Lore-Roman 157 - Helga Winter - E-Book

Lore-Roman 157 E-Book

Helga Winter

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Beschreibung

Waise Adrienne Weigand wird von einem Verwandten zum nächsten weitergereicht. Als ihr Onkel Fedor stirbt, bei dem sie die letzten Jahren erzogen wurde, übernimmt Nikolaus Rohde wider Willen ihre Vormundschaft. Dem attraktiven Gutsherren, der sein Junggesellenleben mit wechselndem Damenbesuch pflegt, kommt diese Verantwortung sehr ungelegen.
Nikolaus will sein Mündel schnellstmöglich standesgemäß verheiraten. Vorher muss Adrienne aber dringend neu eingekleidet und frisiert werden. Der Gutsherr traut seinen Augen kaum: Das hässliche Entlein ist plötzlich ein wunderschöner Schwan. Nikolaus blickt sie an, als sähe er ein Wunder. Der Gedanke, dass sie vielleicht bald jemanden finden wird, der sie in die Arme nimmt und küsst, ihre weiche Haut berührt - Nikolaus will nicht weiterdenken, aber seine Gedanken lassen sich nicht befehlen. Er verbirgt sie fortan hinter einer harten Schale. Und auch Adrienne möchte nicht, dass er sie wegschickt, sie sehnt sich nach seiner Nähe ...


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Inhalt

Cover

Wie ein Wunder kam die Liebe

Vorschau

Impressum

Wie ein Wunder kam die Liebe

Doch mit ihr kamen die Tränen

Von Helga Winter

Waise Adrienne Weigand wird von einem Verwandten zum nächsten weitergereicht. Als ihr Onkel Fedor stirbt, bei dem sie die letzten Jahren erzogen wurde, übernimmt Nikolaus Rohde wider Willen ihre Vormundschaft. Dem attraktiven Gutsherren, der sein Junggesellenleben mit wechselndem Damenbesuch pflegt, kommt diese Verantwortung sehr ungelegen.

Nikolaus will sein Mündel schnellstmöglich standesgemäß verheiraten. Vorher muss Adrienne aber dringend neu eingekleidet und frisiert werden. Der Gutsherr traut seinen Augen kaum: Das hässliche Entlein ist plötzlich ein wunderschöner Schwan. Nikolaus blickt sie an, als sähe er ein Wunder. Der Gedanke, dass sie vielleicht bald jemanden finden wird, der sie in die Arme nimmt und küsst, ihre weiche Haut berührt – Nikolaus will nicht weiterdenken, aber seine Gedanken lassen sich nicht befehlen. Er verbirgt sie fortan hinter einer harten Schale. Und auch Adrienne möchte nicht, dass er sie wegschickt, sie sehnt sich nach seiner Nähe ...

»Schlechte Nachricht?«, fragte Hilda Braker und beobachtete amüsiert den Mann, der das amtliche Schreiben zusammenfaltete und unter gerunzelten Augenbrauen an ihr vorbei sah.

»Hm«, machte er und schleuderte dann den großen Umschlag auf den Rauchtisch, der zwischen ihnen stand. »Eine Anfrage, ob ich eine Vormundschaft übernehmen will.«

Hilda zog an ihrer Zigarette und lächelte boshaft.

»Die Herren auf dem Gericht kennen dich nicht, sonst würden sie niemals daran gedacht haben, ausgerechnet dich ...«

»Sei ruhig! Die Sache ist ernst«, fiel Nikolaus Rohde, der Herr des schönen Gutes Niehoff, ihr unwirsch ins Wort.

»Entschuldige, dass ich dich in deinen edelsten Gefühlen gekränkt habe«, erwiderte Hilda und lächelte ungerührt. »Was wirst du nun tun, Niko?«

Der Mann erhob sich und ging, den Oberkörper vorgeneigt, die Hände auf dem Rücken verschlungen, in dem elegant eingerichteten Salon auf und ab.

»Nichts«, brummte er dann und blieb vor ihr stehen. »Ich kann doch schließlich nicht ablehnen; dieses Mädchen hat keinen Verwandten mehr. Irgendjemand muss sich schließlich um sie kümmern.«

»Das arme Kind«, bedauerte Hilda die Unbekannte leichthin. »Nimm sie doch zu dir, hast ja Platz genug im Haus. Wie alt ist die Kleine übrigens?«

Niko kaute an seiner Unterlippe.

