Love is on the air - Denise Hunter - E-Book

Love is on the air E-Book

Denise Hunter

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Beschreibung

Nachdem Brady Collins Exfrau gestorben ist ist, erhält er verheerende Nachrichten - sein neun Monate alter Sohn Sam ist überhaupt nicht sein Sohn! Und Sams wohlhabende Großeltern mütterlicherseits wollen das Sorgerecht für das Kind. Aber ungeachtet dessen, was ein Bluttest sagt, würde Brady alles tun, um Sam zu behalten. Es gibt eine Möglichkeit, die Vormundschaft für Baby Sam zu erhalten: eine bevorstehende Heirat ... Seine beste Freundin Hope, die eine populäre lokale Radiosendung moderiert, ist mit einer Verlobung einverstanden, um damit Bradys zu verbessern. Da erhält sie ein äußerst verlockendes Angebot eines überregionalen Senders und ist hin- und her gerissen zwischen ihrem Versprechen und ihrem Traumjob. Wie soll sie sich entscheiden? Brady und Hope ahnen nicht, welche dramatischen Ereignisse sie mit ihrer Verlobung in Copper Creek auslösen und wie mächtig die Schatten der Vergangenheit sein können ...

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DENISE HUNTER

Love ison the air

Roman

Aus dem Amerikanischen von Antje Balters

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-96140-126-0

© 2019 der deutschsprachigen Ausgabe by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers First published under the title “Honey Suckle Dreams”

© 2017 by Denise Hunter

Published by arrangement with Thomas Nelson, a division of HarperCollins Christian Publishing Inc.

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Antje Balters

Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers

Titelfoto: Adobe Stock millaf

Satz: Brendow Web & Print, Moers

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Epilog

KAPITEL 1

Vater-Mutter-Kind-Spielen reichte Hope Daniels nicht. Ihr Spezial-Hähnchenauflauf stand mit Alufolie abgedeckt im Ofen, die Butterbohnen köchelten auf dem Herd, und es duftete intensiv nach hausgemachten Hefebrötchen. Sie ging zu Sam hinüber, dem sechs Monate alten Baby, das in seinem Laufgitter am Fenster vor sich hin brabbelte, und musste lächeln, als sie beobachtete, wie der kleine Sohn ihres besten Freundes auf dem Rücken liegend munter strampelte und dadurch die kleinen Äffchen des Mobiles über dem Laufgitter in Bewegung setzte.

„Na, mein kleiner Schatz, was machst du denn? Was bist du doch für ein Süßer. Ja, ein ganz Süßer bist du! Mit dir hat dein Papa auf jeden Fall den Jackpot gewonnen.“

Sam quittierte ihre Komplimente mit einem pausbäckigen zahnlosen Grinsen, bei dem seine blauen Augen so unwiderstehlich strahlten, dass sie keine Sekunde länger widerstehen konnte, ihn hoch nahm und ihre Nase in dem frischen, sauberen Babyduft vergrub.

„Na, wo bleibt denn bloß dein Papa? Er kommt wieder spät, weil er so viel arbeiten muss, nicht wahr? Ja, dein Papa ist soooo fleißig!“

Und dann gab sie Sam eine Serie kleiner Küsschen auf den Hals, bis er tief aus dem Bauch heraus lachte. Ach, dieses Baby! Brady hatte ihr immer wieder angeboten, sie für die Betreuung des niedlichen kleinen Kerls zu bezahlen, aber sie fand, dass eigentlich sie ihm etwas dafür hätte bezahlen müssen.

In dem Moment bekam sie eine Nachricht auf dem Handy.

Sorry! Noch ein später Kunde. Komme gleich.

Einhändig beantwortete sie die Nachricht und steckte dann ihr Handy wieder ein. „Gleich kommt der Papa nach Hause, und dann knuddelt er dich, kleiner Sam.“

„Ma, ma, ma!“

Hopes Lächeln ließ etwas nach, als sie Sam einen Kuss auf die Stirn drückte. Ihr war natürlich klar, dass das nur unkontrolliertes Lautieren eines Babys war, aber der Gedanke, dass er vielleicht seine Mama vermisste, tat ihr innerlich richtig weh.

Bradys Ex-Frau Audrey war erst vor wenigen Wochen bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Hope hatte – wie wohl die meisten Menschen in Copper Creek – wirklich nicht viel für die Frau übriggehabt, denn sie war keine besonders sympathische Person gewesen, aber allem Anschein nach wohl wenigstens eine ganz passable Mutter.

Nach Audreys Tod musste Brady jetzt seine Aufgaben als alleinerziehender Vater eines Babys und als Betreiber einer boomenden Autowerkstatt, die er in seiner alten Scheune betrieb, unter einen Hut bringen.

Wenn sie nicht ihrer Arbeit als Moderatorin beim Sender WKPC in Atlanta nachging, betreute Hope Sam gern, und außer ihr waren auch noch andere Frauen aus dem Ort für einen Vormittag oder Nachmittag als Kinderbetreuung eingesprungen, doch auf Dauer war das keine Lösung. Brady musste auf jeden Fall eine regelmäßige Ganztagsbetreuung für Sam finden, denn der kleine Kerl brauchte Stabilität und einen geregelten Tagesablauf.

Sammy zupfte jetzt an Hopes Ohr; das tat er manchmal, um sich zu beruhigen.

„Na, wo ist denn dein Boo-Bär?“, fragte Hope, ging noch einmal zurück zum Laufgitter und bückte sich nach dem blauen Teddybären mit dem ausgefransten roten Stoffhut.

„Da ist er ja“, sagte sie und gab ihn dem Kleinen, der den Teddy sofort nahm und fest an sich drückte. Dann ließ sie sich mit Sam auf dem Arm auf Bradys Liegesessel nieder, einem gemütlichen Ledermöbel, in dem sie richtig tief versank. Sie nahm Sam auf den Schoß, stützte seinen Rücken mit einem übergeschlagenen Bein, weil er noch nicht ganz selbstständig sitzen konnte und spielte Backe-backe-Kuchen mit ihm. Sie lachte leise, als er sie nachahmte. Also spielten sie Hoppehoppe-Reiter, was ihm so gut gefiel, dass sie es gleich zweimal wiederholen musste.

„Ach, was bist du doch für ein fröhlicher kleiner Kerl!“, sagte sie lachend zu ihm und freute sich, dass es ihm seit ein paar Tagen offenbar besser ging. Sie strich ihm über das frisch gewaschene, helle, ganz feine, babyweiche Haar und dann über seine Wangen, die zart wie Rosenblüten war.

Als er sie mit seinen großen blauen Augen ansah, brachte er sie förmlich zum Schmelzen. Er tastete jetzt nach seinem Schnuller, der an einer Kette am Schlafsack befestigt war, und steckte ihn sich in den Mund.

„Na, wirst du langsam müde, kleiner Mann?“ Es war zwar erst 20.00 Uhr, aber Hope wusste, dass er in der Nacht zuvor wenig geschlafen hatte. Das hatte sie an den müden Augen seines Papas gemerkt.

Sam schmiegte jetzt seinen Kopf an Hopes Schulter und legte seine kleine pummelige Hand auf ihr Herz, woraufhin sie einen tiefen Seufzer ausstieß. Ach ja … aber das wäre wohl ein bisschen zu einfach.

Im selben Moment, als Brady Collins seine Scheune zusperrte, startete Mr. Lewis seinen knallroten Ferrari 488 GTB. Der Geschäftsmann testete seinen Doppelturbo-Motor regelmäßig auf der Autorennstrecke in Dawsonville, und der Motor hatte eine Inspektion dringend nötig gehabt.

Brady winkte dem Mann noch einmal zu, als der Wagen auf die gekieste Auffahrt bog und davonfuhr, und das Geräusch des jetzt perfekt eingestellten Motors klang wie Musik in seinen Ohren.

Er ließ das Vorhängeschloss am Eingang zur Scheune zuschnappen, schaute auf die Uhr und ging zum Wohnhaus. Er fühlte sich schlecht, dass es schon wieder so spät geworden war, weil es ihm zutiefst widerstrebte, eine gute Freundin auszunutzen, denn er war auf Hope und die anderen angewiesen. Er musste unbedingt eine Tagesmutter für Sam finden.

