Vertraut und verraten - J. L. Drake - E-Book

Vertraut und verraten E-Book

J. L. Drake

5,0

  • Herausgeber: Lago
  • Kategorie: Erotik
  • Serie: Broken
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Ihr Liebster wird vor ihren Augen ermordet. Sie verliert ihr ungeborenes Kind. Savannah will nur noch, dass alles aufhört. Dann bekommt sie eine zweite Chance zu lieben. Doch auch wenn das Leben einen Ausweg zu bieten scheint, verlaufen die Dinge nicht immer so, wie man es gerne hätte, denn manche Lügen sind einfach zu schön, um sie aufzugeben. Doch Savannah muss sich jetzt der Wahrheit stellen. Der Wahrheit darüber, wer wirklich hinter ihrer Entführung steckt. Auch wenn sie daran zerbricht …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 291

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
5,0 (2 Bewertungen)
2
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.

Beliebtheit




Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2017

© 2017 by Lago,

ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© 2015 by J. L. Drake

Die englische Originalausgabe erschien 2015 Limitless Publishing LLC, Kailua, HI 96734, unter dem Titel Shattered.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Alfons Winkelmann

Redaktion: Helena Tischler

Umschlaggestaltung: Laura Osswald

Umschlagabbildung: Julia Gurevich/Shutterstock

ISBN Print 978-3-95761-177-2

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-095-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-096-5

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.lago-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Prolog

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Danksagung

Über die Autorin

Mum,

Verletzungen machen uns nur noch stärker,

unsere verborgenen Narben erinnern uns daran,

wie wertvoll und zugleich zerbrechlich das Leben ist.

Vielen Dank, dass du unsere Mutter bist,

unser Fels, unsere beste Freundin.

Prolog

Zwischen Leben und Überleben besteht ein Unterschied, aber das hier ist keins von beidem. Mein Leben ist nie vorangegangen. Es hat immer schon auf der Stelle verharrt, während ich mich um andere gekümmert habe – meine Mutter, meinen Vater, meine Aufpasser. Schließlich erhielt ich ein paar Monate geschenkt, in denen ich mich in einen Mann verliebte, durch den ich mich lebendiger fühlte, als ich je für möglich gehalten hätte. Jetzt ist er, allein meinetwegen, meinem Leben entrissen worden, ermordet auf die abscheulichste Art und Weise, und wir alle sind Zeugen dieses Mordes gewesen. Ich habe unser ungeplantes Baby verloren. Nun ist von mir nichts mehr übrig, das die Trümmer meines Lebens aufsammeln könnte. Ich möchte es nicht einmal. Also halte ich mir eine Pistole an den Kopf und warte darauf, mich mit meiner kleinen Familie auf der anderen Seite wiederzuvereinigen.

Kapitel eins

Irgendwo in Mexiko

Cole

»Du hast was getan, Raúl?«, zischt der Amerikaner dem Mann zu, der diesen lächerlichen Gürtel mit dem Longhornkopf trägt.

»Nein, nein, Señor, er lebt, sehen Sie?« Er tritt beiseite, um dem Amerikaner zu zeigen, dass, ja, dass Cole in der Tat am Leben ist. »Nix kaputt gemacht.«

»Nix kaputt?« Der Amerikaner zieht ein Messer heraus, packt Raúls Hand und nagelt sie gegen die Wand. Im nächsten Augenblick rollt der Zeigefinger des Mannes über den Fußboden.

»Ahhh!«, kreischt Raúl.

»Er ist unser einziges Druckmittel! Und jetzt halten sie ihn für tot. Verdammt!« Der Amerikaner boxt gegen die blutbespritzte Wand. Er wendet sich Raúl zu, der mit bleichem Gesicht auf sein fehlendes Körperteil starrt. »Wenn du nicht mit meiner Cousine verheiratet wärst, würde ich dich eigenhändig enthaupten, das schwöre ich dir!«

»Si«, erwidert der Mann schwach.

Luka wischt sich den Mund mit einem Tuch ab. Der Gestank von Blut macht ihm wohl zu schaffen. Er wirft Cole, der sie beobachtet, einen Blick zu. Coles Mundwinkel zucken nach oben. Er sieht Luka gern schwach werden.

Savannah

Ich starre vor mich hin, meine Hände zittern, Tränen strömen mir das Gesicht herab. Ich bin ihm so nahe. Wenn ich nur …

Das Klingeln von Keith’ Telefon zerreißt die Stille, und mein Finger verharrt zitternd am Abzug. Ich schließe fest die Augen und gebe mir Mühe, mich zu konzentrieren.

»Was ist?«, meldet sich Keith’ mit verschlafener Stimme. »Warte mal, Moment. Worum geht’s?« Langsam öffne ich die Augen und sehe, wie sich Keith’ Kopf in meine Richtung dreht. Ihm fällt die Kinnlade herab, als er erkennt, was in meiner Hand liegt. »Warte!« Er lässt sein Handy fallen, das vom Fußboden abprallt, und springt auf. »Savannah!«

»Zurück!«, schreie ich, schüttele den Kopf und halte die Waffe fest an meine Schläfe gepresst. Er bleibt am Fuß des Bettes stehen, die Hände gehoben, um anzuzeigen, dass er sich nicht rühren wird.

»Bitte, Savi, gib mir die Waffe. Mark hat gerade angerufen …«

»Stopp!«, schreie ich unter Tränen. Ich bin so nahe daran. »Lass mich einfach.«

»Nein.« Er führt das nicht weiter aus.

