Hurt - J. L. Drake - E-Book

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J. L. Drake

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Beschreibung

Kugeln fliegen, ein lautloser Schrei und ein stechender Schmerz im Rücken: Major Mark Lopez, Soldat der Special Forces-Einheit Blackstone, wird bei einem Auftrag schwer verletzt. Um sein Leben zu retten, wird er in das North Dakota Krankenhaus eingeliefert und der Pflege der Krankenschwester Mia unterstellt. Mark findet bald heraus, dass die umwerfende Mia nicht nur in Sachen Medizin mehr weiß, als sie vorgibt. Mia Harper kennt den Blackstone-Code. Sie weiß Dinge über die Spezialeinheit, die niemand wissen darf. Und dennoch – oder gerade deswegen – findet Mark sie so anziehend wie keine Frau zuvor. Als jemand aus Marks Vergangenheit um Hilfe bittet, kommen längst vergessen geglaubte Geheimnisse wieder an die Oberfläche. Welten kollidieren, Lügen werden aufgedeckt und Mark muss sich der Antwort auf die Frage stellen, die ihn schon sein ganzes Leben lang verfolgt: Was ist in der Nacht vor 25 Jahren wirklich passiert?

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Seitenzahl: 421

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J. L. Drake

Hurt

J. L. Drake

Hurt

Verwundetes Herz

Roman

LAGO

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2018

© 2018 by Lago, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© der Originalausgabe: 2015 by J.L. Drake. The moral rights of the author have been asserted. Published by arrangement with Brower Literary & Management.

Die englische Originalausgabe erschien 2016 bei Limitless Publishing, LLC unter dem Titel Honor.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Alfons Winkelmann

Redaktion: Astrid Pfister

Umschlaggestaltung: Laura Osswald

Umschlagabbildung: Shutterstock/Viorel Sima

Satz: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe

Druck: CPI books GmbH, Leck

ISBN Print 978-3-95761-186-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-109-2

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-110-8

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.lago-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Meinem Street Team »The Blackstone Girls« gewidmet, die sich in Mark verliebt und mir geduldig zur Seite gestanden haben, während ich in meinem Arbeitszimmer überwinterte und seine Geschichte zu Ende schrieb. Ich danke euch.

Die Hauptdarsteller

Savannah: Sieben Monate in Tijuana, Mexiko, als Geisel gefangen gehalten. Von Blackstone gerettet worden, hat sie sich später in Cole Logan verliebt. Lebt jetzt auf Shadows.

Cole: Besitzer des Safe Houses in Montana, das Shadows genannt wird. Hat sich in das Foto eines Opfers verliebt. Hat sie gefunden, gerettet und schließlich geheiratet. Anführer des Spezialteams Blackstone.

Olivia: Savannahs und Coles Tochter.

Mark:Cole Logans bester Freund. Ebenfalls Mitglied von Blackstone. Flüchtet immer mit Humor vor seiner schmerzlichen Vergangenheit.

Keith: Das neueste Mitglied von Blackstone. Savannahs »großer Bruder«.

Paul: Mitglied von Blackstone.

John: Mitglied von Blackstone.

Abigail: Marks »Adoptivmutter«, Coles Kindermädchen und jetzt Hausgehilfin. Ist mit dem Hausarzt liiert.

Doktor Roberts: Hausarzt, eine Seele von Mensch und in Abigail verliebt.

June: Abigails jüngere Schwester.

Mike: Agent auf Shadows. Wild aussehender gutmütiger Bär, von Kopf bis Fuß tätowiert.

Dell: Agent auf Shadows.

Davie: Agent auf Shadows.

Molly: Krankenschwester im North Dakota Hospital. Hat eine Geheimhaltungsverpflichtung unterzeichnet, um die Männer von Blackstone verarzten zu können, wenn sie eingeliefert werden.

Mia: Krankenschwester im North Dakota Hospital.

Scoot: Launischer Hauskater. Hat keinerlei Schamgefühl.

Inhalt

Prolog

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Danksagung

Prolog

Mark Lopez, sieben Jahre alt

Sie lag wie üblich am selben Platz, auf dem schmutzigen gelben Sofa, das so sehr nach Pisse stank. Ihr Kleid war mit Erbrochenem besudelt, und ihr Atem kam in flachen Stößen. Die meisten Kinder hätten Angst gehabt, ihre Mutter so zu sehen, aber ich nicht. Mir war sie so tatsächlich sogar viel lieber, denn so konnte ich ihre Schreie nicht hören, konnte ihren hasserfüllten Blick nicht sehen, und, was das Wichtigste war, ich konnte ihre Fäuste nicht spüren, wenn sie auf meinem schmächtigen, knochigen Körper einschlugen.

Momentan hatte ich schreckliche Bauchschmerzen. Die hatte ich eigentlich immerzu. Wir hatten es aufgegeben, morgens in die Küche zu gehen. Es hatte keinen Zweck, da Mom sowieso niemals vor zwölf Uhr aufstand. Die schlichte Wahrheit lautete, dass die Welt ohne sie eine bessere wäre. Mit zwei Fingern holte ich ein kleines Stück Kaugummi aus dem Seitenfach meiner Schultasche und steckte es mir in den Mund, weil ich hoffte, meinen Bauch dadurch davon überzeugen zu können, dass er voll sei.

Das war die traurige, kranke und abgedrehte Wirklichkeit meiner Kindheit ... meines Lebens.

Ich warf meiner Mutter noch einen letzten Blick zu und schloss dann die Tür hinter mir. Mir blieben jetzt noch mindestens fünf Stunden des Friedens, bevor ich wieder Mutters üblichen Katernachwirkungen ausgeliefert sein würde.

Kapitel eins

Ort: MexikoKoordinaten: Geheim

Mark

Ich rannte, so schnell ich nur konnte. Die Kugeln kamen immer näher, und eine davon peitschte gerade dicht an meinem Kopf vorbei. Meine Füße hämmerten auf den Boden und zogen eine kleine Staubfahne hinter sich her, die unweigerlich meinen Aufenthaltsort verraten würde. Ich sprang in eine Rinne, wo ich eilig meine Waffe nachlud und mich in eine bessere Position brachte. Die Sonne blendete mich. Ich holte jetzt eine Tube heraus und schmierte mir einen Klecks Farbe unter beide Augen, damit sie nicht so reflektierten.

»Raven One an Raven Two, wo bist du?«, tönte Coles befehlsgewohnte Stimme über den Sprechfunk.

Ich drückte den winzigen Knopf an meinem Halsmikro. »Raven Two an Raven One, nordwestlich, drei Meter vor der Scheune.«

»Verstanden, Raven Two. Fox One kommt zu dir. Gib ihm Deckung.«

»Verstanden, Raven One, gebe Fox One Deckung.«

Ich suchte den Horizont ab und klickte dann auf mein Funkgerät, um Paul Bescheid zu geben, dass hier alles in Ordnung war. Er tauchte daraufhin scheinbar aus dem Nichts auf und rannte geduckt über das Feld; die Waffe für den Fall einer Bedrohung in Höhe der Augen gehalten.

Dann sah ich es plötzlich – das Aufblitzen eines Gewehrlaufs. Anhand der Position erkannte ich sofort, dass es sich dabei um kein Mitglied von Blackstone handelte. Es musste einer von ihnen sein. Ich leckte mir die Lippen, betätigte den Abzug und jagte etliche Kugeln in Richtung des Aufblitzens. Der Körper des Mannes kippte daraufhin nach hinten und fiel dann außer Sicht.

Paul ließ sich auf den Boden fallen und krümmte sich zu einem Ball zusammen. Dann rollte er sich vor meine Füße und lächelte mich dankbar an.

»Gut. Raven Two, ab zur nächsten Position«, wies mich Cole an.

»Verstanden, Raven One.« Ich bedeutete Paul, dass er als Erster gehen sollte.

Paul überprüfte zuerst seine Waffe, bevor er aufsprang und die restliche Entfernung zur Scheune in einem schnellen Lauf zurücklegte. Sobald Johns Klicken über Funk ertönte, das Zeichen, dass alles sicher war, blickte ich mich rasch um, stellte mich in Position und rannte ebenfalls los.

