Lost & Dark Places Ostfriesland - Gerd Klaassen - E-Book

Lost & Dark Places Ostfriesland E-Book

Gerd Klaassen

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Beschreibung

Ostfriesland ist so flach, dass man morgens schon sehen kann, wer abends zu Besuch kommt. Doch neben den idyllischen Bauernhöfen und verträumten Sielhäfen gibt es auch das andere Ostfriesland, das von dunklen Orten, versunkenen Dörfern und gefährlichen Mooren oder den Schrecken der Hexenverfolgung erzählt. Diese Orte liegen häufig gut versteckt irgendwo auf dem flachen Land, tief im Wald oder sogar mitten in der Stadt und entfalten dort ihren ganz besonderen Zauber.

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Was einst die Treppe zum Deich war, wird nun von der Natur zurückerobert (Kapitel 05).

Klaas Gerdes

Lost & Dark PlacesOSTFRIESLAND

33 vergessene, verlassene undunheimliche Orte

Die Brücke nach Tammegast hat ausgedient und verfällt (Kapitel 07).

Vor der Kreuzkirche in Stapelmoor steht immer noch der Blutstein (Kapitel 27).

Grabkreuze vor der mächtigen Buche auf dem Dornumer Friedhof (Kapitel 11)

INHALT

Vorwort

Verhaltensregeln für Lost Places

33 LOST & DARK PLACES

1Die Hexen von Pewsum

Auf den Spuren des Hexenprozesses von 1590

2Das versunkene Dorf

Das kleine Bettewehr versank gleich zweimal in der Nordsee

3CIRC + SIT TIBI TERRA LEVIS

Die Ruine von Reepsholt und der Gedenkstein im Kloster Hopels

4Friedhof der Unbekannten

Auf der ehemaligen Insel Nesserland

5Ein alter Hof und seine Geschichte

Constantia – von der Ruine zum Stadtteil

6Sconamora

Mitten im Schooer Wald lag vor Jahrhunderten ein Kloster

7Alte Sagen auf dem Wasser erleben

Verlassene Orte rund um Tergast

8Eine Moorleiche und die Ewigkeit

Der Fundort liegt im Naturschutzgebiet Ewiges Meer

9Das Urwaldkrankenhaus

Vom Notbehelf zu Aurichs beliebtestem Krankenhaus

10Der Turm des Störtebeker

Das Piratennest in Marienhafe

11In der Häuptlingsgruft

Die Krypta der St. Bartholomäuskirche in Dornum

12Wer nicht will deichen, der muss weichen

Entlang der alten Deiche und Siele der Westermarsch

13Der verborgene Waldfriedhof

Im Forst Stikelkamp liegt ein historischer Grabhügel

14Vom Grabhügel zur Friesischen Freiheit

Upstalsboom und Dove Meer

15Im Moorwald

Ursprüngliche Landschaft in Plaggenburg

16Alte Gräber in der Einsamkeit

Der Jüdische Friedhof von Jemgum

17Ein Retter in Seenot

Das Schiffswrack von Norderney erzählt seine Geschichte

18Auf den Spuren der Zisterzienser

Die Imagination des Klosters Ihlow

19Am »Ende der Welt«

Ganze Ortschaften versanken einst im Dollart

20Zweieinhalb Meter unter dem Meeresspiegel

Zu Fuß durch das Freepsumer Meer

21Vergessene Friedhöfe

Die alten Gräber in Hatshausen und Ayenwolde

22Dem Ersten der Tod, dem Zweiten die Not

Torfstechen im Filsumer Moor

23Das verborgene Doeletief

Alt-Emden, einst das Venedig des Nordens

24Der sagenhafte Plytenberg

Der Berg in Leer wurde von Menschen geschaffen

25Zurück in die Eiszeit

Das Wrokmoor, eine Pingo-Ruine in Amerika

26Ein Sioux in Ostfriesland

Wie kommt das Grab eines Lakota-Sioux nach Emden?

