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Vorarlberg, das westlichste Bundesland Österreichs, hat mehr zu bieten als Bodensee, Berge und Wintersport. Neben mittelalterlichen Städten wie Feldkirch zeigt es auch düstere Seiten: Verfallene Bauernhäuser, geschlossene Bäder, gesperrte Lifte und Industrieruinen prägen das Bild. Raubritter, Amokläufer und Exorzisten schrieben dunkle Kapitel, und sogar ein weltberühmter Verbrecher stammt aus dem Ländle. Vorarlberg, wie man es so noch nicht kennt!
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Seitenzahl: 196
Veröffentlichungsjahr: 2025
Die frühere »Lufteisenbahn« ist heute tatsächlich Luft (Kapitel 3).
Benedikt Grimmler
33 vergessene, verlassene und unheimliche Orte
Kapitel 20 – Nächster Halt: Mure
Kapitel 10 – Auf Durchzug gestellt
Kapitel 27 – Gekürzte Abkürzung
Einleitung
Verhaltensregeln für Lost Places
33 LOST & DARK PLACES
1Vergessene Pfade
Der Lorenapass bei Alberschwende
2Kein Geld zum Liftenlassen
Lifte am Brüggelekopf und Hirschberg
3Ganz schön gerissen
Die Seilfähre Andelsbuch
4Zwingburg der Bayern
Die Fronfeste Bezau
5Weißer Tod
Der Lawinenwinter 1954 im Großen Walsertal
6Lynchmord am Landesverräter?
Kloster St. Peter Bludenz
7Ausgeatmet
Die Lungenheilstätte Gaisbühel
8Die überwucherte Unbekannte
Schloss Jordan bei Bludesch
9Teufelsaustreibungen im Klostertal
Johann Josef Gaßner aus Braz
10Auf Durchzug gestellt
Die Arlbergbahn im Klostertal
11Der entfernte Gallenstein
Gallensteinkirche und Gallusstift in Bregenz
12Blutiges Gemetzel am Pfänder
Der Klausturm und die Neue Schanze bei Bregenz
13Zimmer frei
Gaststätten und Hotels in Bregenz
14Die Kirche im Dorf gelassen
Die Wüstungen Bürstegg und Hochkrumbach
15Das Bad des Dr. Mabuse
Diezlings bei Hörbranz
16Elende Beförderung dummer Leute?
Die Straßenbahn Dornbirn–Lustenau
17Hier spinnt keiner mehr
Das Gütle in Dornbirn
18Das Raubritternest
Die Ruine Ruggburg
19Nichts zu verzollen
Die Zollgebäude in Hohenweiler und Langen bei Bregenz
20Nächster Halt: Mure
Die Bregenzerwaldbahn
21Heilung gesucht
Das Rossbad bei Krumbach
22Der Holzwurm droht
Höfe im Bregenzerwald
23Blutige Belagerung
Der Amoklauf von Lauterach
24Gäste und Gewehre
Rhomberg-Kaserne und Strandhotel Lochau
25Das bedrohte Rheinbähnle
Das Netz der IRR-Bahn
26Abschied für immer
Das Walserdorf Nenzingerberg
27Gekürzte Abkürzung
Die Bahn Tschagguns–Partenen–Vermunt
28Der Stern geht unter
Die Sternbräu Rankweil
29Knieweiche Steine
Rankweil und St. Arbogast
30Die letzten Gäste
Das Hotel Mohnenfluh in Schröcken
31Schwarz und Weiß
Bergbau in St. Anton und Stollen
32Mysterium im Montafon
Ruine Valcastiel
33Kopflose Verwirrung
Eusebius von Viktorsberg
Register
Impressum
Kapitel 17 – Hier spinnt keiner mehr.
