Lost - J. L. Drake - E-Book

Lost E-Book

J. L. Drake

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Beschreibung

Als Keith sich entscheidet, als Soldat in den Irak zu gehen, zerbricht seine erste große Liebe zu Lexi an der Last der Entfernung. Als er Jahre später nach Boston zurückkommt, hat Lexi nichts mehr von dem unbeschwerten College-Girl, das er gekannt hat. Lexi ist still, in sich gekehrt und lässt Keith nicht mehr an sich heran. Lexi weiß, dass Keith versuchen würde, sie zu retten, sobald er erfährt, dass sie sich mit der gefürchteten Gang Almas Perdidas eingelassen hat. Doch sie will nicht gerettet werden. Nicht mehr. Nachdem Lexi geschlagen wird, weil sie gegen Gang-Regeln verstoßen hat, kann sie ihr Geheimnis nicht länger vor Keith geheimhalten. Er wird nicht ruhen, bevor er sie aus den Fängen der brutalen Gang befreit hat. Er wird seine Liebe verteidigen, und sollte es sein Leben fordern, ist er gewillt diesen Preis zu zahlen.

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Seitenzahl: 446

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J. L. Drake

Lost

J. L. Drake

Lost

Verlorene Liebe

Roman

LAGO

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2018

© 2018 by Lago, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© der Originalausgabe: 2016 by J. L. Drake. The moral rights of the author have been asserted. Published by arrangement with Brower Literary & Management.

Die englische Originalausgabe erschien 2016 bei Limitless Publishing, LLC unter dem Titel Escape.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Alfons Winkelmann

Redaktion: Astrid Pfister

Umschlaggestaltung: Laura Osswald

Umschlagabbildung: Shutterstock/InnervisionArt

Satz: ZeroSoft, Timisoara

Druck: CPI books GmbH, Leck

ISBN Print 978-3-95761-187-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-111-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-112-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.lago-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Meinem Stiefvater Gordon gewidmet. Du bist ein freundlicher, liebevoller und großzügiger Mann, der in unsere Familie gekommen ist, und dafür lieben wir dich. Vielen Dank für das Lesen meiner Texte und für deine Aufrichtigkeit und deine hilfreichen Beiträge. Deine Ideen haben mir immer so viel geholfen, insbesondere bei diesem Buch. Wir sind vielleicht Hunderte von Meilen voneinander entfernt, aber du bist trotzdem jeden Tag hier bei uns.

Ich liebe dich.

Die Hauptfiguren

Keith: Mitglied von Blackstone. Geheimniskrämerisch. Savannahs »großer Bruder«.

Lexi: Keiths Exfreundin.

Savannah: Sieben Monate in Tijuana, Mexiko, als Geisel gefangen gehalten worden. Von Blackstone gerettet, hat sich später in Cole Logan verliebt. Lebt jetzt auf Shadows.

Cole: Besitzer des Safe Houses in Montana, das Shadows genannt wird. Hatte sich in das Foto eines Opfers verliebt. Es – Savannah – gefunden, gerettet und schließlich geheiratet. Anführer des Spezialteams Blackstone.

Olivia: Savannahs und Coles Tochter.

Mark: Cole Logans bester Freund. Ebenfalls Mitglied von Blackstone. Flüchtet immer mit Humor vor seiner schmerzlichen Vergangenheit.

Mia: Marks Freundin, Krankenschwester und Franks Tochter.

Paul: Mitglied von Blackstone, verstorben.

John: Mitglied von Blackstone.

Abigail: Marks »Adoptivmutter«, Coles Kindermädchen und jetzt Hausgehilfin. Hat eine Beziehung mit dem Hausarzt.

Doktor Roberts: Hausarzt, eine Seele von Mensch und in Abigail verliebt.

June: Abigails jüngere Schwester.

Mike: Mitglied von Blackstone. Wild aussehender gutmütiger Bär, von Kopf bis Fuß tätowiert.

Dell: Agent auf Shadows.

Davie: Agent auf Shadows.

Molly: Krankenschwester im North Dakota Hospital. Hat eine Geheimhaltungsverpflichtung unterzeichnet, damit sie die Männer des Blackstone-Teams verarzten kann, wenn diese eingeliefert werden.

Scoot: Launischer Hauskater. Hat keinerlei Schamgefühl.

Inhalt

Prolog

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Epilog

Prolog

Ort: Mexiko

Koordinaten: geheim

Keith

Der Staub brannte mir schmerzhaft in den Augen, als ich dem Land Rover hinterherrannte. Zwei Kartellmitglieder rasten gerade mit einigen medizinischen Vorräten aus unserem Lager davon. Was die Verfolgung allerdings zu einem solchen Spaß machte, war die Tatsache, dass sie es nicht von uns erwarteten.

Meine Stiefel berührten kaum den Boden und meine Arme durchpflügten den Wind. Ich warf einen Blick über die Schulter und entdeckte Mark hinter mir, der rasch mit seinem Wagen aufholte. Cole war aus dem Fenster des Hummers gestiegen und hockte jetzt auf der Kante. Er legte sein Gewehr gerade auf das Dach, griff nach seinem Funkgerät und ich hörte seine Stimme über meinen Kopfhörer.

»Lauf nach neun Uhr.«

Ich tat es, und prompt zischten zwei Kugeln an mir vorüber und veranlassten den Fahrer, kurz abzubremsen. Ich gewann dadurch an Boden und griff jetzt nach dem Dachgepäckträger des Wagens, schaffte es jedoch nicht ganz, ihn zu erreichen.

»Verdammt!« Meine Augen tränten, während ich mich auf den Land Rover zu konzentrieren versuchte. Mit aller Kraft vollführte ich einen Satz nach vorn und klammerte mich dann an den Träger. Meine Knie schlugen schmerzhaft gegen die Stoßstange und meine Hüften knallten gegen das Reserverad.

Hastig schwang ich die Beine hoch und zog mich auf das Dach hinauf. Ich spreizte die Knie, fand mein Gleichgewicht und zeigte Cole einen erhobenen Daumen.

Vier Kugeln streiften daraufhin fast mein linkes Ohr. Ich kroch hastig nach vorn und zog mein Messer aus dem Oberschenkelholster. Dann ließ ich mich auf den Bauch fallen und rammte dem Burschen das Messer direkt durch die Hand und in den Bezug der Tür.

Der Fahrer geriet daraufhin in Panik, und das Fahrzeug schwankte wild hin und her, während der Beifahrer wild an seiner Hand zog und zerrte, um sie von dem Messer zu befreien. Ein rascher Hieb mit dem Ellbogen gegen seine Schläfe, und sein Kopf wurde zurückgeschleudert und fiel zur Seite.

Ich schob nun meine Fersen durch den Dachgepäckträger, um mich festzuhalten, und ließ mich an der Seite herabbaumeln, dann richtete ich meine Waffe durch das Fenster auf den Fahrer, der sich gerade verzweifelt darum bemühte, das Fahrzeug unter Kontrolle zu halten. Schweiß tropfte ihm von der Stirn und hinterließ Spuren auf seinem schmutzigen Gesicht. »Sofort anhalten!«

Seine Hände flogen vom Lenkrad und sein Blick war unfassbar wild. Das Fahrzeug ruckelte, weil auf einmal die Kraftstoffzufuhr unterbrochen war, und dann wurde es immer langsamer. Wir beide betrachteten die Maschinenpistole, die sich direkt neben ihm befand.

»Tu’s nicht«, warnte ich ihn, aber wie es zu erwarten war, griff der Typ dennoch danach.

Peng!

Der Kopf des Mannes fuhr aufgeregt hin und her, während er das riesige Loch in seinem Lenkrad betrachtete. Er geriet jetzt offenbar in einen Schockzustand, und es war nicht schwer zu erraten, dass er noch neu in dem Geschäft war.

»Noch einmal, und die nächste Kugel geht genau zwischen deine Augen.«

Er verstand offenbar Englisch, so viel konnte ich sagen, denn er nickte pflichtschuldigst und legte sofort beide Hände zurück auf das Lenkrad und ließ sie dort liegen, bis wir stehen blieben.

Cole kam jetzt zu dem Fenster auf der Fahrerseite und richtete sein Gewehr genau auf das Gesicht des Mannes, dann sah er ruhig und freundlich zu mir hinüber, als ob er gerade vom Mittagstisch aufgestanden wäre.

