Luna-Lila - Anu Stohner - E-Book

Luna-Lila E-Book

Anu Stohner

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Beschreibung

Von wegen Rosa: Hier kommt Luna-Lila! Normalerweise sind Prinzessinnen süß und nett, außer Luna-Lila ... Luna-Lila hat meistens schlechte Laune, Rosa kann sie nicht ausstehen und vor hübschen Prinzen nimmt sie Reißaus. Dafür fürchtet sie sich weder vor bösen Drachen noch vor den fiesen Zwillingen oder vor dem Schulgespenst. Und deshalb ist sie die aller-, allerbeste Freundin, die man sich nur wünschen kann. Der einzige Haken daran: Sie ist unsichtbar … Dabei ist das sogar das Aller-, Allertollste. Denn so merkt keiner, dass sie mitten in Wilmas Kinderzimmer wohnt und immer und überall dabei ist, wenn Wilma Hilfe braucht. Egal, ob ihre Brüder mal wieder nerven oder ihr in Mathe keine Antwort einfällt, Luna-Lila hat auf jeden Fall eine geniale Idee. Gemeinsam sind sie doppelt mutig und stark und zeigen sogar den fiesesten Jungs von der ganzen Schule, wo's langgeht. Mit grinse-kicher-komischen Bildern von Pe Grigo, auf denen das Unsichtbare sichtbar wird

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Seitenzahl: 157

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Friedbert Stohner | Anu Stohner

Luna-Lila

Das allergrößte Beste-Freundinnen-Geheimnis

Mit zweifarbigen Bildern von Pe Grigo

FISCHER E-Books

Inhalt

Das erste KapitelDas zweite KapitelDas dritte KapitelDas vierte KapitelDas fünfte KapitelDas sechste KapitelDas siebte KapitelDas achte KapitelDas neunte KapitelDas zehnte KapitelDas elfte KapitelDas zwölfte KapitelDas dreizehnte KapitelDas vierzehnte KapitelDas fünfzehnte KapitelDas sechzehnte KapitelDas siebzehnte KapitelDas achtzehnte KapitelDas neunzehnte KapitelDas zwanzigste KapitelDas einundzwanzigste KapitelDas zweiundzwanzigste KapitelDas dreiundzwanzigste KapitelDas vierundzwanzigste KapitelDas fünfundzwanzigste KapitelDas sechsundzwanzigste KapitelDas siebenundzwanzigste KapitelDas achtundzwanzigste KapitelDas neunundzwanzigste KapitelDas dreißigste KapitelDas einunddreißigste KapitelDas kleine Luna-Lila-Lexikon

Das erste Kapitel, in dem Wilma Kummer hat und Luna-Lila ein bisschen energisch wird

»Das reicht jetzt, morgen komm ich mit in die Schule und geb den beiden Saures!«, sagte Luna-Lila und haute mit der Prinzessinnenhand auf Wilmas Pony-Silbermähne-Bettdecke.

Wilma schniefte noch ein bisschen, aber sie sagte nichts. Luna-Lila durfte nicht mit in die Schule, und das wusste sie auch ganz genau.

»Und sag nicht wieder, dass das nicht geht – ich tu’s nämlich trotzdem!«

Diesmal haute Luna-Lila nicht auf die Bettdecke, sondern ballte die Fäuste und machte ihr Ich-bin-Prinzessin-und-mir-hat-überhaupt-keiner-was-zu-sagen-Gesicht.

Über das Gesicht musste Wilma sonst lachen, aber heute nicht. Die Sache mit Ulli und Olli in der Schule wurde nämlich immer schlimmer. Ulli und Olli waren erst seit ein paar Wochen in der Klasse, seit das neue Schuljahr angefangen hatte und Wilma in die zweite Klasse ging. Aber sie waren schon die Obermacker und wollten alles bestimmen. Sie waren Zwillinge und groß und stark, und keiner traute sich, was gegen sie zu sagen. Dauernd suchten sie Streit, und seit neuestem kamen sie und wollten Sachen haben. Und wenn man sie ihnen nicht gab, machten sie irgendwas Fieses. Heute waren sie zu Wilma gekommen und hatten den Glitzerstift haben wollen, mit dem sie immer die Sterne am Himmel ihrer Pony-Silbermähne-Bilder malte. Wilma konnte die schönsten Pony-Silbermähne-Bilder in der ganzen Klasse.