»Ich will, dass niemand mehr meinetwegen leiden muss. Ich will nicht mehr leiden. Ich will nicht ohne ihn leben. Ich will nicht ohne unser Baby leben.« Ich lasse den Kopf sinken und ziehe meine Knie an den Körper. Keith erkennt, dass ich kurz davor stehe, alles zu Ende zu bringen. Drück einfach ab, Savannah! Ich halte die Waffe so fest an meine Schläfe gedrückt, dass sich die Mündung tief in die Haut drückt. »Wann hat das Schicksal entschieden, dass ich es nicht verdiene, glücklich zu sein?«, kreische ich, während die Erinnerungen aus mir hervorquellen. »Ich habe alles ertragen. Ich habe meine Mutter sterben sehen. Ich bin entführt worden und ich habe meinen Geburtstag in einem vier auf vier Meter großen Raum verbracht! Jetzt habe ich meinen Geliebten verloren und unser Baby! Ich will nicht wissen, was als Nächstes kommt, Keith – ich kann einfach nicht!« Mein Schluchzen wird immer heftiger, sodass die Waffe wieder und wieder gegen meinen Kopf prallt. »Alle, die ich liebe, verlassen mich. Ich will, dass das endlich aufhört!«

»Ich weiß, Savannah.« Er kniet sich aufs Bett und rückt zu mir hin. »Aber nicht auf diese Weise.« Er kommt mir ganz nahe und streicht mir langsam und stetig mit der Hand über den Arm und die Hand, legt seine Hand auf meine und flüstert: »Gib sie mir, Liebes, bitte.«

Plötzlich wird mir das Gewicht meines Schmerzes zu viel. Meine Hand lockert sich gerade so weit, dass er mir die Waffe entwinden kann. Er ergreift meine Schultern und zieht mich an sich. Ich spüre, wie er zu zittern beginnt.

»Ich vermisse ihn doch auch.« Die Worte sind kaum ein Flüstern.

Das gibt mir den Rest. Ich breche völlig zusammen.

Ich bin ein Feigling.

Mark

Mark rast die Treppe hinauf und den langen Flur zu Coles Wohnung entlang. Er stürmt ins Zimmer und sieht Savannah zu einem Ball zusammengerollt, schluchzend, und Keith, der zutiefst entsetzt wirkt.

»Was ist hier los?«

Keith schüttelt den Kopf und hält die Waffe hoch. Mark spürt, wie ihm das Blut aus dem Gesicht weicht, als ihm aufgeht, was hätte geschehen können. Er greift sich ins Haar und setzt alles daran, einen klaren Gedanken zu fassen. Er muss mit Keith und Daniel sprechen, und zwar sofort.

»Keith«, sagt er leise, und ihm ist übel, »Coles Büro, fünf Minuten.« Keith nickt.

Er dreht sich um und rennt hinaus und zu Abigails Zimmer hinüber, das sie mit ihrer Schwester June teilt.

»Abby!«, zischt Mark und schaltet das Licht an. »Du musst mir helfen.«

»Hm?« June blinzelt bei der plötzlichen Helligkeit.

Abigail greift nach ihrem Morgenmantel. »Mark, mein Lieber, was ist los?«

»Ich brauche …« Er hält inne, um seine wirren Gedanken zu sortieren. »Wo ist Sue?«

»Vermutlich bei Daniel. Warum?«

Mark schüttelt den Kopf. »Du musst in Coles Zimmer hinüber und mit Savi zusammen warten. Etwas ist passiert, und ich möchte nicht, dass sie allein bleibt. Ich …«

Abigail streift ihre Hausschuhe über. »Was ist passiert? Wo ist Keith?«

»Ich muss eine Versammlung einberufen. Ich glaube, ich habe etwas entdeckt.« Er will gehen, dreht sich jedoch nochmals um. »Abby, du weißt besser als alle anderen, wo Cole vielleicht Waffen in seinem Zimmer versteckt hat. Wirf sie bitte hinaus!«

Verblüfft sieht sie June an, dann nickt sie Mark zu.

Mark hämmert an Daniels und Sues Schlafzimmertür. Sue macht ihm auf. Sie wirkt erschöpft.

»Sue! Du musst zu Savi.« Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, schiebt sie sich an ihm vorbei und rennt den Flur hinab. Mark betritt den Raum und sieht, wie Daniel ein T-Shirt überstreift. »Ich muss sofort mit dir sprechen.« Aus Coles Zimmer ertönen Schreie, und Mark schließt die Augen.

Heilige Scheiße, das läuft völlig aus dem Ruder.

*

Mark ist damit beschäftigt, das Video zu starten, und alle anderen wollen auf den neuesten Stand gebracht werden.

»Mein Gott!« Daniel reibt sich den Kopf, während er Keith zuhört.

»Wenn Mark mich mit seinem Anruf nicht geweckt hätte …« Keith lässt die Hände schwer an seiner Seite herabfallen. »Ich habe geglaubt, mit ihr wäre alles in Ordnung. Sie ist so still gewesen. Ich habe geglaubt, sie hätte alles auf ihre Weise verarbeitet. Ich hatte keine Ahnung, dass sie so weit gehen würde.«

»Leute«, unterbricht Mark und zeigt auf den Flachbildschirm, »sagt mir, was ihr dort seht!« Er lässt die DVD vom Amerikaner abspielen. Daniel schießt Mark einen bösen Blick zu. »Ich weiß, glaubt mir, ich weiß, aber seht bitte genau hin!«

Daniel holt tief Luft und sieht sich den Mord an seinem Sohn immer und immer wieder an, aber dieses Mal tritt er etwas näher an den Bildschirm heran.