Kapitel 31 – Schwarz und Weiß
Eine Burgruine im Wald?Nein – Überbleibsel des alten Rossbades (Kapitel 21)
Auf dem Kristberg hoch oben im Silbertal steht die Agathakapelle, ein prächtig ausgestatteter spätgotischer, recht eigentümlicher Bau, der auf die erfolgreichen Zeiten des mittelalterlichen Bergbaues im Montafon (siehe 31) zurückgeht. Von dort aus erreicht man, weit weniger bekannt und besucht, im Wald auf dem Kristbergsattel überwucherte Mauerreste, die spärlichen Überbleibsel einer Einsiedelei. In der Zeit um 1500 hatte sich hierher in die Waldeinsamkeit ein gewisser Joss Erhard zurückgezogen, um ein beschauliches religiöses Leben zu führen. Ganz so einsam wie heute war es dort oben in jenen Tagen allerdings nicht, denn nicht nur waren in der Nähe ja die Bergleute zugange, zugleich bestand ein wichtiger Verbindungsweg zwischen dem Silber- und dem Klostertal, der unweit der Klause vorbeiführte. Der Eremit war auch durchaus aktiv, etwa bei der Gründung einer Dreifaltigkeits-Bruderschaft – wobei übrigens auch seine Frau erwähnt wird, die offenkundig nicht bei ihm lebte. Joss Erhard starb und wurde vergessen, seine Klause verfiel. Erst viel später, im 19. Jahrhundert, erinnert man sich an die Reste im Wald und den Einsiedler; eine kleine Kapelle markiert nun das verfallene Bruderhüsli.
Zweierlei an dieser Geschichte ist typisch für Vorarlberg, das »Ländle« ganz im Westen Österreichs mit seinen speziellen Eigenarten: eine geheimnisvolle Ruine im Wald, im Nichts auf der Höhe, und ein etwas seltsamer Heiliger, der trotz Familie allein in einer kargen Behausung lebt. Das Bruderhüsli unterscheidet sich damit allerdings durchaus von anderen mysteriösen Stätten, denn immerhin ist seine Funktion klar. Das gilt für andere Ruinen nicht unbedingt, im Gegenteil: War das Bergkastell Stellfeder wirklich eine römische Festung (siehe 26)? Und kann das ewige Rätsel um die Ruine Valcastiel (siehe 32) irgendwann gelöst werden?
Und da sind diese Heiligen. Vorarlberg ist bekannt als von der Religion geprägte Region, Bücher à la »100 Heilige aus Vorarlberg« lassen sich finden, und tatsächlich haben sich seit frühesten christlichen Zeiten allerhand Menschen im Land getummelt, die – anders als Joss Erhard – den offiziellen Status der Heiligkeit erreicht haben. Und nicht selten haben sie ihre etwas kuriosen Spuren hinterlassen. Einer der ganz großen, Sankt Gallus, hat sich hier auf einen Stein gelegt und prompt buchstäblich einen tiefen Eindruck hinterlassen – der später zerstört wurde (siehe 11). Mehr Glück hatten die Felsen, auf denen Fridolin und Arbogast knieten, sie sind, mitsamt Abdrücken, noch vorhanden (siehe 29). Glück hatte der heilige Eusebius wiederum nicht, Bauern schlugen ihm den Kopf ab, Eusebius trug ihn trotzdem noch hoch auf den Viktorsberg (siehe 33).
Nicht alle waren also nett im Ländle, und schon gar nicht heilig. Landammänner und andere Obrigkeiten fielen Meuchelmorden zum Opfer (siehe 6), Bürger liefen plötzlich Amok (siehe 23), Pfarrer versuchten sich als Exorzisten (siehe 9) und raffinierte Raubritter versteckten sich auf ihren Felsburgen (siehe 18). Und einer der größten Menschheitsverbrecher überhaupt stammt ausgerechnet aus einem kleinen Mineralbad im Leiblachtal (siehe 15).
Als Gebirgsregion hat Vorarlberg auch viele für solch eine Landschaft typische Lost Places aufzuweisen: ganz aufgegebene Dörfer (siehe 14 und 26), unbewohnte Bauernhöfe (siehe 22), eingestellte Lifte (siehe 2) und Bahnen (20 und 27). Schlimme Erinnerungen hinterließ der Lawinenwinter 1954, eine der größten Naturkatastrophen des 20. Jahrhunderts in Österreich, der zahlreiche Menschenleben kostete und für enorme Verwüstungen in vielen Tälern sorgte (siehe 5).
