17,99 €
Die Region Nordbaden reicht vom fränkischen Taubertal über den nördlichen Schwarzwald bis in die Rheinebene zwischen Mannheim und Offenburg. Und so unterschiedlich die Landschaften sind, so vielfältig sind die verfallenen, verschwundenen und verrufenen Orte der Region: Da wären etwa die Schule eines amoklaufenden Lehrers, ein vergessener Rennparcours, ein einstiges Luxushotel in Alleinlage oder die martialischen Anlagen des Westwalls. Allesamt besuchenswerte Dark Places!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 183
Veröffentlichungsjahr: 2023
Kreuz bei der Buckenberg-Kaserne (Kapitel 25)
Benedikt Grimmler
33 vergessene, verlassene und unheimliche Orte
Politik der Betonköpfe (Kapitel 13)
Mord am Fürstbischof? (Kapitel 17)
Versandet (Kapitel 5)
Einleitung
Verhaltensregeln für Lost Places
33 LOST & DARK PLACES
1Sprudel aus dem Lokschuppen
Der Mineralbrunnenversand in Bad Mergentheim
2Alles auf Anfang
Die Talsperre in Bestenheid
3Big Brother is watching you
Das Gefängnis in Bruchsal
4Schwarzwaldreise I: Erholungsbedürftig
Das Kurhotel Plättig
5Schwarzwaldreise II: Versandet
Das Kurhotel Sand
6Schwarzwaldreise III: Hundeelend
Das Hotel Hundseck
7In Verlegenheit geraten
Alt-Dettenheim
8Linientreue
Die Eppinger Linien
9Scherbenhaufen auf Schienen
Am Bahnhof Ettlingen-West
10Stetes Sägen höhlt den Stein
Die Steinsäge Faulbach am Main
11Riesen-Rätsel aus Stein
Die Achteckkapellen in Grünsfeldhausen und Oberwittighausen
12Die Unvollendete
Die Bahnstrecke Bretten–Kürnbach
13Politik der Betonköpfe
Der Westwall
14Die Ruine der Weißen Frau
Die Barbarakapelle Langensteinbach
15Amts-Schimmel
Das Bahnhofsamtsgebäude in Lauda
16Baden gegangen
Leopoldshafen
17Mord am Fürstbischof?
Löffelstelzen bei Bad Mergentheim
18Altes Eisen
Fabrikgebäude in Maulbronn
19Später Verlust
Wasserschloss Menzingen
20Aus der Kurve getragen
Der Waldparkring in Bad Mingolsheim
21Ein umkämpftes Stück Natur
Im Hardtwald
22»Der Schlächter sein, das kostet mich große Überwindung«
Amoklauf des Lehrers Wagner in Mühlhausen an der Enz
23Wenn aus Elefanten Mücken werden …
Muggensturm
24Die Toten werden geparkt
Aufgegebene Friedhöfe in Diedelsheim, Niefern und Pforzheim
25Buckenberg, Burnol, Bauplatz
Die Buckenberg-Kaserne in Pforzheim
26Entkernt
Der Mittelhof auf der Rheinschanzinsel
27Eine Halbe
Brauerei C. Franz in Rastatt
28Versteckspiel in der Gartenstadt
Der Hochbunker in Rüppurr
29Eine Kurklinik als Dauerpatient
Das Sanatorium Breitenbrunnen
30Ein falsches Kloster mit Bahnanschluss
Schäftersheim
31Wer Visionen hat, soll zum Arzt werden
Der Seher von Schutterwald
32Konvertierte Soldaten
Die Kurmainz-Kaserne Tauberbischofsheim
33Alchemie und Symmetrie
Laboratorium und Karlsberg in Weikersheim
Register
Impressum
Big Brother is watching you (Kapitel 3).
