelz. Ich erzählte ruhig, was geschehen war, und nahm mich zusammen, um meinen Zorn nicht zu zeigen. Flint hörte zu, die Frau neben ihm konnte den Blick nicht von meinem roten Stumpf lösen. Die Wunde hatte den neuen Verband, den mir der Feldscher kurz vorher angelegt hatte, schon wieder durchnässt.

»Ich will ihn selbst bestrafen. Mit Eurer Erlaubnis natürlich.«

»Selbstverständlich«, sagte Flint, ohne nachzudenken, was für ihn keineswegs ungewöhnlich war. »Selbstverständlich«, sagte er noch einmal. »Aber wie? Das wüsste ich nun doch ganz gerne.«

Ein erwartungsvolles Lächeln stand in seinem Gesicht. »Mit diesem Bein?«

»Seid unbesorgt! Mit der Memme, von der wir reden, werde ich auch ohne Beine und mit nur einem Arm fertig, wenn es sein muss.«

»Das glaube ich«, sagte Flint, und er meinte es auch so.

Sich einen Menschen vorzustellen, der ohne Arme und Beine leben und kämpfen konnte, fiel ihm nicht schwer.

»Wir gehen wie abgemacht heute Nachmittag an Land?«, fragte ich. Es klang fast wie eine Feststellung.

»Ja«, sagte Flint, »wie auf dem Schiffsrat abgemacht. Wir gehen mit dem ganzen Proviant und dem Rum, den wir von der Rose mitgenommen haben, an Land. Und dann essen und trinken wir, bis wir umfallen. Genauso wie immer. Keine Änderung.«

»Gut. Und ich sorge für die Unterhaltung.«

Flint knuffte die nackte, magere Frau mit dem Ellbogen. »Du wirst nicht enttäuscht sein«, sagte er zu ihr. »Das kann ich dir versprechen. Ich kenne meinen Silver.«

Sie starrte noch immer auf mein Bein. Ich aber war erstaunt, dass sie in der Nacht mit Flint nicht den Verstand verloren hatte. Vielleicht hatte er trotz allem eine gute Eigenschaft. Es wäre die einzige gewesen, sah man davon ab, dass er navigieren und eine Entermannschaft führen konnte wie kein Zweiter. Wie er das mit der Navigation gelernt hatte, kann ich mir noch heute nicht vorstellen. Flint war schlau, das war er, aber denken, wenn es nicht um Leben und Tod ging, das konnte er nicht.

Am späten Nachmittag gingen wir an Land, mit drei Schaluppen und der Jolle. Den ganzen Tag über hatte ich still an Deck gelegen, um Kraft zu sammeln. Währenddessen wurde sauber gemacht. Das Blut vom vorangegangenen Tag wurde weggespült, die Leichen hatte man schon über Bord geworfen. Eine Gruppe lud die Beute von der Rose auf die Walrus um. Bei jeder Goldmünze und jedem Juwel, die an Bord kamen, gab es Geschrei und Gejohle. Ich lag da, die Augen halb geschlossen, und verfolgte noch die kleinste Bewegung. Einige Male ging Deval an mir vorbei, ohne mich anzusehen. Er würdigte mich keines Blickes.

»Deval«, rief ich ihm zu, als er wieder vorüberkam.

Er blieb stehen und sah mich mit hasserfüllten Augen an. Doch gleichzeitig hatte er Angst, also das Übliche für einen, der nicht den Mut hat, auf eigenen Beinen zu stehen.

»Schöne Beute, Deval«, sagte ich und schenkte ihm mein schönstes Lächeln.

Die Rose war eine gute Prise, eine der besten sogar, aber in diesem Augenblick waren Gold und Piaster das Letzte, woran ich dachte. Nicht einmal die Edelsteine, meine Schwäche, konnten mich vom Kurs abbringen.

Ich achtete darauf, dass ich in dasselbe Boot kam wie Deval. Ich glaube, Pew hat mir dabei geholfen, obwohl er nichts mehr sah, weil ihm beim Entern der Rose eine Lunte im Gesicht explodiert war, was ihm allerdings nicht das Mindeste auszumachen schien. Er war so verwegen wie nur je. Er stand an Deck und fierte mich wie einen Sack Kartoffeln hinunter. Den Stock, den mir der Zimmermann am Vormittag zugeschnitten hatte, warf er mir aufs Geratewohl wie einen Speer hinterher. Pew wäre es gleichgültig gewesen, hätte er den Schädel eines der Männer durchbohrt. Blind oder nicht, Pew hielt dergleichen für unterhaltend. Bevor einer dazu kam, das Leben für der Mühe wert zu halten, musste er sterben. Ich streckte mich, so gut ich konnte, und fing den Stock aus der Luft. Mit Verlaub, wenn ich Pew einen Knüppel zwischen die Beine werfen konnte, dann tat ich es auch. Trotzdem hasste er mich nicht. Wahrscheinlich ging dergleichen über seinen geringen Verstand hinaus.

Ich nahm den Stock in meine linke Hand und versetzte Deval damit einen leichten Schlag auf die Schulter.