27Pastorenmord

Der Blutstein von Stapelmoor

28Der verwunschene Garten

Der »Lost Garden« der Osterburg in Groothusen

29Das traurige Ende eines Moores

Die Esterweger Dose

30Butter, Brot und Käse

Das Hünengrab in Tannenhausen

31Die grausamste Schlacht der Friesen

Auf den Wilden Äckern

32Mit der Kutsche durchs Wattenmeer

Der Naturstrand von Hilgenriedersiel

33Im Urwald

Baumriesen und Natur pur in Neuenburg

Register

Impressum

Die Mauern sind Reste einer Filmkulisse im Neuenburger Urwald (Kapitel 33).

Das älteste Gewölbe Ostfrieslands liegt in der Nähe des Plytenbergs (Kapitel 24).

Die Buchenallee führt zum Symbol der Friesischen Freiheit, dem Upstalsboom (Kapitel 14).

VORWORT

Blauer Himmel mit Schäfchenwolken, grüne Wiesen mit Kühen, ein Leuchtturm am Deich und ein paar Fischkutter im Hafen, so kennt man Ostfriesland als beliebtes Urlaubsziel aus zahlreichen Reiseführern. Das hat gute Gründe, so flach und baumlos, dass man morgens schon sehen kann, wer abends auf Besuch kommt, ist kaum eine andere Gegend in Deutschland.

Doch neben den idyllischen alten Bauernhöfen, den verträumten Sielhäfen und den vorgelagerten Inseln mit ihren Badestränden gibt es auch das andere Ostfriesland. Dunkle Orte, versunkene Dörfer, einsame, gefährliche Moore – es gibt gute Gründe für die vielen Sagen und Schauergeschichten. Nicht nur die Sturmfluten brachten oft Tod und Elend ins Land und verwüsteten ganze Landstriche, auch die Menschen selber konnten grausam sein. Hexenprozesse und wilde Schlachten um die Vorherrschaft im Lande sind auch nach Jahrhunderten nicht vergessen. Viele der alten Höfe verfallen trotz Denkmalschutz, die ehemals feine Gartenanlage nach englischem Vorbild wird zum verwunschenen »Lost Garden«.

Obwohl es auch hier einige alte Industrieanlagen, Ziegeleien und Villen gibt, die das Herz eines »Urbexers« höherschlagen lassen, sind sie in diesem Buch nicht zu finden. Sie stehen in der Regel auf Privatgrund, und eine Buchveröffentlichung mit Koordinaten wäre unverantwortlich. Die hier gezeigten Orte sind jedoch nicht minder spannend und zeigen oft die bewegte Vergangenheit – vom Kampf gegen die Nordsee bis zur Urbarmachung der Moore, die Schrecken der Hexenverfolgung oder den gnadenlosen Kampf der Häuptlinge um die Macht. Sie liegen nicht hinter Zäunen oder Mauern, aber häufig gut versteckt irgendwo auf dem flachen Land, tief im Wald oder sogar mitten in der Stadt und entfalten dort ihren ganz besonderen Zauber.

Die historischen und geografischen Hintergründe wurden recherchiert, trotzdem kann nicht immer sicher zwischen Wahrheit und Legende unterschieden werden. Das Buch kann auch immer nur eine Momentaufnahme sein, Orte ändern sich, werden bebaut oder gesperrt. Ebenso entstehen aber immer neue Lost Places. So kann man die Geschichten vielleicht auch als Anregung nehmen, selber auf Entdeckungsreise zu gehen. Die spannende Suche nach versunkenen Orten im Meer, der Gang über verlassene Friedhöfe im Nirgendwo oder die Wanderung durch unendlich erscheinende Moore bilden ein unvergessliches Erlebnis. Denken Sie immer daran: Ostfriesland kann auch anders!

Übrigens: Ein Literaturverzeichnis und ein Wörterbuch ostfriesischer Begriffe ist auf der Website https://ostfriesland-entdecken.de/lost-dark-places/ zu finden.

Klaas Gerdes

Historische Grabplatten vor dem Kirchturm der Nicolai-Kirche in Pewsum (Kapitel 01)

VERHALTENSREGELN FÜR LOST PLACES

1. Behandeln Sie die Orte mit Respekt

Jedes Bauwerk und jedes Gebäude erzählen eine Geschichte aus vergangenen Tagen. Dies gilt es zu schützen. Und auch wenn es teilweise nicht so aussieht, aber jeder dieser Lost Places hat einen Eigentümer. Das sollte respektiert werden. Das beinhaltet vor allen Dingen, dass nichts zerstört oder gewaltsam geöffnet wird. Sind Fenster oder Türen verschlossen, sollte das auch so bleiben. Gehen Sie respektvoll mit dem Ort um.

