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Beschreibung

Die schönsten Rheinsagen Die Geschichte vom Binger Mäuseturm, der betörende Gesang der Loreley, die feindlichen Brüder. Der Rhein birgt einen unermesslichen Sagenschatz. In alten Sammlungen hat Tilman Spreckselsen berühmte und vergessene, wundersame und geheimnisvolle Geschichten entdeckt und trägt die schönsten und wichtigsten in diesem Band zusammen. Mit den alten Mären reisen wir den Rhein entlang, von den Quellen bis zum Meer. Wir werden auf Seitenwege gelockt, in die Zuflüsse des großen Stroms. In den Sagen, von Generation zu Generation weitererzählt, werden die Eigentümlichkeit der unterschiedlichen Regionen und ihrer Bewohner, die der Rhein über die Ländergrenzen hinweg miteinander verbindet, lebendig. So entsteht ein tausendfältiges Lesebuch, ein außergewöhnlicher Reiseführer, ein Fundus europäischer Sagen.

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Seitenzahl: 276

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Loreley und Schlangenfrau

Rheinsagen von der Quelle bis zur Mündung

Herausgegeben von Tilman Spreckelsen

FISCHER E-Books

Inhalt

Der junge Rhein und seine ZuflüsseAuswanderung der SchweizerDie Helvetier und Die RömerStraßburger Schießen und Zürcher BreiJohann ChaldarDie verschneite AlpIdda von ToggenburgDie Raben des heiligen MeinradDie Wasserfrauen in der TroglosenAus dem alten ZürichkriegDas goldene TorDie durstigen EidgenossenDer Knabe erzählt’s dem OfenSchlangenringFastradas LiebeszauberDas Echo am LauibergDer StiefelreiterDer Untergang von SchillingsdorfDie NachtspinnerinDie KraftwurzelDer dumme Riese und das kluge SchneiderleinDie SchlüsseljungfrauDer Stier von UriDas Neunuhrglöcklein von SchaffhausenDer Fischer am RheinfallDie feurigen MännerDie Frau von RoseneckSankt FridolinDer NebelDie Schlangenjungfrau im Heidenloch bei AugstVon Basel bis zum NiederrheinDer MühlenbärDas RiesenspielzeugDer KrötenstuhlUrsprung der ZähringerHerr Peter Dimringer von StaufenbergChorkönigDie MünsteruhrDas Hündchen von BrettenDie überschiffenden MöncheDie SchwabenschüsselDie Totenglocken zu SpeyerTrifelsSiegenheimDer Rotbart zu KaiserslauternDie Königstochter vom RheinDie WiesenjungfrauDas versunkene KlosterDer Lindwurm auf FrankensteinRodensteins AuszugDer HeerwischSchwedensäule bei OppenheimDas goldne MainzDie heiligen Kreuze zu MainzHeinrich Frauenlobs BegängnisDas Rad im Mainzer WappenEginhart und EmmaDie Sachsenhäuser Brücke zu FrankfurtDer Franken FurtVom Eschenheimer TurmBlutlindeDer Binger MäuseturmDie WisperstimmeDie glühenden KohlenDie Weingötter am RheinLurleiDie BrüderRäderbergDie wandelnde NonneDie heilige GenofevaVom SiebengebürgNachtgeist zu KendenichHerr Gryn und der LöweDas heilige KölnDer Bürger MarsiliusDer Dom zu KölnDie Pferde aus dem BodenlochAlbertus Magnus und Kaiser WilhelmTeufelsstein zu KölnDie letzte SaatDie Knappschaft im LüderichDer KlostereselDer blühende BischofstabImmenkapelleDer wiedergefundene RingDas Rheindelta in den NiederlandenAbkunft der HolländerDer Teufel im KlosterDie TotenladeSo viel Kinder als Tag’ im JahrKrüppel und alt WeibWunderkindIns Wasser geworfenDer Teufelsstein zu UtrechtDes Meineids StrafeBischof Conrads von Utrecht TodRadbodDie LilieLeydenWilibrord verjagt einen GeistHerr von FalkenbergSchloß BouillonHaerlemHerrn Lems FrauBatoDer SchwanritterSchloß Waerdenberg bei BommelDie erste Kirche in DordrechtFolgert von HaestrechtStimme aus dem BrunnenPferd weckt eine QuelleKorn im ÜberflußDer FrauensandNachwort