»Knapp daneben, Deval«, sagte ich. »Fast hätte er dich getroffen. Ein schöner Tag, was, Deval? Könnte nicht besser sein!«

Ohne sich umzudrehen, brummte er etwas Unverständliches. Er wagte wohl nicht, mir in die Augen zu sehen. Wahrscheinlich fürchtete er, ich könnte ahnen, warum mein Bein in Fetzen geschossen worden war.

»Eine gute Prise mit Rum in Strömen«, fuhr ich mit munterer Stimme fort. »Was braucht ein Glücksritter mehr? Frauen? Vielleicht. Aber Gold und Rum lassen sich besser teilen, unter Freunden, versteht sich.«

Von den Männern hörte man zustimmendes Gemurmel. Alle waren vergnügt und erwartungsvoll. Das Leben lachte ihnen zu. An Land gab es so etwas wie Disziplin nicht. Alle waren sich selbst im Übermaß genug, und nicht einmal Flint hätte dagegen etwas ausrichten können. Jetzt würden sie zeigen, dass sie das gleiche Recht hatten zu leben wie andere. Immer wieder das gleiche trostlose Lied. Rum und Gegröle, Gejohle und Rum, Rum und Geschrei, Rausch und Rum, Rum und Spiel, Schlägereien und Rum, ein einziges, trostloses Durcheinander.

Ich sah hinüber zu Flints Boot, es lag eine Kabellänge voraus. Er selbst stand achtern, trug seinen blutroten Hut und brüllte seine Befehle. An Bord kannte Flint nur eine Stimmlage, es spielte keine Rolle, ob es sich um eine Fregatte oder eine Jolle handelte. Die Geisel hatte er trotz allem auf dem Schiff gelassen, was darauf hindeutete, dass er sie noch ein paar Tage für sich behalten wollte. Ich sah mich nach dem Feldscher um. Er war auch dabei. Zwei Ruderbänke vor Flint ragte sein kahler Schädel auf.

Feldschere habe ich nie verstanden und den von der Walrus vielleicht am allerwenigsten. Was brachte sie eigentlich dazu, Leute wie uns am Leben zu halten, obwohl uns das streng genommen gleichgültig war und wir sie obendrein hassten wie die Pest? Ich habe nicht einen Seemann gekannt, der für den Arzt etwas übrighatte. Ein Leben im Blut, wozu? Religiös waren sie jedenfalls nicht und auch keine barmherzigen Samariter. Warum also? Nie habe ich das begriffen und begreife es immer noch nicht. Häufig waren sie sogar gebildet. Von mir abgesehen, war der Feldscher auf der Walrus der Einzige, der ein richtiges Buch gelesen hatte. Und damit meine ich nicht die Bibel. Nicht, dass so etwas dem Feldscher unbedingt geholfen hätte. Ein finsterer Kerl war das. An diesem Tag würde er jedenfalls für seinen Anteil an der Beute etwas Nützliches tun. Und trotz allem hatte er mir das Leben gerettet. Womöglich konnte ich sogar so weit gehen, ihm meinen Dank abzustatten.

Wir fuhren eine halbe Seemeile an der Insel entlang, bis wir ihre Nordostspitze erreichten, auf deren Südseite wir die Boote an Land zogen. Wir waren nicht zum ersten Mal dort. Am Strand sahen wir die Reste eines früheren Feuers und auch leere Rumflaschen. Der Sand war weiß, er glitzerte wie die Diamanten, die dieser Narr damals auf der Cassandra in tausend Stücke zertrümmert hatte, damit er sie gerecht teilen konnte. Die Palmenkronen warfen große, schwarze Sternschatten, die flatterten, wenn der Wind in die Blätter fuhr. Beim vorigen Mal hatte einer aus der Mannschaft eine Kokosnuss auf den Kopf bekommen und war sofort tot. Zur Begeisterung aller. Dass man von so etwas sterben konnte, hatte niemand geglaubt. Aber jetzt setzte sich keiner mehr an einen Palmenstamm.

Wir hatten uns die Landzunge nicht zufällig ausgesucht. Wenn seine eigene Haut auf dem Spiel stand, war Flint ein vorsichtiger Kapitän, zumindest bis er in seinem letzten Jahr den Verstand verlor. Schon vor langer Zeit hatte er die Vorteile dieses Ortes entdeckt. Die Landzunge lief wie ein langer Finger mit gewölbtem Rücken einige Hundert Ellen vom Land ins Meer. Von ihrem Kamm aus hatte man freie Sicht nach Norden und nach Süden und konnte jedes Schiff sehen, das auf die Insel zukam. Außerdem lag die Passage, die an der Sandbank vorbeiführte, so weit draußen, dass wir Zeit genug hatten, an Bord der Walrus zu gehen und sie gefechtsklar zu machen. Das heißt, falls wir nicht sturzbetrunken waren.

Wir waren kaum an Land, da hatten ein paar schon ein Loch in ein Rumfass geschlagen. Andere hatten es nicht so eilig. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, warfen sie sich auf den Strand und lagen dort wie tot. Ich hüpfte auf meinem einen Bein herum, so gut es ging, und unterhielt mich mit allen als der gute Kamerad, der ich sein konnte, wenn es nötig war. Ich verbreitete so viel gute Laune wie möglich, damit keiner je vergaß, dass Long John Silver ein gutes Herz hatte und tat, was er tat, weil er dafür seine Gründe hatte.