Ich konnte nichts mehr wahrnehmen. Nichts zählte, wenn man in dieser Situation war. Überlebe oder stirb bei dem Versuch.

Ich wusste genau, in welchem Augenblick sie mich traf. Leider konnte nichts diese Geschosse aufhalten. Auf der Straße hießen sie »Cop Killers« oder »Polizistenmörder«. Es war Hartkernmunition, diese durchdrang jede noch so dicke Panzerung, auch den Typ, den ich gerade trug. Ich spürte, wie mir die Kugel ins Fleisch drang und sich unmittelbar neben meiner Niere in mich hineinbohrte. Sie grub sich tief in einen Muskel ein.

Ich konnte jetzt lediglich versuchen, den Schmerz abzuschalten und so schnell wie möglich in Deckung zu rennen. Ich hörte Coles Gewehrfeuer in Richtung des Schützen.

Das Summen im Funk kam bei mir im Gehirn allerdings nicht mehr an. Ich war fast da, konnte aber nirgendwo in der Nähe den Hubschrauber entdecken. Rennen, einfach nur weiterrennen.

Paul erwartete mich bereits, und er packte mich, als ich nahe genug bei ihm war. Cole musste ihm offenbar gesagt haben, was geschehen war.

»Wo bist du getroffen worden?« Paul half mir, mich hinzulegen, und wälzte mich dann auf die Seite. »Oh Scheiße!«

Ich nahm einen schmerzhaften Atemzug. »Das ist nicht gerade das, was ich im Moment hören möchte, Mann!«

Paul verzog die Lippen zu einem winzigen Lächeln. »Na ja, dann lass dich eben nicht treffen.«

»Ich werd’s im Hinterkopf behalten«, schnaufte ich gequält.

Paul holte sofort medizinische Notvorräte aus seiner Weste. »Das wird jetzt etwas kitzeln.«

»Verpiss dich!« Ich lachte, doch dann knurrte ich, als er ein Pulver zur Blutgerinnung direkt in die offene Wunde schüttete. Er machte sich nun daran, meinen Rücken zu verpflastern, wobei er die ganze Zeit vor sich hin brummte, was ich doch für ein verdammtes Weichei sei. Er half mir anschließend auf die Füße, da wir leider schon jede Menge Zeit vergeudet hatten.

»Kannst du rennen?«

»Klar, Mann, ist schließlich bloß ein Kratzer.« Schweiß rann mir in Strömen in meine Montur, und wir begaben uns hastig zur Rückseite der Scheune. Anschließend rannten wir, so schnell wir konnten, nach draußen auf die Baumreihe zu.

Jeder Schritt, jeder Atemzug und jedes Blinzeln war jetzt plötzlich eine Anstrengung für mich geworden. Mir tränten die Augen wegen des tief sitzenden Brennens, das mir gerade die Wirbelsäule hinaufloderte. Ich kotzte mitten im Laufen, blieb jedoch trotzdem in Bewegung, obwohl ich meine Schritte natürlich verlangsamen musste. Paul warf einen Blick zurück und nickte dann. Einen Augenblick später begriff ich, warum. Keith packte mich nun an meiner Weste und schleppte mich mit sich, bis wir tief genug im Wald waren, dass wir endlich anhalten konnten.

Ich fiel auf die Knie, weil ich außerstande war, auch nur noch eine Sekunde weiter zu stehen. Normalerweise konnte ich Schmerzen gut abblocken, aber das hier war einfach zu viel. Irgendetwas stimmte nicht.

»Bleib bei mir, Bruder«, sagte Cole nun besorgt.

Bilder blitzten vor mir auf, während ich hinauf in den dunkler werdenden Himmel starrte.

Das ist nicht gut. Scheißdreck, wo bin ich? Im einen Moment bin ich in Tijuana, im nächsten bin ich ein Kind, das unter den Küchentisch krabbelt.

»Mark!« Seine Stimme schickte mir einen Schauder bis in die Fingerspitzen. »Mark!« Cole schlug mir brutal auf die Wange, wodurch er mich wieder zurückholte. Sein Gesicht sprach Bände. Ich steckte offenbar in ernsthaften Schwierigkeiten.

»Er ist hier«, flüsterte ich verwirrt, weil ich nicht wusste, wo ich gerade war.

Cole musste nicht nachfragen. Er verstand es sofort. »Nein.« Er schüttelte energisch den Kopf. »Nein, er ist nicht hier. Bleib bei mir, Bruder!«

»Er ist hier. Ich höre ihn.« Mein Griff an seinem Arm wurde fester. »Cole.«

Cole senkte den Kopf und flüsterte etwas, während ich die Augen schloss und mich der Erleichterung hingab, den Schmerz endlich loslassen zu können.

Mia

»Komm schon, Mia.« Dr. Evans reichte mir einen Kaffee, während ich eine Patientenkarteikarte ausfüllte.

Ich gab mir gar nicht erst die Mühe aufzublicken. Seine Welpenaugen machten auf mich keinen Eindruck. »Wie ich Ihnen schon letzte Woche, gestern und heute gesagt habe, habe ich keine Zeit, mit Ihnen auszugehen.«

»Du arbeitest, du gehst nach Hause, und dann arbeitest du wieder, Mia.« Er seufzte. »Irgendwann wirst du aufwachen und erkennen, dass du dein ganzes Leben hier in diesem Krankenhaus vergeudet hast ... um was zu tun?«

Mein Stift hielt mitten im Wort inne, und ich blickte auf. »Leben zu retten.«

»Du bist eine Krankenschwester und keine Ärztin. Obwohl du schlau genug bist, um eine sein zu können.« Dr. Evans zog mir die Karteikarte aus den Händen und steckte sie an ihren Platz zurück.

»Bitte?« War dieser Nervtöter vielleicht aufdringlich! Ich spürte bereits die Ader an meinem Hals pulsieren.

Aber er tat meine Wut mit einem Wedeln der Hand ab. »Sieh mal, ich schlage dir doch bloß vor, dass wir etwas Spaß zusammen haben sollen. Wann bist du das letzte Mal ausgegangen?«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust, um den Drang zu unterdrücken, ihm mit einem Fausthieb die Nase zu brechen. »Gestern Abend, ins Thirsty Duck.«

»Ich meine, mit einem Mann. Ich meine ...«

Die Tür wurde aufgestoßen, und Sanitäter des Fahrzeugs 59 kamen mit einer Rolltrage hereingerannt, auf der ein Opfer mit Schussverletzungen lag. Drei Feuerwehrleute folgten ihm, dazu noch zwei weitere Männer, die aussahen, als kämen sie gerade direkt aus einem Kriegseinsatz.

»Ich brauche hier Hilfe«, rief Wyatt, der Sanitäter. Als er mich sah, gab er sogleich einen detaillierten Bericht ab. »Männlich, dreißig Jahre, eine Schussverletzung im unteren Rückenbereich.«

Ich sah mich um und überlegte, wo der Mann herkam. Wo war die Polizei? Normalerweise war sie immer sofort zur Stelle, wenn es eine Schießerei gegeben hatte. Gerade drehte Molly, die andere Schwester, den Mann auf die Seite, und ich erkannte seine Marke. Ich griff danach. Ah, er war von den Special Forces. Major Mark Lopez.

Molly hatte erwähnt, dass eine Spezialeinheit der Army, wenn es nötig wäre, hier hereinkäme, bevor sie zu ihrem Safe House weiterfahren würden. Ich sah sie an, und sie nickte, so, als hätte ich ihr eine Frage gestellt. Dann schüttelte sie allerdings den Kopf, um mich daran zu hindern, weitere Fragen zu stellen.

»Also gut«, sagte ich deshalb, nachdem ich seine Verletzung ausgiebig in Augenschein genommen hatte. »Bett vier ist gerade frei.« Ich zeigte in die Richtung und warf dann einen Blick auf die anderen Männer, die an der Wand lehnten, um den Weg frei zu halten.