Der junge Rhein und seine Zuflüsse

Auswanderung der Schweizer

Es war ein altes Königreich im Lande gegen Mitternacht, im Lande der Schweden und Friesen; über dasselbe kam Hunger und teure Zeit. In dieser Not sammelte sich die Gemeinde; durch die meisten Stimmen wurde beschlossen, daß jeden Monat das Volk zusammenkommen und losen sollte; wen das Los träfe, der müsse bei Lebensstrafe aus dem Land ziehen, Hohe und Niedere, Männer, Weiber und Kinder. Dies geschah eine Zeitlang; aber es half bald nicht aus, und man wußte den Menschen keine Nahrung mehr zu finden. Da versammelte sich nochmals der Rat und verordnete, es solle nun alle acht Tage der zehnte Mann losen, auswandern und nimmermehr wiederkehren. So geschah der Ausgang aus dem Land in Mitternacht, über hohe Berge und tiefe Täler, mit großem Wehklagen aller Verwandten und Freunde; die Mütter führten ihre unmündigen Kinder. In drei Haufen zogen die Schweden, zusammen sechstausend Männer, groß wie die Riesen, mit Weib und Kindern, Hab und Gut. Sie schwuren, sich einander nie zu verlassen, und erwählten drei Hauptleute über sich durchs Los, deren Namen waren Switer (Schweizer), Swey und Hasius. Zwölfhundert Friesen schlossen sich ihnen an. Sie wurden reich an fahrendem Gut durch ihren sieghaften Arm. Als sie durch Franken zogen und über den Rheinstrom wollten, ward es Graf Peter von Franken kund und andern; die machten sich auf, wollten ihrem Zug wehren und ihnen die Straße verlegen. Die Feinde dachten, mit ihrem starken Heer das arme Volk leicht zu bezwingen, wie man Hunde und Wölfe jagt, und ihnen Gut und Waffen zu nehmen. Aber die Schweizer schlugen sich glücklich durch, machten große Beute und baten zu Gott um ein Land wie das Land ihrer Altvordern, wo sie möchten ihr Vieh weiden in Frieden; da führte sie Gott in die eine Gegend, die hieß das Brochenburg. Da wuchs gut Fleisch und auch Milch und viel schönes Korn, daselbst saßen sie nieder und bauten Schwytz, genannt nach Schwyzer, ihrem ersten Hauptmann. Das Volk mehrte sich, in dem Tal war nicht Raum genug, sie hatten manchen schweren Tag, eh ihnen das Land Nutzen gab; den Wald ausrotten war ihr Geigenbogen. Ein Teil der Mengen zog ins Land an den schwarzen Berg, der jetzt Brauneck heißt. Sie zogen über das Gebirg ins Tal, wo die Aar rinnt, da werkten sie emsig zu Tag und Nacht und bauten Hütten. Die aber aus der Stadt Häßle in Schweden stammten, besetzten Hasli im Weißland (Oberhasli) und wohnten daselbst unter Hasius, dem dritten Hauptmann. Der Graf von Habsburg gab ihnen seine Erlaubnis dazu. Gott hatte ihnen das Land gegeben, daß sie drinnen sein sollten; aus Schweden waren sie geboren, trugen Kleider aus grobem Zwillich, nährten sich von Milch, Käs und Fleisch und erzogen ihre Kinder damit.

Hirten wußten noch zwischen 1777–80 zu erzählen, wie in alten Jahrhunderten das Volk von Berg zu Berg, aus Tal in Tal, nach Frutigen, Obersibental, Sanen, Afflentsch und Jaun gezogen; jenseits Jaun wohnen andere Stämme. Die Berge waren aber vor den Tälern bewohnt.

Die Helvetier und Die Römer

Einst lebte in der Schweiz ein großes keltisches Volk, die Helvetier. Ihre Städte und Dörfer standen vorab im mittleren und westlichen Schweizerland. Sie trieben Ackerbau und Viehzucht und waren glücklich dabei.

Unter ihnen aber lebte ein mächtiger Fürst namens Orgetorix. Der war sehr ruhmsüchtig. Es gefiel ihm nicht, bloß ein Fürst in den Gauen Helvetiens zu sein. Er wollte nach Gallien ziehen, wo heute Frankreich liegt, und dann die Römer angreifen und Rom erobern. Von dort aus wollte er die Welt beherrschen. Er begann die Hirten in allen Gauen heimlich aufzuhetzen und ließ ihnen sagen: »Warum wollt ihr denn in einem so kleinen und dürftigen Lande bleiben und zeitlebens arme Hirten sein? Laßt uns aufbrechen und das Land der Gallier erobern, wo der gute Feuerwein wächst. Niemand wird eurer Tapferkeit widerstehen können.« Nach und nach stimmte ihm in geheimen Versammlungen fast alles Volk zu, und sie beschlossen, zusammen mit Weib und Kind zur Eroberung Galliens auszuziehen.

Aber endlich vernahmen die höchsten Fürsten des Landes doch des Orgetorix Anschläge und luden ihn vor Gericht, damit er sich verantworte, denn sie bedrohten ihn als einen Landesverräter mit dem Feuertode. Jedoch Orgetorix kam zum öffentlichen Gerichtstage nicht allein, ihn begleiteten zehntausend Männer seines Gaues, die ihn vor seinen Feinden beschützen sollten. Doch da strömte das ganze helvetische Volk herbei, und es drohte ein furchtbarer Bruderkrieg auszubrechen. Da stürzte sich Orgetorix ins eigene Schwert und starb.

