Luthers Rückkehr (Scanguards Vampire - Buch 10) - Tina Folsom - E-Book

Luthers Rückkehr (Scanguards Vampire - Buch 10) E-Book

Tina Folsom

0,0

Beschreibung

Nach zwanzig Jahren in einem Vampirgefängnis ist Luther endlich frei. Bevor er jedoch dieses Kapitel seines Lebens endgültig abschließen kann, katapultiert ihn eine Entführung zurück in die Welt von Scanguards und in eine Konfrontation mit den Vampiren, deren Gefährtinnen er vor zwei Jahrzehnten beinahe ermordet hätte. Schauspielerin Kimberly "Katie" Fairfax hat Hollywood den Rücken gekehrt und unterrichtet nun Schauspiel an einem College in San Francisco. Während einer Theatervorstellung verschwindet die Tochter von Scanguards Chef Samson spurlos und Katie gibt sich die Schuld, da sie Isabelle in Gefahr gebracht hat. Als sie erkennt, dass Luther als Einziger Samsons Tochter retten kann, geht sie ein gefährliches Bündnis mit dem unergründlichen Fremden ein. Als Leidenschaft zwischen ihnen entfacht, müssen sie nicht nur gegen einen unbekannten Widersacher kämpfen, sondern auch gegen die dunkle Vergangenheit, die sie zu zerstören droht, bevor sie Isabelle retten können. Lara Adrian, New York Times Bestseller Autorin der Midnight Breed Serie: "Ich bin süchtig nach Tina Folsoms Büchern! Die Scanguards Serie ist eine der heißesten Sachen, die es bei Vampirliebesromanen gibt. Wenn Sie glühend heiße, sich rasant entwickelnde Romane lieben, dann verpassen Sie diese packende Serie nicht!" Über die Serie Die Scanguards Vampirserie ist voll von rasanter Action, brennenden Liebesszenen, witzigen Dialogen und starken Helden und Heldinnen. Vampir Samson Woodford lebt in San Francisco und besitzt die Sicherheits-/Leibwächterfirma Scanguards, die sowohl Vampire als auch Menschen beschäftigt. Und letztendlich auch einige Hexer. Später in der Serie tauchen auch ein paar unsterbliche Hüter und Dämonen auf. Jedes Buch kann als alleinstehender Roman gelesen werden (keine Cliffhanger) und dreht sich immer um ein neues Paar, das die Liebe findet, aber die Serie macht mehr Spaß, wenn sie chronologisch gelesen wird. Scanguards Vampire Band 1 - Samsons Sterbliche Geliebte Band 2 - Amaurys Hitzköpfige Rebellin Band 3 - Gabriels Gefährtin Band 4 - Yvettes Verzauberung Band 5 - Zanes Erlösung Band 6 - Quinns Unendliche Liebe Band 7 – Olivers Versuchung Band 8 – Thomas' Entscheidung Band 8 1/2 – Ewiger Biss Band 9 – Cains Geheimnis Band 10 – Luthers Rückkehr Band11 – Blakes Versprechen Band 11 1/2 – Schicksalhafter Bund Band 12 – Johns Sehnsucht Novelle – Brennender Wunsch Band 13 – Ryders Rhapsodie (Scanguards Hybriden - Band 1) Band 14 - Damians Eroberung (Scanguards Hybriden - Band 2) Band 15 - Graysons Herausforderung (Scanguards Hybriden - Band 3) Hüter der Nacht Band 1 – Geliebter Unsichtbarer Band 2 – Entfesselter Bodyguard Band 3 – Vertrauter Hexer Band 4 – Verbotener Beschützer Band 5 – Verlockender Unsterblicher Band 6 – Übersinnlicher Retter Band 7 – Unwiderstehlicher Dämon Codename Stargate Band 1 - Ace – Auf der Flucht Band 2 - Fox – Unter Feinden Band 3 - Yankee – Untergetaucht Band 4 – Tiger – Auf der Lauer Der Clan der Vampire Der Clan der Vampire (Venedig 1 – 2) Der Clan der Vampire (Venedig 3 – 4) Der Clan der Vampire (Venedig 5) Jenseits des Olymps Band 1 - Ein Grieche für alle Fälle Band 2 - Ein Grieche zum Heiraten Band 3 - Ein Grieche im 7. Himmel Band 4 – Ein Grieche für Immer Die Scanguards Vampirserie hat alles: Liebe auf den ersten Blick, von Feinden zum Liebespaar, Alpha-Helden, Leibwächter, Brüderschaft, Jungfrau in Not, Frau in Gefahr, die Schöne und das Biest, verborgene Identität, Seelenverwandte, erste Liebe, Jungfrauen, gequälter Held, Altersunterschied, zweite Liebeschance, trauernder Liebhaber, Rückkehr von Totgeglaubten, heimliches Baby, Playboy, Entführungen, von Freunden zum Liebespaar, Coming-out, heimlicher Verehrer, unerwiderte Liebe, Amnesie, Aristokraten, verbotene Liebe, eineiige Zwillinge, Partner bei der Verbrechensbekämpfung.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 399

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



LUTHERS RÜCKKEHR

SCANGUARDS VAMPIRE - BAND 10

TINA FOLSOM

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Lesereihenfolge

Auch in dieser Serie

Andere Bücher von Tina

Über die Autorin

KURZBESCHREIBUNG

Nach zwanzig Jahren in einem Vampirgefängnis ist Luther endlich frei. Bevor er jedoch dieses Kapitel seines Lebens endgültig abschließen kann, katapultiert ihn eine Entführung zurück in die Welt von Scanguards und in eine Konfrontation mit den Vampiren, deren Gefährtinnen er vor zwei Jahrzehnten beinahe ermordet hätte.

Schauspielerin Kimberly „Katie“ Fairfax hat Hollywood den Rücken gekehrt und unterrichtet nun Schauspiel an einem College in San Francisco. Während einer Theatervorstellung verschwindet die Tochter von Scanguards-Chef Samson spurlos und Katie gibt sich die Schuld, da sie Isabelle in Gefahr gebracht hat. Als sie erkennt, dass Luther als Einziger Samsons Tochter retten kann, geht sie ein gefährliches Bündnis mit dem unergründlichen Fremden ein. Als Leidenschaft zwischen ihnen entfacht, müssen sie nicht nur gegen einen unbekannten Widersacher kämpfen, sondern auch gegen die dunkle Vergangenheit, die sie zu zerstören droht, bevor sie Isabelle retten können.

* * *

Copyright © 2015 Tina Folsom

Scanguards® ist ein eingetragenes Markenzeichen.

1

Die sechs Quadratmeter große fensterlose Zelle war zwanzig Jahre lang sein Zuhause gewesen.

Luther West blickte nicht zurück, als er – begleitet von dem Vampirwächter Dobbs, der in einem Kevlar-Schutzanzug steckte – auf das Ende des langen Korridors zuging, der auf beiden Seiten von Zellen gesäumt war. Zellen, in denen andere Vampire einsaßen; Kriminelle wie er. Helles Licht erleuchtete den Korridor in dem riesigen Betonlabyrinth, das sich irgendwo im Vorgebirge der Sierra Nevada befand.

Luther warf einen Blick zu den Leuchtstoffröhren über seinem Kopf. Für einen Besucher sahen diese ganz gewöhnlich aus, aber Luther wusste es besser. Von einem Kontrollraum aus konnten die UV-Lichtröhren, die sich in den Gehäusen befanden, durch das Umlegen eines Schalters aktiviert werden. Ein Vampir, der sich in dem Korridor befand, wenn das UV-Licht angeschaltet wurde, würde langsam aber sicher verbrennen.

Ein schmerzvoller Tod. Und ein effektives Abschreckungsmittel für jeden, der versuchen wollte zu entfliehen.

Abgesehen von dieser raffinierten Vorrichtung war ein Vampirgefängnis nicht viel anders als ein Gefängnis für Sterbliche. Die Idee war dieselbe: die Täter zu bestrafen und sie von den anständigen Bürgern fernzuhalten, sodass sie niemandem mehr etwas antun konnten.

Nun, es hatte funktioniert.