Fahrrad statt Lokomotive: Bahnbrücke bei Egg (Kapitel 20)
Der Tourismus verbindet Berg und Tal, doch nicht jede Unternehmung ist von Erfolg gekrönt und so stehen Hotels und Gaststätten (siehe 13 und 30) auch mal leer. Selbst von den sehr vielen Bädern mit ihren natürlichen Quellen, die sich über das ganze Land verteilten, blieben nur wenige bis heute in Betrieb, so manche mussten erst vor Kurzem aufgeben (siehe 15 und 21). Eher unfreiwillig suchten die Gäste der Lungenheilstätte Gaisbühel Erholung (siehe 7), ihr Schicksal war eher trüber Natur, doch die Anstalt ist mittlerweile geschlossen und sucht nach einer Neuverwendung.
Ähnlich geht es so manchem Industriebau im dicht besiedelten Rheintal. Das Gütle bei Dornbirn (siehe 17) war eines der Textilzentren Österreichs, in Rankweil trank man gern Bier beim Sternbräu (siehe 28) und am Pfänder war ein echtes kleines Kohlerevier entstanden (siehe 31), doch man muss oft auf Spurensuche gehen, um die Überbleibsel dieser Unternehmungen zu entdecken. Mit der Straßenbahn nach Dornbirn kann man leider auch nicht mehr fahren (siehe 16) und das Ende der wenigstens als Museumszügle noch vorhandenen Rhein-Regulierungs-Bahn (siehe 25) könnte auch bald gekommen sein.
Vorarlberg mit seiner Landeshauptstadt Bregenz hat also vieles zu bieten – und zwar abseits des Üblichen. Festspiele und Heumilchkäse, Schubertiade und Pfänderbahn sind natürlich auch recht schön, aber kopflose Heilige, mysteriöse Felsenruinen und reuige Amokläufer sowie verfallene Bauernhöfe, verlassene Dörfer und leerstehende Hotels versprechen ganz andere, abseitigere Erfahrungen, die das Bild vom harmlosen Ländle überdenken lassen. Begeben wir uns also mit dem ersten Kapitel auf eine verschwundene Passstraße …
Antiker »Lost Place«:Römische Villa bei Brederis (Kapitel 33)
Jedes Bauwerk und jedes Gebäude erzählt eine Geschichte aus vergangenen Tagen. Dies gilt es zu schützen. Und auch wenn es nicht immer so aussieht, hat jeder Lost Place einen Eigentümer. Dies ist zu respektieren und Zuwiderhandlungen können ernsthafte rechtliche Konsequenzen haben. Betreten Sie keine Gebäude oder Grundstücke unbefugt, zerstören oder beschädigen Sie nichts, öffnen Sie nichts gewaltsam. Sind Fenster oder Türen verschlossen, soll das auch so bleiben. Dieses Buch ist so konzipiert, dass Sie viele der Orte frei oder auf Nachfrage betreten dürfen (Burgruinen etc.) oder, falls dies nicht offiziell erlaubt ist, die Orte auch »mit Abstand« erfahren und genießen können.
Wenn Sie etwas von einem Lost Place mitnehmen, und sei es noch so klein, ist es Diebstahl. Wie bereits in Punkt 1 gesagt, alle diese Orte haben einen Eigentümer. Daher gilt die Regel: Alles bleibt, wie es ist. Belassen Sie es bei den schönen Einblicken und Fotos, die Sie an dem Ort machen.
Das bedeutet auch: Lassen Sie nichts zurück, keine Essensreste, keine Kaugummis, keine Zigarettenkippen..
Im Wald und unter Moos versteckt: Ruine beim Rossbad (Kapitel 21)
Das bringt uns zum nächsten Punkt: Rauchen verboten. Zollen Sie dem ehrwürdigen Ort Respekt und verzichten Sie für die Zeit, die Sie da sind, aufs Rauchen. Zigarettenkippen brauchen nicht nur 15 Jahre zum Verrotten (sie sollten übrigens nirgends achtlos weggeworfen werden), sondern können schnell ein verheerendes Feuer verursachen.