Nach seinem Tode vergaßen aber die Helvetier seine großen Pläne nicht mehr. Sie blieben unzufrieden in ihrem schönen Berglande. Und eines Tages beschlossen sie dennoch, in Gallien einzubrechen, um das fruchtbare Land zu gewinnen. Sie rüsteten also für drei Monate Lebensmittel. Darnach steckten sie ihre zwölf Städte und vierhundert Dörfer in Brand, denn nie mehr wollten sie nach Helvetien zurückkehren. Sieg oder Tod war ihr Losungswort.

Mit Frauen und Kindern, die sie in Wagenburgen mitschleppten, zogen sie am großen Lemansee entlang gegen Genf, ihrer über zweimalhundertfünfzigtausend Menschen. Ihr oberster Anführer war der alte, schneeweiße Held Diviko, der einst als junger Mann die Römer zurückgeschlagen hatte.

Aber die Römer hatten den Anzug der Helvetier schon vernommen. in Eilmärschen rückte ihnen ihr berühmtester Feldherr, Julius Cäsar, entgegen und schlug sie in einer furchtbaren Schlacht bei Bibracte, nicht mit überlegener Tapferkeit, aber mit besseren Waffen und größerer Kriegskunst. Über hunderttausend Helvetier bedeckten das Schlachtfeld. Die Überlebenden zwang der römische Feldherr, wieder in ihr eben verlassenes Land zurückzukehren, wo sie ihre Städte und Dörfer wieder aufbauen mußten. Aber Kraft und Mut des helvetischen Volkes war für immer gebrochen.

Bald rückten römische Besatzungen und Heere ins Land, die auch die tapferen Walliser und die wilden Rhätier im heutigen Graubündnerland unterwarfen. Diese gingen nach und nach in ihnen auf und nahmen sogar ihre Sprache an, die die Rhätier der wundervollen Bergtäler des Engadin heute noch sprechen. Große Städte entstanden, wovon Vindonissa im Aargau und Aventicum im Waadtland die größten waren. Durch das ganze Land hinauf vom Lemansee bis zum Bodensee und bis ins Hochgebirge des Oberrheins gingen die römischen Türme.

Wenn nun die wilden deutschen Stämme jenseits des Rheins, die Alamannen und die Sueben, ins Land der Helvetier einzubrechen drohten, flammte auf dem nächsten römischen Wachtturm am Rhein ein Feuer auf und dann auf dem etwas weiter abliegenden und dann auf dem noch weiter entfernten. Und so gingen nach und nach die Alarmfeuer von einem Wachtturm zum andern himmelan bis zu den Hauptlagern der römischen Soldaten, aus denen diese, sobald sie die Gefahr erkannten, mit Macht auszogen und zum bedrohten Rhein eilten, um die deutschen Völker von dem Fluß, der überall feste Grenzhäge hatte, abzuhalten.

Mehr als zweihundert Jahre beherrschten also die Römer das Land Helvetien, bis eines Tages die Alamannen und Sueben, wie ein langgestauter Bergstrom, über den Rhein hereinbrachen, alles vor sich niederwarfen und das schöne Land in Besitz nahmen. Die römischen und helvetischen Männer schlugen sie fast alle tot, aber ihre Frauen und Kinder ließen sie leben, und heute noch kann man manch einem träumerischen, hellen Kinderäuglein ansehen, daß sein Urahne einstmals zu jenem seltsam verschollenen Volke gehörte, das einst aus Helvetien auszog, den sonnigen Süden zu erobern.

