LongCovid - Jördis Frommhold - E-Book

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Jördis Frommhold

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Beschreibung

LongCovid entwickelt sich zu einer Geißel für Millionen Coronapatienten. Es ist eine schwere Krankheit, die aus einer scheinbar harmlos verlaufenden Infektion entsteht. Ihre Opfer - zuvor gesund, sportlich und leistungsstark - lässt sie zurück mit Schmerzen, Atemnot, Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisproblemen und vielen anderen langanhaltenden Symptomen. Genesen heißt nicht gesund! Jedenfalls nicht, wenn es um LongCovid geht. Im Schatten der COVID-19-Pandemie ist eine neue Volkskrankheit entstanden. Nicht nur Ältere und Menschen mit Vorerkrankung, sondern vielfach zuvor gesunde Leistungsträger aus allen Gruppen und Schichten unserer Gesellschaft sind betroffen und schwer krank. Sie alle sehen einem ungewissen gesundheitlichen Schicksal entgegen. Noch reagiert die Öffentlichkeit meist mit Unverständnis für ihre Leiden. Aber wenn nicht massiv in Pflege und Therapie dieser Menschen und in die Erforschung ihrer rätselhaften Krankheit investiert wird, gehen nicht nur die Patienten, sondern auch Gesamtgesellschaft und Wirtschaft schwersten Belastungen entgegen. Dr. med. Jördis Frommhold bietet einen kompetenten, klaren und verständlichen Überblick über den heutigen Wissensstand über COVID-19, Akutverläufe, Post-COVID, LongCovid und über Therapieansätze. Sie beschreibt Schicksale von Patienten und Angehörigen und ihre Bemühungen, gemeinsam mit Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern den Betroffenen zu helfen. Sie stemmen sich gegen hartnäckige Symptome wie krankhafte Erschöpfungszustände (Fatigue), Belastungsstörungen, Lärm- und Lichtempfindlichkeit, Schmerzen, Schlafstörungen, Kreislaufprobleme und viele andere mehr und versuchen, den Patienten wieder ein möglichst normales Leben zu ermöglichen.

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Seitenzahl: 220

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Dr. med. Jördis Frommhold

LongCovid

Die neue Volkskrankheit

Wie man sie erkennt, warum sie so viele betrifft und was wirklich hilft

C.H.Beck

Zum Buch

Genesen heißt nicht gesund! Jedenfalls nicht, wenn es um LongCovid geht. Im Schatten der COVID-19-Pandemie ist eine neue Volkskrankheit entstanden. Nicht nur Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen, sondern vielfach zuvor gesunde Leistungsträger aus allen Gruppen und Schichten unserer Gesellschaft sind betroffen und schwer krank. Sie alle sehen einem ungewissen gesundheitlichen Schicksal entgegen. Noch reagiert die Öffentlichkeit meist mit Unverständnis für ihre Leiden. Aber wenn nicht massiv in Pflege und Therapie dieser Menschen und in die Erforschung ihrer rätselhaften Krankheit investiert wird, gehen nicht nur die Patienten, sondern auch Gesamtgesellschaft und Wirtschaft schwersten Belastungen entgegen.

Dr. med. Jördis Frommhold bietet einen kompetenten, klaren und verständlichen Überblick über den heutigen Wissensstand über COVID-19, Akutverläufe, Post-COVID, LongCovid und über Therapieansätze. Sie beschreibt Schicksale von Patienten und Angehörigen und ihre Bemühungen, gemeinsam mit Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern den Betroffenen zu helfen. Sie stemmen sich gegen hartnäckige Symptome wie krankhafte Erschöpfungszustände (Fatigue), Belastungsstörungen, Lärm- und Lichtempfindlichkeit, Schmerzen, Schlafstörungen, Kreislaufprobleme und viele andere mehr und versuchen, den Patienten wieder ein möglichst normales Leben zu ermöglichen.

Über die Autorin

Dr. med. Jördis Frommhold ist «Frau des Jahres 2021» in Mecklenburg-Vorpommern. Die Pulmologin und Chefärztin der MEDIAN Klinik in Heiligendamm wurde durch ihre Expertise auf dem Gebiet der LongCovid-Erkrankungen deutschlandweit bekannt und ist wegen ihrer Kompetenz in Funk und Fernsehen, aber auch in den sozialen Medien eine geschätzte Gesprächspartnerin.