Dass Sie nichts hinterlassen sollen, gilt auch für »Kunstwerke« an den Wänden. Lassen Sie Wände und Mauern, wie sie sind. Auch die Menschen nach Ihnen sollen den Ort so erleben können, wie er früher einmal war.
Besonders wichtig: Vorsicht ist besser als Nachsicht. Das gilt vor allem bei Lost Places. Brüchige Mauern, frühere Keller, herumliegende Überreste oder auch Müll, aber auch natürliche Gegebenheiten (Bodenlöcher, Höhlen) bergen einige Gefahren. Zudem liegen manche der Objekte recht einsam. Deshalb ist es ratsam, immer mindestens zu zweit, besser noch zu dritt einen Lost Place zu besuchen. Da gilt die alte Regel: Ist eine Person verletzt, bleibt die zweite vor Ort und die dritte holt Hilfe. Zudem weiß man nie, wen man vor Ort trifft. Plünderer, Spinner oder Betrunkene sind auch oft rund um Lost Places anzutreffen. Da ist es beruhigender, nicht allein unterwegs zu sein.
Schier endlose Stufen an der alten Vermuntbahn (Kapitel 27)
Auch eine Art Hofteilung: Verlassenes Wälderhaus (Kapitel 22)
Der Lorenapass bei Alberschwende
Obwohl ihn einst die drei seligen Geschwister Merbod, Diedo und Ilga benutzt haben sollen und er über Jahrhunderte der älteste und wichtigste Zugang in den Bregenzerwald war, sind vom Lorenapass heute nur wenige Spuren vorhanden.
Alberschwende, Bezirk Bregenz; Schwarzenberg, Bezirk Bregenz Ort Lorena/Greban, 6861 Alberschwende GPS 47.434042, 9.843497 Anfahrt Bahnhof Bregenz (Railjet Bregenz–Wien, REX Lindau–Schruns), weiter mit Bus 830 oder 840; A14, Ausfahrt Dornbirn-Nord
Drei Quellen verdanken wir den seligen Geschwistern, so die Legende. Hier der Brunnen auf der Lorena.
ABGESCHLOSSEN – Dass ausgerechnet der Lorenapass in die Bedeutungslosigkeit versinken würde, könnte man fast als historische Ungerechtigkeit betrachten. Über Jahrhunderte der bedeutendste Zugang in den Bregenzerwald überhaupt, womöglich schon von den Kelten angelegt und von den Römern weitergenutzt, hat er heute nicht einmal mehr den Status eines Wanderweges – jedenfalls nicht der historische Verlauf. Alle anderen Wege in die abgeschlossene und schwer erreichbare Talschaft, die erst ab dem Jahr 1000 stärker besiedelt wurde, haben moderne Nachfolger gefunden. Bis zu dieser Jahrtausendwende diente die Region rund um die Bregenzer Ach hauptsächlich als Jagdgebiet, aber selbst nachdem dort Dörfer und Siedlungen entstanden waren, gab es nur Saumpfade, keine Straßen, um dorthin zu gelangen – und dies bis ins späte 18. Jahrhundert. Wer, für gewöhnlich vom Rheintal aus, in den Bregenzerwald wollte, der hatte nicht allzu viele Möglichkeiten. Der Losenpass etwa führte nach Schwarzenberg, nach dem Bau einer Feriensiedlung oberhalb des Ortes durch einen der Inhaber der F.-M.-Hämmerle-Werke in Dornbirn (siehe 17) am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dieser als Bödele mitsamt der entsprechenden Zugangsstraße als Ausflugsziel beliebt. Die spätere Hochtannbergstraße, erst 1954 vollendet, geht auf die alte Salzstraße zurück (siehe 14), die hier über den Hochtannbergpass führte. Das Furkajoch – nicht zu verwechseln mit dem Schweizer Furkapass – war nur unbedeutend, doch selbst dieses wurde später zu einer kleinen Landstraße ausgebaut. Das Faschinajoch – Großes Walsertal und den Bregenzerwald verbindend und im Mittelalter bereits erwähnt – ist viel befahren und selbst der Pfad, der einst von Bregenz kommend die Dörfer des nördlichsten Vorderwaldes von Langen bis Doren verband, wurde unter Kaiser Maria Theresia im 18. Jahrhundert zur Straße ausgebaut. Nur die Lorena verschwand aus den Karten und letztlich auch aus der Landschaft.