Audreys Unfall lag jetzt einen Monat zurück, und er fand, dass er eigentlich mit der neuen Situation schon besser hätte zurechtkommen müssen. Alleinerziehende Mütter schafften es doch auch, und bei ihnen wirkte oft alles so mühelos. Er dagegen hatte Schuldgefühle, wenn er bei der Arbeit war, weil er dann nicht bei Sam sein konnte, und weil er seine Nachbarinnen mit der Kinderbetreuung behelligen musste, und wenn er zu Hause war, machte er sich Sorgen, dass er seiner Firma nicht gerecht wurde. Er hatte sehr lange sehr hart gearbeitet, um sich bei den Sportwagenfans in der Gegend einen Namen zu machen, und diesen Erfolg wollte er auf gar keinen Fall aufs Spiel setzen.

Aber wenn er an seinen Sohn dachte, brach es ihm jedes Mal das Herz. Nach Audreys Tod hatte Sammy in den ersten Wochen sehr viel geweint oder gequengelt und nachts nicht mehr durchgeschlafen. Der Kinderarzt hatte ihm versichert, dass dem Kleinen körperlich nichts fehle, aber es war schwer mit anzusehen, was sein Sohn durchmachte, und ihn nicht trösten zu können.

Brady ging jetzt auf dem schmalen Weg von der Werkstatt zu seinem zweigeschossigen Farmhaus. Die Sonne ging erst jetzt hinter den Bergen von Nord-Georgia unter und verschaffte eine Atempause von der drückenden Junihitze. Er wischte sich mit der Hand über die Stirn und hinterließ dabei Spuren von Wagenschmiere. Eigentlich brauchte er jetzt eine Dusche und etwas zu essen, aber das musste warten, bis er Sammy für die Nacht fertiggemacht und ins Bett gebracht hatte.

Beim Gedanken an seinen Sohn ging er etwas schneller, denn so schwer seine Aufgabe als alleinerziehender Vater auch war, am Ende eines arbeitsreichen und hektischen Tages sehnte er sich nach seinem Sohn.

In der Küche brannte Licht, und von draußen sah das Haus richtig heimelig aus. Er mochte es am liebsten, wenn Hope sich um Sammy kümmerte. Das lag nicht nur daran, dass sie den Kleinen bei ihm zu Hause betreute und dadurch für ihn alles viel einfacher war, sondern auch daran, dass es ihr so eindeutig Spaß machte, sich um das Baby zu kümmern.

Als Brady jetzt die Hintertür aufzog und seine Stiefel abstreifte, stieg ihm ein himmlischer Duft in die Nase, und sein Magen begann zu knurren. Es roch herzhaft, mit einem Hauch Knoblauch, und alles wurde überlagert vom unwiderstehlichen Duft von Hefegebäck. Was auch immer es sein mochte, es würde auf jeden Fall die Fertiggerichte, die er sich sonst in der Mikrowelle aufwärmte, um Längen schlagen.

„Hope?“ Er tapste auf Socken durch die Küche, und wusste schon im Voraus, an welchen Stellen die alten Holzdielen knarren würden. In der Tür zum Wohnzimmer blieb er stehen und nahm den Anblick auf, der sich ihm dort bot.

Hope lag zusammengerollt auf seinem Liegesessel und schlief. Sam lag wie ausgeknipst bei ihr, eine Faust fest um eine ihrer dunklen Haarsträhnen geschlossen. Das Licht der Stehlampe warf einen goldenen Schein auf die beiden – das war das Schönste, was er seit Monaten gesehen hatte.

Hopes Hand lag schützend auf dem Rücken seines Sohnes, und ihre langen Wimpern zeichneten sich auf ihren hellen Wangen besonders deutlich ab. Sams Kopf lag unter ihrem Kinn, sein Mund war leicht geöffnet, und der Schnuller hing locker zwischen seinen Lippen.

Ganz langsam und leise ging Brady näher heran, weil er die beiden nicht erschrecken wollte.

„Hope?“

Wieder knarrte der Fußboden unter seinen Füßen, jetzt so laut, dass sie die Augen aufschlug und der Blick ihrer grünen Augen blitzartig bei ihm war. Er merkte, dass ihr langsam wieder dämmerte, wo sie war.

„Oh, da bin ich wohl eingeschlafen“, sagte sie leise. „Wie spät ist es denn?“

„Halb neun. Tut mir leid, dass es so spät geworden ist.“

„Ach, das macht doch nichts.“ Sie veränderte ihre Position auf dem Sessel und schaute hinunter auf Sam. „Ich wecke ihn lieber, sonst ist er die ganze Nacht wach.“

„Ach, lassen wir ihn doch einfach schlafen. Er war fast die ganze letzte Nacht wach, wahrscheinlich braucht er das jetzt“, entgegnete er.

Mit diesen Worten nahm er ihr Sammy ab, und sein Herz setzte kurz aus, als dabei sein Handrücken ihre Brust streifte. „Oh, Entschuldigung.“ Er veränderte die Position seiner Hände und wurde rot, aber es gab keine andere Möglichkeit, ihr sein Baby abzunehmen.

Sie lachte verlegen, als sie Sammy hochhob und ihn Brady in die Arme legte, und auch sie wurde rot, aber ihr Blick blieb die ganze Zeit auf das schlafende Baby gerichtet.

Sam schlief weiter, aber er saugte beinah hektisch an seinem Schnuller, als Brady ihn an sich heranzog.

„Vielen Dank noch mal, dass du dich um ihn gekümmert hast.“

„Ach, das mache ich doch gern. Ich habe ihn um halb acht gefüttert, und dein Essen steht im Ofen.“

„Aber das wäre doch nicht nötig gewesen, Hope.“

Als sie aufstand blitzten ihre Augen, und sie fragte: „Aber du freust dich doch, dass ich es trotzdem gemacht habe, oder?“

„Das kann man wohl sagen“, antwortete er.

Sie beugte sich noch einmal vor, strich mit dem Finger über Sams Wange, betrachtete ihn noch kurz bewundernd und sagte: „Tschüss, kleiner Mann.“

Als sie dann Sam zum Abschied noch einen Kuss auf die Stirn drückte, kam sie dabei Brady so nah, dass er die kleinen goldenen Sprenkel in ihren grünen Augen erkennen konnte und ihren femininen Duft wahrnahm.

Sie räumte etwas Arbeit zusammen, die sie sich mitgebracht hatte, und griff dann nach ihrer Handtasche. Dabei fiel ihr das dunkle Haar über die Schultern. „Morgen wieder zur selben Zeit?“, fragte sie.

„Es widerstrebt mir wirklich total, dich zwei Tage nacheinander bitten zu müssen“, antwortete er mit gequältem Blick.

„Lass es gut sein, Brady“, entgegnete Hope, lächelte und winkte ihm beim Gehen noch einmal über die Schulter zu.

Brady brachte Sam nach oben und behielt ihn noch eine Weile auf dem Arm, bevor er ihm einen Kuss auf die Stirn gab und ihn in sein Bettchen legte.

Sein Magen knurrte jetzt so heftig, dass er beschloss, erst etwas zu essen und danach dann zu duschen. Er ging also wieder nach unten, vergewisserte sich, dass das Babyfon eingeschaltet war und machte sich dann über den Auflauf her. Genüsslich stöhnte er auf, als er die saftigen Hähnchenstücke in Sauce probierte, die mit irgendetwas Knusprigen überbacken waren, und hörte dann nicht mehr auf, bis er sich überessen hatte. Er war gerade dabei, seinen Teller abzuspülen, als es an der Haustür klopfte. Er trocknete sich die Hände ab, ging hin, um zu öffnen und machte große Augen, als er die Frau erkannte, die da vor der Tür stand. „Heather!“

Mit ihrem aschblonden Haar und der zierlichen Figur sah seine Ex-Schwägerin so völlig anders aus als Audrey. Sie lächelte ihn freundlich an.

„Hallo Brady“, begrüßte sie ihn und ließ ihren Blick kurz über seinen schmutzigen Overall schweifen. Ihre Miene wurde unsicher, und sie fügte hinzu: „Sorry, ich hätte anrufen sollen.“

„Ach was“, entgegnete er, hielt ihr die Tür auf und sagte: „Komm doch herein. Ich freu mich, dich zu sehen.“ Sie waren sich natürlich auf Audreys Beerdigung begegnet, doch da hatten sich noch alle in einer Art Schockzustand befunden, sodass es kaum möglich gewesen war zu reden.