Straßburger Schießen und Zürcher Brei

Im Zeughaus zu Straßburg wird ein eherner Topf gezeigt, den sandte einstmals die Stadt Zürch voll Brei dahin, den sie in Zürch gekocht und der noch warm in Straßburg ankam, das begab sich also. Die Straßburger hielten großes Freischießen und luden dazu ein alle Nachbarstädte am Rhein, in der Rheinpfalz, im Elsaß und in der Schweiz, die kamen auch durch Gesandte zahlreich und nahmen teil am Feste; am weitesten hatten freilich die Schützen von Zürch, drei Tagereisen. Da war zu Zürch ein wackerer Kumpan, der hieß Hans im Weerd, und sann ein lustig Stücklein aus. Wir wollen gen Straßburg zu Wasser fahren, da brechen wir kein Rad und fällt uns kein Roß, und wollen das tun, so Gott will, in einem Tag, und einen heißen Brei, den wir allhier gekocht, den Straßburgern mitbringen. Dieser Rat fand großen Beifall, alles ward vorgerichtet und gerüstet, der Brei wurde in einer Nacht gekocht, kam in einen warmen Topf von Erz, und der Topf wurde in heißen Sand gestellt, und nun ging es schnell zu Schiff, als die Sterne noch glänzten. Vom Schiffe wehten lustig die Wimpel mit Zürchs Farben, weiß und blau, und munter flog es über der Limmat rasche Wellen rasch dahin. Von der Limmat lenkten die fröhlichen Schweizerschützen in die Aar, vorüber an mancher fährlichen Stelle, und aus der Aar in den Rhein, am Höllenhaken kühn vorbei durch Strudel und Klippen. Da das glückhafte Schifflein gen Rheinfelden kam, wohin schon Kunde von seiner Fahrt gelangt, ward zur Mauer herab ein Korb voll edlen Weines zum Morgentrunk herabgelassen und unverweilt eingenommen. Als die Basler Glocke elf schlug, war es erst um zehn Uhr, und das glückhafte Schiff mit seinen Zürchern nahte schon der Brücke. Da schallte von aufgestellter Mannschaft und drängendem Volk herzlichfroher Bundesgruß entgegen, und die Geschütze krachten, aber wie ein Pfeil schoß das Schiff, getrieben von den Ruderschlägen stets sich ablösender kräftiger Ruderer, immer rheinabwärts, und vorn im Schiff am Steuer stand lugenden und sorgenden Blickes der Hans im Weerd, und mitten im Schiff saß Kasper Thomann, der Zürcher erwählter Obmann und Sprecher beim Schützenfeste. So ging es weiter und immer weiter, an Neuenburg vorbei, an Breisach vorbei, durch die hundert Inseln und Werder und Riede im Rhein. Wohl sank der Abend nieder, wohl tauchte hinter der Vorgesen blauer Bergkette das glühende Rad der Sonne unter, aber was leuchtete dort weit, weit her über die unermeßliche Stromtalfläche, eine rote Feuersäule? Im Sonnenscheidekuß flammte Unser Frauen-Münsters Turmriese, und der Jubel der Schiffer grüßte das leuchtende ferne Ziel. Aber immer noch liegen Stunden zwischen dem Ziele und dem Schiffe – der Tag schwindet, die Nacht bricht an, hell und rund steht der Mond am Abendhimmel, das Münster taucht empor, wie ein Geisterschiff, von der Schützenmatte her bringt dumpfer Lärm des Volksgewimmels; jetzt beginnen auch die im Schiff zu blasen mit hellen Zinken und Posaunen, Pfeifen und Drommeten – jetzt endlich ist Straßburg erreicht, und am Guldenturm legt das Schifflein an. Jubel begrüßt die nimmermüden Stromfahrer, die das nie Dagewesene vollbracht, in einem Tage gefahren die unendlichen Strecken, und der Brei im Topfe noch warm, gerade noch so recht mundrecht. Das war ein gar festliches Begrüßen, mit Musik und Fahnen wurden die werten Zürcher Gäste auf die Maurerstube geleitet zum herzlichen Willkommen und frohen Mahle. Von da brachte man die Zürcher, nachdem der Brei verzehrt war, in den güldnen Hirsch zur Rast, und am andern Tage beim Schießen wurden sie hoch geehrt vor allen Gästen, und der Topf blieb aufbewahrt für ewige Zeiten.

Johann Chaldar

Der größte Kanton der Schweiz ist der Kanton Graubünden. Aber er ist wenig bevölkert. Denn um seine reizvollen Alpentäler, an deren Hängen die seltsame Arve wächst, und in denen die lieblichsten Seen träumen, stehen gewaltige Schneegebirge, in denen noch der braune Bär umgehen soll.

Einst hausten in diesen Alpentälern Rhätiens, in denen man noch zum Teil eine ganz eigene Sprache redet, eine ganze Reihe böser Junker und Zwingherren, die das arme, aber aufrechte Volk unterdrückten und auf jede Weise plagten. Ihre stolzen Burgen überzogen das Land. Auf einem hohen Felsen am wilden Oberrhein hinter Thusis lag die große Bärenburg, und im Dörflein Donath thronte die Burg Fardün. Die Herren dieser Burgen trieben es gar bunt. Der Herr auf der Bärenburg zwang die Leute, aus dem Schweinetrog zu essen, und der auf Fardün ließ allemal, wenn das Korn zu reifen begann, seine Pferde darin weiden.

Aber das Maß dieses Tyrannen war voll. Eines Tages im Jahre 1424 ritt der Junker von Fardün ins Tal hinab. Auf dem Wege fiel ihm die schöne, reinlich gehaltene Hütte des Bauern Johann Chaldar in die Augen. Er haßte diesen freien Sohn der Berge besonders, weil er ihm einst zwei Pferde, die er in seine Saat hatte treiben lassen, erstach. Und obwohl er ihn damals jahrelang in seinem Burgverließ hatte hungern und frieren lassen, haßte er ihn immer noch, denn er sah wohl, daß der freie Sinn des armen Hirten noch nicht gebrochen war. Doch er wollte ihn noch zähmen. Er gedachte daher, ihn zu reizen und ihn dann, wenn er ihm ungebührlich komme, wieder in den dunklen Schloßkerker werfen zu lassen, aus dem er nie mehr lebend hervorgehen sollte. So bog er denn plötzlich vom Wege ab und ritt auf die Hütte zu.

Dort stieg er ab, trieb sein Roß lachend in die eben wieder grünende Saat und trat dann in die Hütte des Landmannes. Dieser saß gerade mit Frau und Kindern um den Tisch, auf dem ein großes Holzgefäß voll Brei dampfte. Als sie das Tischgebet gesprochen hatten, erschien der Junker von Fardün in der Stube. Der Bauer Chaldar erhob sich und lud ihn ehrerbietig ein, am Tische Platz zu nehmen und mitzuhalten, wenn ihm ihre ärmliche Speise nicht zu gering sei.

