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Keine Pasta mehr im Supermarkt? Nicht mit Nonna Carmelina! Federicos temperamentvolle Großmutter nimmt in Pandemiezeiten den Kampf auf gegen dubiose Hamsterkäufer und notorische Nörgler. Obendrein treibt ein arbeitsloser Trucker mit morbidem Geheimnis sein Unwesen in Saarlouis, dabei möchte Nonna eigentlich nichts lieber als raus aus „Maskenland“ und runter nach Apulien! Der 4. Band der Super-Nonna. Alle Romane sind in sich geschlossen und können unabhängig voneinander genossen werden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2022
Inhaltsverzeichnis
Von leeren Pastaregalen und schwangeren Hamsterkäuferinnen
Von Blumenkohlauflauf und impulsiven Kommunistenliedern
Von verkohlten Koteletts und Märzdepressionen
Von verschollenen Hunden und kreativen Schüben
Von Corona-Maskottchen und Breakeven-Analysen
Von Bittstellern und positiven Ergebnissen
Vom Pizzaglück und Hefejägerinnen
Von Kletten und wundersamen alten Mädchen
Von dubiosen Krankmeldungen und versteckten Granaten
Von In-Ear-Kopfhörern und verhängnisvollen Verhören
Vom Gassigehen und provokanten Internatsschülern
Von Schreibblockaden und Hunde-Globuli
Von Flokati-Stolperfallen und vermasselten Dates
Von veganen Energy-Balls und zwielichtigen Masken-Dealern
Von ungenießbarem Tiramisu und Versöhnung auf der Straße
Von verzweifelten Töchtern und Verdachtsmomenten
Von Saarländer Seehunden und alten Sünden
Von knackenden Wurstpellen und entlastenden Geständnissen
Von behäbigen Beamten und blonden Kommissar-Anwärterinnen
Von Totenträumen und Kindheitserinnerungen
Von Nebelnachtaktionen und herrenlosen Seelen
Von Fahranfängerinnen und Blechkolonnen
Von Nachtmusik und Herzen im Gleichklang
Von Spanferkel und Platzregen
NONNAS RAUHAARIGE ROMANTIKER
Lockdown al dente Ein Roman von Luzi van Gisteren
Inhalt
Keine Pasta mehr im Supermarkt? Nicht mit Nonna Carmelina! Federicos temperamentvolle Großmutter nimmt in Pandemiezeiten den Kampf auf gegen dubiose Hamsterkäufer und notorische Nachbarinnen. Irgendwie sind alle total verdreht. Obendrein treibt ein arbeitsloser Trucker mit morbidem Geheimnis sein Unwesen in Saarlouis und Nonna ist ausschließlich auf Katastrophen gepolt. Ob ein verwaister Rauhaardackel das Glück zurück ins Haus Poletti bringt? Denn eigentlich möchte Nonna nichts lieber als raus aus „Maskenland“ und runter nach Apulien!
Impressum
© 2021 Luzi van Gisteren | Aiblingerstr. 44 | 83052 Bruckmühl
Printed in Germany
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verarbeitung sowie Übersetzung vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer. Jegliche Parallelitäten zu Ereignissen, Firmen oder Personen, lebend oder tot, sind wenn, dann rein zufällig.
Umschlagmotiv: Shutterstock Illustration Vignetten: Emily Brockmann Lektorat: Adriane Riccato, Reggello (Toskana) Korrektorat: Malin Borlinghaus, München
Für Inge, Uwe, Jens und Uta aus Böhringen, dem „Storchennest“ am Bodensee:
„Wahre Freunde sind wie Melonen: Unter hundert findet man nur zwei Gute.“
(Italienisches Sprichwort)
“Federico! Federicooo!“ tönte Nonna durch die Markthalle des Supermarkts. Es klang wie ein Hilferuf, ganz anders als in der Fernsehwerbung, in welcher die entzückende italienische Mamma ihrem braungelockten Sprössling eine Prise Basilikum über den dampfenden Spaghetti-Teller rieseln lässt. „Federicoooooooooo!“ Anscheinend wurde meine italienische Großmutter gerade zwischen Pizza-Tiefkühlware und Riesengarnelen abgemurkst. Mein Kopf begann sich zu drehen und in mir bäumten sich sekundenschnell Bilder auf, in welchen der rachelüstige Padrone meiner armen Großmutter hinter der Müslitheke an die Gurgel ging.