Ich ging zu Ihnen hinüber, ließ mir jedoch Zeit dabei, da ich gerade versuchte, mir die richtigen Worte zurechtzulegen. Diese Männer sahen aus, als wären sie heute durch die Hölle gegangen und wieder von dort zurückgekehrt.

Ein großer Mann trat jetzt vor und streckte mir die Hand entgegen. »Schwester?«

»Harper, Mia Harper.« Ich schüttelte ihm die Hand.

»Colonel Logan.« Er räusperte sich. »Die Verletzung ist jetzt bereits über drei Stunden alt. Wir sind in einen Hinterhalt geraten, und Lopez hat eine Kugel in den Rücken abbekommen. Er glaubt nicht, dass seine Niere getroffen wurde, hat jedoch erwähnt, dass sein Rückgrat sehr brannte. Wir haben ihn so gut verarztet, wie wir konnten, aber er hat trotzdem viel Blut verloren.«

»In Ordnung.« Der andere Mann trat nun ebenfalls einen Schritt auf mich zu. Sein Namensschild besagte, dass er Agent Keith war.

»Er wird jetzt direkt in den OP gebracht. Ich bin ebenfalls dort drin, Colonel, und ich werde Sie sofort auf den neuesten Stand bringen, sobald ich kann.«

»Danke, Mia«, sagte Logan mit einem leisen Seufzer, dann holte er sein Handy heraus und rief jemanden an.

»Sind Sie neu hier?« Agent Keith lenkte meine Aufmerksamkeit nun auf sich.

»Allerdings«, bestätigte ich. »Aber ich werde mich gut um Ihren Freund kümmern. Zusammen eingetreten, zusammen verlassen, nicht wahr?« Logan wandte sich daraufhin zu mir, und Agent Keith kniff misstrauisch die Augen zusammen. Wie ich wusste, kannten nur wenige Auserwählte das Motto ihrer Einheit. Ich machte jetzt auf dem Absatz kehrt und hoffte, dass es wenigstens ein gewisser Trost für sie wäre.

***

Die Tür flog auf, und ich bekam einen Hauch von frischer Luft in die Lungen. Ich stützte mich auf einem Wäschekorb auf und nahm mir einen Augenblick, um wieder richtig zu mir zu kommen. Meine Güte, noch nie zuvor war ein Patient während einer Operation erwacht.

»Den Schwamm bitte, Mia«, bat mich Dr. Evans mit einem kleinen Leuchten in den Augen. »Also, hast du noch einmal über mein Angebot nachgedacht?« Der Raum war voller Schwestern, die sich alle auf ihre jeweiligen Tätigkeiten konzentrierten, aber ich wusste, dass sie unser Gespräch trotzdem belauschen würden.

Ich schüttelte den Kopf und prüfte die Sauerstoffsättigung des Patienten. Mollys Augen waren nur noch schmale Schlitze. Sie fand die Beharrlichkeit des Arztes sogar komisch. »Nein, Dr. Evans, ich war stattdessen damit beschäftigt, mich um das Opfer einer Schießerei zu kümmern.«

»Er ist doch jetzt stabil, hat eines der besten Teams um sich, also ...«

Die Hand des Patienten schoss plötzlich vor, und seine Finger schlossen sich fest um mein Handgelenk. Ich blickte erschrocken hinab und entdeckte, dass seine dunkelbraunen Augen fest auf mich gerichtet waren.

»Hallo, Mark.« Meine Stimme war betont ruhig, als ich seine Hand fest drückte. Plötzlich registrierte sein Körper den Schmerz, und seine Halsmuskeln spannten sich an. »Sie sind ein Kämpfer, so viel ist sicher. Die meisten Leute sind mit diesem Zeug bewusstlos.« Ich lächelte und warf einen Blick zu Molly, die schon bereitstand, um ihm eine weitere Dosis zu verpassen. Mark wollte etwas sagen, doch der Intubationsschlauch in seinem Hals ließ ihn unwillkürlich würgen. »Ich weiß.« Ich zog einen Hocker heran, sodass ich mich neben ihn setzen konnte. »Wir sind schon fast fertig, aber Molly wird Sie wieder in Schlaf versetzen, sodass Sie keine Schmerzen haben.« Doch er schüttelte den Kopf. Ich konnte einfach nicht anders, ich musste ihm mit der Hand über das zerzauste Haar streichen. So intim war ich noch niemals zuvor mit einem Patienten umgegangen, aber er war so ein großer Mann und gerade so unglaublich verletzlich. Etwas an dieser Situation weckte offenbar meine Beschützerinstinkte.

Sein Blick wurde jetzt weicher, dann schloss er die Augen, allerdings nicht ohne mir zuvor noch leicht zugenickt zu haben. »Ich werde die ganze Zeit über hier sein«, flüsterte ich mit einem Blick zu Molly, die gerade eine weitere Dosis des Mittels in den Schlauch gab. Binnen Sekunden war er wieder bewusstlos.

Sein Griff lockerte sich, aber ich zog meine Hand dennoch nicht sogleich wieder zurück, sondern erst, nachdem ich mir ganz sicher war, dass er wieder vollkommen entspannt war.

»Du meine Güte«, schnaubte ich, und meine Schultern sackten herab. Dr. Evans hatte einen merkwürdigen Ausdruck auf dem Gesicht.

Molly brach schließlich das Schweigen. »Hui! Das war ja gerade echt ein bisschen gruselig.«

Nach ein paar weiteren Atemzügen verdrängte ich Marks Blick aus meinem Kopf und richtete mich wieder auf. Ich ließ den Wäschekorb los und machte mich daran, meine Runde zu beenden.

Nach einer heißen Dusche und nachdem ich mir saubere Schwesternkleidung übergestreift hatte, holte ich ein Buch aus meiner Tasche, machte mich auf den Weg zur Notaufnahme und setzte mich dort in die Ecke. Ich beobachtete die Leute gern, wenn sie hier hereinkamen. Man wusste irgendwie immer, wer wirklich verletzt war und wer nicht. Ich bewertete sie stets von eins bis zehn. Man lernte sehr viel, wenn man in diesem Bereich arbeitete.

»Mia?« Molly reichte mir einen Kaffee und setzte sich neben mich. »Wie geht’s dir?«

Ich zuckte mit den Achseln und fuhr mit einem Finger durch den heißen Dampf über meinem Becher. »Gut, schätze ich.«

»Möchtest du über irgendetwas mit mir reden?«

Ich nickte, weil ich erkannte, dass sie ebenfalls über die ganze Sache nachdachte. »Ich habe schon Schlimmeres gesehen, Molly. Die Schussverletzung war nicht dramatisch.«

»Das habe ich auch nicht gesagt. Ich meinte eher, dass du gut damit umgegangen bist, als er auf einmal aufgewacht ist. Du hast ihn sofort beruhigen können. Mark ist ein großer Junge, ich war überrascht, dass er dich nicht sofort umgehauen hat und zur Tür gerannt ist.«

»Hmm ...« Ich überlegte einen kurzen Moment. »Kommt das Blackstone-Team oft hierher?«

»Blackstone?« Molly verzog erschrocken das Gesicht. »Woher kennst du ihren Namen?«

»Ich habe mitbekommen, was Logan gesagt hat.«

»Oh.« Ich merkte genau, dass sie mir nicht wirklich glaubte, aber sie ließ das Thema trotzdem fallen. »Ich war mal total verknallt in Logan, aber er ist verheiratet und hat ein Kind. Wirklich schade.« Sie lachte und trank einen Schluck Kaffee. »Dann ist da noch Mark. Mein Gott, dieser Mann schickt Funken direkt in mein tiefstes Inneres.« Sie blinzelte übertrieben.

Ich warf den Kopf zurück und lachte mich schlapp. Allerdings hatte Molly nicht so ganz unrecht.

