Lovely Hearts 1-3 - Katherine Dolann - E-Book

Lovely Hearts 1-3 E-Book

Katherine Dolann

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Beschreibung

Drei wundervolle Liebesgeschichten! Landeanflug ins Glück Können gebrochene Herzen einander heilen? Nach einem Schicksalsschlag wagt Ariane einen Neuanfang. Neues Land, neuer Job. Wird es auch eine neue Liebe geben? Charles braucht keine Aufpasserin. Er will sich mit seinem Rollstuhl auf sein Zimmer verkriechen und leiden. Was hat sie nur an sich, dass er ihr näher kommen will? Und was will Charles charmanter Bruder Trevor von Ariane? (K)ein Star zum Verlieben Sie traut sich nicht, ihr Glück zu leben! Lanas Schüchternheit steht ihr schon lange im Weg. Jetzt fängt sie einen neuen Job an. Dort lernt sie Tom kennen. Kann sie es schaffen, durch ihn ihre Schüchternheit zu überwinden? Tom ist der Chef eines kleinen Tonstudios. Seine neue Angestellte Lana hat es ihm sehr angetan. Doch sie weiß nicht, wer er wirklich ist ... Wenn aus Misstrauen Liebe wird Mona ist adoptiert. Sie hat eine liebevolle Adoptivmutter, bei der sie sich immer wohlgefühlt hat. Nach 21 Jahren Funkstille möchte Monas leiblicher Vater sie plötzlich kennen lernen. Während sie noch unsicher ist, ob sie das ebenfalls möchte, denkt sein Patensohn, dass sie ihm das Erbe streitig machen wird. Doch als sie sich dann treffen, kommt alles anders ...

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© 2023

likeletters Verlag

Inh. Martina Meister

Legesweg 10

63762 Großostheim

www.likeletters.de

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Autorin: Katherine Dolann, Levina Lamur

Cover: © depositphotos.com / arvitalya

ISBN: 9783946585336

Lovely Hearts 1-3

3 romantische Liebesgeschichten

Katherine Dolann

Levina Lamur

Diese Geschichten sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

Landeanflug ins Glück

Absagen

Betrogen

Die Stellenausschreibung

England

Probezeit

Charles

Der Ausflug

Trevor

Falsche Schlüsse

Geborgenheit

Überraschung

Epilog

(K)ein Star zum Verlieben

Prolog

Die neue Arbeit

Ein einfacher Job

Lanas Song

Dreister Diebstahl

Ein Geständnis

Die Wahrheit kommt ans Licht

Eine unerwartete Gelegenheit

Ich glaub an dich

Demaskiert

Die Lösung gegen das Lampenfieber

Wenn aus Misstrauen Liebe wird

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Landeanflug ins Glück

Absagen

Schon wieder eine Absage. Enttäuscht starrte Ariane auf das Schreiben. Mit dem Brief noch in der Hand, hängte sie Jacke und Handtasche an die Garderobe im Flur, zog wie in Trance ihre Schuhe aus und legte sich, so wie sie war, mit ihrer Kleidung aufs Bett und schloss die Augen. Sie wollte von dem allem nichts mehr wissen. Doch kaum verdrängte sie die erneute Niederlage, erschien in ihrem Inneren das Bild von jenem Tag vor einem Jahr, als alles begonnen hatte.

An einem Donnerstag, September 2016

«Frau Sommerfeldt, Sie sollen sich bitte bei Herrn Dr. Lauinger melden», sagte Frau Schöffel, die Chefsekretärin, als Ariane aus der Mittagspause zurückkam.

«Was will er denn?», fragte Ariane, doch die Chefsekretärin zog nur vieldeutig ihre Augenbrauen hoch und kniff die Lippen zusammen.

Was sollte das denn bedeuten?

Doch die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

«Nehmen Sie bitte Platz», sagte Herr Dr. Efraim Lauinger, als Ariane das Büro ihres Chefs betrat.

Er nickte ihr freundlich zu, griff sich jedoch dann in den engen Hemdkragen, als bekäme er nicht genug Luft.

Ariane versuchte, das ungute Vorgefühl zu verdrängen, das bei dieser Geste in ihr aufstieg.

«Wie Sie wissen, haben wir immer mit offenen Karten gespielt», begann er.

Sie nickte. Er meinte ihre zahlreichen befristeten Verträge. Vor vielen Jahren war sie nach einer Reihe von Computerkursen vom Arbeitsamt in ein Praktikum bei der Lauinger GmbH & Co. KG vermittelt worden. Das mittelständische Unternehmen produzierte und vertrieb Bauteile für industrielle Hochöfen. Nicht gerade eine hochinteressante Arbeit, aber eine Arbeit. Nachdem Ariane sich bewährt hatte, bot man ihr die Krankheitsvertretung für eine ältere Kollegin im Vorzimmer des Chefs an, die sie dankbar annahm. Als Assistentin der Chefsekretärin erledigte sie einfache Büroarbeiten. Danach war sie von einer Befristung zur nächsten übergegangen; die ältere Kollegin war nicht wiedergekommen, hatte jedoch auch nie gekündigt. Wie das gehen konnte, war Ariane schleierhaft, doch sie fragte nicht weiter nach. Sie war froh über ihren Arbeitsplatz und machte sich keine Sorgen über ihre Zukunft.

Herr Lauinger räusperte sich.

«Wir waren mit Ihrer Arbeit immer sehr zufrieden.»

Ariane sah ihn erwartungsvoll an.

Bekam sie etwa doch noch einen unbefristeten Vertrag?

Warum dann aber das Herumgedruckse?

«Sie wissen ja, dass wir Sie als Krankheitsvertretung für Frau Eberlein eingestellt hatten.»

Ariane nickte erneut.