„Nonna!“, schrie ich und pfefferte den Korb mit den leeren Pfandflaschen zu Boden, indem ich haltlos über das rollende Pet-Flaschen-Chaos hechtete. „Nonna, Nonna!“ Ich stürmte zwischen den Lebensmittelregalen hinweg und hatte widersinnigerweise das „Lalalala Lalalala“ aus der bekannten Pastawerbung im Ohr.
Von Nonna war weit und breit keine Spur! Ich fuhr hektisch zwischen Fertigburgern und Hähnchenpfannen hin und her, sprang zwischen Backwaren und Dosenkonserven umher. Doch statt Nonna trafen mich nur die vorwurfsvolle Blicke der umstehenden Hausfrauen, die ich in meiner großen Not angerempelt hatte.
Langsam ging mir die Puste aus und ich war kurz davor, mich an Ort und Stelle in eine ausrangierte Bananenkiste plumpsen zu lassen, um auf ein besseres Morgen zu warten.
„Achtung! Sicherheitsabstand!“, fuhr mich eine dicke Frau an. Man konnte nicht mal in Ruhe stehenbleiben und Luft holen. Ich entschuldigte mich flüchtig und schob ächzend einen Rollcontainer zur Seite, der mir den Weg versperrte.
„Untersteh dich! Du wirst doch wohl einer werdenden Mutter nicht die letzte Milch wegschnappen!“, maulte die Dicke. Von hinten griff sie über meine Schulter hinweg und fischte das letzte Tetra Pak H-Milch aus dem Container. Wenn es um die letzte 3,5%ige des Lebensmittelmarkts ging, war es mit dem Sicherheitsabstand also doch nicht so weit her. „Weißt du nicht, dass Kalzium in der Schwangerschaft unerlässlich ist!“ kam mir die Frau zuvor, bevor ich überhaupt an den Hauch eines
Kontras ansatzweise denken konnte. Ich schwieg. Diese Frau war nicht nur dick, sie war vor allem schwanger. Ihr Einkaufswagen war über den Rand mit Aufbackware, Obstkonserven und Schokolade gefüllt und spätestens in diesem Moment wurde mir klar, dass in unserem schönen Saarlouis nicht nur Pandemiezeiten, sondern ein Krieg ausgebrochen war – ein Krieg ums Überleben. Selbst im Supermarkt um die Ecke herrschte der Ausnahmezustand! Lebensmittelknappheit – davon hatte ich bisher nur in Geschichtsbüchern gelesen.
Die Karten wurden neu gemischt. Kleinlaut wackelte ich hinter der Schwangeren her, es gab kein Durchkommen. Wie in Zeitlupe bewegte ich mich, dabei wurde ich von Schritt zu Tritt immer ungeduldiger: Ich musste doch Nonna retten, statt die Regale nach Futtermittel für Hochschwangere zu scannen. Höflich, sehr höflich und dezent bat ich die Dame artig, mich doch nach Möglichkeit vorzulassen. Die Dicke schüttelte energisch das Doppelkinn: „Ne ne ne ne…hier geht jetzt gar keiner mehr vorbei! Ich hab` doch gesagt, ich bin…!“
„Schwanger!“, sagte ich, dann blieb ich stehen. Ich wartete, bis die Dicke außer Sichtweite war, dann nahm ich meine Suche wieder auf. Von Nonna war keine Spur weit und breit. Die Regale sahen allesamt ziemlich ausgesucht aus.
Im Brotregal war noch ein bisschen Knäckebrot, die Müslitheke war restlos abgeräumt, nicht anders sah es bei den Eiern aus, von Marmeladen und Honiggläsern ganz zu schweigen. Meine traurigen Augen wanderten trostlos über die leeren Supermarkt-Regale, die den Hamsterkäufern dieser Stadt zum Opfer gefallen waren, da fühlte ich eine kalte Hand in meinem Nacken.