2. Nehmen Sie nichts mit, lassen Sie nichts da

Wenn Sie etwas von einem Lost Place mitnehmen, und sei es noch so klein, ist es Diebstahl. Wie bereits in Punkt 1 gesagt, alle diese Orte haben einen Eigentümer. Daher gilt die Regel: Alles bleibt, wie es ist. Belassen Sie es bei den schönen Einblicken und Fotos, die Sie an dem Ort machen. Gleiches gilt auch umgekehrt: Lassen Sie nichts liegen. Keine Essensreste, keine Kaugummis, keine Kippenstummel.

3. Rauchen verboten

Das bringt uns zum nächsten Punkt: Rauchen verboten. Zollen Sie dem ehrwürdigen Ort Respekt und verzichten Sie für die Zeit, die Sie da sind, auf das Rauchen. Kippenstummel brauchen nicht nur 15 Jahre zum Verrotten (sie sollten übrigens nirgends achtlos weggeworfen werden), sondern können schnell ein Feuer verursachen.

4. Keine Graffiti

Dass Sie nichts hinterlassen sollen, gilt auch für Kunstwerke an den Wänden. Man sprüht einfach nicht auf fremdes Eigentum, sei es noch so schön. Lassen Sie die Wände, wie sie sind, sodass auch noch Menschen nach Ihnen den Ort so erleben können, wie er früher einmal war.

5. Seien Sie vorsichtig

Vorsicht ist besser als Nachsicht. Das gilt vor allem bei Lost Places. Marodes Holz, verrostete Geländer, einsturzgefährdete Decken, lockere Böden (teilweise befinden sich noch Kellergeschosse darunter), eingeschlagene Fenster – die Liste der Gefahren solcher Orte ist lang. Seien Sie daher immer wachsam. Begeben Sie sich niemals in Gefahr für das eine Foto. Das ist es nicht wert. Treppen und obere Etagen sind eine gängige Gefahrenquelle. Schauen Sie sich den Zustand der Treppe und der Decke genau an. Nehmen Sie auch eine Taschenlampe für dunkle Räume und Keller mit.

6. Gehen Sie nicht allein

Es ist ratsam, immer mindestens zu zweit, besser noch zu dritt, einen Lost Place zu besuchen. Da gilt die alte Regel: Ist eine Person verletzt, bleibt die zweite vor Ort und die dritte holt Hilfe. Zudem weiß man nie, wen man vor Ort trifft. Plünderer, Spinner und betrunkene Jugendliche sind auch oft in Lost Places anzutreffen. Da ist es beruhigender, nicht allein unterwegs zu sein.

Die Alte Eiche im Hudewald von Schoo erlebte noch die Zeit der Mönche (Kapitel 06).

Die Blutbuche wirft einen gespenstischen Schatten auf die St. Bartholomäuskirche (Kapitel 11).

7. Erregen Sie kein Aufsehen

Da viele Lost Places in Privatbesitz sind, gilt hier »Betreten verboten«. Auch, wenn das Tor angelweit aufsteht oder ein riesiges Loch im Zaun ist. An Orten, an denen das Zugangsrecht nicht ganz klar ist, ist es ratsam, sein Auto nicht direkt vor dem Gelände zu parken. Schauen Sie beim Betreten des Geländes auch immer, dass Sie niemand sieht. So vermeiden Sie unerwünschte Begegnungen und mögliche Konfrontationen mit der Polizei.

Ausrüstung

Wir empfehlen Folgendes:

•Festes Schuhwerk, hohe Socken (Schutz vor Zecken)

•Reißfeste Kleidung, ggf. leichte Regenjacke

•Kamera inkl. Zusatzakku, Speicherkarten, Stativ

•Proviant und Getränke (nehmen Sie aber alles wieder mit)

•Kopf- oder Stirnlampe für freie Hände

•Taschenlampe mit weitem Winkel für Keller und dunkle Räume

•Taschenmesser

•Aufgeladenes Handy (ggf. Powerbank)

•Notizblock und Stift

•Pflaster und Taschentücher für Verletzungen

•Mücken- und Zeckenspray

Der Weg zum Kiekkaste im Dollart führt durch einen mächtigen Schilfgürtel (Kapitel 19).