»Alles in Butter, Keith?«

»Aber sicher.« Ich packte die Kante der Tür, löste meine Füße, schwang herum und ließ mich elegant zu Boden fallen. »Vermutlich ist er neu in der Branche.«

»Ja, der hat wirklich ziemlich schnell aufgegeben«, warf Mike ein, packte den Fahrer bei den Schultern und sagte ihm, dass er sitzen bleiben solle.

»Ja.« Ich setzte jetzt meine Sonnenbrille ab. »Wahrscheinlich waren wir gar nicht gemeint gewesen, sie haben in uns vielleicht einfach nur ein leichtes Ziel gesehen.« Ich öffnete die Tür, ließ den bewusstlosen Beifahrer zu Boden fallen und durchsuchte ihren Krempel. Du meine Güte, waren das Chaoten! Essensverpackungen, Coladosen, Zigarettenstummel und Bierflaschen übersäten den Boden. Ich kicherte bei der Vorstellung, dass diese beiden Typen sowieso schon bald an einem Herzinfarkt sterben würden, bei ihrer Lebensweise.

»Lopez!«, rief Cole nun. »Komm her. Wir haben zwei Geiseln.«

»Verstanden.«

»Colonel.« Ich zeigte auf ein verhülltes Paket auf dem Rücksitz, zog vorsichtig die schmutzige Decke herunter und enthüllte dabei eine große Bombe.

»Sofort zurück!«, brüllte Cole, und die Jungs folgten seinem Befehl rasch.

»Sachte, Keith«, warnte er mich.

Ich untersuchte die Bombe nun vorsichtig. Sie war nicht geschärft, deshalb gab ich Entwarnung.

Rasch entrollte ich eine Anzahl von Blaupausen auf der Motorhaube des Land Rovers, überflog sie kurz und bemerkte darauf eine eingekreiste Stelle. »Heilige Scheiße!«

Cole beendete die Überprüfung der Bombe daraufhin und trat zu mir. Ich kämpfte gegen den aufkommenden Wind an, um das Papier unten zu halten, und zeigte dann auf das, was anscheinend ihr beabsichtigtes Ziel gewesen war.

Meine Hand ballte sich unwillkürlich zur Faust, als ich auf Mike zutrat, der den Fahrer in der Zwischenzeit mit Handschellen gefesselt hatte. Mein Gesicht war angespannt vor lauter Wut, ich holte aus und knallte ihm meine Faust direkt in das Gesicht. Die möglichen Konsequenzen waren mir momentan verdammt egal.

»Du alter Hurensohn!«, zischte ich, während er sich schmerzerfüllt auf dem Boden wälzte.

»Nein, bitte nicht!«, schrie er mit gehobenen Händen, als wenn er mich abzuwehren versuchte. »Ich befolge auch Ihre Regeln. Ich tue niemandem weh.«

»Es sind Kinder, du mörderischer Bastard! Unschuldige Kinder! Du wolltest sie alle töten!« Ich blickte außer mir vor Wut zu Mark hinüber, der gerade von Cole zurückgehalten wurde.

Ich wusste, dass sich viele Männer den Kartellen nur deshalb anschlossen, weil sie sonst nirgendwohin konnten. Sie wandten sich einfach aus Verzweiflung dem Drogenhandel zu. Aber so etwas wie hier … eine Bombe in eine Schule zu legen und damit unschuldige Kinder zu töten … das konnte nur von jemandem ausgeführt werden, der absolut keine Seele besaß. Ich benötigte verdammt viel Selbstbeherrschung, um ihm nicht meine Waffe in die Kehle zu rammen und das Magazin daraufhin komplett zu leeren.

Cole befahl Mike nun, die Männer im Hummer zu fesseln, und Mark und ich entfernten anschließend die Bombe und entschärften sie vollständig, bevor wir zum Pick-up zurückgingen.

»Gut gemacht.« Cole knallte seine Faust gegen meine, als wir hinten einstiegen.

»Danke.«

Mark wischte sich nun mit einem Tuch über die Stirn. Ich wusste, dass er jetzt, da Mia schwanger war, mehr als sonst zu kämpfen hatte. So etwas veränderte die Perspektive eines Mannes einfach.

Ich strich mir mit den Fingern über den Unterarm, während ich mir erlaubte, meine Gedanken ein paar Augenblicke lang schweifen zu lassen, während eine Erinnerung an die Oberfläche trat.

Sie strich mir mit ihrer glatten Hand über die nackte Brust und holte mich so aus meinem tiefen Schlaf. Seidiges Haar kitzelte mein Gesicht, und ihr Kichern brachte mich unwillkürlich dazu, mit den Hüften den Kontakt zu ihr zu suchen.

»Guten Morgen.« Ihre heisere Stimme ließ mich sofort hellwach werden. Mit ihren großen Augen sah sie mich intensiv an, während sie ihre Hüften wiegte. »Ich habe Hunger.« Sie öffnete die rosigen Lippen, und ich sah zu, wie sie mein Geschlecht gänzlich verschluckte.

»Heilige …!« Ich presste meine Hand auf mein Gesicht und fragte mich, wie lange ich das wohl durchhalten konnte.

»Dort, gleich da drüben«, rief Mark und holte mich damit grob aus meiner Erinnerung zurück. Mir zog sich sofort der Magen zusammen. »Woran denkst du gerade?«

»An nichts«, knurrte ich verärgert.

»Immer bist du so mürrisch.«

Ich seufzte und sah zu ihm hinüber. »Ich denke bloß an zu Hause.«

Er nickte verständnisvoll, während er die Mütze absetzte und sich den Sand aus dem Haar schüttelte. »Ich bekomme diesen Ausdruck immer nur dann, wenn ich an Mia denke«, sagte er.

Er grinste, und dann klickte es bei ihm. »Jemand Besonderes?«

Kopfschüttelnd sah ich wieder aus dem Fenster.

Ich frage mich, was sie wohl gerade tut.

Kapitel eins

Boston

Keiths Highschool-Zeit

»Gib ab!« Clark klopfte mit seinem Schläger auf das Eis, um mir zu signalisieren, wo er war. Ich raste die Eisfläche hinab, und der Puck knallte gegen meinen Schläger. Ich blickte kurz zu ihm hinüber und gab dann ab, nur um ihn nach zwei Schritten wieder zurückzubekommen. Das war einer unserer Spielzüge. Ich täuschte nach links an, wandte mich dann jedoch nach rechts. Einmal vor dem Netz angekommen, sah ich eine Öffnung und schlug den Puck, ohne weiter zu überlegen, genau zwischen den Beinen des Torwarts hindurch in das Netz. Ich grinste, als die geliebten Sirenen zusammen mit den Zuschauern aufjaulten.

Clark packte nun meinen Helm, und wir stießen unseren Gesichtsschutz ausgelassen gegeneinander und jubelten lautstark. Der Schiedsrichter pfiff, und die Menge setzte sich wieder auf ihre Plätze. Ich fuhr jetzt zur Mitte, die Schlittschuhe zu beiden Seiten der Linie, und wartete, dass der Puck auf das Eis fiel.

Ich liebte diesen Teil, wenn nichts anderes zu hören war außer dem eigenen Herzschlag und nichts zu spüren war außer dem wilden Gefühl der Erwartung des Augenblicks, wenn der Schiedsrichter tief Luft holte und dann der harte Knall des Gummis auf dem Eis ertönte.

Der Puck fiel jetzt herunter, beide Schläger kämpften darum, ihn für sich zu erobern, dann versuchte mein Gegner, seinen Schläger um meinen Hals zu haken. Ich ließ sofort die Schultern heruntersacken und raste verärgert in ihn hinein.

Jetzt, mit siebzehn Jahren, wog ich knapp einhundert Kilo und war schon über zwei Meter groß. Ich war ein richtiger Schrank, und nicht viele Leute würden sich mal eben freiwillig mit mir anlegen. Unnötig zu sagen, dass ich mich richtig freute, wenn es mal dazu kam.

Der gegnerische Spieler prallte jetzt von meinem heranjagenden Körper ab und landete unsanft auf seinem Hintern. Sofort unterbrach der Schiedsrichter das Spiel und verhängte eine Zeitstrafe gegen den anderen Typen, der sich nun mühsam vom Eis erhob.

»Willst du mich verarschen?«, rief er aufgebracht und zog sich einen Handschuh aus. »Hast du etwa nicht gesehen, was der Typ gerade mit mir gemacht hat?«

»Zeitstrafe, zwei Minuten, wegen unsportlichem Verhalten.« Der Schiedsrichter packte ihn am Trikot und zerrte ihn zur Box.