Inhalt

Statt einer Einleitung

Patientenschicksale und Erfahrungen, die man nie vergisst

Jung, dynamisch, leistungsstark – LongCovid macht vor keinem Halt

Wie die Pandemie unsere Realität verändert hat

Epidemiologische Einordnung

Grundbegriffe richtig verstehen

Volkskrankheit SARS-CoV-2

Genesen ist nicht gesund

Der typische Akutverlauf einer COVID-19-Infektion

Was heißt hier «Genesen»?

Möglichkeiten der Klassifizierung

Echte Genesene der Gruppe 1

Spätgenesene der Gruppe 2

Kranke Genesene der Gruppe 3

Post-COVID – Folge einer lebensbedrohlichen COVID-19-Akutinfektion

Symptome und Belastungen

Therapieoptionen während der Rehabilitation

Erstes Ziel – Wieder Selbständigkeit erreichen!

Der Schlüssel zum Schloss – Wieder richtig atmen lernen!

Praktische Übungen – Atemtherapie

Zurück ins alte Leben – wie fit werden für den Alltag?

Pionierarbeit – Lernen von Patienten

Erste Erfahrungen mit Post-COVID

COVID-19 im Alter

Angst um den Partner

Medizinisches Personal wird selbst zu Patienten

Kann Post-COVID zu LongCovid werden?

Eine Randbemerkung zum Impfen

LongCovid – Unberechenbare Spätfolge einer moderaten COVID-19-Akutinfektion

Symptome, mögliche Ursachen und Diagnostik

Ein Blick in die Medizingeschichte – ME/CFS chronische Erschöpfungssyndrome und Analogien zu LongCovid

Diffuse LongCovid-Symptome

Therapieoptionen im Rahmen der Rehabilitation

LongCovid-Fatigue und die goldene Regel: Selbstdisziplin, Strukturierung, Abgrenzung

Das Chamäleon – Hilfe bei vielfältigen LongCovid-Symptomen

Psychotherapie und Selbsthilfegruppen nach dem Klinikaufenthalt

Wiedereingliederung in den Beruf

Experimentelle Therapieansätze

Nadel im Heuhaufen – gibt es medikamentöse Therapien?

Sauerstoff und Überdruck – die hyperbare Sauerstofftherapie

Blutwäsche bei LongCovid – die Plasmapherese

Möglichkeiten der Alternativ- und Komplementärmedizin

Impfung und LongCovid

LongCovid – auch eine Kinderkrankheit

Versorgungsstrukturen und ihre Grenzen

Aufklärung mit Hilfe der Medien – LongCovid akzeptieren!

Möglichkeiten der Versorgung

Wege aus der Krise – die Pandemie als Lehrmeister

Perspektiven

Schlusswort

Register

Meinen Liebsten, die mich immer unterstützen

Statt einer Einleitung

Patientenschicksale und Erfahrungen, die man nie vergisst

Dieses Buch hätte nicht entstehen können, wenn mir nicht meine Patienten so viel Vertrauen und Geduld entgegengebracht hätten – wenn sie mir nicht so viel Gelegenheit gegeben hätten zu lernen. Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, dass ihre Therapien immer wieder angepasst werden mussten. Wenn es darum ging, gemeinsam mit ihnen die bestmöglichen Behandlungsoptionen herauszufinden, kamen beispielsweise auch experimentelle Therapieformen zum Einsatz. Aber wenn jemand schwer krank ist, so gehört einiges dazu, sich gemeinsam mit dem behandelnden Arzt darauf einzulassen, zumal ich ja keinen Therapieerfolg garantieren kann. Ich möchte meinen Patientinnen und Patienten mit diesem Buch etwas von dem zurückgeben, was sie mir durch ihre Größe als meinen Beitrag zur Behandlung von LongCovid erst ermöglicht haben. Und so stehen die folgenden Seiten gewissermaßen unter den Leitmotiven Dankbarkeit, Akzeptanz, Respekt und Demut.