Die UV-Waffen, die die Wachen trugen, um die Gefangenen bei Stange zu halten, erfüllten ihren Zweck. Obwohl ihr Einsatz schmerzhaft war, hinterließen sie für gewöhnlich keine permanenten Narben bei einem Vampir. Der Verzehr von menschlichem Blut sowie ein ununterbrochener Schlafzyklus sorgten dafür, dass die Haut eines Vampirs heilte, ohne zu vernarben. Doch manche der Wachen waren grausamer als andere. Und jenen Gefangenen, denen es schwerfiel, sich deren Autorität unterzuordnen und ihr Schicksal zu akzeptieren, fanden auf schmerzhafte Art und Weise heraus, dass selbst ein Vampirkörper Narben davontragen konnte.

Luther war einer von ihnen gewesen.

Um ihn zu lehren, wer die Befehle erteilte, hatten sie seine bereits mageren Rationen menschlichen Blutes soweit gesenkt, dass er fast am Verhungern war, und seinen Schlafzyklus alle dreißig Minuten unterbrochen, sodass sein Vampirkörper nicht heilen konnte. Eine Woche mit dieser Art von Behandlung und über die Verbrennungen, die von den UV-Strahlen verursacht worden waren, wuchs Narbengewebe und ließ die Verunstaltung permanent werden.

Luthers Rücken und Brust legten Zeugnis über die frühen Jahre seines Ungehorsams ab. Er hatte seine Lektion gelernt. Danach wurde er ein Vorzeigegefangener und behielt seine Gefühle für sich, während er seine Zeit absaß. Aber er hatte sich schon früh Feinde gemacht und manche Leute hegten länger einen Groll als andere.

„Entlassungstag?“ Er erkannte die Stimme aus der offenen Zelle sofort. Summerland! Einer der Wächter, der nie eine Gelegenheit ausließ, Luther zu zeigen, wer das Sagen hatte.

Instinktiv drehte Luther den Kopf, obwohl er wusste, dass die Frage nicht an ihn gerichtet war. Hinter ihm stoppte Dobbs und Luther tat dasselbe, da er den Befehl zu warten, voraussah.

„Wests Zeit ist um.“ Dobbs zeigte mit dem Daumen auf ihn und schaute dann wieder zu dem Wächter in der Zelle. „Was machst du? Ich dachte, dieser V-CON wäre letzte Woche schon entlassen worden.“

V-CONs – so nannten die Wachen die Gefangenen: Vampire Convicts – Vampirhäftlinge.

Luther blickte an Dobbs vorbei auf Summerland, der mit seinem blonden Kopf auf die Innenwände der Zelle deutete. „Ja, wurde er auch. Allerdings hat er seinen ganzen Müll zurückgelassen.“

Summerland riss weiter Poster von den Wänden. Filmplakate, Bilder von schönen Frauen, wahrscheinlich Schauspielerinnen. Filmstars. Oder vielleicht Sängerinnen. Eine der Frauen kam ihm irgendwie bekannt vor. Wahrscheinlich hatte er sie im Fernsehen gesehen. Eine Blondine mit einem Vorbau wie Raquel Welsh und Augen wie eine Wildkatze. Grün wie Smaragde. Der Vampir, der diese Zelle bewohnt hatte, hatte offensichtlich einen guten Geschmack in Sachen Frauen. Den Postern nach zu urteilen aber keinen so guten, was Filme anbelangte.

Zugang zu Filmen und Fernsehshows war ein Privileg für gutes Benehmen. Der ehemalige Gefangene musste ein Vorzeigebenehmen an den Tag gelegt haben, da ihm sogar erlaubt worden war, Bilder aus der Außenwelt zu beziehen und aufzuhängen. Außer er hatte eine der Wachen bestochen.

Schließlich waren die Gefangenen Vampire und viele von ihnen hatten schon ein langes Leben hinter sich und ein Vermögen angehäuft, mit dem sie gewisse Dienste erkaufen konnten. Luther wusste, dass im Austausch für große Summen Geld sogar Prostituierte ins Gefängnis geschmuggelt wurden. Ein Wachmann in einer der wenigen Vampirstrafanstalten zu sein, war eine begehrte Position. Man munkelte, dass viele Wachen als reiche Männer in den Ruhestand gingen.

Obwohl Luther das Geld für Nutten gehabt hätte, hatte er nie um derlei Begünstigungen gebeten. Eine Frau war der Grund dafür, dass er zwanzig Jahre in diesem Höllenloch verbracht hatte. Frauen bedeuteten Ärger, großen Ärger. Er würde dafür sorgen, sie zu meiden. Und noch eine weitere Lektion hatte er gelernt: Vertraue nie den Gefühlen einer Frau. Egal, wie sehr sie beteuert, dich zu lieben. Nicht einmal, wenn sie dein Kind austrägt.

Leise knurrend schob Luther die aufkommenden Erinnerungen und den Zorn, der in ihm aufflammte, beiseite.

„Seid ihr fertig mit der Plauderei?“

„Pass auf, was du sagst, West“, mahnte Dobbs. „Du kommst noch früh genug hier raus. Sobald ich soweit bin. Auch wenn einigen Leuten diese Tatsache nicht gefällt. Stimmt’s, Summerland?“

Summerland kniff die Augen zusammen und warf Luther einen giftigen Blick zu. „Ach, der kommt eines Tages wieder.“

Luther zog einen Mundwinkel spöttisch nach oben. „Ich würde nicht darauf wetten.“ Ohne auf Dobbs’ Befehl zu warten, drehte er sich um und ging weiter in die Richtung, in die sie unterwegs waren.

Die Schritte des Wächters hinter ihm wurden plötzlich von Lärm übertönt. Wütendes Schreien und Grunzen irgendwo vor ihnen hallte in dem Korridor wider. In dem Moment, als Luther um die Ecke bog, sah er den Grund für den Aufruhr.

Ein riesiger, offensichtlich sehr verärgerter Gefangener wehrte sich mit Händen und Füßen gegen zwei Wachen. Die beiden, Norris und MacKay, waren bis an die Zähne bewaffnet, aber der Sträfling gab ihnen keine Gelegenheit, ihre Waffen zu benutzen.

Mit gefletschten Fangzähnen und rot glühenden Augen, die seine Aggression unterstrichen, griff der V-CON mit solcher Wildheit und solchem Geschick an, dass die zwei gut ausgebildeten Wärter all ihre Kräfte aufwenden mussten, nur um auf den Füßen zu bleiben.

„Ach, Scheiße!“, fluchte Dobbs. Er drückte den Knopf an seinem Funkgerät. „Korridor sieben. Feindseliger V-CON, zwei Wachmänner in Gefahr. UV-Licht einsetzen. Wiederhole …“

„Verdammt!“, fluchte Luther und fuhr herum. „Willst du mich verarschen?“

Würde er am Tag seiner Entlassung noch eine Dosis UV-Strahlen abbekommen? Was sollte das werden? Ein Abschiedsgeschenk?

Aber Dobbs zuckte lediglich mit den Schultern und zog sein schützendes Visier über sein Gesicht. Der Rest seines Körpers war durch seine Ausrüstung, bis hin zu den speziell entworfenen Handschuhen, bereits angemessen geschützt.

„Verdammtes Arschloch!“ Luther stürmte in Richtung des Handgemenges. Wenn er die Situation schnell entschärfen konnte, würde Dobbs genug Zeit haben, um seinen Befehl zu widerrufen. Kein verdammter idiotischer Gefangener würde ihm an seinem Entlassungstag Verbrennungen bescheren!

„Nur über meine verdammte verkohlte Leiche!“

Wütend rammte Luther den aggressiven Sträfling und erwischte ihn unvorbereitet. Der Idiot hatte nicht erwartet, von einem Mitgefangenen angegriffen zu werden. Großer Fehler.

Luther schlug seine Faust in das Gesicht des Trottels und brüllte: „Du versaust mir meine Entlassung nicht, du Arschloch!“

Eine Faust sauste direkt auf ihn zu, aber der V-CON hatte keine Ahnung, mit wem er es zu tun hatte. Luther war vielleicht zwanzig Jahre lang eingesperrt gewesen, und das zu Recht, aber er hatte nichts von seinen tödlichen Kampffähigkeiten verlernt. Er war höchstens etwas eingerostet, aber sein Muskelgedächtnis kam mit jeder Sekunde, die er auf den Kerl einschlug, mehr und mehr zurück.

Mit stoischer Ruhe steckte Luther die Treffer ein, die der andere Vampir landen konnte.

Ein weiterer Schlag und sein Gegner landete endlich auf dem Rücken. Nun, da der härteste Teil erledigt war, sprangen Norris und MacKay wieder in das Schlachtgewühl und hielten die Arme des V-CONs fest.