„Fe...Fe..Federico. Es gibt keine Pasta mehr! Stell dir vor: Alle Nudeln sind ausverkauft! Keine Penne, keine Tortellini, keine Spaghetti. Keine Lasagne, keine Ravioli, nicht mal Suppennudeln! Alles weg! Weg, weg, weg!“
„Nonna!“, ich drehte mich um und drückte mich an Nonnas Brust. Auch wenn wir vielleicht verhungern würden, wenigstens hatten wir uns. Meine italienische Oma zitterte wie Espenlaub und ihre Haare hingen ihr wirr in die Stirn. „Die Leute spinnen doch so viel zu kaufen! Keine Pasta! So was hat es doch noch nie gegeben! Arme bin ich, was sollen wir nur essen?“, maunzte sie.
„Aber Nonna! Was ist mit Risotto? Und was ist mit Pizza?“, versuchte ich eine Portion Optimismus ins Spiel zu bringen.
Doch weit gefehlt: „Riso? Pizza? Hast du keine Augen? Federico, es ist alles weg! Es gibt nichts mehr! Nichts mehr! Niente! Basta! Kein Reis. Kein Hefe. Kein Mehl. Ich hoffe dein Vater hat noch Vorräte, was sollen wir jetzt tun?“ Ihre Stimme überschlug sich regelrecht und sie begann zu schluchzen.
„Klopapier ist auch ausverkauft!“, ergänzte ein vorbeischlurfender Baseballcap. Es war kein Unbekannter.
„Constantin?“, rief ich hocherfreut, als ich meinen ehemaligen Mitschüler erkannte. Er war der Chaot vor dem Herrn und im letzten Jahr leider durch die Mittlere Reife gerasselt.
In die trüben Pupillen meiner Großmutter schien die Lebensenergie zurückzukehren. „Costatino, wie schön, dich wiederzusehen, auch wenn die Umstände in dieser Zeit sehr schwierig sind!“ Die beiden kannten sich von unserer gemeinsamen Studienfahrt nach Verona. Meine Großmutter hatte für unsere Klasse gekocht. Leider hatten wir einen großen Teil unserer Zeit wegen einiger unerfreuliche Umstände kollektiv auf dem Kommissariat zubringen müssen und – fast nebenbei – ein morbides Geheimnis aufgetan. Im Nachhinein war ich mir nicht sicher, was schlimmer war: Eine Totenmesse im Keller der Villa Marchesani oder die von Hamsterkäufern leergefegten Regale in der Pandemie.
Es dauerte nicht lange, da erfuhr ich, was noch schlimmer war, als leere Regale und eine Totenmesse zusammen: Nämlich Constantins Corona-Frisur, die er uns in seinem jugendlichen Leichtsinn offenbarte. Mir stockte der Atem als mein Freund das Baseballcap abnahm und uns freie Sicht auf seine blaugrün gefärbten Irokesenmatte bot.
Fassungslos stierte ich ihn an: „Alter!“
Auch Nonna war not amused: „Costatino! Was hast du denn schon wieder mit deinen Haaren angestellt?“ Sie begutachtete seine blauen und hellgrünen Drachensträhnen von allen Seiten.
„Sieht echt kacke aus!“, pflichtete ich meiner Großmutter bei.
