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Bella Italien & Mee(h)r: Luzi van Gisteren schickt Sie mit Spannung und Humor ab nach Sizilien, in die Weinberge der Toskana und auf ein schillerndes Kreuzfahrtschiff Richtung Madeira. Erleben Sie Federico Polettis temperamentvolle Oma Nonna Carmelina, die ein kriminelles Gen besitzt und Annabelle, die in ihrer Finca von Jungbrunnen Tiziano bekocht wird. Die Passagiere auf der Orfilia sollten Sie übrigens ganz genau beobachten, denn schon in der ersten Nacht heißt es: „Mann über Bord!“
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Inhaltsverzeichnis
Das Geburtstagsgeschenk
Auf der Polizeiwache
Im Glüx-Bus
Die falsche Macadamia-Nuss
Die Villa Artimundo
Der Weinkeller
Ross und Reiter
Wellness und Spa
Der Fischmarkt
Der Scrabble-Abend
Strandpläne
Der erste Kuss
Luna Park
Florenz
Spurensuche
Mangiare, mangiare!
Die Spieluhr
Manic Monday
Alles Glück der Erde…
Nonnas falsche Toskanaperlen
Lende in Salzkruste
Die Lebenden und die Toten
Toskanaregen
24. Missverständnisse
25. Der verwunschene Garten
26. Das Testament
27. Check-out
28. Friedhofswahrheiten
29. Fieberträume
30. Epilog
Quellenverzeichnis „Nonnas falsche Toskanaperlen“
Meine lieben Leserinnen und Leser!
Die Autorin
Prolog
Domenico
Lennard
Günny
Sven
Sabrina
Günny
Lennard
Domenico
Alf
Günny
Lennard
Domenico
Alf
Domenico
Lennard
Melindy
Günny
Flo
Carsten
Sven
Melindy
Günny
Sabrina
Flo
Sven
Sabrina
Carsten
Michael
Günny
Sabrina
Günny
Carsten
Michael
Melindy
Sabrina
Sven
Herbert
Epilog
LUZIS PRICKELNDE POOLPARADE
3 große Sommer-Krimis von
Luzi van Gisteren
Inhalt
Bella Italien & Mee(h)r: Luzi van Gisteren schickt Sie mit Spannung und Humor ab nach Sizilien, in die Weinberge der Toskana und auf ein schillerndes Kreuzfahrtschiff Richtung Madeira. Erleben Sie Federico Polettis temperamentvolle Oma Nonna Carmelina, die ein kriminelles Gen besitzt und Annabelle, die in ihrer Finca von Jungbrunnen Tiziano bekocht wird.
Die Passagiere auf der Orfilia sollten Sie übrigens ganz genau beobachten, denn schon in der ersten Nacht heißt es: „Mann über Bord!“
Die große 3-in-1-Sommeredition beinhaltet folgende Titel: "Nonnas falsche Toskanaperlen" aus der beliebten Super-Nonna-Serie, "Ciao, Bella mia!" und "Adios Amigos, macht`s gut!". Luzi van Gisteren wünscht ihren Leserinnen und Lesern mit der „prickelnden Poolparade“ ein herzhaftes Lachen und einen frohen Sommer!
Impressum
© 2022 Luzi van Gisteren | Herrenlandstr. 6/1 | 78315 Radolfzell
Printed in Germany
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verarbeitung sowie Übersetzung vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer. Jegliche Parallelitäten zu Ereignissen, Firmen oder Personen, lebend oder tot, sind wenn, dann rein zufällig.
Umschlaggestaltung: Luzi van Gisteren Umschlagmotiv: Adobe Stock
“Tra il dire e il fare c’è di mezzo il mare”
„Zwischen Reden und Tun liegt dazwischen das Meer“.
(Italienisches Sprichwort)
NONNAS FALSCHE TOSKANAPERLEN
Eine spritzige italienische Krimikomödie
von Luzi van Gisteren
Inhalt
Eine Tote im toskanischen Weinfass, eine verschollene Schweizer Uhrenbaronessa und eine ganze Handvoll rätselhafter Begegnungen in der gediegenen Medici-Villa: Aus Federico (14) sprudelt es in dieser spritzigen italienischen Krimikomödie mal wieder nur so heraus – kein Wunder, denn Nonna, seine temperamentvolle italienische Oma, reagiert in Stresssituationen ja immer derart ungehalten, dabei haben sie doch eigentlich nur zwei Hotel-Vouchers geschenkt bekommen. Der Kreis der Verdächtigen wächst quasi minütlich mit neuen Verstrickungen und Machenschaften, und dann kommt noch ganz unerwartet „il primo amore“, die erste große Liebe daher! Nur – warum glaubt Federico bloß keiner?
Impressum
© 2018 Luzi van Gisteren | c/o Papyrus Autoren-Club | R.O.M. Logicware GmbH | Pettenkoferstr. 16-18 | 10247 Berlin
Printed in Germany
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verarbeitung sowie Übersetzung vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer. Jegliche Parallelitäten zu Ereignissen, Firmen oder Personen, lebend oder tot, sind wenn, dann rein zufällig.
Umschlaggestaltung: Luzi van Gisteren, München Umschlagmotiv: istock Bildnummer 649878244 und Shutterstock Bildnummer 153339956 sowie 133147340 (Paperback-Version)Lektorat: Doris Seemüller und Adriane Riccato Korrektorat: Gabriele Sieber, Kolbermoor
Für Marianne und Gerhard
Ähnlichkeiten (beispielsweise zu meiner italienischen Verwandtschaft) sind nicht beabsichtigt und ungewollt; des Weiteren erhebt dieses Buch keinen Anspruch auf Realitätsnähe – dies betrifft nicht nur die Handlung, sondern auch die Kinderpsychologie: Das Denken, Erleben und Erzählen eines 14-Jährigen weicht wahrscheinlich sehr von dem meines Federico ab.
Der Unterschied zwischen deutschen und italienischen Frauen liegt alleine darin, dass sich italienische Frauen lieber in der Küche als am Schreibtisch betätigen. Meine Mama ist wirklich lieb, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass es für ihre Laune förderlicher ist, wenn sie ihre Zeit im Office als bei der Bügelwäsche zubringt. Nonna – das ist meine italienische Oma – sagt, dass Frauen besser Kuchen und Biscotti backen sollten, statt nutzlos in irgendeinem Büro rumzusitzen.
Einmal betonte Nonna mehrfach, dass die Mama auch schon lange nicht mehr ihre Fenster geputzt und die Vorhänge gewaschen hätte. Als die Mama das hörte, stand sie schnell auf und knallte die Türe zu. Papa sagte der Nonna in aller Deutlichkeit, dass Fensterputzen und Vorhängewaschen im Allgemeinen überbewertet würden. Außerdem sei er froh, dass die Mama den ganzen Bürokram vom Roma erledige. Das Roma ist unser italienisches Ristorante in Saarlouis, in dem die Pizza Calzone nicht ganz so gut schmeckt wie in Italien – aber fast.
Die Nonna fand das mit dem Fensterputzen scheinbar sehr wichtig, denn sie holte trotz der Protestrufe meines Vaters einen großen Kübel Wasser.
„Muss eure Fenster putzen, weil mein armer Enkel Federico-Schatzili kann doch nicht im Dreck leben!“, beeilte sie sich zu sagen und klemmte sich demonstrativ den Abzieher und das Mikrofasertuch unter den Arm.
Als sie dann diesen Riesenkübel mit Wasser volllaufen ließ, sang sie voller Inbrunst „Sapore di Sale“ von Gino Paoli. Das war so theatralisch, dass dem Papa die Tränen in die Augen schossen – allerdings nicht aus Rührung, sondern aus Wut. „Muss das jetzt wirklich sein!“, fluchte er und sog die Spucke so komisch in den Mundwinkeln hoch, wie er es tut, wenn sich unsere Nachbarin beschwert, sobald wir grillen.
Als die Nonna dann noch auf den Sprossenfenstern unserer Wohnzimmer-Terrasse im Takt den Putzschwamm schwang und mit dem Hintern hin- und her wackelte, sagte der Papa, dass er noch etwas Dringendes zu erledigen habe und dann fuhr er einfach weg. Und dann: putzte die Nonna unsere gaaaaanzen Fenster! Leider sind ihr nach einer Weile die Poliertücher ausgegangen und sie musste neue suchen. Überall hat sie nachgeschaut, aber keine gefunden.
Ins Schlafzimmer meiner Eltern traute sie sich nicht und blieb unschlüssig vor der Tür im zweiten Stock stehen.
„Soll ich vielleicht mal nachsehen?“, fragte ich und die Nonna sagte: „Boh!“ Wenn die Nonna „Boh!“ sagt, kann das „Ja“, aber auch „Nein“ heißen. In diesem Fall hieß es aber wohl „Ja“ und so betrat ich nach langer, langer Zeit mal wieder das Schlafzimmer meiner Eltern.
Früher, als ich noch klein war, bin ich oft ins Wasserbett von Mama und Papa gekrochen, weil es da so schön gluckerte. Das mache ich schon lange nicht mehr. Elternschlafzimmer sind eklig. Warum, möchte ich an dieser Stelle besser nicht erwähnen. Auf alle Fälle hatte ich eigentlich überhaupt keine Lust, zwischen den Seidenstrümpfen meiner Mutter und den Bruno-Banani-Shorts meines Vaters nach irgendwelchen Lappen zu suchen. Nonna beobachtete mich aber von der Tür mit Argusaugen und kommentierte mein Tun und Handeln aus dem Off mit erwartungsvollem „Und? Und? Und?“.