Ich fuhr zurück und nahm meinen Platz in der Mitte wieder ein. Der Puck fiel herab, und ich dachte nur noch daran, mich zu konzentrieren und ihn mir zu schnappen.

Mit dem Puck sicher zwischen meinem Schläger und meinem Schlittschuh fuhr ich um das Netz herum und versenkte ihn erneut über dem Fußknöchel des Torwarts.

Mit einem kleinen Grinsen nickte ich dem Trottel in der Box zu und knallte dann mit Clark die Fäuste wegen eines weiteren Gewinns in dieser Saison zusammen. Drei Versuche, drei Tore, außerdem führten wir zurzeit die Tabelle des Highschool-Eishockeys an.

»Party bei mir!«, schrie er jetzt über das Gebrüll hinweg.

*

Beim Anblick der Zahlen an meinem Nummernschloss drehte sich mir alles im Kopf. Ich hatte einen höllischen Kater vom Abend zuvor. Ich konnte mich nur noch daran erinnern, dass ich ungefähr mein Körpergewicht an Bier getrunken hatte und am Morgen irgendwie in Clarks Verandasessel gelandet war.

Drei, sechs, neun …

Meine Finger wirbelten das Rädchen herum, und endlich öffnete sich meine Spindtür. Ich holte drei Kopfschmerztabletten heraus, warf sie schnell ein und goss eine Zitronenlimo hinterher. Dann tauschte ich mein Mathematikbuch gegen mein Naturwissenschaftsbuch aus und schloss die Tür sorgfältig wieder.

»Hey, Kumpel!« Clark grinste mich an. »Ich habe gehört, da ist heute Frischfleisch angekommen.« Er blickte über die Schulter hinweg. »Schwestern!«

»Und woher weißt du das schon wieder?« Ich ging mit ihm zu meinem nächsten Klassenraum. Clark war ein bekannter Aufreißer. Sämtliche Mädchen an unserer Schule waren ihm bereits langweilig geworden, also war er natürlich der Erste, der wusste, wenn jemand Neues hier eintraf.

»El und Alexi.« Er wackelte mit den Augenbrauen und setzte sich neben mich. »Ich habe gehört, sie sind gerade erst von Kanada hierhergezogen.« Er rieb sich aufgeregt die Hände. »Kanadierinnen! Besser kann es doch gar nicht mehr werden.«

»Ja, das stimmt.« Ich öffnete mein Heft und wartete darauf, dass der Lehrer mit dem Unterricht begann. Es war sowieso nur eine Frage der Zeit, bevor Clark eine, oder vielleicht sogar beide Mädchen, in die Dusche des Umkleideraums bekam. Zwei weitere seiner vielen Eroberungen.

Der Unterricht war unglaublich langweilig, so wie üblich. Zu meinem Glück war ich clever, aber das war manchmal sowohl Fluch als auch Segen. Auf diese Weise konnte ich meinen Platz als Co-Captain des Teams bewahren, aber so wurde der Tag auch gerne mal unfassbar öde, weil ich einfach nicht genug herausgefordert wurde.

Das Eishockeyfeld war daher mein Lieblingsort … die Geräusche, der Geruch, einfach alles daran. Es war der Ort, an dem ich einfach abschalten und meine Körperkraft einsetzen konnte, ohne Probleme zu bekommen. Ich war für körperlichen Kontakt einfach wie geschaffen.

Ich ließ jetzt meine Tasche vor mir fallen und setzte mich auf die Tribüne neben dem Footballfeld, wo das Team bereits zu Trockenübungen überging. Mein Kopf quälte mich jetzt nicht mehr länger. Perfektes Timing, denn der Trainer wollte, dass wir nun Runden liefen. Der größte Teil der Sponsorengelder für unsere Schule floss in das Eishockeyteam, da unser Footballteam ein Witz war. Trotz alledem waren sie aber immer noch ein Team, das unserer Schule jedes Jahr einen Pokal für den dritten Platz einbrachte.

»Dann mal los, meine Damen!«, rief Trainer Grant durch ein Megafon. Diese Anrede war seine persönliche abgedrehte Methode, uns zu höheren Leistungen anzustacheln. »Ihr könnt die St. Pat’s Highschool bestimmt nicht schlagen, wenn ihr nicht eure Runden laufen könnt. Also bewegt euch!«

Nachdem ich meine Adidas-Turnschuhe zugeschnürt, mich gedehnt und noch etwas Limo hinuntergekippt hatte, schloss ich mich Clark an, der gerade an mir vorbeitrabte.

Als wir die vierte Runde beendet hatten, bemerkte ich plötzlich einen Typen, der auf den Trainer zuging.

»Wer ist denn das?« Clark nickte unauffällig in dessen Richtung.

»Weiß ich nicht.«

»Oh, noch besser, wer ist das?« Clark wäre beinahe gestolpert, als er den Hals ungeschickt verdrehte, um in eine andere Richtung schauen zu können.

»Das weiß ich leider auch nicht«, brummte ich, ohne hinzuschauen, und nahm nun Geschwindigkeit auf. Erst als ich wieder eine Runde geschafft hatte, sah ich, von wem Clark geredet hatte.

Sie hatte dunkelbraunes Haar, das ihr bis zu den Ellbogen reichte, war klein und besaß lange, schlanke Beine. Ich konnte ihr Gesicht zwar nicht sehen, aber die Art und Weise, wie sie sich hielt, ließ Selbstvertrauen erkennen. Sie setzte sich jetzt, öffnete ein Buch und warf noch nicht einmal einen Blick auf irgendwen.

»Meine Damen!« Der Trainer winkte uns nun heran und wartete, bis wir alle eingetroffen waren, bevor er etwas sagte. »Wir haben einen neuen Spieler, und da Jordon gerade verletzt ist, können wir ihn sicher gut gebrauchen.« Clark offenbarte jetzt denselben besorgten Ausdruck, der ganz sicher auch auf meinem Gesicht stand. »Das ist Elliot Klein. Er ist gerade erst von Toronto hergezogen, das liegt in Kanada, falls eine von euch Damen sich in Geografie nicht richtig auskennt. Er hat dort auf dem linken Flügel gespielt, aber für uns wird er rechter Verteidiger sein.«

Ich konnte das Grinsen nun nicht mehr unterdrücken, das ich nun im Gesicht hatte, als ich Clark musterte, woraufhin dieser mir wütend den Mittelfinger zeigte. Offenbar war »El« nämlich die Abkürzung für »Elliot«. Wie geil!

»Hallo, ihr.« Er nickte uns freundlich zu. »Danke, dass ich bei eurem Team mitmachen darf. Ich habe nämlich kein Interesse an Football und spiele auch kein Baseball.«

»Gut zu hören«, rief Greyson, unser Torwart, hinter uns.

»Okay, zehn Minuten Pause.« Der Trainer holte ein Notizbuch heraus und kritzelte etwas hinein.

»Ich bin Keith.« Ich streckte dem Neuen die Hand hin. Ich hatte mein ganzes Leben lang Sport getrieben und hatte dabei noch nie meinen Vornamen, Brandon, verwendet.

»Elliot Klein.« Er erwiderte meinen Händedruck. »Du spielst Center, stimmt’s?«

»Ja, allerdings.«

»Ich habe natürlich, bevor ich herkam, meine Hausaufgaben erledigt, darüber hinaus kann man dich aber auch schwerlich übersehen. Die ganze Trophäenwand vor dem Büro des Direktors ist praktisch mit deinem Gesicht gepflastert.« Er sah über die Schulter zu der Brünetten hinüber. Sie hatte den Kopf noch immer in ihrem Buch versenkt.

»Eine Freundin von dir?« Ich kippte meine Wasserflasche und ließ die Flüssigkeit meine Kehle hinabrinnen. Keine Kohlensäure, keine Krämpfe. Das funktionierte gut bei Sportlern.

»Könnte man so sagen.« Er kicherte und warf dann einen Blick über meine Schulter hinweg auf Clark, der gerade zu uns kam. Sie stellten sich einander rasch vor, bevor der Trainer uns für die Liegestütze in die Mitte rief.

Einhundert Liegestütze, einhundert Sit-ups, später einhundert Kniebeugen, und danach brannte mein Hintern immer so, wie ich es nach einem guten Training haben wollte. Während sich die Übrigen zu den Duschen aufmachten, liefen Clark und ich noch eine letzte Runde, damit sich die Milchsäure in unseren Muskeln abbaute.