Chaos-Constantin strotzte wie immer von überschwänglichem Selbstbewusstsein und Negativ-Kritik perlte an ihm ab wie die Tropfen Spätsommerregens an einem frisch imprägnierten Regencape. „Also mir gefällt`s!“, stellte er fest und zuckte die Schultern. Er berichtete, dass sich seine Schwester seit Corona nur noch mit Hairstyle beschäftigen würde: „Flechtfrisuren, Beachwaves und Ombré Hair – Mias Fantasie läuft regelrecht zur Höchstform auf und die Followerzahl auf ihrem Instagram-Account hat sich in den letzten vierzehn Tagen mehr als verdoppelt!“
„Es ist schön, wenn man sich in der Quarantäne beschäftigen kann!“ Nonna versuchte ein Lächeln. „Magst du vielleicht zu uns zum Essen kommen?“ Sogleich fiel ein dunkler Schatten über die großmütterliche Stirn. „Hach…wie konnte ich das vergessen. Man darf ja nicht zu den anderen. Jeder muss zu Hause bleiben. Außerdem gibt es auch gar nichts mehr zu essen, Madonna mia!“
Sie senkte resigniert das Haupt. Kein Wunder! Nonna war eine passionierte Köchin und ausgesprochen gastfreundlich. Ihre Penne all`Amatriciana berühmt berüchtigten Tomatensugo waren weit über die Grenzen Saarlouis hinaus berühmt berüchtigt. Nun war alles anders, die Welt war aus ihren Fugen geraten.
„Nun ja, ganz so ist es ja auch nicht ”, raunte ich und erinnerte daran, dass diese „blonde Lebensmittelministerin“ in den Medien ja ganz deutlich formuliert hätte, dass es auch weiterhin alles geben werde und dass sich keiner im Land ernsthaft Sorgen über einen Lebensmittelengpass machen müsse.
„Aber was sollen wir bis dahin nur tun?“ Sie seufzte tief.
Chaos-Constantin wusste Rat: „Naja, man kann sich ja auch für ein paar Wochen mit Chips und Flips über Wasser halten -davon gibt es noch jede Menge!“, empfahl Chaos-Constantin.
„Chips und Flips? Costatino – ti prego! Ich bitte dich – willst du sterben?“ Mein Freund schnappte unseren leeren Einkaufswagen und griff wahllos nach den letzten Gemüseresten: Kartoffeln, Pastinaken, Zwiebeln. „Gibt es eben eine schöne Minestrone, Signora. Die kochen Sie doch genauso gut, so wie damals, zur Mitternachtsstunde in Verona, wissen Sie noch?“
Nonna blickte auf. Die Sorgenfurchen auf ihrer Stirn schienen sich für einen Moment zu glätten und das Funkeln in ihre Augen zurückzukehren. Beherzt hakte sie meinen Freund unter, der sich das nur widerwillig gefallen ließ, und marschierte hoch erhobenen Hauptes auf direktem Weg zur Kasse,
„Also gut, dann kochen wir eben eine Minestrone. Eine Minestrone mit labbrigem Gemüse, das keine deutsche Hausfrau mehr haben möchte. Mir egal! Aber wenn mich eines enttäuscht, dann ist es, dass Toilettenpapier und Hefe zwar ausverkauft sind, aber das Spirituosenregal ganz voll ist“, raunte sie, als sie die wenigen Artikel auf das Förderband legte. „Schnaps, Weinbrand, Likör – alles da! In Italien wäre das anders herum, das können Sie glauben!“, fuhr sie den Akne gepeinigten Kassierer an. Dieser blickte nur irritiert hinter seinem Förderband hervor und lief puterrot an.
Auf dem Parkplatz entdeckte ich schon von weitem die Schwangere, die ihre übermäßigen Einkäufe ins Auto wuchtete. Ihr Gesicht war knallrot und sie ächzte und stöhnte, als wir an ihr vorbeigingen. Ich konnte meinen Blick nicht von hinter ihrem ausladenden Hinterteil lassen, besser gesagt von den Kartonagen, die sie hinter ihrem Hinterteil verstaute – nämlich diese blauen rechteckigen Kartonagen mit dem alt vertrauten roten Schriftzug, der mit „Ba“ anfängt und mit „illa“ aufhört und bei dem einem schon das Wasser im Munde zusammenläuft, ehe sein Inhalt im sprudelnden Kochwasser weichkochte. Es handelte sich nämlich um das strahlende Logo meiner liebsten Nudelsorte, die Nonna nun zeitgleich entdeckte.
„Pasta!“, rief sie hocherfreut und hechelte wie ein ausgehungerter Esel, dem man die Brotrinde vor der Nase wegzieht, geradewegs auf die Hamsterkäuferin zu.