Waren es wirklich Riesen, die die Steine zum Hünengrab in Tannenhausen aufgetürmt haben (Kapitel 30)?

 1 

DIE HEXEN VON PEWSUM

Auf den Spuren des Hexenprozesses von 1590

Hexenprozesse waren im Spätmittelalter auch in Ostfriesland verbreitet. Das Schicksal zweier Schwestern in Pewsum war besonders grausam: Die unter der Folter ausgestoßenen Schreie waren so laut, dass man die Kirchenorgel spielen ließ, um die Schreie zu übertönen.

Adresse Drostenplatz 5, 26736 Pewsum, Gemeinde Krummhörn, Landkreis Aurich GPS 53.43570,7.09503 Anfahrt Auto: über die A 31, Ausfahrt Pewsum, K241, L3 bis Pewsum.

Im Keller der Manningaburg zu Pewsum wurden die angeklagten Frauen gefangen gehalten und gefoltert.

VORGESCHICHTE Wir befinden uns im Jahr 1590, beim Übergang vom Spätmittelalter in die frühe Neuzeit. Die Hexenverfolgungen in Europa erreichen zu dieser Zeit ihren Höhepunkt, auch in Ostfriesland hat es bereits mehrere gut dokumentierte Hexenprozesse gegeben. Keine Frau ist mehr sicher vor willkürlicher Verurteilung. Auch nicht Catharina Peters, Elßke Ayelts, Grete Berends und Tiade Nannen aus Pewsum, denen ein Pakt mit dem Teufel vorgeworfen wird. Unter der Folter gestehen sie alles, was ihnen einfällt. Doch wie üblich, reicht das den Peinigern nicht – sie wollen die Namen weiterer Hexen.

DIE ERSTE VERNEHMUNG In Loquard, etwa sieben Kilometer von Pewsum entfernt, leben zu dieser Zeit zwei Schwestern: Tiabben, verheiratet mit Hero Beenen, und Sieben, die Ehefrau von Jeldrich Waten. Es sind angesehene, wohlhabende Leute, mit vielen befreundet, als beide Frauen am 4. Juni 1590 festgenommen werden. Sie sind zu diesem Zeitpunkt schwanger. Bei der Verhaftung gibt es Tumulte, ebenso bei der nachfolgenden Gerichtsverhandlung, in der sie der Hexerei beschuldigt werden. Grete Berends und Tiade Nannen, beide bereits der Hexerei überführt, haben zuvor unter der Folter ihre Namen genannt. Ein erstes, jedoch ungesetzliches Mittel, um Frauen als Hexen zu überführen, ist zu dieser Zeit die Wasserprobe. Mit zusammengebundenen Armen und Beinen und verbundenen Augen werden beide auf Anordnung des Drosten Claus Peltz und des Pastors Dietrich Sprangern »in gegenwertigkeit viel hundert und Tausent menschen, biß uf das Hembdt entblöset in den Burgraben zu Pewsum geworfen«. Schwimmen sie, ist es ein Indiz für ihre Gottlosigkeit, und sie sind der Hexerei überführt, gehen sie unter, kann es passieren, dass sie ertrinken.

Mit den Folterwerkzeugen konnte jedes Geständnis erpresst werden.

FREI AUF KAUTION Beide überleben die Wasserprobe, anschließend wird Tiabben, die ältere der beiden Schwestern, den beiden bereits überführten Hexen gegenübergestellt. Unter Androhung weiterer Folter wird ihr nahegelegt, zu gestehen. Doch Tiabben schweigt und wird gegen eine Kaution in Höhe von über 60.000 Gulden freigelassen, in der damaligen Zeit eine unglaubliche Summe. Tiade Nannen flieht nach Bargebur bei Norden, einer Gegend, die für weniger strenge Hexenverfolgungen bekannt ist. Dort wird sie jedoch von den beiden Ehemännern gefunden und eindringlich gebeten, ihre Aussage zu widerrufen. Doch auch die Peiniger sind ihr auf der Spur, sie wird gefasst und ins Gefängnis geworfen, wo sie einer weiteren »peinlichen Befragung«, sprich Folter, unterzogen wird und die Anschuldigungen gegen Tiabben und Sieben wiederholt.