«Wir haben uns immer bemüht, Ihre Stelle aufrechtzuerhalten. Doch die Zeiten sehen in unserer Branche nicht gut aus. Sie wissen sicher, dass viele Hochöfen stillgelegt werden oder gar abgerissen.»

Arianes Mund wurde trocken und ihr Herz begann, schneller zu schlagen.

«Nun, lange Rede, kurzer Sinn – Frau Eberlein ist vergangene Woche in den Ruhestand getreten. Das bedeutet, es besteht rechtlich keine Notwendigkeit mehr, diese Stelle aufrecht zu halten.»

Ariane fragte sich, wo bei all dem die Logik war, doch offenbar glaubte er an das, was er sagte.

«Was ich damit sagen will, ist», er räusperte sich, «dass wir Ihren jetzigen Vertrag nicht mehr verlängern werden.»

«Aber …»

«Ich weiß, was Sie sagen wollen, und ich kann nur sagen, es tut uns sehr leid. Aber so sieht es aus.»

Herr Lauinger zog bedauernd die Schultern hoch.

«Aber es gibt doch Arbeit», sagte Ariane aufgebracht. «Wir haben doch Arbeit für zwei im Vorzimmer.»

«Bisher noch, ja. Ab Januar werden zwei unserer besten Kunden aus Belgien und Frankreich ihre Arbeit einstellen. Damit fehlen uns wichtige Einnahmen.»

Er schüttelte bedauernd den Kopf.

«Es tut mir sehr leid. Wir haben Sie immer gern hier gehabt. Aber da ist nichts zu machen.»

Er öffnete bereits eine Aktenmappe, als wollte er andeuten, dass das Gespräch zu Ende sei.

«Bis wann kann ich denn noch bleiben?»

«Ihr Vertrag läuft Ende September aus.»

«Aber – das hätten Sie mir doch früher sagen müssen!»

«Ja, das ist nicht so glücklich gelaufen, noch einmal, es tut mir wirklich leid. Aber die Stilllegung der beiden Werke sowie Frau Eberleins plötzlichen Übergang in den Ruhestand konnten wir nicht vorhersehen.»

«Bekomme ich dann eine Abfindung?»

Überrascht sah Herr Lauinger Ariane an. Sie war selbst erstaunt, wo dieser Gedanke plötzlich herkam. Doch erneut schüttelte ihr Chef den Kopf.

«Dafür fehlen uns die Mittel. Und Ihr Vertrag war befristet; Sie haben daher keinerlei Anspruch auf eine Abfindung.»

«Aber ich kann mich ja nicht mal mehr rechtzeitig arbeitslos melden.»

«Dafür finden wir schon eine Lösung. Notfalls schreiben wir Ihnen etwas, damit Sie Ihre Ansprüche auf Arbeitslosengeld nicht verlieren.»

Ab diesem Moment konnte Ariane gar nichts mehr sagen. Sie war zutiefst getroffen. Von einer Sekunde auf die andere brach ihr ganzes Leben zusammen.

Wie schon einmal.

«Es steht Ihnen natürlich frei, in den nächsten drei Wochen Ihren Resturlaub zu nehmen, wenn Sie möchten. Wie Frau Schöffel mir sagte, haben Sie noch fünfzehn Tage von Ihrem Jahresurlaub übrig. Der Urlaub steht Ihnen selbstverständlich zu.»

Das bedeutete, dass sie am folgenden Tag praktisch zum letzten Mal überhaupt im Büro wäre. Das konnte doch alles nicht wahr sein.

Warum passierte ihr schon zum zweiten Mal so etwas?

Herr Lauinger erhob sich.

«Selbstverständlich bekommen Sie von uns auch ein einwandfreies Zeugnis. Damit werden Sie leicht eine andere Arbeit finden.»

Wie betäubt stand Ariane auf und verließ das Büro. Den bedauernden Blick in ihrem Rücken sah sie nicht mehr.

Seit jenem Tag hatte Ariane Bewerbung um Bewerbung geschrieben, ohne den geringsten Erfolg. Wenn sie überhaupt eine Antwort bekam, regnete es Absagen. So wie heute. Dabei hatte sie gerade bei dieser Stelle so große Hoffnung gehabt. Wenn sie diesen Posten in einer renommierten Institution bekommen hätte, hätte sie ausgesorgt gehabt. Deshalb hatte sie sich dort beworben, obwohl die Unterlagen sogar per Post eingereicht werden sollten. Ariane fand das altmodisch und umständlich. Sonst bewarb sie sich nicht auf solche Stellen. Doch dieses Angebot hatte so gut geklungen, dass sie sich ausnahmsweise die Mühe mit einer echten Bewerbungsmappe gemacht hatte. Wie sich jetzt herausstellte, jedoch völlig umsonst.

Ohne Angabe von Gründen war sie wieder einmal nicht diejenige, die den Posten bekam. Was hatten die anderen bloß, das sie nicht hatte? Wie so oft fragte sich Ariane, ob es daran lag, dass sie keine Ausbildung hatte. Die ganze schöne Berufserfahrung, die sie inzwischen besaß, war offensichtlich nicht genug. Oder war sie zu alt? Das glaubte sie nicht. Sie war erst fünfunddreißig. Das war ja kein Alter.

Benommen erwachte Ariane aus ihrem Mittagsschlaf. Sie war tatsächlich eingeschlafen; der Brief mit der Absage lag zerknittert halb unter ihr. Erneut überfiel sie der Stich der Absage und sie fühlte sich so deprimiert wie seit langem nicht. Sie versuchte noch eine kurze Weile, allein damit klar zu kommen, doch dann rief sie ihre Freundin Gess an.