Einige prahlten laut mit ihren Großtaten, als würden die davon besser, dass man heulte wie ein Wolf. Morgan, der nicht viel weiter als bis sechs zählen konnte, hatte seine Würfel hervorgezogen und lockte alle und jeden, sie sollten um ihren Teil der Beute spielen. Morgan war so. Er riskierte sein Leben für ein Würfelspiel. Einmal hatte ich ihm vorgeschlagen, wir sollten lieber um unser Leben würfeln. Das sei geistreicher, meinte ich. Morgan aber begriff den Witz nicht.

Pew irrte herum, wie immer, und suchte Streit, war jedoch verwirrter als sonst. Der Schwarze Hund drehte seine Runden um einige Neue und Junge. Den ersten Besten, der betrunken umfiel, schleppte er in ein Gebüsch. Was er davon hatte, wussten die Götter. Flint saß da wie immer, so, wie sich das gehörte, unter Wahrung seines Rufs mit einem eigenen Rumfässchen. Bevor der Abend zu Ende war, würde er es ausgetrunken haben. Flint konnte Rum trinken wie kein anderer. Wenn alle anderen umgefallen waren, saß Flint noch immer aufrecht mit glänzenden Augen da und starrte ins Feuer. Je mehr er trank, desto ruhiger wurde er. Zuletzt sagte er meist überhaupt nichts mehr, saß nur da und glotzte. Ob man es glaubt oder nicht, ich habe gesehen, dass er an solchen Abenden dickere Tränen vergoss als ein Krokodil. Worüber?, fragte ich ihn einmal.

»Über all die guten Seeleute, die tot sind«, hatte er weinerlich geantwortet. »Wegen nichts«, sagte er.

»Aber Ihr und ich, wir leben doch und sind noch rüstig«, hatte ich eingewandt, um ihn aufzumuntern.

»Und was habe ich davon?«, hatte er ins Blaue hinein geantwortet.

Das, glaube ich, war das einzige Mal, dass ich Flint nicht verstanden habe. Aber wer weiß, ob es ihm anders ging.

An diesem Abend sah ich, dass er sich vorläufig mit dem Rum zurückhielt. Ich wusste, worauf er wartete, hatte aber keine Eile. Erst musste gegessen werden. Das geschah bald nach Einbruch der Abenddämmerung. Job, Jonny und Dick schleppten zwei Ziegen herbei, die sie vor Sonnenuntergang im Sumpf geschossen hatten. Es gab einen ziemlichen Tumult, mit Hurrarufen und allem, was zu einer solchen Gelegenheit passt. Und das erschien mir vortrefflich, denn es würde dem, was ich im Sinn hatte, noch ein wenig zusätzliche Würze verleihen.

»Deval«, schrie Dick, »du alter Ziegenjäger, du machst den Grillmeister.«

Genau damit hatte ich gerechnet, ich hatte darauf gehofft. Nur weil er Franzose war, hielt man ihn noch immer für eine Art Bukanier aus der guten alten Zeit, und darum sollte er die Ziegen auf der Stange grillen, was die Franzosen barbe-au-cul nennen, während die Indianer barbacoa dazu sagen. Es war gar nicht so erstaunlich, dass die Franzosen sich verhört hatten, da man der Ziege den Schwanz abschnitt und eine angespitzte Stange hinten hinein- und geradewegs hindurchtrieb. Mit dem kleinen Schwanzstummel, der ihr achtern geblieben war, sah es wirklich so aus, als ob die Ziege einen Bart hätte, barbe-au-cul auf Französisch. Ja, so war das, aber heute hat man es vergessen, und ich glaube, kaum einer weiß, dass mein Name Barbecue Bart am Hintern bedeutet.

Deval zeigte sein schiefstes, höhnischstes Grinsen, wie nur er es zustande brachte. Übrigens hatte er nur dies eine. Dann zog er sein Messer und schnitt die Ziegenschwänze ab, wie es sich gehört. Dick gab ihm die angespitzten Stangen, und Deval durchbohrte die Tiere mit einem einzigen Stoß bis zum Bug. So hatte es seine Richtigkeit, und die Männer schrien vor Erregung, schließlich waren sie Feinschmecker. In der Zwischenzeit hatte Jonny auf jeder Seite des Feuers einen Dreifuß aufgebaut, und es dauerte nicht lange, da roch es nach gebratenem Ziegenfleisch. Ein paar Männer geiferten wie die Dorfköter. Was kaum erstaunlich war. Immerhin war es das erste frische Fleisch, das ihnen seit Wochen vor die Augen kam.

Ich wartete ab, bis alle etwas bekommen hatten und ihnen das Fett aus dem Mund tropfte. Ich stand schräg hinter Deval, mit geladener Pistole.

»Kameraden!«, schrie ich. »Darf ich um ein wenig Aufmerksamkeit für eine arme Seele bitten, die ein paar Worte sagen möchte.«

Ich glaube, alle sahen hoch, aber niemand hörte mit dem Schmatzen auf.

»Ihr esst gutes Fleisch«, fuhr ich fort, »ihr seid gesund, und Rum haben wir für ein ganzes Geschwader. Ihr habt einen tüchtigen Kapitän, der euch zu reichen Männern machen kann, wenn ihr wollt. Ich schlage ein Hoch auf Flint vor!«

Alle stimmten aus vollem Hals in die Hurrarufe ein. Ohne Flint waren sie keinen Pfifferling wert. Das wussten sie.