Wie ferngesteuert öffnete ich die mittlere Schublade mit Handtüchern. Meine Hand wühlte sich fast wie von alleine zwischen die Wäsche und zog ein kleines Päckchen, das in türkis-gelb getupftes Papier eingewickelt war, hervor. „Für den lieben Federico“, stand darauf. Ich war enttäuscht und wütend zugleich: Mein 14. Geburtstag stand vor der Tür und ich wünschte mir nichts sehnlicher als ein Hoverboard. Das sind diese elektrischen Dinger auf zwei Rädern, die man alleine durchs Vor- und Zurückbeugen bewegt. Sie kosten einen ganzen Haufen Geld – einen sehr, sehr großen Haufen sogar. Obwohl mein Vater nahezu alles liebt, was vier Räder besitzt, hatte er mir bezüglich des Hoverboards schon früh meine Hoffnung im Keim erstickt. Er fand, dass ich aus dem Alter schon lange draußen sei. Trotzdem hatte ich meinen Eltern einen Zaunpfahl-Wink nach dem anderen verpasst – wie ich nun feststellen musste, umsonst, denn jedes Geschenk, das weder größen- noch gewichtstechnisch mit einem vollautomatischen Self-Balancing-Scooter in Verbindung zu bringen war, bedeutete die Zerstörung meines innigsten Wunsches.
Ich schluckte tapfer. „Hier sind keine Putztücher, Nonna!“, rief ich und pfefferte das blöde Päckchen in die Kommode zurück. Dann wollte ich die Schublade zumachen, doch sie klemmte irgendwie: Ich legte mich auf den Boden und schaute nach. Und was glauben Sie, haben meine treuen Äuglein mit großem Vergnügen unter der Schlafzimmer-Kommode erkennen dürfen? Ein 1A originalverpacktes Smart-Balance-Wheel! Ein Hoverboard! Ein richtiger Hawk, mit dem ich über die Bordsteine würde schweben können. Mir blieb die Spucke weg!
„Was makke hier, Federico! Mama schimpft, wenn sie zurückkommt!“ Nonna stemmte sich die Arme in die Hüfte und kam einen Schritt auf mich zu. Ich murmelte etwas von „Hausaufgaben machen“ und verkrümelte mich in mein Zimmer.
Als ich sicher war, dass sich Nonna wieder ihrem Putzkübel und unseren Fenstern gewidmet hatte, huschte ich heimlich zurück ins Schlafzimmer meiner Eltern und zog die Schachtel hervor.
Das Hoverboard auf dem Karton war ultragrün und megacoooooool! Mein Herzschlag verdoppelte sich, sobald ich die Schachtel öffnete und das Balance-Wheel aus der Styroporverpackung herausgeschält hatte. Die Gebrauchsanweisung legte ich getrost bei Seite – ich hatte über zwölf Monate Hoverboard-Erfahrungen im Kaufhaus Pieper gesammelt und war quasi Voll-Profi.
Mein Board begrüßte mich mit einem astreinen „Puip-Puip“, als ich es einschaltete und die LED-Leuchten vorne blinkten quietschlebendig. Schnell schlüpfte ich in meine Jacke und hob mein Board an – Mann, war das Teil schwer!
„Federico, du musst mir helfe, eure Fenster sind so blöd, habe so viele Bretter dazwische…“, stöhnte Nonna, als ich mich gerade unauffällig an ihr vorbeidrücken wollte.
„Das sind Sprossen, Nonna“, sagte ich fachmännisch und überließ sie mit einem Augenzwinkern ihren fremdhäuslichen Aktivitäten.
Auf dem eigenen Hoverboard zu stehen, fühlte sich grandios an! Allerdings muss ich zugeben: Auf dem neuen Sportgerät zu stehen war die eine, auf dem Asphalt zu fahren die andere Sache! In der Sportabteilung von Pieper waren die Böden aalglatt, der Straßenbelag in unserer Wohngegend dagegen war nicht gerade der Hit, da er alljährlich mit neuen Glasfaser-Kabeln unterlegt wurde.
Um nicht direkt auf die F... zu fallen, hangelte ich mich zunächst ein bisschen an unserem Lattenzaun entlang. Dann versuchte ich es zum ersten Mal rückwärts, was sich als eine ziemlich instabile Angelegenheit herausstellte. Ich schaltete das Board aus, um es neu zu kalibrieren. Jetzt lief es schon besser und ich probierte ein paar Kurven. Dann nahm ich die kleine Bergabfahrt; doch gerade als ich dachte: „Jetzt läuft`s!“, kam dieser blöde Gullideckel. Ich sprang gerade noch rechtzeitig ab und landete in der Hocke, doch mein Board fälschte am linken Stoßdämpfer von Frau Brämswegs Mercedes ab. „Neeeeeeeeeiiiiiiin!“, schrie ich aus Leibeskräften, weil es ganz schön krachte.
Auf den ersten Blick schien das Gerät in Ordnung geblieben zu sein, jedenfalls war noch alles dran und es funktionierte auch noch. Auf den zweiten Blick entdeckte ich zu meinem sehr großen Leidwesen allerdings doch ein paar Schrammen und Kratzer auf meinem geliebten Board, die man im besten Fall überlackieren könnte. Eine Kerbe würde ich dennoch als Erinnerung zurückbehalten. Ich schluckte und ging frustriert ins Haus zurück, knallte mein beschädigtes Geburtstagsgeschenk in den Schrank, mich selbst auf die Wohnzimmer-Couch.
Ein bisschen Unterhaltungsprogramm konnte nicht schaden, ich griff zur Fernbedienung. Die Nonna mag kein deutsches Fernsehen, sie mag lieber das italienische, in dem die Frauen halb nackt in glitzernden Bikinis über die Bühne schweben und mit dem Po wackeln. Weil das viel lustiger ist, sagt die Nonna.
Auch jetzt setzte sich die Nonna zu mir, schaltete meine Simpsons-Folge aus und direkt auf RAI Uno um. Sie beklagte sich, dass ihre Handknöchel vom vielen Fensterputzen ganz geschwollen seien und dass sie vermutlich einen ganzen Monat nicht mehr am Fensterbild von Padre Pio werde weitersticken können.
Da ich ein bisschen ein schlechtes Gewissen hatte, versuchte ich halbwegs interessiert Nonnas Lieblings-Spielshow „Affari tuoi“ zu folgen. Eine junge hübsche Frau mit braunen Rehaugen und Pferdeschwanz hatte gerade mit dem Moderator um die Wette gesungen und die Kandidaten und das ganze Publikum hatten wie die Clowns mitgeklatscht. Die Show erinnerte mich entfernt an ein Schulfest, als ich, mit Riesenohren als Elefant verkleidet, extra peinliche Runden in der Manege drehen musste, was mich wirklich traumatisiert hat. Die Hübsche auf Rai Uno schien jedoch Gefallen daran gefunden zu haben, sich mit dem Moderator zum Gespött der Nation zu machen. Selbst, als er sich mit seinem Kugelbauch hinter sie stellte und wie ein Irrer mit den Armen wackelte, sang sie voller Inbrunst weiter und formte mit ihren roten Lippen einen Kussmund in die Kamera.
Nonna erklärte mir, dass italienische Frauen im Allgemeinen besser singen könnten als deutsche und dass sie im Speziellen auch besser gebaut seien. Außerdem könnten sie viel besser kochen.
„Zum Beispiel Milchreis, Nonna?“, fragte ich und schaute ihr tief in die Augen. Da klimperte Nonna verlegen mit ihren großen Ohrringen und sagte: „Si! Milchreis ist das Beste! Das Beste überhaupt, ich sag`sch dir!“
Und dann hat die Nonna trotz ihrer schmerzenden Handgelenke Milchreis für mich gekocht. Einen ganzen Pott voll. Und diesmal war es ein ausgesprochen schmackhafter Milchreis, so einer, der auf der Zunge nur so zergeht und dabei ein regelrechtes Zimt-Vanille-Feuerwerk im Mund anrichtet.
Nach meinem zweiten Milchreis drehte Nonna das italienische Fernsehen lauter und nach meinem dritten gleich so laut, dass wir die Türklingel zuerst gar nicht hörten. Erst, als jemand Steinchen ans Fenster warf und mit schriller Stimme „Frau Poletti! Frau Poletti! Sind Sie nicht zu Hause??“ rief, sind wir hellhörig geworden.
„Mamma Mia! Muss bissele leiser mache“, schlug Nonna vor, konnte aber die Fernbedienung nicht finden. Als ich hörte, dass es draußen Sturm klingelte, öffnete ich trotzdem die Tür. Neben einem langen, dürren Polizisten stand Frau Brämsweg, unsere neue Nachbarin von links, und funkelte uns wütend an.
Sie rupft zwar – im Unterschied zu unserem Nachbarn von rechts – sehr ordentlich ihren Löwenzahn aus, aber dafür ist sie wahnsinnig neugierig. Papa hat gesagt, dass sie eine frigide Vogelscheuche sei, aber ich weiß bis heute nicht, was „frigide“ heißt. Mama wollte und Nonna konnte mir den Begriff nicht erklären.
„Ah, La Signora Frigida!“, schrie Nonna gegen den Fernseher an und reichte der Frau Brämsweg die Hand, doch diese sah geradewegs an Nonna vorbei. „Wo ist denn deine Mutter, Frederik?“, fragte sie mich in ihrem gewohnt forschen Ton, der mich immer an den von Frau Tramper-Utz, der unbeliebtesten Lehrerin der Martin-Luther-King-Schule, erinnert. Seit ich im letzten Jahr sitzengeblieben war, hatte ich sie zwar nicht mehr als Klassenlehrerin, aber dafür in Englisch und das hat gereicht!
„Sie, sie ist nicht da…“, stammelte ich.
„Und dein Vater?“, kam es da von Frau Brämsweg wie aus der Pistole geschossen, woraufhin meine Nonna einen großen Schritt nach vorne tat und mit Pokerface direkt vor den Polzisten trat. „Ich bin die Oma von die Federico! Mi raccomando!