»Also.« Sie rückte auf den Sitz direkt neben mir. »Möchtest du mir etwas von dir erzählen? Du arbeitest jetzt schon seit zwei Monaten hier, und ich weiß nicht einmal, woher du kommst oder wo du zuletzt gearbeitet hast.«

»Na, schauen wir mal.« Ich kramte eilig etwas Wahres hervor, das ich ihr mitteilen konnte. Die anderen Informationen blieben besser weiterhin im Dunkeln. »Ich bin in Arizona geboren und aufgewachsen und später nach Kalifornien gezogen, weil ich gern in der Nähe von Wasser leben wollte. Anschließend bin ich dort aufs College gegangen und später etwas umhergezogen. Meine Mutter sagt immer, ich hätte wahrscheinlich etwas vom fahrenden Volk in mir.«

»Stehst du deinen Eltern nahe?«

Ich warf einen Blick auf die Uhr an der Wand und stellte fest, dass ich wieder zurück an die Arbeit musste. Ich hielt mein Getränk in die Höhe, als ich aufstand. »Danke für den Kaffee, Molly. Das nächste Mal bin ich dran.« Ich wollte gerade losgehen, als sie noch einmal nach mir rief: »Mia?«

Ich drehte mich um und entdeckte, dass sie mich nun misstrauisch ansah. »Nur damit du es weißt: Sie erwähnen niemals auch nur ein Wort von sich, wenn sie hier sind.«

Ich zuckte mit den Achseln. »Dann habe ich offenbar gut geraten.« Ich hob die Hand über meinen Kopf und verschwand dann winkend auf dem langen Flur.

Mark

»Du hast Hunger?« Höhnisch grinsend schleuderte sie mir ein Stück altes Brot entgegen. »Du undankbares Stück Scheiße.«

»Aber mein Bauch tut so furchtbar weh, Momma.« Weinend streckte ich die Hand nach dem Brot aus, das jetzt unter dem Sofa lag. Alles war besser als der Schmerz in mir, der jeden meiner Gedanken auffraß.

»Los, dann bettele gefälligst wie ein guter kleiner Hund.« Sie zeigte mit dem Finger auf den Boden.

Mein Kinn zitterte, denn ich wusste genau, was sie von mir wollte. »I-i-ich k-k-kann n-n-nicht. « Das Ganze war mir so peinlich.

»Habe ich etwa gestottert, Bengel?«, kreischte sie und nahm einen weiteren Schluck aus der Wodkaflasche.

Mist.

Ich schnappte mir panisch meine Schuhe, deren Sohlen so durchgewetzt waren, dass ich jedes Steinchen und jeden Spalt spürte, und zog dann hastig meinen Kapuzenpulli über. Aber welchen Sinn hatte das schon? Draußen goss es gerade in Strömen. Ich würde sowieso in ein paar Minuten komplett durchnässt und zu Eis erstarrt sein.

»Komm ja erst wieder zurück, wenn du was für mich hast.«

Ich hörte jetzt auch seine Schritte und beeilte mich deshalb noch mehr. Ich griff nach einer Plastiktüte und rannte in die dunkle Nacht hinaus.

Zuerst klopfte ich an die Tür meines Nachbarn, doch der verpasste mir lediglich eine Kopfnuss, weil ich ihn um Essen anbettelte. Also lief ich weiter. Meine Schuhe quietschten, und meine Füße waren taub vor Kälte, während die Nacht sich dahinschleppte. Ich entschied mich, heute mal eine neue Richtung einzuschlagen, und wandte mich deshalb nach Süden in die wohlhabendere Nachbarschaft, obwohl ich wusste, dass dort ein wesentlich größeres Risiko bestand.

Lange Zeit ging ich einfach nur geradeaus, bis ich schließlich ein weit offen stehendes Gartentor entdeckte. Weiter vorn erkannte ich eine rote Eingangstür, und mir fiel plötzlich eine Geschichte ein, die ich damals von meinem Lehrer gehört hatte, nämlich dass eine rote Tür »Willkommen« bedeutete. Ich schlüpfte also durch das Gartentor und eilte die Zufahrt hinauf.

Dann hob ich meine kalten Fingerknöchel hoch zur Tür und klopfte so fest dagegen, wie ich nur konnte, wobei ich inständig hoffte, dass es noch nicht zu spät war, um etwas Essen zu erbitten.

Die Tür ging auf einmal auf, und eine lieb lächelnde Dame, die eine Teetasse mit Untertasse in der Hand hielt, stand im Türrahmen.

»Mein Lieber.« Ihre warmherzige Stimme brachte mich sofort den Tränen nahe. »Was um Himmels willen machst du denn so spät noch hier draußen?«

»I-ich ...« Ich konnte nicht einmal mehr klar denken. Diese Dame hatte gerade »mein Lieber« zu mir gesagt. Niemand hatte mich jemals anders als »Bengel« genannt. »Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht etwas zu essen für mich hätten?«

Sie bekam sofort große Augen, als ihr die Bedeutung meiner Worte klar wurde.

»Bitte. Ich bin so furchtbar hungrig, und wenn ich ohne Essen zurückkomme, wird mich meine Momma wieder verprügeln.«

Ohne eine Sekunde zu zögern, schlang sie ihre warmen Arme um mich und zog mich in die Behaglichkeit ihres großen Hauses. »Komm herein, und ich wärme erst einmal etwas Suppe für dich auf.«

»Wirklich?« Ich wäre vor Erleichterung fast über meine eigenen Füße gestolpert. Oh du meine Güte, war dieses Haus riesig und so unfassbar warm! Sie musste viel Geld für das Heizen bezahlen, weil Momma immer sagte, dass es viel zu teuer sei, unseren kleinen Trailer zu heizen.

»Sue!«, rief sie, als wir am Treppenhaus vorbeikamen. »Könntest du bitte kurz herunterkommen?«

Die Küche hatte sogar einen Kamin! Ich traute meinen Augen kaum, aber ich schoss dennoch sofort hinüber und suchte seine Wärme. Meine Knochen tauten schon bald darauf auf, aber ich zitterte in meinen nassen Kleidern weiterhin.

»Hier.« Die nette Dame reichte mir jetzt ein paar trockene Kleidungsstücke. Sie zeigte auf ein Badezimmer und forderte mich auf, mich erst einmal umzuziehen.

Der Junge im Spiegel sah mir anschließend nicht im Geringsten ähnlich. Ich hatte jemand vollkommen anderen vor mir. Einfach nur ein Junge in normaler, sauberer Kleidung. Mir gefiel es, wie sich der Stoff anfühlte. Ich rieb mir jetzt, so gut ich konnte, den Schmutz aus dem Gesicht und strich auch mit den Fingern durch meine nassen Haare, sodass sie glatt am Kopf lagen.

Danach kehrte ich in die Küche zurück, wo mein knurrender Magen mich unwillkürlich zu einem leckeren Duft führte. Die Dame rührte gerade in einem riesigen Topf Suppe.

»Komm, setz dich, mein Lieber.« Sie zeigte auf einen Hocker an der Küchentheke. Ich kletterte hinauf, und sie stellte kurz darauf eine dampfende Schüssel Suppe vor mich hin und legte dann noch ein Brötchen mit Butter daneben.

Oh du meine Güte, sogar Butter! Wow! Ich senkte den Kopf und sprach mein Gebet. Daheim beteten wir niemals, aber das hier war einfach etwas, wofür man auf jeden Fall ein Dankgebet sprechen musste.

»Wie heißt du?«, fragte sie und setzte sich auf den Hocker mir gegenüber.

»Mark, Ma’am«, nuschelte ich mit einem Bissen Brötchen im Mund. Oh du meine Güte, das schmeckte so verdammt gut!

»Schön, dich kennenzulernen, Mark. Ich heiße Abigail.« Sie lächelte mich warmherzig an. »Die Sachen passen dir sehr gut, genau so, wie ich es mir gedacht habe. Er hat nämlich in etwa deine Größe.«

»Er?« Ich überlegte, wer das sein könnte.