Wir blieben kurz an der Tribüne stehen, um unsere Sachen zu holen, und entdeckten dabei Elliot, der gerade mit der Brünetten sprach. Als er uns bemerkte, drehte er sich um. »Hallo, ihr, könntet ihr mir vielleicht den Weg zur Cafeteria zeigen?«

»Könnten wir schon, aber die ist bereits geschlossen.« Ich warf meine Tasche über die Schulter und bemühte mich immer noch darum, einen Blick auf das Gesicht des Mädchens erhaschen zu können. »Wir gehen aber gleich zu einem Burger Joint unten an der Straße. Habt ihr auch Hunger?«

Seine Augen leuchteten auf und er wandte sich wieder an das Mädchen. »Hey, bist du mit dabei?«

Sie drehte sich jetzt um und warf sich das Haar aus dem Gesicht. Mein Gott! Ihre perfekten Augenbrauen hoben sich, als sie mich anschaute. Sie war sexy und echt hübsch, aber ihr verärgerter Gesichtsausdruck, während sie mich musterte, entging keinem von uns.

»Natürlich.« Sie schaute über das Feld hinaus. »Warum nicht?« Sie nahm ihre Handtasche, die die Form einer Satteltasche besaß und von deren unterem Rand Fransen herabbaumelten, und kam dann vorsichtig in ihren hochhackigen Boots zu uns hinunter. Ich wollte ihr meine Hand reichen, aber Clark, kam mir natürlich zuvor, typisch. An der letzten Reihe blieb sie kurz stehen, sah uns beide kritisch an, nahm sein Angebot dann aber an und ließ sich von ihm hinunterhelfen. Sobald sie unten stand, musterte ich sie verstohlen.

Ihre Beine unter der engen Jeans waren offenbar gebräunt, denn ihr schwarzes Top hörte etwa zwei Zentimeter über ihrem Gürtel auf, und ihre Haut sah aus, als ob sie einige Zeit in der Sonne verbracht hätte. Ihre Lederjacke bedeckte ihre schmalen Schultern und sie trug eine Halskette mit dem Buchstaben »A« darauf.

»Hey«, sagte sie knapp und sah dann zu Elliot hinüber, der ihr einen vielsagenden Blick zuwarf. Sie schloss daraufhin die Augen und wandte sich uns dann zu. »Also, Burger?«

»Du meine Güte.« Elliot schüttelte den Kopf, eindeutig verärgert über ihre Gefühlskälte uns gegenüber. »Clark, Keith, das ist meine Zwillingsschwester Alexi.«

»Lexi«, korrigierte sie ihn sofort und ging dann zum Parkplatz hinüber.

Wir folgten ihr, und Clark versetzte mir nun einen Schlag auf den Arm. »Die ist aber verflucht heiß.«

Ich verdrehte die Augen. Er hatte zwar nicht Unrecht, aber sie hatte offenbar mit so einigen Problemen zu kämpfen.

Clark schleuderte jetzt seine Tasche auf die Ladefläche meines Pickups, sprang leichtfüßig auf die Ladeklappe und begab sich dann zu seinem üblichen Platz auf dem Radkasten. »Hier ist viel Platz für dich, Lexi.«

»Ich setze mich lieber hinten hin.« Elliot sprang stattdessen zu Clark, und Lexi warf mir anschließend einen auffordernden Blick zu.

Ich öffnete ihr daraufhin die Beifahrertür und winkte sie hinein.

»Danke.« Nun bemerkte sie anscheinend zum ersten Mal, wie hoch mein Truck tatsächlich war, denn der Wagenboden befand sich für sie fast auf Brusthöhe. Ich griff kurzerhand an ihr vorbei und zog die Trittstufe hinab. Dabei streifte ihr Haar mein Gesicht. Es war so weich und roch unglaublich angenehm. Ich blieb absichtlich etwas länger in dieser Position, bevor ich wieder zurückwich.

Sie machte nun einen unsicheren Schritt auf die Stufe und zog sich dann hinauf. Ich musste einfach fasziniert ihren Körper betrachten, denn sie war unglaublich gut proportioniert.

Clark hieb ungeduldig auf das Dach, um mir zu signalisieren, dass sie bereit zur Abfahrt waren. Ich startete das Untier deshalb und fuhr auf die Straße hinaus.

Dann öffnete ich das Fenster und ließ mich vom Fahrtwind abkühlen. Ich brauchte dringend eine Dusche und hoffte, dass mein Deodorant doppelt gut wirkte. Ausgerechnet heute hatte ich nicht geduscht …

Ich schaltete das Radio ein und wollte es gerade aufdrehen, als sie mir auf die Hand schlug.

»Oh.« Ihre Hand wich etwas zurück, schwebte jedoch nach wie vor über meiner. »Ich liebe diesen Song einfach, weißt du?« Ich grinste. Sie biss sich auf die Lippe, und das sanfte Pink passte perfekt zu ihren weißen, geraden Zähnen. »Was ist?«

»Ich bin nur überrascht, dass du ein Fan von Pearl Jam bist.«

Sie verdrehte die Augen. »Echt?«

Ich zuckte nur mit den Achseln, um zu sehen, ob ich sie vielleicht dazu bringen konnte, weiterzureden, doch sie musterte mich jetzt eindeutig verärgert.

»Was höre ich denn meinem äußeren Erscheinungsbild nach gern, hm?«

Überraschenderweise kannte ich mich bei Musik, auf die Mädchen standen, relativ gut aus, also genoss ich einen Augenblick lang ihre Neugier, dann strich ich mit der Hand am Lenkrad entlang, bevor ich sie locker zum Fenster hinaushängen ließ.

»Boyz II Men.« Ich grinste beim Anblick ihres mörderischen Gesichtsausdrucks.

»Ernsthaft?«

Ich formte die Worte ihres berühmten Songs »I`ll Make Love To You« stumm mit dem Mund.

»Ich möchte lieber gar nicht wissen, woher du den Text dieses Songs kennst.«

Kichernd betrachtete ich sie von der Seite und schnitt ihr dann eine Grimasse. Ich mochte sie auf Anhieb. Sie hatte interessante Facetten in ihrer Persönlichkeit. Sie wandte sich nun ab und starrte aus dem Fenster, anscheinend tief in Gedanken versunken. Sie war offenbar immer auf der Hut, und eine fast wütende Aura umgab sie. Ich fragte mich, ob es daran lag, dass sie nicht hierher hatte ziehen wollen. Ich jedenfalls würde bestimmt nicht in meinem letzten Jahr die Schule wechseln wollen.

Den Rest der Fahrt über unternahm ich keine weiteren Gesprächsversuche.

Ich sah in den Spiegel, fuhr rückwärts auf meinen üblichen Platz und stieg dann aus. Lexi kämpfte mit der Tür, und als ich gerade um die Heckklappe herumging, sprang sie herab, ohne an die Höhe zu denken, landete hart und geriet anschließend aus dem Gleichgewicht. Es gelang mir allerdings, sie noch rechtzeitig an der Taille festzuhalten. Ihre überraschend leichte Gestalt fiel auf mich, und sie hielt sich an mir fest, das Gesicht in meiner Schulter vergraben.

»Wow!« Sie pustete sich ein paar Strähnen ihres Haares aus dem Gesicht. »Dein Truck ist echt hoch.« Sie lachte über ihre eigenen Worte. »Ich würde jetzt gern versuchen, wieder auf meinen eigenen Beinen zu stehen.« Ihre Hände glitten zu meinen Schultern und sie stieß mich von sich weg.

»Alles in Ordnung mit dir?« Ich mochte das Gefühl ihrer zierlichen Hände auf mir irgendwie sehr. An ihrer rechten Hand trug sie einen Ring mit einem purpurfarbenen Stein, der sich gut mit ihren mokkafarbenen Augen ergänzte, als sie sich das Haar aus dem Gesicht strich.

Sie nickte, setzte aber schnell wieder ihren bekannten Gesichtsausdruck auf und trat dann einen kleinen Schritt zur Seite, weg von mir.

»Alles in Ordnung, Lexi?« Elliots Augenbrauen zogen sich zusammen und er blickte schnell auf seine Uhr.

»Ja, nur dass Keith gerade versucht hat, mich mit seinem Tacoma umzubringen.«

Ich erkannte, dass mit ihr alles in Ordnung war.