Der Lulatsch hatte bisher nur an seinem Kinn herumgezupft, nun meldete er sich auch mal zu Wort: „Die Frau Brämsweg behauptet, dass Ihr Enkel mit seinen Spaßmobil ihren Mercedes angefahren hat.“
„Spaßmobil, nun hören Sie aber mal!“, unterbrach die Frau Brämsweg den hochgeschossenen Polizei-Mann. „Wussten Sie eigentlich, dass es sich bei diesen Dingern um Kraftfahrzeuge handelt, die der Zulassungs-, Versicherungs- und Fahrerlaubnispflicht unterliegen? Ich habe mich bereits im Internet schlau gemacht. Im Falle eines Unfalles bezahlt hier die private Haftpflichtversicherung in den allermeisten Fällen nicht, das habe ich bereits recherchiert!“
Ich konnte meinen Blick nicht von ihren weit auseinanderstehenden Schneidezähnen lassen. Vielleicht hatte die Frau Brämsweg ja schon mal einen Schwinger mitbekommen? So aufdringlich und vorlaut wie die war, würde mich das nicht wundern! Ihrem Redeschwall konnte ich kaum folgen: „Am besten, wir warten hier, bis deine Eltern kommen, Frederik! Es sei denn, du gestehst sofort vor dem Polizisten…“
„Mein Enkel hat nix gemacht. War die ganze Zeit hier bei mir. Hat seine liebe Oma geholfen, die Fenster sauber zu machen. Allora: Non c`è problema, ich sag`sch Ihnen, non c`è…“ Weiter kam sie nicht, denn die Frau Brämsweg verfiel sogleich in ihren Monolog zurück und schwallte die Nonna von unterlassener Aufsichtspflicht und zivilrechtlichen Konsequenzen voll. Und dann ging die Frau Brämsweg völlig überraschend in die Knie und krümmte sich, als hätte man ihr ohne Narkotikum bei vollem Bewusstsein die Milz mitsamt dem Wurmfortsatz entfernt.
„Mein Fuß! Mein Fuß! Sie… Sie… Sie… sind ja wirklich total verrückt, Sie…!“ Dabei griff sie nach Nonnas Kittelschürze und zog sich daran hoch.
„Lasse Sie mir los! Was erlaube!“, schrie Nonna wutentbrannt.
Frau Brämsweg zog lautstark die Nase hoch und rang um Fassung: „Die hat mich getreten! Herr Wachtmeister, diese Frau ist völlig verrückt! Nehmen Sie sie fest!“
Der Amtsträger nahm seine Mütze ab und begann sie mit dem Zeigefinger um ihre Achse zu drehen.
„Also bitteschön, die Damen! Nun vertragen Sie sich doch und lassen Sie diese Lappalie nicht derartig eskalieren!“
Frau Brämsweg ließ nicht mit sich reden: „Wenn Sie diese Frau nicht sofort festnehmen, Herr Wachtmeister, dann werde ich eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Sie einlegen, das schwöre ich Ihnen. Denn jetzt ist es mir wieder eingefallen, wo ich diese Frau schon mal gesehen habe. Ich kenn' die aus der Zeitung! Ja genau, ich erinnere mich sogar sehr gut!“
Sie sagte etwas von „Mafia“ und „Gefahr in Verzug“, und mit einem Mal nahm die Gesichtsfarbe des Beamten eine aschfahl-grünliche Färbung an.
Aus dem Fernsehen sang der Moderator mit einem Baby „Ullalala Ullalala“ und ein Kandidat rief gerade eine gewisse „Elisabetta aus Molise“ auf. Es klang nach Spaß und guter Laune, doch hier im Hausflur der Familie Poletti hatte jemand das Programm gewechselt. Statt „Ullalala Ullalala“ war der Uniformierte gar nicht mehr zum Scherzen aufgelegt, sondern nur noch kurz angebunden.
Mit dem Satz „Na, wenn das so ist, dann kommen Sie wohl mal besser mit“ katapultierte er unser Freitagabend-Unterhaltungsprogramm plötzlich in eine ganz andere Ecke.
Eine junge Frau in Netzstrümpfen sitzt mit blutender Lippe verloren im Flur und heult.
Ein Taxifahrer schleift einen betrunkenen Fahrgast in die Inspektion, weil der ihm anscheinend das Taxi vollgekotzt hat und nicht bezahlen will.
Eine alte Dame mit Plastikäpfeln am Hut behauptet, ihr Schwiegersohn würde illegalen Schuppentierhandel betreiben.
In der Sporttasche eines jungen Mannes befinden sich überraschenderweise mehrere Damengeldbörsen, aber er hat keine Erklärung dafür.
Das ist nur ein Auszug der Punkte, die ich mir im Wartezimmer der Polizeiwache notierte, während Nonna bereits vernommen wurde. Die schwarzen Stühle der Inspektion Alte-Brauerei-Straße waren ziemlich unbequem. Um mich abzulenken, notierte ich (mehr aus Verzweiflung als aus Langweile) die Vergehen und Versäumnisse meiner Mitbürger. Meine Gedanken schweiften immer wieder ab, denn insgeheim machte ich mir große Sorgen um Nonna. Der Ruf unserer Familien-Patronin war im Vorjahr, beim „goldenen Hochzeitsfall“ ihrer Cousine in Süditalien, schon einmal in arge Mitleidenschaft gezogen worden. Leider besaß Nonna die Angewohnheit, gerade in Stress-Situationen zu Impulsivität und ausgeprägter Unhöflichkeit zu neigen, noch dazu kam die Sprachbarriere. Hoffentlich hatte der Saarlouiser Polizeibeamte Nachsehen mit ihr.
Endlich war es soweit: Der schnurrbärtige Polizist bat mich, reinzukommen. Er war mir nicht unbekannt. Vor einem Jahr hatte ich mit Papa schon einmal an seinem penibel aufgeräumten Schreibtisch gesessen, weil uns jemand angefahren und Unfallflucht begangen hatte. Damals waren wir die Opfer. Jetzt waren wir die Täter!
„Du bescht also da Frederik!“, meinte er und musterte mich mit kritischer Miene. „Saamoohl, du wohrscht doch letschtens schon mooh hie?“ Er zupfte an seinem Schnauzer herum.
Ich deutete ein Viertellächeln an.
„Mein Enkel heiße Federico und er ist ein guter Junge, Commissario“, kam mir Nonna zu Hilfe. Sie verschränkte die Arme vor ihrem Bauch.
„Brauchscht kää Angscht zu haben, Bub. Ich reiß derr schon net de Kopp ab. Ähnfach scheen die Wahrheit sagen, es dat klar? Immerhin steht in eirem Fall Aussage gegen Aussage!“
Ich nickte.
Der Polizist holte aus: „Also, wie wohr dann dat jetz`? Stemmt et, datt du gar kää Skateboard hascht und den ganzen Mittag da Oma geholf hascht, de Fenschter zu putzen?“
In meinem Kopf flogen zehntausend Pingpong-Bälle hin und her. Was hätte ich darum gegeben, stattdessen beim Zahnarzt zu sitzen, den Mund aufzumachen und an was Schönes zu denken, bis alles vorbei war.
„Äh….. ja….. nein…, ich mein ja…“, sagte ich.
Die Wände waren dünn. Aus dem Nebenzimmer schrie eine Frau was das Zeug hielt: „Der Diego ist doch kein Zuhälter! Der ist doch kein Zuhälter!!“
Der Seehund-Mann seufzte. „Wie du siehst, hann mir heit noch mehr zu tun. Also, watt jetza – joo odder nää?“
Die Stimme von nebenan schrillte ärger als der Feueralarm zur dritten Stunde. „Frag besser de Kannegießer! Dehm sei Mädchen laufen in der Määnzer Straße, was denkt Ihr denn? Datt sind nett dem Diego seine. Datt sind dem Kannegießer seine Bordsteinschwalben, nicht die vom Diego, jetz' glaaw datt endlisch! Mensch, hör doch auf!!"
Bei diesem Lärm konnte man sich doch nicht konzentrieren!
Der Polizist lief mit einem Mal rot an und haute mit der flachen Hand auf den Tisch: „Also! Watt dann jetz`? Guck ned nach dem Tinderella da drüben, jetz´ dreeht et sich um den Mercedes von der Nachbarsfrau. Du hascht ihn mit deinem Skateboard ahngefahr`, gib es allmählich zu! De Fraah Bremsweech hat sogar Zeujen!“
„Das ist die Brämsweg, mit ä, und das war kein Skateboard, sondern ein Hoverboard! Außerdem hat es, wenn überhaupt, dann nur zum Reifen zu Frau Brämswegs Mercedes Kontakt gehabt, und so ein bisschen Kontakt sollte so ein Mercedes ja wohl aushalten, oder meinen Sie etwa nicht?“, schoss es aus mir heraus.
Nebenan steppte immer noch der Bär:
„Watt weiß ich über die Rumäninnen doh. Mei Bruder haut kää Frauen und isch hann euch schon dausent Mal gesagt, datt isch nett weiß, wo er ist. Loss mich damit allmählich mo in Ruh. Ich hann damit echt überhaupt nix zu tun. Isch geh jetza, mei Freind, der wart´ schon drauß´. Mir haben ein Toskanaurlaub im Preisausschreiwen gewonnen und morgen geht ett los. Losst mich! Isch will jetz´ geehn! Nääähhh!!"
Das Gebrüll von nebenan machte einen ja ganz kirre. Selbst Nonna begann unruhig auf ihrem Stuhl hin- und her zu rutschen. Dennoch versuchte sie, den Kopf zu bewahren. „Commissario, mein Enkel versteht es auch nicht, genau wie ich: Was will diese Frau Frigida. Wir sind gute, ehrliche Leute. Mein Sohn hat ein schönes Ristorante, macht schöne Pizza und Pasta. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Allora! Ich sag`sch…“ Nonnas Worte gingen in der spektakulären Vernehmung des Nachbarszimmers unter.