Eigentlich hieß sie Gesine, doch niemand nannte sie so. Seit der Schulzeit trug sie den Spitznamen Gess, eine Mischung aus der Kurzform ihres Namens und des englischen guess weil sie, seit sie das Wort im Unterricht gelernt hatte, jeden zweiten Satz begann mit Guess what? Seit der Schule waren sie eng befreundet, und wenn Gess nicht gerade mit ihrem turbulenten Liebesleben beschäftigt war, war sie tatsächlich die beste Freundin, die Ariane sich vorstellen konnte. Gess sagte auch sofort zu, und so fuhr Ariane zu ihr. In der geöffneten Wohnungstür fielen sie sich in die Arme.

«Hallo!»

«Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?», fragte Gess. «Aber komm erst mal rein.»

«Ich habe wieder eine Absage bekommen», sagte Ariane frustriert, während sie ins Wohnzimmer gingen. «Ich weiß nicht, was ich noch machen soll. Diesmal hatte ich ein echt gutes Gefühl. Ich habe total die Nase voll von der ständigen Bewerberei. Bis jetzt hatte ich gerade mal drei Vorstellungsgespräche. Aber auch da hat ja nichts geklappt.»

Gess sah sie nachdenklich an.

«Ich weiß nicht mehr, wie viele Bewerbungen ich in den letzten Monaten geschrieben habe. Das Arbeitsamt schickt mir auch dauernd irgendwelche möglichen und unmöglichen Vorschläge, aber ich bin bald mit meinem Latein am Ende. Was stimmt denn bloß nicht mit mir?», fragte Ariane den Tränen nahe.

Gess setzte sich neben sie und legte den Arm um sie. «Alles stimmt mit dir. Sei nicht traurig. Das richtige Angebot kommt bestimmt noch.»

«Es war doch alles in Ordnung, so, wie es war. Warum konnte es denn nicht so bleiben?», haderte Ariane mit ihrem Schicksal. «Ich hatte wirklich geglaubt, dass ich es geschafft habe. Nach allem was war.»

«Denk nicht mehr daran», sagte Gess. «Es wird bestimmt alles gut. Ich glaube ganz fest daran, nein, ich weiß es.» Sie strich ihrer Freundin übers Haar. «Du hattest es ja auch geschafft. Mach es jetzt nicht schlecht, nur weil irgendwelche Arbeitgeber nicht sehen können, was sie an dir haben.»

Sie stand auf, holte aus der Küche einen Beutel Saft und zwei Gläser und schenkte ein.

«Ich konnte zwar keine großen Sprünge machen», fuhr Ariane fort, «aber es hat zum Leben gereicht. Mehr erwarte ich gar nicht. Warum kann ich denn nicht dieses kleine, einfache Glück behalten?»

Sie hatte jetzt wirklich Tränen in den Augen.

«Es war schwer genug, mir das nach der Scheidung aufzubauen. Aber jetzt …»

Sie begann zu weinen.

Gess rutschte ganz nah zu ihrer Freundin und nahm sie in die Arme. Eine Zeitlang ließ sie sie einfach weinen. Als Ariane sich langsam beruhigte, kam Beppo, der derzeitige Partner von Gess, ein Italiener. Als er Arianes Verfassung sah und Gess ihm nur einen vieldeutigen Blick zuwarf, verzog er sich in die Küche und kreierte für alle eine wunderbare Pasta, die sogar Arianes Stimmung ein wenig anhob.

«Du bleibst heute Nacht hier», sagte Gess und legte ihre Hand auf die von Ariane. Dann sah sie zu Beppo hinüber, der es gut verbarg, falls er enttäuscht war.

«Ist schon gut, ich bin gleich weg», sagte er. «Sagt Bescheid, wenn ihr mich braucht.»

«Nein, nein, du brauchst nicht gehen», wehrte Ariane ab. Sie wollte den beiden nicht im Weg sein. «Ich lasse euch allein. Es wird schon wieder.» Sie versuchte zu lächeln. «Vielen lieben Dank für das wunderbare Essen. So etwas hilft tatsächlich manchmal.»

Sie stand auf, doch Gess zog sie wieder auf den Stuhl zurück.

«Nichts da, du bleibst heute Nacht hier. Es macht Beppo nichts aus, uns allein zu lassen. Nicht wahr, Bep?», fragte sie, wobei die Anweisung in ihrer Stimme und ihrem Gesichtsausdruck unmissverständlich war.

«Nein, natürlich nicht», sagte er und es klang nur dezent beleidigt. «Ich hab‘ ja schon gesagt, ich bin gleich weg.»

Damit stand er auf, gab Gess einen Kuss und ging.

«Es tut mir leid», sagte Ariane mit ehrlichem Bedauern. «Ich falle überall nur zur Last.»

«Das ist ja Quatsch», sagte Gess. «Du fällst niemandem zur Last und mir schon gar nicht. Bep und ich haben uns die ganze letzte Woche dauernd gesehen. Wenn er wollte, würde er hier einziehen. Da tut uns eine kleine Pause mal ganz gut. Vielleicht wollte ich ja, dass du hierbleibst, aus rein egoistischen Gründen.»

Gess grinste.

Diesmal musste Ariane wirklich lächeln. «Du bist lieb. Dankeschön.» Sie trank einen Schluck Wasser. «Was ist denn mit Beppo? Was hast du dagegen, dass er einzieht, falls er das wirklich will? Ein Mann, der so kochen kann, kann so falsch nicht sein.»

«Das stimmt zwar, aber das allein ist nicht das entscheidende Kriterium.»

«Und was ist das entscheidende Kriterium?», fragte Ariane neugierig.

Gess zögerte.

«Naja. Ich weiß auch nicht. Dass man eben irgendwie das Gefühl hat, dass es der Richtige ist. Oder etwa nicht?»

Ariane zuckte mit den Schultern. «Ich weiß nicht. Wie du weißt, lag ich damit ja bereits einmal vollkommen daneben.»