Da wurde der Junker brandrot vor Zorn und lärmte: »Wie, du hältst mich für so niedrig, daß ich Mus fressen sollte? Friß du’s nur selber, ich will dir’s würzen!« Und damit spuckte er ihm in den Brei. Johann Chaldar erbleichte. Bebend am ganzen Leib stand er einen Augenblick da. Dann packte er den Junker, schleppte ihn zum Tisch und drückte ihm den Kopf tief in den heißen Brei hinein. »Friß, friß«, schrie er auf, »du kommst mir nicht vom Fleck, bis das Mus aufgefressen ist, das du so wohl gewürzt hast!« Und wohl oder übel, der Junker mußte den Brei, so heiß er war, aufessen, denn der Bauer ließ ihn nicht los. Als er die gezwungene Mahlzeit getan hatte, rannte er wutschnaubend nach seinem Pferd, um die Knechte in seiner Burg zu holen. Doch Johann Chaldar lief ihm nach und erschlug ihn. Dann rief er das Volk zum Aufstande auf, und bald wurde die Burg Fardün eingenommen und zerstört. Und rings im Lande erhoben sich die freien Rhätier und brachen allüberall die Burgen, wo Zwingherren wohnten. Der letzte Zwingherr zu Hohen Realt aber setzte sich, als ihm das Volk die Burg stürmte, auf sein Pferd, kämpfte lange tapfer um sein Leben, und als er jeden Weg zur Flucht versperrt sah, gab er seinem Roß verzweifelt die Sporen und stürzte sich vom Burggemäuer in die Rheinschlucht hinunter.

Die verschneite Alp

Einst lebte im Appenzellerländchen ein reicher Bauer, der einen starken und schönen, aber ungeratenen Sohn hatte. Vor allem machte es dem Bauer Sorge, daß der Sohn gegen seine Mutter so ungut tat, die ihm doch zeitlebens nur zu Gefallen gelebt hatte, denn sie verhätschelte und verpäppelte ihn auf jede Weise. Doch er dachte, wenn der Sohn älter wird, wird er wohl auch klüger und besser werden. Als nun der Bauer starb, hinterließ er seinem Sohne ein großes Heimwesen, vor allem aber eine prächtige Alp hinter dem Meßmerberge, die Grünalp.

Wie nun der Winter ging und der Frühling immer herzhafter an den Bergen emporstieg und allerwärts mit seinem rauschenden Föhnbesen und seinem Sonnenbrennglas den Schnee wegschmolz, rüstete sich der junge Senn zur Alpfahrt. Er legte seiner Leitkuh die große Senntenschelle, die Treichle, an, schmückte sie mit den ersten Blumen, und dann nahm er Abschied. Seine Mutter sah er dabei kaum an, obwohl sie ihm mit heißen Segenswünschen ans Herz sank. Er hatte aber eine schöne Liebste. Die schmückte seinen Hut mit einem Maienkranz, und das freute ihn also, daß er vor diesem Kranz schier auf die Knie fiel. Danach ging’s mit Jauchzen und Singen bergan zur Alp, und weit und breit blieben die Leute stehen und sahen bewundernd dem schönen Sennten nach, mit dem der Bursche auffuhr.

Als er nun seine gutfärbigen, braunlachten Loben (Kühe) mit Kling und Klang auf der Grünalp weiden ließ, begann ein großes Wohlleben, denn die Alp floß von Milch und Honig. Von allem aber schickte er das Beste seiner Braut zu, die Mutter jedoch ließ er darben. Wenn sie was braucht, so weiß sie ja, wo ich bin, kann’s selber holen, dachte er.

Eines Tages besuchte ihn seine Geliebte. Da war er vor Freude wie verhext! Er tanzte mit ihr auf dem reichbeblümten Rasen vor der Hütte und stellte ihr alles auf, was eine Alp Schleckhaftes hervorzubringen vermag. Milch, Butter, geschwungene Niedel (Schlagrahm), Käse, alles ward in Hülle und Fülle aufgetragen. Ja, er trieb es so weit, daß er den schmutzigen Platz vor der Hütte mit großen, fetten Käsen über und über belegte, damit sein Liebchen den Fuß nicht besudle. Als sie zusammen eben ein seidenweiches, schmackhaftes Fenz auslöffelten, hörten sie auf einmal ein Seufzen und Ächzen. Und da erblickten sie eine alte Frau, die mühsam das Felsenweglein herauf zur Alp stieg. Auf dem Rücken trug sie eine Milchtanse. Mit Unbehagen und Verdruß erkannte der Senn seine Mutter. Schweißbedeckt, todmüde keuchte sie heran und sank auf einen Stein, bei Gottes Barmherzigkeit um etwas Speise flehend. Aber das böse Paar war erbost, daß die alte Frau sie gerade mitten in ihrer Festerei störte. Der junge Senn erhob sich widerwillig und gab ihr etwas ausgekäsete, überlang gestandene Milch, die grüner aussah als eine Heuschrecke, zu trinken. Sonst verabreichte er solchen Trank nur den Schweinen. Doch die Mutter nahm es dankend an.