Gedenktafel zum Amoklauf des Lehrers Wagner (Kapitel 22)
Es geht oft ganz schnell. Erst 2021 kam das Ende des an sich noch jungen Klosters Neusatzeck, wunderbar gelegen auf dem Höhenhang zwischen Bühl und Bühlertal im Landkreis Rastatt, einst hervorgegangen aus einem landwirtschaftlichen Gehöft, das ab 1855 zu einem großen Komplex mehrerer stattlicher Gebäude wuchs. Die Angebote der Schwestern wurden immer weitreichender, eines der ersten badischen Waisenhäuser wurde gegründet, eine Mädchenschule; hinzu kamen eine große Landwirtschaft, ein Gästehaus, eine Schwimmhalle, ein Altersheim. Zeitweilig lebten bis zu 230 Frauen vor Ort. Doch setzte in der Nachkriegszeit ein Schrumpfungsprozess unter den Mitgliedern des Konvents ein, der nach der Jahrtausendwende drastische Formen annahm und schließlich zur Entscheidung der wenigen verbliebenen Nonnen führte, die alte Heimat aufzugeben und nach Freiburg umzuziehen. Wer heute, kaum ein Jahr später, an den Bauten vorbeikommt, der sieht ihnen den Leerstand bereits an, was nicht nur am etwas raueren Höhenklima liegt. Die Zukunft ist offen und mit allerlei Streit verbunden, aber Hoffnungsschimmer tun sich auf, womöglich bleibt dem frisch verlassenen Kloster Neusatzeck ein längerfristiges Dasein als Lost Place erspart.
Dieses Glück haben die meisten der hier vorgestellten Objekte nicht – sonst hätten sie es schließlich nicht in dieses Buch geschafft, zugegeben eine womöglich recht zweifelhafte Ehre. Unsere Spurensuche konzentriert sich auf zwei Schwerpunkte: das Oberrheingebiet und Tauberfranken – und mancher geografischer oder auch politischer Purist mag sich daran stören, dass der Band zwar Nordbaden heißt, aber doch den ein oder anderen Ort jenseits der alten badisch-württembergischen Grenze aufsucht, die größtenteils mitten durch die Landkreise verläuft. Und es gibt sogar einen kurzen Abstecher ins bayerische Franken. Die Geschichte oder »Schönheit« des Objekts verzeiht hoffentlich diese unkorrekten Ausrutscher ins Nachbargebiet.
Gar nicht mehr gut: Gutshof bei Philippsburg (Kapitel 26)
Wie immer stellt sich die Frage, ob es für diese Gegend so etwas wie typische, quasi regionale Vertreter von Lost Places gibt. Für Tauberfranken lässt sich dies eher nicht behaupten, womit es andererseits eben doch wieder typisch ist für Franken an sich – vorgestellt im gleichnamigen Band der »Lost & Dark Places«-Reihe – wo sich historische (z. B. Kirchen- und Burgruinen) mit den vielen modernen Überbleibseln, also Fabriken, Bahnhöfen, Gasthäusern, mischen. Allenfalls aufgegebene Kasernen sind im Taubertal recht häufig anzutreffen. Einst waren sie der Versuch, das etwas im Abseits gelegene Gebiet durch Maßnahmen des Bundes zu fördern, der sich schließlich mit den Bundeswehrreformen nach dem Kalten Krieg gewissermaßen ins Gegenteil verkehrte, als man mit den Truppenabzügen für schockartige Verwerfungen und viele leerstehende Gebäude sorgte.
Das Militär ist in jedem Falle das prägende und damit typische Element des Oberrheingebietes, allerdings größtenteils in der Zeit vor 1945. Der Rhein als Grenzfluss seit dem Dreißigjährigen Krieg hat die gesamte Region zu einem Dauerkriegsschauplatz werden lassen, dem sich zwangsläufig viele unserer Kapitel widmen müssen. Denn die Landkreise vor und hinter dem Schwarzwald sind durchzogen von Überresten einstiger kilometerlanger Befestigungsanlagen, seit dem 17. Jahrhundert als Schanzenlinien bis hin zu den Betonklötzen der Bunkeranlagen des vermeintlich unbezwingbaren, aber nie effektiven Westwalls der Nazis. Die Anlagen verstecken sich oft in den Wäldern, aber manchmal – gern gut getarnt – auch mitten in der Stadt.
Und es gibt noch einen dritten typischen Lost Place, den wir den Schwarzwaldhöhen, ihrer guten Luft und ihren sportlichen Möglichkeiten zu verdanken haben: das heruntergekommene Luxushotel oder Sanatorium. Einige Exemplare wurden bereits im Band »Schwarzwald« vorgestellt, doch das Angebot von an der Schwarzwaldhochstraße gelegenen gehobenen Absteigen, einst Aufenthaltsorte gekrönter Häupter, politischer Größen, von Popstars und ganzer Fußballnationalmannschaften, ist reichlich – und auch reichlich gruselig. Erstaunlich – und traurig zugleich – auch, wie sehr sich deren Geschichten im Niedergang ähneln.