Gess nahm den Hinweis wahr und reagierte sofort. «Ich habe mir vorhin schon gedacht, dass du gerade wieder mit den alten Gespenstern kämpfst. Deshalb wollte ich auch, dass du heute hierbleibst.»

Dankbar sah Ariane ihre Freundin an. «Was würde ich ohne dich machen?»

Gess lächelte. «Willst du darüber sprechen?»

Ariane schüttelte den Kopf. «Was soll das bringen? Wir haben doch schon so oft darüber geredet. Vielleicht werde ich meine Vergangenheit ewig mit mir herumschleppen.»

«Das wirst du nicht!», sagte Gess energisch, stand auf und zog Ariane mit sich hoch. «Hast du Lust, tanzen zu gehen?»

Ariane sah sie überrascht an.

«Wenn du schon nicht reden willst, dann können wir die Gespenster vielleicht tanzend vertreiben», sagte Gess.

«Wenn du meinst …», sagte Ariane langsam. Eigentlich hatte sie in ihrer jetzigen Verfassung überhaupt keine Lust wegzugehen.

Doch Gess‘ Entschlossenheit war wenig entgegenzusetzen. «Ja, das meine ich.»

Zwei Stunden lang wurde Ariane in der Disco, die sie besuchten, tatsächlich besser abgelenkt und auf andere Gedanken gebracht, als sie es erwartet hatte. Auch das Tanzen half auf besondere Weise. Ihren Körper wieder zu spüren, den sie beinahe vergessen hatte, zusammen mit der rhythmischen Musik im Ohr, tat einfach gut. Mal weg von der ständigen quälenden Grübelei, zurück zur Lebensfreude, einfach so, aus dem Moment heraus. Tatsächlich brauchte es dafür nicht viel. Man musste sich nur mal kurz überwinden. Während Ariane tanzte, war sie ihrer Freundin sehr dankbar.

Nachdem sie wieder in Gess‘ Wohnung waren, wo Ariane ein Schlaflager auf dem Sofa bekam, ging Gess bald ins Bett. Doch Ariane lag noch lange wach. Seit Monaten hatte sie dagegen angekämpft und versucht, jeden aufsteigenden Impuls zu unterdrücken, doch jetzt kam alles wieder hoch. Warum nur? War sie nicht seit langem darüber weg? Was war nur los, dass sie sich jetzt fast so schlecht fühlte wie damals?

Schließlich gab sie auf und ließ zu, dass ihr Geist in eine Zeit zurückkehrte, die sie am liebsten aus ihrem Leben gelöscht hätte.

Betrogen

Im Alter von sechzehn Jahren hatte Ariane Sommerfeldt die Schule mit einem mittleren Bildungsabschluss beendet und danach als Bedienung in einem Straßencafé angefangen. Eigentlich sollte es nur ein Nebenjob für die Sommermonate sein, doch sie war heimlich in den Barkeeper verliebt und blieb. Und obwohl der coole Barmann hinter dem Tresen sie nie wahrnahm und ihr der Mut fehlte, ihn anzusprechen, verpasste sie den Moment, in dem sie sich für einen Ausbildungsplatz hätte entscheiden müssen.

Aus dem Nebenjob wurde ein Hauptjob und irgendwann konnte Ariane sich keine andere Arbeit mehr vorstellen. Ihrer Mutter war das gar nicht recht. Wie oft hatte sie ihr gesagt, dass sie nur mit einer anständigen Ausbildung später abgesichert wäre. Ariane wunderte sich manchmal selbst über sich.

Eigentlich passte dieses ‚Hallodri-Leben‘, wie sie es nannte, gar nicht zu ihr. Sie war eher ein bodenständiger Typ. Aber aus irgendwelchen Gründen, die sie nicht verstand, hatte ihr Leben eine andere Wendung genommen, als sie es immer erwartet hatte.

Im Sommer bediente sie die Gäste draußen, im Winter im angeschlossenen Bistro. Sie genoss die Freiheit, keine Schule mehr besuchen zu müssen und machen zu können, was sie wollte. Sie machte sich keine Gedanken darüber, was irgendwann einmal aus ihr werden sollte.

Mit achtzehn lernte sie Eberhard kennen, einen attraktiven Arzt, der zehn Jahre älter war als sie. Er machte sie zur Frau, im wahrsten Sinne des Wortes. Körperlich, emotional, sogar ihren Kleidungsstil und ihre Frisur veränderte er. Zwei Jahre lang ging sie in seinem 150qm - Loft ein- und aus, dann gab sie ihre Wohnung auf und zog ganz zu ihm. Ein weiteres Jahr später heirateten sie. Ariane war einundzwanzig.

Sie dachte, dass ihr Leben nun seine festgefügte Ordnung gefunden hatte, die bislang vielleicht fehlte. Mit Eberhard war die Sicherheit gekommen. Mit ihm erlebte Ariane zwar keine emotionalen Hochs, und sie hätte nicht sagen können, ob er ihre große Liebe war (dazu fehlten ihr auch die Vergleiche), doch es gab auch keine Tiefs. Sie hatte ohnehin nie viel erwartet und mit Eberhard war das Leben einfach, um nicht zu sagen, bequem. Sie brauchte sich um nichts zu kümmern, außer den Hausangestellten ein paar Anweisungen zu geben; sie gab ihre Arbeit als Bedienung auf, und war nur noch für ihren Mann da. Es war ein sorgloses Leben mit schönen Reisen, eleganter Kleidung und teurem Schmuck. Wenn ihr etwas fehlte, dachte sie nicht weiter darüber nach, sondern ging ein neues Accessoire für die Villa kaufen, die sie inzwischen bewohnten. Oder sie traf sich mit Gess zu einem Kaffee. Dabei dachte Ariane jedes Mal, wenn ihre Freundin wieder mit Liebeswirren zu kämpfen hatte, wie froh sie selbst darüber war, keine derartigen Gefühlsstürme aushalten zu müssen.