»Alles sei euch vergönnt«, begann ich wieder. »Ihr habt gestern eine gute Prise gemacht. Alle haben getan, was sie sollten.«

Ich schwieg einen Augenblick, und dann sagte ich: »Ihr könnt stolz sein. Alle.«

Und hier schwieg ich wieder, aber nur kurz.

»Alle außer einem.«

Im Augenwinkel sah ich, dass Flint die Hand auf den Säbel legte. Wahrscheinlich rechnete er damit, dass es Streit geben könnte, falls der, auf den ich aus war, das Vertrauen der Besatzung hatte. Aber einer Klapperschlange wie Deval hat noch kein Mensch je vertraut.

Dass noch andere kein reines Gewissen hatten, war deutlich, denn sie wurden unruhig und sahen weg.

»Gestern habe ich im Gefecht ein Bein verloren. Wenn man für eine gute Sache kämpft, passiert so etwas. Wahrscheinlich habe ich sogar Glück gehabt, denn ich lebe und stehe wenigstens noch mit einem Bein auf der Erde. Stellt euch vor, ich hätte beide verloren. Könnt ihr euch vorstellen, wie das ausgesehen hätte?«

Unverkennbar dachten alle nach, ein paar lachten unbändig, und ich muss zugeben, ein John Silver, der mit dem Rumpf im Sand stand, wäre für andere ein recht amüsanter Anblick gewesen. Denn genau das hatten die Männer vor Augen. Weiter reichte ihre Vorstellung nicht.

»Ich schlage ein Hoch auf den Feldscher vor«, schrie ich in den Lärm hinein, und wieder schrien alle aus Herzenslust Hurra.

Der Feldscher machte kein fröhliches Gesicht, das tat er nie, aber er wischte sich mit der Hand den Schweiß von seinem kahlen Schädel. Dachte er etwa, ich scherzte und würfe ihm vor, dass er mein Bein nicht gerettet hatte? Das konnte nicht schaden.

»Und darum soll der Feldscher einen neuen Ehrenauftrag erhalten. Er soll noch ein Bein absägen, mit demselben Schwung und der gleichen Bravour wie bei mir.«

Plötzlich leuchtete ihm die Angst aus den Augen. Bestimmt glaubte er, ich sei mit seiner ärztlichen Kunst nicht zufrieden und würde ihn jetzt zwingen, sein eigenes Bein abzusägen. Im selben Augenblick aber hatte ich meine Pistole gezogen und presste sie an Devals Schädel.

»Da sitzt er, unser verehrter Grillmeister, und lässt sich nichts anmerken«, sagte ich mit einer Stimme, die sogar die Schmatzer zum Schweigen brachte. »Wir Glücksritter sind freie Partner. Wir teilen die Beute und die Gefahren nach allen Regeln der Kunst. Wir haben in die Statuten geschrieben, was der Verlust eines Beines oder eines Armes oder eines Daumens im Kampf wert ist. Wir wählen unsere Kapitäne. Wir sind uns einig. Wenn welche eine andere Ansicht haben, können sie eine Beratung verlangen, so ist es Brauch und Sitte. Wenn jemand einen persönlichen Groll hegt, dann wird darüber an Land entschieden. Wir haben unsere Fehler und Mängel, aber an Bord ist an Bord. Hier Wasser – dort Land. Kameraden, ist das so?«

Von verschiedenen Seiten erklang zustimmendes Brummen. Es waren wilde und raue Gesellen, aber sie hatten ihre Regeln, damit sich keiner Freiheiten herausnahm oder mehr sein wollte als ein anderer.

»Nichtsdestoweniger«, fuhr ich mit der gleichen Stimme fort, »hat dieser Feigling hier, Deval heißt er, versucht, mich von hinten zu erschießen, als wir die Rose entern wollten. Was meint ihr dazu, Kameraden?«

Wieder wurde gemurmelt, aber nicht mehr. Dass um meinetwegen keiner in Zorn geraten oder Mitleid haben würde, wusste ich. Aber es wollte auch keiner einfach von hinten erschossen werden.

»Beweise!«

Flints Posaunenstimme durchstieß die Luft.

»Welche Beweise gibt es?«

Das war typisch Flint. Wenn etwas auf dem Spiel stand, hatte er seine Sinne beisammen. Hätte ich keine Beweise gehabt, dann hätten sie jetzt angefangen, durcheinanderzureden und zu zweifeln.

»Die Rose hat eine Breitseite mit Schrot abgefeuert«, sagte ich. »Ich habe aber noch nie gesehen, dass Schrot in der Luft kehrtmacht und auf demselben Weg zurückfliegt, den er gekommen ist. Nicht wahr, Herr Feldscher? Sagt ihnen, dass die Kugel von hinten ins Bein gegangen ist!«

Der Feldscher äußerte etwas kaum Hörbares. Er war vor Angst noch immer wie gelähmt.

»Das kannst du besser. Ist die Kugel von hinten gekommen, ja oder nein?«

»Ja«, haspelte der Feldscher. »Ja, so ist es zweifellos der Fall gewesen.«

»Was meint ihr? Sind das genug Beweise?«

Einige riefen »Ja« und schrien, ihretwegen könne Deval sterben. Den Appetit werde es ihnen nicht nehmen.