Dort quittierte der Beamte das Tamtam nun ebenfalls mit konsequenten Schlachtrufen: „Aus es! Ab mit der dooh!“, worauf es polterte und rummste. „Lasst mich geehn! Wisst ihr iwwerhaupt, wie lang isch schon nicht mehr im Urlaub wohr? Ihr könnt mir doch net so mir nix, dir nix den Hauptgewinn versauen, mei Toskanafahrt!! Loss misch, du duscht ma weeh – du tust mir weh, du Glotzkopp vom e Polizischt! Du Schnittlauch-Cop!“, tönte es jetzt noch lauter.
„Wollen Sie nicht rübergehen und ihrem Kollegen helfen, Commissario?“
Mister Schnurrbart winkte ab und fing stattdessen an, wie besessen auf seine Computertastatur einzuhacken.
Von drüben tönte es immer noch „Schnittlauch-Cop! Schnittlauch-Cop“. „Außen grün, innen hohl!“, schoss es mir in den Kopf und ich musste mir einen Lachanfall verkneifen. Ich gluckste unkoordiniert, statt „Hahaha“ schoss es mir hinter vorgehaltener Hand „Gluagh Gluagh“ heraus.
„Herr Commisario! Ich bitte Sie! Meine arme Enkel!“, jammerte Nonna und klopfte mir heftig auf den Rücken, woraufhin ich noch mehr japsen musste.
Der Polizist stierte weiter in seinen Bildschirm hinein. Er fuchtelte ziemlich unkoordiniert mit seiner Maus herum, sodass er dabei eine noch nicht ganz leergetrunkene Kaffeetasse umstieß, was er mit einem Fluchen quittierte. „Geehn Se!“, rief er und suchte in seiner Schublade nach einer Serviette. „Geehn Se einfach und kommen Se joh net zurück!“
Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Siegessicher legte Nonna den Arm um meine Schulter, als sie mich diabolisch lächelnd mit einem „Aber sehr gerne, Commissario. Arrivederci!“ unterhakte.
Im Dienststellenflur trafen wir auf das Saarlouiser Gruselkabinett. Eine völlig zerzauste Rothaarige mit verlaufenem Mascara heulte was das Zeug hielt: „Ihr könnt misch doch net festnehmen, ihr Affezeppel! Micheleeeee, wo bescht du denn? Komm hier her! Florenz is am Arsch!!"
Ich wusste nicht, wer Michele war, aber diese Xanthippe machte mir Angst. Ich wollte mich an den Herrschaften vorbeidrücken, doch meine Großmutter hielt mich zurück. „Aber meine Passaporte. Meine Passaporte liegt noch an der Rezeption!“
„Na gut, dann hol deinen Pass eben, Nonna. Aber beeil` dich bitte!“, stöhnte ich und setzte mich zurück auf den blöden schwarzen Stuhl. Es roch nach Schweiß und kalter Asche. Ein dunkler Typ mit Pilotenbrille und aufgeknöpftem Hemd saß mir gegenüber und stierte mich an.
„Lass mich raten. Ladendiebstahl, oder?“, sprach er mich an. Ich schaute schnell zur Seite und tat so, als hätte ich es nicht gehört. „He, nun sei nicht so! Hat bei mir auch mal so angefangen, als ich in deinem Alter war. Sei italiano?“
Meine Güte, war der aufdringlich. Ich wollte aufstehen, doch in dem Moment kam gerade Nonna zurück. Leider hatte sie den letzten Satz („Sei italiano – bist du Italiener?“) mitbekommen und wendete sich äußerst interessiert dem jungen Mann mit Seitenscheitel zu. Da es nicht allzu häufig vorkam, freute sich meine Oma immer wie eine Schneekönigin, wenn sie in Saarlouis Landsleute traf. Es dauerte keine zehn Sekunden, und die beiden befanden sich in einer angeregten Konversation.
Als die Polizisten zurückkamen, die vorhin die Gröl-Suse abgeführt hatten, verstummte der junge Mann schlagartig. Ob er denn in Schwierigkeiten stecke, fragte Nonna großmütterlich. Statt zu antworten, zog der Italiener seine Pilotenbrille ab und starrte mit offenem Mund den herannahenden Beamten entgegen.
„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragte Nonna und zog Mister Coolman am Ärmel. „Michele“, flüsterte er. Auf seiner Stirn zeichnete sich eine dicke Furche ab, unter seinem Hemdkragen entstand ein Schweißrand. Er atmete sichtlich erleichtert auf, als der Polizist an uns vorbeiging und sich mit einem Kollegen schräg gegenüber unterhielt.
Als wir uns erhoben und das Revier verlassen wollten, stand auch Michele auf und streckte Nonna ein Kuvert entgegen. „Möchten Sie vielleicht kurzfristig Urlaub in Italien machen? Ich habe sie im Preisausschreiben gewonnen und wir können leider nicht fahren.“
„Warum nicht?“, fragte Nonna.
Mir war klar, wer dem Italiener den Florenzurlaub verhagelt hatte – nämlich seine rothaarige Freundin beziehungsweise die „Schnittlauch-Cops“, die sie nun unter Verschluss hielten. „Villa Artimundo“, lächelte Nonna, als sie zwei Tickets mit goldenem Relief aus dem Kuvert zog.
„Gutscheine. Das ist ja fantastico! Sind Sie wirklich sicher, dass Sie uns die Vouchers schenken möchten? Das ist ja famos!“, lachte sie.
Der junge Mann schüttelte energisch den Kopf: „Wer hat von schenken gesprochen? Aber ich könnte Ihnen einen guten Preis machen, Signora!“
In dem Moment, als Nonna ihm die Tickets mit sauertöpfischer Miene zurückgeben wollte, standen die beiden Polizisten vor uns und baten Michele mitzukommen.
„Porca miseria!“, fluchte er und rieb sich die Schläfen. Er stand auf und trottete mit gesenktem Kopf hinter den Polizisten her.
„He! Und die Tickets?“, rief Nonna ihm hinterher, aber er winkte nur ab, ohne sich noch einmal umzudrehen.
„Tja, so schnell ist man verhaftet in Saarlouis“, sagte ich und Nonna zwinkerte mir spitzbübisch zu.
„Geschenkte Hotel-Vouchers? Erzählt mir doch nix! Das ist bestimmt eine reine Verkaufsveranstaltung, ich kenn mich da aus! Von wegen Medici Villa mit allabendlichem 6-Gang-Menü! Stundenlang werden sie euch festhalten und euch versuchen, Olivenöl zu Apothekerpreisen anzudrehen! Wie die Geiseln werden sie euch halten, bis sie den zehnfachen Gegenwert der Übernachtung wieder eingefahren haben. Macht euch doch nichts vor, ich kenn` doch die Italiener!“ Papa hörte gar nicht auf, sich zu echauffieren, als wir die Revier-Beute zum Frühstück präsentierten.
Im Gegensatz zu meinem italienischen Vater war meine deutsche Mutter von meinen Reiseplänen ganz angetan. „Das ist doch genial“, meinte sie. „Und ich kann nach der Arbeit auch mal noch ganz entspannt mit meinen Kolleginnen auf einen Drink. Außerdem schaut man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul, Schatz. Lass doch den Jungen mal schön mit seiner Oma wegfahren, jetzt wo sie sogar eine Reise gewonnen haben!“
„Ach was, hör mir doch auf mit ‚Lass doch mal den Jungen mit seiner Oma wegfahren‘! Du kannst dich wohl nicht mehr erinnern, was den beiden letztes Jahr in Neapel passiert ist? Die treten doch per se von einem Fettnäpfchen ins nächste! Von wem hast du denn die Karten jetzt ganz genau, Mamma? Erzähl noch mal von gaaaanz vorne, bitte!“
„War eine sehr nette italienische Mann bei der Polizei…“, begann Nonna zu erzählen. Mein Vater kippte vor Schreck fast vom Stuhl. „Bei der Polizei? Was sind denn das hier schon wieder für Geschichten?“
„Ah wa!“, spielte Nonna die Fakten herunter. „Reg dich nicht auf, das war kein Mafioso, sondern nur der arme Michele: Er kann nicht in Urlaub fahren, weil seine Freundin nicht kann. Alleine will er nix!“ Nonna versuchte ihre Erklärungsnot durch ausgeprägtes Kopfnicken zu vertuschten, woraufhin sich ihre Stimme überschlug.
Papa rollte die Augen. „Aha! Soso!“
Dann sah er mich an. „Und dein Geburtstag, Federico? Den möchtest du dieses Jahr also wohl nicht mit deinen Eltern, sondern lieber im Ausland verbringen?“ Sein Blick hatte etwas Vorwurfsvolles.
„Naja“, meinte ich. „wir können doch telefonieren. Und mein Geschenk könnt ihr mir doch einfach mitgeben, oder etwa nicht?“ Zum Glück hatte ich heute Morgen das notdürftig verpackte Hoverboard wieder im Schlafzimmer meiner Eltern deponiert und hoffte inständig, dass sie keinen Verdacht schöpfen würden.
„Na klar!“, lachte Mama. „Und die Buttercreme-Torte bekommst du einfach, wenn du wiederkommst. Außerdem gibt es diese Torten auch in der Toskana. Es ist ja so schööön dort! Der Gutschein ist ja auch so schöööön und die abgebildete Villa sieht soooo toll aus! Florenz ist ja auch ganz wunderbaaaar! Und Pisaaa! Und Sienaaa! Und überhaupt! In der Schule werden sie Bauklötze staunen, was du nach den Schulferien alles zu erzählen hast!“
In diesem Punkt sollte Mama Recht behalten, auch wenn mein Reisebericht weniger von Kunst und Kultur als mehr von Mord und Missgunst handeln würde, aber davon ahnten wir zu diesem Zeitpunkt Gott sei Dank noch nichts.
„Vielleicht kann Gianni uns hinfahren!“, schlug ich vor. Gianni ist der kleine, dicke Hausmeister vom Roma, unserer Pizzeria. Er hat ein Kinngrübchen, so dick wie eine Aprikose, und er ist mein Freund, auch wenn er manchmal etwas streng riecht.