»Warte kurz«, sagt Mark, und Keith stellt sich neben Daniel.

»Oh mein Gott!« Daniels Kopf fährt zu Mark herum. »Da ist kein Tattoo!«

»Genau.« Mark nickt und hält das Bild an. »Dieser Mann ist nicht Cole.«

Daniel hebt den Hörer auf und telefoniert rasch, bevor er sich wieder der verblüfften Gruppe zuwendet. »Frank wird in einer Stunde hier sein. Weckt die Jungs auf. Wir müssen eine Versammlung abhalten.«

»Was sollen wir deiner Meinung nach unternehmen?«, fragt Keith.

Daniel verschränkt die Arme. »Die Jungs sollen sich fertig machen. Wir gehen noch heute Nacht raus.«

»Ich komme mit«, sagt Mark ernst und nimmt seine Schlinge ab.

»Ja, auf jeden Fall.« Daniel nickt und sieht John an. »Paul kann nicht mitkommen. Derek soll seinen Platz einnehmen.«

Mark hält mitten im Schritt inne. Er weiß, wie sehr sein Team Derek verachtet. »Nicht Keith oder Mike?«

Daniel wendet sich an Keith. »Savannah oder Cole?«

Keith streicht sich über die Stirn. Mark weiß, wie nahe er Savannah steht, und sie vertraut ihm mehr als jedem anderen im Haus, aber die Vorstellung, Cole heimzuholen, ist verlockend. »Cole.«

»Okay.« Daniel ist einverstanden. »Treffen im Wohnzimmer um Punkt zwei Uhr.«

Eine halbe Stunde später wartet Mark geistesabwesend auf die anderen. Er versucht, seine Gedanken zu sortieren und sich innerlich auf das Bevorstehende vorzubereiten. Was ist, wenn sie zu spät kommen? Was ist, wenn Cole versucht hat, nach diesem Video zu fliehen, und sie ihn hatten töten müssen? Mike sitzt mit wippendem Knie da und beobachtet Mark, wie er im Wohnzimmer auf und ab geht. Derek sitzt halb schlafend neben Mike. Er gähnt laut, was ihm einen funkelnden Blick von Mike einbringt.

»Etwas mehr Respekt, Derek.«

»Ich war völlig weggetreten, Mike. Ist bloß eine natürliche Reaktion, wenn man so geweckt wird wie ich gerade von John.«

»Halt die Klappe.«

»Leute«, flüstert Mark kopfschüttelnd. Jetzt ist keine Zeit für Streitereien. Sie sind alle zu aufgewühlt.

John geht hinter Paul her, der wegen seiner Messerwunde am Bein auf Krücken geht. Daniel erscheint mit seiner Frau Sue. Er führt sie zu einem der Sessel. Sie wirkt verwirrt, blickt jedoch immer wieder zur Treppe zurück. Zweifellos wäre sie lieber bei Savannah statt hier bei allen anderen.

Frank platzt durch die Vordertür. Er macht sich nicht die Mühe, die Stiefel abzustreifen, bevor er sich aufs Sofa setzt.

»Also gut.« Daniel wendet sich an alle im Raum. »Ich mach’s kurz und schmerzlos. Der Mann, der auf diesem Band umgebracht wurde, war nicht Cole.« Im Raum ist es so still, dass man glauben könnte, jemand hätte auf den Pausenknopf gedrückt. »Als der Körper auf dem Video sich verdreht hat, hatte der Mann keine Tätowierung auf der Schulter, und wir wissen alle, dass Cole dort eine von den Special Forces hatte.«

»Ja, das stimmt«, wirft Paul ein. »Also …«

»Wie sicher bist du, dass er es nicht ist?« Frank wendet sich Daniel zu.

»Ich habe es mir zwei weitere Male angesehen und ich bin mir zu einhundert Prozent sicher, dass der Mann auf diesem Video nicht mein Sohn ist.«

Frank steht auf und zückt sein Handy. »Das reicht mir völlig. Gebt mir eine Minute.« Er zieht sich in die Küche zurück.

»Dan?«, flüstert Sue aus ihrem Sessel. »Ich glaube, wir sollten Savannah nichts sagen, bis wir wissen, womit wir es zu tun haben. Ich glaube, sie würde das Auf und Ab nicht verkraften.« Eine Träne läuft ihr die Wange hinab, und Mark zieht sich der Magen noch fester zusammen. »Ich glaube, ich würde es nicht verkraften, mit ansehen zu müssen, wie das letzte Teilchen ihrer selbst zerbricht, das sie noch zusammenhält.«

Daniel durchquert den Raum und nimmt die Hand seiner Frau in die seine. »Einverstanden, meine Liebe.«

»Du wirst auch gehen.« Sie erhebt sich steif und zieht sich dabei ihren Pullover fester um den gebeugten Körper. Sie wirkt, als könnte sie ihre Gefühle kaum mehr zurückhalten.

»Ja.«

Sie nickt. »Geh und bring unseren Sohn nach Hause.« Er gibt ihr einen Kuss auf die Wange, dann sieht er ihr auf ihrem Weg zur Treppe nach. Noch immer geschockt von den Ereignissen dieses Abends bewegt sie sich wie ein Zombie. Daniel seufzt, dann wendet er sich zu den anderen um und sieht sie an. Da kehrt Frank zurück.