»Ich weiß es auch nicht genau. Ich denke, so vierzehn oder fünfzehn. Auf jeden Fall ist sie kein Kleinkind, und das ...«

Er schaute grimmig auf die junge Frau, die sich bequem im Sessel zurücklehnte.

»Sprich nur weiter«, forderte ihn Hilda auf.

»Das heißt, dass du und ich ... Sie wird sich Gedanken über uns beide machen, und als Erziehungsberechtigter ...«

Die junge Dame lachte verhalten.

»Es wird dann alles etwas schwieriger für dich werden, fürchte ich. Du wirst würdiger werden müssen, um als Onkel vor den kritischen Augen deiner Nichte bestehen zu können. Ach, Niko, wie tust du mir doch leid!«

»Der Spott wird dir schon vergehen«, verhieß er und warf sich verdrossen in den Sessel. »Adrienne — wie kann man nur so heißen, schrecklich! — Adrienne kommt schon nächste Woche.« Er grinste schief. »Du hast also noch Zeit genug, deine Koffer in Ruhe zu packen.«

»Waaas ...?« Die etwas phlegmatische Hilda richtete sich hastig empor und funkelte Nikolaus Rohde aus kohlrabenschwarzen Augen an. »Sagtest du packen?«

Verlegen wich Niko ihrem Blick aus. »Schatz, du musst doch einsehen, dass solch ein unschuldiges, unverdorbenes Mädchen ...«

»Das ist doch die Höhe«, knirschte die junge Dame ergrimmt. »Nur weil du plötzlich deine Onkelgefühle entdeckt hast, noch dafür zu einem Mädchen, das Adrienne heißt, soll ich ...«

Sie schaute sich in dem geschmackvoll eingerichteten Salon um. Sie fühlte sich hier wie zu Hause, träumte manchmal davon, als gnädige Frau angeredet zu werden und über das Gesinde zu befehlen, und jetzt auf einmal sollte sie ...

»Kommt überhaupt nicht infrage!«, entschied sie schließlich und schüttelte energisch ihren Kopf.

»Aber Schatz«, flehte Niko mit gerungenen Händen. »Das geht doch nicht, das musst du doch einsehen! Diese Kinder von heute haben wache Augen. Die Kleine wird bestimmt bald merken, was ... wie ...«

»Jetzt fehlen dir wohl die Worte, was? Du bist ein Schuft, Niko, aber glaube nicht, dass du mich jetzt einfach loswirst! Ich bleibe, und damit basta!«

Hilda Braker lehnte sich im Sessel zurück und schlug ihre langen, schlanken und sehr wohlgeformten Beine lässig übereinander.

»Hm«, machte der Gutsherr, der seine Blicke nicht von ihren schlanken Fesseln lösen konnte, noch einmal. Seit einem Vierteljahr lebte Hilda mit ihm zusammen im Gutshaus — als sein Gast, hatte er seinen Freunden und Bekannten erklärt.

»Verflixtes Pech!«, schimpfte Niko und starrte jetzt grimmig auf den Brief mit dem amtlichen Siegel. »Was soll ich mit solch einem Kind hier anfangen? Onkel ...«

»Schick sie ins Pensionat«, schlug Hilda vor. »Dann hast du deine Pflicht getan, und sie ist weit vom Schuss.«

»Hm.« Diesmal klang der Laut schon etwas hoffnungsfroher. Der junge Mann rieb sich mit der flachen Hand die glattrasierte Wange.

»Das wäre immerhin eine Möglichkeit. Natürlich, ich werde sie in irgendein Pensionat stecken, und alles bleibt beim Alten.«

Hilda lächelte. »Wie gut, dass du mich hast. Woher bekämst du wohl sonst deine guten Ideen?«

»Du bist eben eine Perle«, schmeichelte Niko und setzte sich auf die Lehne ihres Sessels. Er küsste ihren schlanken, leicht gebräunten Nacken, und die junge Dame lehnte sich zurück, damit er es leichter hatte, ihre Lippen zu finden.

Der Brief des Vormundschaftsgerichtes fiel zu Boden, als Nikolaus ihn mit seinem Jackenärmel hinunterfegte. Gelb und unscheinbar lag er auf dem weichen Teppich.

Mamsell Kathrin, das alte Erbstück des Hauses und die eigentliche Herrin, musste sich lange und kräftig räuspern, bevor man sie wahrnahm.

Nikolaus warf ihr einen ärgerlichen Blick zu.

»Wie oft habe ich Ihnen schon erklärt, dass Sie anklopfen sollen, bevor Sie hereinkommen«, sagte er ungehalten und fuhr sich mit den Händen durch sein wirres Haar.