„Ah wa! Und wo soll schlafen?“, fragte Nonna.
„Und wer soll Fisch und Artischocken bei der Metro holen, hä? Außerdem fährt er in letzter Zeit wie die Sau, das kann ich wirklich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren!“ Papas Mundwinkel hingen immer noch am Boden.
„Aber Papa, Gianni ist ein guter Autofahrer!“, versuchte ich einzulenken. „Außerdem hat er doch erst letztes Jahr erfahren, dass er einen Halbbruder in Italien hat, und die beiden verstehen sich so gut, obwohl sie sich erst einmal gesehen haben. Also bitte, lass Gianni fahren! Du sagst doch selber immer: Viva la Famiglia!“
„Es geht nicht! Ihr nehmt den Bus, und damit basta!“, maulte Papa.
So kam es, dass Nonna und ich zwei Tage später mit unseren gepackten Reisetaschen und einer Kühltasche randvoll mit Focaccia, Salami und Parmaschinken am Zentralen Omnibusbahnhof in Mannheim standen. Wir warteten auf den blau-orangefarbenen „Glüx-Bus“. Ich kannte die Brummer mit der Aufschrift „München – Venedig ab 5 Euro“ von der Autobahn, auch wenn ich noch mit keinem verreist war. Wir fuhren ohnehin selten in den Urlaub. Mit einem Ristorante ist das halt schwer, weil man immer geöffnet haben muss, da die Gäste sonst ausbleiben. Das letzte Mal war ich ins Schullandheim Oberthal verreist gewesen. Der Schulbus hatte nicht mal zwei Stunden gebraucht, die Fahrt nach Florenz würde über Nacht gehen und fast 20 Stunden in Anspruch nehmen.
So cool, wie Mama zuerst getan hatte, war sie auf der gemeinsamen Autofahrt zum ZOB nicht geblieben. Im Gegenteil – sie hatte beim Abschied sogar zwei Tränen rausgedrückt und mir hundertfach ans Herz gelegt, dass ich ja gut auf mich aufpassen solle.
Nun waren wir auf uns allein gestellt. Der Bahnhof sah nicht wirklich anheimelnd aus, der Asphalt strotzte von ausgedrückten Zigarettenkippen und Kaugummi. Der Ausgangspunkt unserer Reise stand gänzlich im Kontrast zur Imprägnierung der Villa Artimundo auf dem edlen Voucher.
Der Glatzkopf neben uns kaute nervös auf einem Zahnstocher herum und spuckte diesen vor uns aus. „In der Toskana gibt keine böse Mensche, sind alles sehr feine Leute dort!“, versicherte mir Nonna, als sie meinen besorgten Blick bemerkte. Sie biss genüsslich in ihre erste Focaccia. Der Bus sollte um 10:20 Uhr starten und jetzt war es schon kurz nach halb elf!
Ich schloss für einen Moment die Augen und träumte mich an den formidablen Pool, der laut Hotelbewertung zu der umgewandelten Medici-Villa gehörte. Der Beschreibung im Internet zufolge war dieser extra lang, extra breit und extra tief. Ich konnte es kaum erwarten, mich in seine Fluten zu stürzen. Gerade wollte ich auf die Wetteraussichten der nächsten Woche tippen, da erreichte mich die erste WhatsApp von Mama.
„Hallo Mausebär. Ich bin schon im Büro!“, schrieb sie.
„OK“, schrieb ich. Ich kannte meine Mutter! Keine Antwort konnte bei meiner Mutter panisches Sturmklingeln verursachen. Sollte ich besser den Flugmodus einschalten? Schließlich hatte ich Ferien und mir gestern extra ein paar Serien auf mein Handy runtergeladen, die ich mir in aller Ruhe anschauen wollte. Um sich im Fernlinien-Bus ein oder zwei Serienstaffeln reinziehen zu können, brauchte man in erster Linie einen Fernlinien-Bus. Unserer war immer noch nicht da. Mendig, Erlangen, Neustadt, Wittlich – die Ziele an den Frontscheiben der einfahrenden Omnibusse sahen nicht vielversprechend aus. Ich gähnte und holte mir die erste Staffel von Breaking Bad aufs Handy.
Nonna stachen die schwarzgewandeten Army-Männer, die auf meinem Display mit ihren langen Gewehren um brennende Feuer schlichen, sogleich ins Auge. „Wissen deine Eltern, was du da schaust?“, fragte sie und schaute interessiert und angeekelt zugleich mit.
„Klaro!“, log ich, zog das Handy aus ihrem Sichtfeld und biss genüsslich in mein Panino. Diese Serie war ab 16 freigegeben; in ein paar Tagen war ich 14, so weit lag die FSK also gar nicht mehr weg. Dennoch fühlte es sich irgendwie nicht ganz richtig an, diese Serie zu schauen. Sie strotzte nur so vor Brutalität. Ich wischte meine feuchten Handinnenflächen an meiner Cargo-Jeans ab. Neben einem mit Unterhose und Gasmaske bekleideten Mann saß ein ohnmächtiger Typ mit Gasmaske. Sie fuhren im Wohnmobil über eine sandige Wüstenstraße. Wohin uns wohl der Bus nach Florenz bringen würde? Wer weiß, ob der Busfahrer sich gut auskannte? Wo er doch jetzt schon viel zu spät dran war, vielleicht würde er uns ja auch nach Russland bringen, oder nach Sibirien? Der Fahrer mit Gasmaske im Film hyperventilierte jetzt, er riss sich die Maske vom Kopf und griff zu seiner Brieftasche, seiner Kamera und seiner Pistole. Sirenen setzten ein, der Fahrer aber begann sich in einem Video von seiner Familie zu verabschieden. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Der Mann stieg aus, lief in Richtung der Sirenen, griff zu seiner Pistole…
Und dann riss der Mann uns die Reisetasche unter den Füßen weg. Aber nicht der Mann mit der Gasmaske, sondern der Mann mit den Zahnstochern. „Ihr Bus ist da! Da drüben! Auf Steig 13!“, brüllte er und deutete auf den Glüx-Bus mit der Aufschrift „FLORENZ“. Eine Menschentraube hatte sich bereits um ihn gebildet, der Motor lief. Es war ein heilloses Durcheinander. Schade, dass meine Lehrerin Frau Tramper-Utz nicht hier war; sie legte allergrößten Wert auf einen geregelten Betrieb und hätte der Busbahngesellschaft samt dem völlig verschwitzten Busfahrer mal die Leviten gelesen. Wir reihten uns in das Gedränge ein, es ging nur zäh voran. Mit unfreundlicher Miene kontrollierte der Fahrer die Tickets. Ein Mädchen, einen Kopf kleiner als ich, mit einem Koffer, fast doppelt so groß wie es selber, ging auf ihn zu: „Könnten Sie mir vielleicht helfen?“, fragte sie. Der Fahrer beachtete sie nicht und kontrollierte verbissen die Tickets der anderen. „Wie bitte?“, schaute er das Mädchen endlich an, als es seine Frage bereits zum dritten Mal wiederholt hatte.
„Könnten Sie mir vielleicht helfen?“ Das Lächeln der Kleinen hatte etwas Verzweifeltes.
Der Mann ließ sich nicht erweichen, er hielt sich eine Hand ans Ohr und knurrte: „Da fehlt wohl mal ein kleines Wörtchen, Fräulein, oder? Nämlich das kleine Wörtchen ‚Bitte'. Ohne das bin ich nämlich taub auf beiden Ohren!“
„Jetzt reicht es!“ Nonna drängte den Busfahrer zur Seite und nahm dem Mädchen den Koffer ab. Sie wuchtete das Gepäck ohne eine Miene zu verziehen in den Stauraum und stemmte sich die Hände in die Hüften. „Ecco fatto – das hätten wir“, lächelte sie zufrieden und winkte mir, einzusteigen. Der Wichtigtuer im Muskelshirt hielt uns zurück: „Na, dann zeigen Sie aber erst mal Ihre Fahrkarten, bevor Sie hier einfach an Bord wollen, junge Frau!“
Nonna rollte die Augen. „Boh! Könne Sie schaue meine Fahrkarte!“ Sie riss genervt den Reißverschluss ihrer Handtasche auf und drückte dem schlecht gelaunten Typ mit einem ebenso unfreundlichen „Da!“ die Bustickets in die Hand.
Der Fahrer legte seine Stirn kraus. „Nu! Dies ist der Bus nach Florenz um 11:05 Uhr. Ihrer ist schon vor `ner knappen Stunde abgerauscht! Dass Ihr Italiener aber auch immer zu spät kommen müsst!“
„Aber…“ Seit langer, langer Zeit fehlten meiner italienischen Oma die Worte. Dafür fielen mir viele Worte ein, sehr viele sogar. Ich war im Element des Hauptdarstellers von Breaking Bad. So wie er seine Hand mit der Pistole in Richtung Sirene ausstreckte, so hielt ich dem Typ eine Standpauke von wegen, wie lange wir an Steig 7 gewartet hätten. Ich erzählte ihm von Michele in der Saarlouiser Polizeidienststelle und von seiner rothaarigen Freundin, die wirklich übel in die Luft gehen konnte.
„Sind Sie da nicht froh, dass jetzt meine Oma und ich statt denen hier sind? Wir können aber gerne wieder tauschen, wenn Ihnen das lieber ist!“, drohte ich.
Die Geduld des Fahrers war sichtlich erschöpft. „EINSTEIGEN!“, befahl er und ließ uns endlich vorbei.
Der Florenz-Bus mit der neuen Abfahrtszeit war ein gut klimatisierter Doppeldecker. Wir drückten uns die enge Treppe hinauf und setzten uns ganz nach vorne! Direkt hinter die Scheibe! Das war ja wie im Flugzeug hier (oder mindestens wie im Kino)!