Sie füllte mein Glas nun erneut mit Milch. »Ja, der kleine Junge, der hier lebt, hat etwa dein Alter. Wie alt bist du denn, sieben oder acht?«

»Sieben, Ma’am.«

»Das ist ein gutes Alter.« Sie reichte mir ein weiteres Brötchen. »Wo wohnst du denn?«

Ich schluckte ein großes Stück Brötchen herunter und gab mir Mühe, mich an meine Manieren zu erinnern. »Ich wohne im Trailerpark an der Sixth Row.«

Ihre Züge wurden daraufhin weicher, und ich verstand, dass sie genau wusste, in welcher Gegend ich lebte.

»Du bist aber noch spät draußen.«

»Eigentlich nicht. Meine Momma mag es nicht, mich im Haus zu haben, wenn sie trinkt. Dann schickt sie mich immer raus, damit ich nach etwas zu essen suche, damit sie mich nicht zur Suppenküche mitnehmen muss.« Ich stellte meine leere Suppenschüssel auf den Tisch, und mir fiel plötzlich ein, dass ich ja nicht mit leeren Händen nach Hause kommen konnte, sonst würde ich wieder Schläge bekommen.

»Danke, Miss, für das Essen und auch für die Kleider. Meinen Sie, es wäre in Ordnung, wenn ich ein Brötchen mitnehme? Momma mag es nämlich nicht, wenn ich nach Hause zurückkomme, ohne etwas für sie mitzubringen.«

Sie legte ihre warme Hand auf meine. »Du isst erst mal in Ruhe zu Ende, Mark. Ich bereite in der Zeit etwas zu, das du mit nach Hause zu deiner Momma nehmen kannst.«

Echt? »Okay.« Ich aß die nächste Portion Suppe, so schnell ich konnte, als plötzlich jemand anderes in die Küche kam.

»Sue«, flüsterte Abigail, »wir haben einen späten Besucher.«

»Oh.« Sie musterte mich und schenkte mir dann ein großes Lächeln. »Bist du ein Freund meines Sohnes?«

»Ähm, nein, Miss.« Ich trank das ganze Glas Milch aus, und sobald ich es hingestellt hatte, füllte es Abigail erneut nach. »Danke sehr.«

»Jungen wie du brauchen viel Milch, damit sie groß und stark werden. Trinkst du immer viel Milch?« Ich schüttelte den Kopf. Ich glaubte, dass ich einmal Milch getrunken hatte. Sie schmeckte echt gut.

Nachdem sie mir eine ganze Box mit Essenssachen eingepackt hatte, führte sie mich nach draußen zu einer Garage.

Abigail fuhr mich heim, und das Auto sprang sogar beim ersten Versuch an! Die Sitze waren warm, und ich sank tief in sie hinein. Wow, sie musste echt viel Geld haben. Ich hatte schon lange wissen wollen, wie es sich anfühlte, in einem Auto zu fahren, besonders in einem, in dem die Heizung funktionierte.

»Ähm, vielen Dank für alles«, sagte ich nun nervös, als wir uns unserem Trailer näherten. »Momma könnte sauer werden ...« Ich wollte nicht darüber sprechen, dass sie mich oft vollkommen grundlos verprügelte. Ich öffnete hastig die Tür, und bevor ich hinaus in den Regen trat, wandte ich mich noch einmal zu der Dame um. »Vielen Dank für das Essen. Ich gebe Ihnen die Kleider morgen wieder zurück.«

Abigail legte mir nun eine Hand auf die Schulter. »Warum behältst du sie nicht einfach und kommst morgen stattdessen wieder zum Essen vorbei?«

Bei diesen Worten zog sich mein Magen wie verrückt zusammen. »Echt? Ah, okay. Vielen Dank.«

In diesem Moment konnte ich noch nicht ahnen, dass mir diese sauberen Kleider die Prügel meines Lebens bescheren würden.

***

Die warmen Sonnenstrahlen fielen auf meine schmerzenden Lider. Ein Schatten glitt über mich hinweg, und meine Sinne nahmen langsam wieder ihre Funktionen auf. Ich griff instinktiv nach meiner Waffe, aber sie war nicht da. Oh, Scheiße! Wo bin ich? Meine Gedanken rasten hektisch zurück, aber die Erinnerung war verschwommen. Jemand berührte auf einmal meinen Arm, und ich packte unwillkürlich die Hand und zog die Person zu mir herab.

»Oh!«, keuchte eine weibliche Stimme erschrocken auf.

Ich öffnete meine müden Augen und blickte in ein Paar tiefgrüne Augen, die meinen Blick erwiderten.

»Ist schon okay«, flüsterte sie. Ihr langes, braunes Haar fiel ihr dabei über die Taille. »Ich bin Krankenschwester, und Sie befinden sich gerade im North Dakota Hospital. Ich wollte jetzt Ihre Temperatur messen.«

Ich rief mir die wenigen Erinnerungen ins Gedächtnis zurück, die ich noch besaß, bevor ich ganz hinüber gewesen war. Ich lockerte meinen Griff, aber sie zog ihre Hand nicht sofort zurück.

»Können Sie mir bitte ein paar Fragen beantworten?« Ihre Stimme war ruhig, beschwichtigend und wirkte erleichternd auf den pochenden Schmerz in meinem Kopf. Ich nickte vorsichtig, als der Schmerz wieder an die Oberfläche drang. »Wissen Sie, wie Sie heißen?«

Ich nickte.

Sie lächelte.

»Wissen Sie, welches Jahr wir haben?«

Ich nickte erneut.

Sie lächelte jetzt noch breiter, wodurch sich ihr Gesicht aufhellte. Verdammt, sie war wirklich hübsch!

»Welche Farbe haben meine Augen?«

Ich wollte automatisch nicken, hielt jedoch inne, als ich begriff, worauf sie hinauswollte. Sie wollte, dass ich ihr tatsächlich eine Antwort gab. Da musste ich einfach grinsen.

»Na ja, das war das Warten wert.« Sie lachte sanft. Warten? »Sie waren anderthalb Tage weggetreten.« Sie fummelte jetzt an meinem intravenösen Zugang herum. »Aber das ist in Anbetracht dessen, was Sie durchgemacht haben, vollkommen normal. Sie wissen noch, dass Sie eine Schussverletzung haben?«

Okay, sie musste offenbar denselben Vertrag unterschrieben haben wie Molly.

Sie warf einen Blick auf ihre leuchtend rote Armbanduhr. »Meine Schicht endet in zwanzig Minuten, also wird Alvin die nächsten zwölf Stunden Ihr zuständiger Pfleger sein.« Alvin?

Mir rutschte das Herz in die Hose. Sie war ein wirklich heißes kleines Ding. Ich beobachtete sie, während sie ihre Aufgaben erledigte und etwas auf einem Klemmbrett notierte. Sie hatte sexy grüne Augen, einen strammen Hintern und langes, braunes, leicht gewelltes Haar. Unter dem Kittel konnte ich ihre Sneakers erkennen, was mich zum Lächeln brachte. Immerhin trugen die meisten Schwestern praktische Schuhe. Ich dachte an diese schrecklichen Crocs, auf die manche standen. Sie gingen sogar so weit, die Löcher mit irgendwelchen Sachen zu dekorieren.

Sie kritzelte weiter auf ihrem Klemmbrett herum, dann schloss sie es. »Kann ich Ihnen vielleicht noch etwas bringen?«

Einen Augenblick lang starrte ich sie einfach nur an. Sie bewegte sich nicht unbehaglich hin und her, wie es so manche Frauen taten, wenn sie in Gesellschaft von Männern wie mir waren, sie erwiderte einfach nur stumm mit einem schwachen Grinsen meinen Blick.

Ich räusperte mich und brachte es fertig, grunzend das Wort »Wasser« auszustoßen.

»Natürlich.« Sie öffnete daraufhin einen kleinen Kühlschrank und kehrte mit einem gelben Becher und einem Strohhalm zurück. Sie hielt ihn mir an den Mund und wartete darauf, dass ich ihn zwischen die Lippen nahm. Ich kam mir vor wie ein Narr, also hob ich die Hand, aber sie schlug sie energisch beiseite. »Ich habe eben einen Sechzigjährigen mit dem Schwamm waschen müssen. Sie werden es wohl aushalten, dass ich mich ein paar Augenblicke auch um Sie kümmere.« Ich grinste, denn sie tat mir leid. Ich öffnete also die Lippen und trank das bisschen Wasser, das sie mir zugestand.

