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Luise, eine junge Frau, fragt sich selbst, warum sie so Vieles macht, was sie "eigentlich" gar nicht machen möchte. Ein guter Freund ihrer Mutter schenkt ihr von Herzen einen Aufenthalt in Frankreich, wo sie bei dem Verwalterpaar Irma und Urs untergebracht ist. Dort wird sie herzlich aufgenommen. Luise wird mit einer ganz anderen Denkweise und Sicht der Dinge konfrontiert und beginnt ihre bisherige Wertewelt zu hinterfragen. Sie lernt dort die Vielemöglichkeitenwelt kennen, die Macht der Gedanken und den Weg, sich aus der eigenen Begrenzung zu befreien. Eingepackt in eine kleine Geschichte sind es gerade die trivialen Dinge, die das Leben so oft so schwer machen und die Lösung ist so viel näher, in den meisten Fällen in uns selbst.
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Seitenzahl: 278
Veröffentlichungsjahr: 2025
Iris Liebmann
Heilpraktikerin für Psychotherapie
Ohne Asche kein Phönix.
Die schweren Zeit sind im Nachgang immer die Zeiten, aus denen wir unglaublich gewachsen sind.
Iris Liebmann
Luise und der Zauber von Freundschaft und Worten
Ein Geschenk von Herzen
Widmung
Danke an meine Kinder Ruby, Tina und Joshua, die besten Lehrmeister meines Lebens. Nichts gibt so viel Kraft, wie die Liebe, die uns verbindet.
Vorwort
Das Buch und viele Gedanken haben ihren Anfang in einer Zeit meines Lebens gefunden, die wohl zu der kältesten, traurigsten und einsamsten Epoche zählt. Doch wie so oft sind eben schwere Zeiten häufig der Anfang guter Zeiten. Ohne diese Zeit hätte ich wahrscheinlich heute nicht das schöne Leben, welches ich eben habe und vor allem nicht die Fröhlichkeit und Leichtigkeit und wieder den Mut und die Umsetzungskraft zu den vielen Ideen, die meine guten und liebsten Freunde an mir schätzen und mich in allem so viel unterstützt und begleitet haben. Dafür möchte ich gerade diesen mir besonders lieben Menschen danken. Das Geschenk von Herzen entstand aus all den Fragen und Erkenntnissen, die mir geholfen haben, mein Lachen wiederzufinden. Mögen diese Fragen und Erkenntnisse alle inspirieren, die sich auf die Suche gemacht haben, ihr Leben neu zu kreieren.
Cover
Titelblatt
Widmung
Vorwort
Luise in Berlin
Tag 1
Tag 2
Tag 3
Tag 4
Tag 5
Tag 6
Quellennachweise:
Urheberrechte
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Titelblatt
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Vorwort
Quellennachweise:
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Luise in Berlin
Berlin, eine große Stadt, voller Häuser und Straßen, voller Menschen und Eile. Luise wohnte in Berlin, Luise - wohnte alleine in Berlin, arbeitete in Berlin, lief durch Berlin.
Eine junge Frau, gerade etwas über 30 Jahre, Tag, für Tag, für Tag, für Tag durch Berlin.
Eigentlich könnte alles so schön sein, denn Luise mochte eigentlich große Städte, mochte eigentlich gerne durch Läden bummeln und sich eigentlich auch gern mit Freunden treffen.
Eigentlich………… was für ein Wort, eigentlich, gibt es auch uneigentlich?
Luise hatte ein paar liebe Freunde: Da war Freundin Mara, manchmal gingen sie gemeinsam aus, redeten und lachten zusammen. Manchmal hörte Luise Mara zu und manchmal hörte Mara Luise zu. Auch Julian war da, ein Freund eben, zum Ausgehen, gemeinsam einen Film kucken, über Leichtes reden. Auch das mochte Luise.
Herr König war ein besonderer Freund von Luise, das heißt, eigentlich war Herr König ein besonderer Freund von Luises Mutter. Was das bedeutete, was die beiden über so viele Jahrzehnte mit-einander verband, das wusste Luise auch nicht so genau, nur dass Herr König eben anders war als die meisten anderen Menschen und vor allem als die meisten anderen Menschen, welche Freunde ihrer Mutter waren. Er war älter, gar nicht so groß, hatte ein Bäuchlein, graue Haare, - also nein, er hätte wohl graue Haare, wenn er welche gehabt hätte, nur sein Dreitagebart verriet, dass diese dann wohl grau gewesen wären. Herr König hatte ein helles, offenes Gesicht, seine verschmitzten, blauen Augen leuchteten immer hinter den Gläsern seiner runden Drahtgestell - Brille und die Wangen zeigten tiefe Grübchen, wenn er lächelte. Irgendwie tat es Luise gut, wenn er da war. Obwohl Herr König selten viel sprach, fühlte sich Luise bei ihm wohl. Er schien ihr so wissend, manchmal hatte sie das Gefühl, als könne er in ihr Herz blicken.