Bis sie eines Nachmittags doch in einen Sturm geriet.

Sie war mit Gess über ein verlängertes Wochenende nach Paris gefahren, ein Geburtstagsgeschenk von Eberhard. Ariane hatte sich wirklich auf die Reise gefreut, doch ihre Freundin befand sich mal wieder an einem heiklen Punkt einer ihrer vielen Kurzzeitbeziehungen.

Felipe, ein spanischer Künstler, wollte bald in seine Heimat zurückkehren, und Gess litt unter unsäglichem Liebeskummer. Sie war so unruhig, dass die einzige Umgebung, die sie wahrzunehmen schien, aus dem Display ihres Handys bestand.

Schließlich fuhren die beiden Frauen schon in der Nacht zum Sonntag wieder zurück. Als Ariane am frühen Sonntagmorgen nach Hause kam, wunderte sie sich über einen roten Porsche in der Auffahrt. Der Wagen kam ihr vage bekannt vor, doch ihr fiel nicht ein, wem er gehörte. Warum stand er um diese Zeit in der Einfahrt? Ihr Herz schlug schneller. Mit einer dunklen Vorahnung trug sie ihren Rollkoffer die letzten Meter bis zum Haus, um keinen Lärm zu machen, und schloss leise die Tür auf. Ebenso geräuschlos zog sie die Schuhe aus und schlich sich voran.

In der Küche standen die Reste eines Essens mit zwei benutzten Tellern sowie eine leere Flasche Wein.

Was war hier los?

Im Wohnzimmer sah alles so aus wie immer – bis auf eine weitere angebrochene Flasche Wein und zwei nicht ganz geleerte Weingläser. Arianes Herz klopfte noch heftiger, während sie die Luft anhielt. Alle ihre Sinne waren hellwach. Auf Zehenspitzen stieg sie die Treppe nach oben. Obwohl sie sich seltsam vorkam, so dramatisch wie in einem Film zu handeln, gaben die Indizien ihr das Recht dazu.

Die Tür zum Schlafzimmer war nur angelehnt; sacht stieß sie sie auf. Im Bett lag Eberhard – und in seinem Arm, an seiner Brust hielt er eine Frau mit langen roten Haaren. Es war kein natürliches orangeähnliches Rot, sondern ein künstlich gefärbtes Rot, das eher an die Farbe des Sportwagens erinnerte, vielleicht einen Tick dunkler. Auf jeden Fall äußerst auffällig.

Sie schliefen, und soweit die Decke diese Vermutung zuließ, waren beide nackt. Die Haare der Frau flossen über Eberhards Brustkorb und Ariane kamen sie vor wie ein glühendes Feuer, das um sein Gesicht loderte.

Gefühlte zwei Minuten lang stand sie da und starrte das Bild an. (In Wirklichkeit waren es kaum mehr als einige Sekunden.) Sie konnte nicht glauben, dass ihr so etwas passierte. Mehr als auf dem Weg nach oben kam sie sich wie die Darstellerin eines Films vor.

Das war nicht sie, der so etwas passierte.

Gleich würde der Regisseur sagen «Cut! Alles auf Anfang!», alle würden lachen und sich räkeln und die Szene noch einmal spielen.

Alles in ihrem Leben war perfekt gewesen. Sie war die perfekte Ehefrau, mit dem perfekten Ehemann, in einem perfekten Haus. Nur Kinder hatten noch gefehlt, die sich trotz ihrer Bemühungen noch nicht eingestellt hatten. Aber sie hatte immer geglaubt, das käme alles noch. Stattdessen kam – sie.

Ariane wusste jetzt, wem der rote Porsche gehörte. Lara Held, einer Kollegin von Eberhard. Einer, wie alle sagten, ‚ausgezeichneten Chirurgin‘. Doch was machte diese ausgezeichnete Chirurgin in ihrem Bett?

Ariane wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sollte sie schreien? Aber was würde das bringen? Es ergäbe nur eine für alle Beteiligten mehr als demütigende Situation. Beherrscht, wie sie war, ging sie langsam wieder nach unten, stand eine weitere Ewigkeit verloren im Wohnzimmer herum, sah durch die Terrassentür in den schönen Garten und sah doch nichts. Vor ihrem inneren Auge hing noch das Bild vom Ende ihrer Ehe. Der Eindruck war so intensiv, dass sie meinte, sie würde es ihr Leben lang nicht vergessen.

Plötzlich kam ihr ein Titel in den Sinn: Der Feuersturm. Untertitel: Das Scheitern meiner Ehe.

Was für ein beeindruckendes Gemälde.

In diesem Moment wusste Ariane, dass es die Wahrheit war.

Ihre Ehe war gescheitert.

Sie konnte es gar nicht glauben. Grundsätzlich war sie der Meinung, dass jede Ehe in eine Krise geraten konnte und dass das nicht das Ende bedeutete. Zwar hatte sie das nach fünf Jahren noch nicht erwartet, aber es konnte schließlich immer passieren, es konnte jeden treffen. Sie war davon überzeugt gewesen, dass es in so einem Fall Wege aus der Krise geben würde. Das ‚in guten wie in schlechten Tagen‘ hatte sie nicht leichtfertig ausgesprochen, sondern wirklich daran geglaubt, dass sie sich nicht von kleineren oder größeren Schlägen aus der Bahn werfen lassen, sondern zu ihrem Mann stehen würde. Selbst ein Ehebetrug war kein Grund dafür, alles hinzuwerfen – wenn man sich liebte, oder wenn es eine Basis für diese Liebe gab.