Aber dann hat Nordbaden auch noch einige außergewöhnliche Objekte zu bieten: einen von einem amoklaufenden Lehrer heimgesuchten Ort, eine vergessene Rennstrecke, einen Gutshof mit einem Atomkraftwerk als Nachbarn oder komplette vom Rhein verscheuchte Dörfer. Nicht nur für einen Würzburger Fürstbischof erwies sich der Besuch im Taubertal als nicht so lieblich und warum ist es am Rhein manchmal gar nicht so schön? Finden Sie es selbst heraus, mit den Anregungen dieses Buches, das Ihnen eine Auswahl und die Hintergrundgeschichten bieten möchte, um die Lost und Dark Places Nordbadens näher kennenzulernen, hinter denen sich oft ebenso spannende wie auch bewegende Schicksale verbergen. Weiterführend und ergänzend werden die Bände der Reihe zu »Franken«, »Schwarzwald« und insbesondere »Odenwald« sowie »Mannheim und Heidelberg« empfohlen. Und nun kann es losgehen mit den Ausflügen zu den Bruchbuden, Schrottimmobilien und Schandflecken an Rhein, Enz und Tauber …
Braucht dringend Unterstützung: Fabrik in Maulbronn (Kapitel 18)
Sehr freie Zimmer: Hotel Hundseck (Kapitel 6)
Jedes Bauwerk und jedes Gebäude erzählt eine Geschichte aus vergangenen Tagen. Dies gilt es zu schützen. Und auch wenn es nicht immer so aussieht, hat jeder Lost Place einen Eigentümer. Dies ist zu respektieren und Zuwiderhandlungen können ernsthafte rechtliche Konsequenzen haben. Betreten Sie keine Gebäude oder Grundstücke unbefugt, zerstören oder beschädigen Sie nichts, öffnen Sie nichts gewaltsam. Sind Fenster oder Türen verschlossen, soll das auch so bleiben. Dieses Buch ist so konzipiert, dass Sie viele der Orte frei oder auf Nachfrage betreten dürfen (Burgruinen etc.) oder, falls dies nicht offiziell erlaubt ist, die Orte auch »mit Abstand« erfahren und genießen können.
Wenn Sie etwas von einem Lost Place mitnehmen, und sei es noch so klein, ist es Diebstahl. Wie bereits in Punkt 1 gesagt, alle diese Orte haben einen Eigentümer. Daher gilt die Regel: Alles bleibt, wie es ist. Belassen Sie es bei den schönen Einblicken und Fotos, die Sie an dem Ort machen.
Das bedeutet auch: Lassen Sie nichts zurück, keine Essensreste, keine Kaugummis, keine Zigarettenkippen..
Grundregel für Lost Places: Betreten verboten (Kapitel 26)
Das bringt uns zum nächsten Punkt: Rauchen verboten. Zollen Sie dem ehrwürdigen Ort Respekt und verzichten Sie für die Zeit, die Sie da sind, aufs Rauchen. Zigarettenkippen brauchen nicht nur 15 Jahre zum Verrotten (sie sollten übrigens nirgends achtlos weggeworfen werden), sondern können schnell ein verheerendes Feuer verursachen.
Dass Sie nichts hinterlassen sollen, gilt auch für »Kunstwerke« an den Wänden. Lassen Sie Wände und Mauern, wie sie sind. Auch die Menschen nach Ihnen sollen den Ort so erleben können, wie er früher einmal war.
Besonders wichtig: Vorsicht ist besser als Nachsicht. Das gilt vor allem bei Lost Places. Brüchige Mauern, frühere Keller, herumliegende Überreste oder auch Müll, aber auch natürliche Gegebenheiten (Bodenlöcher, Höhlen) bergen einige Gefahren. Zudem liegen manche der Objekte recht einsam. Deshalb ist es ratsam, immer mindestens zu zweit, besser noch zu dritt einen Lost Place zu besuchen. Da gilt die alte Regel: Ist eine Person verletzt, bleibt die zweite vor Ort und die dritte holt Hilfe. Zudem weiß man nie, wen man vor Ort trifft. Plünderer, Spinner oder Betrunkene sind auch oft rund um Lost Places anzutreffen. Da ist es beruhigender, nicht allein unterwegs zu sein.