Eines Tages lud Herr König Luise zu sich zum Kochen und zum Essen ein. Das machte Herr König manchmal, in seiner großen Wohnung, in dem großen Altstadthaus, ganz oben, in der obersten Etage. Besonders die Küche hatte einen hohen Stellenwert in der Wohnung, mit dem besonders großen fünf- flammigen Gasherd und der besonderen Wasserleitung, für besonders gefiltertes Wasser, denn Herr König kochte und aß gern, vor allem kochte er gern für Freunde und mit Freunden. Heute war nur Luise eingeladen.
Sie fuhr mit der U-Bahn in die Uhlandstraße, ging an dem kleinen Park, der großen Kirche und dem plätschernden Brunnen vorbei, hin zu dem Haus, in dem unten der kleine Antiquitätenladen war, in dem es immer den leckeren Kaffee gab, hin zur großen Holzeingangstür. Die Tür war mächtig und sehr dunkel. Eine massive Holztür mit einem schweren Türgriff. Luises Hand drückte die Klinke kräftig herunter, dabei bemerkte sie, dass die Tür nur angelehnt war, sodass Luise direkt in den dunklen Hausflur eintrat. Ein bisschen hatte sie das Gefühl, wie in einem Abenteuerfilm in eine andere Welt einzutreten. Die Wände: so hoch, bemalt und dunkel. Es hallten die leisen Geräusche ihrer Bewegungen leicht nach. Fast etwas gespenstisch kam es ihr vor, den breiten Flur entlang zu schreiten, hin zu einer gewaltigen Treppe, die zu den oberen Stockwerken führte. Die Stufen waren stark ausgetreten, sie schienen bei jedem Schritt leise zu stöhnen. Luise überlegte, wie viele Menschen wohl in diesem Haus gelebt haben mussten, wie viele Schritte durch diesen Flur hinauf und hinab der Treppe gegangen worden waren, dass so schwere Stufen derart ausgetreten waren. Der Anblick und das Knarren der Stufen verrieten, dass das Haus schon viele, viele Jahrzehnte alt war und viele, viele Geschichten bewahrte.
Im vierten, gefühlt 10ten Stockwerk angekommen, vor der wohl handgefertigten Holztür ohne Namensschild, wollte Luise gerade den großen, schweren Türklopfer heben, da bemerkte sie, dass die Tür nur angelehnt war. Das war typisch für Herrn König. So, wie er seine Tür zur Wohnung offen stehen ließ für Luise, war auch sein Herz für Luise liebevoll und weit geöffnet.
Luise trat ein und schaute sich um, der lange Flur, links zum Wohnzimmer, rechts zur Küche und den anderen Räumen. Sie lauschte und hörte klappernde Geräusche aus der Küche. Es hatte etwas Selbstverständliches, hier sein zu dürfen, willkommen zu sein, wie sie es sonst noch nirgends empfunden hatte, nicht einmal zu Hause, - dort war ja auch niemand, der raschelte und sich freute, wenn sie nach Hause kam. Herr König stand in der Küche und war bereits geschäftig am Vorbereiten. Er lächelte sichtlich vergnügt, schaute dabei nicht auf, sondern schnippelte weiter und dennoch spürte Luise, dass sein Lächeln ihr galt. Es war, als wäre sie die ganze Zeit schon immer und dauernd dort gewesen, es war das Gefühl von Selbstverständlichkeit von: Das war so, das gehört so, das bleibt so, das ist richtig so.
Auf dem Tisch lagen eine Schürze und ein Schneidbrettchen, ein scharfes Messer - ein richtig scharfes Messer - liebevoll von einem sehr besonderen Schleifstein geschärft, glitzerte die Klinge - so, wie es Herr König liebte.