ERNEUTE FOLTER Am 22. November 1590 werden beide Schwestern wieder von den Soldaten der Burg gefangen genommen und gefoltert. Die Ehemänner verklagen den Drosten Clauß Peltz bis hin zum Reichskammergericht in Speyer. Mit drastischen Worten schildern sie die Vorfälle: »[die Frauen wurden] dermaßen in ihrer unschultt ohne vorgehender rechtlicher ordnungs zu Pewesum gemartert und gepeynigett, daß auch die amptleutte zu Pewesum aufs orgell spielenn laßenn«. Neben dem Orgelspiel, welches die Schreie der Gefolterten übertönen soll, ist es strengstens verboten, sich dem Kirchhof zu nähern, der neben der Burg liegt. Die Ehemänner wissen lange nichts über den Zustand ihrer Ehefrauen, einige ihrer Kinder sterben. Endlich wird den Ehemännern tatsächlich Recht zugesprochen, die Frauen werden freigelassen.

GEBROCHEN Doch damit nicht genug. Tiade Nannen, der Hexerei überführt, wird durch das Feuer vom Leben zum Tod gerichtet. In ihrem Todeskampf belastet sie erneut die beiden Schwestern, diese werden umgehend inhaftiert. Bei der Festnahme wird ein Ehemann getötet. Der Burgherr bestellt diesmal den Henker aus Emden zu sich, der keine halben Sachen macht. Nach erneuter grausamer Folter nebst lautem Orgelspiel ist es am 19. August soweit: Tiabben gesteht alles, was ihr zur Last gelegt wird. Ihre Schwester Sieben wird zweimal entsetzlich gepeinigt, beharrt jedoch weiter auf ihrer Unschuld. Schließlich kommt man zu der Überzeugung, sie sei als junge Person verführt worden und habe deshalb die Kunst der Zauberei erlernt. Ein Anwalt aus Emden versucht zwischenzeitlich, die Freilassung zu veranlassen – vergeblich. Die Schwestern verbringen 16 Wochen des kalten Winters im Kerker. Als schließlich der überlebende Ehemann erneut das Gericht in Speyer einschaltet, ist es zu spät. Tiabben ist bereits gestorben, man findet sie im Kerker vor: »ganz klein, mager und ausgemergelt, ganz verzehret, ohne Hemd, ohne Unterstrümpfe oder Hosen, allein in ihrem bloßen Unterrock. Ihr Angesicht war klein, wie das eines Kindes Haupt.« Ihr Arm ist gebrochen.

Der Eingang ins Burgmuseum der Manningaburg in Pewsum

DAS ENDE Kurz vor ihrem Tod hat Tiabben darum gebeten, auf dem Friedhof beerdigt zu werden. Stattdessen legen die Amtsleute sie in einen offenen Sarg und lassen sie von einem Pferd zum Pewsumer Galgen ziehen, der außerhalb des Ortes liegt. Dort wird sie entkleidet, in eine Grube geworfen und zugeschüttet. Der Henker fragt die Menge, ob sie noch nie einen Menschen mit gebrochenem Hals gesehen haben. Tiabben ist nämlich während der Folter das Rückgrat gebrochen worden. Um sich zu entlasten, hat der Henker den Hals der Frau umgedreht und so versucht, die Schuld am Tode dem Teufel in die Schuhe zu schieben. In der nachfolgenden Gerichtsverhandlung wird alles für rechtens erklärt. Schlimmer noch, das gesamte restliche Vermögen der Verstorbenen wird konfisziert, zwei Drittel bekommt der Staat, ein Drittel die Peiniger. Vier Wochen später kommt die richterliche Verfügung aus Speyer, dass beide Frauen unverzüglich freigelassen werden müssen. Doch erst nach erneuter Aufforderung wird die überlebende Schwester Sieben gegen Kaution freigelassen. Der Graf aber hat prächtig verdient und befindet in einem späteren Schreiben, dass alles rechtmäßig verlaufen sei.