Aber den Gefangenen zu bändigen hatte zu lange gedauert.

Luther hörte das verräterische Klicken der Leuchtstoffröhren an der Decke.

„Fuck!“, fluchte er, als die Lichter einen Moment lang flackerten.

Dann spürte er das Brennen.

UV-Licht bombardierte ihn, als stünde er in der Mittagssonne.

„Lass es abstellen, Dobbs! Verdammt!“, schrie Luther den Wächter an.

Er sah, wie Dobbs an seinem Funkgerät fummelte und es ihm schließlich aus der Hand fiel.

„Verdammter Volltrottel!“

Schmerz brannte durch seinen Körper. Luther hechtete auf das Kommunikationsgerät zu und packte es. Er drückte auf einen Knopf. Hinter sich hörte er, wie Norris und MacKay sich um den V-CON kümmerten, der nun vor Schmerzen schrie.

„UV-Licht in Korridor sieben abschalten“, brüllte Luther in das Funkgerät. Er hatte die Wachen oft genug gehört, um mit ihren Kommandos und ihrer Sprechweise vertraut zu sein.

„Wer ist das?“, kam eine kratzende Antwort.

Der Gestank von verbrannten Haaren und versengter Haut – von ihm, sowie dem anderen Gefangenen – stieg in seine Nase, sodass ihm übel wurde.

Das Funkgerät wurde ihm plötzlich aus der Hand gerissen.

„Hier ist Dobbs. UV-Licht in Korridor sieben sofort abschalten. V-CON überwältigt.“

Sekunden später flackerten die Lichter erneut. Luther brach auf dem Boden zusammen, dieses Mal nicht vor Schmerzen, sondern aus Erleichterung.

„Alles unter Kontrolle“, bestätigte Norris.

Luther warf ihm einen schiefen Blick zu und spöttelte. Ja, jetzt war alles unter Kontrolle – aber nicht dank der Wachen. Das war Luthers Werk gewesen. Bevor er allerdings dem Wächter sagen konnte, was er von dessen Kommentar hielt, traf ihn ein glänzender Stiefel in die Seite und katapultierte ihn gegen die Wand. Automatisch fuhren sich seine Fangzähne aus und seine Lippen zogen sich zurück, um seinen Angreifer zu warnen.

„Summerland!“, zischte Luther leise. Hätte er sich denken können!

Er hatte die Vampirwächter vor ernsten Verletzungen und wahrscheinlich dem Tod bewahrt und das war der Dank dafür?

Der Stiefel kam ein zweites Mal auf ihn zu. Luther griff danach, aber Summerland wurde zurückgerissen.

„Lass ihn in Ruhe!“, befahl Norris.

Luther blickte an dem erstaunten Wächter vorbei und sah, dass Norris Summerland an der Schulter gepackt hatte.

„Du hilfst lieber dabei, es dem Neuling gemütlich zu machen.“ Norris zeigte auf den gebändigten Vampir, dessen Gesicht und Hände mit schlimmen Blasen überzogen waren. Er hatte die volle Wucht des UV-Lichts abbekommen, da er auf dem Rücken gelegen hatte, als die Lichter angingen.

Luther hatte es geschafft, wegzusehen, aber sein Nacken und sein Hinterkopf hatten erheblichen Schaden genommen – nichts, was etwas menschliches Blut und ein guter Tagesschlaf nicht reparieren konnten.

„Und ich bin nicht derjenige, der den Bericht über den Vorfall schreiben wird“, stellte Norris klar. „Ich gehe in Urlaub.“

MacKay, der seine UV-Waffe an den Kopf des V-CONs hielt – dessen Hände nun mit silbernen Handschellen gefesselt waren – brummte missfällig. „Da hast du dir ja wieder die richtige Zeit ausgesucht, damit der Rest von uns sich um den Neuling kümmern muss.“ MacKay schlug mit dem Griff seiner Waffe gegen die Schläfe des Gefangenen. „Der verdammt noch mal nicht weiß, was gut für ihn ist.“

„Auf geht’s, West“, befahl Dobbs nun. „Außer dir gefällt es hier so sehr, dass du länger bleiben willst.“

Trotz des Schmerzes, der durch seinen Kopf strahlte und seine Wirbelsäule hinab wanderte, sprang Luther auf. Keinesfalls wollte er den undankbaren Wachen gegenüber zugeben, dass er verletzt war. Er nickte seinem Kerkermeister zustimmend zu und marschierte aus dem Höllenloch, das zwanzig einsame Jahre sein Zuhause gewesen war.

2

„Mein Reißverschluss klemmt!“

Katie Montgomery wirbelte in dem Sport-Umkleideraum herum, der für diesen Abend zur Theater-Garderobe umfunktioniert worden war. Dieser Bereich war für die weiblichen Mitglieder der Besetzung reserviert. Zwei Meter hohe Wände trennten ihn von der anderen Hälfte, wo die männlichen Schauspieler in ihre Kostüme schlüpften.

Die Schauspielklasse der University of San Francisco, einer Privatschule, führte vor den Weihnachtsferien Ein Sommernachtstraum auf. Als Schauspiellehrerin war Katie für die gesamte Produktion verantwortlich, inklusive dafür zu sorgen, dass jeder seiner Rolle entsprechend aussah und seinen Text beherrschte. Zusätzlich spielte sie eine der Rollen auch selbst, da leider eine Studentin früh im Semester aus dem Kurs ausgeschieden war und Katie keinen Ersatz für die anspruchsvolle Rolle hatte finden können.

Der Rummel, das Geplapper und die Aufregung bei den Amateurschauspielern erinnerte sie an die Jahre, die sie an Film- und Fernsehsets in Hollywood verbracht hatte. Damals war ihr Name nicht Katie gewesen. In Hollywood kannte man sie als Kimberly Fairfax, die blonde Sexbombe. Nun, sie war auch nicht mehr blond – eigentlich war sie nie wirklich blond gewesen. Ihre natürliche Haarfarbe war ein sattes Dunkelbraun genauso wie das ihrer Brüder, Haven und Wesley.

Katie eilte zu Cindy, dem zwanzigjährigen Mädchen, das wegen ihres Reißverschlusses gejammert hatte. „Ich helfe dir.“ Sie trat hinter sie und begutachtete die Rückseite des pastellblauen und -grünen Feenkostüms. „Damals im sechzehnten Jahrhundert hatten sie Knöpfe und Schleifen“, murmelte Katie zu sich selbst. Sie zog an dem Reißverschluss, aber er spannte. „Hast du zugenommen?“

Cindy warf einen Blick zurück und zuckte unschuldig mit den Schultern. „Ich schwöre, ich esse morgens nur ein Stück Gebäck.“

Katie neigte zweifelnd den Kopf zur Seite, sagte jedoch nichts.

„Na ja, und eines am Nachmittag. Aber das ist wirklich nicht meine Schuld. Ich bin einfach immer hungrig. Und ich bin doch noch im Wachstum. Außerdem können wir nicht alle die gleiche perfekte Figur haben wie Sie. Ich weiß nicht, wie Sie das machen. Sie sehen immer noch aus, als wären sie Mitte zwanzig und ich weiß doch, dass Ihr erster großer Film herauskam, als ich geboren wurde.“

Lächelnd schüttelte Katie den Kopf. „Halte einfach einen Augenblick den Atem an.“ Sie zog den Reißverschluss hoch und klopfte dem Mädchen auf die Schulter. „Erledigt.“

Bevor die Studentin mehr über Katies Erscheinung sagen konnte, wandte sich Katie ab und schaute, ob sie noch irgendwo gebraucht wurde. Sie ging nie darauf ein, wenn Leute etwas zu ihrem Aussehen oder ihrem Alter anmerkten.

Sie war zweiundvierzig, aber für eine Hexe bedeutete Alter nichts. Obwohl sie nicht wie ihr Vampirbruder Haven ewig jung bleiben würde, alterten sie und ihr Bruder Wesley so langsam, dass sie locker für Mitte zwanzig gehalten werden konnten. Das war einer der Gründe, warum Katie Hollywood und dem Filmgeschäft den Rücken gekehrt hatte. Zu viele Leute fingen an, Fragen zu stellen und sich Gedanken zu machen, zu welchem Schönheitschirurgen sie wohl ging, um so jung auszusehen. Sie hatte Angst, dass eines Tages jemand von ihnen herausfinden würde, dass sie nicht menschlich war, sondern ein übernatürliches Wesen.