„Kann ich dir einen Tee oder einen Kaffee machen?“

„Hast du Koffeinfreien da?“

„Kommt sofort.“ Er ging in die Küche und Heather kam hinterher. „Ist Jeff nicht mitgekommen?“, fragte er.

„Nein, er ist zu Hause bei den Kindern. Wo ist denn Sammy?“

Mist. Wahrscheinlich war sie deshalb da. „Ich habe ihn gerade ins Bett gebracht, aber ich kann ihn gern holen …“

„Nein, nein. Weck ihn nicht extra, aber kann ich ihn vielleicht ganz kurz sehen?“

„Ja, klar. Die Treppe hoch und dann die zweite Tür rechts.“

Die Treppenstufen knarrten, als sie hinaufging, während Brady den Kaffee aufsetzte und zwei Becher, Zucker und Milch bereitstellte.

Heather wohnte ein paar Orte weiter in Dalton, wohin auch Audrey nach ihrer Scheidung gezogen war. Seine Ex-Frau war eine Nachzüglerin gewesen und zehn Jahre jünger als ihre Schwester. Heather war immer freundlich zu Brady gewesen, auch während der Scheidung, und obwohl sie nie viel gesagt hatte, spürte er, dass sie besser über die Laster und Unarten ihrer Schwester Bescheid wusste als die meisten anderen.

Er fragte sich, warum sie wohl gekommen war, wenn nicht, um Zeit mit Sam zu verbringen. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn, aber er schüttelte es ab.

Als der Kaffee fertig und eingeschenkt war, brachte er die Becher ins Wohnzimmer und setzte sich auf seinen Liegesessel. Er merkte, dass er nach Motoröl und Bremsflüssigkeit roch und wünschte jetzt, er hätte vor dem Essen geduscht.

Über das Babyfon hörte er, wie Heather in Sams Zimmer leise etwas murmelte, aber er konnte nicht verstehen, was es war. Bei ihrem zärtlichen Tonfall kamen ihm die Tränen. Wahrscheinlich hatte sie den Rest dieses liebenswerten Charakterzuges von ihren Eltern abbekommen, sodass für Audrey nichts mehr davon übrig gewesen war. Er hatte keine Ahnung, wie aus Heather ein so wunderbarer Mensch hatte werden können, und er war froh, dass sie in Jeff einen Mann gefunden hatte, der gut zu ihr passte.

Er hörte sie jetzt wieder die Treppe herunterkommen und blickte genau in dem Moment auf, als sie sich die Augen wischte.

„Er ist so wundervoll“, sagte sie und setzte sich zu ihm aufs Sofa. Sie war so klein, dass ihre Füße kaum bis zum Boden reichten. „Ich könnte ihm die ganze Nacht beim Schlafen zuschauen. Geht es ihm inzwischen etwas besser?“

„Ich glaube schon. Er schreit nicht mehr so viel, und vor ein paar Tagen hat er sogar einmal durchgeschlafen“, berichtete er ihr.

„Ich finde es so furchtbar, dass er ohne Audrey aufwachsen muss. Man kann ihr vieles nachsagen, aber sie hat den kleinen Kerl wirklich geliebt.“

„Das weiß ich doch, und ich werde auf jeden Fall dafür sorgen, dass er es auch erfährt. Sag du es ihm doch bitte auch immer wieder. Vielleicht sollten wir regelmäßige Besuche vereinbaren, Heather, denn ich möchte wirklich gern, dass er seine Familie kennt.“

Sie schaute weg, griff nach ihrem Kaffee und sagte: „Ja, das fände ich auch schön.“

„Brauchst du Milch oder Zucker?“

„Nein, schwarz ist gut.“

„Wie geht es denn Jeff und den Kindern?“

„Denen geht´s gut. Die Kinder halten mich auf Trab mit Baseball- und Schwimmtraining, und Jeffs Firma entwickelt sich großartig.“

„Das freut mich. Und wie geht es deinen Eltern? Sie waren bei der Beerdigung ja wirklich sehr mitgenommen, aber das ist ja auch mehr als verständlich. Ich wusste gar nicht, was ich zu ihnen sagen sollte.“ Die Parkers hatten ihn nie besonders gemocht, auch wenn er keine Ahnung hatte, weshalb. Sie waren allerdings grundsätzlich keine besonders herzlichen Menschen, und deshalb war es auch möglich, dass ihr abweisendes Verhalten ihm gegenüber gar nichts mit ihm persönlich zu tun hatte.

Plötzlich war da wieder etwas in Heathers Miene, das wieder das mulmige Gefühl von vorhin aufflackern ließ.

„Also, über sie wollte ich eigentlich gerade mit dir sprechen“, erklärte sie, stellte ihren Kaffeebecher auf den Untersetzer und faltete ihre Hände ganz fest im Schoß. Der Blick ihrer braunen Augen drückte tiefes Mitgefühl aus.

„Was ist denn los? Möchten deine Eltern ein Besuchsrecht oder so? Damit habe ich gar kein Problem. Wie gesagt, ich möchte gern, dass Sam seine Familie kennt und Kontakt mit ihr hat.“

Nach Aussagen von Audrey waren die Parkers ziemlich lieblose und distanzierte Eltern gewesen, aber eine Besuchsregelung war nur fair. Er wollte, dass sein Sohn seine Großeltern kannte, und sie liebten ihn wirklich, wenn auch auf ihre ganz eigene Art. Außerdem hatte Audreys Tod sie schwer getroffen, und das Baby war das Einzige, was ihnen von ihrer Tochter geblieben war.

Doch angesichts der Angst, die er jetzt bei Heather zu spüren glaubte, ging es hier um weit mehr als um ein Besuchsrecht. „Du machst mir richtig Angst, Heather. Was ist denn los?“

„Brady …“, sie schloss die Augen und schüttelte kaum merklich den Kopf.

„Ich habe mich immer wieder gefragt, ob ich wegen der Sache zu dir kommen soll, aber ich kann es einfach nicht mehr für mich behalten. Meine Eltern haben einen Anwalt eingeschaltet und wollen das Sorgerecht für Sam einklagen.“

In Brady sträubte sich innerlich alles gegen diese Vorstellung, und in seinem Kopf ging es drunter und drüber. Eine Wolke völlig unnützer Angst breitete sich in seinem Inneren aus wie ein Gift.

„Sie haben schon den Antrag auf Erteilung des Sorgerechtes gestellt. Er wird dir in ein paar Tagen vom Gericht zugestellt. Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich dich vorwarnen muss.“

„Aber das ist doch lächerlich, Heather. Ich bin Sams Vater. Sie können ihn mir gar nicht wegnehmen.“

Da warf sie ihm einen kummervoll besorgten Blick zu und rang die Hände heftig in ihrem Schoß, dass sich die Finger zu verknoten schienen. „Das ist genau der Punkt, Brady … sie behaupten, dass du gar nicht Sams leiblicher Vater bist.“

Unwillkürlich öffnete er seinen Mund wie zu einem Schrei, und sein Herz begann zu rasen. Er schüttelte den Kopf, und seine Gedanken gingen wild durcheinander. Als Audrey schwanger wurde, waren sie noch nicht verheiratet gewesen. Sie hatten zwar früher dieselbe High School besucht, aber das lag Jahre zurück, und vor jener verhängnisvollen Nacht hatte er sie auch kaum gekannt. Sie hatte sich richtig an ihn herangemacht an dem Abend, und er war zu sehr von Trauer und Schmerz erfüllt gewesen – und zu alkoholisiert – um ihren Avancen widerstehen zu können. Da war der zuverlässige standhafte Brady mal einen Abend und eine Nacht nicht richtig bei sich, und da musste es natürlich passieren.

Als er am nächsten Morgen aufwachte, war sie weg gewesen, und er bereute diese Nacht und alles, was passiert war zutiefst. Denn eigentlich war er gar nicht der Typ für so etwas, und so war er auch nicht erzogen worden – deshalb war er tief beschämt gewesen. „Nie wieder“, hatte er sich selbst und auch Gott versprochen. Aber fünf Wochen später hatte ihm dann ein Anruf bestätigt, dass ein einziges Mal eben genügte.

Audrey hatte ihm gesagt, dass sie mit niemandem außer ihm zusammen gewesen sei, nachdem sie vor einem Jahr mit ihrem Freund Schluss gemacht habe. Das Baby sei von ihm, und der Gedanke, es nicht zu bekommen, sei unerträglich für sie.