»Die Tür war offen!«, gab Kathrin unwirsch zurück. »Aber Sie können beruhigt sein, gnädiger Herr, ich habe nichts gesehen. In Zukunft schließen Sie die Tür lieber, es ist nicht nötig, dass die jungen Dinger sehen, wie Sie es hier treiben!«

Niko fuhr sich mit der Hand an den Kragen, als sei dieser ihm zu eng geworden. Er blickte die Mamsell nicht an.

»Hier ist der Kaffee.« Das Tablett klirrte, als die Frau es auf den Tisch stellte. »Jetzt kann ich wohl wieder gehen, nicht? So eine alte Frau wie ich stört ja doch nur.«

»Ich glaube, die Mamsell hat etwas gegen mich«, stellte Hilda ahnungsvoll fest, als Kathrin die Tür mit einem Schwung hinter sich zuwarf.

Nikolaus zuckte die Schultern. Es hatte keinen Zweck, seinem Gast zu widersprechen, denn die Abneigung Kathrins gegen die Damenbesuche, die von Zeit zu Zeit auf Gut Niehoff erschienen, war einfach nicht zu übersehen.

»Mach dir nichts daraus«, tröstete er das kapriziöse Mädchen. »Ich denke, wir lassen den Kaffee aber nicht kalt werden. Ich trinke ihn sehr gern heiß.«

Die junge Dame warf ihm einen lächelnden Blick zu und seufzte. Er war wirklich ein netter Kerl, dieser schlanke, fast etwas hagere Gutsherr, und sie hatte sich damals Hals über Kopf in ihn verliebt.

Es war ein Fehler gewesen, das wusste sie; denn kein Mann konnte eine Frau achten, die bereit war, einfach so mit ihm zusammenzuleben, ohne auf dem Standesamt die notwendigen Formalitäten erfüllt zu haben.

Aber sie war arm und er reich, und außerdem war er ein netter Kerl ...

Niko ließ sich die Waffeln, die niemand so gut zu backen verstand wie Kathrin, mit bestem Appetit schmecken. Er ahnte nicht, was in Hilda vorging.

»Hast du keinen Hunger?«, erkundigte er sich kauend. »Kathrin ist wirklich eine Perle. Schade, dass sie so viel schimpft.«

Hilda zuckte die Schultern und goss ihre Tasse erneut voll.

»Erzähle mir von diesem Mädchen, dieser Adrienne«, bat sie dann.

»Sie ist die Tochter eines Vetters, ich habe sie nur zwei- oder dreimal gesehen«, erwiderte Nikolaus. »Ein langes, dünnes und eckiges Ding. Ich werde sie tüchtig herausfüttern müssen, fürchte ich.«

Es war keine vielversprechende Beschreibung, und Hilda hatte keinen Anlass, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

»Ich denke, wir reiten noch ein wenig aus«, meinte Niko und tupfte sich mit der Serviette die Mundwinkel ab. »Ist gut für die schlanke Linie!«

»Ich richte mich, wie immer, ganz nach deinen Wünschen.« Hilda erhob sich und ging hinaus, um sich umzukleiden. Der Reitdress stand ihr vorzüglich. Sie war ein sehr hübsches, anziehendes Mädchen, aber was nützte ihr das alles?

Die Augen des Mannes leuchteten auf, als sie aus dem Haus trat.

»Bezaubernd«, flüsterte Nikolaus, als er ihr die Hand bot, um ihr in den Sattel zu helfen.

Als sie davongeritten waren, schnalzte der Pferdebursche anerkennend mit der Zunge. Die Schwarze, wie man Hilda hier allgemein nannte, war ein tolles Frauenzimmer.

***

»Da is jemand, wo Sie sprechen will«, meldete der Knecht mit breitem Grinsen.

Johann, der Diener, war nicht aufzufinden, und die Mamsell, die er um Rat fragte, hatte ihm gesagt, dass er die junge Dame anmelden solle.

»Wer?«, erkundigte sich der Gutsherr mit gerunzelter Stirn.

»Sie sagt, dass sie Onkel Nikolaus sprechen will. Das sind Sie doch, nich?«

»Adrienne«, stöhnte der Mann erschlagen. Er lächelte Hilda, die neben ihm auf dem bequemen Sofa saß, wehmütig zu, warf den Kopf dann in den Nacken und zog den etwas verrutschten Schlips gerade. »Wo wartet die Dame?«, fragte er den Knecht.