In Fachkreisen reißt die Diskussion darüber nicht ab, ob die Beschwerden der von LongCovid Betroffenen tatsächlich auf eine vorausgegangene SARS-CoV-2-Infektion zurückzuführen oder die Ursachen an anderer Stelle zu suchen seien. Dieser Diskurs mutet angesichts der Tatsache, dass wir es nun einmal mit Hunderttausenden, im schlimmsten Fall Millionen von kranken, arbeits- und möglicherweise erwerbsunfähigen (und vergleichsweise jungen) Menschen zu tun haben, ein wenig akademisch an, da wir uns ja auf jeden Fall bestmöglich um sie kümmern müssen. Und das gilt eben auch, wenn wir gegenwärtig noch keine Studien vorliegen haben, die schlussendlich den Kausalzusammenhang zwischen einer Coronainfektion und LongCovid belegen. Wir alle, die wir in Heil- und Pflegeberufen mit diesem wachsenden Ausmaß an Leid und Not im Gefolge einer Coronainfektion konfrontiert sind, können nicht die Hände in den Schoß legen und warten, bis die genauen Kausalzusammenhänge dessen, was wir tagtäglich sehen und erleben, in Forschungseinrichtungen final aufgedröselt sind. Wir müssen jetzt handeln, weil die Patienten mit ihren Symptomen und Beschwerden ernst genommen und akzeptiert werden müssen, um sie behandeln und im besten Falle wieder in ihr ursprüngliches Leben eingliedern zu können. Wenn wir mit unseren LongCovid-Patienten daran arbeiten, dass sie ihre Krankheit akzeptieren und angemessen mit ihr umzugehen lernen, so wird dies nur gelingen können, wenn die Betroffenen erkennen, dass ihnen selbst mit all ihren Beschwerden auch von Seiten der Ärzte, der Kostenträger und – allgemein gesprochen – der Gesellschaft Akzeptanz entgegengebracht wird. Das ist ein dialektischer Prozess, und nur wenn er von allen Beteiligten seriös vorangebracht wird, wird es auch möglich sein, kontinuierlich und nachhaltig Patienten zu helfen und Strategien zu entwickeln, die letztendlich uns alle weiterbringen. Misstrauen heilt nicht und wird am Ende die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Pandemie nur erhöhen.

Von den Medien wurde ich häufig gefragt, ob ich denn selbst Angst vor COVID-19 hätte. Als Ärztin weiß ich, dass Angst unseren Körper in einen Alarmzustand versetzt, während dessen das Hormon Adrenalin in großen Mengen ausgeschüttet und der Organismus auf Flucht oder Kampf programmiert wird. Zugleich kann Angst lähmend wirken – auch das ist keine hilfreiche Option in unserer Situation, dies ist mir bereits aus meiner Zeit als Notärztin bewusst. Also kann die Antwort auf diese Frage nur lauten: Angst ist nie ein guter Begleiter, wenn wir konzentriert agieren und eine Situation in ihrer ganzen Komplexität erfassen müssen. Angst trübt den erforderlichen klaren Blick und wird zu unüberlegten Handlungen führen, die nur kontraproduktiv sein können. Der Begriff «Respekt vor der Erkrankung» trifft daher viel besser, was nötig ist. Respekt bedeutet in diesem Fall, dass ich die Pandemie und SARS-CoV-2 sehr ernst nehme und es unabdingbar ist, sich mit diesem Thema zum Wohle aller umfassend auseinanderzusetzen.