Das wollte Brady auch nicht, und außerdem fand er Audrey eigentlich ganz nett. Im Laufe der folgenden paar Monate hatten sie sich besser kennengelernt, und er hatte sich gezwungen gefühlt, dafür zu sorgen, dass es mit ihnen beiden klappte. An ihrem Geburtstag hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht, und sie schien wirklich glücklich zu sein, denn sie hatte ihn immer wieder umarmt und ja gesagt.

„Das ist doch absurd“, sagte er jetzt zu Heather, und seine Stimme klang schwach und angestrengt.

Sein Herz schlug weiter wie wild, in seinem Kopf drehte sich alles, und ihm kamen immer wieder Situationen in den Sinn – Situationen, in denen sie ihn vielleicht belogen hatte. Dass sie dazu fähig gewesen war, wusste er inzwischen, aber hätte sie ihm wirklich auch in diesem Punkt die Unwahrheit gesagt?

Heather wechselte ihre Position auf dem Sofa. „Meine Mutter hat mir erzählt, Audrey hätte ihr von einer Nacht berichtet, in der sie zu viel getrunken hatte – und dass sie schon schwanger war, als ihr euch kennengelernt habt.“

„Das ist nicht wahr.“ Wenn er das sagte, konnte er vielleicht diesen Nebel aus Zweifel verscheuchen, in dem er steckte. „Er hat meine Augen und mein Kinn, das sagt jeder.“ Er hatte den verrückten Drang, die Treppe hinaufzustürmen, Sammy aus dem Bett zu holen und auf den Arm zu nehmen, aber das hätte weder den Kleinen noch ihn selbst vor diesem Albtraum bewahren können.

„Hör zu, Brady … ich weiß nicht, ob das alles stimmt oder nicht. Vielleicht war es ja auch nichts als betrunkenes Gefasel. Ich habe nur gedacht, dass du ein Recht darauf hast, zu erfahren, was los ist. Eine kleine Vorwarnung, bevor sie …“

Ihre Worte hingen zwischen ihnen, und das Mitgefühl in ihrem Blick trug nicht gerade zu seiner Beruhigung bei.

„Was …? Bevor sie was tun?“, fragte er in scharfem Ton, aber außerstande, sich dafür schuldig zu fühlen.

„Als Teil ihres Antrags auf das Sorgerecht für Sam verlangen meine Eltern einen Vaterschaftstest.“ Und mit sanfterer Stimme fuhr sie fort: „Ich fürchte, dass der Richter den auch anordnen wird.“

Er blinzelte völlig verblüfft. Wie konnten sie das von ihm verlangen? „Mein Name steht auf der Geburtsurkunde! Ich bin sein Vater! Ich kümmere mich um ihn. Er hat jetzt nur noch mich. Deine Eltern haben ihn doch höchstens ein Dutzend Mal gesehen, seit er auf der Welt ist.“

„Ich bin sicher, dass du rechtliche Möglichkeiten hast, auch wenn der Vaterschaftstest negativ ist.“

„Er wird nicht negativ sein. Ich bin sein Vater.“

Aber was, wenn er es nicht war?

Die Angst traf ihn jetzt mit voller Wucht, und einen Moment lang ließ er es zu – die Vorstellung zu erfahren, dass er nicht Sams Vater war, dass er vielleicht gezwungen werden würde, ihn den Parkers zu überlassen, dass er nicht mehr das Recht haben würde, seinen Sohn wiederzusehen. Er hatte einen dicken Kloß im Hals, seine Augenhöhlen brannten, und auch Heathers Augen füllten sich jetzt mit Tränen.

„Es tut mir leid, Brady. Das hast du nicht verdient. Meine Schwester, Gott hab sie selig, hatte ja ihre ganz eigene Art, Chaos zu hinterlassen, wo sie ging und stand, aber das hier ist wirklich der Gipfel.“

Da fiel ihm plötzlich etwas wieder ein, dem er damals gar keine Bedeutung beigemessen hatte, das aber jetzt anscheinend von entscheidender Bedeutung war. „Er wurde fast vier Wochen zu früh geboren“, sagte Brady, woraufhin sie mitfühlend den Kopf auf die Seite legte und erklärte: „Aber sein Geburtsgewicht war ja auch ziemlich gering. Es könnte also auch sein, dass er wirklich ein Frühchen war.“

Von diesem Gedanken ließ er sich vorübergehend trösten. Audrey hatte während der Schwangerschaft extrem wenig gegessen, weil sie sich solche Sorgen um ihre Figur gemacht hatte, egal wie gut er ihr zugeredet hatte. Am Ende hatte sie nur sieben Kilo zugenommen, und natürlich konnte auch das der Grund für Sams geringes Geburtsgewicht gewesen sein.

Er musste schwer schlucken und fragte dann: „Und wer ist nach Meinung deiner Eltern Sams leiblicher Vater?“

„Das hat Audrey ihnen nie verraten. Sie hat wohl nur gesagt, dass er nichts tauge und ganz sicher als Vater ungeeignet sei.“

Im Gegensatz zu Brady? Jeder wusste, dass er einer von der verlässlichen Sorte war. Er verdiente so viel, dass sie gut davon leben konnten, und hatte Audrey nicht immer wieder gesagt, dass er einer sei, der immer das Richtige tat? Zunächst hatte er das als Kompliment aufgefasst, aber kurz nach der Hochzeit hatte sie es ihm dann wie eine Beschimpfung an den Kopf geworfen. Konnte es sein, dass sie ihn wirklich die ganze Zeit nur benutzt hatte?

Seine Freunde glaubten, dass Audrey absichtlich schwanger geworden war, um ihn dazu zu bringen, sie zu heiraten, und manchmal hatte er sogar selbst die leise Vermutung gehabt. Aber so etwas wie das hier hätte er niemals gedacht. Nicht eine Sekunde lang.

Doch er konnte unmöglich zulassen, selbst zu glauben, dass Sam gar nicht sein Sohn war. Er würde den Vaterschaftstest machen, und es sah ja ohnehin ganz so aus, als ob ihm gar nichts anderes übrig blieb. Aber egal, was bei dem Test herauskam, Sammy war sein Sohn. Brady wusste wie es war, von einem Elternteil im Stich gelassen zu werden, und das würde er Sammy auf gar keinen Fall antun. Er hätte für den Kleinen sein Leben gegeben und würde bis zum Letzten um ihn kämpfen.

Er sah jetzt Heather an, und nach seiner Entscheidung durchströmte ihn neue Energie. „Danke, dass du es mir gesagt hast, so bin ich wenigstens vorbereitet und kann Vorkehrungen treffen. Danke noch mal.“

KAPITEL 2

Hope fuhr in ihrem roten Civic Richtung Atlanta, stellte den Tempomat auf 100 und lehnte sich für die anderthalbstündige Fahrt bequem im Fahrersitz zurück. In den vergangenen sechs Wochen hatte sie bei Oldies 102.4, einem der größten Radiosender im Bundesstaat, die Schwangerschaftsvertretung für eine Moderatorin übernommen.

Das war eine große Chance für sie, denn es war immer ihr Traum gewesen, bei einem großen Sender zu arbeiten, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie die Chance dazu so früh bekommen würde, auch wenn es nur eine befristete Anstellung war. Aber ihre regional sehr beliebte Sendung Living with Hope, in der Hörer anrufen konnten, wenn sie Lebensberatung brauchten, hatte die Aufmerksamkeit des Senders WKPC geweckt.

Ihr Heimatsender war jedoch vor Kurzem verkauft worden, und durch einen Wechsel in der Leitung hatte sie ihre Vollzeitstelle verloren. Jetzt hoffte sie, dass sie durch ihre Leistung bei diesem befristeten Einsatz eine neue Chance bekam – und vielleicht sogar mehr.

Ihr Handy klingelte, und sie drückte auf die Freisprechanlage.

„Bist du unterwegs nach Atlanta?“, fragte ihre beste Freundin Zoe – die auch Bradys Schwester war – statt einer Begrüßung.

„Ich wünsche dir auch einen guten Morgen“, sagte Hope.