Luise nahm das Messer in die Hand und fuhr vorsichtig mit dem Daumen über die Klinge. Herr König blickte über seinen Brillenrand auf ihr Tun und lächelte kaum sichtbar. Sie ahnte, wie sehr er sich innerlich darüber freute, dass Luise die Schärfe der Klinge bemerkte, beachtete und, das war sicherlich das Wichtigste für ihn, wertschätzte. Er hatte ihr einmal gesagt, dass es gerade die kleinen Dinge sind, die etwas ganz Triviales zu etwas ganz Besonderem werden lassen. Neben dem Messer lag der Schleifstein, nein, es war nicht einfach ein Stein, es war ein Rollschleifer auf dem Tisch. Das Messer wird hierbei durch eine Magnetschleiflehre gezogen, die im Winkel von 15 Grad das Messer führt und somit weniger Material von der Klinge abschleift, diese aber gerader führt und damit schärfer in ihrer Beschaffenheit macht. Das wusste Luise noch, denn die Art, wie Herr König ihr davon erzählt hatte, während er dabei eines seiner Messer schärfte, war an sich schon sehr beeindruckend gewesen, denn wie all die Dinge, die Herr König machte, war er auch hierbei ganz bei der Sache, ganz seiner Aufgabe zugewandt, ganz zufrieden und einig mit dem Tun gewesen. Das war es auch, was Luise an ihm so magisch fand. Diese Freude, die er dabei ausstrahlte, zog Luise schnell mit in die Ruhe, als würde sie die Bühnen wechseln.
Neben dem vorbereiteten Platz lag ein Kochbuch, aufgeschlagen auf Seite 135:
Zum Essen gingen sie in das am anderen Ende des Flures befindliche große Esszimmer, mit dem großen, in der Mitte stehenden Esstisch. Viele große, hohe Fenster ließen die Sonne den Raum durchfluten. Der Turm der gegenüberliegenden Kirche war das Einzige, was von außen hereinblickte. Eine Kerze flackerte in einem großen silbernen Ständer auf dem Tisch, leise spielte Phil Coulter seinen Coultergeist auf dem Klavier im Hintergrund. Ein guter Tropfen Wein dürfe nicht fehlen: So holte Herr König eine außergewöhnliche Flasche aus einem außergewöhnlichen Schrank, gefertigt aus schwerem, dunklem Holz, mit sonderbarer Schnitzerei, die nach alter Handarbeit und Kunst aussah. Luises Blick haftete an dem Schrank, haftete an dem Geschehen, an der Art, wie Herr König den Akt des Kredenzens zelebrierte. Wie langsam und - ja, es schien etwas Zufriedenes oder auch Selbstgefälliges in dem Akt zu liegen, mit welcher Konzentration Herr König mit dem Wein beschäftigt war - oder war es vielleicht die Aufmerksamkeit, dass es einfach gerade nichts anderes für Herrn König gab, als das Herausholen und Öffnen des Weines.
Die Flasche sah alt aus, beziehungsweise das Etikett sah alt aus, es wirkte auf Luise wie ein kleines Kunstwerk. Drei Masken, es erinnerte Luise an ein altes Theater. Ein besonderer Jahrgang, es war ein 1986 Château Mouton Rothschild. „Ein Tropfen, den es nur selten zu kosten gibt,“ Herr König lächelte, als halte er einen wirklichen Schatz in seinen Händen, „30 Jahre hat das Tröpfchen aus Pauillac bei Bordeaux darauf gewartet, heute von uns verkostet zu werden, einzig dafür sind die Trauben gewachsen und gereift, liebe Luise.“ Genussvoll, geradezu ehrfurchtsvoll drehte er den Korkenzieher in den Naturkorken und zog ihn langsam heraus und füllte die Gläser. Ein Tropfen, der über die Zunge, über den Gaumen, über den Magen in die Tiefe geht, in die Mitte aller Gefühle und sich dort verteilt, in alle Richtungen des Körpers, Wärme ausstrahlt und die Sinne öffnet. Luise fühlte sich plötzlich unglaublich wohl und sicher, hier durfte sie sein, so wie sie war, konnte reden, konnte schweigen, konnte lachen oder weinen.
Eine Weile saßen beide da und genossen den Wein und die Kerze, die leicht flackerte, dann begannen sie zu essen. Luise beobachtete Herrn König, wie er erst die Augen schloss und den Duft des Essens in sich aufnahm. Die innere Freude auf den in Kürze kommenden Gaumengenuss war in seinem Gesicht zu lesen. Luise sah fast neidvoll, wie er immer wieder jeden Happen genoss. Fast andächtig nahm er einen Bissen und kaute mit geschlossenen Augen langsam und nach innengekehrt mit dem Ausdruck höchsten Wohlgefallens. Sie bewunderte ihn um die Ruhe, die er ausstrahle, um das Bewusstsein, welches er jedem Bissen zuteilwerden ließ, um die Freude und Zufriedenheit, die seine Gesichtszüge verrieten. Sie erinnerte sich an seine Worte:
„Das Besondere liegt im Einfachen.“
Als spüre er ihre Gedanken, fragte er sie: „Geht es dir gut?“
Luise lächelte leicht verlegen und erwiderte ein wenig, als wäre sie ertappt worden: „Ja, es geht mir sehr gut, es geht mir ganz anders als sonst, ich fühle mich hier so selbstverständlich - ich kann das gar nicht so beschreiben.“
Herr König musterte sie und forderte sie auf: „Versuch es, Luise, versuch es mir zu beschreiben, nicht für mich, Luise, sondern für dich selbst."