Wenn ich also auch keine Angst vor dem Virus habe, so empfinde ich – nächst dem Respekt – sehr wohl etwas, das ich als «Demut» bezeichnen möchte. Diese vielleicht altmodisch anmutende Geisteshaltung, dass es Dinge gibt, die unserem selbstgefälligen Zeitgeist der Allverfügbarkeit entzogen sind, scheint mir im Angesicht einer solchen Bedrohung, mit der wir uns konfrontiert sehen, nur angemessen. Philosophie und Religion haben uns seit der Antike Demut gelehrt; sie hat es verdient, dass wir ihr in jeder Beziehung wieder mehr Beachtung entgegenbringen. Ich finde es bemerkenswert, dass sich selbst Forscher aus dem Management-Bereich wie Bradley Owens und Amy Ou mit der «Demut» befassen: Demnach erkennt der Demütige eigene Stärken und Schwächen, zeigt Anerkennung für die Arbeit anderer, ist immer lernbereit und offen und akzeptiert, dass wir alle nur ein kleiner Teil eines größeren Ganzen sind. So empfinde ich mit Blick auf die Pandemie Demut angesichts meiner eigenen wissenschaftlichen und ärztlich-therapeutischen Grenzen, und ich akzeptiere, dass mir nur die Möglichkeit des Lernens gemeinsam mit meinen Patienten bleibt – möglichst eingebettet in wissenschaftliche Studien, damit auf lange Sicht alle von dem Wissenszuwachs im Kampf gegen LongCovid profitieren können. Aber gerade weil sie mir Vertrauen entgegenbringen, versuche ich, ihnen dies mit größtmöglicher Verantwortung in meinem Handeln zu vergelten. Alles andere wäre das Gegenteil von Respekt und Demut – wäre Hybris, und damit eine Geisteshaltung, die vor dem Hintergrund von Corona so wenig hilfreich wäre wie die Angst.

Hinter mir liegen Erfahrungen mit von LongCovid Betroffenen, die mich in besonderer Weise geprägt, zum Nachdenken angeregt, aber auch erschüttert haben. Über einige dieser Schicksale, aus denen ich zum Wohl anderer Patienten lernen konnte, möchte ich im Folgenden berichten. Auch wenn ich natürlich anonymisiert von ihnen erzählen muss, so möchte ich doch erreichen, dass auf diese Weise ihre Geschichte und die Geschichte ihres Leidens nicht vergessen werden. Zugleich hoffe ich, dass – so wie ich selbst – auch meine Leserinnen und Leser durch diese Beispiele lernen und ein möglichst differenziertes Bild davon bekommen, was LongCovid für die Betroffenen heißt und mit welchen Hindernissen, Entbehrungen und Problemen sie tagtäglich konfrontiert sind. Vielleicht gelingt es auf diese Weise, dazu beizutragen, dass ihnen künftig mehr Akzeptanz und Respekt entgegengebracht wird und der Pandemiesituation gegenüber insgesamt mehr Demut.

Jung, dynamisch, leistungsstark – LongCovid macht vor keinem Halt

Ich erinnere mich an alte Herrschaften, aber auch an viele junge, äußerlich unversehrte Patienten und Patientinnen, die zum Aufnahmegespräch zu mir kamen und als Erstes in Tränen ausbrachen. Anfangs waren diese Gefühlsausbrüche für mich etwas verwirrend – ich hatte doch noch gar nicht mit dem Gespräch begonnen. Hatte ich etwas falsch gemacht, oder woher kamen diese heftigen emotionalen Reaktionen? Im Gespräch mit den Patienten wurde mir klar, dass von ihnen in diesem Moment eine Last abfiel. Sie konnten – manche seit Monaten – sich erstmals so zeigen, wie sie sich fühlten, ohne Sprüche zu hören wie: «Du siehst doch gesund aus!» oder «Stell dich doch nicht immer so an.» So weinten sie Tränen der Erleichterung.

Unter ihnen waren Leistungssportler, Soldaten, aber auch Betroffene aus Heil- und Pflegeberufen, Menschen in leitenden Tätigkeiten. Ihnen allen war und ist gemeinsam, dass sie aus anspruchsvollen Lebenssituationen kommen, in denen Selbstdisziplin und Arbeiten weit über ihre eigentlichen Belastungsgrenzen hinaus nicht nur zum guten Ton gehören, sondern geradezu verpflichtend zu sein scheinen. Der heilsame Therapieansatz der Abgrenzung ist für diese Patienten extrem schwer zu erlernen.