»Woher sollen wir wissen, dass Herr Silver nicht mit dem Rücken zur Rose gestanden hat?«

»Wer hat das gesagt?«, schrie ich wütend. »Hat irgendeiner hier je gesehen, dass John Silver dem Feind den Rücken zugekehrt hätte?«

Es wurde still. Alle wussten, dass das unmöglich war. Ich drehte mich zu Deval um.

»Was sagst du dazu?«, fragte ich höhnisch.

Der Hass leuchtete aus seinen Augen. In meinen wildesten Träumen habe ich mir nicht vorstellen können, dass jemand so leidenschaftlich hassen konnte. Nicht einmal, wenn es mir galt.

»Dass es verdammt schade ist, dass sie nur das Bein abgenommen haben!«, sagte Deval, ohne zu begreifen, wie närrisch er sich verhielt. Hätte er doch nur zu fragen brauchen, woher ich wusste, dass er und kein anderer geschossen hatte. Deval konnte ja nicht wissen, dass ich John niemals als Zeugen genannt hätte, denn das hätte für John früher oder später den Tod bedeutet, das ist sicher.

»Schade um dich, ja«, sagte ich zu Deval und lachte. »Aber nicht für uns andere. Feldscher, komm her!«

Widerstrebend kam er zu mir.

»Nun, bester Feldscher«, sagte ich zu ihm, »werdet Ihr der ganzen Besatzung der Walrus und Kapitän Flint zeigen, wie man ein Bein absägt. Nach allen Regeln der Kunst.«

»Nein, das nicht!«, schrie Deval leichenblass.

»Aber ja. Bein für Bein, das ist billig. Dick und George, kommt her und haltet diesen Abschaum fest, bis er ohnmächtig wird. Mut hat er ja doch nicht.«

Dick und George kamen angerannt. Ich zog die Knochensäge aus der Jacke, wo ich sie verborgen hielt, seit ich sie an Bord an mich genommen hatte, als der Feldscher im Schlaf lag.

»Bitte sehr, Doktor! Tretet den Beweis an. Das eine Mal kann ein Glückstreffer gewesen sein. Deval zuliebe wollen wir das aber nicht hoffen.«

»Bester Herr Silver, das kann ich nicht machen. Der Mann ist nicht verletzt. Ich bin Arzt, nicht Schlachter.«

Der Schweiß lief ihm herunter.

»Bester Doktor«, antwortete ich, »bin ich vielleicht nicht gesund gewesen, als Deval von hinten auf mich geschossen hat? Ich habe das Recht, einen solchen Hund nach allen Regeln der Kunst zu töten. Aber ich erschlage einen Menschen nicht ohne Not. Das nützt niemandem. Auch mir nicht. Welchen Nutzen hat man von einer Leiche? Außerdem bleibt Euch keine andere Wahl, Doktor.«

Deval schrie, als der Feldscher den Knebel enger zog. Aber ich glaube, er wurde ohnmächtig, ehe der Arzt überhaupt angefangen hatte.

»Ekelhaft«, hörte ich den Schwarzen Hund hinter mir sagen. »Er verdirbt uns den ganzen Spaß.«

Der Arzt schien sein Handwerk zu verabscheuen, das fiel mir auf. Vermutlich gab es in seinem trüben Gewissen trotz allem eine schwache Stelle. Eine Entdeckung, die mir eines Tages noch nützlich werden konnte.

Als Devals Bein abgesägt war, ergriff ich es und ging damit ans Feuer. Es war völlig still, abgesehen vom Schluchzen des Arztes. Ich nahm einen der Grillspieße und durchbohrte, wie es üblich war, Devals Bein mit einem einzigen Stoß von oben bis unten. Es waren Feinschmecker, doch jubelte diesmal niemand. Dann legte ich das Bein über das Feuer.

»So etwas nenne ich Barbecue!«, schrie ich.

Eine Zeit lang sprach keiner, dann aber hörte ich Pews krächzende Stimme, wen sonst, ihm war aufgegangen, was ich getan hatte. Sein Geruchssinn hatte bei seinem Unfall jedenfalls keinen Schaden genommen.

»Ein Hoch auf Silver!«, lärmte er. »Ein Hoch auf Barbecue!«

Einige stießen matte Hurrarufe aus. Besonders herzlich waren sie indessen nicht, sondern vor allem erschrocken und mutlos. Und war dies nicht meine Absicht gewesen? Was ging mich Deval an? Ich hätte ihm ebenso gut an Ort und Stelle eine Kugel verpassen können. Im Grunde hätte ich es vielleicht vorgezogen. Barmherziger wäre es gewesen für Deval. So aber konnte ich sicher sein, dass eine Zeit lang keiner gegen mich rebellieren würde, auch nicht hinter meinem Rücken. Man würde mich in Frieden lassen. Das war alles.

Ich sah hinüber zu Flint. Er saß steif da und starrte auf das verkohlende Bein. Dann sah er mich lange an und nickte stumm. Mit gebührendem Respekt.

Seit diesem Tag wurde ich Barbecue genannt. Und dabei dachten Trelawney, Livesey, Smollett und ihr Anhang, meine Kochkünste hätten mir diesen Namen eingebracht.