Trotz ihrer Hexengene hatte sie keine nennenswerten Kräfte. Ein Ritual, das ihre Mutter kurz nach ihrer Geburt durchgeführt hatte, hatte sie und ihre Brüder ihrer Hexenkräfte beraubt. Als ihr Bruder Haven vor zwanzig Jahren sein menschliches Leben geopfert hatte, um die Welt vor einer bösen Hexe zu retten und zu einem Vampir geworden war, war die Macht der Drei, die für sie und ihre Brüder bestimmt gewesen war, endgültig zerstört worden.

Aber Wesley, ihr um acht Jahre älterer Bruder, hatte seine Kräfte wiedererlangen wollen. Und er hatte dafür hart gearbeitet. Die Kunst studiert. Fehler gemacht. Noch mehr geübt. Nun, zwanzig Jahre später, war er ein fähiger Hexer. Er nutzte seine Kräfte für das Gute, nicht das Böse. Und für Scanguards, die von Vampiren geführte Sicherheitsfirma, der sie alle so viel verdankten.

Mindestens die Hälfte von ihnen war heute Abend anwesend. Sie waren alle gekommen, um Isabelle, Samsons und Delilahs Tochter, bei ihrem Auftritt zuzusehen. Instinktiv suchte Katie nach der jungen Hybridin. Als Tochter eines Vampirs und seiner blutgebundenen Gefährtin war Isabelle ein außergewöhnliches Geschöpf. Sie vereinte die Vorteile von beiden Spezies in sich: Sie besaß die Stärke und Schnelligkeit eines Vampirs, aber ohne den Nachteil, von Sonnenlicht verbrannt zu werden. Und sobald sie einundzwanzig war, würde sie zu altern aufhören. Genauso wie ihr vampirischer Vater, als er vor über zwei Jahrhunderten verwandelt worden war.

Isabelle trug ein Gewand aus dem siebzehnten Jahrhundert in einem satten Azurblau und sah absolut umwerfend aus. Das lange dunkle Haar, das normalerweise über ihre Schultern fiel und ihrer entzückenden Figur schmeichelte, war zu einer mittelalterlichen Frisur toupiert. Schon jetzt, mit zwanzig, standen die Männer Schlange, um ihre Zuneigung zu gewinnen. Isabelle hatte die Schönheit ihrer Mutter und die Stärke ihres Vaters geerbt. Sie war eine ernstzunehmende Gewalt. Das zeigte sich stets, wenn sie und ihre zwei Brüder, Grayson und Patrick, neunzehn und siebzehn, unterschiedlicher Meinung waren. Wenn die drei stritten, flogen die Funken. Alle drei wollten führen. Doch nur einer würde letztendlich herrschen.

Aber heute Abend war Isabelle irgendwie anders. Sie sah nicht so zuversichtlich aus wie gewöhnlich, wirkte vielmehr nervös und sah aus, als wäre ihr unbehaglich. Hatte sie Lampenfieber?

Katie blickte auf die große Uhr an der Wand. In dreißig Minuten würde der Vorhang hochgehen. Jetzt war nicht die Zeit, dass jemand kalte Füße bekam. Sie ging auf Isabelle zu, als sie hörte, wie jemand ihren Namen rief.

„Katie? Hast du kurz Zeit?“

Sie drehte sich um und sah Blake seinen Kopf zur Tür hereinstecken.

„Du kannst hier nicht reinkommen!“, tadelte sie und eilte auf ihn zu.

Er wich sofort zurück und wartete, bis sie zu ihm in den Korridor hinaustrat.

„Entschuldigung, niemand hat mein Klopfen gehört“, sagte er und grinste entwaffnend.

Vor zehn Jahren noch hätte Katie die Augen verdreht und ihn beschuldigt, jede Ausrede zu nutzen, um ein Auge auf die jungen Mädchen im Umkleideraum werfen zu können. Aber nicht heute Abend. Blake hatte sich in mehr als nur einer Hinsicht geändert.

Er war erwachsen geworden und zu einem überaus gut aussehenden Mann mit einem durchtrainierten Körper aus puren Muskeln, kurzen dunklen Haaren und denselben blauen Augen wie seine Ur-ur-ur-urgroßmutter, Rose, herangewachsen. Aber dort endete die Ähnlichkeit zu Quinn und Rose auch schon. Er sah älter aus als seine vampirischen Vorfahren. Diese waren mit Mitte zwanzig in Vampire verwandelt worden, wohingegen Blake erst vor zwölf Jahren, im Alter von zweiunddreißig, ein Vampir geworden war. Quinn hatte ihn auf Blakes Verlangen hin verwandelt.

„Was ist los?“, fragte Katie und sah zu Blake auf, der sie weit überragte.

„Ich wollte nur die Sicherheitsvorkehrungen mit dir durchgehen.“

„Aber das haben wir doch schon gemacht. Ich habe wirklich keine Zeit. Wir haben nur –“

„Es wird nicht einmal eine Minute dauern, Süße“, beharrte er und stellte seinen Charme an.

„Süße?“ Sie lachte. Zwischen ihr und dem großen Vampir herrschte nichts Amouröses – das wussten sie beide. „Du musst aber verzweifelt sein.“

Blake schmunzelte und zeigte seine weißen Zähne. „Du kennst mich zu gut.“ Er zog ein Stück Papier aus der Innentasche seines schnittigen Jacketts, das er zu einer schwarzen Hose und festen Stiefeln trug. „Samsons Anordnung.“

Unfreiwillig musste sie lächeln. Selbst in eleganter Abendgarderobe war Blake immer wie für den Krieg gerüstet.

„Ich habe das Gefühl, du genießt es viel zu sehr, Scanguards’ interne Schutzabteilung zu leiten.“

Er grinste verschmitzt und sah sich im Korridor um, um sicherzugehen, dass keiner der Bühnenarbeiter, die die letzten Details arrangierten, sie hören konnte. „Rund-um-die-Uhr-Schutz für dreizehn Hybridteenager zu gewährleisten ist kein Zuckerschlecken. Und bring mich nur nicht auf die Eltern zu sprechen.“

Katie wusste, was er meinte. Einige Eltern konnten bezüglich ihres Nachwuchses etwas übervorsichtig sein und Samson war keine Ausnahme, wenn es um seine drei Kinder ging. Er hatte allerdings auch allen Grund zur Vorsicht. Scanguards hatte Feinde.

„Die treiben dich zum Wahnsinn, nicht wahr?“

Blake fuhr sich seufzend mit der Hand durchs Haar. „Du hast ja keine Ahnung. Und glaub mir, dabei waren diese Kinder in ihrem ganzen Leben nie sicherer, als seit dem Zeitpunkt, an dem ich vor zwölf Jahren ihre Beschützung übernommen habe.“

„Wolltest du deshalb verwandelt werden? Damit die Kinder dir nicht auf der Nase herumtanzen können?“

Blake blickte kurz den Gang hinunter, wo ein Arbeiter zwei Stühle in den nächsten Raum trug. „Das und die Tatsache, dass ich nicht älter als meine Großeltern aussehen wollte.“

Sein ernster Gesichtsausdruck schalt den unbekümmerten Ton in seiner Stimme Lügen.

„Sorry, dass ich gefragt habe.“

Blake blinzelte und stieß ein Seufzen aus. „Katie, ich will nicht –“

Sie hob ihre Hand. „Du musst mir nichts erklären –“

„Ich liebe diese Leute“, unterbrach Blake und zeigte zur Wand, hinter der sich die Bühne befand sowie das Publikum, das auf die Aufführung wartete. „Ich liebe alle von Scanguards. Sie sind meine Familie und ich will sie nicht verlassen. Wäre ich sterblich geblieben, hätte ich das eines Tages tun müssen. Und das kann ich nicht.“

Katie legte ihre Hand auf seinen Unterarm und drückte ihn.

Er schaute ihr tief in die Augen. „Und wenn du irgendjemandem jemals davon erzählst, werde ich dir das Leben aussaugen“, warnte er.