Der Abstieg nach Schwarzenberg ist urig – und feucht.
HOCH HINAUS – Und das nicht ganz ohne Grund. Ausgangspunkt für den Weg war naturgemäß die auch für die ganze Region namensgebende Stadt Bregenz. Bei Wolfurt überquerte man die Bregenzer Ach, anfangs wohl nur mit Hilfe einer Furt. Dann begann die Steigung. Über Bildstein und Farnach kam man schließlich in das Zentrum von Alberschwende, die Parzelle Hof rund um die Kirche. Nach diesem Flachstück erfolgte nun der zweite Teil des Anstiegs, über Greban hoch auf die Lorena mit ihrer Passhöhe von 1050 Metern. Anschließend führte der Weg hinab nach Schwarzenberg, einem wichtigen Knotenpunkt von Wegen (siehe 13). Der Lorenaweg hatte Vor- und Nachteile. Sein Vorteil: Er war vergleichsweise gut ausgebaut. Ob dies nun tatsächlich bereits auf die Kelten und Römer zurückgeht, ist historisch nicht belegt, im 6. Jahrhundert aber dürfte der Zugang bereits bestanden haben. Und da war er auch buchstäblich »belegt«: mit Steinplatten, von denen wenige Fragmente noch immer sichtbar sind. Selbst der Name, Lorena – rätoromanischen Ursprungs –, soll genau dies bedeuten: Weg aus Steinplatten. Das war ein gewisser Luxus gegenüber anderen Saumpfaden, doch die alten Wege der Säumer hatten zugleich einen bedeutenden, immer schwerer wiegenden Nachteil: Sie kümmerten sich wenig um die Geografie. Wer nur zu Fuß oder mit einem gebirgstauglichen Lasttier an der Hand unterwegs war, der suchte den möglichst kürzesten, direkten Weg. Und so führte der Pfad über die Lorena von Alberschwende aus mehr oder weniger geradeaus und somit steil bergan. Keine Serpentinen, keine großen Kurven, keine flacheren Abschnitte. Für Menschen, die zunehmend mit Wägen und Kutschen unterwegs waren, nicht mehr zu bewältigen. Und so gelangte die einst so wichtige Verbindung im wahrsten Sinne des Wortes immer mehr ins Abseits. Noch im Spätmittelalter wurde eine Umgehung angelegt, die im Tal um den Brüggelekopf herum zwischen Egg und Schwarzenberg endete, später wurde diese – mit etwas anderer Trassenführung – ebenfalls in den Zeiten Maria Theresias als Straße ausgebaut, die schließlich noch weiter in den Hinteren Bregenzerwald führte. Da hatte der Lorenapass längst ausgedient.
Erinnerung an das dunkle Kapitel der »Schwabenkinder«.