»Also gut, wir haben einen möglichen Aufenthaltsort. Zwei Leute überwachen das Haus. Es liegt in einer kleinen Stadt knapp außerhalb von Tijuana.«

Dan tritt vor und fährt sich mit den schwitzenden Handflächen übers wettergegerbte Gesicht. »Da Paul ausfällt, übernimmt Keith seinen Platz, und Mike wird sich ums Haus kümmern.« Derek will etwas entgegnen, aber Daniel hindert ihn mit einem Kopfschütteln daran. »Das Team benötigt absolutes Vertrauen, Derek. Du hast gezeigt, dass du dich nicht gut in eine Einheit einfügst. Bis du dich bewiesen hast, bleibst du hier.« Derek lehnt sich zurück und brummelt etwas in sich hinein.

»Ich verschaffe euch alles, was ihr brauchen werdet«, informiert sie Frank. »Die Befreiungsaktion muss rasch ablaufen. Bringt ihn da raus, bevor wir einen noch größeren Krieg gegen diese Arschlöcher anfangen, obwohl ich nichts dagegen habe, dass ihr denen die Bude unterm Hintern anzündet, sobald ihr fertig seid.« Frank reibt sich grob übers Gesicht. »Der Hubschrauber ist in dreißig Minuten hier.«

»Okay, Männer, auf in den Kampf«, befiehlt Daniel, während sich alle rasch zerstreuen. »Frank, ich muss einen Blick auf die Grundrisse des Hauses werfen.«

Abigail räuspert sich. »Was ist, wenn …«

»Nein«, flüstert Daniel grimmig. »Keine ›Was, wenns‹.«

Sie nickt und nimmt Mark rasch in die Arme. »Sei vorsichtig, mein Junge.« Sie küsst ihn auf die Wange. »Es gibt Rippchen.«

Mark grinst ein wenig. »Na, wenn das so ist …« Er spricht nicht weiter, weil ein schmerzhafter Kloß in seiner Kehle aufsteigt.

»Ich weiß, mein Lieber.« Sie fährt ihm mit der Hand über die Wange. »Er wird schon wieder gut werden.«

»Ja«, seufzt er und hofft, dass alle, die zuhören mögen, auch dafür sorgen, dass sein bester Freund am Leben ist.

Savannah

Ich kauere in der Ecke des Badezimmers und starre zum Fenster hinaus. Als Abigail das Bad betritt, höre ich June und Sue miteinander flüstern. Abi schließt die Tür und setzt sich in den Ledersessel mir gegenüber. Es ist zwei Uhr in der Früh, und seit meinem erbärmlichen fehlgeschlagenen Selbstmordversuch sind alle im Haus hellwach.

»Müssen wir dich in eine Gummizelle stecken, Savi?«, fragt sie, was mir das Herz abdrückt. »Ich weiß, wie sehr du leidest. Uns allen tut es weh, aber bring nicht dadurch noch mehr Schmerz in diese Familie, dass du dein Leben beendest.« Ich ziehe die Knie an die Brust und schlinge die Arme darum. Sie seufzt und räuspert sich dann. »Es tut mir so leid, Savannah, mit deinem Baby.«

»Bitte.« Ich schlucke um einen Schluchzer herum, der in meiner Kehle steckt. »Nicht.«

Sie greift nach einer Bürste, tritt hinter mich und macht sich daran, mein Haar zu kämmen. Während sie mir über den Kopf streicht, nehmen wir unser Gespräch nicht wieder auf. Dann hilft sie mir aufzustehen und bringt mich hinunter in die Küche. Ich bin mir der Atmosphäre im Haus sehr wohl bewusst und ich bin mir sicher, dass sie dem geschuldet ist, was ich getan habe. Angst erfüllt den ganzen Raum.

Wir kommen an ein paar der Jungs vorbei, die rasch verstummen und meinen Blick meiden. Daniel betritt in voller Kampfausrüstung den Raum. Ich weiche seinem Blick aus, aber er legt mir die Arme um die Schultern und zieht mich an sich, wie er es bei seinem Sohn immer tut – immer getan hat. Ich kämpfe darum, meine Tränen zurückzuhalten, aber es ist zwecklos. Sie stehen immer bereit, den bröckligen Damm zu brechen.

»Ein paar von uns haben einen Auftrag bekommen«, sagt er, lässt mich los und sieht mich an. »Mike hat das Kommando, Keith übernimmt Pauls Position.« Er blickt zu Abigail hinüber. »Wir sollten nicht länger als achtundvierzig Stunden weg sein.« Einen Augenblick später ist Daniel schon zur Tür hinaus. Ich will fragen, worum es geht, aber ich konzentriere mich stattdessen darauf, das ärgerliche Weinen zu unterdrücken. Ich habe wie verrückt beim Tod meiner Mutter geweint, aber das hier ist eine andere Art von Verlust. Mein Herz ist auf immer gebrochen und ich weiß, dass ich nicht weitermachen will, selbst wenn ich mein Leben heute nicht beendet habe.