Wie sie aber wieder gehen wollte, bat sie ihren Sohn, er möchte ihr doch etwas Schotte und weißen Zieger in die mitgebrachte Tanse tun. Was tat nun der Unchrist von einem Sohn? Er brachte ihr Mist und Käsewasser in die Tanse und tat den Deckel wieder darüber, als wäre alles in bester Ordnung. Von Herzen dankte sie ihrem Sohne und wankte nun wieder den weiten Weg heimzu.

Als sie zu Hause war, öffnete sie die Tanse, und o Wunder! statt des Mistes und der eklen Käsebrühe fand sie darin den reinsten Rahm und vollfetten Käse. Der liebe Gott hatte sich ihrer erbarmt und das Böse in Gutes verwandelt.

Noch mehrmals tat aber der Sohn der Mutter die gleiche Schmach an, wenn sie ihn besuchte. Deshalb ergrimmte Gott über sein undankbares Herz.

Wie nun der Herbst kam und allerwärts die Jodler der abziehenden Sennen von den Flühen hallten, rüstete sich auch der junge Senn auf der Grünalp zur Talfahrt, denn das saftige Alpengras, aus dem den ganzen Sommer über so schön die Alpenrosen, die rotäugigen Steinbrech und die großsternigen Arnikablumen geleuchtet hatten, waren verschwunden. Nur noch wie ein feines, grünes Schäumlein zitterte das Herbstgras über die Weiden.

Auch die schöne Braut des Sennen hatte sich zur Alpfahrt eingefunden. Sie half ihrem Liebsten die Hörner der Kühe schmücken und hing selber der glatten, mausgrauen Leitkuh die große Senntentreichle um den Hals. Und wie sie nun zum letztenmal ein auserlesenes Sennenmahl zusammen abgehalten hatten, erhob sich der Älpler und jauchzte hellauf seinen Loben. Da wurde es auf einmal unheimlich schwefelgelb ob den scharfen Graten der Berge. Erschrocken schaute das Pärchen zum Himmel hinauf. Schon stiegen brandschwarze Wolken wie grause Ungeheuer hinter den Bergkämmen empor, und auf einmal zitterte und bebte die Alp. Es donnerte und krachte in allen Flühen herum, und ein fürchterlicher Wirbelwind brauste heran, hetzte das Vieh in die Schluchten und trieb den geängstigten Senn und seine Liebste in die Hütte. Aber kaum waren sie darin, begann ein wildes Schneegestöber, und daraus ward ein wütender Schneesturm, der nicht mehr aufhörte, bis Hütte und Alp tief unter Eis und Schnee begraben lagen.

Von da ab grünte die schöne Alp nie mehr. Ewig blieb sie unter dem körnigen, glitzernden Firnschnee begraben. Wenn aber ein Gemsjäger sich Samstags in dieses einsame Hochtal verläuft, so kann er deutlich hören, wie tief unter dem Schnee noch das verwunschene Sennenpaar und sein Vieh und sein Hund geistern. Denn dann läßt die Schellenkuh einen »Blaas« (Plärren), der Stier ein »Breul« (Brüllen), der Senn einen »Zaur« (Sang), die Liebste einen »Blängg« (Schrei), der Hund einen »Bell« und die Senntenschelle einen »Glang« (Klang) ertönen.

Idda von Toggenburg

Ein Rabe entführte der Gräfin Idda von Toggenburg, des Geschlechtes von Kirchberg, ihren Brautring durch ein offenes Fenster. Ein Dienstmann des Grafen Heinrichs, ihres Gemahls, fand ihn und nahm ihn auf; der Graf erkannte ihn an dessen Finger. Wütend eilte er zu der unglücklichen Idda und stürzte sie in den Graben der hohen Toggenburg; den Dienstmann ließ er am Schweif eines wilden Pferdes die Felsen herunterschleifen. Indes erhielt sich die Gräfin im Herabfall an einem Gesträuch, wovon sie sich nachts losmachte. Sie ging in einen Wald, lebte von Wasser und Wurzeln; als ihre Unschuld klar geworden, fand ein Jäger die Gräfin Idda. Der Graf bat viel; sie wollte nicht mehr bei ihm leben, sondern blieb still und heilig im Kloster zu Fischingen.

Die Raben des heiligen Meinrad

Nach der Zeit, als der heilige Gallus, der heilige Fridolin und der heilige Kolumban das heidnische Schweizerland mit Not und Mühe zum Christentum bekehrt hatten und überall Kirchen und Klöster gebaut wurden, lebte auf dem Etzelberge, da wo die Alpen der Urschweiz anfangen, ein gottesfürchtiger Einsiedler. Er hieß Meinrad und war aus dem Geschlecht der Grafen von Hohenzollern, der einstigen Herrscher des Deutschen Reiches.

Es war ihm in der Welt und im Kloster Reichenau zu laut geworden, darum hatte er sich auf den Etzel in die Einsamkeit zurückgezogen.