DIE DREI SELIGEN – Für die Bregenzerwälder hat die Lorena aber noch eine zweite große Bedeutung, denn nicht nur Säumer und Händler machten sich hier auf den Weg, sondern auch Missionare. Die drei Geschwister Ilga, Diedo und Merbod, die der Überlieferung nach aus dem Geschlecht der Bregenzer Grafen stammten, nahmen hier um 1100 auf der Lorena Abschied voneinander, um jeweils für sich einen Platz im Wald zu wählen. Ilga ging nach Schwarzenberg, Diedo nach Andelsbuch und Merbod, geweihter Priester, zurück nach Alberschwende. Dort diente er als Ortspfarrer, bis er im März 1120 erschlagen wurde. Die »drei seligen Geschwister« genossen in der Region hohe Verehrung, obwohl ihre historischen Spuren, vorsichtig ausgedrückt, nur sehr dünn überliefert sind. Einzig Merbod kann als durch Belege gesicherte Persönlichkeit gelten. In der Alberschwender Wendelinkapelle, die wesentlich besser als Merbodkapelle bekannt ist, einem großzügigen Barockbau, liegt der selige von den Vorfahren gemeuchelte Priester und verspricht den Gläubigen Heilung, vor allem für ihre Kinder. Da er allerdings nie offiziell heiliggesprochen wurde, ist das Gotteshaus, das Vorgänger bis ins Jahr 1150 (also kurz nach Merbods Tod) besitzt, dem heiligen Wendelin geweiht. Den drei Seligen ist es wohl auch zu verdanken, dass die Lorena nicht völlig in Vergessenheit geraten ist. Einen geteerten Güterweg über den Pass gibt es seit den späten 1950er Jahren, mit dem einstigen Verlauf des historischen Weges hat er allerdings wenig gemein. Hin und wieder kreuzt er dessen einstige gerade Trasse, während er sich selbst, ganz typisch, in großen Kurven den Berg hochschlängelt. Nur wer die Augen offenhält, kann dann beim Hochsteigen die spärlichen Überbleibsel der früheren »Hauptstraße« in den Bregenzerwald noch bemerken.
Die Parzelle Greban kurz vor dem Scheitelpunkt des Passes
Nachdem Ilga ihre Brüder am Lorenapass verlassen hatte, lässt sich ihr Weg zurück zu ihrer Einsiedelei recht gut rekonstruieren. Denn bevor sie ging, schöpfte sie mit ihrer Schürze Wasser aus der soeben entstandenen Quelle, um dieses nach Hause zu tragen. Kein leichtes Unterfangen auf einem steinigen Gebirgsweg mit viel Auf und Ab, wie man sich denken kann. Und so schwappte ihr, nachdem sie am Oberen Gaißkopf gestolpert wart, ein Gutteil davon aus ihrem Gewand. An ihrer Eremitage angekommen, goss sie den Rest dort zu Boden. So entstanden zwei weitere Quellen, beide heute als Brunnen gefasst. Heilkraft wird allerdings heute hauptsächlich nur noch der Ilga-Quelle nahe der gleichnamigen Kapelle bei ihrer einstigen Klause oberhalb von Schwarzenberg nachgesagt.
Lifte am Brüggelekopf und Hirschberg
In einer Bergregion gibt es immer auch Seilbahnen. In der Nachkriegszeit boomte das Geschäft, doch seit der Jahrtausendwende haben besonders die niedrigeren Skigebiete große Probleme.
Zwei Beispiele aus dem Bregenzerwald.
Alberschwende, Bezirk Bregenz Ort Bühel 705, 6861 Alberschwende GPS 47.450431, 9.838456 Anfahrt Bahnhof Bregenz (Railjet Bregenz–Wien, REX Lindau–Schruns), weiter mit Bus 830 oder 840; A14, Ausfahrt Dornbirn-Nord
Bizau, Bezirk Bregenz Ort Hütten 188, 6874 Bizau GPS 47.368704, 9.948500 Anfahrt Bahnhof Bregenz (Railjet Bregenz–Wien, REX Lindau–Schruns), mit Bus 830 oder 840 nach Bezau, weiter mit Bus 833; A14, Ausfahrt Dornbirn-Nord, weiter auf L200 bis Reuthe
Bitte nicht aufsteigen!Der Brüggelekopflift in Alberschwende steht still.