BURG UND KIRCHE HEUTE Der Ort des grausigen Geschehens ist leicht zu finden, Kirche und Burg liegen im Zentrum von Pewsum, nur wenige Meter voneinander entfernt. Die Kirche wurde 1862 neu ummauert und teilweise umgebaut, die Grundsubstanz aus dem 15. Jahrhundert ist aber unverändert. Die vermutlich 1566 durch Andreas de Mare gebaute Orgel, auf der während der Folter gespielt wurde, wurde 1753 und 1969 durch einen Neubau ersetzt. In der Kirche findet man noch interessante Wandzeichnungen aus dem 15. Jahrhundert. Von der Manningaburg sind bis heute die von Poppo Manninga 1458 erbaute ursprüngliche Häuptlingsburg und der Nordflügel aus dem Jahr 1550 erhalten. Die später errichtete, mächtige Oberburg wurde 1716 abgerissen. Der Hexenkeller der Vorburg, in dem die Schwestern gefangen gehalten wurden, kann besichtigt werden, der dort gezeigte Schädel stammt allerdings nicht von Tiabben. Er wurde 1961 bei Ausschachtungsarbeiten im nahe gelegenen Ort Kloster Sielmönken gefunden, Näheres ist nicht bekannt. In der Burg befindet sich jetzt ein Heimatmuseum, wo auch ein Modell der ursprünglichen Burg gezeigt wird. Der Burggraben, in dem die Schwestern zur Wasserprobe versenkt wurden, ist noch vorhanden. Etwas außerhalb, etwa 1,5 Kilometer nordöstlich der Burg, gibt es bis heute den Galgenwarfsweg, wo vermutlich die Leiche von Tiabben verscharrt wurde.

In diesem Burggraben fand die grausame Wasserprobe statt.

Filmkulissen

Unweit von Pewsum liegt das kleine Dorf Pilsum, bekannt durch seinen kleinen Leuchtturm, den auch Otto Waalkes als Filmkulisse benutzt hat. Am Ortsausgang liegt die Ruine einer alten verlassenen Ziegelei, die auch schon als Drehort eines Ostfriesland-Krimis diente. Das Privatgelände ist umzäunt und darf leider nicht betreten werden, aber man kann auch von außen bereits sehr viel erkennen.

 2 

DAS VERSUNKENE DORF

Das kleine Bettewehr versank gleich zweimal in der Nordsee

So mancher Ort in Ostfriesland wurde Opfer einer Sturmflut. Das Kirchspiel Bettewehr traf es besonders hart: Es versank, wurde an anderer Stelle wiederaufgebaut und ging erneut im Meer unter. Dem Dorf wurde später ein Denkmal gesetzt, doch es gibt keinen Weg dorthin.

Adresse Jannes-Ohling-Straße, 26723 Emden, Knock GPS 53.340134,7.046347 Anfahrt Auto: über die A31, Ausfahrt Emden-West, L2, Rysumer Landstraße, Jannes Ohling-Straße, Parkplatz in Höhe der Abzweigung Mönkeweg.

Ganz versteckt und ohne Zuwegung: das Denkmal des untergegangenen Kirchspiels Bettewehr

DUNKLE VORAHNUNG Heiligabend im Jahr 1717. Ein alter Mann – wir nennen ihn Fokke Tjaden, ob er wirklich so hieß, wissen wir nicht, irgendwie wird er schon geheißen haben – hebt den Blick immer wieder Richtung Himmel. Seit Tagen regnet es ununterbrochen, der Boden ist bereits völlig aufgeweicht. Dazu weht ein unablässiger Sturm, zunächst aus Südwest, später aus West, und treibt die Flut höher als sonst. Gestern bereits stand das Hochwasser schon fast an der Deichkrone. Fokke muss an die alten Geschichten seines Opas denken, die er als Kind so spannend fand. Dieser war zehn Jahre alt, als das alte Bettewehr nach schweren Sturmfluten 1590 aufgegeben und die Deichlinie verlegt wurde. Mit 25 half er beim Neuaufbau mit, die alte Kirche wurde abgetragen und im neuen Bettewehr wiederaufgebaut. Als Deicharbeiter war seine Aufgabe, den Ort vor den Fluten zu schützen, sein Wissen gab er an seinen Sohn Tjade weiter. Schließlich wurde auch sein Enkel Fokke Deicharbeiter, mittlerweile aber ist er zu alt dafür. Doch den Zustand der Deiche kann er immer noch gut beurteilen, und genau das macht ihm Sorgen. Bereits 1714 und 1715 hatten schwere Sturmfluten immer wieder Deiche zerstört, die nur notdürftig repariert werden konnten. Werden die Deiche jetzt halten? Besonders beunruhigt ihn, dass der Wahrsager Hinrich Peters aus Dornumer Grode eine große Flut in diesem Jahr vorausgesagt hat, die so hoch sei, dass »Schiffe übers Land fahren konnten«. Das Jahr hat nicht mehr viele Tage für diese Prophezeiung.