»Savannah«, sagt Keith und lässt sich auf den Hocker neben mir sinken. »Ist es in Ordnung für dich, wenn ich weg bin?« Ich nicke und fühle mich sehr müde. Er fasst mich am Kinn. »Savi, mit Mike kann man gut reden, und Derek wird mehr als üblich um dich herumschwirren. Keine von deinen ›Ich bin dann mal weg‹-Vorstellungen, hörst du mich? Gerade jetzt nicht, wo der Amerikaner …«

»Keine«, unterbreche ich ihn und stoße mich vom Hocker hoch. »Pass auf dich auf«, flüstere ich, während ich ins Wohnzimmer hinübergehe und mich auf meinen Lieblingsplatz am Feuer niederlasse. Scoot, das kleine Katzenbiest, huscht sofort zu mir, wälzt sich auf den Rücken, bietet mir seinen Bauch dar und schnurrt, bis ich ihm etwas Aufmerksamkeit widme. Ich lasse meine Gedanken schweifen, denke daran, wie ich auf dem Boden gesessen und Scoot gekrault habe, als Cole sich zum ersten Mal neben mir niederließ. Cole rieb ihm mit dem wärmsten aller Lächeln den Bauch. Ich wische mir die Wangen ab, senke den Kopf und gebe mich ganz dem Knistern des Feuers hin.

»Frohe Weihnachten«, flüstere ich, küsse Scoots pelzigen Kopf und sinke langsam in den Schlaf.

Cole

Cole presst den Mund auf das kleine Loch in der Mauer. Er versucht, etwas frische Nachtluft einzusaugen, um den Kopf klar zu bekommen. Seine Handgelenke sind mit Handschellen ans Wasserrohr gefesselt. Sie haben ihm die Haut wund gerieben und aufgeschürft. Er friert, weil er bloß seine Armeehose anhat. Sie haben ihm Schuhe und Hemd weggenommen, bevor die Schläge losgingen.

Sein Kopf kippt zurück und ruht an der Zementmauer. Savannahs liebliche Stimme findet ihn, und er verliert sich in Gedanken.

»Versprich mir, dass du zurückkommst.« Ihre dunklen Augen sind überflutet von Tränen. Es ist gegen sämtliche Regeln, sowohl der Army als auch seine persönlichen, aber wenn es das ist, was diesen Ausdruck zum Verschwinden bringt, dann wird er ihr die ganze Welt versprechen.

»Ich verspreche es.« Er schlingt die Arme um sie. »Ich möchte dich festhalten.« Sie nickt, als er ihre Hand nimmt und den Pfad hinabgeht.

»Es ist so schön, hier entlangzugehen«, flüstert sie. Es ist ein Versuch, die Traurigkeit der Situation zu durchbrechen. »Der Wald geht einfach meilenweit so weiter. Ein endloser Pfad ins Ungewisse.« Sie räuspert sich. »So viel Freiheit.« Er drückt ihre Hand. »Hast du jemals einfach dem Mondschein folgen wollen?«

Er sieht sich um und bemerkt, dass der Mond einen Pfad tief in den Wald hineinwirft. »Ich habe tatsächlich oft daran gedacht.« Sie gehen beide tief in Gedanken versunken dahin.

Plötzlich bleibt sie wie angewurzelt stehen. »Lauf mit mir davon.«

Er schürzt die Lippen, hebt ihre ineinander verschränkten Händen an seinen Mund und küsst ihre Finger. »Nichts täte ich lieber, als mit dir davonzulaufen, Savannah. Aber Davonlaufen ändert nichts daran, womit ich meinen Lebensunterhalt bestreite. Das ist ein Teil von mir.« Er wischt eine verirrte Träne von ihrem bebenden Kinn und saugt diesen Moment mit ihr in sich auf. »Ich bin nichts ohne dich.« Er beugt sich herab und küsst sie sanft auf die Lippen. »Und du, Baby, bist der beste Teil meiner selbst.«

Sie zieht die Lippen zwischen die Zähne und nickt. Dann stößt sie einen langen Atemzug aus und dreht sich weg, um sich wieder zu sammeln.

»Möchtest du zurückgehen?« Langsam schüttelt sie den Kopf. »Was willst du tun?«

Sie tritt hinüber zum Rand des Felsens und blickt auf das Haus hinab. Sie breitet die Arme so weit aus, wie es geht.

»Ich möchte fliegen«, flüstert sie.

Cole zieht sein Funkgerät hervor, während er zusieht, wie sie den Kopf in den Nacken legt und zum Himmel hinaufschaut. »Mark, bist du da?«

»Roger.« Mark lacht über das Funkgerät.

»Sag Mike, er soll mir etwas bringen.«

Einige Minuten später taucht Mike etwas abseits auf. »Viel Spaß!« Er zwinkert, bevor er den Pfad zurückläuft.

Cole geht grinsend zu Savannah hinüber, die immer noch in Gedanken verloren dasteht.

»Dein Wunsch geht in Erfüllung.« Sie öffnet die Augen, und dann fällt ihr Blick auf das, was Cole in der Hand hält. »Du hast gesagt, du möchtest fliegen.«

Das Lächeln, das ihr über die Lippen gleitet, könnte süßer kaum sein. Er nimmt sich etwas Zeit, um es sich ins Gedächtnis einzuprägen.

Er richtet den hölzernen Rodelschlitten auf einen offenen Pfad aus und zieht Savannah zwischen seine Beine.

»Fertig?«

Sie legt sich seine Arme um ihre Taille. »Fertig.«

Er stößt sich ab, und sie setzen sich in Bewegung und nehmen an Fahrt auf. Savannahs Gelächter hallt von den Bergen wider und bringt ihn wiederum zum Lachen. Unten angekommen, springt sie auf und streckt ihm eine Hand entgegen. Er nimmt sie und zieht sie zurück auf seinen Schoß.

Etwas arbeitet in ihrem Gesicht, und ein winziges Lächeln erscheint. »Das hätte ich nicht für möglich gehalten.«

»Was?«, fragt er verwirrt.