Das Essen verlief so lala. Wir hatten alle so viel Hunger, dass niemand großartig etwas sagte. Mir fiel allerdings auf, dass Lexi uns die ganze Zeit fasziniert beim Essen zuschaute. Ich verstand das schon, denn wir aßen nicht gerade wenig.

Elliot musste nun zu seinem neuen Job, und Clark wohnte unten an der Straße, also brauchte er keine Mitfahrgelegenheit. Lexi und ich kehrten deshalb allein zum Truck zurück.

Nachdem wir in dem stickigen Restaurant gesessen hatten, fühlte sich die abendliche Luft angenehm kühl an. Ihre Lederjacke quietschte leise, als sie die Arme vor der Brust verschränkte. Sie hatte auf dem Kies ganz schön mit ihren hochhackigen Boots zu kämpfen.

»Hier.« Ich hielt ihr meinen Arm hin, damit sie sich festhalten konnte.

»Normalerweise bin ich nicht so hilfsbedürftig.« Sie kicherte. Hui. Anscheinend war sie auch noch lustig. Am Truck angekommen, seufzte sie leise und fuhr dann mit einem verärgerten Gesichtsausdruck herum.

Oh nein, was ist denn jetzt schon wieder?

»Auch auf das Risiko hin, ein …« Sie hob die Hände und vollführte die Geste der Anführungszeichen, »… solches Mädchen zu sein: Kannst du mir vielleicht bitte beim Einsteigen helfen?« Sie zeigte auf den monströsen Truck.

»Natürlich.« Ich grinste. Sie war wirklich lustig. Sie griff nun nach meiner Hand, aber ich packte kurzerhand ihre Hüften und hob sie komplett auf den Sitz. Ich hasste diese Stufe sowieso.

»Du meine Güte!« Sie strich sich das Haar hinter das Ohr. »Das hatte ich jetzt nicht erwartet.«

»Beine rein.« Ich schob ihren Körper herum und reichte ihr den Sicherheitsgurt. Nachdem ich die Tür zugeknallt hatte, ging ich vorn um den Truck herum und setzte mich anschließend hinter das Lenkrad. »Schule? Oder nach Hause?«

Ihr schien plötzlich etwas einzufallen, aber sie verbarg rasch ihr Gesicht. »Schule.«

Auf dem Weg zurück sprach sie nicht mehr viel, aber mir fiel auf, dass sie sich immer wieder mit dem Finger auf das Knie tippte.

»Also, Elliot spielt gern Eishockey. Was ist dein Ding?«

Sie hatte den Blick weiter aus dem Fenster gerichtet. »Ich habe eigentlich kein richtiges Ding.«

»Oh, das ist blöd.« Ich passte mich ihrem Tonfall an.

Sie sah zu mir hinüber, anscheinend fast überrascht von meiner Bemerkung. »Warum?«

»Es war bloß etwas, das ich über dich wissen wollte.« Ich starrte sie einen langen Augenblick an und achtete dann wieder auf die Straße.

Sie benötigte einen Herzschlag lang, bevor sie sich erneut dem Fenster zuwandte. Ich fuhr jetzt auf den Schulparkplatz, und nachdem sie mir ihren Wagen gezeigt hatte, parkte ich den Truck direkt daneben.

»Wo wohnst du?«

»In der Brick Street.«

»Oh, da wohnt auch mein Kumpel.« Ich stieg aus und wartete an der Tür auf sie. Dann hob ich ihr meine Arme entgegen und wartete kurz, ob es ihr recht war. Anschließend stützte sie auf meine Arme und ich hob sie herunter.

»Danke.« Sie wich sofort zurück und wollte gehen, sah sich jedoch noch einmal um.

»Keith?«

»Ja?«

Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, bevor sie diese wieder zurückzog. »Schon gut.« Sie winkte ab und öffnete ihre Tür.

»Ah, bis dann.«

Sie fuhr weg, und ich folgte ihr mit meinem Wagen. An der Ampel blieb ich neben ihr stehen und bemerkte, dass sie in die falsche Richtung abbiegen wollte. Hmmm. Ich lehnte mich über die Sitzbank und kurbelte das Fenster hinunter.

»Lexi!« Sie ließ ihr Fenster ebenfalls halb herab. »Wo wohnst du noch mal?«

»50220, Brick Street.«

»Dann biegst du gerade falsch ab. Komm auf meine Spur, ich fahre voraus.«

Sie zögerte kurz, kurbelte dann jedoch das Fenster wieder hoch und fuhr hinter mir her.

Von der Schule bis zu ihrer Wohnung gab es drei Ampeln, und bei jeder davon ertappte ich mich dabei, sie im Rückspiegel zu beobachten.

Sie zeigte beim Fahren ein interessantes Verhalten. Sie spielte die ganze Zeit mit ihrem linken Ohrring, drehte sich häufig um, als wenn sie nachsehen wollte, ob sich jemand auf ihrem Rücksitz befand, und sie schloss mehrmals die Augen und rieb sich über die Stirn. Ich fragte mich, warum sie so gestresst war und was ihr wohl gerade durch den Kopf ging.

Als wir die Adresse erreicht hatten, hielt ich an und stieg aus. Sie lächelte mich an, als ich zu ihr kam.

»Also, hier wohne ich.« Sie trat nervös von einem Fuß auf den anderen und blickte dann über die Schulter hinweg zum Haus hinüber, als wolle sie nachschauen, ob sie ihre Eltern irgendwo entdeckte.

»Alles klar?«

»Ja, warum nicht?«

»Ach, nichts weiter. Na ja, mein Job hier ist vermutlich erledigt. Gute Nacht, Lexi.«

»Gute Nacht, Keith.«

Kapitel zwei

Lexi

»Lexi Klein!«, rief jemand. Ich schob mein Buch in die Tasche, drehte mich um und entdeckte drei Mädchen in schwarz-weißen Cheerleader-Uniformen. Die Blonde mit den dichten Locken, bei der ich vermutete, dass sie die Chefcheerleaderin war, trat jetzt vor. »Ich bin Mimi, und das sind meine Mädels: Trish und Nicole.« Ich präsentierte ein schmales Lächeln, weil ich nicht so recht wusste, was sie von mir wollten. »Wie wir gehört haben, warst du an deiner alten Schule eine Turnerin. Wir wären daran interessiert zu sehen, was du kannst. Uns fehlen nämlich ständig Mädchen in unserem Team, und wir könnten dich deshalb wirklich gut brauchen. Hast du schon mal Cheerleading probiert?«

Oh, das ist ein Witz, oder? Bestimmt ist Elliot hier irgendwo und genießt die Show.

»Ähm, ich habe mich nie für sonderlich schwungvoll gehalten.«

»Es geht hier nicht um den Schwung, Lexi, es geht darum, dass wir uns den Arsch abtanzen und das Team damit gut aussehen lassen können.« Sie grinste die anderen Mädchen an. »Sieh mal.« Sie trat jetzt einen Schritt näher. »Ich verstehe schon, dass du die Neue im letzten Jahr bist, und an dieser Schule läuft viel über Cliquen. Zähl uns doch einfach zu deinen Freundinnen.«

Ich zögerte kurz, aber dann kam mir plötzlich der Gedanke, dass so etwas meine Mutter bestimmt glücklich machen würde. Sie hatte sich in letzter Zeit sehr um mich gesorgt, und ich wusste, dass sie all ihre Hoffnungen daran geheftet hatte, dass hier alles besser werden würde.

Mimis Augen funkelten, als ich ihr nicht gleich einen vor den Latz ballerte. »Ein kleiner Test auf dem Spielfeld, nach der Schule?«

»Ja, okay.«

Der Unterricht flog nur so an mir vorbei, da ich nicht allzu viele Gedanken daran verschwenden musste. Dieses Projekt hatten wir im vergangenen Jahr bereits an meiner alten Schule gehabt, also wusste ich schon so ziemlich alles darüber. Ich merkte allerdings, dass mir der Cheerleader-Test Unbehagen bereitete, denn das war nichts, was ich wirklich tun wollte.

Ich ließ meine Tasche auf die Bank fallen und war froh, dass ich heute Morgen meine Turnschuhe angezogen hatte. Als ich gerade mit meinen Dehnübungen fertig war, hörte ich die Cheerleaderinnen meinen Namen rufen.