BOOM AM BRÜGGELEKOPF – Legendäre Missionare und Überquerer des Lorenapasses (siehe 1) gehörten zwar der Vergangenheit an, doch ab Mitte des 20. Jahrhunderts stürmte eine ganz neue Klientel die Hänge des Alberschwender Hausberges Brüggelekopf: Wintersportbegeisterte. Einmal mehr war es die günstige Lage des Ortes am Eingang des Bregenzerwaldes, die ihm einen Vorteil verschaffte. Erste zaghafte Versuche, sich als Wintersportort zu etablieren, gab es bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, die in den 1950er Jahren auf private Initiative hin mit ersten Kleinliften wieder aufgenommen wurden. Dann begann, in Alberschwende wie im ganzen Bundesland, die große Zeit des rasanten Ausbaues der Skilifte, Seilbahnen und Bergerschließungen für Freizeitsportler. In den 1960er und 1970er Jahren nahm die Anzahl der Liftanlagen geradezu exponentiell zu, mit von der Partie war auch das Tor zum Bregenzerwald. 1963 eröffnete der Tannerberglift – und der nutzte die erwähnten Vorteile Alberschwendes gleich aus. Denn hierher war die Anreise kurz, wem aus den Städten des Rheintals oder vom deutschen Nordufer des Bodensees nach einer Skipiste verlangte, der musste somit nicht weit fahren. Am Tannerberglift hatte man zudem ein weiteres Potenzial erkannt: Ab 1965 wurden Nachtskiläufe für Berufstätige angeboten. Als Bregenzer oder Dornbirner abends nach Feierabend noch eine schnelle Abfahrt auf Schnee? Alberschwende machte es möglich. Noch einmal deutlich besser wurden die Möglichkeiten mit dem Bau des Brüggelekopfliftes 1967. Der Berg selbst nimmt zwar eine markante Position über dem Dorf ein, hat aber an sich nur gut 1182 Höhenmeter zu bieten. In jenen Tagen war das allerdings noch kein Problem, die Hänge zwischen der Talstation auf 740 Meter und dem Liftende auf 1166 waren verlässlich schneesicher. Gemütlich transportierte die Bahn ihre Gäste knapp einen halben Kilometer hoch bis unterhalb des Gipfels.
RETTUNGSVERSUCH: KUNSTSCHNEE – Die in Dornbirn geborene und in Alberschwende lebende Schriftstellerin Irmgard Kramer beschreibt den Brüggelekopflift ihrer Kindertage geradezu liebevoll: »Für mich gab es nichts Schöneres als diesen Sessellift. Ich zählte und schaute, schaute und zählte. Die Sessel waren rot, blau, grün, rot, blau grün, immer wiederkehrend.« Später, als Erwachsene und nun Einwohnerin des Dorfes, hat er für sie noch immer nichts von seiner Faszination verloren: »Im Sommer und im Winter fahre ich dort oft allein. […] Kein Tourist will zwanzig Minuten in der Kälte schlottern. Ich aber liebe die Stille, wenn der Sessel durch die verschneiten Bäume gleitet und die leere Piste, falls Schnee liegt.« Doch der nostalgische Blick verrät bereits einiges über die Schwierigkeiten des Liftbetriebes. Mit den 1980er Jahren hatte der Boom geendet. Es war nicht so, dass ab da Lifte verschwanden, aber es kamen kaum mehr neue hinzu. Stattdessen wurde nachgerüstet, aufgerüstet oder abgerissen und neu gebaut. Nicht so am Brüggelekopf. Was für Irmgard Kramer Charme war und für manche Liebhaber früherer Lifttechnik eine liebenswerte Erinnerung an einstige Ingenieurskunst, galt anderen einfach nur als überholt und veraltet. Andererseits war dies vermutlich für viele trotzdem erst einmal nur zweitrangig: Hauptsache, es ging auf Skiern runter ins Tal. Doch der Nachsatz Kramers, »falls Schnee liegt«, kam natürlich nicht von ungefähr. Die lediglich 740 Meter Höhe an der Talstation waren längst viel zu niedrig für schneesichere Wintermonate, die nicht einmal der Brüggelekopf oben garantieren konnte. Die Rettung sollte künstliche Beschneiung bringen, die seit 2002 praktiziert wurde. Doch sie zögerte das Ende nur hinaus. Im Januar 2018 war am Brüggelekopf endgültig Schluss. Der Abbau eines Großteils der Liftanlagen ging schnell, schon im folgenden Herbst war er weitgehend verschwunden. Wie beliebt die berühmten bunten Liftsessel über die Region hinaus waren, verdeutlichte eine Anfrage aus der Hauptstadt: Das Historische Museum Wien erbat sich zwei Exemplare für seine Ausstellung.