»Dass ich dich noch mehr lieben könnte.«

»Auf!«, ruft jemand, und Cole springt hoch. Savannah ist anscheinend unbeeindruckt von dem rufenden Mann. Ihre Lippen bewegen sich, aber er kann sie nicht hören.

»Savannah?«, fragt er, der Panik nahe. »Was ist los?«

»Auf!«, wiederholt die Stimme.

Im einen Augenblick ist er mit ihr zusammen, im nächsten wieder in seinem Raum …

Männer schreien draußen vor seiner Tür. Er wischt sich den Schweiß vom Nacken. Ein Traum, eine Erinnerung, eine Fantasie, wie immer man es nennen will, sie gehört ihm und nur ihm. Die können sie ihm nicht nehmen.

Eine Stimme ertönt, da überläuft es ihn kalt und er lehnt den Rücken gegen die Mauer. Er spürt die Kälte und zuckt zusammen. Da überfällt ihn eine weitere Erinnerung.

Er wird in den Raum gezerrt, wo eine Kamera auf eine mexikanische Flagge an der Wand gerichtet ist. Er wird auf die Knie gezogen, während der Typ mit dem Longhorn-Gürtel, derjenige, den sie Raúl nennen, einen seiner Männer losschickt. Augenblicke später kehrt der Mann mit einem Weißen in einem Hawaiihemd und Kakihosen zurück. Er lässt ihn auf den Fußboden fallen und nickt Raúl zu. Der Mann wirkt, als wäre er entweder halbtot oder unter Drogen.

Cole versucht zu verstehen, was vorgeht, als Raúl nach einer Machete greift. Er spürt, wie ihm das Blut aus dem Gesicht weicht, und schluckt heftig. Ein Mann kommt herüber und inspiziert seinen Nacken, dann tut er dasselbe bei dem Typen auf dem Boden.

»Gleich«, sagt der Mann zu Raúl.

»Gut.«

Dann begreift Cole blitzartig, dass das alles gefilmt wird, aber warum? Er sieht das rote Lämpchen aufleuchten, und sie weisen Cole an, in die Kamera zu starren. Sie schalten eine helle Lampe ein und richten sie auf ihn. Raúl stellt sich neben ihn und setzt zu einer Rede an. Die Kamera fährt herab, und Cole sieht das kleine rote Lämpchen erlöschen. Jemand packt ihn, zieht ihn zur Seite und schiebt ihm eine Pistole ins Gesicht. Entsetzt beobachtet er, wie sie dem anderen Mann das Hemd herunterreißen und ihn aufrichten.

»Kein Wort!«, warnt ihn der Mann und schüttelt die auf ihn gerichtete Pistole.

Die Kamera fährt an Raúls Taille hinauf und dann hinüber zum Nacken des Mannes, zeigt jedoch nichts von dessen Gesicht. Einen Augenblick später wird ihm die Kehle aufgeschlitzt. Blut spritzt überallhin, auch auf Coles Arme und Brust. Der Mann dreht sich um und fällt zu Boden. Die Erkenntnis trifft Cole, dass dieses Video seine Familie zu sehen bekommt, aber bevor er auch nur einen weiteren Gedanken formen kann, wird er zurück in sein Kämmerchen gezerrt und erneut mit den Handschellen an das Rohr gefesselt.

Er hört den Amerikaner zurückkommen und wie einen Wahnsinnigen toben, nachdem er gehört hat, dass Raúl das Video angefertigt und ohne sein Wissen abgeschickt hat. Der Amerikaner und Luka Donovan hatten eindeutig nichts mit dem Video zu tun. In den folgenden Tagen wird Cole fast verrückt bei der Vorstellung, was für entsetzliche Szenen sich in seiner Familie abgespielt haben mussten, nachdem sie Zeugen seiner vermeintlichen Enthauptung geworden war. Ihm wird übel bei dem Gedanken an Savannah und ihre Reaktion darauf, nicht zu vergessen seine Eltern.

Nach einem weiteren schrecklichen Albtraum wird Cole ruckartig wach. Verzweifelt tastet er mit den Händen das Rohr bis zum Boden ab und hebt den Wasserkrug auf, den sie ihm in der Nacht zuvor hingestellt haben. Er nippt nur vorsichtig daran, damit ihm nicht übel wird, weil er zu schnell trinkt. Er zuckt bei der Bewegung zusammen und spürt die große klaffende Wunde in seinem Bauch. Er weiß, dass sie sich in seiner schmutzigen Umgebung wahrscheinlich entzündet hat. Gott sei Dank haben sie ihn immer wieder nach draußen gebracht, damit er sich erleichtern konnte. Einmal haben sie ihm die Binde nicht sorgfältig genug um die Augen gelegt, sodass er einen guten Blick auf seine Umgebung bekommen hat. Er ist lange genug draußen gewesen, um zu wissen, welche Richtung er einschlagen müsste, wenn es ihm gelingen würde zu fliehen.

Die Tür geht auf. Der Amerikaner tritt ein und schaltet das Deckenlicht an. Er wirft Cole einen Proteinriegel zu, und als er versucht, ihn mit seinen tauben Fingern aufzuheben, erkennt er, dass es einer aus der Weste ist, die er in der Nacht des Überfalls auf das Haus getragen hatte. Cole sinkt das Herz, weil er begreift, dass sie seine Uniform durchsucht haben.