»Hey, Mädchen!« Mimi ging vor den beiden anderen her und blies mir ziemlich dramatisch zwei Luftküsse zu. »Sehen wir doch mal, wie du dich bewegst.« Sie stöpselte eine Anlage ein, und »Wannabe« von den Spice Girls dröhnte aus den Lautsprechern rings um mich herum.

Ich lief daraufhin zum Spielfeld und wandte mich dann den Mädchen zu, die mich aufgeregt beobachteten. Nun sprang ich nach vorn und rannte, so schnell ich konnte. Die Hände gerade ausgestreckt, vollführte ich zuerst einen Radschlag, dann zwei Rollen vorwärts, zwei volle Saltos und schloss mit einer Drehung. Ich landete elegant vor ihnen auf zwei Beinen und atmete nicht einmal schwer. Es sah so aus, als wäre ich gerade gemütlich zu ihnen spaziert.

»Verdammt, Mädel!« Mimi applaudierte, und die Mädchen folgten ihrem Beispiel. Sie schnippte jetzt mit den Fingern, Trish öffnete eine Tasche und reichte Mimi nun eine Uniform. »Damit bist du jetzt offiziell Mitglied der West Boston Capitals!« Abwartend standen sie da.

Ich sah mich um und überlegte erneut, ob das wirklich das Richtige für mich wäre. Ich hatte nämlich noch nie sonderlich viel für Motivationskundgebungen und gemeinsames Geschrei übriggehabt, aber es war dennoch etwas Anziehendes an der Vorstellung, mit ein paar Freundinnen um mich herum das Examen bestreiten zu können. Mir fiel jetzt allerdings auf, dass Nicole nicht übermäßig erfreut wirkte. Vielleicht sollte ich beitreten, nur um zu sehen, worin genau ihr Problem bestand.

Na schön.

Ich streckte also die Hand aus, und Mimi reichte mir das Outfit, während alle gemeinsam begeistert quietschten.

»Dann sorgen wir mal dafür, dass du schnell aufholst. Die Umkleideräume sind da drüben.«

Okay …

Als ich endlich nach Hause kam, war ich halb verhungert. Ich öffnete die Haustür und fand meine Eltern lesend im Wohnzimmer vor.

»Oh, du meine Güte!« Meine Mutter sprang strahlend aus ihrem Sessel auf. »Oh, Rick, sieh mal, unser Mädchen!« Sie wirbelte mich in meiner neuen Uniform herum, damit er mich gründlich betrachten konnte.

»Ist aber etwas kurz.« Er musterte kritisch den Mikro-Minirock. »Kannst du da stattdessen nicht lieber Shorts oder so etwas tragen?«

»Shorts sind noch darunter, Dad.« Ich beugte mich vor und gab ihm einen Kuss auf die Glatze.

»Oh, das ist doch unmöglich!« Elliot tauchte plötzlich wie aus dem Nichts auf, sein übliches unheimliches Gehabe. Er war nämlich sehr stolz auf seine geheimen Fähigkeiten. »Da fehlt aber wohl noch etwas am Oberteil, Lex.« Er zeigte auf den weiten Ausschnitt.

Ich verdrehte die Augen und sah zu meinen lächelnden Eltern zurück. Egal, wie bescheuert diese Sache vielleicht auch war, der Ausdruck auf ihren Gesichtern war es wert, denn sie wirkten zum ersten Mal seit langer Zeit glücklich und nicht mehr besorgt.

Okay, das krieg ich schon hin.

*

Bevor die Sonne sich auch nur über den Horizont gehoben hatte, klingelte mein privater Telefonanschluss. Ein lauter Rums folgte, und ich fluchte über Elliot, der immer seinen Schuh an meine Wand schleuderte, wenn mein Telefon mal klingelte. Genau wie in Kanada.

»Hallo?« Ich war so verschlafen, dass ich kaum Stimme hatte.

»Morgen, Sonnenschein. Du musste heute deine Uniform anziehen. Heute Nachmittag haben wir ein Spiel.«

Das weckte mich endgültig.

»Mimi, ich bin erst seit zwei Tagen dabei, ich weiß gar nicht, ob ich schon so weit bin.«

»Das bist du. Ich glaube sogar, du bist schon besser als Trish und Nicole. Das wird schon klappen. Binde dir die Haare zu einem Pferdeschwanz und trag roten Lippenstift.«

»Ich tue alles, nur keinen Lippenstift.«

»Na schön, dann komm einfach nachher zum Spiel.« Und schon hatte sie aufgelegt.

Worauf zur Hölle habe ich mich da bloß eingelassen?

Die Schule flog größtenteils an mir vorüber, weil ich so unglaublich nervös wegen des Spiels war. Ich traf Mimi an ihrem Wagen, wo auch schon Trish und Nicole warteten. Ich sollte mich vorn hinsetzen, und mir entging nicht, dass Nicole nicht gerade erfreut darüber war. Ich machte mir im Geiste eine Notiz, dass ich versuchen würde, mich mit ihr anzufreunden, wenn wir mal allein waren. Ich brauchte hier auf keinen Fall böses Blut.

Wir parkten ein paar Straßen von der Schule entfernt, und ich trug nun meine Pompons und meine neue Cheer-Tasche in das eisige Stadion. Sogleich fühlte ich mich beim Geruch der kühlen Luft wie zu Hause.

Nachdem wir unsere Sachen in einem Nebenraum hingeworfen hatten, zogen wir unsere Pullover über, die genauso aussahen wie die anderen Oberteile, nur eben mit Ärmeln.

»Fertig, Mädels?« Das ganze Team legte jetzt die Hände in die Körpermitte und stieß einen seltsamen Singsang aus, bei dem ich am liebsten laut »Aua« geschrien hätte.

Mir sank das Herz beim Anblick der Plattform, die nur für uns da war, sofort wieder in die Hose. Sie befand sich ungefähr anderthalb Meter über dem Boden, und wir wurden durch eine Scheibe und zusätzliche Matten geschützt. Menschenmengen bereiteten mir überhaupt keine Probleme, aber das hier war etwas ganz anderes, weil wir so extrem auf dem Präsentierteller standen.

Wir gingen jetzt an den johlenden Fans vorüber, die aufgeregt den Spielbeginn erwarteten, stiegen die Stufen hinauf und stellten uns in Formation auf. Mindestens dreihundert Leute waren da, bewaffnet mit Hupen, Taschenlampen und Sirenen.

In dem Augenblick, als die Jungs unten auf das Eis hinausfuhren, schmetterten wir unseren ersten Chant, während wir gemeinsam tanzten. Ich stellte mich in Position und wartete, bis meine Backer mich an der Taille packten, während ich mich an der Schulter der Catcher festhielt. Binnen Sekunden wurde ich zu einer kleinen Pyramide hochgehoben. Mit den Händen in den Hüften wurde ich von drei Paar Händen auf die Füße zurückgeholt, und landete kurz darauf perfekt am Boden.

Die Menge tobte, und wir gingen nun in unsere Cheer über. Ich wollte nicht lügen, diese Mädels waren echt verdammt gut. Mimi warf mir einen auffordernden Blick zu, als sie mich dabei ertappte, dass ich beim Cheering nur die Lippen bewegte. Ich zuckte mit einem Lächeln zusammen und schrie dann, so gut ich konnte.

Ein Spieler glitt jetzt langsam an uns vorüber, dann eilte er zu einem anderen. Er sagte ihm etwas, und beide sahen anschließend zu mir hinüber. Elliot fuhr vorbei und grüßte mich albern mit einer gehobenen Faust. Ich verzog das Gesicht, und wir beide fingen daraufhin an zu lachen. Ich liebte meinen bescheuerten Zwillingsbruder unheimlich.

»Du siehst gut aus, Lexi!« Ich drehte mich um und entdeckte Keith an den Brettern. Er hatte den Gesichtsschutz hochgeklappt und sein blauer Mundschutz hing an einer Seite herab.

»Du auch.« Ich grinste und überlegte, wie sehr diese Feststellung zutraf. Es ging doch nichts über einen Mann in einem Eishockeytrikot. »Schießt du auch ein Tor für mich?«, scherzte ich und hoffte, dass meine Stimme die Aufregung nicht durchscheinen ließ, die mich gerade durchströmte.

Als der Buzzer ertönte, blinzelte er mir kurz zu, bevor er seinen Gesichtsschutz herabzog und seinen Platz einnahm.

»Alexi.« Mimi lenkte meine Aufmerksamkeit jetzt wieder von Keith weg. »Wir reden nicht mit den Spielern, wenn sie auf dem Eis stehen, sie müssen sich dann nämlich konzentrieren.«

Ich lachte. Na, und wenn schon!