Wieder gute Aussicht: Barbarakapelle bei Langensteinbach (Kapitel 14)
Alter Bau, aber neue Ruine: Wasserschloss Menzingen (Kapitel 19)
Der Mineralbrunnenversand in Bad Mergentheim
Die neuentdeckten Quellen und der Bahnanschluss prägten Mergentheim im 19. Jahrhundert. Beides vereinte sich im ehemaligen württembergischen Lokschuppen – aber nur für kurze Zeit.
Bad Mergentheim, Main-Tauber-Kreis (TBB) Ort Bahnhofstr. 38, 97980 Bad Mergentheim GPS 49.493945, 9.775546 Anfahrt Bahnhof Bad Mergentheim (RB Crailsheim–Königshofen); A81, Ausfahrt Tauberbischofsheim
Der Lokschuppen ist noch immer als solcher erkennbar.
EIN FRISCHES BAD – Es war nicht nur die Aussicht, in Zukunft von einem protestantischen König im fernen Stuttgart regiert zu werden, die die Untertanen des Deutschen Ordens in und um Mergentheim 1809 zum Aufstand animierte – ein einmaliger Vorgang während der Säkularisation jener Jahre. Nach der brutalen Niederschlagung durch württembergisches Militär geschah nämlich, was die Einwohner ebenfalls gefürchtet hatten: Ihre Stadt, jahrhundertelang Sitz des Hoch- und Deutschmeisters und damit Residenz eines kleinen Fürstentums, geriet nah an die Bedeutungslosigkeit. Nun war man herabgestuft zum kleinen Verwaltungssitz in einer entlegenen Randregion des Königreichs Württemberg, die Bevölkerungszahlen fielen rapide, in den nächsten zehn Jahren um ein gutes Fünftel. Einhalt gebot erst ein Zufall. Der Hirte Franz Gehrig weidete am 13. Oktober 1826 seine Schafe nahe der Tauber, es herrschte Dürre, weshalb er sich wunderte, als die Tiere sich plötzlich eifrig schlürfend um eine unbekannte Wasserstelle versammelten. Gehrig probierte das frische Nass ebenfalls und stellte einen salzigen Geschmack fest. Von der neu entdeckten Quelle machte er bei den Stadtoberen Meldung, die daraufhin durch Gutachten eine heilkräftige Wirkung des Wassers bestätigen konnten. Zwar ging die Ursprungsquelle durch das nächste Tauberhochwasser verloren, doch neue Bohrungen an höhergelegenen Stellen ermöglichten die dauerhafte Fassung und damit den Grundstein für Mergentheim als zukünftiges Kurbad insbesondere für innere Erkrankungen und zur Regenerierung. Franz Gehrigs Verdienst wurde erst viel später durch ein Denkmal geehrt, nach nur kurzer Anstellung bei dem neuen Badbetrieb verstarb er aufgrund fehlender Unterstützung durch die Stadt als einfacher Tagelöhner in bitterer Armut. Aber auch die Geschichte Mergentheims als Kurort war keineswegs ein unaufhaltsamer Aufstieg.
Nicht nur Lokomotiven ist der Eingang inzwischen verwehrt.
EIN DOPPELTER BAHNHOF – 1864 handelten das Großherzogtum Baden und das Königreich Württemberg in seltener Harmonie. Ein gemeinsamer Staatsvertrag wurde unterzeichnet, sowohl Karlsruhe als auch Stuttgart wünschten die Verlängerung der bereits geplanten Eisenbahn von Crailsheim nach Mergentheim bis nach Lauda, das bereits auf großherzoglichem Territorium lag. Dort entstand die Linie Heidelberg–Würzburg und an diese sollte nun der Anschluss von Württemberg her vollendet werden. Mergentheim kam dabei eine Schlüsselstellung zu, denn hier teilte sich das Netz: Östlich war die württembergische, westlich die badische Bahn zuständig. Damit wurde die Tauberstadt zum Grenzbahnhof, was für einige Kuriositäten sorgte. Das Hauptgebäude bestand aus zwei durch eine Mittelhalle verbundenen Eckhäusern, eines – man ahnt es schon – pro zuständiger Landesbahnbehörde. Der Verbindungsbau war gekrönt von einem heute verschwundenen Uhrtürmchen, das westlich die badische, östlich die württembergische Zeit anzeigte – eine einheitliche Messung für beide Länder existierte damals noch nicht. Jedes Land besaß auf seiner Seite eigene Lokschuppen, nur die Güterhalle wurde von beiden gemeinsam genutzt. Befürchtungen, der Zusammenschluss der Linie könnte zeitlich scheitern, bewahrheiteten sich nicht, und so konnte etwas verfrüht am 18. Oktober 1869 die feierliche Eröffnung in Mergentheim zelebriert werden, wenige Tage später fuhr der erste Zug von Crailsheim nach Königshofen, wo er in die Strecke nach Würzburg einmündete, via Tauberbischofsheim ging es dann weiter bis Wertheim. Anders als üblich kam es mit dem Bahnanschluss erst einmal nicht zu einem industriellen Aufschwung durch die Ansiedlung von Fabriken und auf Export angewiesene Betriebe. Die Stadt war darüber nicht allzu unglücklich, man wuchs trotzdem, indem man sich auf das Badewesen konzentrierte. Den nun bequemer anreisenden Gästen sollten schließlich nicht unbedingt rauchende Schlote geboten werden.