LAND UNTER In der Nacht zum 25. Dezember flaut der Sturm zunächst ab, die Bewohner atmen auf. Eine Stunde nach Mitternacht jedoch dreht der Sturm auf Nordwest und wächst zu einem Orkan heran. Fokke geht auf den Deich. Eigentlich ist jetzt Niedrigwasser, auch der Mond steht nur im letzten Viertel, also ist keine Springflut. Doch das Wasser steht viel höher als sonst und steigt weiter. Lange vor dem eigentlichen Hochwasser ist bereits die Deichkrone erreicht, um zwei Uhr reißt das schäumende Wasser erste Mulden in den Deich und strömt in das Dorf. Fokke hat bereits vorher seine Familie gewarnt, sie kann sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. In finsterer Nacht machen sie sich auf den Weg nach Twixlum, nahe der sicheren Kirche auf der Warft wohnt Fokkes Schwester, die ihnen Zuflucht bietet. Fokke selber jedoch schafft es nicht mehr. Er will unbedingt noch die Bewohner alarmieren, die ahnungslos in ihren Betten liegen. Doch der Deich bricht. Schon beim zweiten Haus reißt ihn eine meterhohe Welle von den Füßen, das Dach stürzt ein. Eine Weile noch kann er sich im eisigen Wasser an einen Holztisch klammern, dann lassen die Kräfte nach und er ertrinkt. Als der nächste Morgen dämmert, ist es ein Bild des Grauens. Überall schwimmen Leichen und totes Vieh, teilweise meterdick ist die Schicht aus salzigem Schlamm, als sich das Wasser nach vier Tagen endlich zurückzieht. Die gesamten Wintervorräte sind vernichtet.

Das Sieltor des Fiskalischen Siels ist bis heute erhalten geblieben.

DAS ENDE Nur neun Häuser und die Kirche haben die Flut überstanden. Der zerstörte Deich wird erneut verlegt, die Kirche wird dabei mitten in den Deich gebaut. Im September 1720 greift Pastor Harkenroth während der letzten Predigt in der Kirche zu Bettewehr die Deichkommissare wegen des schlechten Zustands der Deiche scharf an, doch die Neujahrsflut zum Jahreswechsel 1720/21 läuft noch höher auf als die Weihnachtsflut drei Jahre zuvor und vernichtet auch die letzten Reste von Bettewehr. Die Arbeiter in der Kirche vergessen auf ihrer Flucht, das wärmende Feuer zu löschen – sie brennt bis auf die Grundmauern nieder.

WARUM? Die Katastrophe kam nicht völlig überraschend. Gerade hier, im Bereich der Knock, wie dieser westlichste Zipfel Emdens genannt wird, sind die Strömungsverhältnisse der Gezeiten extrem. Während bei dem nördlicher gelegenen Dorf Campen immer wieder Land gewonnen werden konnte, gab es hier häufig Uferabbrüche und Landverluste. Das noch weiter westlich gelegene Dorf Drewert wurde bereits 1530 aufgegeben, der Kirchturm stürzte acht Jahre danach ein. 1590 folgte das ursprüngliche Bettewehr. Der Deich wurde weiter nach innen verlegt, Bettewehr neu aufgebaut, in der Hoffnung, endlich sicher zu sein. Doch die später als eine der schwersten Sturmfluten überhaupt genannte Weihnachtsflut von 1717 riss nicht nur Bettewehr in den Abgrund, sondern verwüstete die gesamte Nordseeküste. Tausende Menschen und Tiere starben, entweder durch das Wasser oder später durch den harten Winter und zwei weitere Sturmfluten, die nur einen Monat später auf das ungeschützte Land trafen. Den Rest erledigte die Neujahrsflut drei Jahre danach.

Die Mauerreste beider Siele sind öffentlich zugänglich.

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