Die Schwangere drehte sich kurz um und schüttelte im gleichen Atemzug missbilligend den Kopf, ehe sie mit stoischer Ignoranz Klopapier, Mehl, Milch und Konserven in ihren Kombi lud, der sich – Unterkante Oberlippe – bereits zu wölben begann.
So leicht ließ sich Nonna nicht abwimmeln. Breitbeinig bäumte sie sich vor der Hamsterkäuferin auf, die sich nun endlich die Mühe machte, sich ihrem Gegenüber zuzuwenden. Nonna redete ohne Unterlass auf die XXL-Kundin ein, fuchtelte dabei mit den Händen in der Luft und gab brunftähnliche Laute von sich. Der Schwangeren blieb der Mund offenstehen. Ihre Gesichtsfarbe wechselte vom Knallroten ins Gräulich-aschfahle, dann fuhr sie mit einem Mal hektisch umher, wuchtete Toilettenpapier und Konserven zur Seite, schnappte eine leere Papiertüte und füllte diese zähneknirschend mit den ganzen Nudelpackungen auf. Ohne einen Mucks drückte sie Nonna die volle Tüte in die Hand und machte sich mit aufheulendem Motor und quietschenden Reifen vom Acker.
Nonna grinste breiter als der Dandy im „Western von gestern“, als sie den prallen Nudelschatz wie eine Diva aus Nevada zu uns rüber balancierte. Es fehlte nur noch die Staubwolke und die Szene hätte glatt als tosender Abschluss eines Roadmovies durchgehen können.
„Alle Achtung, Frau Poletti, Sie haben eine ganze Ladung Nudeln ergattert!“, staunte Constantin. „Kompliment! Dann kann ja gleich mal aufgekocht werden“, freute ich mich, als Nonna die prallen Packs über Kartoffeln und Pastinaken wuchtete, als wollte sie dem ungeliebten mitteleuropäischen Gemüse den Garaus machen.
„Wie hast du das nur geschafft? Diese Frau hat doch alles abgeräumt was ihr untergekommen ist, also auf Lebensmittelspende war die nicht aus – eher auf das Gegenteil, oder?“, fragte ich, als Nonna den Motor gestartet hatte.
Nonna grinste. „Man muss wissen, worauf die Leute reagieren. Diese Frau war schwanger. Sehr schwanger. Eine werdende Mamma! Ich habe ihr erzählt, dass sie sehr gut für das werdende Bambino sorgen muss und habe ihr von der letzten Rückrufaktion dieser Nudeln erzählt. So was passiert ja leider immer wieder, dass Lebensmittel konterminiert sind. Also, für einen Erwachsenen ist es vielleicht nicht so schädlich, aber das arme Bambino im Bauch von die Mamma! Die Frau hat mir zuerst nicht geglaubt, aber ich habe ihr gesagt, dass ich nur italienisches Fernsehen schaue und dass dort der Nudelskandal schon in aller Munde ist. Hier in Deutschland aber dreht sich ja alles nur noch um Corona! Für belastetes Getreide interessiert sich heutzutage keiner mehr in Saarlouis. Ich bin mir nicht sicher, ob sie mir wirklich geglaubt hat, aber wie ihr seht – ich habe bekommen, was ich mir am meisten gewünscht habe! Das könnt ihr euch im Leben merken: Man muss nur fest an seinen Zielen festhalten und mutig sein. Naja, mit einer Morddrohung wäre ich bei dieser Frau vielleicht nicht weit gekommen. Nur schade, dass ich ihr nicht auch noch das Klopapier abgeluxt habe. Wer so gierig ist, der gehört bestraft!“
Während wir bereits in Nonnas Straße einbogen, klingelte Constantins Handy. Es war Constantins Mutter, die ihm lautstark den Marsch bezüglich Ausgangssperre, Kontaktbeschränkung und Pünktlichkeit zum Mittagstisch blies. Der sonst schlagfertige Teenager mutierte sekundenschnell zu einem beschämten Häuflein Elend und faselte etwas vom Blumenkohlauflauf seiner Mutter.