Doch bei ihnen war die Lage anders. Bei dem fast schönen Bild der fremden Frau an der Brust ihres Mannes war Ariane mit einem Mal klar geworden, dass sie Eberhard nicht liebte. Und zwar absolut und überhaupt nicht. Vielleicht hatte sie ihn nie wirklich geliebt. Deshalb gab es für sie auch keine Hoffnung. Es spielte nicht mal eine Rolle, ob das heute ein einmaliger Ausrutscher oder eine dauerhafte Affäre war (wobei Ariane eher auf Letzteres tippte). Das alles hatte keine Bedeutung, außer ihr auf unsanfte Art mitzuteilen, dass es unwiderruflich aus und vorbei war. Das war so überraschend und gleichzeitig so klar, dass Ariane nicht einmal weinen konnte.

Noch einmal ging sie nach oben, prägte sich das Bild ein, als wollte sie sich vergewissern, dass ihre Erkenntnis richtig war, dass sie keinen Fehler beging. Vielleicht auch für sich selbst. Um nie zu vergessen, warum sie dieses komfortable Leben aufgegeben hatte, noch dazu so überraschend.

Die beiden schliefen immer noch und bekamen nichts mit von dem Kampf, den Ariane mit sich selbst ausfocht. Ihr Gefühl wurde bestätigt – sie konnte hier nicht mehr bleiben. Es würde allem widersprechen, was sie selbst war. So wenig das auch sein mochte, aber das hier war sie nicht.

Sie ging in ihr Zimmer, packte ein paar Kleidungsstücke und ein paar persönliche Dinge in eine Umhängetasche, schnappte sich wieder ihren unausgepackten Rollkoffer und verließ das Haus.

Ihre Scheidung war kurz und schmerzlos. Eberhard zeigte sich kooperativ, was die Auflösung ihrer Ehe anging, allerdings nicht beim Geld. Davon sah Ariane nichts. Bei ihrer Hochzeit hatten sie einen Ehevertrag abgeschlossen, der Eberhard von allen Zahlungen freisprach. Ariane hatte es damals guten Glaubens unterschrieben, weil sie ihn nicht wegen des Geldes heiratete, und sowieso dachte, dass sie das nie brauchen würde. Der finanzielle Aspekt war für sie tatsächlich nicht wichtig, wie sie verwundert feststellte. Obwohl sie kaum über eigene Ressourcen verfügte, wollte sie nur diese Ehe hinter sich lassen.

Im Nachhinein hatte sich herausgestellt, dass Eberhard und die attraktive Chirurgin schon über ein Jahr lang liiert waren. Ariane fühlte sich unglaublich belogen und hintergangen. Alles, was sie wollte, war, die Tür hinter sich zu schließen und nie mehr zurückzublicken.

So stand sie da, mit sechsundzwanzig Jahren, geschieden, ohne Arbeit, ohne Ausbildung, ohne Einkünfte. Am Anfang wohnte sie bei Gess, doch das war keine Dauerlösung. Mit aller Kraft stürzte Ariane sich in die Arbeitssuche.

Die Agentur für Arbeit zahlte ihr Kurse für Computerschreiben und den Umgang mit digitalen Programmen und schickte ihr Stellenvorschläge. Immer wieder musste sie sich in Firmen vorstellen, die ihr jedoch bald absagten. Das Arbeitsamt unterstützte sie weiter, auch finanziell, und schließlich bekam Ariane einen Praktikumsplatz bei Lauinger. Ariane hatte einen Job, eigenes Geld, und war so glücklich wie lange nicht.

Die Stellenausschreibung

Mit steifem Nacken wachte Ariane auf. Als sie ein knallbuntes Bild an der Wand gegenüber sah, war sie für einen Moment verwirrt, doch dann erkannte sie Gess‘ Wohnung und ihr fiel alles wieder ein. Der Gedanke an die Absage quälte sie erneut und unvermindert.

Mühsam setzte sie sich auf, bewegte vorsichtig ihren Hals und Rücken und klopfte ein paar Sofakissen zurecht. Dann stützte sie den Kopf in ihre Hände und starrte auf das Teppichmuster zwischen ihren Füßen. Wie sollte es nur weitergehen? Sie musste doch irgendwann wieder eine Arbeit finden. Den Sommer über hatte sie kurze Zeit als Bedienung gejobbt, aber es war nicht mehr wie früher gewesen. Mehrere Male hatte sie sich gefragt, wie sie das so lange ausgehalten hatte. Irgendwie passte es nicht mehr zu ihr.

Sollte sie eine Ausbildung machen? Mit fünfunddreißig?

Am nächsten Tag kaufte Ariane wie jeden Samstag die Wochenendausgabe der Tageszeitung. Obwohl es ein Luxus war, den sie sich kaum leisten konnte, setzte sie sich damit in ihr Lieblingscafé, bestellte eine heiße Schokolade und begann, die Stellenanzeigen zu studieren.

Auf der ersten und zweiten Seite war nichts Passendes dabei. Gegen ihren Willen begann ihre Stimmung schon wieder unmerklich abzusacken, da geschah etwas Außergewöhnliches. Als sie die dritte Seite aufschlug, wurde ihr Blick magisch angezogen von einer Anzeige in der unteren Ecke. Es war, als hätte jemand alle anderen Stellenangebote grau unterlegt und nur von dieser einen Anzeige ging ein seltsam anziehendes Licht aus. Neugierig las Ariane den Text:

Gesellschafterin für Privathaushalt gesucht

Für Herrn mittleren Alters (kein Sex!). Unterstützung im Alltag, geringfügige Betreuungsaufgaben, Begleitung zu kulturellen Veranstaltungen, Spazierfahrten, Gespräche. Keine Pflege, keine Hausarbeit, nur leichte Tätigkeiten.