»Aha«, sagt der Amerikaner lächelnd. »Es hat also gerade bei Ihnen Klick gemacht, dass wir das hier gefunden haben.« Er hält das Bild hoch. »Und zwar im Saum Ihrer Weste. Gibt es da nicht eine Regel, dass Sie nichts am Körper tragen sollten, das uns zu Ihren Angehörigen führen könnte?« Cole presst die Kiefer fest zusammen, als er das Bild von Savannah betrachtet. »Also hatte Luka recht.« Er nickt. »Auch Sie lieben dieses Mädchen.« Er grinst höhnisch und wirft einen Blick auf das Foto, während er mit dem Daumen über ihr Gesicht streichelt. »Was für eine interessante Wendung der Ereignisse.« Er sieht auf seine Uhr, richtet sich auf, mustert Cole einen Augenblick, schaltet dann die Lampe aus und verschwindet.

Verdammt!

*

»Auf!«, schreit ein Mann Cole an, weil er glaubt, dass er schläft. In Wirklichkeit hat er auf die Hintergrundgeräusche gehorcht, um zu sehen, ob andere Männer anwesend sind. Alles ist still.

Perfekt.

Der Mann tritt ihm gegen das Bein. »Ich hab gesagt: ›Auf!‹« Cole öffnet langsam die Augen.

Der Typ beugt sich herab und fummelt mit dem Schlüssel herum, der die Handschellen öffnen soll. Seine Pupillen sind geweitet und er sieht aus, als hätte er etwas eingeworfen. Cole wartet geduldig, während ihn der Mann befreit. Er muss sehen, ob jemand im Haus ist. Der Mann ist so daneben, dass er vergisst, ihm eine Binde über die Augen zu legen, und Cole beobachtet genau, wo er den Schlüssel verstaut, nachdem er die Handschelle um sein anderes Handgelenk gelegt hat. »Raus!« Der Mann stößt ihm das Gewehr zwischen die Schulterblätter.

Er hält den Kopf gesenkt, bemerkt im Vorbeigehen jedoch die beiden Typen, die fast ebenso high sind und so gut wie völlig weggetreten auf dem Sofa vor der Tür liegen, vor ihnen ein Tablett mit diversen Spritzen. Einer der Männer sieht zu ihnen herüber und knurrt etwas davon, dass es noch nicht die richtige Zeit ist, den Gringo rauszulassen, aber der Mann drängt Cole einfach weiterzugehen. Nach einem Blick auf die Wanduhr weiß Cole, dass es gerade erst kurz nach Mitternacht ist. Es liegt also noch reichlich Dunkelheit vor ihm, die er zu seinem Vorteil nutzen kann.

»Baum.« Der Typ zeigt auf den nächstgelegenen Baum. »Beeilung!«

Cole nickt und wirft dann einen Blick über die Schulter des Mannes, als ob er etwas sehen würde. Der Wächter dreht sich rasch um, und Cole legt ihm die Arme um den Hals und drückt fest zu. Er hakt das Bein um das des anderen. Dann zieht er ihn näher an seinen Körper und spannt sich mit aller Macht an, bis er schließlich das Knacken spürt, auf das er gewartet hat. Der Mann erschlafft und fällt zu Boden. Rasch holt Cole den Schlüssel aus der Tasche des Wächters, befreit sich von den Handschellen und wirft sie in die Dunkelheit. Er schnappt sich das Gewehr und wälzt den Mann ins Unterholz, wobei er die ganze Zeit über die Tür im Auge behält. Die beiden anderen Männer zeigen sich nicht. Gerade als er den Leichnam wegstößt, spürt er etwas Rechteckiges in dessen Tasche. Er zieht ein Handy hervor.

Perfekt.

Cole wirft sich die Waffe über die Schulter, verstaut das Handy in seiner Tasche und läuft in das dünn bewaldete Gebiet. Er hält nach Norden auf den Berg zu, wo er hoch liegendes Gelände und gute Deckung finden kann. Er rennt und rennt und lässt sich von den Sternen leiten. Atmen ist alles. Man muss die eigene Atmung kontrollieren, um den Herzschlag gleichmäßig zu halten, damit man länger rennen kann. Zum Glück hat er lange Beine, die ihm erlauben, durch das Unterholz zu sprinten. Nach etwa vierzig Minuten unermüdlichen Laufens wird er langsamer. Er spürt einen Schmerz tief in seinen Eingeweiden, bleibt stehen und hält sich an einem Baum fest. Er schiebt die Hand hinab und merkt, dass der obere Rand seiner Hose blutgetränkt ist. Eine Frage des Willens. Was er braucht, ist etwas sauberes Wasser und ein Stück Tuch, das er um seine Mitte schlingen kann.

Links von ihm erregt etwas seine Aufmerksamkeit, und er lässt sich zu Boden fallen, schwingt das Gewehr herum und durchsucht die Bäume. Es ist dunkel und die Blätter sind in einigen Bereichen sehr dicht, aber Cole ist aufmerksam und angespannt wie ein Panther, der sein Opfer beschleicht.

Ein vertrautes Pfeifen durchbricht die stille Nacht. Cole benötigt einige Augenblicke, um es zu erkennen. Er kneift die Augen zusammen, als er es erneut vernimmt.

»Raven One«, ruft eine männliche Stimme. »Ich bin ein Scout für Eagle Eye One.«

Heilige Scheiße, das ist ein verdammter Scout von Frank!

»Name?«, ruft Cole mit nach wie vor gehobener Waffe.