„Du willst nicht, dass dich jemand für einen Softie hält, stimmt’s?“

„Weil ich das nicht bin.“

„Nein, bist du nicht. Und jemanden zu lieben, macht dich auch nicht schwach, es macht dich stark.“

„Also, gehen wir das hier durch.“ Blake zeigte sichtlich beschämt auf das Blatt Papier in seiner Hand. „Ich habe markiert, an welchen Stellen der Aufführung Isabelle auf der Bühne sein wird und wann sie wieder hinter der Bühne bei den anderen Schauspielern sein soll. Sieht das so richtig aus?“

Katie überflog die Liste der Szenen und nickte. „Du kennst deinen Shakespeare.“

Er zuckte mit den Schultern. „Rose zwingt mich, all das Zeug zu lesen.“

Sie grinste. „Sicher macht sie das.“ Sie hörte, wie sich die Tür hinter ihr öffnete und drehte den Kopf, um zu sehen, wer die Garderobe verließ.

So bemerkte sie, wie Isabelle an der Tür erstarrte, als wäre sie bei etwas ertappt worden.

„Oh, hey Blake“, sagte Isabelle schnell und etwas zu freudig. „Wirst du auch zusehen?“

„Mit Adleraugen.“

Isabelle verdrehte die Augen. „Ich meinte, bei dem Theaterstück.“

„Ich auch.“ Er umarmte sie kurz und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er sie wieder losließ. Dann sprang sein Blick zwischen Isabelle und Katie hin und her. „Oh mein Gott, ich schwöre, wenn wir euch zwei in die gleichen Klamotten stecken würden, würde man euch für Zwillinge halten!“

Katie tauschte einen Blick mit Isabelle aus.

„Zwillinge?“, sagten sie im Einklang.

Blake hielt beide Hände verteidigend hoch. „Okay, Schwestern. Aber Junge, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass ihr aus demselben Mutterleib kommt.“

„Okay, genug davon.“ Katie machte eine scheuchende Geste. „Hast du nichts zu tun? Ich nämlich schon.“

Blake grinste und nickte Isabelle zu. „Hals- und Beinbruch, okay?“

Isabelle lächelte. „Danke.“

„Dir auch, Katie. Aber du bist ja ein alter Profi“, fügte er hinzu und wandte sich ab.

„Hey, wen nennst du alt?“, protestierte Katie. „Ich bin immer noch jünger als du!“

Ohne sich umzudrehen, winkte Blake ihr zu und ging weiter den Korridor hinab, bevor er durch eine Tür marschierte und aus ihrem Blickfeld entschwand.

„Männer!“

Ein leidender Seufzer entkam Isabelle. Katie musterte sie stirnrunzelnd. „Ist was nicht in Ordnung, Schatz?“

„Es ist nichts, nur …“

„Lampenfieber?“, fragte Katie. „Keine Sorge, das bekommen wir alle.“

„Das ist es nicht. Ich bin auf das Stück vorbereitet. Ich kenne meinen Text. Und nicht nur meinen. Ich kenne jedermanns Text.“

Katie strich mit der Hand über Isabelles Haar. Der Stolz ließ ihre Brust anschwellen. Samsons Tochter hatte Talent. „Ja, deshalb habe ich dich auch zur Zweitbesetzung aller wichtigen weiblichen Rollen gemacht. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so schnell so viel Text behalten konnte.“

Isabelle lächelte überraschend und ein wenig von der Trübsal verließ ihr Gesicht. „Darüber bin ich so froh. Deshalb fragte ich mich … Ich meine … Denkst du …“

Katie bemerkte, wie sich ihre Stirn runzelte. Isabelle war normalerweise niemand, der nervös oder sprachlos war. „Was bedrückt dich?“

Isabelle fummelte an den Bändern an ihrer Empire Taille. „Es ist Cameron.“

Einen Moment lang wusste Katie nicht, von wem Isabelle sprach. Dann dämmerte es ihr. „Cameron, der Lysander spielt?“

Isabelle nickte und vermied Augenkontakt, als sie weiterredete. „Ja, der in Hermia verliebt ist.“

Ein sanftes Lächeln zog an Katies Lippen. „Die von mir gespielt wird.“

Isabelle hob den Kopf. „Und die Lysander am Ende küsst.“

„Und Helena, die von dir gespielt wird, küsst Demetrius.“

Isabelle nickte, sprach aber nicht weiter.

„Ich dachte, du wolltest es so. Ist das nicht der Traum jedes Mädchens, von zwei Männern begehrt zu werden? Wie in diesem Stück, in dem Helena durch Pucks Liebestrank sowohl von Lysander als auch von Demetrius begehrt wird?“

„Ja, aber Lysanders Liebe ist nicht echt. Sie ist nur eine Illusion.“

„Aber es ist doch ein Theaterstück. Das ist alles nur eine Illusion.“

Genauso wie Hollywood eine Illusion gewesen war. Eine schöne. Eine, die sie reich gemacht hatte, sodass es ihr an nichts fehlte. Aber nichts in Hollywood war echt gewesen: Am Ende hatte sie nicht einmal den Leuten, die ihr am nächsten standen, vertrauen können. Ein Verrat hatte sie fast das Leben gekostet. Das war der wahre Grund, warum sie vor fünf Jahren wieder nach San Francisco gekommen war: um zu ihrer Familie zurückzukehren, wo sie hingehörte und in Sicherheit war.

Es war ihr gelungen, das alte viktorianische Haus am Buena Vista Park zurückzukaufen, das einst ihrer Familie gehört hatte. Und sie hatte Veränderungen darin vorgenommen, um es zu einem sicheren Ort für Vampire zu machen. Haven und seine Gefährtin Yvette mussten so bei ihren Besuchen keine Angst haben, vom Sonnenlicht verletzt zu werden.

„Ich wäre viel lieber Hermia, weil Lysanders Liebe für sie echt ist“, fuhr Isabelle fort. „Und du hast selbst gesagt, dass ich jeden Text kenne. Ich bin deine Zweitbesetzung. Du weißt, dass ich das schaffe.“

„Du willst, dass ich die Rollen mit dir tausche?“

„Bitte!“

„Du magst Cameron wirklich, oder?“

Isabelle nickte.

„Weiß er das?“

„Nein.“

„Warum sagst du es ihm nicht?“

„Ich weiß nicht, ob er mich mag.“

„Also dachtest du, dass du es vielleicht herausfindest, wenn du ihn am Ende des Stücks küsst?“

Isabelle zuckte mit den Schultern. „Einen Versuch ist es wert.“

Kate ergriff Isabelles Hand. „Nun, dann ziehen wir uns lieber um. Ich habe alles in meiner privaten Garderobe.“

Es war nicht wirklich eine Garderobe, eher eine Kombination aus Büro und Requisitenzimmer, das ihr der Football-Trainer für die Dauer der Proben überlassen hatte.

„Du bist die Beste!“, sagte Isabelle.

Lächelnd steuerte Katie sie zur zweiten Tür rechts und betrat mit Isabelle das fensterlose Zimmer, bevor sie die Tür hinter ihnen zufallen ließ.

3

„Ihr losen Schwätzer, wie es keine gab!“, rezitierte Katie als Helena verkleidet, während sie zwischen den beiden Schülern, die Lysander und Demetrius spielten, hin und her blickte. Sie trug das lange blaue Kleid, welches Isabelle vor der Aufführung getragen hatte.

Die drei standen im Licht der Scheinwerfer auf der alten knarzenden Holzbühne der Universität. Auf den Stühlen im Auditorium davor saßen Vampire und ihre Familien zusammen mit Menschen, die keine Ahnung von den übernatürlichen Geschöpfen in ihrer Mitte hatten.

Vor der Aufführung hatte Katie durch den Vorhang gespäht und ihre Augen über die Zuschauer schweifen lassen. Ihre beiden Brüder waren anwesend; Haven hatte Yvette sowie Sohn und Tochter mitgebracht. Samson und Delilah saßen stolz in der ersten Reihe, flankiert von ihren Söhnen, Grayson und Patrick. Zane und die gesamte Eisenberg-Familie saßen im hinteren Teil, während Amaury und Nina mit ihren achtzehnjährigen Zwillingen, Damian und Benjamin, in der Nähe der mit dicken Samtvorhängen verdunkelten Fenster Platz gefunden hatten.

Quinn Ralston und sein Clan, zu dem seine Frau Rose, sein Protegé Oliver, sowie dessen Gefährtin Ursula und ihr zehn Jahre alter Sohn, Sebastian, gehörten, saßen in der Reihe hinter Samson. Blake, der auch zum Ralston-Clan gehörte, hatte seinen Posten in der Nähe der Eingangstür eingenommen und überflog mit seinen Augen den Raum, wobei er gelegentlich leise in sein Mikrofon sprach und auf den Empfänger in seinem Ohr lauschte. Mit der Aufgabe betraut, dreizehn Scanguards-Jugendliche zu bewachen, die zwischen zehn und zwanzig Jahren alt waren, hatte er definitiv alle Hände voll zu tun, obwohl alle in Begleitung ihrer Eltern waren.