Jeder Augenblick und jede Begegnung ist ein Geschenk an dich selbst, indem du dich erkennen und finden und etwas über dich selbst erfahren kannst.“
Luise saß da und dachte über diese Worte nach, sah, wie Herr König ganz ruhig ihr gegenübersaß, und sie ansah, ohne sie zu drängen, ganz ruhig und ganz - ja, ganz liebevoll - liebevoll war das richtige Wort. Das war es, Luise schien es, als könne sie hier bei Herrn König einfach nichts falsch machen. „Ja!“, kam es aus Luise heraus, „ja, ich weiß es jetzt, es ist mir, als könne ich hier nichts falsch machen. Und als wäre die Zeit“ sie suchte nach der richtigen Beschreibung „ja, nicht stehengeblieben, aber - verlangsamt. Ja entschleunigt“, fiel ihr das Wort ein und sie mussten lachen, weil Entschleunigung gerade so ein Modewort geworden war und es überall zu hören und zu lesen war.
Herr König zog leicht die Augenbrauen hoch und linste dabei über seine Brille, es war eine besondere Ruhe spürbar und Luise wusste, Herr König formulierte etwas in sich. Er setzte zum Wort an, dabei war Luise anfangs nicht ganz klar, ob er sie fragte oder ob er die Frage nur in den Raum stellte, um selber weiter darüber nachzudenken:
„Ja, liebe Luise, viele Menschen reden und schreiben täglich über das gehetzte Leben und dass doch alles langsamer anzugehen sei, aber erst die Erfahrung, zu fühlen oder besser gesagt, den Unterschied zu schmecken, nämlich wie viel mehr sie beim Essen wahrnehmen, wenn sie wirklich nur ihr Essen essen, gibt dem Wort Entschleunigung seine Bedeutung, beziehungsweise seinen Sinn. Das Essen genießen, wie einen Kuss!“ Herr König machte eine Pause und deute mit der Hand eine Geste der Großzügigkeit an, „Dabei die Augen zu schließen und mit jeder Geschmacksknospe die Entfaltung der Gewürze, der Zutaten zu genießen und das Essen zu einem Geschenk für den Gaumen werden zu lassen.“ Er grinste dieses stille in sich gekehrte Grinsen, bei dem sich seine Grübchen ganz deutlich abbildeten und dann wurde er aber auch schon wieder ernster und legte sein Besteck zur Seite. Er tupfte sich mit einer Stoffserviette den Mund leicht ab und richtete seinen Blick auf Luise: „Denkst du denn, dass du sonst vieles falsch machst? Und woher weißt du, dass das, was du machst, falsch ist und nicht ein Schritt war, der nötig war, etwas noch besser zu machen oder sogar dich selbst zu erkennen?“
Luise antwortete mit klopfendem Herzen, denn ihr war das völlig klar, schließlich spürte sie es ja immer wieder und war sich bislang sicher, dass es nur diese Wirklichkeit geben würde:
„Oh ja, ich mache sonst viel falsch, ich habe immer das Gefühl, dass ich das, was ich mache, besser hätte nicht oder anders machen sollen und oft traue ich mich auch gar nicht mehr, das zu tun, worauf ich Lust habe, aus Angst, dass es ja doch wieder nicht richtig ist!“
„Aber dann machst du ja viele Dinge nicht, die du sonst vielleicht machen würdest?“ Es traf Luise ein liebevoller und wärmender Blick und Luises Unsicherheit lag spürbar im Raum. „Ja“, schluckte Luise, ihr wurde plötzlich ganz heiß, als würde sie von etwas gezogen oder geweitet, „ja, viele Sachen mache ich nicht, ich habe immer Angst, nicht richtig zu sein.“
Herr König sah, wie Tränen in ihr aufstiegen und sie mühsam gegen aufkommende Scham ankämpfte. „Ich glaube, dann fühlst du dich nicht sehr frei, oder“, die Worte klangen wärmend, klangen wohlwollend, was dazu führte, dass Luises Nase auch noch rot wurde und sie noch unsicherer wurde. Mit leiser, etwas stockender Stimme stammelte sie: „Ja, nicht frei und manchmal furchtbar klein und dumm!“
Luise wusste gar nicht, was gerade in ihr los war, sie hörte sich das selber sagen, aber sie fühlte sich damit irgendwie gut, weil sie das Gefühl hatte, dass ihr endlich einmal jemand zuhörte und sie nicht dafür schalt oder auslachte oder es einfach beiseiteschob. Ganz im Gegenteil, sie fühlte sich sicher und aufgehoben.