»Der Stift ist schön«, hatte Ulli gesagt.

»Der gefällt uns richtig gut«, hatte Olli gesagt.

So machten sie das immer, damit sie hinterher behaupten konnten, sie hätten ja gar nichts verlangt, und wenn ihnen jemand einfach so was schenken wolle, könnten sie schließlich nichts dafür.

Einen anderen Stift hätte Wilma vielleicht sogar hergegeben. Aber nicht ihren Glitzerstift!

»Die kann man im Schreibwarenladen kaufen«, hatte sie gesagt, und zum Glück war genau da die Lehrerin, Frau Werner, ins Klassenzimmer gekommen und hatte Ulli und Olli auf ihre Plätze gescheucht.

»Das gibt Rache!«, hatten sie gezischt, und jetzt hatte Wilma so ein Ziehen im Bauch, wenn sie an morgen dachte.

Heute hatten die beiden nämlich gar nichts mehr gemacht, nur die ganze Zeit zu ihr her gegrinst. Und als sie und ihre allerbeste Freundin Aylin nach der Schule über den Schulhof gegangen waren, hatten die Fieslinge am Tor gestanden und ihnen »Bis morgen!« hinterhergerufen.

»Jetzt hör bitte auf zu jammern!«, sagte Luna-Lila energisch. »Lass uns lieber überlegen, was wir morgen machen!«

»Du weißt doch …«

»Was?«

»Dass du …«

»Schluss, aus, ich will’s nicht mehr hören!«

»Luna-Rosa, bitte!«

Ach du dicke Windel! Jetzt war Wilma auch noch der falsche Name rausgerutscht. Das war ihr schon seit ewigen Zeiten nicht mehr passiert.

»Wie bitte?«

Vorher hatte Luna-Lila ihre ganz normal pampige Prinzessinnenstimme gehabt, bei der man merkte, dass sie keinen Widerspruch gewöhnt war. Aber das »Wie bitte?« sagte sie so ruhig und leise, dass man es gerade noch hören konnte. Wilma stellte sich vor, dass so Königinnen redeten, wenn ihnen ihre Zofe vorschlug, dass sie sich die Zahncreme gefälligst selbst auf die Zahnbürste quetschen sollten.

»Tut mir leid, ehrlich«, sagte Wilma. »Das ist mir nur rausgerutscht, weil …«

»… weil du dich so über die zwei Fieslinge aufregst – und deshalb komm ich morgen mit, Schluss, aus, basta!«

Luna-Lila redete wieder normal pampig, und Wilma war erleichtert. Das letzte Mal, als ihr das mit dem falschen Namen passiert war, hatte Luna-Lila ein solches Spektakel gemacht, dass Wilma vor Schreck ihre Pony-Silbermähne-Tasse runterfiel und in tausend Stücke sprang. Dabei war Luna-Rosa Luna-Lilas richtiger Name! Sie mochte ihn nur nicht, weil sie Rosa hasste. Die Farbe lockte angeblich schöne Prinzen an, und schöne Prinzen fand sie eklig. Wenn Wilma Prinzessin gewesen wäre, hätte sie bestimmt nichts gegen schöne Prinzen gehabt. Rosa mochte sie eigentlich auch, aber darüber konnte man mit Luna-Lila nicht reden.

»Du kannst rosa Kleidchen und Schühchen tragen und auf einen schönen Prinzen warten, aber mich lass damit in Frieden!«, sagte sie immer. Wilma brauchte aber nur ein Fitzelchen Rosa an sich zu haben, dann moserte Luna-Lila schon die ganze Zeit herum. Also ließ es Wilma lieber sein. Lila war schließlich auch schön, und das war Luna-Lilas Lieblingsfarbe. Darum hatte sie sich den Namen ja ausgesucht.

»Wie wär’s, wenn ich ihnen mit dem Glitzerstift heimlich ›Doppeldödel‹ hinten auf die Jacke schreibe?«, fragte Luna-Lila, nachdem sie eine Weile nur nachdenklich die silberne Mähne des Ponys auf der Bettdecke gestreichelt hatte.

»Wem?«, fragte Wilma.

»Na, wem wohl?«, sagte Luna-Lila und haute dem armen Pony auf den Kopf.