»Staff Sergeant Mills, Colonel.«

»Zeig dich!« Es folgt ein Rascheln, dann tritt ein Mann in dunkler Kleidung mit erhobenen Händen hervor. Cole packt die Waffe fest, senkt sie jedoch, sobald er sieht, wie der Mann sein Hemd hochzieht und eine Tätowierung der U. S. Army zeigt, die bestätigt, welcher Einheit er angehört. Er ist ganz eindeutig Mitglied von Franks Team. »Bist du allein, Mills?«, fragt Cole und sackt an dem Baum zusammen.

»Nein, Sir. Sergeant Hahn ist oben, während ich runtergekommen bin, um Sie zu suchen.«

»Ihr habt das Haus beobachtet?«

»Ja, Sir.« Mills nickt und kommt näher, während er nachsieht, wie spät es ist.

»Du erwartest jemanden?«

»Ja, Sir. Blackstone ist unterwegs.«

»Warte mal«, sagt Cole und rückt sich zurecht. »Blackstone ist unterwegs hierher?« Mills nickt. »Wann?«

»Sollte in zwanzig Minuten hier sein.«

Na, da brat mir doch einer einen Storch!

»Gib mir dein Funkgerät, Mills.« Mills reicht es ihm und teilt ihm den richtigen Kanal mit. Cole hält es sich an den Mund und drückt den Knopf. »Blackstone One an Blackstone Two. Hörst du mich?« Sieben lange Sekunden verstreichen, bevor er ihn hört.

»Blackstone Two an Blackstone One. Deine Stimme hat nie so lieblich geklungen, Bruder.« Cole grinst bei Marks Bemerkung. »Treffpunkt an Eagle-Eye-Threes-Aussichtspunkt.«

»Verstanden, Blackstone Two, Treffpunkt an Eagle-Eye-Threes-Aussichtspunkt.« Er reicht Mills das Funkgerät zurück und nickt zu den Bäumen hinüber. »Geh voran.«

»Ja, Sir.« Mill zögert, greift dann jedoch in eine seiner Taschen und reicht Cole eine kleine Tablette in einer Plastikhülle. Cole schüttelt den Kopf. Er braucht nichts, was sein Urteilsvermögen trüben könnte, bevor er wieder auf amerikanischem Boden steht. Sie gehen auf die Berge zu, bis Cole auf halbem Weg nach oben Mills zu Boden zieht. Ein Suchscheinwerfer wandert über den Kamm des Bergs. Cole kann erkennen, dass er von einem Land Rover stammt, der etwa zwei Kilometer vor ihnen steht. Er signalisiert Mills, ihm sein Funkgerät zu geben, und drückt mehrmals auf den Knopf, bis er seinerseits ein Klicken vernimmt. Er schiebt das Gerät in seine Tasche und bedeutet Mills, geduckt weiterzugehen. Sie erreichen den Gipfel, als er die Hubschrauberrotoren in der Ferne vernimmt und sein Funkgerät Morsezeichen sendet. Es ist Mark, der fragt, ob sie nach wie vor Gesellschaft haben. Er klickt zur Bestätigung, dass sie mehrere Hundert Meter hinter ihm sind und er sich bereithalten soll.

Mills gleitet zwischen zwei Felsen in ein kleines Loch, das einen guten Blick auf das Haus bietet, in dem Cole gefangen gehalten wurde. Er zieht eine kleine Schachtel mit Wasserrationen, eine Decke und seinen Seesack hervor.

Beim Anblick von Mills’ Seesack sieht Cole ihn an. »Wie lange bist du hier gewesen, Mills?«

»Eine Woche, Sir. Uns war zu Ohren gekommen, dass da unten jemand gefangen gehalten wurde, also hat Frank uns befohlen, das Haus zu beobachten. Hahn und ich haben vermutet, dass Sie es sind, aber angesichts des Videos sind wir davon ausgegangen, dass es jemand anders sein muss. Wir haben einfach gar nichts gesagt. Wir mussten uns vergewissern, dass Sie es sind, bevor wir Eagle Eye One Bericht erstatten konnten.« Mills entsicherte seine Maschinenpistole. »An dem Tag, als sie Sie ohne Ihr Hemd rausgeholt haben, konnten wir bestätigen, dass Sie es waren.« Mills nickt zu Coles Tätowierung hinüber. »Ihr Tattoo war ein todsicheres Merkmal.« Er reicht Cole eine weitere Waffe, dann winkt er ihm, zurück ins Freie hinauszugehen.

Der Hubschrauber landet gerade, als sie die Lichtung betreten. Mills geht zum Rand und gibt Zeichen, dass das Kartell in der Nähe ist. Cole nickt zu dem Hubschrauber hinüber, da wird Mills plötzlich durch die Gewalt zweier Kugeln zurückgeworfen, die ihn in die Seite treffen. Cole springt vor, packt Mills bei den Armen und zieht ihn zum Hubschrauber, als der landet. Plötzlich taucht Mark an seiner Seite auf.

»Wir müssen weg!«, ruft Mark, umklammert Mills’ anderen Arm und hilft Cole, ihn in den Hubschrauber zu ziehen.

»Wir müssen den anderen Scout rausholen!«, schreit Cole, während sie dem Hubschrauber Zeichen geben, zu verschwinden.

»Das ist zu riskant!«

»Der andere Scout!«, befiehlt Cole und sieht seinen Vater. Sie wechseln einen Blick.

»Der andere Scout!«, ruft Daniel dem Piloten zu. Er schenkt Cole ein knappes Lächeln, dann fällt sein Blick hinab auf Coles Körpermitte. »Alles in Ordnung mit dir, mein Sohn?«