Nach dem zweiten Drittel stand es drei zu drei. Die Musik wurde aufgedreht, und wir begannen unseren Tanz mit den Pompons. Eigentlich machte es mir in gewisser Weise sogar Spaß, wenn wir uns die Hüfte schwingend bewegten und in den Spagat sprangen. Die Musik ging jetzt in Techno über und die Songs vermischten sich … jeder Beat ergab einen anderen Tanz. Ein paar wenige Tanzbewegungen waren für meinen Geschmack zwar etwas zu sexy, aber den Fans machte es offenbar nichts aus. Also spielte ich mit.

Als wir gerade fertig waren, kehrten die Jungs auch schon wieder auf das Eis zurück und stellten sich in Position. Wir standen jetzt hintereinander, schüttelten unsere Pompons und warteten auf den Pfiff.

Nummer neunzehn, Keiths Nummer, war allerdings momentan alles, worauf ich mich konzentrieren konnte. Er war muskulös und breitschultrig im Vergleich zu einigen der anderen Jungs. Ich hätte wohl mächtig Schiss, gegen jemanden wie ihn vorgehen zu müssen. Wir alle hielten aufgeregt den Atem an, als das Spiel fortgesetzt wurde.

Noch zehn Sekunden, und Keith hatte den Puck. Er jagte das Eis hinunter und schoss ihn mühelos über die Schulter des Torwarts. Dann knallte er leicht die Faust gegen die von Clark, drehte ab und fuhr lässig an uns vorbei. Er zeigte dabei direkt auf mich, so als ob er sagen wollte, dass dieses Tor für mich gewesen sei.

Ich musste einfach grinsen, aber es hielt nicht lange an, angesichts des Gesichtsausdrucks der anderen Mädchen. Iiieee!

Das restliche Spiel über blieb meine Aufmerksamkeit komplett auf die anderen Mädchen gerichtet und nicht auf Nummer neunzehn.

Aus welchen Gründen auch immer, behielten wir unsere Uniformen an, als wir hinaus zu Mimis Wagen eilten und zu einer Siegerparty in Clarks Haus fuhren.

»Das hier ist sein Haus?«, fragte ich fassungslos, als große Tore vor uns aufschwangen und wir eine gewundene Zufahrt hinauffuhren.

»Ja, verrückt, was? Sein Vater besitzt irgendeine Kunststofffabrik drüben in Japan«, berichtete mir Trish. »Seine Eltern sind nie zu Hause, also finden die meisten unserer Partys hier statt.«

»Wow!« Ich öffnete die Autotür und bewunderte das riesige Ziegelsteinhaus, das mich hoch überragte.

Einmal drinnen, war ich sofort von einem Meer pulsierender Körper umgeben. Die Musik dröhnte und der Geruch von Hochprozentigem lag in der Luft.

»Na, wenn das mal nicht unsere Cheerleader sind!«, rief Clark von der anderen Seite der Küche aus. Mimi fasste meinen Arm und zog mich eilig zu ihm hinüber.

»Hast du Lexi schon kennengelernt? Sie kommt aus Kanada.«

»Da hast du es aber weit bis nach Hause, nicht wahr, Lexi?« Er grinste, während er Bier aus einem alten deutschen Bierkrug trank.

»Wir sind uns schon begegnet.« Ich lächelte allerdings etwas dünn und fühlte mich reichlich unbehaglich. Ich fragte mich, wohin der Rest der Mädchen so plötzlich verschwunden war.

»Sei doch ein Gentleman und besorge uns einen Drink, Clark«, befahl Mimi, was mir erneut Unbehagen bereitete. Mir gefiel die Art und Weise, wie sie mit ihm sprach, überhaupt nicht.

»Na ja, nun …« Ein Typ, den ich vom Team her wiedererkannte, legte mir auf einmal den Arm um die Schultern. »… Neuankömmlinge müssen aber zuerst die Spezialität des Hauses nehmen.«

»Wirklich?« Ich sah den ziemlich gut aussehenden Spieler herausfordernd an und entzog mich steif seinem Griff.

»Mmmhmm.« Er nickte Clark zu, der daraufhin irgendeine bunte Mischung in einen Kunststoffbecher goss.

»Auf ex, Neue.«

Ich entschloss mich, die Sache tapfer durchzustehen, also nahm ich den Becher entgegen, hielt dann jedoch inne. »Zuerst dein Name.«

»Steven.«

»Okay.« Ich zuckte mit den Achseln, setzte den Becher an und kippte den ganzen fiesen Inhalt in einem Schluck hinunter. Ich trank sonst nicht gerade viel, aber ich wusste natürlich, dass ich bei so etwas mitmachen musste.

»Beeindruckend.« Steven beugte sich zu mir hinab und gab mir einen Kuss auf die Wange.

Mimi lachte und reichte mir nun ein Glas Bier.

»Die ist schon reserviert!«, schrie Steven ausgelassen und drückte mich fest an seine Brust. Mein Bier spritzte daraufhin über den Rand, und ich schüttelte meine Hand trocken. »Die gehört jetzt allein mir.«

»Wirklich, meinst du?«, sagte auf einmal jemand hinter mir. Keith hatte einen Bartschatten entlang der Kinnlinie und trug jetzt ein enges, dunkelblaues T-Shirt und Jeans. Er griff um uns herum und goss sich auch etwas Bier ein.

»Genau, mein Freund.« Steven küsste mich spielerisch auf den Kopf, während ich mich unter dem funkelnden Blick krümmte, den Keith ihm anschließend zuwarf. Ich sah Mimi Hilfe suchend an, aber diese verdrehte nur die Augen. Für ihn war das offenbar ein normales Verhalten.

Ich saugte nervös die Unterlippe ein. Ich hatte Angst, etwas zu sagen, das mich in Schwierigkeiten bringen könnte. Ich fing nun Keiths Blick unter seiner Baseballkappe auf und wollte zu ihm gehen.

»Hände weg von meiner Schwester.« Elliot wirkte nicht sonderlich begeistert von der ganzen Szene.

Steven ließ mich hastig los und gab mir einen unsanften Stoß, sodass ich zu Keith hinüberflog, der mich an der Taille auffing.

»Ich wollte ja nur dafür sorgen, dass ihr auch warm genug ist.« Steven lachte. »Ihr wisst schon, dünne Uniform … Eis. Der Oktober in Boston kann ganz schön kalt sein.«

»Alles in Ordnung, El.« Ich drückte ihm leicht den Arm, damit er wusste, dass mit mir wirklich alles okay war. Ich würde es meinem Bruder niemals übel nehmen, dass er auf mich aufpasste, dazu hatte er jedes Recht. Schließlich war das, was mir in Kanada zugestoßen war, der eigentliche Grund dafür, weshalb wir überhaupt hierhergezogen waren. Elliot war lediglich besorgt um mich.

Er nickte mir leicht zu, beruhigte sich wieder und sah sich nun die Leute um uns herum aufmerksam an.

»El, hast du Mimi schon kennengelernt?«

Er schüttelte den Kopf, wie er es immer tat, wenn er sich über etwas Klarheit verschaffen wollte. »Nein, tut mir leid, das habe ich noch nicht.« Er streckte ihr die Hand hin. »Du bist die Chefcheerleaderin oder so was, stimmt’s?«

»Ja, das bin ich. Reden wir doch ein bisschen miteinander.« Sie nahm seine Hand und führte ihn nach draußen.

»Keith.« Nicole winkte ihn zu sich, während sie sich eine Strähne ihres langen roten Haares um den Finger wickelte. »Das ist unser Song.« Sie streckte die Hände nach ihm aus. »Tanzt du mit mir?«

Mir entging durchaus nicht, dass sie damit ihr Revier abstecken wollte, also nahm ich, ohne darauf zu reagieren, Stevens Hand und spielte einfach mit. »Na, das hört sich doch nach Spaß an.« Ich führte ihn nun in das Wohnzimmer, wo gerade Montell Jordans »This Is How We Do It« so laut über die Boxen dröhnte, dass es uns allen durch und durch ging. Mit den Händen auf seinen Schultern bewegte ich meine Hüften. Er folgte mir, und in Nullkommanichts hatten wir uns auf einen guten Rhythmus eingeschwungen. Ich ignorierte bewusst meine natürlichen Instinkte und das Bedürfnis, im Schatten zu bleiben, und entschloss mich dazu, einfach mal locker zu lassen.