Schwerfällig setzte ich mich auf den Strand, und als ich schließlich einschlief, umwehte mich der Geruch von verbranntem Menschenfleisch und gerösteter Stiefelsohle.

Einer einzelnen Stiefelsohle.

3

Am Horizont geht die Sonne auf, und sie bringt das Wasser von Ranter Bay zum Funkeln und Glitzern wie alle Edelsteine Madagaskars auf einmal. Ebendies bezeichnet man als Schönheit. Doch welchen Nutzen habe ich davon? Ich beklage mich nicht, aber ich muss feststellen, viel kann ich mit diesem Leben nicht mehr anfangen.

1737 bin ich mit Dolores, mit meinem Papagei und mit Jack und den anderen freigekauften Sklaven des unbeugsamen Volkes der Sakalava hierhergekommen. Hierher, in die alte Freistatt Plantains, floh ich nach dem Debakel mit der Expedition zu Flints Schatz. Hier, auf der Großen Insel, in diesem ehemaligen Paradies der Glücksritter, werde ich als Letzter meiner Art untergehen. Hier will ich leben, bis es Zeit ist zum Abwracken. Ich habe begonnen, mein Logbuch zu schreiben. Ich habe viele Geschichten erzählt und habe manch einen an der Nase herumgeführt. So kam ich weiter in dieser Welt. Immer war ich für mich selbst verantwortlich. Wer von den anderen hätte das von sich behaupten können?

Mein Papagei Flint, meine Frau, deren Namen ich nicht einmal wusste. Ich nannte sie Dolores, irgendeinen Namen musste sie schließlich haben. Dolores und Flint sind fast gleichzeitig gestorben. Dolores zuerst, ohne einen Laut, ohne das kleinste Vorzeichen, ohne irgendeine Regung. Wie kühles Wasser oder Morgentau war sie plötzlich fort, als hätte sie niemals existiert. Und ich stand allein da, wie ein Narr.

Am Tag darauf starb Flint, der brachte es mit Bravour hinter sich. Ich weiß nicht, wie alt er war, das wusste keiner. Hundert Jahre vielleicht. Er ist mit allen großen Kapitänen gefahren, mit Morgan, L’Olonnais, den man den Blutigen nannte, übrigens mit vollem Recht, mit Roberts, England und La Bouche. Flint war der letzte Kapitän des Papageis gewesen, und er hat seinen Namen bekommen, denn dieser alberne Smollett auf der Hispaniola, der zählt nicht. Sein ganzes Leben lang hat der Papagei tagsüber, wenn es zu warm war, den Schnabel gehalten. An jenem Tag aber krächzte und schrie er vom Morgen bis zum Abend. Er sagte alle Sprüche und unflätigen Worte her, die er kannte, und das waren einige. Er sagte alle sonderbaren Münzsorten her, die es auf unserer Erde gibt, und das sind nicht wenige. Dann sah er mich an, legte den Kopf schräg, und seine Augen sahen so traurig aus, dass ich zu weinen begann, ich, Long John Silver, heulte wegen eines lumpigen Papageis. Mit letzter Kraft richtete da der Vogel seinen Kopf wieder auf und flüsterte, wenn ein Papagei denn flüstern kann:

»Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste. Hej, hoo und ’ne Buddel voll Rum!«

Dann war es vorbei. Hundert oder mehr Papageienjahre stiegen ins Grab, es war, als hätte sich nichts von all dem, was er erlebt hatte, jemals zugetragen. Und ich war allein, ich blieb zurück. Allein mit ein paar freigekauften Sklaven, einer Leibwache, die außer einem spacken Schiff voller Reichtümer kaum etwas zu verteidigen hatte. Schändlich, aber wahr. Ich, der das ganze Leben lang mir selbst genug gewesen war, ich wusste nicht mehr, wozu das gut sein sollte!

Ich zählte meine Münzen und wusste nicht, warum. Ich legte mich mit schwarzen Mädchen ins Bett, aber schon längst war mir der Saft für immer versiegt. Ich fantasierte von allem Möglichen, aber niemand hörte mir zu, nicht einmal ich selbst.

Dann, eines Tages, begann ich, meine Geschichte zu erzählen, so, wie sie mir einfiel, von meinem Bein und wie ich mit einem gewissen Recht zu meinem Namen gekommen war. Wer hätte gedacht, dass es dazu kommen würde? Die abenteuerliche und wahre Geschichte von Long John Silver, Barbecue genannt von seinen Freunden, falls er welche hatte, und von seinen Feinden, die zahlreich waren. Schluss mit Narretei und Hirngespinsten. Schluss mit Bluff und blauem Dunst. Zum ersten Mal offene Karten, nur die Wahrheit, von Anfang bis Ende, ohne Hintergedanken und Finten. Wie es wirklich war, mehr nicht. Dass es dazu kommen musste! Dass ich dergleichen nötig hatte, um bei Verstand zu bleiben!