Genau da ging wie von Geisterhand die Tür auf, und Nils steckte den Kopf ins Zimmer. Nils war Wilmas kleiner Bruder und eine gewaltige Nervensäge. Sein größter Wunsch war es, Wilma mit Luna-Lila zu erwischen, weil es Luna-Lila eigentlich gar nicht geben durfte. Auch jetzt spähte er wieder im ganzen Zimmer herum und fragte: »Hast du mit jemand gesprochen?«

»Ich? – Nein«, sagte Wilma.

»Ich hab’s doch gehört«, sagte Nils.

»Du hast doch nicht etwa gelauscht?«, fragte Wilma. »Du weißt doch, was Mama sagt, wenn sie erfährt, dass du lauschst.«

»Ich gelauscht? – Nein«, sagte Nils, und sein Kopf verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war.

Aber Sekunden später war er wieder da.

»Suchst du was?«, fragte Wilma.

»Es gibt Abendessen«, sagte Nils und knallte die Tür zu, dass es schepperte. Er war eine gewaltige Nervensäge mit ganz schlechten Nerven.

Luna-Lila tippte sich an die Stirn, und Wilma konnte zum ersten Mal, seit sie zusammen auf dem Bett saßen, wieder lächeln.

»Wir reden nachher weiter, ja?«, sagte Luna-Lila. »Ich hab da so eine Idee, aber jetzt brauch ich erst mal was zu essen.«

»Heißt das, du willst …«

»… mit nach unten kommen, klar«, sagte Luna-Lila und war so schnell bei der Tür, dass Wilma gar nicht erst widersprechen konnte.

Das zweite Kapitel, in dem Nils petzt und Mama ein bisschen sauer wird

Die Sache war nämlich die, dass Luna-Lila eine Geheimprinzessin war. Wilma kannte sie schon, seit sie vier war. Da war Luna-Lila eines Tages einfach da gewesen. Oder Luna-Rosa, wie sie damals noch hieß. Die anderen in der Familie hatten sie nicht gesehen und nicht gehört und gedacht, Wilma hätte sie nur erfunden. Trotzdem fanden sie die Prinzessin alle witzig und freuten sich, wenn Wilma sie mit an den Tisch brachte. Es war auch zu lustig, wenn Wilma ihnen erzählte, was Luna-Lila alles am Essen auszusetzen hatte, weil sie als Prinzessin angeblich was Besseres gewöhnt war. Oder als Wilma allen erklären musste, dass Luna-Rosa plötzlich nur noch Luna-Lila heißen wollte und sauer wurde, wenn jemand noch ihren alten Namen sagte.

Luna-Lila hatte einen eigenen Teller und saß auf dem freien Stuhl neben Wilma, und alles war gut, bis Wilma in die Schule kam. Da hieß es plötzlich, Schulmädchen hätten keine erfundenen Freundinnen mehr. Und auch keine erfundenen Prinzessinnen. Und schon gar nicht dürfe man sie mit in die Schule nehmen. Das hatte Wilma nämlich vorgehabt.

»Aber sie ist doch gar nicht erfunden«, hatte Wilma gesagt.

»Auch wirkliche unsichtbare Prinzessinnen darf man, soviel ich weiß, nicht mit in die Schule bringen«, hatte Papa gesagt und gelacht.

Aber Mama hatte die Augenbrauen gehoben. Das hieß, sie meinte es ernst.

»Weißt du, Wilmamäuschen«, hatte sie gesagt, »in der Schule gibt es viele nette Kinder, aber manchmal auch nicht so nette, und wenn die sagen: ›Guckt mal die da, die spielt noch Kindergartenspiele mit einer Prinzessin, die es gar nicht gibt!‹, dann lachen dich alle aus.«

»Sag: ›Mir doch egal!‹«, hatte Luna-Lila Wilma zugeflüstert.

»Mir doch egal!«, hatte Wilma brav gesagt.