Herr König goss von dem edlen Wein nach und reichte ihr das Glas, dabei schaute er ihr direkt in die Augen, es war ein haltender, fester Blick und sagte mit sehr klarer Stimme:
„Liebe Luise, weißt du eigentlich selbst, wer du bist?“
Luise war verwirrt, sie verstand die Frage nicht und wurde wieder unsicher.
„Meine Liebe, ich sehe, wie sehr du dich bemühst, allen alles recht zu machen, wie häufig du außer Atem bist, gehetzt und gedrängt zu sein scheinst, wie müde du bist, wie traurig du häufig ausschaust, wie leer du dich fühlst. Ich spüre, wie sehnsüchtig du nach Liebe trachtest und bei dir selbst an Schuld und Zweifel denkst. Auch ahne ich, dass du dich häufig ungerecht behandelt fühlst, unverstanden und kaum wertgeschätzt, meine liebe Luise!“
Luise errötete jetzt restlos, ja, jetzt war es doch wieder da, das Gefühl, beschämt zu sein, ertappt und gleichzeitig erkannt. Wie konnte Herr König das wissen? Er hatte das so unvermittelt gesagt, einfach so.
Aber so war es nicht, Herr König hatte Luise schon seit langer Zeit begleitet und mit ihr gefühlt. Er hatte einmal gesagt:
„Wenn jemand etwas von sich gibt, gibt er auch etwas von sich und so höre er nur einfach in Ruhe und genau zu und das öffne ihm ein Fenster, Menschen lesen zu können.“
Tränen schoben sich in ihre Augen und der Blick senkte sich, wie bei einem schuldbewussten Kind. Da nahm Herr König sie in den Arm und Luise fühlte sich hilflos und wieder so klein und so ließ sie sich auch in den Arm nehmen. Keiner sprach mehr ein Wort. Die liebevolle Geborgenheit, die Luise nun am ganzen Körper spürte, dass sich Anlehnen können, fühlte sich so gut an. Ein tiefer Seufzer entwich ihr und sie sank noch schwerer in die Arme des Herrn König. Mit geschlossenen Augen genoss sie diese Ruhe und Geborgenheit. Einfach so, einfach jetzt, einfach dort.
Sie spürte, dass Herr König ihr einen Briefumschlag in die Hand legte.
Eine Reise - Verdon - Frankreich - Luises Augen wurden groß und größer. Sie schnappte nach Luft und fiel Herrn König um den Hals. Sein Lächeln wurde breit und breiter, als wäre es für ihn das Größte, Freude zu geben. Als wäre es für ihn das Größte, abzugeben, zu teilen, die Freude anderer zu bekommen. „Lieben liegt im Geben“, hatte er einmal gesagt. Luise glaubte, eine Ahnung zu haben, was er damit gemeint haben könnte. Herr König jedenfalls sah so zufrieden und erfüllt aus, dass es einfach und schön war, sein Geschenk anzunehmen und je mehr sich Luise freute, umso mehr schien Herr König selbst etwas davon zu bekommen, denn er strahlte in höchster Zufriedenheit.
Nach dem Essen nun gab es noch einen kleinen, köstlichen Kaffeelikör, der das wunderbare Mahl sowie das Gespräch liebevoll abrundete. Dieser Likör ist von Irma, erzählte Herr König, Irma, so schwärmte er immer wieder, hatte wohl eine große Freude am Herstellen von Likören, Marmeladen, Kräutermischungen und Ähnlichem.
Luise war gespannt auf Verdon. An dem Fläschchen hing ein kleiner, brauner Zettel mit dem handgeschriebenen Rezept:
„Weißt du, wer du bist?“, hatte er gefragt.
Luise lag in dieser Nacht noch lange wach und dachte darüber nach.