RETTUNGSVERSUCH: SOMMER – In die Hochzeit des Liftbaues fiel 1970 auch die Errichtung der Hirschbergbahn und einiger weiterer Lifte zur Erschließung des Hausberges von Bizau. Hier, hinten im Tal inmitten des Bregenzerwaldes, lag die Talstation der Hauptbahn auf gut 800 und führte hinauf auf 1436 Meter. Die Ausweisung des neuen Skigebietes schlug richtig ein. Der internationale Skisportverband FIS adelte die Abfahrt durch die Vergabe von Europacuprennen, der österreichische Skiverband ließ hier nationale Meisterschaften austragen. Solche Auszeichnungen lockten naturgemäß erst recht viele Freizeitsportler an, die sich auf Strecken messen lassen wollten, die auch von den Profis genutzt wurden. Doch der Höhepunkt, auf den am Hirschberg alle hingefiebert hatten, nachdem die FIS hier sogar ein Weltcuprennen der Frauen veranstalten wollte, erwies sich als Menetekel: Das Großereignis musste abgesagt werden, es gab zu wenig Schnee. Wie in Alberschwende war ein Skigebiet auf solch geringer Höhe durch den Klimawandel auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt. Das war äußerst bitter für Bizau, aber man hatte noch einen gar nicht so kleinen Trumpf in der Hinterhand. Einst war nämlich mit den Liften auch eine Sommerrodelbahn errichtet worden, eine sehr, sehr lange Sommerrodelbahn, die längste in Österreich. Und diese überlebte die dahinschmelzenden Wintersportabfahrten, weshalb auch einige Liftanlagen für die Sommergäste – und in stark reduzierter Form im Winter für die Bizauer Kinder – weiterbetrieben wurden. Das Aus kam dann 2012 von unerwarteter Seite. Die Betreiber der Lifte und der Rodelbahn gingen überraschend in Konkurs. Die Rodelbahn machte im Sommer erst gar nicht mehr auf, am Ende des Jahres war sie verschwunden. Die Gasthäuser an der Tal- und Bergstation waren geschlossen, der letzte verbliebene kleine Winterlift stellte zum Jahresende vorerst den Betrieb ein. Am Hirschberg sind nach über vierzig Jahren nur noch wenig Spuren der einstigen Bizauer großen Winter- und Sommerattraktionen geblieben.
Der Talstation in Alberschwende halfen auch die Schneekanonen nicht mehr.
Auch der letzte Lift am Bizauer Hirschberg musste aufgeben.
Ein ganz neues Eigenleben hat das frühere Kassenhäuschen des Alberschwender Brüggelekopfliftes entwickelt. Nach Außerdienststellung haben sich die Drittklässler der örtlichen Grundschule des verwaisten Hüttchens angenommen und es als Abschlussprojekt 2018 mit Hilfe des örtlichen Bauhofes und einheimischer Handwerksbetriebe mit viel Fleiß und Spaß renoviert und umgebaut. Als mobiles Hotelzimmer – klein, aber gemütlich – hofft es nun auf eine neue Zukunft als Miniunterkunft.
Die Seilfähre Andelsbuch
Sie waren einst eine Weltinnovation: die Seilfähren zur Überquerung der Bregenzer Ach bei Andelsbuch. Für die einen pure Notwendigkeit, für die anderen idyllische Wildromantik, verrichtete das nicht ganz ungefährliche Gefährt bis 1962 seinen Dienst.
Andelsbuch, Bezirk Bregenz Ort Parzelle Ach, 6866 Andelsbuch GPS 47.411703, 9.878566 Anfahrt Bahnhof Bregenz (Railjet Bregenz–Wien, REX Lindau–Schruns), weiter mit Bus 840; A14, Ausfahrt Dornbirn-Nord, weiter auf L200
Das rekonstruierte Fährhäuschen auf der Andelsbucher Seite
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