Gabriel und Maya waren von ihrer Brut umringt, zwei Jungen und ein Mädchen im Teenageralter. Maya war dafür verantwortlich, dass weibliche Vampire Kinder bekommen konnten, obwohl diese normalerweise unfruchtbar waren. Ihre medizinische Ausbildung und intensiven Forschungen hatten sich endlich ausgezahlt, und sie hatte eine Behandlungsmethode erfunden, die es weiblichen Vampiren erlaubte, schwanger zu werden und ein Kind auszutragen. Diese Nachricht hatte unter den Vampiren für große Furore gesorgt.

Ihr Gefährte Gabriel, ein Vampir mit einer üblen Narbe, die eine Gesichtshälfte verunstaltete, suchte die Menge ab. Als stellvertretender Scanguards-Boss vergaß er nie seine Pflicht. Vermischt unter den Leuten von Scanguards saßen die Familien der anderen Schauspieler, sowie viele Freunde, die gekommen waren, um die Theaterleidenschaft ihrer Klassenkameraden zu unterstützen.

„Nein, Hermia mag ich nicht: behalt sie, Lieber! Liebt ich sie je, die Lieb ist längst vorüber. Mein Herz war dort nur wie in fremdem Land; Nun hat’s zu Helena sich heimgewandt, um dazubleiben.“

Die Darbietung von Demetrius klang etwas hölzern, aber Katie musste zugeben, dass er seinem Charakter treu war und sie mit seiner bisherigen Vorführung zufrieden war. Auch wenn sie in die Rolle der Helena geschlüpft war – und so sehr sie sich auch in den Charakter versetzen wollte – war sie sich immer noch ihrer Aufgabe als Regisseurin und Lehrerin bewusst.

„Glaub’s nicht, Helena“, mahnte Lysander.

„Tritt nicht der Treu, die du nicht kennst, zu nah; du möchtest sonst vielleicht es teuer büßen“, antwortete Demetrius mit Blick zur linken Seite der Bühne, wobei er mit seiner Hand in dieselbe Richtung zeigte. „Da kommt dein Liebchen; geh, sie zu begrüßen.“

Stille grüßte Demetrius’ Ankündigung.

„Geh, sie zu begrüßen“, wiederholte er, dieses Mal etwas lauter.

Katies Puls schnellte in die Höhe, während ihre Augen die Dunkelheit jenseits der Bühne absuchten, wo Isabelle als Lysanders Geliebte Hermia wiedererscheinen sollte. Aber alles, was sie hinter den Kulissen sah, war eine ihrer Studentinnen, die als Fee verkleidet auf ihren Auftritt wartete. Sie tauschte einen Blick mit dem Mädchen aus, bekam als Antwort jedoch nur ein hilfloses Schulterzucken.

Isabelle hatte ihr Stichwort verpasst! Beschämt über ihre Schülerin wollte Katie im Boden versinken. Konnte es sein, dass Isabelle wegen des Stresses der Vorführung ihren Text vergessen hatte oder hatte sie ihren nächsten Auftritt auf der Bühne einfach nur schlecht getimt? Hatte sie eine Toilettenpause eingelegt und die Zeit vergessen?

Aus dem Auditorium drang Flüstern an Katies Ohren. Die Menge wurde unruhig; sie spürte, dass etwas nicht nach Plan ablief. Ihr Blick schoss in die erste Reihe. Sie musste nicht wie die anwesenden Vampire in der Dunkelheit sehen können, um Samsons Augen zu erkennen, weil diese jetzt rot glühend wie Leuchtfeuer auf sie gerichtet waren.

Was ist los?, formte er mit dem Mund, sein Gesicht eine Maske der Sorge.

Katie hatte kein Problem damit, von seinen Lippen zu lesen. Es war eine Fähigkeit, die sie sich während ihrer professionellen Schauspielkarriere angeeignet hatte, wenn Assistenten hinter der Kamera oder den Kulissen ihr soufflierten.

Sie schüttelte schnell den Kopf in Samsons Richtung, dann starrte sie wieder auf die Seite der Bühne, von der die Schauspieler auftraten. Immer noch nichts.

Ein unangenehm prickelndes Gefühl wanderte ihre Arme hinauf. Etwas stimmte nicht. Isabelle war trotz ihres jungen Alters eine zuverlässige Person. Sie war erwachsen und drückte sich nie vor ihren Verpflichtungen.

Die beiden Schüler, die Lysander und Demetrius spielten, starrten sie hilfesuchend an.

„Was jetzt?“, murmelte Lysander.

Katie antwortete nicht. Stattdessen eilte sie dorthin, wo die Fee hinter den Kulissen wartete und verließ die Bühne. Sie packte das mollige Mädchen an den Schultern. „Wo ist Isabelle?“

„Ich weiß es nicht.“ Cindy würgte einen Bissen Essen hinunter. Puderzucker umrahmte ihre Lippen. „Vor ein paar Minuten war sie noch da.“

„Geh, lauf zu den Toiletten und schau, ob sie dort ist, schnell!“

Sofort machte sich Cindy davon.

Aus dem Auditorium drangen jetzt immer mehr Stimmen zu Katie. Die Leute redeten untereinander und fragten sich, was los war. Genau wie sie.

„Wo ist sie, wo ist Isabelle?“

Katie wirbelte herum und sah, wie Blake auf sie zueilte und den Backstagebereich vom Korridor aus betrat.

„Ich weiß es nicht. Sie hat ihr Stichwort verpasst. Vielleicht ist sie auf der Toilette. Ich habe schon jemanden losgeschickt, um nach ihr zu suchen. Vielleicht ist sie nervös geworden.“

Blake presste seinen Finger auf den Empfänger in seinem Ohr. „Sichert das Gebäude. Findet Isabelle Woodford. Ich wiederhole: Sichert alle Ausgänge. Niemand verlässt dieses Gebäude ohne mein Wissen. Verstanden?“

Bevor sie Blake darauf hinweisen konnte, dass er wahrscheinlich überreagierte, drang der Klang schwerer Schritte durch die Dunkelheit hinter der Bühne.

„Isabelle?“ Samson schob sich an Blake vorbei und seine haselnussbraunen Augen bohrten sich mit einem Blick in Katie, der die spanische Inquisition wie ein Fragespiel hätte aussehen lassen. „Wo ist meine Tochter?“

Einen Moment lang war Katie wie gelähmt. Der ein-Meter-neunzig große Vampir stellte eine imposante Figur dar. Er war die personifizierte Macht. Das hatte sie schon immer gewusst, obwohl sie auch seine freundliche Seite kannte und sie viele Jahre zuvor auch am eigenen Leibe erfahren hatte. Aber heute Abend kam noch eines hinzu: Er war ein besorgter Vater.

„Durchsucht die Garderoben und Toiletten!“, bellte Blake ins Mikro.

„Ich weiß nicht, wo sie ist; sie sollte wieder auf die Bühne kommen“, sagte Katie als Antwort auf Samsons Frage. Sie rang die Hände vor ihrem Bauch, versuchte, das aufkommende Angstgefühl zu unterdrücken.

Das Geräusch klappernder Sandalen kam näher und Katie blickte an dem Scanguards-Boss vorbei.

„Sie ist nicht auf der Toilette“, rief ihr Cindy mit einem Ausdruck von Bedauern zu. „Ich kann sie nicht finden.“

Blake bellte weitere Befehle in sein Mikro, einige so leise, dass Katie sie nicht verstehen konnte. Hinter dem Vorhang, der den Backstagebereich von der Bühne und dem Auditorium trennte, hörte sie Leute umherlaufen. Blakes Team war anscheinend dabei, jede Ecke des Gebäudes zu durchsuchen.

„Cindy, versammle die anderen Studenten in der Männerumkleide. Los!“, befahl Katie. „Und bleibt dort, bis wir wissen, was hier vor sich geht.“

Das Mädchen sah verängstig aus, nickte jedoch und verschwand.