»Mehr«, krächzte ich, weil meine Kehle sich immer noch wie Sandpapier anfühlte.

Sie schüttelte mit einem traurigen Ausdruck auf dem Gesicht den Kopf. »Tut mir leid, aber mehr gibt’s erst mal nicht, Major.«

Ich legte meine Hand auf ihre, damit sie bei mir blieb. »Bitte.«

»Sie könnten sich dann übergeben und Ihre Nähte beschädigen. Sie haben nämlich sehr viele Medikamente bekommen ...«

»Ich übergebe mich nicht. Versprochen.« Meine Hand spannte sich an. Ich brauchte dringend Wasser. »Versprochen.«

Sie schloss die Augen und stieß einen leisen Seufzer aus. »Nur noch ein ganz klein wenig mehr.« Ihr Lachen machte mich seltsam glücklich. Ich sah, dass sie gerade ihre eigenen Regeln brach, und das gefiel mir.

Wie zuvor leerte ich das ganze Ding binnen Sekunden, aber ich wollte mein Glück nicht weiter strapazieren.

»Kein Wort mehr.« Sie richtete den Finger auf mich, als sie zurücktrat. »Ich weiß schließlich, wo Sie wohnen.« Sie lachte und beschrieb das Zimmer mit ihren Händen. »Zimmer 2203.« Sie zog die Nase kraus und öffnete dann die Tür. »Schlafen Sie jetzt noch etwas, Major Lopez.«

Ich salutierte ihr, und sie trat hinaus in den hell erleuchteten Gang. Dieses Mädchen war wirklich komisch. Mit dem Dosiergerät für die Schmerzmittel in der Hand fiel ich bald darauf in einen tiefen Schlaf.

Manuel

Mit den angeschwollenen Lippen fiel es mir schwer, aus dem Glas zu trinken. Ich schlabberte herum, während ich mühsam drei Ibuprofen schluckte. Was für eine beschissene Nacht! Ich spuckte Blut zur Seite und strich mit der Zunge vorsichtig über meine Backenzähne. Scheiße. Der Molar war zerbrochen und die Hälfte davon verschwunden.

»Du siehst absolut beschissen aus«, meinte Billy und verließ den Umkleideraum.

Ich wartete, bis er gegangen war, bevor ich mein Hemd wechselte und meine Waffe ins Holster schob. Mein Handy vibrierte, und ich fluchte lautstark, als ich die Nachricht las.

Noah: Noch fünf Tage bis zur ersten Zahlung.

Ich wischte mit dem Daumen über das Display und scrollte die Seite hinab, um sie auf neue E-Mails zu checken. Aber nichts. Das alte Arschloch würde mich garantiert umbringen lassen.

Ich fing mein Bild im Spiegel der Umkleidekabine auf, der an der Tür hing. Wut brandete in meinen Eingeweiden auf und raste danach durch meine Haut. Ich hasste es, dass wir uns so sehr glichen. Ich kniff die Augen fest zusammen und versuchte, die Erinnerung abzuwehren, die unweigerlich hochkommen würde.

»Hallo, großer Junge, wie heißt du denn?« Sein Lächeln war schmierig, und ich wusste sofort, was dieser Mann von mir wollte. Ich wusste es, weil es nicht das erste Mal war, dass es geschah. Ich wurde plötzlich auf Marks rote Jacke aufmerksam, als er in die Freiheit hinauslief, während ich weiterhin in dieser beschissenen Hölle zurückbleiben musste.

Verdammt. Ich blickte mich um und sah, dass ich vollkommen allein war. Ich drehte die Verschlusskappe auf, öffnete die Saftflasche und trank dann die Hälfte mit einem Zug aus. Der Wodka war unheimlich stark. Ich hatte es schon lange aufgegeben, mich zu beschränken. Heutzutage war es bloß noch ein Spritzer Saft, und der Rest bestand aus allem Hochprozentigen, das ich in die Hände bekam.

Anschließend knallte ich meinen Spind zu und ging los, um mir das zu holen, was ich so dringend brauchte.

Kapitel zwei

Mark

Die folgenden achtundvierzig Stunden waren echt heftig. Pfleger Alvin war ein extremes Arschloch, der offenbar nicht einmal meine verdammte Patientenkarte lesen konnte. Dann gab es noch Schwester Dawn. Diese glaubte wohl, sie wäre in einem verdammten Quilt-Kurs, und stach mich die ganze Zeit mit ihren verdammten Nadeln. Wie um alles in der Welt hatten diese Leute ihren Abschluss bekommen?

Mein Kopf schmerzte, meine Seite schmerzte, und dieses gottverdammte Krankenhaus wollte mir einfach nichts zu essen geben.

Das Bettzeug sollte man am besten verbrennen, die Wände waren wahnsinnig grell, und ich brauchte verdammt noch mal endlich etwas Richtiges zu essen! Ich kann nicht hier warten, bis sie mir meine Götterspeise liefern. Echt jetzt, Götterspeise? Die sollte man ja wohl niemals als richtiges Nahrungsmittel betrachten. Sie haben sie reingebracht, und dann haben sie sie sofort wieder rausgebracht. Kapiert es endlich! Ich hasse Götterspeise!

»Was ist denn los, mein Sonnenschein?« Cole stand in der Tür und grinste breit. Ich sah ihm an, dass er mich schon eine ganze Weile beobachtet hatte.

»Verschwinde.«

»Nutzt du es immer noch schamlos aus?«

»Verpiss dich gefälligst.«

»Auweia, da ist aber anscheinend jemand so richtig angepisst. Was ist, geben sie dir hier nichts zu essen?« Ich zuckte leicht zusammen, aber er sah es trotzdem sofort. Seine Hand flog daraufhin an seine Brust. »Ach, Bruder, ich wünschte, du wärst gestern Abend da gewesen. Abby hat ein riesiges Ribeye-Steak gemacht, mit dieser speziellen Soße, die ...«

»Du bist für mich gestorben!«

Er lachte und machte einen Satz nach vorn, um jemandem Platz zu machen ... und da war sie auf einmal wieder.

»Hallo, Jungs.« Strahlend kam sie auf mich zu. »Na, Sie sehen ja schon viel besser aus.« Sie zwinkerte mir zu.

Cole warf mir einen Blick zu, während er sie weiterhin im Auge behielt.

»Savannah.« Ich formte lautlos den Namen seiner Ehefrau und erhielt dafür einen Mittelfinger von Cole.

Sie öffnete meine Patientenkarteikarte und fragte: »Wie geht’s Ihnen denn, Colonel?«

»Sehr gut, danke ...« Er warf mir einen Blick zu. »… Mia.«

Echt, Arschloch, sind wir schon beim Vornamen?

»Gut.« Sie sah ihn an, und ich zeigte ihm den Mittelfinger zurück. »Freut mich zu hören.«

Coles Handy ertönte, er entschuldigte sich und verließ nun das Zimmer.

Ja, geh du nur.

Mia benötigte noch einen Moment, um den ganzen Papierkram zu erledigen, und strich dabei unbewusst ihre langen Ponyfransen aus den Augen.

»Tiefgrün.« Meine Stimme klang wie ein Knurren.

Sie blickte hoch. »Wie bitte?«

»Die Farbe Ihrer Augen. Sie sind tiefgrün.«

Fältchen bildeten sich daraufhin in den Winkeln dieser tiefgrünen Augen, und ihre Wangen färbten sich leicht rosa, sodass sie noch dunkler wirkten.

»Gut.« In ihrer Stimme schwang jetzt eine gewisse Leichtigkeit mit. Sie ließ die Karte in die Hülle am Fußende des Betts gleiten. »Welchen Tag haben wir heute?«

»Mittwoch.«

»Wie heißen Sie, Major?«

»Major Mark Lopez von der Army der Vereinigten Staaten.«

»Gut.«

»Jetzt bin ich dran«, meinte ich. »Wie heißen Sie?«

»Hm.« Sie kicherte, verschränkte die Arme vor der Brust und hob eine Augenbraue. »Mia Harper. Ich bin Krankenschwester im North Dakota Hospital.«

»Seit wann sind Sie schon hier?«

»Wie bitte ...?« Ihre Stimme wurde sofort leiser.