„Tut mir leid, aber ich rufe zwischen zwei Lieferungen an, deshalb muss ich mich beeilen.“ Zoe hatte eine Pfirsichplantage, und ihr neuer Verkaufsraum, die Peach Barn, war ein Riesenerfolg. „Also, bist du? Ich meine, unterwegs nach Atlanta? Hast du an den Abholschein gedacht?“

„Jawoll, Chef, alles dabei.“

„Ach Hope, vielen Dank. Du bist meine Rettung.“

Hope hatte sich bereiterklärt, Zoes Verlobungsring, der zu weit gewesen war, beim Juwelier abzuholen. Bei der Änderung hatte es irgendwelche Probleme gegeben, sodass der Ring jetzt ein zweites Mal beim Juwelier war.

Zoe war mit Bradys bestem Freund Cruz verlobt. Die beiden waren schon auf der High School ein Paar gewesen – große Liebe, Seelenverwandtschaft, das volle Programm.

„Ich hole den Ring nach der Arbeit ab, und danach fahre ich dann zu Brady und kümmere mich ein paar Stunden um Sam.“

„Na, dann hast du ja noch einiges vor. Es ist wirklich lieb von dir, dass du mein Bruderherz so unterstützt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie dankbar er dir dafür ist. Ich fühle mich richtig schlecht, dass ich nicht öfter babysitten kann.

„Deine Arbeitszeiten in der Peach Barn sind doch völlig verrückt, und außerdem hast du eine Tochter, einen Verlobten und bist mitten in der Hochzeitsplanung. Ich habe doch nur meine Arbeit.“ Hoppla, das klang ja richtig bitter. „Gibt es schon was Neues von dem Vaterschaftstest? Ich bete, was das Zeug hält.“

Brady hatte nach Rücksprache mit einem Anwalt, der auf Familienrecht spezialisiert war, und mit dem ihn sein Vater in Kontakt gebracht hatte, den Vaterschaftstest gemacht. Der Anwalt hatte auf den Antrag von Audreys Eltern auf Erteilung des Sorgerechts hin, im Auftrag seines Mandanten ebenfalls das ständige Sorgerecht für Sam beantragt. Im Laufe der nächsten Wochen sollte eine Anhörung darüber stattfinden, wem bis zur endgültigen Klärung das vorläufige Sorgerecht zugesprochen werden sollte.

„Nein, noch nichts. Er sagt zwar nicht viel, aber ich weiß, dass die Warterei ihn völlig fertig macht. Gar nicht auszudenken, was er tut, wenn er nicht Sammys Vater ist. Er liebt den Kleinen über alles, und wir ja auch. Ich kann gar nicht fassen, dass Audrey etwas so Grausames und Egoistisches getan haben soll.“

„Und was ist, wenn es stimmt?“, fragte Hope. „Das würde Bradys Chancen auf das dauerhafte Sorgerecht doch sicher verringern.“

„Wahrscheinlich schon. Und die endgültige Anhörung findet erst in ein paar Monaten statt.“

Wenn die Parkers das vorläufige Sorgerecht bekämen, müsste Brady in der Zeit bis dahin zumindest ein Besuchsrecht bekommen.“ Aber so weit war es zum Glück noch nicht, denn das Ergebnis des Vaterschaftstests lag ja noch nicht einmal vor, und bis dahin würden die Parkers auf jeden Fall noch warten müssen.

„Ich verstehe sowieso nicht, wieso die Parkers Sam unbedingt haben wollen. Nach allem, was mir zu Ohren gekommen ist, haben sie sich bei der Erziehung ihrer eigenen Kinder ja auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Sie hätten noch viele Jahre Erziehungsarbeit vor sich und wären beide über achtzig, wenn Sam mit der Schule fertig ist. Wie soll denn so etwas Sams Wohl dienen?“

„Ich verstehe das auch nicht. Ich hoffe einfach, dass der Test Bradys Vaterschaft bestätigt und die Sache damit aus der Welt ist.“

„Das hoffe ich auch.“

„So – jetzt kommt ein Kunde“, sagte Zoe. „Hey, wir haben doch dieselbe Ringgröße, Hope. Könntest du den Ring einmal kurz überstreifen, um ganz sicher zu gehen, dass er jetzt passt? Ich möchte nämlich nicht noch mal wegen des Rings den weiten Weg nach Atlanta fahren.“

„Klar, das mache ich. Bis dann.“

„Wenn ich nachher den Laden zugemacht habe, komme ich bei Brady vorbei und hole den Ring ab, ja?“

„Gut, so machen wir es.“

Als Hope beim Sender eintraf, richtete sie den Kragen ihrer Bluse, strich den Rock glatt und betrat dann den Eingangsbereich. WKPC belegte das gesamte dreistöckige Gebäude, sodass der Sender in Dalton, bei dem sie lange gearbeitete hatte, dagegen wie eine kleine Klitsche wirkte, die er ja im Grunde auch war. Ihre Zeit hier als Radiomoderatorin in Atlanta war fast vorbei, und wenn sie daran dachte, wurde sie richtig wehmütig. Sie hatte keine Ahnung was sie beruflich als Nächstes tun sollte.

Als sie sich vor Beginn ihrer Schicht noch rasch eine Flasche Wasser aus dem Getränkeautomaten im Pausenraum holte, kam die Produktionsleiterin Diana Mayhew vorbei, die Frau, von der sie eingestellt worden war.

Diana drehte noch einmal um, schaute zur Tür herein und fragte: „Läuft alles gut, Hope?“

„Ja, bestens.“

Diana lächelte sie freundlich an und sagte dann: „Ich würde gern mal mit Ihnen reden. Kommen Sie doch bitte in meinem Büro vorbei, bevor Sie gehen, ja?“

„Ja, mache ich.“

Acht Stunden später nahm Hope den Kopfhörer ab, während der Titel „Addicted to Love“ gesendet wurde. Sie staunte immer wieder darüber, wie schnell die Zeit bei der Arbeit verging. Sie liebte ihren Job. Am Anfang war sie ein bisschen nervös gewesen, weil sie eine so große Hörerschaft nicht gewohnt war, aber letztlich war es ja für sie kein Unterschied, ob viele oder eher wenige Menschen zuhörten. Ihr gefiel die Vorstellung, Menschen auf ihrem Lebensweg ein Stückchen zu begleiten. Vielleicht gelang es ihr, sie zum Lachen zu bringen, oder dazu, Dinge noch einmal zu überdenken oder ihnen einfach auf angenehme Art, Gesellschaft zu leisten. Sie konnte Menschen den Tag verschönern, und das machte ihr riesigen Spaß.

Sie verabschiedete sich noch vom Regisseur und der nächsten Moderatorin und plauderte kurz mit den Mädels im Büro, bevor sie sich auf den Weg zu Diana machte.

Als Hope das Büro betrat, telefonierte die Produktionsleiterin gerade, winkte sie aber zu sich herein, und Hope setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch, während ihre Chefin das Telefongespräch – mit einem der Vertriebsleute, wie es schien – beendete.

Hope ließ währenddessen ihren Blick durch das zweckmäßig eingerichtete Büro schweifen. Durch die Fensterfront strömte Tageslicht in den Raum, der von einem großen Schreibtisch aus schwarzem, glänzendem Holz beherrscht wurde. Dahinter stand ein passendes Sideboard. Die Bücherregale waren überladen mit gebundenen Büchern, Familienfotos und schönen echten Pflanzen, bei deren Anblick sich Hope wünschte, sie hätte einen etwas grüneren Daumen.

Jetzt legte Diana den Hörer auf und sagte: „Tut mir leid. Ich habe gerade neue demografische Daten bekommen, die die Leute im Vertrieb dringend brauchten.“

Sie berichteten sich kurz gegenseitig das Neueste und plauderten ein wenig über den Sender und Neues aus der Branche. Als das Gespräch langsam abebbte, schaute Hope auf die Wanduhr.

„Ich bin froh, dass Sie mich zu sich gebeten haben, Diana“, sagte sie, „denn ich wollte mich sowieso noch einmal herzlich bei Ihnen bedanken, dass Sie mir diese Chance gegeben haben. Die Arbeit hier macht mir großen Spaß, und ich habe sehr viel gelernt.“

„Sie sind auch wirklich gut, Hope. Sie haben die Fähigkeit, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Darren hatte anfänglich ja ein wenig Sorge wegen der Zahlen, aber die sind stabil.“

Darren war der Intendant des Senders und damit die oberste Instanz. „Also, wenn er zufrieden ist, bin ich es auch“, sagte Hope.