Neben uns hockte eine kleine, dicke Frau mit schwarzen Haaren. Sie war etwas jünger als Nonna, aber nicht viel. Noch bevor der Bus startete, zog sie sich ihre Schuhe und Strümpfe aus und streckte ihre schmutzigen Füße gegen die Windschutzscheibe. Nonna schaute sie grimmig an, doch Dickmadame ließ sich davon nicht beirren, sondern riss obendrein eine Tüte Macadamia-Nüsse auf und griff gierig hinein. Sie mampfte Nuss für Nuss und schmatzte dabei wie ein Schwein im Kartoffelacker.
Ich fand es ganz unterhaltsam, aber Nonna war weder Freundin von leeren Macadamia-Nuss-Verpackungen am Boden noch von schmutzigen Füßen an klaren Windschutzscheiben; in ihrem gebrochenen Deutsch redete sie unentwegt auf die Frau ein, bis diese die Füße endlich von der Scheibe nahm. Der Erfolg war dennoch nur mäßig: Denn Dickmadame begann sich stattdessen Schokoriegel für Schokoriegel in den Mund zu stopfen, der Sabber lief ihr das Kinn hinunter.
Währenddessen führte uns Harry (als solcher stellte sich der unfreundliche Fahrer vor) in das Reisen mit dem Glüx-Bus ein: Es gebe eine Toilette im Untergeschoss, doch diese sei außer Betrieb und man solle gefälligst warten; er werde in regelmäßigen Abständen Raststätten anfahren, um biologische Pausen einzulegen. Sein Lachen klang irgendwie schadenfroh.
„Che dice?“, fragte Dickmadame, zerknüllte das Plastikpapier ihres Schokoriegels und übergab auch dieses der Schwerkraft unter ihrem Sitz.
„Ah! Sie sind auch Italienerin?“, fragte Nonna auf einmal sehr höflich.
Dickmadame entpuppte sich als Alfonsina; sie hatte einen argen Sprachfehler und man konnte nicht alles verstehen. Sie surrte und zischte, als habe sie ihre Wangenbeutel mit Murmeln vollgestopft. Wenn ich es richtig verstand, war Alfonsina auf dem Weg nach Italien, um in der Nähe von Florenz die Pflege einer dementen Tante anzutreten.
„Oh!“, schwärmte Nonna und sie erzählte, dass wir auch auf dem Weg in die Toskana seien. Aber weniger zur Altenpflege, sondern vielmehr um Urlaub zu machen.
Alfonsina wischte sich emotionslos den Mund ab und begann im Rekordtempo mit dem Handy Kurznachrichten zu schreiben.
Nonna seufzte. Sie holte ihre Häkelarbeit heraus, ich meine Serie. Nach 20 Minuten Breaking Bad schaltete ich das Handy aus und fühlte meinen Puls. Er raste.
„Was ist los? Du habe Ameise in die Popo, Bello!“, ermahnte mich Nonna.
Ich schaute so vor mich hin und versuchte mich zu entspannen, da kam von hinten ein angegrauter Tennissocken-Fuß neben meiner Lehne hervor. Ich drehte mich um. Der Fuß gehörte einem rothaarigen jungen Mann. Er hielt eine junge Frau mit Igelkopf im Arm. Die beiden pennten, was irgendwie einträchtig aussah. Dickmadame neben uns schlief inzwischen auch, sie schnarchte sogar ein wenig. Ihr schwarzer Pullover war übersät mit Krümeln und in ihren Händen hielt sie immer noch das Handy.
In Heidelberg stiegen weitere Personen zu. Nun war der Bus bis Oberkante Unterlippe besetzt. Nonna interessierte das alles nicht, sie schlief den Schlaf der Gerechten und grunzte gemeinsam mit Alfonsina ein schönes Schnarchkonzert im Dreivierteltakt.
An Schlaf konnte ich nicht denken, ich war immer noch total aufgedreht. Ich streamte eine Dragon-Ball-Folge. Leider reichte das Glüx-Bus-WLAN-Guthaben nur für ganze drei Minuten. Irgendwann schlief auch ich ein und erwachte erst, als Alfonsina sich zu mir runterbeugte. Ich schrie vor Schreck, doch sie legte ihren Zeigefinger über den Mund und machte „Psssst!“
„Was wollen Sie?“, zischte ich und lehnte mich soweit es ging zurück – man, was hatte die Mundgeruch!
„Toilette! Wo?“, fragte sie.
„Unten im Bus!“, beeilte ich mich zu sagen und ergänzte, dass man die aber nicht benützen dürfe.
„Egal!“, antwortete Dickmadame barsch und trollte sich. Meine Güte, war die unsympathisch! Ihre demenzkranke Tante tat mir jetzt schon leid. Aber vielleicht wäre in diesem Fall die Demenz ja auch ganz hilfreich und Alfonsinas Tante würde ihre muffige Nichte zwischendurch vergessen, so zum Beispiel, wenn diese, um den Abwasch zu tätigen, mal das Zimmer verließ.
Kurz vor Freiburg kamen wir in den Stau. Das konnte ja heiter werden! Nonna war inzwischen wieder wach und wir legten eine kleine Fresspause ein. Sie hatte sogar Thunfisch-Salat aus der Dose eingepackt. Ich liebte Thunfisch-Salat aus der Dose!
Der Igelhaar-Frau hinter mir schien der Thunfisch-Geruch nicht zu bekommen. „Das solltest du wirklich nicht essen, schon mal was von der verheerenden Ökobilanz von Thunfisch gehört?“ Mir blieb vor Schreck fast eine Paprika im Hals stecken.
Ich hustete, woraufhin mir Nonna ein paar Mal kräftig auf den Rücken klopfte.
„Sie müsse ja nix esse, junge Frau!“, sagte Nonna kühl und brach mir ein großes Stück Ciabatta ab.
„Zum Beispiel der Blauflossenthunfisch: Er ist stark überfischt und steht längst auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten“, dozierte die Freundin des Rothaarigen. „Das sind unglaubliche Massaker, die sich da zutragen. Es ist unglaublich, was die Thunfische leiden müssen, bevor du sie in der Dose in Öl eingelegt vorfindest.“
Ich starrte auf meinen Teller und vor meinem inneren Auge verwandelte sich das rosafarbene Filet in einen lebendigen Fisch, der mich vorwurfsvoll anglubschte,
„Ich glaube mir ist schlecht!“, rief ich. Mir war plötzlich wirklich speiübel, es stieß mir sauer auf.
„Anhalten! Anhalten! Ich muss raus!“, schrie ich.
Nonna schoss in den Gang und holte einen Papierkorb, den sie mir unter die Nase hielt. Was soll ich sagen, es kam: NICHTS! Zum Glück! Nonna gab mir einen Schluck Fernet Branca aus ihrem Flachmann, eine Notration, die sie stets für Härtefälle dabei hat. In meinem Magen wurde es ganz heiß, aber richtig aufatmen konnte ich erst, als wir an einer Tankstelle herausfuhren und Harry in barschem Ton „15 Minuten Pinkelpause!“ durchgab.
„Jetzt gibt es erst mal eine schöne Caffè!“, freute sich Nonna. Ihre Vorfreude war umsonst. „Klobrühe!“, schimpfte sie und beförderte ihren Pappbecher in den Müll. „Wird Zeit, dass wir nach Italia kommen. Die Italiener mache die beste Caffè in die ganze Welt!“
Oh ja! Ich konnte es auch kaum erwarten. Gegen 21 Uhr näherten wir uns endlich der italienischen Grenze. Glüx-Bus-Harry war inzwischen abgelöst worden. Der neue Busfahrer hatte zwar ein freundliches Gesicht, sprach dafür aber kein Wort Deutsch, beziehungsweise vielmehr sprach er eigentlich überhaupt nichts. Dafür raste er wie ein Berserker über die Autobahn. Kurz vor Chiasso, noch auf Schweizer Boden, wurden wir auf der Überholspur geblitzt.
„Das wird teuer!“, sagte der rothaarige Mann hinter uns. „Die Schweizer brauchen Geld, um ihre CO2-Bilanz zu türken!“
Kurz vor Mitternacht, während wir Mailand passierten, gingen die Deckenleuchten aus. Ich kuschelte mich an Nonna, sie war so schön weich und warm. Ich schloss die Augen und ließ mir den Kopf kraulen.
Weiter hinten spielte jemand Gitarre und zwei Mädchen sangen leise „If you want to sing out, sing out“. Das war schön! Es war auf einmal so ungewöhnlich friedlich!
Nur zwei Dinge störten mich gewaltig, aber um die Harmonie aufrecht zu erhalten, verabredete ich zwei Vorsätze mit mir selbst: Zum einen über den tennisbesockten Hintermann-Fuß neben meiner Stirn langmütig hinwegzusehen. Zum anderen den nachtkalten Windhauch zu ignorieren, den die fiese Lüftungsdüse über mir kontinuierlich verströmte, obgleich sie meine Halswirbelsäule vermutlich für den Rest der Ferien lahmlegen würde.
„Was?? Die haben hier keine Öko-Taxis? Vergiss es Felix!“ Die Igelhaarfrau ließ sich resigniert auf ihren Rucksack fallen und funkelte ihren rothaarigen Freund wütend an.
„Wo müsse Sie hin?“, fragte Nonna das ungleiche Pärchen. „Nach Livorno“, sagte der junge Mann und erzählte, dass sie auf dem Weg zu einem Studienfreund seien. Er hatte eine ausgesprochene Zahnlücke und ich fand ihn sehr sympathisch.
„Livorno, molto bello – sehr schön!“, sagte Nonna vielwissend. Ich bezweifelte, ob sie den Ort überhaupt kannte.
Florenz hatte ich mir ganz anders vorgestellt und mir die Renaissance-Stadt voller da Vincis und Michelangelos ausgemalt. Zumindest der Busbahnhof an der Piazzale Montelungo wirkte ganz und gar unrühmlich. Seine Zielgerade befand sich zwischen zwei hohen Mauern, die einzig und alleine durch den Ruß der Pullman-Abgase gefärbt waren.