Unabdingbar: Sympathie und Vertrauen. Voraussetzungen: Umgängliches Wesen, Zuverlässigkeit, gute Umgangsformen, Bereitschaft, im Süden Englands auf dem Land zu leben, mittelgute Englischgrundkenntnisse. Vorteilhaft, jedoch nicht Bedingung: PKW-Führerschein, Tierliebhaberin.

Vollzeitposition in Festanstellung. Beginn zum nächstmöglichen Zeitpunkt (je früher, desto besser). Unterkunft und Verpflegung frei, großzügige Bezahlung.

Anreise zum Kennenlernen wird erstattet. Muttersprachliche Bewerber aus Deutschland bevorzugt. Zeugnisse erbeten, jedoch entscheidet die Sympathie.

Bewerbungen mit den üblichen Unterlagen bitte an ellton@mail...

Ein Kribbeln erfasste Ariane.

Das war es! Das war die Chance, auf die sie gewartet hatte! Das war ihrJob!

Sie war so aufgeregt, dass sie sofort Gess anrief, doch die antwortete nicht. Wahrscheinlich kuschelte sie noch mit Beppo.

Ariane schrieb ihr eine SMS: «Ruf mich an! Ich habe den TOPJOB! Den Jackpot! Ich gehe nach England!!!!! :-)»

Danach versuchte sie, anstandshalber die restlichen Stellenanzeigen zu lesen, konnte sich jedoch auf nichts mehr konzentrieren. Als sie es weiter versuchte, meldete sich ein leises Pochen in den Schläfen, wie ein Vorbote von Kopfweh. Da ließ sie es.

Wieder und wieder las sie die Anzeige. Warum suchten sie jemand aus Deutschland? Und was war das für ein Herr? Auf jeden Fall war es eine einfache Arbeit, die sie definitiv machen konnte. Und sie war hübsch, ein weiterer Pluspunkt. Nur was, wenn es ein alter Griesgram war? Dann wäre es vielleicht doch nicht so lustig. Ach was. Ariane schob die Meckerer aus ihrem Inneren beiseite. Dann zahlte sie und eilte nach Hause.

Sie musste eine Bewerbung schreiben!

Sie war gerade mitten im Anschreiben, als es an der Tür klingelte. Verwundert öffnete Ariane. Vor ihrer Wohnung stand Gess, nach Luft schnappend. Offenbar war sie die Treppen hochgerannt.

«Bist du jetzt völlig verrückt geworden?», rief Gess, kaum, dass sie wieder atmen konnte.

«Hallo erstmal», sagte Ariane, während ihre Freundin sie beiseite drängte und in die Wohnung stürmte.

«Entschuldige, hallo.» Gess grinste angestrengt. Es sah nicht wirklich fröhlich aus. «Bitte sag mir sofort, dass das ein schlechter Scherz war. Beppo wollte, dass ich da bleibe und dich anrufe, aber ich sagte, du schreibst sowas nicht einfach so. Ich hab‘ mich so aufgeregt, dass ich herkommen musste.»

«Jetzt beruhig dich erstmal. Noch bin ich ja da.»

«Aber du meinst es ernst?»

Ariane nickte. Dabei folgte sie eher ihrem Gefühl als einer rationalen Entscheidung.

«Was ist das für eine Arbeit? Und wieso hast du so plötzlich schon eine Zusage? Vorgestern hast du mir noch die Ohren vollgeheult. Da hast du kein Wörtchen davon gesagt, dass du morgen auswandern willst. Und jetzt auf einmal?» Gess ließ sich aufs Sofa fallen.

«Ich hatte ja selbst keine Ahnung. Es kam alles sehr überraschend. Heute Morgen habe ich erst die Anzeige gelesen.» Ariane holte die zusammengefaltete Zeitungsseite von ihrem Tisch.

Gess starrte sie entgeistert an. «Du hast noch gar keine Zusage?»

Langsam schüttelte Ariane den Kopf. «M-m.»

Gess stieß einen kurzen Schrei aus.

«Und deshalb hetzt du mich durch die ganze Stadt? Am Samstagmorgen? Ich könnte mich jetzt noch selig mit Beppo in den Kissen wälzen! Mensch!» Wütend sah sie Ariane an. «Wieso machst du dann so ein Tamtam, wenn noch gar nichts dingfest ist?»

«Weil ich weiß, dass es das ist. Ich fühle es.»

Ariane legte eine Hand auf ihr Herz. Sie wunderte sich selbst darüber, woher sie die Gewissheit nahm. «Hier, lies selbst.»

Sie reichte Gess die Anzeige.

Für eine Minute war Stille. Dann ließ ihre Freundin das Zeitungsblatt sinken. «Du musst verrückt sein. Dafür willst du nach England fliegen? Wer weiß, was das für einer ist. Und warum will er überhaupt jemanden aus Deutschland? Damit keiner nach dir sucht?»

Sie schüttelte den Kopf und gab Ariane die Anzeige zurück. «Das kann nicht dein Ernst sein.»

«Warum nicht?» Langsam wurde auch Ariane wütend. «Der Job klingt supereasy! Keine Hausarbeit, keine Pflege, nur mit ihm spazieren gehen und mit ihm sprechen, ihn zu Veranstaltungen begleiten. Das ist ein Witz, keine Arbeit! Und ich wollte schon immer mal nach England. Der Süden!» Ein träumerischer Ausdruck zog über ihr Gesicht. «Vielleicht sogar am Meer!»

Gess rümpfte die Nase. «‘Auf dem Land‘, stand da. Das ist nicht am Meer. Ich glaube, du machst dir völlig falsche Vorstellungen. Du hast zu viele Filme gesehen und jetzt hast du irgendwelche wer weiß wie romantische Bilder im Kopf von einem Schlossherrn, der sich in dich verliebt! In Wirklichkeit wird es ein alter Eigenbrötler sein, der keinen Kontakt zur Außenwelt hat, in einem völlig heruntergekommenen Cottage lebt, wo du spätestens nach drei Wochen völlig vereinsamt und frustriert bist. Wenn du Glück hast, gibt es noch eine mürrische Hauswirtin und einen tauben Gärtner. Ich kann’s mir lebhaft vorstellen.» Sie hielt inne, dann fiel ihr noch etwas ein. «Und irgendwie ist die Anzeige doch auch seltsam geschrieben.