„Ich habe Sie zu mir gebeten, weil ich großartige Neuigkeiten für Sie habe, Hope.“

„Ach ja?“

„Ihnen ist ja vielleicht schon zu Ohren gekommen, dass Dirk Crawford in ein paar Monaten in den Ruhestand geht.“

„Ja, natürlich.“ Dirk war schon so lange als Moderator für die Oldies zuständig, dass er in der Gegend geradezu eine Legende war. Deshalb war er der Mann für die beste Sendezeit.

„Darren und ich haben uns viel Zeit genommen, um verschiedene Möglichkeiten für Dirks Nachfolge durchzuspielen. Wir wollten die Stelle gern intern besetzen, aber keiner von uns hatte ein gutes Gefühl bei den vorhandenen Möglichkeiten – bis Sie gekommen sind.“

Moment mal. Wie bitte? Ihr Herz schlug plötzlich wie die Basstrommel bei einem Tanzsong aus den 80ern.

„Wie gesagt, Sie haben Talent, und mir hat die Sendung mit Höreranrufen, die Sie da oben im Norden moderiert haben, sehr gut gefallen. Sie können gut mit Menschen, sind behutsam, aber doch direkt und sehr weise.“

„Danke.“

„Ich habe vor ein paar Wochen mit Darren darüber gesprochen, wie es wäre, Sie einzustellen, um die Lücke zu schließen, die Dirk hinterlässt, und ich finde die Idee spannend, Ihre Sendung Living with Hope jeden Abend auf unserem Sender zu bringen. Wie Sie ja wissen, sind unsere Zielgruppe Hörer mittleren Alters, überwiegend Frauen – verheiratete und geschiedene – also Menschen mit Problemen, die man erst in einer etwas fortgeschrittenen Lebensphase hat, und ich glaube, unsere Hörer würden von einer Sendung wie Ihrer sehr profitieren. Sie haben einen Abschluss in Psychologie, wenn ich mich nicht irre, oder?

„Ja.“

„Darren ist mit mir einer Meinung, Hope, und deshalb möchten wir Sie fragen, ob Sie an Dirks Sendeplatz interessiert sind.“

Hope lief ein Schauer über den ganzen Körper. „Oh, wow. Also … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

„Das brauchen Sie auch noch gar nicht. Mir ist schon klar, dass Sie dann umziehen müssten, aber bis Oktober ist es ja noch eine Weile hin. Nehmen Sie sich ruhig ein paar Wochen Zeit, um darüber nachzudenken.“ Sie schaute auf die Uhr und fuhr fort. „Tut mir leid, Hope, wir müssen jetzt leider schon wieder zum Ende kommen, weil ich in ein paar Minuten eine Telefonkonferenz habe.“

„Kein Problem“, sagte Hope, stand auf, und eine Weile sahen sich die beiden Frauen in die Augen.

Diana lachte leise. „Ich nehme an, Sie stehen ein bisschen unter Schock, oder? Denken Sie in Ruhe darüber nach, und dann reden wir weiter“, sagte sie und nahm dabei den Telefonhörer in die Hand, ein klares Zeichen, dass Hope jetzt gehen sollte.

„Also dann, vielen Dank Diana. Ich weiß Ihr Vertrauen wirklich zu schätzen.“

„Ich bin sicher, Sie werden die richtige Entscheidung treffen, Hope.

Als Hope zwanzig Minuten später den Juwelierladen betrat, schwebte sie auf Wolke sieben. Eine unbefristete Stelle bei einem großen Sender … Es musste sie mal jemand kneifen. Aber war sie wirklich schon so weit? War Sie bereit umzuziehen, weg von ihren Wurzeln und ihren Freunden?

Das Innere des klimatisierten Juweliergeschäftes fühlte sich an dem drückend heißen Juninachmittag einfach herrlich an. Der Laden roch nach Blumen und Geld und war angeberisch mit schwarzem Plüschteppich und glatten schwarzen Mahagonivitrinen ausgestattet.

Hope ging zum Verkaufstresen, wo eine gut frisierte Blondine mit knallroten Lippen stand und Hope anlächelte, während sie eine teuer aussehende Uhr in die Schachtel zurücklegte.

„Kann ich Ihnen helfen, meine Liebe?“

„Ja, ich möchte einen Ring abholen, bei dem die Weite geändert worden ist. Für Zoe Collins“, antwortete sie und gab der Verkäuferin den Abholschein.

„Einen Moment, bin gleich wieder da“, sagte die Frau und huschte durch eine Tür an der Rückseite des Ladens.

Hope schlenderte während der Wartezeit zur nächsten Vitrine und betrachtete die funkelnden Brillantringe in der Auslage. Manchmal beneidete sie Zoe und Cruz, die so verliebt waren und eine bezaubernde vierjährige Tochter hatten. Sie kamen voran in ihrem Leben, während Hope das Gefühl hatte festzusitzen.

Du sitzt doch gar nicht fest.

Sie hatte ihre Arbeit und eine spannende Chance beim Sender WKPC, und auch wenn ihr Liebesleben mit dem ihrer Freundinnen nicht mithalten konnte - das hatte schließlich noch Zeit. Sie war erst vierundzwanzig, und das war selbst nach Südstaatenmaßstab noch im Rahmen. Ihr blieb immer noch viel Zeit für Mann und Kinder.

Aber nicht mehr viel Zeit, um rechtzeitig bei Brady zu sein. Sie schaute auf die Uhr und betete, dass der Verkehr sie nicht aufhielt. Als die Angestellte wieder zurückkam, hatte Hope sich die gesamten Auslagen im Laden angeschaut.

„So, da wäre ich wieder“, sagte die Frau, öffnete ein Kästchen und nahm den Ring heraus.

Wirklich ein prachtvolles Stück, das da unter der Beleuchtung wie der Polarstern funkelte. Es war ein Princess-Schliff mit einer Fassung, die ein ganz klein wenig altmodisch aussah. Da hatte Cruz wirklich etwas sehr Schönes ausgesucht.

Hope nahm den Ring, steckte ihn sich an den Finger und musste ihn dabei mit etwas Druck über das Fingergelenk schieben. Sie bestaunte den Ring, bewegte den Finger ein wenig im Licht, sodass es genau richtig darauf fiel, und einen Moment lang stellte sie sich vor, dass es ihr eigener Ring wäre – von einem Mann, der bis über beide Ohren in sie verliebt war.

Die Frau war schon dabei, die leere Ringschachtel in eine hübsche kleine Tragetüte zu stecken, die sie dann Hope überreichte. „Tut mir leid, dass es bei der Änderung Probleme gab. Ich habe noch ein Fläschchen Reinigungsmittel für Schmuck mit eingepackt, als kleine Wiedergutmachung für Ihre Unannehmlichkeiten.“

Hope bedankte sich, hängte sich ihre Handtasche über die Schulter, ging zum Ausgang und wollte im Gehen den Ring abziehen, doch der bewegte sich keinen Millimeter.

Auch auf dem Weg hinaus zu dem Parkplatz hinter dem Backsteingebäude zog sie die ganze Zeit an dem Ring, aber dann sah sie, dass ihre Finger geschwollen und die Handflächen rot und fleckig waren. Offenbar lagerte ihr Körper Wasser ein, was vielleicht daran lag, dass sie gestern Abend im Diner gewesen war und das leckere Schinken-Special gegessen hatte – blöder Schinken.

Sie schaute wieder auf den funkelnden Diamanten an ihrem Finger. Blöder Ring. Sie drehte und zog, zog und drehte, aber das Schmuckstück ließ sich nicht über den Fingerknöchel ziehen. Was, wenn der Ring jetzt durchtrennt werden musste, um ihn vom Finger zu bekommen? Oh Gott, bitte. Zoe würde sie umbringen.

Fürs Erste stellte sie ihre Versuche ein, stieg in ihren Wagen, schnallte sich an, schrieb Brady rasch eine Nachricht und startete dann wieder Richtung Norden.

Der Ring hatte ja wahrscheinlich die richtige Größe, denn er war über ihren Fingerknöchel gegangen. Wenn sie bei Brady war, würde sie ihm mit Wasser und Seife zu Leibe rücken, und dann würde er sicher einfach vom Finger gleiten.

KAPITEL 3

Brady richtete sich auf und streckte sich, nachdem er über den Motor eines Porsche Boxster gebeugt gearbeitet hatte. Er schaute über die Schulter nach hinten, wo Sam in seiner Babytrage vor sich hin brabbelte.