Ich erinnere mich an eine meiner ersten LongCovid-Patientinnen – eine 48-jährige, sehr sportliche und engagierte Intensivkrankenschwester. Ihr Beruf war ihr Leben. Sie fühlte sich wohl und übernahm bereitwillig Schichten von Kollegen, wenn diese sich überfordert fühlten. Als die Patientin zu mir kam, gönnte sie sich selbst kaum Zeit zum Innehalten und Reflektieren. Sie setzte die größten Hoffnungen in unsere Therapie und gab mir sofort zu verstehen, dass sie erwartete, geheilt die Klinik zu verlassen, um dann am Tag danach wieder mit der Arbeit beginnen zu können. Bereits bei der Aufnahme versuchte ich, ihren Aktionismus etwas zu bremsen, was aber zu ausgeprägtem Widerstand ihrerseits führte. In der nächsten Zeit sah ich die Patientin nahezu täglich (was in der Reha eigentlich nicht üblich ist, normalerweise gibt es pro Woche eine Visite), da sie abwechselnd über Panikattacken und völlige Erschöpfung mit Verschlechterung zahlreicher Symptome klagte. Dies sind die klassischen Symptome einer LongCovid-Fatigue, die ich ihr immer wieder erklärte und dabei auch Therapiemöglichkeiten wie das Pacing erläuterte. Die ersten Tage hörte ich von ihr am Ende der durchaus umfangreichen Gespräche nahezu immer die gleichen Worte: «Vielen Dank für Ihre Zeit und Information, aber ich habe nur noch wenige Tage bei Ihnen, ich will dann wieder arbeiten. Sehen Sie zu, dass ich das schaffe.» Nach einigen Tagen, in denen offensichtlich keine Krankheitseinsicht bei der Patientin zu erreichen war, machte ich mir Sorgen, wie es weitergehen würde. Es war offensichtlich, dass sie sich selbst massiv unter Druck setzte, was einem erfolgreichen Therapieverlauf diametral entgegenstand. In einem weiteren Gespräch empfahl ich ihr nochmals eingehend, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, was sie bis dato abgelehnt hatte, da sie niemandem zur Last fallen wollte. Ich erzählte ihr, dass es die Möglichkeit des Austauschs mit anderen LongCovid-Betroffenen in unserer Klinik gebe, aber dass auch Selbsthilfegruppen sehr förderlich sein könnten. Dann hörte ich einige Tage nichts von ihr, bis sie mir in der nächsten Visite auf einmal berichtete, dass sie auf die Idee gekommen sei, vielleicht nicht mehr im Schichtdienst zu arbeiten, sondern sich einen anderen Einsatzort zu wählen. Sie hatte auch schon konkrete Vorstellungen dazu entwickelt. Es war ihr offenbar, nachdem sie endlich doch mit anderen LongCovid-Betroffenen gesprochen hatte, aufgegangen, dass die Krankheit ihr vielleicht sogar eine Chance eröffnete, etwas in ihrem bisherigen Leben grundsätzlich zu verändern und zu verbessern. Sie können sich meine Erleichterung vorstellen!

Etwas Vergleichbares habe ich bei einer chefärztlichen Kollegin erlebt, die ebenfalls bereits vor ihrer COVID-19-Infektion beruflich sehr unter Druck stand. Als sie sich nicht erholte und LongCovid-Symptome entwickelte, wurde sie derart von ihren chefärztlichen Kollegen, aber auch von der Geschäftsführung bedrängt, ja geradezu gemobbt, dass sie sich Hunderte von Kilometern entfernt eine neue Stellung suchte und dafür sogar eine komplette Umsiedlung ihrer Familie in Kauf nahm. Rückblickend berichtete sie mir, dass diese Entscheidung längst überfällig gewesen sei. LongCovid hatte sie gleichsam gezwungen, aus einer Situation auszusteigen, deren Unerträglichkeit sie sich zuvor nur nicht getraut hatte, sich selbst einzugestehen. Nach ihrer Entscheidung ließ sie sich in einer Region Deutschlands nieder, die sie immer besonders gemocht hatte; aber unter dem Alltagsdruck war es ihr nicht möglich gewesen, sich einmal ernsthaft damit auseinanderzusetzen, ihren Traum zu verwirklichen.