Karl gab ihm Auskunft.

Die Halle des Gutshauses war groß, an der Schmalwand befand sich ein Kamin. Jetzt war er kalt und schwarz, aber die Sonnenstrahlen, die durch die Gardinen fielen, malten goldene Kringel auf den blanken, gebohnerten Fußboden und fingen sich im hellen Blond eines Mädchens, das hilflos und verlassen in der Mitte des Raumes stand.

Nikolaus räusperte sich, als er näher kam. Das war Adrienne! Sie hatte sich in den letzten Jahren entschieden herausgemacht, war zwar noch immer dünn, aber nicht mehr so eckig. Ihr Haar war sehr schön, aber vielleicht lag es auch nur an der Sonne, die einen goldenen Schein um ihren Kopf wob.

»Guten Tag«, grüßte das Mädchen und machte einen tiefen Knicks. Es schaute mit großen, sehr ängstlichen Augen zu ihm empor. Jetzt bemerkte der Mann, dass das Gesicht bleich und auch die Lippen farblos waren.

Er streckte die Rechte aus, eine kleine zitternde Mädchenhand legte sich hinein. Sie war kalt wie Eis.

»Ich freue mich, Adrienne«, versicherte der Gutsherr höflich und musterte sie verstohlen.

Adrienne machte wieder einen Knicks, die Aufregung schien ihr die Sprache verschlagen zu haben. Ein klein wenig Farbe stieg in ihre Wangen, und der Mann stellte fest, dass sie eine wunderbar zarte, weiche Haut hatte.

»Warum hast du nicht geschrieben, dass du kommst? Ich hätte dich abholen lassen.«

»Entschuldige, Onkel, ich ... ich wollte dir keine Mühe machen«, stammelte das Mädchen.

Der Mann fühlte Rührung in sich aufsteigen. Er lächelte jetzt und legte ihr herzlich die Rechte auf die schmale Schulter.

»Ich denke, wir beide werden uns verstehen, Adrienne. Komm herein, du wirst sicher hungrig sein. Wo ist dein Gepäck?«

Neben ihr stand ein Köfferchen, winzig klein, sie hatte es den langen Weg von der Bahnstation nach Gut Niehoff getragen.

»Gib mir deinen Gepäckschein, ich lasse die Sachen sofort holen. Du wirst dich auch erfrischen wollen, nehme ich an. Gut siehst du aus, Mädchen, wirst bestimmt noch einmal eine kleine Schönheit.«

»Danke, Onkel.« Wieder dieser mädchenhafte Knicks, dann schluckte Adrienne.

»Was ist denn, Kind?«, fragte er väterlich. »Hast du den Gepäckschein verloren? Macht nichts, ich werde die Sache schon in Ordnung bringen.«

Die neue Hausgenossin schüttelte hilflos den Kopf, und Nikolaus sah, dass ihre Augen sogar feucht wurden.

»Ich ...«, presste sie hervor und wies auf das Köfferchen. »Das ist alles«, sagte sie dann. »Ich habe kein anderes Gepäck.«

»Hm«, machte Nikolaus und zwang sich zu einem Lächeln. »Nun komm herein, ich ... ich habe übrigens Besuch, Kind. Ja, Besuch.«

Sie senkte ergeben den Kopf und trottete hinter ihm her, in der Rechten das verbeulte Pappköfferchen.

»Das ist Adrienne«, stellte Nikolaus sie vor.

Das Mädchen stand auf dem weichen Teppich und blickte zu Boden. Die vornehme Umgebung bedrückte es, Adrienne hatte noch niemals solch schöne Räume gesehen wie hier auf Gut Niehoff.

»Guten Tag«, riss eine warme Stimme sie aus ihren Gedanken.

Adrienne hob langsam den Kopf.

»Sie sind schön«, flüsterte sie impulsiv, als Hilda aufstand und ihr herzlich die Rechte entgegenstreckte.

Diese Feststellung kam so ehrlich, dass die junge Dame ein Gefühl des Mitleides in sich emporsteigen fühlte. Dieses Mädchen dort war fast achtzehn Jahre alt und machte doch noch den Eindruck eines Kindes, eines lieben, hilfsbedürftigen Kindes, das man beschützen und umhegen muss.

»Ich bin Hilda Braker«, sagte sie.

»Adrienne Weigand«, nannte sie ihren Namen. Sie lächelte schüchtern zu Hilda hinüber.