4

Es ist gut möglich, dass ich 1685 geboren bin, und wenn es so ist, wie ich annehme, habe ich jetzt sechsundfünfzig Jahre gelebt. Geboren bin ich jedenfalls in Bristol, in einem Zimmer, von dem aus man das Meer sehen konnte, oder wenigstens jenen Zipfel des Atlantiks, den man Bristol-Kanal nannte und an dem mehr Schmugglernester lagen als an jeder anderen Bucht dieser Welt. Wer aber glaubt, diese Aussicht habe bewirkt, dass ich zur See gegangen bin, der hat sich verrechnet. Alle in Bristol gingen früher oder später zur See, auch wenn sie diese Absicht ursprünglich nicht gehabt hatten.

Es hieß, mit meinem Vater sei nicht gut Kirschen essen gewesen, und es ist sehr wahrscheinlich, dass das stimmt. Mit Sicherheit weiß ich nur, dass er, wenn er aus dem Krug kam, meist aussah, als habe man ihn an den Beinen, die Nase im Straßendreck wie ein Pflug, nach Hause geschleift. Links von rechts zu unterscheiden, fiel ihm genauso schwer, wie auf den Beinen zu stehen. Ich habe immer gedacht, dass das sein und mein Glück war. Sein Glück, weil er starb, und aus ebendiesem Grunde mein Glück.

Eines Tages ist er auf dem Heimweg vom Krug nach links statt nach rechts abgebogen und geradewegs in den Hafen gelaufen. Zwei Tage später hat man ihn gefunden, von der Flut auf eine Klippe gespült, dieses eine Mal mit der Nase nach oben, mit dem zumindest, was von seiner Nase übrig war. Zerschlagen war er im Gesicht und aufgedunsen wie eine Kröte. Ich sah ihn, als der Sarg zugenagelt wurde. Schön, dass er hingegangen ist – in der vollen Bedeutung des Wortes. Das habe ich damals gedacht, und ich denke es noch heute. Wenn auf dieser Welt etwas überflüssig ist, dann sind es Väter, Gottvater persönlich und all seine aufgeblasenen Gleichen. Sollen sie sich fortpflanzen und dann tot saufen. Aber das tun sie schließlich ohnehin. Dass mein Erzeuger Ire gewesen war, machte die Sache weder besser noch schlechter, und auch nicht, dass meine Mutter aus Schottland, von den Inseln, stammte. Wie sie nach Bristol geraten sind, weiß ich nicht, dass sie einander aber im Zusammenhang mit der Seefahrt gerammt und geentert haben, darüber kann es keinen Zweifel geben.

Meine Mutter war meine Mutter, damit ist eigentlich das Wichtigste gesagt. Sie tat ihr Bestes, und was war das Ergebnis? Long John Silver, Quartermeister auf der Walrus, ein vermögender, gefürchteter Mann, dessen Wort Gewicht hatte, wohin er auch kam, der gebildet war obendrein, der sich benehmen und lateinisch sprechen konnte, wenn die Not es erforderte. Musste sie nicht zufrieden sein? Hätte man nicht von vielen großen Männern, die in Bristol oder auf ihren Gütern saßen, das Gleiche sagen können?

Meine Mutter tat wirklich ihr Bestes, vielleicht sogar für mich, zumindest aber für sich. Soweit ich weiß, war sie eine Frau von vorteilhaftem Äußeren und mit einem scharfen Verstand. Damit kam sie weit oder allzu weit, ganz, wie man es sehen möchte, jedenfalls aber so weit, dass es ihr gelang, in zweiter Ehe einen wohlhabenden Kaufmann zu heiraten. Er hasste mich, war jedoch Schotte, und deshalb musste ich zur Schule gehen, um wenigstens Latein und die Bibel zu lernen. Davon hätte man immer einen Nutzen, bekam ich zu hören. Seltsamerweise hatte er recht. Bei den Glücksrittern konnte ich häufig einen Vorteil aus meinem Ruf eines gebildeten Mannes ziehen. Man sagte mir nach, in jungen Jahren hätte ich eine gute Ausbildung erhalten und könne reden wie ein Buch. Der bloße Ruf hätte indessen genügt. Dass ich wirklich Latein konnte, war an sich recht gleichgültig. Denn mit wem hätte ich mich unterhalten sollen?

Wie es heutzutage ist, weiß ich nicht, in meiner Jugend aber mussten nur in Schottland alle zur Schule gehen. Darum gab es auch so viele schottische Schiffsärzte in der ausgelassenen Schar der Glücksritter. Was ein Glück für uns war, könnte man sagen, denn so mussten wir uns nicht mit versoffenen Pfuschern abfinden, die bei der Flotte ihren Abschied erhalten hatten. In Glasgow gab es so viele arbeitslose Ärzte, dass sie freiwillig gegen normalen Lohn bei uns anheuerten, zumindest bis sie entdeckten, dass kein Vertrag dieser Welt sie vor dem Galgen bewahren konnte, wenn es einmal so weit war. Später segelten auch sie auf Gewinn, und der einzige Unterschied bestand darin, dass sie sich guten Gewissens mit Blut beschmutzten, während die meisten von uns überhaupt kein Gewissen hatten.

Dass ich aber nicht Feldscher werden wollte, wusste ich schon, bevor ich in die Schule kam. Denn trotz allem war Blut niemals mein Leibgericht. Worunter hätte ich also wählen sollen: Pfarrer und Advokat. Beides lag mir. Das waren Berufe, die einem reichlich Gelegenheit gaben, zu lügen und die Leute hinters Licht zu führen, worin im Großen und Ganzen ihr Sinn bestand. Allmählich ging mir aber auf, dass hier immer aufs Neue die alte Leier verlangt wurde. Man musste sagen, was bereits ausgesprochen, niedergeschrieben und festgesetzt war, nicht eine Silbe mehr oder weniger.