„Na, wie geht´s denn da hinten, Sammy?“

„Ba-ba-ba-ba!“

„Alles klar, Kumpel. Bin fast fertig.“

Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, um sich den Schweiß abzuwischen, denn in der Scheune war es heiß wie in einem Backofen. Er hatte eine brandneue Halle – mit Klimaanlage und allem Drum und Dran – auf der anderen Seite des Hauses gebaut, aber die hatte er an Zoe ausgeliehen, weil ihre Scheune vor ein paar Monaten abgebrannt war. Es war der vorübergehende Standort des neuen Verkaufsraumes seiner Schwester, der Peach Barn, bis ihre alte Scheune wiederaufgebaut war. Und was ihn betraf, konnte das gar nicht schnell genug gehen.

Er kontrollierte noch das Öl bei dem Porsche, füllte nach und schloss dann die Motorhaube. „Gleich kommt Hope, weißt du das?“

„Ba-ba-ba!“ sagte Sam und war den Boo-Bär weg, sodass er auf dem rissigen Betonboden landete. Brady hob ihn wieder auf, klopfte den Staub ab und gab ihn dem Kleinen zurück.

Als er den Motor des Porsche ausmachte, hörte er einen Wagen kommen. Hope konnte es nicht sein, dafür war der Motor des Wagens, der da ankam, ein bisschen zu hochtourig eingestellt, und ein Sportwagen war es auch nicht. Er wischte seine Hände mit einem Lappen ab und ging nach draußen.

Eine Buick Limousine kam näher, und als er den Wagen von Calvin Johnes erkannte, begann sein Herz zu rasen wie ein Maserati-Motor an der Startlinie.

Er atmete einmal kräftig aus. Bitte, lieber Gott, lass es gute Nachrichten sein.

Er hatte zwar täglich mit dem Ergebnis des Vaterschaftstests gerechnet, war aber davon ausgegangen, dass der Anwalt es ihm telefonisch mitteilen würde. Vielleicht war es ja nicht das erhoffte Ergebnis, und deshalb hielt Calvin es für nötig, die schlechte Nachricht persönlich zu überbringen.

Brady bekam ganz weiche Knie, und das Gewicht von Sam auf seinem Rücken fühlte sich plötzlich an wie eine Tonne Steine. Er sah Calvin aus seinem Wagen steigen und kämpfte gegen den plötzlichen Impuls an, einfach wegzulaufen.

Calvins gerunzelte Stirn, sein angespannter Blick und das angestrengte Lächeln sorgten auch nicht gerade dafür, dass er sich entspannte. Brady hatte das Gefühl, dass der große Umschlag in Calvins Hand Informationen enthielt, die sein Leben von Grund auf verändern würden, weil sie bewirken konnten, dass er seinen Sohn hergeben musste. Vor Aufregung bekam Brady er kaum Luft.

„Tag, Brady“, begrüßte Calvin ihn und gab ihm die Hand.

„Calvin.“ Sein Blick ging zu dem Umschlag. „Sie haben das Ergebnis des Vaterschaftstests?“

„Es ist leider nicht so, wie wir es gehofft hatten, mein Junge.“

Oh Gott, bitte nicht. Das kann doch nicht wahr sein.

Brady atmete mit einem Stoß aus. Sammy war also nicht sein leiblicher Sohn. Er spürte, wie es hinter seinen Augen zu brennen begann, und ihm wurde eng um die Kehle.

„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid es mir tut“, sagte Calvin. „Ich habe das Ergebnis gerade bekommen, und ich wusste, dass Sie es so schnell wie möglich würden erfahren wollen.“

Brady wandte sich ab, weil er einen Moment brauchte, um seine Fassung zurückzugewinnen – eine Stunde. Einen Monat. Ein ganzes Leben. Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Hinter seinen Lidern sammelten sich Tränen, und er fühlte sich so … unendlich verloren. Er verlor den einzigen Menschen, der zu ihm gehörte.

Seine leibliche Mutter hatte ihn einfach verlassen, und auch wenn seine Tante und sein Onkel ihn schon als Baby adoptiert hatten, war ihm immer sehr bewusst gewesen, dass er irgendwo eine drogensüchtige Mutter hatte und einen Vater, der gar nicht wusste – und den es wahrscheinlich auch nicht interessierte – dass es ihn gab. Das bedeutete, dass seine Schwester in Wirklichkeit seine Cousine und sein Vater eigentlich sein Onkel war.

Noch nie hatte sich Brady so allein gefühlt wie in diesem Moment, doch das war noch nicht einmal sein größtes Problem. Sein größtes Problem war, dass er jetzt vielleicht keinen rechtlichen Anspruch mehr auf das Sorgerecht für Sam hatte, und der Gedanke, dass sein Sohn unter dem gnadenlos hohen Anspruch der Parkers aufwachsen sollte, war für ihn unerträglich.

Es dauerte eine Weile, bis er die Tränen aus seinen Augen weggeblinzelt und sich wieder unter Kontrolle hatte. Irgendwann räusperte er sich noch einmal gegen den Kloß in seinem Hals und sah Calvin an.

„Es tut mir wirklich leid, Brady“, sagte Calvin. „Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten für Sie!“

Brady stand der Schweiß auf der Stirn. Er griff nach einem von Sams bloßen Füßen und hielt ihn fest. „Aber ich kann doch immer noch um ihn kämpfen, oder?“

Calvin sah ihn nicht an, als er sagte: „Klar. Sie können es natürlich versuchen. Aber wie Sie ja wissen, ist die Anhörung wegen des vorläufigen Sorgerechts schon nächste Woche, und die Parkers werden mit Sicherheit beantragen, unseren Antrag auf das Sorgerecht abzuweisen.“

„Und was bedeutet das?“

„Sie werden argumentieren, dass für Sie gar kein Anspruch auf das Sorgerecht besteht, weil Sie nicht Sams leiblicher Vater sind.“

„Aber ich bin der einzige Vater, den Sam kennt!“

„Wir könnten natürlich den Antrag stellen, dass der Fall unabhängig von der Blutverwandtschaft verhandelt wird, also nur das Kindeswohl ausschlaggebend ist. Nächste Woche findet eine richterliche Anhörung statt, bei der der Richter entscheidet, ob damit die Rechtsmittel ausgeschöpft sind oder es zu einer weiteren, letzten Anhörung kommt. Wenn er nächste Woche zu unseren Gunsten entscheidet, wird er auch bestimmen, wer bis zur endgültigen Entscheidung das vorläufige Sorgerecht für Sam bekommt.“

„Und wenn er nicht zu unseren Gunsten entscheidet?“

Calvin änderte seine Haltung ein wenig und antwortete: „Dann zählt allein die Blutsverwandtschaft und er wird das dauerhafte Sorgerecht für Sam den Parkers zusprechen.“

Brady atmete aus, und es hörte sich wie ein kurzes Keuchen an. Es konnte also sein, dass er nächste Woche Sam verlieren würde? Für immer?

„Jetzt verzweifeln Sie nicht gleich, Brady. Es besteht ja immer noch die Chance, dass der Richter nicht nach der Blutsverwandtschaft des Kindes entscheidet, sondern ausschließlich danach, was für das Kindeswohl das Beste ist.“

Aber wie sollte das gehen? Brady schloss jetzt seine Hände um Sams Füße, als wollte er ihn für immer festhalten.