»Nun stell endlich deinen Koffer zur Seite«, brummte Nikolaus, dem die Begrüßung der beiden entschieden zu lange dauerte.

Adrienne zuckte zusammen und schaute sich hilflos um. »Ja, sofort, Onkel.«

Jetzt stand der Koffer klein und hässlich auf dem großen weichen Teppich mit dem schönen Muster. Er wirkte hier doppelt deplatziert; Adrienne hatte durchaus ein Empfinden für die Schäbigkeit ihres Gepäckstückes und ihre eigene Erscheinung.

Onkel Fedor, bei dem sie in den letzten Jahren erzogen worden war, hatte kein Hehl aus seiner Meinung über sie gemacht.

»Hast ja ein gutes Herz, Mädchen, aber du siehst aus wie ein gerupfter Vogel.«

Diese Worte kamen ihr jetzt wieder in den Sinn, als sie auf die elegante, geschmackvoll gekleidete Hilda schaute. Ihre Lippen zuckten, aber sie beherrschte sich.

»Zieh den Mantel aus und setz dich zu uns. Ich werde gleich etwas zu essen und zu trinken kommen lassen.«

Nikolaus nahm ihr den schlichten, abgetragenen Mantel ab und warf ihn über einen Sessel.

»Kathrin, dies ist Fräulein Adrienne. Sie wird im Südzimmer wohnen. Machen Sie alles fertig und bringen Sie eine kleine Erfrischung. Was isst du denn am liebsten, mein Kind?«, erkundigte er sich freundlich.

»Irgendetwas, es ist ganz gleich, machen Sie sich nur keine Umstände, Frau ...«

»Kathrin«, knickste die Mamsell, und ihr Lächeln wurde noch breiter. »Sagen Sie nur Kathrin zu mir, Fräulein Adrienne, das tun alle hier. Ich werde schnell ein paar Waffeln backen, und Schlagsahne haben wir auch noch.«

Sie hastete davon und ließ ein unbehagliches Schweigen im Salon zurück. Adrienne saß auf der äußersten Kante des Sessels, den Oberkörper steif aufgerichtet, die Hände auf den Knien gefaltet.

Nikolaus hatte jetzt einen verdrossenen Zug im Gesicht und trommelte mit seinen Fingern auf die Sessellehne.

»Setz dich doch vernünftig hin«, brummte er.

Adrienne zuckte zusammen und warf ihm einen erschrockenen Blick zu.

»Ja, Onkel Nikolaus«, flüsterte sie und richtete sich noch steifer empor. Ihr Gesicht war kalkweiß, Hilda sah, dass ihre schlanken Hände bebten.

Die Finger des Mannes trommelten schneller und ungeduldiger. Wie mochte es nur im Haus ihres Onkels zugegangen sein? Sie saß da wie ein Stock, schien außer ,Onkel, gern, Onkel!', nichts sagen zu können, und der geschmacklose Schnitt ihres hellrosa Seidenfähnchens tat seinen Augen fast weh.

»Lehn dich an!«, grollte er. »Du bist hier nicht in der Schule! Du solltest dich doch hier wohlfühlen, mein Kind.«

Adrienne erschrak, ihre großen dunklen Augen wurden feucht. Sie schaute hilflos von Nikolaus auf Hilda, die ihr ermutigend zulächelte.

»Sie werden sich hier bald wohlfühlen, Fräulein Weigand.« Sie hatte die Beine lässig übereinandergeschlagen, sah so aus, wie Adrienne niemals aussehen würde — elegant, selbstsicher und war jeder Situation gewachsen.

Es war für die drei Menschen geradezu eine Erlösung, als die Mamsell die Waffeln hereinbrachte.

Das Gebäck duftete verlockend, aber trotzdem wagte Adrienne nicht, sich richtig satt zu essen. Sie war hier auf Niehoff nur geduldet, sie ahnte, dass sie störte, sie wusste, dass sie hässlich war. Am liebsten hätte sie sich in irgendeine Ecke verkrochen.

In ihren Gedanken und Vorstellungen war Onkel Nikolaus ein älterer, würdiger Mann gewesen, und sein Eintritt in die Halle hatte sie geradezu verstört.

Er war ganz anders als Onkel Fedor, und eigentlich sah er gut aus, aber sie spürte, dass er sie irgendwie missbilligte. Was hatte sie falsch gemacht?

»Jetzt wird dir Kathrin dein Zimmer zeigen!« Damit entließ er sie. Adrienne sah deutlich sein Aufatmen, als sie sich mit einem letzten Knicks verabschiedete.