»Das sagst du jetzt«, hatte Mama gesagt. »Aber wenn’s dann passiert, denkst du anders – und dann ist es zu spät.«

»Aber zu Hause darf sie doch weiter meine Freundin sein?«, hatte Wilma gefragt. »Ich mag sie doch so. Und sie mich bestimmt auch. Oder ganz bestimmt sogar. Sie sagt’s nur nie, weil man’s bei Prinzessinnen angeblich von alleine merkt.«

»Vielleicht sagst du ihr einfach, dass du jetzt nicht mehr so viel Zeit für sie hast und sie dich nur noch ab und zu besuchen kann«, hatte Mama vorgeschlagen. »Dann ist es, wie wenn jemand Liebes fortzieht und man sich nicht mehr so oft sieht, obwohl man sich noch genauso gern hat. Wahrscheinlich wundern sich Luna-Rosas Eltern sowieso längst, warum sie so oft vom Schloss weg ist.«

»Sie heißt Luna-Lila«, hatte Wilma Mama verbessert.

Und Papa hatte wieder gelacht und gesagt: »Die schönen Prinzen bei ihr zu Hause haben bestimmt schon Plattfüße, weil sie immer nur vergeblich unter ihrem Kemenatenfenster herumstehen.«

Das hatten alle wahnsinnig witzig gefunden, sogar Nils, der damals erst vier war und garantiert nicht mal wusste, was eine Kemenate überhaupt war.

»Alles Quatsch mit Soße!«, hatte Luna-Lila hinterher geschimpft, aber von da an war Wilma klar gewesen, dass es am besten war, wenn sie so tat, als wäre Luna-Lila verschwunden. Und das hatte sie dann auch gemacht.

Luna-Lila hatte natürlich erst gemotzt, aber irgendwann hatte sie Ruhe gegeben. Was hätte sie auch machen sollen? Die anderen konnten sie ja nicht sehen und hören, also gab es auch niemanden außer Wilma, bei dem sie sich beschweren konnte. Nur verbieten ließ sie sich von Wilma nichts, und wenn ihr danach war, setzte sie sich immer noch mit an den Tisch. Sollte Wilma eben zusehen, dass sie sich nichts anmerken ließ! Nils, die Nervensäge, passte nämlich auf wie ein Schießhund, wo Wilma hinschaute und ob sie sich nicht verplapperte, weil er sich aus irgendeinem Grund sicher war, dass Wilma flunkerte und Luna-Lila in Wirklichkeit noch da war.

Das war auch der Grund, weshalb Wilma leise seufzte, als sie jetzt hinter Luna-Lila die Treppe hinunterging. Gleich würde sie wieder das ganze Abendessen lang so tun müssen, als wäre der Stuhl neben ihr leer, obwohl da jemand saß, der sich heimlich Sachen von ihrem Teller stibitzte und auch noch meckerte, wenn sie ihm nicht schmeckten.

»Ist was?«, fragte Luna-Lila, die Wilmas Seufzer gehört hatte. Sie schaute über die Schulter, und Wilma fiel wieder mal auf, dass sie die Augenbrauen genauso heben konnte wie Mama. Und dass sie dann fast genauso streng aussah. Wilma selbst probierte es manchmal vor dem Spiegel, aber bei ihr sah es immer nur aus, als wäre sie schwer von Begriff und hätte irgendwas nicht verstanden.

»Nein«, seufzte Wilma.

»Dann reiß dich bitte zusammen!«, sagte Luna-Lila. Da bogen sie gerade unten am Fuß der Treppe um die Ecke und sahen, dass alle anderen schon am Esstisch im Wohnzimmer saßen und warteten: Mama, Papa, Nils und William. William war Wilmas netter großer Bruder und schon elf.

»Ist was?«, fragte Mama, aber wenigstens hob sie die Augenbrauen nur halb.

»Nein, wieso?«, sagte Wilma, während Luna-Lila auf die zwei freien Stühle am Tisch zusteuerte.

»Ich meine, deine Augen sehen ein bisschen rot aus«, sagte Mama. »Hast du geweint?«

»Das kommt wahrscheinlich vom Staub«, sagte Wilma. »Ich hab mein Zimmer aufgeräumt.«

Das stimmte sogar, das hatte sie wirklich – bevor sie sich bei Luna-Lila wegen der fiesen Zwillinge ausgeweint hatte.

Einer der beiden freien Stühle war schon ein Stück zurückgeschoben, auf den setzte sich Luna-Lila jetzt, und Wilma zog den anderen unterm Tisch vor und setzte sich auch. Das mit dem zurückgeschobenen Stuhl war schon mal gut, da musste Wilma ihn nicht unauffällig selbst so hinruckeln, dass Luna-Lila genug Platz hatte. Auf so was lauerte Nils nur. Und Mama lauerte zwar nicht, aber sie merkte leider trotzdem alles.