Eine noch so belastende Situation zum Positiven zu verändern, behandelt auch eines meiner Lieblingsgedichte – «Stufen» von Hermann Hesse –, in dem es um die ständig wechselnden Anforderungen des Lebens und die notwendige Flexibilität des Menschen geht. Ein paar Verse daraus möchte ich gern so manchen meiner LongCovid-Patienten mitgeben, in der Hoffnung, dass sie ihnen das Leben mit der Krankheit ein wenig erleichtern mögen:

Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe

bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

in andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Selbstverständlich ist es gerade für die LongCovid-Patienten nicht einfach, ihrer Situation auch etwas Positives abzugewinnen, aber die Sichtweise von Hermann Hesse ist nicht nur tröstlich, sondern auch lebensklug.

Als Achillesferse bei vielen von LongCovid Betroffenen erweisen sich kognitive Einschränkungen. Wenn eine fünfunddreißig Jahre alte Patientin mit gesenktem Kopf vor mir sitzt und mit von Scham gedrückter Stimme berichtet, sie könne ihrem Sohn, der die zweite Klasse besucht, zwar eine Aufgabe vorlesen, ihm aber nicht bei der Lösung helfen, weil sie selber den Inhalt der Aufgabe seit der COVID-19-Infektion nicht mehr versteht, dann muss ich selbst schlucken. Auch mit nur einem Funken Mitgefühl kann man erahnen, wie sich dieser Mensch fühlen wird. Das Problem, Texte lesen zu können, den Inhalt aber nicht mehr zu verstehen, spielt bei vielen LongCovid-Patienten eine Rolle, auch wenn es den meisten in ihrer Verzweiflung äußerst schwerfällt, darüber zu sprechen.

Und dann war da diese Studentin, dreiundzwanzig Jahre alt, die im Mai 2020 an Corona erkrankt war. Bis zu diesem Ereignis war sie immer ehrgeizig und äußerst motiviert gewesen. Ihr Studium hatte ihr Freude bereitet, und sie war gut vorangekommen. Nach der Infektion schien sie erst einmal nahtlos daran anschließen zu können. Aber nach etwa vier Wochen stellten sich – wie wir im Rückblick feststellen mussten – ausgeprägte LongCovid-Symptome ein. Die Patientin selbst hatte im Juni 2020 bemerkt, dass sich etwas verändert hatte; sie hatte so ausgeprägte Konzentrationsstörungen, dass an Studieren nicht zu denken war. Ständig vergaß sie Dinge, konnte sich nichts merken – ein für sie (wie wohl für jedermann) beängstigender Zustand. In ihrer Not wandte sie sich an ihren Hausarzt, der sich aber keinen Rat wusste und meinte, sie solle Geduld haben. Eine weiterführende Diagnostik in dieser Situation unterblieb; ambulante Therapieangebote erhielt die Patientin nicht. Sie gab jedoch nicht auf und kämpfte, unterstützt auch von ihrem Anwalt, um eine Rehabilitationsmaßnahme. Zwölf elend lange Monate brachte sie damit zu, Hürden zu überwinden, blieb aber ohne jede Therapieoption, bis sie endlich im Juni 2021 – ein Jahr nach diesem persönlichen Einbruch – zu uns kam! Kurz zuvor hatte sie noch einen der begehrten Plätze in einer COVID-Spezialambulanz ergattert, die im Frühjahr 2021 überall errichtet wurden. Dort aber hatte man noch nicht allzu viele Erfahrungen mit LongCovid-Patienten gesammelt. So erhielt meine Patientin zwar endlich nach Monaten eine weiterführende Diagnostik – bei der jedoch wie so häufig bei LongCovid-Patienten – nichts Einschlägiges gefunden wurde. Also bekam sie kurzerhand den Bescheid, dass sie den Untersuchungsergebnissen zufolge gesund sei – was natürlich nicht ihrer klinischen Situation entsprach. Das Martyrium der jungen Frau in einem Dschungel der Ratlosigkeit, noch fehlender Sachkunde und der Bürokratie machte mich sprachlos.