Da saß er nun vor seiner kleinen Kapelle, las in einem Buch und sah sinnend auf den kristallblauen See, der tief unten lag, und schaute hinaus über unzählige, in Obstwäldern versteckte Dörflein zum verschneiten Säntis.

Nun hätte es ihm auf dem verschneiten Etzelberge gar gut gefallen, allein die Leute hörten von seiner großen Frömmigkeit, und nach und nach stiegen sie von allen Seiten zu ihm hinauf, also daß er Gott und der Jungfrau Maria nicht mehr so dienen konnte, wie es doch allezeit sein sehnlichster Wunsch war.

Aber eines Tages, als die Leute wieder auf den Etzel kamen, fanden sie den Klausner nicht mehr. Er war über den wilden Sihlbach und tief, tief in die Wildnis hineingegangen, wo nur noch wilde Tiere lebten. Aber er fürchtete sie nicht. Auf dem Weg sah er in einer Tanne ein Nest, das ein Sperber bedrohlich umkreiste. Er jagte den Sperber vom Nest ab. Als er aber das Nest erstieg, fand er darin zwei junge Raben, die er sorgsam hinabtrug und mit sich nahm. Er ging, bis er an eine Quelle kam, die als ein eiskaltes Bächlein im finstern Walde entsprang. Bei ihr ließ er sich eine Hütte und eine kleine Kapelle erbauen. Danach blieb er ganz allein in der Wildnis, die die Leute den finstern Wald nannten.

Da lag er schier Tag und Nacht im Gebet vor dem Muttergottesbilde, das ihm die fromme Äbtissin Hildegard von Zürich, die eine Königstochter war, hatte zutragen lassen. Um seine Hütte herum spielten seine zwei Raben. Und wenn nachts der Föhn von den Bergen kam und der Urwald um ihn herum krachte und Bären und Wölfe und ein greulicher Spuk von höllischen Geistern um sein Hüttlein tobte und heulte, fürchtete er sich doch nicht, denn die Engel eilten zu seiner Hilfe herbei und trösteten ihn.

Nach und nach, als er viele Jahre in der Wildnis gelebt hatte, wallfahrteten doch wieder die Leute zu ihm, die von seinem heiligmäßigen Leben gehört hatten. Einst aber schlichen sich heimlich zwei Räuber durch den Wald, die in der Hütte des Einsiedlers Schätze zu finden hofften. Doch er hatte sie im Geist schon nahen sehen.

Wie sie nun in seine Hütte kamen, war er gar freundlich mit ihnen und bewirtete sie, so gut er vermochte. Aber auf einmal überfielen ihn die zwei Räuber und schlugen ihn mit ihren Keulen tot. Sie erschraken aber doch schier, als nun die zwei Raben St. Meinrads wie wild krächzten und um sie herumflatterten. Als sie aber die Kerze zu seinen Füßen anzünden wollten, wie er’s gewünscht hatte, brannte die von selber.

Jetzt packte sie ein großer Schrecken. Sie erkannten, daß sie einen Heiligen ermordet hatten, und flohen durch die dichten Wälder davon, Stunden und Stunden weit. Aber hoch über den Riesentannen flatterten ihnen die Raben immer nach. Endlich sahen sie die Stadt Zürich. Dort glaubten sie sich nun wohlgeborgen. Sie gingen in eine Wirtschaft und wollten wegen ihrer Angst schon zu lachen anfangen, da schoß plötzlich das treue Rabenpaar durchs offene Fenster auf die Mörder los, und das bedünkte die andern Gäste gar seltsam. Sie nahmen die beiden Räuber fest, und siehe, bald erkannte man in den zwei Raben die Raben des Heiligen im finstern Walde. Die Mörder gestanden ihre Untat und mußten darnach auf dem Rade sterben.

Den heiligen Meinrad aber begrub man in der Wildnis, wo später das Kloster Maria Einsiedeln gebaut wurde.

Sein Herz jedoch wollte man ins Kloster Reichenau im Bodensee bringen, wo der Heilige einst Klosterherr gewesen war. Als man aber mit dem Herzen an der Kapelle auf dem Etzelberge vorbeifahren wollte, brachte man den Wagen so lange nicht weiter, bis man das Herz des heiligen Einsiedlers in der dortigen kleinen Kapelle beigesetzt hatte. Denn gar zu gerne war er früher vor der Kapelle gesessen und hatte von seinem Berge aus auf den blauen See und die schöne Welt hinuntergeträumt.

Die zwei treuen Raben St. Meinrads aber fliegen heute noch im Fähnlein der schwyzerischen Waldleute von Einsiedeln.

Die Wasserfrauen in der Troglosen

Es war nach Maria Himmelfahrt, als ein Bauernbüblein aus dem Dorfe Einsiedeln im Kanton Schwyz hinausging, um den Heimweg nach seinem abgelegenen Dörflein Untersyten anzutreten. Es hatte dem Ankenbabeli in der Schmiedgasse eine große Butterballe gebracht. Dafür trug es jetzt auf seiner Traggabel allerlei Eßwaren, die sorgfältig in ein Bündel gebunden waren.