Während wir am Taxistand warteten, schälte sich Alfonsina, die skurrile Macadamia-Nuss-Frau, aus dem Bus und an uns vorbei. Die Gute litt unter argem Hüftschiefstand und hatte ihre freie Hand schon wieder in einer silbern glitzernden Kunststoff-Verpackung versenkt. Falls Dickmadame in den nächsten Tagen nicht einen Zuckerschock bekam, würde sie vermutlich einem Overload an ungesättigten Fettsäuren erliegen. Sie würdigte uns keines Blickes, sondern schnaubte genervt und starrte entschlossen in die andere Richtung.
„Unser Freund wollte uns ja abholen, aber Isi steigt in kein Auto. Es war schon schwer genug, sie zu dieser Busfahrt zu überreden – nicht wahr, Schatz?“ Felix gab seiner Freundin ein Küsschen, doch diese wischte sich die Wange ab. „Natürlich nicht! Schon mal was von Treibhausgas-Emissionen gehört? Italien ist ohnehin ein extremer Fall. Wisst Ihr eigentlich, was die hier mit ihren Pizzaöfen bewirken? Also, diese permanente Holzbefeuerung! Ich könnte kotzen!“
Besser mal keine Freundin haben, als so eine, dachte ich bei mir und wich Isabells Zornesblick aus. Warum war diese Isi nur hierhergekommen und hatte sich nicht besser zu einer Basen-Kohl-Woche ins Allgäu zurückgezogen?
Als Felix nichts erwiderte, schulterte sie ihren Rucksack und zog ohne einen Gruß des Abschieds der Macadamia-Nuss-Frau hinterher.
Der Rothaarige sinnierte einen Moment vor sich hin, dann lief er seiner Freundin nach. Er wollte sie zurückhalten, doch sie schrie etwas von „Zu Fuß weitergehen“.
Nonna stieß mehrere Lungenladungen florentinischer Busbahnhofsluft aus, bis sich ihre Nasenflügel blähten.
Dann stellte sie trocken fest: „Zu Fuß ist nicht gut! Kostet zu viel Schuhsohle. Zu viel Schuhsohle ist nicht gut für Ecologia!“ Sie strich sich eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht und kräuselte sie mit dem Zeigefinger auf den dafür vorgesehenen Dutt zurecht.
Als Felix mit gesenktem Kopf zurückkam, grinste sie ihn an: „Junge Mann, vielleicht können wir uns ja ein Taxi teilen. Isse bessere Preis für Sie, ich sag`sch Ihnen!“
„Ach, Sie müssen also auch nach Livorno?“ Die Augen des Studenten erhellten sich.
„Sozusagen“, erklärte Nonna und lächelte selbstzufrieden.
„Aber Nonna, wir müssen doch nicht nach Livorno, wir müssen doch nach, nach…“ Mir fiel der Name nicht gleich ein.
„Aber certo – natürlich“, sagte Nonna. „Wir müssen in die Villa….Villa…..Wie heißt es jetzt wieder diese Villa?“, stotterte sie und kramte in ihrer Handtasche.
„Villa Artimundo!“, krähte ich hocherfreut. Auf einmal schrie Nonna wie von der gemeinen Kreuzspinne gebissen auf: „Dio Mio, die Gutscheine sind weg!“ Die Stresspusteln auf ihrem Hals blühten in Sekundenschnelle auf wie eine Margeritenwiese im lauen Sommerregen. „Das kann nix wahr sein! Federico! Jemand hat unsere schöne Gutscheine geklaut.“ Sie fasste sich mit beiden Händen an den Hals und rang um Luft.
Felix sah ehrlich betroffen aus. „Machen Sie sich mal nicht ins Hemd!“, versuchte er Nonna aufzuheitern und schlug vor, wir sollten einfach zur Villa fahren – entweder unsere Zimmer seien noch frei und der Gutsverwalter werde uns Glauben schenken. Oder aber – was Felix` Meinung nach die wahrscheinlichere Variante war – der Ganove habe das Zimmer inzwischen bezogen und werde sich somit einwandfrei als Dieb der Gutscheine entlarven, wobei der Hotelbesitzer einer so charmanten Lady wie meiner Nonna ganz sicher Glaube schenken werde.
„Meinen Sie?“, fragte Nonna und sie errötete wie ein Schulmädchen.
Felix nickte eifrig und meinte, dass wir zur Not auch bei seinem Kommilitonen schlafen könnten; er gehe nicht davon aus, dass Isabell so bald auftauchen werde.
Weiter vorne stand Alfonsina, die Macadamia-Nuss-Frau und thronte wie die Maestra von Lampedusa an einer der weiteren Bushaltestellen, die ins Centro führten.
Mit einem Mal fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Diese falsche Macadamia-Nuss! Ja klar! Die war es, die uns beklaut hatte, gestern Nacht, als sie Nonna und mich im Tiefschlaf glaubte. Die hatte sich wohl nicht wirklich für die Bustoilette interessiert, sondern vielmehr für unsere erlesenen Hotel-Gutscheine! Wir mussten ihr hinterher!
Ich schüttelte Nonnas Arm und rief: „Die Diebin! Wir müssen sie fangen! Andiamoprestosubito!“
Habe ich schon erzählt, dass meine italienische Oma eine ganz hervorragende Sprinterin ist. Als Alfonsina spannte, dass wir ihr auf die Schliche gekommen waren, wollte sie sich doch glatt verdünnisieren mitsamt ihrem glukosehaltigen Zentner-Gepäck. Aber eine solche Mistamsel ließ sich meine Super-Nonna nicht durch die Lappen gehen. Sie und Felix nahmen die dicke Macadamia-Nuss in den Schwitzkasten, die zwar zuerst etwas herumplärrte, letztendlich aber zum Stehen kam. Was war ich froh, als ich zwischen geschmolzenen Schokoriegeln und klebrigen Nusstüten unsere goldenen Hotelvouchers aus ihrer speckigen Sporttasche herauszog! Die Tickets waren zwar durch den Zweikampf etwas in Mitleidenschaft gezogen worden, aber das Wichtigste darauf konnte man noch lesen: „Villa Artimundo, Arte & Vino“. Eine Villa mit „Kunst und Wein“ also. „Mord und Wein“ wäre wohl der treffendere Begriff gewesen, aber das ahnten wir zu diesem Zeitpunkt Gott sei Dank noch nicht.
„Oh, so schöne Blume! So schöne Gelsomino! Und Azalea! Und Rododendro!“ Seit uns das Taxi an der Hofeinfahrt der Villa Artimundo abgesetzt hatte, wurde meine italienische Oma von freudeverzückten Exklamationen regelrecht durchschüttelt.
Der Erdboden hatte die falsche Macadamia-Nuss sowie das befremdliche Liebes-Hass-Pärchen blitzschnell verschluckt – beziehungsweise der rote Italo-Bus. So richtig glauben konnte ich es noch nicht, dass die Ferien nun endlich begannen.
Besonders Nonna freute sich. Der Taxifahrer hatte uns wider Erwarten erstaunlich zielsicher und vor allen Dingen preisgünstig zur Villa Artimundo gebracht. Nonna hatte ihm zum Abschied sogar ein kleines Trinkgeld spendiert.
Obwohl der Toskana-Himmel von einem ganzen Heer dunkler Regenwolken verhangen war, lachte in ihrem runden Gesicht die ligurische Sonne und ihre Pupillen tanzten, während sie wie ein junges Kälbchen um die üppigen Blütensträucher und auf die majestätische Villa, die direkt vor uns lag, zu hüpfte. Die Blümlein interessierten mich nicht; ich hatte vielmehr die weißen Sonnenschirme auf der Anhöhe rechts von der Villa im Visier, wo ich den Swimming-Pool vermutete. Wie kleine Sahnehäubchen auf der Eisschokolade hoben sie sich von einem malerischen Geflecht an Kiefern und Zypressen ab und ich konnte es kaum erwarten, nach oben zu gelangen und einen Köpper in das kühle Nass zu starten.
Doch statt an Ort und Stelle in meine Badehose zu hüpfen, schlurfte ich widerwillig hinter meiner italienischen Oma her, deren verzückte „Bello-“ und „Bellissimo“-Rufe wie ein Singsang einer beschwipsten Drossel klangen.
„Jetzt ist`s ja gut, Nonna!“, brummte ich, doch sie beruhigte sich erst, als wie aus dem Nichts der Gutsverwalter im gedeckt anthrazitfarbenen Zweireiher vor uns auftauchte und uns höflich, aber bestimmt, in Empfang nahm.
Er geleitete uns die steinerne Treppe hinauf und öffnete die Tür der royalen Residenz, die mit ihren zahlreichen schlanken Türmchen eher wie ein Märchenschloss mit einem verwunschenen Königspaar anmutete, denn wie ein Wellness-Hotel mit „Kunst“ und „Wein“.
Der Hotelier ließ sich hinter einer holzvertäfelten Rezeption nieder, deren weißes Wappen an der Stirnseite ein Gegengewicht zum braunen Mobiliar und den verschnörkelten Terracotta-Fliesen bildete. Er stellte sich förmlich als Tommaso di Natale, zu Deutsch „Thomas von Weihnachten“ vor. Ich fand, dass seine Hakennase und sein spitzes Kinn ziemlich unweihnachtlich ausgefallen waren, freute mich jedoch, als mich der Signore in eine üppige Bonbonniere mit feinsten Hochzeitsmandeln greifen ließ.
„Mille grazie“, bedankte ich mich artig und zog mir konzentriert eine gehörige Ladung heraus, denn wer wusste schon, wann ich das nächste Mal wieder würde reinlangen dürfen.
Nonna lächelte verträumt und lobte den wunderbaren Rosen-Lavendelgarten vor der Villa sowie die üppigen Azaleen und Rhododendren im Park weiter unten.