Der nächste Song war Ricky Martins »Livin’ La Vida Loca.« Steven ergriff nun meine Hände und vollführte ein seltsames Hüftrollen mit mir. Oh nein, das ist so gar nicht meine Musik! Wegen des spielerischen Ausdrucks auf seinem Gesicht gab ich jedoch schließlich nach. Ich wünschte mir, meine Mutter könnte mich jetzt sehen. Ich war vollkommen entspannt und hatte zum ersten Mal seit einer schier endlosen Zeit wieder richtig Spaß.

Steven hob jetzt die Arme und rollte die Hüften in meine Richtung, aber kurz bevor ich nah an ihn herantrat, bemerkte ich Keith, der an der Wand mit Nicole sprach, dessen Blick jedoch die ganze Zeit auf mir lag.

»Ich brauche mal etwas frische Luft.« Ich zeigte auf die Tür. »Bin gleich wieder da, okay?«

Er nahm meine Hand und führte mich zur Tür. Ich wollte eigentlich nicht, dass er das Ganze mitkam, aber nun gut …

»Ziemlich geil hier, oder?« Seufzend lehnte er sich an das Geländer und sah auf mich herab. Als ich stumm nickte, steckte er die Hände in die Hosentaschen. »Hast du jemanden zu Hause in Kanada?«

Ich hob eine Braue, denn es widerstrebte mir, ihm zu antworten. Schließlich gab ich meinen üblichen Kommentar ab. »Alle möchten unbedingt die Geschichte der Neuen hören.«

»Nein, ich möchte nur wissen, ob ich eine Chance bei dir habe oder nicht.«

Die Mühe, die es erforderte, nicht die Augen zu verdrehen, war schon eine Sache für sich. Wollte er mich tatsächlich zuerst kennenlernen? Alles, was Steven sah, war doch garantiert nur ein Paar Beine zum Spreizen. Plötzlich meldete sich mein Gewissen zu Wort. Ich war beileibe kein romantisches Mädchen mehr, obwohl ich ehrlich gesagt auch nicht glaubte, jemals wirklich eines gewesen zu sein. Leider hatte ich niemals die Chance bekommen, mein wahres Ich kennenzulernen. Ich konnte deshalb zuweilen etwas selbstdestruktiv sein. Das verschaffte mir auf gewisse Weise ein Ventil für die Dunkelheit, die nun ständig in mir wohnte.

Elliot wusste größtenteils, was ich durchmachte, und ein Teil meiner selbst hasste das, aber der andere war auch dankbar dafür, dass er meine Misere erkannte. Meine Eltern hingegen hatten immer noch mit der ganzen Sache zu kämpfen. Sie machten sich ständig Sorgen darum, wie es mir ging. Ich ertappte mich öfter dabei, ihnen unbedingt beweisen zu wollen, dass es mir wieder gut ging, wie zum Beispiel dadurch, dass ich dem Cheerleader-Team beigetreten war. Wenn meine Freundinnen daheim mich jetzt sehen könnten, würden sie wahrscheinlich vor Schock sterben. Aber sie konnten es nicht mehr, und ich musste deshalb jetzt ein neues Leben um falsche Illusionen herum aufbauen.

»Möchtest du vielleicht einen Drink oder so etwas?« Ich merkte, dass ihm mein Schweigen langsam Sorgen bereitete. Ich schlang meine Arme um meinen Körper und spürte plötzlich die Kälte. »Ist dir kalt?«

Ich nickte, und er legte seine kalte Hand auf meinen freien unteren Rücken. Bei dieser Berührung jagte mir sofort ein unangenehmer Schauder über die Wirbelsäule, und ich fuhr zusammen.

Als wir hineingingen, kam Keith gerade die Treppe herab, dicht gefolgt von Nicole, die sich auffällig das Top richtete. Sie winkte mir mit einem kleinen süffisanten Grinsen zu.

Scheiße.

Eine Bleikugel traf mich daraufhin mitten in den Magen. Ich musste unbedingt Elliot finden und so schnell ich konnte von hier verschwinden.

Ich rannte zu Clark und ließ Steven einfach stehen, der sich gerade mit ein paar Freunden unterhielt.

»Hey, hast du zufällig meinen Bruder gesehen?«

»Ich habe ihn zuletzt gesehen, als sie nach oben gegangen sind, und der einzige Grund, weshalb du nach dort oben gehst, ist …«

»Danke.« Ich schnitt ihm sofort das Wort ab, denn das wollte ich mir jetzt ganz bestimmt nicht auch noch vorstellen. Ich ging hinaus zum Wagen und suchte dort nach Trish. Ich umklammerte den Türgriff und hoffte, dass die Tür nicht verschlossen wäre. »Scheiße.« Natürlich nicht. Die Zufahrt war voller Leute, aber keine Spur von irgendeiner meiner neuen Freundinnen. Na schön. Ich ließ jetzt meine Sturheit die Oberhand gewinnen.

Als ich bereits eine Viertelstunde zu Fuß unterwegs war, fragte ich mich, ob Clark vielleicht eine Sondergenehmigung hatte, um unsere Schule besuchen zu können, da sein Haus wesentlich weiter entfernt war, als ich es in Erinnerung gehabt hatte. Ich war jetzt dankbar für meine Turnschuhe, aber es war ganz schön kalt hier draußen, und allmählich zitterte ich am ganzen Körper. Ich war mir sicher, dass es hier auf der Strecke irgendwo ein Münztelefon gab, von dem aus ich meine Eltern anrufen könnte. Denn die oberste Regel bei uns im Haus war, dass wir jederzeit anrufen konnten, ohne dass zu viele Fragen gestellt wurden, dass wir jedoch richtig Probleme bekommen würden, falls wir es nicht täten. Meine Eltern waren wirklich ziemlich erstaunliche Menschen.

Das Licht von Scheinwerfern überflutete jetzt plötzlich die Welt vor mir und warf einen Schatten, der größer wurde, je näher der Wagen kam. Er wurde nun langsamer und das Fenster fuhr herab, als er mich erreicht hatte. Es war Keith, der mächtig sauer aussah.

»Was machst du denn hier mitten im Nirgendwo?«

»Hey, was ist?« Ich versuchte, mich ganz normal zu geben, aber es hörte sich gezwungen an.

»Was machst du hier?«

»Ich laufe.«

»Warum?«

»Ich konnte Elliot nicht finden, also bin ich einfach allein gegangen.«

Er schüttelte den Kopf. »Wo ist denn deine Jacke?«

»In Mimis Wagen.«

Er fuhr noch ein Stück weiter und parkte dann den Truck. Die Tür schwang auf und er eilte auf mich zu. Als ich nur noch einen Meter entfernt war, blieb er plötzlich stehen.

»Hast du eine Ahnung, wie gefährlich es hier draußen ist? Verdammt, Lexi! Sieh doch mal, was du anhast. Jeder Typ würde sofort an den Straßenrand fahren und nachsehen, was mit dir los ist.«

Ich schüttelte mit aller Gewalt das Bild von Nicoles Gesicht ab, wenn diese herausfinden würde, dass Keith mir gefolgt war. »Mir geht’s gut, Keith.«

»Hey.« Er packte mich am Arm und zog daran, damit ich stehen blieb. »Was ist los? Hat Steven dir etwas getan?« Bevor ich ihm eine Antwort geben konnte, ging er auch schon in die Knie und sah mir direkt in die Augen. »Hat er dich angefasst?«

»Nein! Mein Gott, nein! Er hat überhaupt nichts getan, er war nur freundlich.«

»Komm schon. Ich bringe dich nach Hause.«

Bei seinem Tonfall straffte ich unwillkürlich die Schultern. Wie bitte?

Er drehte sich wieder um, als er bemerkte, dass ich ihm nicht folgte, dann betrachtete er mich mit schmalen Augen, während er mit den Fingern ungeduldig gegen seine Hüfte trommelte. Mit zwei Schritten stand er vor mir. Er legte mir die Hände auf die Schultern und sah auf mich herab. »Alles in Ordnung mit dir?«

»Ja.« Ich blinzelte verwirrt.

»Ich würde dich wirklich gern nach Hause bringen. Ich habe Elliot nämlich versprochen, nach dir Ausschau zu halten.« Mein Herz verkrampfte sich bei diesen Worten unwillkürlich. Oh klasse, ich war also nur ein Haustierchen, um das er sich kümmern musste.