Als der Brandeggtöneli, so hieß der Kleine, auf die einsamen und weiten Weiden des Waldwegs kam, wurde er schläfrig, und die Last auf seinem Rücken drückte ihn immer mehr. Da war es seltsam. Obwohl es Hochsommer war, stieg auf einmal ein Nebel aus dem Tale der Troglosen herauf und hüllte alles ein, so dass der Brandeggtöneli Weg und Steg nicht mehr recht zu sehen vermochte. Eine Zeitlang lief er ruhig auf dem Weg weiter, den er sicher unter den Füßen fühlte und der ihn schon ins Dörflein leiten würde.

Da war ihm, als höre er neben sich im Nebel ein Flügelschlagen und ein Seufzen. Verwundert schaute er nach allen Seiten, sah aber nichts. Kaum war er wieder ein paar Schritte gelaufen, hörte er das Flügelrauschen hart hinter sich, und als er sich erschrocken umsah, hörte er’s neben und dann über und dann vor sich, also daß er sich erschrocken ringsum drehte. Und nun wußte er auf einmal nicht mehr, wo vorne und wo hinten war und nach welcher Richtung er gehen müsse, um heimzukommen. Das hatte ihm ja wohl der Vogel Huppert angetan, der auf dem Waldweg spukte.

Voll Angst und Betrübnis setzte sich Töneli auf das Grabenbord neben den Weg, um zu warten, bis sich der Nebel verziehe. Dabei schaute er sich immer ängstlich um, ob nicht der Vogel Huppert irgendwo aus dem Nebel auftauche und ihm ins Haar fahre. Als aber der Nebel gar nicht weichen wollte, fing er erbärmlich zu weinen an.

Plötzlich war ihm, als höre er nicht weit weg ein Lachen, es war ihm gar, es sei seines Vaters Stimme, die lache. Erfreut und wie erlöst sprang er mit seiner schweren Last auf und eilte in den Nebel hinein, doch er fand niemand. Wie er aber genauer zusah, gewahrte er etwas Dunkles im Nebel. Er lief rasch darauf zu. Da war ja wohl eine alte Frau, die, am Boden kniend, ihren Mooskartoffelacker jätete. Es war aber nur eine Erlenstaude, als er dabeistand. Doch schon erblickte er wieder etwas im Nebel. Das mußte ganz sicher ein Mann sein, der das Feld aufhackte. Er machte sich rasch auf den Schatten zu, und da stand er vor einer verkrümmten und verwitterten Torfwurzel. Und nun fiel es ihm ein: Wo war jetzt der Heimweg? Umsonst lief er im Nebel herum, er fand ihn nicht wieder. Plärrend rief er nach der Mutter. Es kam ihm aber keinerlei Echo. Aber immer nasser wurde der Boden. Und auf einmal jagte ihn ein Seufzer hart unter seinen Füßen weiter und immer weiter. Endlich konnte er nicht mehr. Müde fiel er in die Knie, streifte die Traggabel ab und legte sich bäuchlings ins weiße, feine Wollgras. Weinend verbarg er das Gesicht in den Händen.

Als er nach einer Weile wieder aufsah, die Augen voll Tränen, war ihm, er müsse grad umkommen vor Schrecken: ein schneetaubenweißes Gesicht mit grasgrünen Augen sah ihn lächelnd, gerade wie er auf die Ellbogen gestützt, aus ein paar Erlenstauden hervor an. Er wollte auf und davon. Doch vor Entsetzen konnte er kein Glied bewegen. Das war ja wohl eine Troglosenwasserfrau. Also war er im dichten Nebel in die Sümpfe der Troglosen geraten. Er verbarg das Gesicht im Wollgras.

Da war ihm, als höre er ein seltsames, trauriges Singen, und es wollte ihn bedünken, eine weiche Hand streiche ihm über den Flachsschopf, und auf einmal hörte er eine Stimme, die sagte: »Büblein, heute ist der Tag, der sich nur alle hundert Jahre wiederholt, an dem wir erlöst werden können. Wenn du uns erlösest, so wollen wir dich reich und glücklich machen. Du mußt aber die Wasserrose abreißen, in deren Wurzel unsere Seelen bis zum Jüngsten Tage eingeschlossen sind. Wenn es dir gelingt, sie zu bekommen, so verwandelt sie sich in deiner Hand in reines Gold, und du wirst schöner singen können, als es jemals ein Mensch gekonnt hat.«

Jetzt hörte er wieder das Flügelrauschen über sich, und wie er aufsah, erblickte er in einer Staude ob sich einen seltsamen Vogel, sah fast aus wie ein Uhu. Aber vor ihm war der Nebel etwas gewichen, und da sah er zu seiner Verwunderung, daß er an Bord der Troglosensihl gelegen hatte und daß hart vor ihm die unheimlichen stillen Wasser des Flüßleins dahinzogen. Die Wasserfrauen aber waren spurlos verschwunden. Nur eine Armslänge von ihm weg schaukelte sich in der Flut eine wunderschöne Wasserrose.