Es gehört wenig Fantasie dazu, wie das alles auf die Patientin gewirkt hat. Sie berichtete mir, dass sie sich vor den Kopf gestoßen fühlte, voller Zweifel und Angst war und sich nicht mehr vorstellen konnte, wie ihr noch junges Leben unter diesen Umständen weitergehen sollte. Wir erstellten gemeinsam einen Therapieplan, und sie profitierte von vielen Anwendungen sehr gut. Dann arbeiteten wir an der Zukunftsplanung und entwickelten auf sie zugeschnittene Strategien für den Umgang mit LongCovid. Bei der Entlassung war die Patientin zwar noch nicht wieder in der Lage, ihr Studium fortzusetzen, aber sie hatte sich mehrere andere Projekte vorgenommen, mit denen sie ihren neuen Weg – ihren Weg mit LongCovid – aufnehmen wollte.

In dieser Phase des Übergangs kommt der ambulanten Weiterbetreuung nach der eigentlichen stationären Rehabilitation große Bedeutung zu. In unserer Einrichtung formulieren wir daher für die weiterbehandelnden ärztlichen Kollegen immer konkrete Empfehlungen für die Nachsorge. Doch leider gehört es auch zu meinen Erfahrungen, dass mitunter nicht eine dieser Empfehlungen umgesetzt wird. So auch in dem beschriebenen Fall: Meine Patientin rief mich nach sechs Monaten erneut an und berichtete verzweifelt, wie es für sie nach der Reha in unserem Hause weitergegangen war. Um es kurz zu machen: gar nicht! Die Empfehlungen waren nicht umgesetzt worden, eine weitere Nachsorge ausgeblieben; die zuvor erreichten Fortschritte froren nicht nur gleichsam ein, sondern, schlimmer noch, der positive Effekt der Rehabilitation begann mit der Zeit zu schwinden. Dies ist ein altbekanntes Problem auch nach Rehabilitationen bei anderen Erkrankungen. In der Nachsorge gibt es noch erhebliches Entwicklungspotential, so dass ich auf dieses Thema am Ende des Buches noch einmal gesondert eingehen werde.

Als letztes Beispiel aber in dieser kleinen Fallsammlung möchte ich von einer Frau berichten, die als LongCovid-Patientin mitunter nicht einmal mehr in der Lage war, einen zusammenhängenden Satz zu formulieren. Ihr Schicksal war erschreckend und hat mich tief berührt: Immer wenn sie in eine belastende oder emotional angespannte Situation kam, passierte es ihr, dass sie die Wörter für den eigentlich zu formulierenden Satz durcheinanderbrachte oder sie ihr einfach nicht mehr einfielen. So war es ihr oft unmöglich, sich auszudrücken. Es war schwierig, mit ihr zu arbeiten, da ich sie mitunter einfach nicht verstanden habe – und es war auch sehr traurig, da sich bei ihr leider keine wirkliche Besserung einstellte. Erschrocken aber waren wir beide, als ich sie einmal bat, da sie gerade wieder von einer ausgeprägten Attacke von Wortfindungsstörungen heimgesucht wurde, ihre Gedanken aufzuschreiben, um mir ihr Anliegen verständlich zu machen. Sie versuchte es und schob mir dann nach kurzem Innehalten mit glasigen Augen den Zettel herüber. Es waren schiere Hieroglyphen – keine Buchstaben, sondern unleserliche Zeichen. Sie konnte also die Wörter nicht nur nicht länger im Kopf sortieren und sie in die richtige Reihenfolge bringen, um sie auszusprechen – sie konnte sie nicht einmal mehr aufschreiben. Es war eine beklemmende Szene, die ich nie vergessen werde. Die Frau, deren Leben von LongCovid in dieser Weise brutal verändert wurde, war vierzig Jahre alt, als ich sie kennenlernte. Sie hatte als Kinder-Intensivkrankenschwester gearbeitet. Bis zu dem Einbruch der Krankheit in ihr Leben war sie sportlich und hatte keine Vorerkrankungen. Ihr Schicksal änderte sich durch eine Infektion, die zunächst nur einen leichten Akutverlauf gezeigt hatte. Jetzt ist sie so beeinträchtigt, dass sie nach ärztlichem Ermessen ihren Beruf auf unabsehbare Zeit nicht mehr wird ausüben können.

Angesichts dieser und zahlloser vergleichbarer Schicksale wird es Zeit, dass Politik, Medizin und Gesellschaft LongCovid so bitterernst nehmen, wie es erforderlich ist.

Wie die Pandemie unsere Realität verändert hat