Bruchglas und Bruchsteinmauerwerk
EIN GESUNDES INTERMEZZO – Trotzdem blieb das Kurbad eine prekäre Angelegenheit. Die Stadt selbst hatte – finanziert durch Schulden – einst den Anfang gemacht, verkaufte das Bad aber schon 1834 an einen privaten Besitzer, der sich um ein wesentlich attraktiveres Umfeld der Quellen mit Parkanlagen und vorzeigbaren Unterkünften bemühte. Zwar entstanden im Laufe des Jahrhunderts immer wieder neue Kuranlagen, zusätzliche Heilquellen wurden gefasst und schmucke Hotels und Sanatorien gebaut, aber die finanziellen Schwierigkeiten verließen das Bad nie, mehrere Insolvenzen und Verkäufe prägten die Geschichte bis in die 1930er Jahre, seitdem machte sich ein deutlicher Aufschwung bemerkbar, immer größere Zahlen – weit jenseits der Millionengrenze – an Gästen brachten die Wirtschaftswunderzeiten der Nachkriegsjahre. Neubauten der 1960er und 1970er Jahre für den Kurbetrieb manifestieren diese Hochzeit des seit 1926 mit dem Titel Bad geadelten Mergentheim. Der seitherige Rückgang lässt sich auch am Bedeutungsverlust des Bahnhofes dokumentieren, einst sogar Halt für Expresszüge aus den deutschen Großstädten, nun lediglich noch regional von Bedeutung. Die Landes-Teilung wurde zwar bereits mit Übergang an die Reichsbahn 1920 aufgehoben, dies machte aber auch bald viele der gedoppelten Bauwerke überflüssig, erst recht nach Aufgabe des Güterverkehrs 1993. Der badische Lokschuppen, in unmittelbarer Nachbarschaft westlich des Hauptgebäudes (in der Stifterstraße), wurde 2010 entkernt und in ein modernes Wohnviertel integriert. Darüber würde sich auch sein Pendant sicher freuen, das zwar äußerlich sein Aussehen als einstige Remise noch immer bewahrt hat, durch den Schriftzug »Mineralbrunnenversand Bad Mergentheim« aber auf eine zwischenzeitliche Umnutzung verweist, die Bad- und Bahnhofsgeschichte vereint: Hier wurde das Mergentheimer Wasser für alle abgefüllt, die, auch ohne vor Ort anwesend zu sein, nicht auf dessen heilkräftige Wirkung verzichten wollten. Heilung benötigt heute jedoch leider vor allem der einstige württembergische Lokschuppen und vormalige, jedoch längst leerstehende Mineralbrunnenversand. Zwar ist auch er inzwischen von einem modernen Wohnpark umgeben, anders als sein badischer Kollege fristet er jedoch darin ein Dasein als hässliches Entlein.
Für seine Arbeit stellte man diesem Fachmann 1525 unter anderem ein eigenes kleines Häuschen in Aussicht – es war der Lohn für die Hinrichtung aufständischer Bauern für den Scharfrichter. Sein kleines Anwesen in der Südwestecke an der Stadtmauer (heutige Obere Mauergasse 48) wurde später um Garten und eine Stallung erweitert, erwies sich aber nach 1800 als baufällig. Während der Henker 1821 schließlich in die Kaiserstraße umzog, wurde sein ehemaliges Haus umgenutzt und aufgestockt und im Laufe der nächsten Jahrzehnte immer wieder umgebaut. 2010 jedoch kam das Ende: Das alte Scharfrichterhaus wurde abgerissen und durch einen kompletten Neubau ersetzt.