Das behagte mir wenig, denn solange ich denken kann, habe ich mir Sachen ausgedacht, habe aufgeschnitten und dazuerfunden. Mein Kopf war voller Geheimtüren, und auf verbotenem Grund stand das Gras immer grüner. Meine Mutter bezeichnete mich als fantasiebegabt, mein Stiefvater hieß mich einen Lügenhals, vor allem, als ich in der Stadt verbreitete, er sei Souteneur, obwohl ich nicht wusste, was das war, abgesehen davon, dass es sich um etwas Schlimmes handelte.

So blieb es. Ich scherte mich nie darum, wer in der Welt der Worte das Wegerecht hatte und wer in Luv liegen musste. Darum drehte ich an den Gesetzen der Landratten und ließ mir neue einfallen. Ich brachte die Bibel so durcheinander, dass man nicht mehr wusste, wo hinten und vorn und oben und unten war.

Im Juristischen hatte ich Erfolg und wurde gefeiert. Niemand hatte die Gesetze ganz gelesen, und die Gesetze, die ich in meiner Kammer erfand, waren so gut wie andere. Schlimmer verhielt es sich mit Gott, in dessen Namen ich en gros und en detail Ohrfeigen und Stockschläge bezog.

Als ich es leid war, sein Wort bis zum Überdruss herunterzuleiern, packte und staute ich um, sodass die Leichen aus der Ladung auf der Brücke standen und umgekehrt. Ich ließ Judas den Kurs bestimmen und schickte Jesus vor den Mast, wohin er nach eigener Aussage gehörte. Ich vertauschte Adam und machte alle Frauenzimmer zu Kerlen und umgekehrt. Ich sperrte den Heiligen Geist in eine Flasche und korkte sie zu, und hei, da gab es keinen mehr, der einem sagte, wer Papst sein werde: Ich ließ Mose auf dem Berg stolpern, sodass die steinernen Tafeln in tausend Stücke zersprangen, und hei und hoo, die Zehn Gebote und das Gewissen blieben uns erspart. Und so weiter, ein einziges, endloses Durcheinander.

Bis zu jenem Tag, als ich im Speisesaal beim Abendgebet aufstand, um aus der Bibel vorzulesen, wie es an Sonntagen üblich war. Ich öffnete die Heilige Schrift und las die Zehn Gebote, wie es mir in den Sinn kam. Gegen das Erste konnte ich natürlich nicht sehr viel tun, so, wie es war, war es mir immer gut vorgekommen, mit einer kleinen Korrektur, der Sicherheit halber: »Ich soll keine anderen Götter haben neben mir.«

An das, was ich mit den anderen machte, erinnere ich mich nicht mehr, nur daran, dass es im gleichen Geiste geschah, wenn auch nicht dem heiligen. Aber ich nehme an, dass das achte, das letzte, das ich vorlas, so lautete, wie ich lebte: »Du sollst immer falsch Zeugnis reden.«

Weiter kam ich nicht. Als ich für einen Augenblick von der Bibel aufsah, aus der ich vorzulesen geglaubt hatte, war mir nicht klar, was ich getan hatte. Aber selten habe ich eine solche Stille erlebt, und ich bildete mir ein, ich hätte sie zum Schweigen gebracht. Ich hatte triumphiert. So glaubte ich.

Da aber erhob sich langsam der Rektor und kam auf mich zu. Ich höre noch den Widerhall seiner Schritte auf dem Steinbelag. Schweigend riss er mir Gottes Wort aus den Händen und sah lange auf die aufgeschlagene Seite. Als er sich sattgesehen hatte, wandte er sich zu mir.

»Kannst du nicht lesen, John Silver?«, fragte er mit drohender Stimme.

»Doch«, antwortete ich froh.

Ich weiß nicht, ob ihn meine vergnügte, kecke Antwort um seine Fassung brachte, doch im nächsten Augenblick war er rot wie ein Hahnenkamm und kreischte wie ein angestochenes Ferkel: »Master Silver irrt sich, wenn er glaubt, er könne tun, was ihm beliebt. Und wenn Master Silver sich einbildet, er könne ungestraft die Leute foppen und Gott lästern, irrt er sich wieder. Hinweg mit dir! Und wenn du mir noch jemals unter die Augen kommst, werde ich dir das Maul zunähen, so wahr ich Nutsford heiße!«

Ich war vor Schreck wie gelähmt, und nicht nur wegen der Vorstellung, dass ich meinen Mund nicht mehr sollte öffnen können. Ich hatte noch nie erlebt, dass Nutsford die Fassung verlor. Stets war er ein kultivierter, leiser Mann gewesen, insbesondere, wenn er das Vergnügen hatte, uns mit dem Rohrstock gelb und grün zu bläuen. So gelähmt war ich, dass Nutsford mich mit schweren, harten Fußtritten aus dem Speisesaal jagen musste, die mich achtern mit einer Präzision trafen, wie man sie nur durch langes, ausdauerndes Praktizieren erreicht.