Herr König hatte gesagt, dass sie sich verbiege. Er hatte recht: Hatte sie doch gerade gestern auf der Arbeit sich freiwillig für die Vorbereitung einer Ausstellung zur Verfügung gestellt. Ihr Chef hatte sich gefreut und sie hatte sich innerlich im selben Moment gefragt, warum sie das eigentlich tat, schließlich bekäme sie keinen Cent extra. Warum tat sie etwas, was sie eigentlich gar nicht wollte?
Da war es wieder, dieses Wort - eigentlich.
Für wen tat sie es? Für sich? Was wollte sie wirklich? Und warum traute sie sich nicht, dies zu tun oder jenes nicht zu tun? Was erhoffte sie sich, wenn sie das Gegenteil tat, von dem, was sie am liebsten gerne gemacht hätte? - Plötzlich fühlte sie Angst, ihr Herz klopfte, Hitze ging durch ihren Körper und ein Kloß machte sich in ihrem Hals breit. „Lieben liegt im Geben“ - ging es Luise durch den Kopf, aber „Nein - das ist nicht das Gleiche, ich wollte niemandem eine Freude machen, warum habe ich so schnell zugesagt? Wollte ich nur gefallen? Wollte ich keine Auseinandersetzung?“ Luise vergrub sich in ihre Kissen.
Die Nacht kam, die Gedanken liefen noch lange kreuz und quer durch Luises Kopf, bis der Schlaf diese wie in einem Nebel langsam auflöste und Ruhe und Schwere das Bewusstsein und die Gedanken mit sich nahmen.
Am nächsten Morgen, der Wecker klingelte schon um 6:00 Uhr, erwachte Luise. „Wer bin ich?“, schoss es ihr sofort wieder durch den Kopf. Der Briefumschlag von Herrn König lag auf dem Küchentisch - es war die Einladung nach Verdon. Auf der Karte, ein schönes Häuschen inmitten schönster französischer Landschaft und eine Adresse:
„Wer bin ich?“, fragte sich Luise, „Bin ich die, die jetzt zur Arbeit fährt oder bin ich die, die kurzentschlossen nach Verdon fährt und herausfindet, wer sie wirklich ist?“ Am liebsten hätte Luise alles stehen und liegen gelassen, aber dann sagte sie sich:
„Ich bin die Luise, die ihren Arbeitsplatz aufräumt und dann ordentlich in den Urlaub fährt!“
Sie musste ein wenig über sich selbst lachen, ja, ja, es war ihr schon wichtig, was die anderen über sie dachten und von ihr hielten. So zog sie ihren roten Mantel an, schnappte sich den gelben Hut, zog routiniert den Lippenstift über ihre schmalen Lippen und ging mit leichten Schritten aus dem Haus, fröhlich und guter Dinge. Sie konnte ein wenig über sich selbst lächeln. Sie stellte fest, dass sich ja in der Welt eigentlich - da ist es schon wieder - eigentlich - nichts geändert hatte, und doch fühlte sie sich so viel leichter und unbeschwerter. Ja, es war ihr richtig abenteuerlich, denn es sollte schon ein Abenteuer werden und Luise hatte plötzlich das Gefühl, sie würde sich selbst beobachten können und viel deutlicher fühlen, was gerade in ihr passierte. Ja, in ihr, denn außen war ja noch immer alles gleich. Sie fuhr also, wie jeden Tag mit der S-Bahn zum Büro. Dabei lächelte sie und es schien ihr, als würden auch andere Menschen heute viel besser gelaunt sein, als an all den anderen Tagen.
„Ich bin die Luise, die fröhlich zur Arbeit fährt und mein Abenteuer hat bereits begonnen: Ja, so ist wohl Luise - oder ein Teil von ihr…“
Tag 1
Endlich war es soweit. Luise packte ihre Sachen. Sie war aufgeregt. Das Köfferchen - eine alte, braune, kleine Kiste mit Riemen links und rechts und am oberen Teil ein Ledergriff - wurde schnell gefüllt. Eine Umhängetasche mit allen wichtigen Sachen, vom Zugticket bis zum Taschentuch, eine dünne Jacke, bequeme Schuhe, eine Sonnenbrille, ja, es konnte losgehen. Im Nu stand sie am Bahnhof. Herr König hatte ihr noch eine Flasche des besonderen Weins für Irma und Urs, dem Verwalterehepaar, mitgegeben. Die Flasche passte auch gerade noch in die Umhängetasche und Luise freute sich, die beiden kennenzulernen und das Geschenk zu überreichen.
„Liebe liegt im Geben“, hatte Herr König gesagt und das freudige Gefühl, diesen ausgesuchten Wein überreichen zu dürfen, war wirklich eine Freude für sie selbst.