Die Aufschrift ist verblasst, aber noch lesbar.
Die Talsperre in Bestenheid
Bestenheid ist ein wanderndes Dorf – es hat mehrfach den Standort gewechselt. Geblieben ist an alter Stelle eine ungewöhnliche Ruine. Sind es die Überreste einer Templerburg?
Bestenheid (Stadt Wertheim), Main-Tauber-Kreis (TBB) Ort Bestenheider Landstr. 51, 97877 Wertheim GPS 49.774762, 9.508728 Anfahrt Bahnhof Wertheim-Bestenheid (RB Miltenberg–Wertheim); A3, Ausfahrt Wertheim
Die Reste der Talsperre Bestenhaid sind teils gut sichtbar, teils versteckt.
DIE PEST – »Es war um das Jahr 1356, da wütete in ganz Franken die große Pest, der Schwarze Tod, auch Würgeengel genannt. Besonders heftig zeigte sich diese furchtbare Krankheit in vielen Ortschaften am Main, wo sie zahlreiche Opfer jeden Alters und Geschlechts unter allen Ständen hinwegraffte. So sollen im Dorf Hasloch nur noch drei Menschen am Leben geblieben sein, die sich mainaufwärts flüchteten und das jetzige badische Dorf Bestenhaid bei Wertheim gründeten.« So berichtet es uns Alexander Schöppners bekannte Sammlung Bayrische Sagen aus dem 19. Jahrhundert und ein anderer Kollege aus jenen Tagen verfasste hierzu sogar ein langes Gedicht – Die große Pest im Maingrund – in etwas holprigen Reimen: »Die floh’n erschreckt am Main hinauf mit trübem Muth;/Für’s Leben ließen sie zurück gern Hab und Gut./Sie siedelten sich an beim Thurm am Templerhaus,/Da ward im Lauf der Zeit Dorf Bestenhaid daraus.« Man kann sich natürlich schönere oder heldenhaftere Gründungslegenden für einen Ort denken, ein genauerer Blick wird jedoch ohnehin bald feststellen, dass so einiges an der Geschichte nicht ganz korrekt sein kann. Tatsächlich wird Bestenheid nämlich bereits 1284 urkundlich erwähnt, also lange vor der berühmten Pestwelle von 1348 und ihren Folgen, und es lag aus Haslocher Sicht auch keineswegs mainaufwärts, sondern schlicht direkt gegenüber auf der anderen Seite des Flusses – noch. Wie kamen folglich die Sagenerzähler zu ihren Behauptungen? Wie so oft handelt es sich dabei um spätere Schlussfolgerungen, Überlegungen aus noch vorhandenen Gegebenheiten und über die Jahrhunderte tradierte, jedoch dabei oft verwischte oder mit anderen Ereignissen vermengte Erinnerungen. Dass eine Katastrophe wie der erste große europäische Pestausbruch des Mittelalters sich im Gedächtnis auch der nachfolgenden Generationen festsetzte, überrascht kaum. Beliebt war auch die Deutung von Namen durch sogenannte Volksetymologie. Eine weitere Überlieferung der Pest-Sage erklärt nämlich, der Ort habe einst Pestenhaid geheißen, nun, nach der überstandenen Epidemie, wurde er in Bestenhaid umbenannt. Dem Ganzen lag wohl in jedem Falle die vage Erinnerung daran zugrunde, dass das Dorf einst neu am jetzigen Standort errichtet worden war.
DAS WANDERDORF – Denn tatsächlich lag das alte (erste) Bestenheid, wie erwähnt, Hasloch gegenüber, auf der Mainaue, wo der Fluss eine größere Biegung macht. Dies war noch zu Zeiten der Erstnennung und wohl schon lange davor der Fall, sogar eine frühgeschichtliche Besiedelung ist hier nachgewiesen. Um 1360 allerdings wurde das gesamte Dorf verlegt. Dies geschah auf Geheiß der Wertheimer Grafen, die hierdurch eine bessere Verteidigungsposition im Vorfeld ihrer Residenzstadt schaffen wollten, da Graf Eberhard zu dieser Zeit an der Seite des Kaisers Karl IV. (1346–1378) sich verstärkt in der Reichspolitik engagierte, was seine Nachbarn, die mächtigen Bischöfe von Würzburg und Mainz, eher argwöhnisch beobachteten. So richtig plausibel war der Umzug nämlich ansonsten nicht. Von der weiten Mainaue wurden die Häuser nun an die enge Straße an der dünnsten Stelle zwischen Berg und Fluss gebaut. Das führte zu allerlei Komplikationen: Erstens musste Eberhards Nachfolger, Graf Johann I., dadurch allerlei Rechte neu klären lassen. Unter anderem hatten die Klöster Grünau und Bronnbach Besitz in Bestenheid – der musste nun ebenfalls ins neue Dorf mit übertragen oder getauscht werden, nicht immer einfache Verhandlungen begannen. Zweitens war die gedrängte Lage am Berghang nicht unbedingt günstig. Auf der einen Seite war man buchstäblich ständiger Hochwassergefahr ausgesetzt, auf der anderen war kaum Platz für Expansion, Bestenheid blieb stets ein sehr kleines, lang gezogenes Straßendörfchen.