Samson sah den Chef von Scanguards’ interner Schutzabteilung an. „Irgendetwas?“

„Meine Jungs suchen noch. Aber weder in den Toiletten noch in den Garderoben haben wir eine Spur von ihr gefunden.“

„Vielleicht in meiner Garderobe? Wir haben uns vorhin dort umgezogen“, schlug Katie vor, verzweifelt versucht zu helfen.

Blake raste hinaus.

„Was zum Teufel geht hier vor sich?“, ertönte eine Stimme aus der Dunkelheit.

Eine Sekunde später tauchte Grayson zwischen den Vorhängen auf. Er war das Spiegelbild seines Vaters. Sein Haar war rabenschwarz, nur die Augen hatte er von seiner Mutter Delilah: grün, genauso wie Katies. Jetzt jedoch flackerten Graysons grüne Augen rot, als würde es ihm gerade schwerfallen, seine vampirische Seite zu kontrollieren. „Wo ist meine Schwester?“

„Das wissen wir noch nicht“, gab Samson mit ernster Stimme zurück.

Blake kehrte atemlos zurück. „In Katies Umkleidezimmer ist niemand. Wir haben auch alle Wandschränke auf diesem Stockwerk überprüft. Meine Jungs arbeiten sich gerade zu den anderen Etagen hoch.“

„Und die Ausgänge?“, wollte Samson wissen.

„Niemand kommt ohne mein Wissen hier rein oder raus“, versicherte Blake ihm.

Grayson machte einen Schritt auf Blake zu. „Warum zum Teufel kannst du sie dann nicht finden? Du solltest wissen, wo sie sich befindet, zu jeder Minute. Du solltest sie beschützen!“

Grayson war ein Hitzkopf, genauso wie Blake in seiner Jugend, aber tief drinnen war er wie sein Vater: Er beschützte seine Familie mit all seiner Kraft. Falls Katie je Zweifel an seiner Loyalität gegenüber seinen Geschwistern gehabt hatte, wurden diese angesichts der Wut, die er nun Blake entgegenbrachte, gänzlich ausgelöscht.

Blakes Lippen zogen sich vom Zahnfleisch zurück und er zeigte dem neunzehnjährigen Jungen gerade genug von seinen Fangzähnen, um Respekt zu verlangen. „Isabelle spielte eine andere Rolle als vorgesehen.“

Katie erwartete, dass Blake nun mit dem Finger auf sie zeigte, aber zu ihrer Überraschung tat er das nicht. Stattdessen nahm er alle Schuld auf sich. „Ich habe dieses Sicherheitsdetail nicht rechtzeitig abgeändert.“ Er blickte den Hybriden mit zusammengekniffenen Augen an. „Aber ich kann dir versichern, Grayson, ich werde deine Schwester finden. Sie steht unter meiner Verantwortung und ich –“

„Es ist meine Schuld“, fiel Katie Blake ins Wort und legte ihre Hand auf seinen Unterarm. „Ich bin schuld. Sie flehte mich an, die Rolle mit ihr zu tauschen. Und ich stimmte zu.“ Sie drehte sich zu Samson. „Es tut mir leid. Es geschah in letzter Minute. Ich –“

Samson unterbrach sie mit einer abrupten Handbewegung. Dann sah er Blake an. „Sucht jeden Zentimeter des Gebäudes und des Grundstücks ab. Sie muss hier sein. Das muss sie.“

„Samson!“, erklang Delilahs angespannte Stimme hinter ihm.

Er drehte sich um.

Katie bemerkte den wortlosen Austausch zwischen ihnen. Als blutgebundenes Paar konnten sie telepathisch kommunizieren. Sekunden vergingen in Stille. Dadurch wurde Katie sich der Geschehnisse um sich herum noch bewusster: Bühnenarbeiter durchwühlten den Bereich, wo überflüssige Möbel aufbewahrt wurden und drehten jeden Gegenstand um. Scanguards-Mitarbeiter eilten durch die Gänge und öffneten jede Tür, durchsuchten jeden Wandschrank. Verschiedene Stimmen, die nach Isabelle riefen, waren im ganzen Gebäude zu hören. Katie wusste, dass andere außerhalb des Gebäudes waren und den Parkplatz und die angrenzenden Gebäude und Straßen absuchten. Es gab viele Versteckmöglichkeiten, aber Katie wusste, dass Isabelle sich nicht versteckte. Sie spürte es in ihrem Bauch. Konnte es in ihren Adern fühlen. Genauso wie Samson und Delilah es spürten.

Mit jeder Sekunde, die verging, überschattete die Realität immer mehr die Fantasiewelt der Bühne hinter ihr: Isabelle war verschwunden.

Katie beobachtete, wie Samson seine Frau in die Arme zog und sie an sich presste und sanft ihren Kopf streichelte.

„Wir werden sie finden, Süße“, versprach er ihr.

Immer mehr Leute versammelten sich im Backstagebereich. Zane, der glatzköpfige Vampir, der jedem einen tödlichen Schrecken einjagen konnte, marschierte sichtlich aufgewühlt auf Samson zu. Er hatte eine besondere Verbindung zu Isabelle: Er war ihr Pate, die erste Person, die Isabelle je gebissen hatte. Neben ihren Eltern stand er ihr am nächsten.

Ein Seufzen riss sich aus Delilahs Brust. Grayson tauschte einen Blick mit seinem Vater aus. Samson nickte und übergab seine Frau in die Arme seines Sohnes.

„Sie muss hier sein, Mom“, beruhigte Grayson sie.

„Im Keller ist nichts“, berichtete Zane Samson und wandte sich dann an Blake. „Was ist mit den Überwachungskameras?“

„Ich habe Eddie schon losgeschickt, um die Videoaufnahmen zu überprüfen“, antwortete Blake gerade, als Amaury zu ihnen stieß.

Der Vampir, groß und breit wie der Linebacker einer Footballmannschaft und mit schulterlangem Haar, tauschte einen flüchtigen Blick mit Samson aus. „Nichts in den oberen Stockwerken.“

Blake fasste an sein Mikro und lauschte einen Moment. Dann: „Bringt ihn rein! Worauf wartet ihr? Jetzt sofort!“

Katie registrierte, wie alle Vampire im Backstagebereich sofort in Alarmbereitschaft versetzt wurden. Ihre Augen fingen an zu glühen und sie konnte sehen, dass ihre Münder voller wurden, als ihre Fangzähne ausfuhren.

„Wer?“, fragte Samson Blake.

„Meine Jungs haben einen unbekannten Vampir gefunden, der auf dem Parkplatz herumlungerte. Sie bringen ihn jetzt rein.“

Als sich die Augen der versammelten Vampire ein paar Augenblicke später verschmälerten, wusste Katie, dass sie schon hören konnten, wie der Eindringling hereingeschleift wurde, auch wenn es noch ein paar Sekunden dauerte, bis Katies Ohren wahrnehmen konnten, dass sich das Individuum wehrte.

Alle eilten Richtung Tür und erwarteten die Ankunft des Verdächtigen. Die breiten Schultern der Vampire versperrten Katie die Sicht. Begierig herauszufinden, was los war, stieg Katie auf einen Hocker und lugte über die Köpfe der Vampire hinweg, gerade als drei von Blakes Männern den aufsässigen Vampir hereinbrachten.

Oh, mein Gott! Er sah wild aus und das schwarze Haar, die schwarzen Wimpern und die gebräunte Hautfarbe ließen ihn wie den Teufel persönlich aussehen. Seine Augen glühten rot und seine Fangzähne waren ausgefahren. Er war groß und muskulös mit breiten Schultern. Er trug legere Kleidung, doch in seinem Benehmen lag nichts Lockeres. Kraft und Stärke strahlten aus all seinen Poren. Katie wurde von dieser Kraft, von dem Vampir unter der Oberfläche, unerklärlich angezogen.

Die plötzliche Stille im Raum riss sie aus ihrer Beobachtung und ließ ihren Blick nach oben schnellen, zurück auf sein Gesicht. Der fremde Vampir hatte aufgehört, sich zu wehren, und starrte nun Samson an.

„Luther!“, zischte Samson.

4

In diesem Moment erkannte Luther, dass es eine dumme Idee gewesen war, in San Francisco aufzutauchen, mit der Absicht, alles wiedergutzumachen. Offensichtlich hatten zwanzig Jahre nicht gereicht, Samsons Hass auf ihn zu lindern. Oder Amaurys. Beide seiner einstigen Freunde blickten ihn wütend an, als wären sie bereit, ihm den Kopf abzureißen. Vielleicht sollten sie das auch tun. Vielleicht wäre das das Beste.