»Die letzten beiden dämlichen Pfleger, die ich hatte, wussten nicht einmal, wer Sie waren.«

»Sie haben sich über mich erkundigt?«

Scheiße. »Nein, natürlich nicht. Ich ...«

»Warum haben Sie sich über mich erkundigt?«

»Warten Sie. Wie ...« Ich warf die Hände in die Luft. »Wie habe ich bloß die Kontrolle hierüber verloren?«

Sie kicherte und schenkte mir etwas Wasser ein.

»Auuu!«, zischte ich plötzlich und beugte mich gequält zur Seite. »Scheiße, tut das weh ...«

»Oh mein Gott.« Sie eilte sofort an meine Seite und legte mir die Hände auf die Schultern, damit ich nicht aus dem Bett fiel. »Besser?«

»Sie riechen gut.« Ich schenkte ihr ein teuflisches Grinsen.

Sie schloss daraufhin die Augen und griff nach dem Alarmknopf. »Sie werden mir doch keine Schwierigkeiten machen, oder, Mark?«

»Ich? Nie im Leben.«

Sie drückte daraufhin den Knopf und wartete darauf, dass jemand reagierte. »Alvin, könntest du den Patienten Mark Lopez bitte waschen?« Mir entgleisten nun die Gesichtszüge. »Er erholt sich nämlich anscheinend ziemlich schnell.«

»Aber natürlich, Mia.« Alvin hörte sich in meinen Ohren etwas zu eifrig an.

»Niemand wird mich waschen!« Ich verschränkte nachdrücklich die Arme vor der Brust, zuckte aber vor Schmerz leicht zusammen. »Ich bin schließlich ein erwachsener Mann und habe schon weitaus Schlimmeres durchgemacht als das hier. Geben Sie mir einfach etwas Seife und eine Schüssel mit Wasser, dann werde ich mich gern selbst waschen.«

Sie drückte mich sanft, aber energisch zurück auf das Kissen und steckte meine Decke wieder fest. »Nun, Mark, wir haben hier nun mal Vorschriften.«

Alvin kam nun fröhlich pfeifend herein.

»Raus hier!«, rief ich, aber Mias Gesicht brachte mich unwillkürlich zum Kichern.

Alvin sah sie hilfesuchend an. »Mia?«

»Okay, Mr. Lopez.«

Ein Arzt trat nun ein, hielt jedoch beim Anblick meiner verärgerten Gesellschaft sofort inne. »Hier treiben sich also meine Leute herum.« Er sah Mia auffällig an. Doch diese zuckte bloß mit den Achseln, zwinkerte mir allerdings noch einmal zu, während sie Alvin die Schulter tätschelte.

Alvin ging daraufhin weg, aber als Mia sich ebenfalls zum Gehen wandte, rief der Arzt sie noch einmal zurück.

»Bleib hier. Ich kann jemanden gebrauchen.« Er lächelte ihr zu, und sie drehte sich um, aber ich wusste nicht so recht, ob sie es tatsächlich wegen ihres Chefs tat.

»Ich bin Dr. Evans.« Er sah dabei nicht von meinem Patientenblatt auf. Ich glaubte fest an Blickkontakt und war deshalb ziemlich angepisst, weil er ihn mir, dem Patienten, nicht schenkte. »Mark, wie fühlen Sie sich heute?«

»Na ja, Doc, ich fühle mich, als wäre ich angeschossen worden.« Mia konnte ihre Belustigung über meine Bemerkung nicht verbergen.

»Also ist es schmerzhaft?«

»Ja. Schussverletzungen sind im Allgemeinen immer ziemlich schmerzhaft.«

»Das sollte man annehmen.« Er nickte, während er weiter durch meine Akte blätterte. »Ich bin überrascht, dass ich Ihnen zuvor noch niemals hier begegnet bin, wenn man bedenkt, dass das Ihre dritte Schussverletzung in den letzten fünf Jahren war. Du meine Güte.« Er hielt kurz inne, als ihm bewusst wurde, was er da gerade offenbart hatte.

»Nun ja, das war ja auch kaum das Ziel meines Lebens«, brummte ich verärgert und war stinkig. Offensichtlich kapierte der Typ noch nicht einmal mein beabsichtigtes Wortspiel. Es gefiel mir überhaupt nicht, wie still Mia nach dem Erscheinen des Arztes geworden war. Ich vermutete, dass die beiden eine gemeinsame Geschichte hatten.

Dr. Evans kam nun an meine Seite, zog die Decke zurück und tastete die Austrittswunde ab. »Sie stehen entweder gerade unter jeder Menge Schmerzmittel, oder Sie sind ein sehr schmerzresistenter Mensch.«

»Bei meiner Arbeit lernt man schnell, Schmerzen nicht zuzulassen, Doc«, gab ich müde zur Antwort. »Fünf.« Ich seufzte. »Das sind meine Schmerzen auf der Skala.«

Er lächelte und nickte. »Sie haben das alles ja schon mehrmals durchgemacht.«

»Ja.«

Mia reichte mir nun ein Glas kaltes Wasser, dann legte sie den Kopf schief und lauschte. Offenbar war das ihr Pager. »Entschuldigen Sie mich bitte.«

Dr. Evans drückte nun den Knopf der Gegensprechanlage. »Alvin, Sie können nun zurückkommen und Mr. Lopez waschen.«

»Danke, aber ich verzichte.«

»Also, Mark, nehmen Sie’s nicht persönlich.« Er schloss die Akte. »Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.«

»Oh ja, ich Ihnen auch, Doc.« Ich kicherte, als er ging.

Alvin trat jetzt grinsend ein. »Bereit, Mark?«

»Ich hoffe, dafür werden Sie einen langsamen und schmerzhaften Tod sterben.«

Mia

Zwölf Stunden, zwei Operationen und einen Beinahetodesfall später war ich verdammt müde. Die Woche war schnell vergangen, und es gab jede Menge Gerüchte über die kommende Freitagnacht unten bei The Grid. Es klang nach viel Spaß. Die Last meines Jobs hob sich jedoch nie von meinen Schultern, wenn meine Schicht zu Ende war. Ich benötigte immer Zeit, um alles verarbeiten zu können. Gesellschaftlicher Umgang mit dem Personal interessierte mich deshalb nicht sonderlich.

»Lopez hat nach einem weiteren Abendessen gefragt.« Eine der Schwestern schüttelte den Kopf. Mark war dem Personal in dieser Woche allmählich ans Herz gewachsen. Er flirtete nämlich schrecklich gern mit den älteren Schwestern, und auch Alvin hatte offensichtlich ein Auge auf ihn geworfen.

Ich hielt eine Hand in die Höhe, schnappte mir meine Tasche und mein Buch und eilte noch einmal in sein Zimmer.

»Ich hab’s gewusst. Wenn ich mich nur genügend beklage, dann schicken die Sie.« Er ließ ein sexy Grinsen aufblitzen. Meine Güte, er sah mir dabei direkt in die Augen. Manchmal fühlte ich mich in seiner Gegenwart so unglaublich verletzlich.

»Meine Schicht ist jetzt vorüber, Major. Kann ich Ihnen trotzdem noch etwas besorgen?«

»Bitte etwas, das nicht in einer Kantinenküche hergestellt worden ist.« Er schob angeekelt das Fleisch mit Soße weg. »Ich habe zwar schon Schlimmeres gegessen, aber mir reicht es langsam trotzdem. Vor allem, wenn ich die ganze Zeit ein Marie Callender’s von meinem Fenster aus sehen kann. Das ist schon ziemlich gemein, finden Sie nicht auch?«

Ich lachte laut, bevor ich meine Tasche öffnete und dann meinen Shepherd’s Pie herausholte. »Hier für Sie.«

Seine Augen leuchteten freudig auf, als er einen Blick unter die Abdeckung warf. »Na, da soll mich doch …« Bei seinem Grinsen musste ich hastig wegsehen. Das Gefühl, das er in mir hervorrief, war ganz anders als alles, was ich kannte. »Haben Sie das etwa selbst zubereitet?« Ich nickte rasch, bevor ich meine Tasche schloss und zur Tür ging.