„Im Geben liegt die Freude“, welch ein schöner Gedanke. „Natürlich!“, dachte Luise, „wie oft war ich selbst viel aufgeregter als der zu Beschenkende, er wusste ja noch nichts von der Überraschung, aber ich war selbst immer schon ab der Idee, etwas zu schenken, überaus aufgeregt und glücklich. Ja, Herr König hat recht, im Geben liegt eine große Freude!“
Wieder entdeckte sie ein Gefühl, einen Zusammenhang in sich, den sie zwar schon lange gefühlt hatte, aber es war ihr nie bewusst gewesen.
„Dann ist es ja eigentlich ganz leicht, glücklich zu sein“, sinnierte Luise, „wenn ich also genau das für andere mache, was ich selbst gerne mag, dann mache ich mich auch selbst damit glücklich!“
Luise machte sich also auf den Weg zu erfahren, wer sie eigentlich wirklich war.
Die Zugfahrt war entspannt und ruhig. Am späten Nachmittag kam Luise am Bahnhof in Verdon an, sie stieg aus und schaute sich um. Ein kleiner Bahnhof - sie schaute sich um - es schien niemand da zu sein, der sie abholte - sie schaute sich um - Anspannung machte sich in ihr breit - sie schaute sich um und ging den Bahnsteig rauf und runter - rauf und runter - Luise spürte eine Unruhe in sich, die größer und größer wurde. Sie hatte einen Plan bekommen und demnach sollte sie abgeholt werden. Ihr Urlaub sollte schon hier anfangen. Es war keiner da. Gerade war sie noch so energievoll und gut gelaunt gewesen, jetzt verflog die Stimmung ohne Übergang in eine innere Unruhe. Als würde sich alles um Luise herum zusammenziehen, fokussierte sie sich nur auf den Zettel oder vielmehr auf ihre Erwartung. Luise hielt den Plan in der Hand. Wieder und wieder las sie die Anweisung durch:
Luise war gestresst, es stresste sie, weil sie es sich anders vorgestellt hatte, weil sie nicht sicher war, ob sie alles richtig verstanden hatte, weil sie merkte, dass ihre Nerven nicht die besten waren, weil sie endlich da sein wollte, weil sie scheinbar nichts tun und lenken konnte, weil, weil, weil… Luise spürte, wie Anspannung sich in ihrem Körper breitmachte, wie ihr warm wurde, wie ihre Gedanken schneller und gereizter wurden. Ihr Atem war gepresst, sie ging hin und her und kuckte rechts und links und wurde immer angespannter. Unruhe brodelte in ihr und schien sie innerlich regelrecht zu besetzen.
Plötzlich war ihr, als würde Herr König sie nachsichtig anlächeln und flüstern:
„Luise, nun hol doch einmal tief Luft - du weißt doch, wenn du ganz tief einatmest, kannst du unmöglich gleichzeitig aufgeregt sein - so finde deine Gelassenheit wieder! Geh einen Schritt zurück und weite deinen Blick: Bist du sicher, dass du dich genau umgesehen hast?“
Wieder ertappt, Luise fühlte ein heißes Rauschen durch ihren Körper ziehen. Sie schüttelte ihren Kopf, schloss die Augen, holte tief Luft und atmete ganz langsam und ruhig aus, bis wieder etwas Ruhe in ihr war. Nun öffnete sie die Augen und ließ ihren Blick von links nach rechts wandern und da war etwas, was ihre Augen festhielt. Luises Blick haftete an einer Sonnenblume, direkt über der Bank am Bahnsteig. Sie ging näher heran und da entdeckte sie auch einen kleinen Zettel, der mit etwas Paketband am Stiel der Blume befestigt war.
Luise schüttelte den Kopf, wieso hatte sie den Zettel nicht gesehen, wieso hatte sie die große, leuchtende Blume nicht beachtet? Wie konnte sie daran vorbeigeschaut haben. Irma hatte extra für sie eine schöne Sonnenblume an der Bank befestigt. Irma liebte Blumen, das war ja der Hinweis gewesen. Scham überkam sie, hatte sich Irma nicht wirklich Mühe gegeben und den Hinweis deutlich und groß und besonders herzlich angebracht.