Nils, der als Einziger schon zu essen angefangen hatte, schaute auch gleich misstrauisch über seinen Teller. »Fie hat mit jemand gefprochen, if hab’f genau gehört«, sagte er und zeigte mit der Gabel auf Wilma. Es gab Spaghetti mit Tomatensoße und Fleischbällchen, sein Lieblingsessen.

»Mit vollem Mund spricht man nicht, du Ferkel!«, sagte Wilma.

»Wilma, bitte!«, sagte Mama.

Aber es war schon zu spät. Nils kriegte einen roten Kopf und protestierte so heftig, dass ein halber Mund voll Spaghetti mit Tomatensoße und Fleischbällchen in kleinen Bröckchen über den Tisch flog. »Ferkel fagt man nift, und alf Fulmädfen fprift man nift mit erfundenen Prinfeffinen!«

Nils saß Luna-Lila genau gegenüber, neben William, der Wilma gegenübersaß. Papa und Mama saßen an den Tischenden. Wilma konnte nur kurz zur Seite linsen, aber sie sah, wie Luna-Lila alles, was Nils zu ihr herübergespuckt hatte, wieder zurückschnippte. Zum Glück schauten alle nur zu, wie Nils’ Kopf vor Wut immer röter wurde, und keiner merkte was. Nicht mal Mama.

»Nils!«

Mamas Augenbrauen verschwanden fast unter ihrem Pony.

»Waf?«

»Erstens spricht man nicht mit vollem Mund, da hat Wilma ganz recht, zweitens petzt man nicht, und drittens heißt es nicht ›Was?‹, sondern ›Wie bitte?‹.«

Mama hörte sich an wie manchmal, wenn ihre Sprechstundenhilfen Termine durcheinanderbrachten. Sie war Zahnärztin, und einmal hatten sich zwei Männer mit genau demselben Termin fast geprügelt, wer von ihnen als Erster auf den Behandlungsstuhl musste. Denen hatte Mama erst eine Extraspritze androhen müssen, bevor sie sich wieder beruhigten. Seitdem regten sie durcheinandergebrachte Termine echt auf, und manchmal brauchte sie dann abends ein bisschen, bis sie wieder die liebste Mama der Welt sein konnte.

Nils sagte deshalb auch nichts, sondern beugte sich so tief über seinen Teller, dass er ein Fleischbällchen ganz oben auf den Spaghetti fast mit der Nase berührte.

Aber Papa sagte was und versuchte, dabei genauso streng zu gucken wie Mama. Es sah allerdings mehr aus wie bei Wilma vorm Spiegel.

»Du tust ihm Unrecht«, sagte er zu Mama.

»Ach ja?«

»Er hat gar nicht ›Was?‹ gesagt.«

»Ach nein?«

Mamas Augenbrauen waren inzwischen unterm Pony verschwunden.

»Nein«, sagte Papa. »Er hat ›Waf?‹ gesagt. Ich hab’s genau gehört.«

Danach wurde es noch ein richtig lustiges Abendessen.

Das dritte Kapitel, in dem ein Fleischbällchenministerium vorkommt und am Ende alle kalte Nudeln essen müssen

Aber erst mal mussten sie alle schrecklich lachen, und William, der gerade auch zu essen angefangen hatte, lachte so sehr, dass er ein ganzes Fleischbällchen über den Tisch spuckte. Wilma konnte sich gerade noch rechtzeitig ducken.

»William!«, sagte Mama, aber mehr brachte sie nicht mehr heraus, weil ihr vor Lachen die Tränen kamen.

Nils spuckte nur ein halbes Fleischbällchen und hatte dazu das Glück, mit dem Kopf immer noch so tief über den Teller gebeugt zu sitzen, dass sein halbes Fleischbällchen nur in die Spaghetti zurückflog.

»Ihr Ferkel!«, prustete Wilma, und Nils, der sonst bestimmt gleich wieder protestiert hätte, japste bloß und ruderte mit den Armen, weil er vor Lachen keine Luft bekam.

Nur Papa blieb ganz ruhig und schaute in die Runde, als wüsste er gar nicht, was die anderen alle hatten.

»Vielleicht solltest du das Fleischbällchen lieber einsammeln, bevor es sich irgendwo festtritt«, sagte er zu William, der gluckste und röchelte, als wäre ihm ein zweites Fleischbällchen statt nach vorne nach hinten in den Hals geflogen.