Aus diesem Blickwinkel wirkt die Sperre tatsächlich wie eine Burg.
SPERRGEBIET – Aber es ging ja schließlich aus Sicht der Grafen darum, den eigenen Besitz besser zu schützen, und dieser Zweck wurde erfüllt. Vor dem Eingang zum Dorf wurde im Norden eine Sperrmauer mit Tor und Turm errichtet. Hinzu kam auf dem Berg eine steinerne Warte zur besseren Kontrolle des Umlandes. Letztere sorgte übrigens noch später für Verwirrung: In einer Urkunde von 1384, es ging um den Tausch von Gütern mit dem Kloster Grünau, wurde die neue Siedlung stetlin Brunberg genannt, was bei Historikern für Rätselraten sorgte. Welche Stadt war hier gemeint? Tatsächlich handelte es sich um Bestenheid, das sich dank eigener Ummauerung – der Talsperre – nun wie ein Städtchen fühlen konnte und der Brunn- oder Bromberg war die Anhöhe, unterhalb dessen das Dorf jetzt lag. Offensichtlich sollte das Dorf nicht nur einen neuen Standort, sondern auch einen neuen Namen erhalten. Der setzte sich jedoch nicht durch. Anders bei dem genannten Berg: Dank des nun dort errichten Turmes wurde er im Laufe der Zeit zum Wartberg. Er blieb besser erhalten als die Sperre unten im Tal, die sich nur noch als Ruine präsentiert, nachdem sie ihre Hauptfunktion längst verloren hatte. Schon den Malern des 19. Jahrhunderts diente sie als hübsche romantische Kulisse mit der Silhouette Wertheims im Hintergrund. In jenen Tagen dürfte auch die – natürlich völlig grundlose – Verbindung zu den Templern hergestellt worden sein, die generell gerne zur Erklärung mysteriöser Ruinen herangezogen wurden (der Orden war bereits 1312 aufgelöst worden). Bestenheid entwickelte sich kaum, stattdessen kam die Nachbarstadt immer näher. Bereits 1867 wurden einige Häuser im Süden, die auf Wertheimer Gemarkung lagen, eingemeindet, 1913 folgte der Rest mit seinen 270 Einwohnern. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelten sich in dem Ort Industriebetriebe und sehr viele Flüchtlinge aus der Sowjetzone und den Ostgebieten an, natürlich nicht in der Enge des Tales, sondern flussabwärts an der Mainaue. Bestenheid wanderte wieder zurück und wurde zum 4000-Einwohner-Stadtteil, die meisten Häuser des früheren (zweiten) Dorfes wurden abgebrochen. Und so steht die alte verfallene Talsperre heute wieder ziemlich allein.
Von Bestenheid kann man via Bahnbrücke (ein Abenteuer für sich!) hinüber ins bayerische Hasloch laufen und von dort aus zwei sehenswerte Ruinen erwandern. Einsam auf einer Waldlichtung liegen die Überreste der einstigen Kartause Grünau, Anfang des 14. Jahrhunderts gegründet und nach äußerst wechselhaftem Schicksal 1803 endgültig aufgelöst. Bis auf das heute als Gasthaus dienende Gebäude sind die weiteren Ruinen in eher traurigem Zustand, darunter auch die zerstörte Kirche. Nicht weit entfernt an der Landstraße nach Schollbrunn liegt die Markuskapelle, seit der Reformation 1525 ist die einst beliebte Wallfahrtsstätte ebenfalls nur noch Ruine.
Hinter reichlich Grün wirken die Reste fast wie mysteriöse Tunnel.
Das Gefängnis in Bruchsal