Nun war es doch Luise, die Irma warten ließ. Wie schnell sich die Wirklichkeiten verändern können. Luise nahm ihren kleinen Koffer zur Hand und hängte sich die Tasche über die Schulter. Sie eilte nach vorn zum Eingang des Bahnhofes, dort stand eine kleine Kutsche mit einem kleinen weißen Pferdchen vorgespannt und eine Frau kam ihr winkend entgegen. Die Kutsche war ebenfalls mit vielen Blumen liebevoll geschmückt. Der Anblick war das pure Sinnbild von „Fröhlichkeit“. Luises gestresste Stimmung löste sich auf und wie vom Winde verweht, war sie nun in Freude. Fröhlichkeit und alle negativen Gefühle waren aufgelöst. Der Druck, die Angespanntheit, alles war einfach weg. Blumen und ein freundliches Lachen waren der Eintritt zu einer ganz besonderen Reise und Luise war bereits mittendrin. Kurz dachte sie daran, wie schnell doch ihre Stimmungen und damit auch ihre Gefühle wechselten und in welchem Ausmaß sie sich von den emotionalen Wogen hin- und herreißen ließ. Es war ihr, als wäre ihre Stimmung wie ein kleines Segelboot auf stürmischer See. Sie fühlte sich völlig hilflos und ausgeliefert, gefangen, in der eigenen Welt der Gefühle. Kurz überkam Luise eine Gänsehaut und dann schüttelte sie den Kopf, als könnte sie damit alle Gedanken von sich rütteln und wandte sich dem neuen Bühnenbild zu.
Irma, ja, das musste Irma sein, sie war wohl Mitte 50, die Haut von der Sonne gebräunt, schlank und groß. Ihre dunklen Haare hatten eigentlich keine Frisur und wirbelten unter dem Strohhut hervor. Irma in Jeans und einem karierten Hemd, die Ärmel hochgekrempelt. Ihre braunen Augen funkelten wach und neugierig, warm und herzlich und vor allem: Irma blickte geradeaus in Luises Augen. Der Blick war so direkt, wie Luise es von Menschen aus der Stadt gar nicht kannte. Sie konnte nicht nach links und nicht nach rechts, Irma war präsent und da und einfach perfekt, so wie sie war. Ja, Luise wurde erwartet und für alles war gesorgt. Das Köfferchen und die Tasche nahm Irma ihr ab und warf beides recht robust auf die Kutsche. Luise stockte bei dem Anblick ihres fliegenden Gepäcks der Atem, den Mund leicht geöffnet schien sie erstarren zu wollen, aber Irma kletterte schon freudig auf den Kutschersitz und winkte ihr zu kommen. Sie legte ein altes Kissen neben sich auf den Kutscherbock und deutete ihr kess grinsend, dort den Platz einzunehmen. Nach Luft schnappend löste sich Luise aus dem Moment der inneren Angespanntheit. Irma war so unglaublich anders, energievoll, lebendig und spontan, dass Luise nur kucken konnte, staunen und spüren, denn etwas wirkte auf sie beeindruckend. Sie wusste noch nicht, was es war, aber etwas war anders, etwas, was sie noch nie gefühlt und erlebt hatte. Sie beobachtete Irma. Luise fühlte in sich hinein, sie empfand sich selbst als fremd in dieser Situation. Als wäre sie gerade in einem Kinofilm selbst drin und gleichzeitig Zuschauer. Was auch immer gerade passierte, konnte Luise noch nicht erfassen, aber das Lachen Irmas war so mitreißend, dass sie sich aus diesem fremden Gefangensein löste, flott zu Irma hochkletterte und sich neben sie setzte. Luise fühlte sich wie ein Kind, das gerade zum ersten Mal die leuchtenden Lampen eines Jahrmarktes aus der Ferne sah. Es war wie ein Zauber, wie der Besuch in einer fremden Welt. Luise, Berlin, schick gekleidet, saß nun auf einer alten rumpelnden Kutsche, ihr Gepäck polterte hinter ihrem Rücken unsanft hin und her, während die Fahrt losging. Das Pferd setzte sich in Bewegung und schnaubte dabei kräftig durch die Nüstern, es wackelte und polterte. Die Sonne schien und Irma lächelte und nickte Luise zu, ließ sie aber erst einmal in Ruhe die neuen Eindrücke erfassen. Luise atmete tief durch, dabei fühlte sie Irmas Hand auf ihrer Hand und Irma sagte nur leise, dass alles gut sei. Obwohl die zwei Frauen sich ja gar nicht kannten, herrschte eine Vertrautheit, eine Wärme, etwas Besonderes, etwas wie - Geborgenheit. Luise fühlte sich wohl.
So hörte sie sich denken:
„Ich bin also die, die sich vom ersten Moment an wohlfühlt und ihrem Abenteuer freudig entgegensieht.“