»Hast du dich verschluckt?«, fragte Papa.

»Nein, geht schon«, krächzte William. Dann stand er auf und ging das Fleischbällchen suchen. Wenn es geradeaus weitergeflogen war, musste es irgendwo am anderen Ende des Wohnzimmers zwischen den Sesseln und dem Sofa liegen. Da suchte William es auch, und alle anderen schauten ihm zu – alle außer Wilma, die wusste, dass er es nicht finden würde. Als sie sich nämlich nach William umdrehte, sah sie eine Beule in Luna-Lilas Backe. Sie musste das Fleischbällchen blitzschnell aufgefangen haben und kaute mit gerunzelter Prinzessinnenstirn darauf herum. Aber wenigstens meckerte sie nicht.

»Das gibt’s doch nicht«, sagte William, der sich jetzt fast wieder normal anhörte.

»Hast du hinterm Fernseher geschaut?«, schniefte Mama und legte die Serviette weg, mit der sie sich die Tränen abgewischt hatte.

»Und unterm Teppich?«, fragte Papa, worauf Mama schluchzte und die Serviette gleich noch mal brauchte.

Aber logisch, das Fleischbällchen blieb verschwunden, und bis William wieder auf seinem Platz saß, war auch die Beule in Luna-Lilas Backe nicht mehr da. Wilma hätte sie zu gern gefragt, wie sie das mit dem Fangen überhaupt hingekriegt hatte, aber das konnte sie natürlich nicht. Nils japste zwar immer noch, aber das hätte er bestimmt gemerkt. Und Mama sowieso.

»Tja«, sagte Papa. »Dann hätten wir jetzt etwas, worüber wir beim Weiteressen in aller Ruhe nachdenken können.«

»Was denn?«, fragte Nils, während Mama sich die Augen abtupfte.

»Das große Fleischbällchenmysterium«, sagte Papa. »Es lautet: Wie kann sich ein ganz normales Fleischbällchen auf dem Weg vom einen Ende des Wohnzimmers zum anderen in Luft auflösen?«

»Ich glaube, ich weiß es«, sagte William.

»Ich auch«, sagte Papa und legte Nils über die Tischecke hinweg die Hand auf die Schulter.

»Ich war’s nicht«, sagte Nils. »Ich weiß noch nicht mal, was ein Fleischbällchenministerium ist.«

Jetzt konnte Mama nicht mehr. Sie heulte auf und rannte mit ihrer zerknüllten Serviette in die Küche.

»Direkt warst du’s nicht, das wissen wir – aber vielleicht indirekt«, sagte Papa, ohne die Hand von Nils’ Schulter wegzunehmen. »William und ich glauben nämlich, dass dein Schweini sich das Fleischbällchen geholt hat.«

»Stimmt genau«, sagte William.

Schweini war Nils’ erfundener Monsterhund. Er hieß so, obwohl alle ihm gesagt hatten, dass man einen Monsterhund unmöglich wie seinen Lieblingsfußballer nennen konnte. Aber der Kleinste in der Familie war nicht nur eine Nervensäge mit schlechten Nerven – er konnte auch ein ganz schöner Dickkopf sein. Er hatte Schweini erst seit ein paar Wochen, aber Wilma war jetzt schon gespannt, was nächstes Jahr passierte, wenn er in die Schule kam und Mama und Papa ihm sagten, dass er Schweini nicht mitnehmen durfte.

»Kann er gar nift«, sagte Nils, der wieder zu essen angefangen hatte. »Fweini ift oben in meinem Pfimmer.«

»Wirklich?«, fragte Papa.

Nils schob eine Riesengabel aufgewickelte Spaghetti in den Mund und nickte.

»Und wer hat vor dem Essen den freien Stuhl unterm Tisch vorgezogen?«, fragte William.

Das hatte Nils nämlich am Anfang immer gemacht, als er Schweini noch mit an den Tisch bringen durfte. Seit er ihm mal eine Rinderroulade mit Soße aufs Sitzpolster gelegt hatte, durfte er das aber nicht mehr, und Wilma war es nur recht. Schließlich war es Luna-Lilas Platz.

»Weif nift«, sagte Nils, dem beim Sprechen die Hälfte der Spaghetti wieder auf den Teller flutschte.