Tommaso di Natale ging auf ihren Lobeshymnus nicht ein, sondern deutete maximal ein Lächeln an und begutachtete unsere zerknitterten Hotelgutscheine, die er mit spitzen Fingern in die Hand nahm, sowie unsere Dokumente, mit kritischem Blick.
Endlich überreichte er uns den Schlüssel zu unserem Schlafgemach. „Voilà! Zimmer 105.“, raunte er. Frühstück sei um 9, Pranzo um 12:30, Abendessen um 19:00 Uhr. Das Abendessen sei nicht im Preis inbegriffen. Ob er trotzdem einen Tisch für uns reservieren solle, fragte er und schaute uns erwartungsvoll an, während seine Oberlippe süffisant nach oben zuckte.
„Mal sehen!“, schnauzte Nonna und wandte sich abrupt ab. Zwischen ihren Augenbrauen hatte sie nun wieder diese hässliche Kerbe eingeschnitzt, die ich zuletzt bei ihr bemerkt hatte, nachdem sie ihr selbstgehäkeltes Deckchen, das inzwischen nicht nur grau verfärbt, sondern beim letzten Waschgang auch stark eingegangen war, in Mamas Altkleidersack entdeckt hatte. Ihr euphorisches Gemüt schien sich plötzlich in Luft aufgelöst zu haben.
„Unser Gepäck ist weg!“, rief sie und funkelte Herrn von Weihnachten wütend an.
Der Hotelier lächelte müde. Er erklärte der „Madame“ (warum gebrauchte der Typ plötzlich diese französischen Floskeln?), dass das Gepäck seiner werten Villa Artimundo-Besucher schon immer von Hotelpagen transportiert würde. Er musterte uns auffällig und blickte uns an wie der Vorstand einer Kreditkartengesellschaft den Computer-Hacker.
„Und warum wartet der nicht auf uns?“, zischte Nonna, machte auf dem Absatz kehrt und nahm die Treppe. Ich hatte Mühe Schritt zu halten. Meine italienische Oma marschierte im Affenzahn durch den dunklen Hotelgang. Man konnte die Zimmernummern kaum erkennen. Die Medici-Familie schien ein lichtscheues Volk gewesen zu sein. Aber es roch gut, nach Lavendel und Zitrone; ich konnte es kaum erwarten, in meine Badehose zu schlüpfen, denn ich brauchte dringend Entspannung! Wie es wohl wäre, mit dem Hoverboard durch diese Gänge zu rollen? Der Belag schien mir astrein glatt und bestens für ein paar Aufwärmübungen geeignet. Ich überholte Nonna, die gerade vor dem Zimmer mit der Nummer „112“ stand. Ich war mir nicht sicher, ob die Reihenfolge in diesem Gang auf- oder absteigend war, beziehungsweise ob es überhaupt eine Reihenfolge gab. Ich rannte nochmal zurück – und stieß plötzlich gegen eine Wand.
„He, pass doch auf!“, kreischte die Wand auf Deutsch. Ich rieb mir die Stirn. Vor mir stand auf megahohen Absätzen eine dürre Krähe; sie trug ein enges schwarzes Kleid, hatte eine Kette mit dicken Klunkern um ihren faltigen Hals und eine Sonnenbrille mit riesigen Gläsern in ihrem spitzen Gesicht. Ihr Dekolleté war von Millionen Runzeln übersät, sie war nach meinem Dafürhalten mindestens hundert Jahre alt und verströmte einen modrig-herbstlichen Geruch.
„En….En…Entschuldigung!“, stammelte ich.
„Entschuldige dich nicht! Pass lieber nächstes Mal besser auf!“, fauchte sie mich an und marschierte wie ein aufgescheuchter Zinnsoldat an mir vorbei.
Ihre negative Aura ließ mich erstarren; ich fühlte mich wie in Watte gepackt und nahm Nonnas Worte erst wahr, als ich ihre Hand auf meiner Schulter spürte.
„Schatzili! Komm! Hier gibt es kein Zimmer 105, wir müssen den Signore fragen, diese Signore Natale, diese Weihnachtsmann. Ich sag`sch dir: Wenn es keine Zimmer 105 hier gibt, ich mach eine Grande Casino in diese Hotel!“
Kleinlaut trippelte ich hinter meiner Großmutter her. Meine Knie waren so weich wie Mehl-Kartoffel-Klößchen. Was hätte ich in diesem Moment darum gegeben, die Ferien zu Hause im verregneten Saarlouis vor dem Fernseher anstatt hier in der Villa Artimundo bei arroganten, angsteinflößenden Fremden zu verbringen!
Doch statt an der Rezeption eine „Grande Casino“ zu veranstalten, machte meine Super-Nonna etwas anderes: Sie stellte sich an. An der Rezeption wurde nämlich schon jemand anderes bedient – und zwar die runzlige Krähe, die mich vorhin im Gang so wüst beschimpft hatte. Erst jetzt stach mir ihr Schweizer Akzent in den Gehörgang; er war zwar nicht sehr ausgeprägt, fühlte sich aber wie eine glühende Stricknadel an, die sich langsam durch mein Ohr bohrte:
„Also werklech, Signiore Natale, das ist keine schöni Sach`! Früher habe ich hier nie diese Tüechli bekommen… die… die Lätzli. Ich bitte Sie, mit denen chan ich mich doch ned abtrocknen. Also nei! Das muss ich Ihnen scho säga: Bei Ihrere Muetter hätt`s so öppis nie gegeben, da bin ich mir sicher!“
Die Krähe setzte ihrer Handtuch-Predigt mit einem tückischen Zischen ein Ende und legte auf ihrer silberschimmernden High-Heel-Sandalette eine 180 Grad-Pirouette hin. Ihre überdimensionale Sonnenbrille ruhte auf der katzengrauen Kurzhaar-Frisur, zwei stählerne hellblaue Augen schauten meiner Nonna mitten ins Gesicht:
„Ach… guet, dass ich Sie do treffe. Ich han gerade mit Ihrem Chef geredet… wäge… dem… dem… dem… asciugamano! Dem Tüechli, wössed Sie, dem Handtüechli! Verstönd Sie? Das ist ned richtig gsi. Non l`asciugamano correct! Sie müssen besser aufpassen mit dem Tüechli, liebi Frau!“
Das war das Stichwort für Tommaso di Natale. Er beugte sich nach vorne und flüsterte der Krähe ins Ohr, dass es sich bei uns nicht um Dienstpersonal, sondern um Hotelgäste handele.
Die Aufgeputzte rümpfte die Nase und zupfte an einem unsichtbaren Kinnbart. Sie musterte uns von oben nach unten, dann wieder von unten nach oben und schließlich zog sie einen Hotelprospekt aus dem Glasständer, um sich mit der Hochglanz-Utensilie wie wild Luft zuzufächeln.
„Also werklech! Tommaso!“, echauffierte sie sich und streckte ihre spitze Nase in die Luft. Es folgte eine längere Gesprächspause, ehe sie erneut ausholte: „Wenn Ihre Muetter – Gott heb sie selig – wösst, was Sie in unsere Villa als sogenannte „Gäst“ einquartiered, glauben Sie mir, Börstli – sie würd sich im Grab umdrehe! Das ist eine schöni Schand! Eine schöni Schand, das säg ich Ihne!“
Dann drehte sie sich zu mir um und blickte mir für einen Moment ganz tief in die Augen, ehe sie ihre überdimensionale Sonnenbrille aufsetzte, die ihr das Antlitz einer schockgefrorenen Fliege verlieh. Meine Glüx-Bus-Nackensteife breitete sich aus wie das Treibeis im sibirischen Winter.
„I….i….ist noch was?“, fragte ich und vermied den direkten Blickkontakt, wie ich es bei Frau Tramper-Utz, meiner Englisch-Lehrerin vor der Vokabel-Ausfrage ebenfalls zu tun pflegte.
Sie machte „Pfffff“ und nuschelte etwas, ehe sie hocherhobenen Hauptes die Hotellobby verließ, wobei ich mir nicht sicher war, ob sie „Ich muss jetzt leider gehen!“ oder „Das werden wir schon sehen!“ gesagt hatte.
Meine italienische Großmutter lief ihr hinterher und brüllte sie mit wüsten Worten an: „Wir sind keine Schande für diese Villa! Aber Sie sind eine Schande für das ganze Land! Sie sind eine Schande für ganz Italien, ich sag`sch Ihnen! Das ist mein Land. Mein Land!“ schrie Nonna und galoppierte nach draußen.
Sie folgte der Krähe bis auf den Parkplatz, doch die eiserne Lady brüskierte meine Großmutter noch weiter, indem sie sie einfach ignorierte. Statt auch nur einmal aufzuschauen, stieg sie kommentarlos in ihren schwarzen Bentley.
Nonna stellte sich ihr breitbeinig in den Weg, doch die Schweizer Krähe bretterte so schnell los, dass es die kleinen Kieselsteine auf dem Parkplatz aufwirbelte.
Ich konnte Nonna in letzter Sekunde von der Straße reißen; die Schweizer Krähe ging über Leichen – so viel war sicher!
Einen solchen Anfall von Augenmigräne, bei dem sich das Blickfeld in ein bizarres Mosaik aus Milliarden flirrender Pünktchen verwandelt, hatte bisher nur meine Mama, wenn Nonna ihr zu sehr auf die Nerven ging. Nun, da die Schweizer Krähe mit den dicken Perlenklunkern sie derartig herablassend behandelt hatte, entrückte Nonnas Sehnerv ihren eigenen Horizont in einen wuselnden Ameisenhaufen. Ich versuchte meine Großmutter ein bisschen zu trösten; gleichzeitig fragte ich mich, wie lange sie als Feriengesellschafterin wohl ausfallen würde.
Es war nicht leicht, den Anblick des italienischen Häufchen Elends im toskanischen Ehebett zu ertragen; ich brauchte dringend Ablenkung, um mich von diesem Schock zu erholen.