„Oh mein Gott, er ist es. Luther“, brach die tränenreiche Stimme einer Frau das hasserfüllte Schweigen.

Er musste den Blickkontakt mit Samson nicht abbrechen, um ihre Stimme zu erkennen: Delilah, die Frau, die er so viele Jahre zuvor fast getötet hatte.

„Er war es, er war es!“, rief sie jetzt mit einer Wut, die er nicht wirklich verstand.

Wenn er gewusst hätte, dass jeder bei Scanguards so lange einen Groll gegen ihn hegte, wäre er nie hierhergekommen.

„Ich habe dafür verdammt noch mal gebüßt“, knurrte Luther.

Was wollten sie noch von ihm? Das Vampirtribunal hatte ihn zu zwanzig Jahren verurteilt, obwohl sie ihm fünfzig hätten geben können, aber Amaurys Gefährtin, Nina, hatte sich für ihn eingesetzt und um Nachsicht gebeten. Vielleicht hätte sie das nicht tun sollen. Vielleicht verdiente er keine Nachsicht.

„Lasst ihn los!“, befahl Samson den Wachen, die ihn festhielten. Als sie zögerten, fügte er hinzu: „Das ist ein Befehl.“

Die Männer nahmen ihre Klauen von ihm und Luther verspürte einen Hauch Überraschung. Hatte er Samson falsch eingeschätzt?

Eine geballte Faust schlug ihm so schnell und hart ins Gesicht, dass Luther zurückkatapultiert wurde. Er verlor das Gleichgewicht und knallte an die Wand. Bevor er sich wieder aufrappeln konnte, klebte Samson auch schon an ihm.

„Wo ist meine Tochter?“, stieß er hervor und teilte einen zweiten Schlag gegen Luthers Kiefer aus.

Luthers Kopf schnellte zur Seite und er schmeckte Blut. Sein eigenes Blut. „Woher zum Teufel soll ich das wissen?“

Den nächsten Schlag blockierte Luther mit dem Unterarm und stieß ihn zurück. Aber Samson gab nicht so einfach auf. Wut stieg in Luther hoch und verlieh ihm neue Kräfte. Er rappelte sich auf, stürzte sich auf seinen früheren Freund und landete einen Aufwärtshaken an Samsons Kinn, wobei er aber immer noch seine wahre Stärke zurückhielt.

Samsons Augen glühten vor ungezügeltem Zorn. Seine Freunde standen ein paar Schritte hinter ihm und erlaubten ihrem Boss, sich an ihm auszulassen. Luther knirschte mit den Zähnen. Er war nicht gekommen, um wie zwei Gangster mit Samson etwas auszufechten. Das war nicht sein Plan gewesen. Im Gegenteil.

Aber offensichtlich wollte Samson das.

Nochmals kam eine Faust auf Luthers Schläfe zu. Mit einer blitzschnellen Bewegung hob er seinen Arm und hielt Samsons Klauen davon ab, ihr Ziel zu erreichen, während er mit dem Fuß gegen das Knie seines Gegners trat. Aber Samson ging nicht wie erwartet zu Boden. Vielmehr wankte er kaum, bevor er zu einem weiteren Schlag ausholte.

„Aufhören!“, schrie Luther.

„Was hast du meiner Tochter angetan?“, wiederholte Samson und fletschte seine Fangzähne.

„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst!“

Doch Luthers Worte trafen auf taube Ohren. Samsons Klauen kamen auf ihn zu. Luther versuchte, zur Seite zu treten, aber die Wand hinter seinem Rücken und ein Vampir, der zu nahe stand, machten es ihm unmöglich, dem tödlichen Instrument schnell genug auszuweichen. Scharfe Widerhaken, so tödlich wie Klingen, trafen seine Schulter und hinterließen tiefe Schnitte, aus denen sofort Blut quoll. Der metallische Geruch erfüllte die Luft in dem Korridor und erweckte die vampirische Seite der Anwesenden.

Fangzähne fuhren sich aus. Finger wurden zu Klauen. Augen glühten rot. Männer wurden zu blutrünstigen Vampiren. Er hatte es oft genug gesehen – das Gefängnis war ein perfekter Mikrokosmos gewesen, der die Geschehnisse in der Außenwelt widerspiegelte.

Samson rammte Luther mit seinem ganzen Körpergewicht und drückte ihn gegen die Wand. Obwohl Luther ihn hätte wegschieben können, was hätte das gebracht, wo mindestens sieben Vampire sie umringten, bereit einzugreifen, sollte ihr Boss in Gefahr sein? Nicht einmal Luther konnte diese Übermacht besiegen. Also versuchte er es auch nicht.

„Nur zu, schlitz mich auf!“, forderte er seinen alten Freund heraus. „Aber ich werde dir keine andere Antwort geben. Ich weiß verdammt noch mal nicht, wo deine Tochter ist.“

Zumindest konnte er jetzt erahnen, dass die etwas feindselige Behandlung, die ihm widerfuhr, nichts mit den Geschehnissen vor zwanzig Jahren zu tun hatte. Es schien eher so, als wäre er in einen Vorfall gestolpert, der sich gerade erst entwirrte. Und er hatte ganz sicher kein Interesse daran zu bleiben, um herauszufinden, worum es ging. Wenn Samson nicht auf seine Tochter aufpassen konnte, war das nicht Luthers Problem.

Durch zusammengekniffene Augen starrte Samson ihn angespannt an, als könnte er dadurch die Wahrheit herausfinden. Luther blinzelte nicht. Er hatte nichts zu verbergen.

Hinter Samson tauchte ein weiterer Vampir auf. Luther hatte ihn noch nie zuvor gesehen, aber er wusste trotzdem, wer er war. Schließlich war er eine jüngere Ausgabe von Samson selbst – und ein Hybride. Er musste sein Sohn sein.

„Er lügt. Er muss lügen!“, spuckte der junge Hybride. „Dad, du glaubst Luther doch nicht! Nicht nach allem, was er getan hat!“ Samsons Nachwuchs schien genau zu wissen, wer er war – und was er in der Vergangenheit getan hatte. Misstrauen sprühte aus den Augen des jungen Mannes.

„Grayson!“, knurrte Samson und warf seinem Sohn einen warnenden Blick zu. „Kümmere dich um deine Mutter und Patrick; ich kümmere mich um das hier.“

Widerwillig zog sich Grayson ein paar Schritte zurück. Dadurch verschaffte er Luther einen Blick auf die Leute, die weiter hinten standen. In der Tür, die, wie es aussah, zu einem Backstagebereich führte, stand eine Frau in einem langen blauen Kleid mit imperialer Taille, die ihre vollen Brüste akzentuierte. Als er angekommen war, hatte er draußen Poster eines Theaterstücks gesehen. Offensichtlich war sie eine der Schauspielstudentinnen.

Einen Moment lang ließ ihn der Anblick solch weiblicher Perfektion vergessen, dass er sich mitten in einer Auseinandersetzung befand. Eine Sache war sofort offensichtlich: Sie war keine Vampirin. Aber sie schien nicht beunruhigt von der Aggression, die die Vampire um sie herum an den Tag legten.

Luthers Augen wanderten langsam von ihrem Dekolleté zu ihrem anmutigen Hals und ihrem wunderschönen ovalen Gesicht, das von lockigem dunkelbraunen Haar eingefasst wurde, welches jetzt hochgesteckt war. Sie sah aus, als würde sie nicht in dieses Jahrhundert gehören. Als wäre sie eine Zeitreisende, eine Fata Morgana aus einer anderen Ära. Nicht ganz menschlich, sondern etwas mehr. Sie war wunderschön und ihr Anblick erfüllte ihn mit einem seltsamen Gefühl der Sehnsucht. Einem Verlangen, das er nicht verstand.

„Ich frage noch einmal, wo ist meine Tochter?“

Fasziniert und gleichzeitig irritiert riss Luther seinen Blick von der dunkelhaarigen Schönheit und funkelte Samson wieder wütend an.

„Ich weiß es nicht. Also nimm deine Hände von mir.“

„Luther?“

Beim Klang von Eddies Stimme wandte Luther seinen Kopf zur Seite. Sein Protegé, der junge Mann, den er vor über zwanzig Jahren zum Vampir gemacht hatte, kam auf ihn zu.

„Hi Eddie, lange nicht gesehen“, sagte er trocken.