‚Mittelgute Englischgrundkenntnisse‘ – was soll das denn heißen? So redet doch niemand.»

«Vielen Dank fürs Gespräch.» Ariane war kurz davor, enttäuscht zu sein. «Statt, dass du dich mit mir freust.» Doch sie war auch hartnäckig. Wenn sie einmal etwas wollte, blieb sie dabei. «Das mit der Sprache bedeutet doch nur, dass man nicht in Oxford studiert haben muss, sondern sich eben verständigen können soll, und das kann ich. Wahrscheinlich schreiben sie nicht jede Woche so eine Anzeige; das spricht doch eher für und nicht gegen sie. Und wenn er so zurückgezogen leben würde, wie du tust, würde er nicht zu kulturellen Veranstaltungen gehen. Auch dass sie die Anreise zum Vorstellungsgespräch bezahlen, finde ich super. Egal, ob es klappt oder nicht, sie bezahlen mir eine Reise nach England! Ich finde, das alles klingt so richtig gut. Und hast du mal die Bezahlung gesehen? Unterkunft und Verpflegung sind frei, plus großzügige Bezahlung! Das heißt, ich brauche dort so gut wie kein Geld, und kann mir leicht etwas zusammensparen. Und das dafür, dass ich kaum arbeiten muss!»

«Papier ist geduldig. Wahrscheinlich hatte er gerade die Nase voll vom Spinnweben abwischen», sagte Gess.

«Du willst es einfach nicht verstehen. Ich habe es im Gefühl – es ist richtig.»

«Ich kenne dein Gefühl. Du hast genug von der Arbeitssuche und willst aus allem ‚raus. Und ich kann dich sogar verstehen. Aber glaub mir – das hier ist nicht die Lösung.» Gess sah Ariane fest in die Augen. «Kannst du nicht noch ein bisschen warten?» Es klang fast flehentlich. «Du findest bestimmt hier was.»

«Ich suche schon seit einem Jahr. Weißt du, wie lange ein Jahr sein kann, wenn man sucht und sucht, aber nicht findet?» Arianes wirkte resigniert. «Seit wann habe ich keinen richtigen Lebensinhalt, ich weiß es gar nicht. Eigentlich, glaube ich, hatte ich noch nie einen. Weder im Bistro, noch mit Eberhard, und auch die Arbeit bei Lauinger hat mich nie wirklich erfüllt. Jahrelang habe ich vor mich hingelebt, aber hatte dabei immer das Gefühl, dass etwas Wesentliches fehlt.»

Gess sah sie betroffen an. «Das wusste ich nicht.»

«Ich wusste es ja selbst nicht. Irgendwie wird es mir gerade erst so langsam klar. Es wird Zeit, dass ich herausfinde, was ich wirklich will. Es muss noch mehr geben, als Tag für Tag vor sich hinzuvegetieren.» Als sie erneut sprach, klang ihre Stimme selbstsicherer. Ein aufmerksamer Beobachter hätte jedoch bemerken können, dass sie sich gar nicht so stark fühlte, wie sie tat. «Ich werde mich auf jeden Fall dort bewerben. Ich habe nichts zu verlieren. Und wenn sie mich einladen, fliege ich hin und sehe es mir an.»

Gess‘ Miene wurde traurig. «Und was ist mit mir? Zähle ich gar nicht?»

Eine Woge der Zuneigung überkam Ariane.

Innig nahm sie ihre Freundin in die Arme und drückte sie an sich.

«Natürlich zählst du. Ich werde dich schrecklich vermissen. Aber ich kann mir diese Chance nicht entgehen lassen. Und wenn sie mich wirklich nehmen, hoffe ich sehr, dass du mich besuchen kommst.» Sie lächelte. «Du kannst ja Beppo mitbringen.»

Gess lächelte schief. Sie versuchte, sich ihre Verzweiflung nicht anmerken zu lassen, denn sie war mehr als aufgewühlt. Ariane war ihre einzige und beste Freundin. Ohne sie fühlte sie sich manchmal wie verloren. Nur bei ihr hatte sie so etwas kennengelernt wie Heimat, eine Zugehörigkeit, die sie bei ihren Partnern bisher vergeblich gesucht hatte. Doch jetzt wollte ihre einzige Festung sie verlassen.

Als hätte Ariane ihre Gedanken gelesen, sagte sie: «Ich verlasse dich nicht. Es ist ja nicht für immer. Möglicherweise mal für ein Jahr. Bis dahin finde ich vielleicht heraus, was ich will und komme mit neuen Ideen zurück. Auf jeden Fall verspreche ich dir, dass du mich nicht verlieren wirst.» «Wirklich?»

«Versprochen.»

«Sehr geehrte Frau Sommerfeldt, wir danken Ihnen sehr für Ihr Interesse an der ausgeschriebenen Stelle …», doch bedauerlicherweise müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir uns für eine andere Bewerberin entschieden haben.

So oder so ähnlich lautete seit Monaten jedes Antwortschreiben. Ariane wollte es gar nicht wissen und klickte die Mail frustriert wieder weg, bevor sie sie ganz gelesen hatte. Enttäuschung machte sich in ihr breit. Sie hatte sich schon im Flugzeug nach England gesehen.

Doch nachdem sie zwei Werbemails gelesen hatte, dachte sie, wenn sie schon eine Absage bekam, wollte sie es auch wissen, und öffnete die Mail erneut.