„Ich will ganz offen sein, Brady. Selbst wenn der Richter sich die Argumente anhört, die bei einer solchen Anhörung zum Kindeswohl vorgebracht werden, haben Sie noch etliche Hürden vor sich. Sie sind ein junger alleinstehender Mann, der mit dem Kind nicht blutsverwandt ist, und Sie treten gegen die blutsverwandten Großeltern an, die sich in Vollzeit um Sam kümmern könnten.“

„Aber sie sind beide schon über sechzig! Sie wären fast achtzig, wenn Sam mit der Schule fertig ist. Und sie waren doch auch Audrey und Heather schon keine besonders guten Eltern.“

Calvin legte den Kopf auf die Seite und sah Brady durchdringend an. „Hat es Misshandlung oder Missbrauch in irgendeiner Form gegeben?“

Wie sehr er sich jetzt wünschte, die Frage mit ja beantworten zu können. „Vielleicht keine körperlichen Misshandlungen, aber wie gesagt – sie waren lieblos und distanziert. Außerdem haben sie gnadenlos hohe Anforderungen gestellt. Das war auch der Grund, weshalb ihre Beziehung zu Audrey sehr angespannt war.“

„Es tut mir wirklich leid, Brady, aber ich glaube kaum, dass sich das Gericht dadurch umstimmen lassen würde. Wir könnten da natürlich noch einmal ein bisschen nachhaken, wenn es nächste Woche so läuft, wie wir es uns wünschen, doch ohne Beweise für Misshandlungen oder Missbrauch stehen unsere Chancen nicht gut. Tut mir wirklich leid.“

„Aber Sams Mutter ist gerade gestorben, Himmel noch einmal. Und jetzt wollen Sie mir erzählen, dass die Parkers ihm den einzigen Menschen nehmen können, den er kennt?“

„Ich weiß, es ist nicht fair.“

Brady fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. „Ich glaub das alles einfach nicht.“

Sam begann jetzt, in der Rückentrage zu quengeln. Brady schnallte ohne zu überlegen die Rückentrage ab, nahm das Baby heraus und ließ die leere Trage einfach zu Boden fallen. Der Kopf des Kleinen war verschwitzt, und sein Schlafsack war feucht, weil er in der heißen Werkstatt so fest an Bradys Rücken gepresst gewesen war.

„Brady … ich weiß, dass das alles ein furchtbarer Schock für Sie sein muss, aber vielleicht können die Parkers Sam ja auch genau die Beständigkeit und Stabilität geben, die er braucht. Sie haben doch selbst zugegeben, dass Sie momentan keine feste Betreuung für ihn haben.“ Sein Blick wanderte zu der Babytrage auf dem Boden und dann wieder zu Brady. „Sie können ihn doch nicht ewig so mit sich herumschleppen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Richter gibt, der befürworten würde, dass Sie mit einem Baby in der Rückentrage über einem heißen, laufenden Motor arbeiten.“

„Auf wessen Seite sind Sie eigentlich?“, fragte Brady daraufhin mit Empörung in der Stimme. Er würde Sam doch niemals in Gefahr bringen. Aber er musste schließlich arbeiten, und heute war einfach niemand für Sams Betreuung verfügbar gewesen bis Hope kam. Er merkte, wie Zorn in ihm aufstieg, und dass Calvin in dem Punkt vielleicht sogar recht hatte, besänftigte ihn auch nicht gerade.

Der Anwalt hob beschwichtigend die Arme und sagte: „Ich versuche doch nur, Ihnen deutlich zu machen, wie der Richter die Situation beurteilen könnte. Wenn ich es richtig verstanden habe, wird Sam ja von unterschiedlichen Personen betreut, aber das Gericht wird mit Sicherheit mehr Verlässlichkeit und Kontinuität fordern.“

„Audrey ist erst vor einem Monat gestorben, und bis dahin war Sam immer nur an den Wochenenden bei mir. Ich bin immer noch dabei, meinen Alltag so zu organisieren, dass ich Kind und Beruf unter einen Hut bekomme. Ich brauche einfach noch etwas Zeit, bis alles einigermaßen reibungslos läuft und ich den Alltag besser im Griff habe.“

„Na, dann kann ich Ihnen nur raten, sich damit möglichst zu beeilen. Wie gesagt, das ist jetzt das Allerwichtigste. Sie sollten bis zur Verhandlung nächste Woche eine feste Vollzeitbetreuung eingestellt haben.“

„Ich tue, was ich kann“, sagte er darauf nur. Es war ja nicht so, dass er das nicht schon versucht hätte, also würde er sich jetzt eben noch intensiver bemühen müssen.

Blöde Audrey. Das war alles ihre Schuld. Sie hatte ihn angelogen, ihn zum Narren gemacht und ihn hinters Licht geführt, und er hatte wie der letzte Idiot all ihre Lügen geschluckt. Eigentlich sollte er ihr ja jetzt, wo sie tot war, nicht mehr böse sein, aber er wollte ihr ganz genau sagen, was er von ihrem Egoismus hielt. Er wollte sie wissen lassen, dass sie sein Leben zerstörte, ihm das Herz brach. Er wollte ihr mitteilen, dass ihr kleiner Sohn am Ende vielleicht von denselben Eltern großgezogen werden würde, die sie selbst so abgelehnt hatte.

Andererseits … wenn Audrey ihn nicht belogen hätte, dann hätte er Sam erst gar nicht bekommen.

Sein Blick blieb bei Calvin hängen und ihn packte Verzweiflung.

„Gibt es denn etwas, das ich tun kann, um meine Chancen auf das Sorgerecht zu verbessern?“

Auch wenn das ein ziemlicher Abstieg war, verglichen mit einer leiblichen Vaterschaft. Sammy wurde immer quengeliger, sodass Brady sich suchend nach dem Boo-Bär umschaute und ihn ein paar Meter entfernt wieder auf dem Boden entdeckte. Er hob den Teddy auf, klopfte ihn kurz ab und gab ihn Sam.

Als er sich wieder aufrichtete, hörte er, wie draußen der Kies auf der Auffahrt knirschte, und da kam auch schon Hopes Auto um die Ecke.

„Eine geregelte Kinderbetreuung hat oberste Priorität“, sagte Calvin, Sammys Gequengel übertönend. „Wenn der Richter nächste Woche entscheidet, dass nicht die Blutsverwandtschaft sondern das Wohl des Kindes ausschlaggebend für das Sorgerecht ist, dann können wir mit dem Antrag auf das Sorgerecht weitermachen. Aber da kommen dann auch jede Menge Gerichtskosten auf Sie zu …“

„Es geht hier um meinen Sohn, Calvin. Er ist vielleicht nicht mein eigenes Fleisch und Blut, aber trotzdem gehört er doch zu mir.“

Der Boo-Bär konnte Sammy jetzt anscheinend nicht mehr beruhigen. Der Kleine streckte seinen kleinen Körper, machte sich ganz steif und begann jetzt richtig laut zu schreien.

„Ich weiß, dass es schwierig für Sie ist, Brady, und ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten für Sie gehabt“, sagte Calvin.

Brady schaute kaum hin, als Hope neben Calvins Wagen anhielt, während er Sam auf dem Arm schuckelte, um ihn zu beruhigen.

Die Autotür wurde zugeschlagen, und er bemerkte nur am Rande, wie Hope näherkam, während in seinem Kopf die Gedanken rasten. Verrückte Gedanken, wie zum Beispiel der, ein paar Sachen zu packen und sich einfach aus dem Staub zu machen.

„Was ist denn los, Brady?“, fragte Hope.

Er schaute zu ihr hin, aber in seinem Kopf ging weiterhin alles wild durcheinander und sein Magen war unangenehm in Aufruhr. Das Mitgefühl in ihrem Blick zerrte an ihm.

„Das Ergebnis des Vaterschaftstests ist da“, brachte er mit belegter Stimme heraus. „Er ist nicht mein leiblicher Sohn.“

„Oh nein! Ach, das tut mir so leid, Brady.“ Sie streckte die Arme nach Sam aus, sah dabei aber weiter Brady an. Das Baby ließ sich problemlos von ihr auf den Arm nehmen, schmiegte sich in ihre Halsbeuge und rieb sich die Augen vor Müdigkeit.

„Ich bin Bradys Anwalt Calvin Jones“, stellte sich Calvin vor.

„Hope Daniels“, entgegnete sie.

Calvin sah Brady wieder eindringlich an. „Ich wusste gar nicht, dass Sie beide …“

Der Rest von Calvins Satz wurde von Sams Geschrei übertönt.

Hope sah Brady an und sagte: „Ich bringe Sammy jetzt am besten erstmal ins Haus.“

„Ich glaube, er hat Hunger“, erklärte Brady.

„Ich komme schon zurecht. Lass dir ruhig Zeit“, beruhigte sie ihn und ging mit einem letzten mitfühlenden Blick ins Haus.

„Sie haben mir gar nicht gesagt, dass Sie verlobt sind“, sagte Calvin, als Hope weg war. „Also das … könnte der ganzen Geschichte eine ganz neue Wendung geben, Brady.“

Wie um Himmels Willen kam denn Calvin darauf, dass er verlobt war? Er schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht … Moment mal. Was meinen Sie mit ‚ganz neue Wendung‘?“

„Na ja … Richter erteilen das Sorgerecht natürlich lieber, wenn eine Mutter und