»Wohin gehen Sie denn jetzt?«

»Nach Hause.«

»Warum?«

»Ich bin müde.«

»Aber ich langweile mich hier so.« Ich drehte mich um, sah sein spielerisches Grinsen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe auch etwas zu erzählen. Klatsch! Mädchen stehen doch auf so etwas, oder?«

»Ich bin leider noch nicht so lange hier, dass ich die anderen Schwestern richtig kenne.«

Er zog die Brauen zusammen, und ich sah ihm an, dass er gerade eine andere Herangehensweise überlegte. »Ich habe gehört, Sie lesen gern.«

Das brachte mich aus dem Konzept. »Woher wissen Sie ...?« Ich schloss die Augen. »Warum reden Sie und Molly eigentlich über mich?«

»Ich wollte eben wissen, was Sie gern mögen.«

»Warum?«

Er ignorierte meine Frage und legte den Deckel des Behälters mit dem Shepherd’s Pie auf den Schoß. Anschließend griff er nach einem Plastiklöffel vom Tablett und langte mächtig zu.

»Mia.« Dr. Evans steckte nun den Kopf zur Tür herein, hielt aber inne und sah uns beide argwöhnisch an. »Ziehen Sie heute um die Häuser?«

Ich wollte am liebsten laut seufzen, hielt mich jedoch zurück. Mir fiel auf, dass Mark mich genau beobachtete.

»Nein, ich gehe bloß nach Hause.«

»Typisch.« Er zuckte mit den Achseln und schloss dann die Tür. Ich weiß, ich weiß, ich bin eine richtige Eigenbrötlerin.

Mit einem aufgesetzten Lächeln wandte ich mich zu Mark. »Ich sollte jetzt gehen. Bis später.« Gerade als ich die Hand auf die Türklinke legte, ergriff er wieder das Wort.

»Danke für das Essen, es ist echt köstlich. Eine eindeutige Verbesserung zu dem Fraß hier.«

»Keine Ursache.«

Ich ging jetzt den Flur hinab und hoffte, dass mich niemand entdecken würde. Ich wollte einfach nur noch nach Hause.

Mit der Faust hämmerte ich auf die Tür meines Nachbarn unter mir ein, der mich jetzt mit seinem üblichen Zahnfleischlächeln begrüßte.

»Schicht?«

»Lang, aber gut.«

Er schob sich mit der Schulter in den Flur hinaus. »Du siehst irgendwie anders aus.« Er betrachtete mich mit schmalen Augen. »Du wirst mir aber nichts verraten, oder?«

Ich streckte die Hand aus. Er pfiff, und einen Augenblick später rannte Butters, unser Sibirischer Husky, auf mich zu, sprang an mir hoch und hätte mich fast umgeworfen vor Freude. Er war ein massiger Hund und wog nur etwas weniger als ich. Vor einer Weile war unser Nachbar, der seit über zwanzig Jahren hier gelebt hatte, verstorben. Irgendwie war der Hund übrig geblieben, also wechselten wir uns jetzt kurzerhand mit der Pflege für ihn ab. Butters hatte aber anscheinend eine gewisse Anhänglichkeit zu mir entwickelt. Seine riesige rosafarbene Zunge leckte mir nun erst einmal über das ganze Gesicht.

»Ich brauche bloß eine Menge Schlaf.« Ich rief Butters, damit er mir folgte. »Bis später, Ed.«

Die schwere Aufzugtür schloss sich hinter mir, und kurz darauf betrat ich meine Atelierwohnung. Kyle, mein bester Freund, und ich hatten sie gemeinsam gemietet. Vor zwei Monaten hatte er mich schließlich dazu überredet, hier einzuziehen. Vor einem Monat hatte er dann plötzlich die Nachricht erhalten, dass er einen Platz an einer größeren Kunstgalerie gewonnen hatte, um dort seine Werke auszustellen. Dass er mir mit seinem Weggang das Herz gebrochen hatte, war eine glatte Untertreibung.

Ich holte mir die Pizza vom vorherigen Abend und eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, warf das Essen auf einen Teller und nahm Kurs aufs Sofa. Butters folgte mir und ließ sich dicht neben mir nieder. Normalerweise kochte ich mir abends etwas, aber diese Mammutschichten schafften mich allmählich. Ich hatte nämlich keine Pause eingelegt, als ich an der Reihe gewesen war, und mich auch noch freiwillig beim örtlichen Medizinzentrum gemeldet. Schlimmer Fehler. Ich warf meine Chucks auf den Boden, zog die Knie an die Brust und schaltete den Fernseher ein.

Ich wusste gar nicht genau, wie spät es war, als ich irgendwann zu Bett ging. Es war auf jeden Fall dunkel, und der Mond schien so hell, dass ich gar kein Licht einschalten musste. Sobald ich mich in meine Decken gekuschelt hatte, fiel ich auch schon auf die Matratze, und Butters ließ sich neben mir nieder. Ich legte ihm den Arm um die Brust und vergrub meinen Kopf an seinem.

»Ich hab dich lieb, mein Junge.« Ich küsste ihn auf sein Fell und schloss die Augen.

Manuel

Vier Asse hatte ich momentan zwischen meinen Fingern, also standen meine Chancen ziemlich gut. Big Joe, der bisher alles abgeräumt hatte, saß direkt neben mir und sah aus, als würde er jeden Moment einen Herzschlag bekommen und zur Seite sacken. Ich wünschte, ich würde ihm gegenübersitzen, damit ich sein Gesicht lesen konnte, aber so viel Glück hatte ich leider nicht. Stattdessen musste ich eben mit meinem Blatt bluffen.

Der Schweiß, der mir ständig am Hals hinablief, juckte wie verrückt. Ich musste diese Runde unbedingt gewinnen, denn sonst würde mir Noah wieder die Fresse polieren.

»Ich passe«, sagte nun der Hagere mir gegenüber und warf sein Blatt in die Tischmitte.

Die nackte Glühbirne, die an einem Kabel von der Decke hing, flackerte, und wir alle sahen unwillkürlich auf. Die Lagerhalle war eigentlich ein Fleischmarkt und stank dementsprechend penetrant danach, sogar noch hier hinten, wo die Pokerrunden stattfanden.

Ich rückte meinen Stuhl zurecht, und er quietschte leise unter mir. Ich wartete auf den nächsten Zug.

»Passe.« Der Mann seufzte, bevor er aufstand und zur Bar ging.

Die blonde Frau, die ich schon ein paar Mal hier gesehen hatte, drehte unablässig einen roten Chip zwischen ihren Fingern, während sie angestrengt überlegte.

»Ich erhöhe um tausend.« Sie warf einen schwarzen Chip auf den Haufen.

Ohne zu zögern setzte ich meine Chips ebenfalls. »Ich halte Ihre tausend und erhöhe um zweitausend.«

»Sehen!« Big Joe folgte mit seinen Chips und wartete, was als Nächstes geschehen würde.

***

Das Eis auf meiner Stirn fühlte sich gut an, aber ein Bett hörte sich noch besser an.

»Was ist denn mit dir passiert, zum Teufel?« Eines der Mädchen aus der Buchungsabteilung steckte den Kopf in mein Büro.

»Falscher Ort, falsche Zeit«, log ich und schob die Bilder von der Faust, die gegen meinen Kopf knallte, so weit weg, wie ich nur konnte. Ich konnte sogar immer noch das Geräusch heraufbeschwören, als mir das Rohr über den Schädel gezogen worden war. Die Erinnerungen an das Kartenspiel hingegen waren nur noch äußerst verschwommen.

»Vielleicht sollte da mal jemand einen Blick drauf werfen. Du meine Güte. Wirst du Anzeige erstatten?«