Nonna war es nicht gewohnt, dass man ihre kulinarischen Angebote ausschlug; zudem hielt sie nichts von faulen Ausreden. „Boh! Blumenkohl! Mi raccomando! Costantino, wir haben viel Glück gehabt, diese Pasta heute zu bekommen – das müssen wir feiern! Du kommst mit, das ist eine ganz klare Sache, ich sag`sch dir!“
Doch Constantin blieb dabei und er verabschiedete sich kurz.
„Wer nicht will, hat schon“, stellte Nonna sachlich fest, als ich ihr die schweren Einkaufstüten nach oben gebracht hatte und wir die Lebensmittel verstaut hatten.
Sie fing an, die Zwiebeln zu schälen und plötzlich hatte sie ganz glasige Augen. Die Tränen in ihren Augen rührten nicht vom beißenden Zwiebelsaft – meine Nonna hatte in ihrem Leben schon eine ganze Menge Zwiebeln geschält und war auf diesem Gebiet sozusagen abgehärtet. Nonna weinte, weil in der Küche der kleine Fernsehapparat lief und auf RAI 2 gerade der zweite Teil von Sissi anlief. „Es ist nicht normal, dass diese Filme laufen, Giovanotto!“, erklärte sie. „Das sind Weihnachtsfilme, weißt du. Und jetzt kommen diese Filme, weil die Leute zu Hause bleiben und gar nicht mehr raus dürfen. Weil da draußen ist Krieg! Ein Krieg gegen das Virus! Aber wir werden kämpfen. Kämpfen wie wir es immer getan haben!“ Und mit diesen Worten stellte Nonna das Fernsehen aus und legte eine Langspielplatte auf. Die Nadel knarzte behaglich auf dem alten Tonträger meines Großvaters, den ich leider nie kennengelernt hatte und sogleich ertönte das „Avanti Popolo“ eines sonoren Männerchors. „Das ist das Kommunistenlied, das dein Vater schon als ein kleiner Junge singen konnte!“, erklärte Nonna fachmännisch. Während sie die Koteletts kraftvoll mit dem Fleischklopfer weichklopfte, begann sie von roten Bändern, Rettung und Triumph zu singen.
Avanti popolo, bandiera rossa
Alla riscossa, trionferà
Wenn Nonna kocht, gleicht die Küche in der Regel einem Schlachtfeld in Form von einem Peperoni geschwängerten Schauplatz aus Tomatensugo, Gemüseresten und Olivenöllachen. Das liegt daran, dass meine italienische Großmutter eine kreative und einfallsreiche Köchin ist. Mit der Ordnung dagegen hat sie es nicht so. Stattdessen hantiert Nonna voller Passion und Temperament. Kochrezepte interessieren sie nicht und die in ihren geliebten Hochglanzmagazinen inszenierten Servierteller fungieren allenfalls als Inspiration. Ich konnte mir nicht erklären, warum meine Nonna sich diese Zeitschriften überhaupt zulegte – vielleicht motivieren sie meine rezeptlose Großmutter dazu, zur Abwechslung eine lang vernachlässigte Zutat auszuprobieren oder statt Lamm und Rind auch mal ein anderes Tier auf den Tisch zu bringen. Nonna sammelte auch eifrig Backrezepte, doch die Mengenangaben darin betrachtete sie allenfalls als grobe Richtwerte im entferntesten Sinn, was meist gut-, teilweise jedoch auch richtig ins Auge gehen konnte. So wie an dem Tag zu Beginn der Corona-Pandemie, als Nonna einer schwangeren Hamsterkäuferin die letzten Vorratspackungen abspenstig gemacht und der haarfarbprächtigen Constantin Nonna auf der Rückbank ihres Seicentos einen Korb für ihre gut gemeinte Essenseinladung gegeben hatte. Nonna liebte gutes Essen – und sie mochte Musik – laute Musik.
Es klingelte an der Tür, doch meine Großmutter winkte ab. „Nicht aufmachen, Giovanotto!“ Sie berichtete, dass es sich wahrscheinlich nur um Frau Stulpe handeln würde, die sich jedes Mal beschweren würde, wenn sie Musik hörte.
„Naja, vielleicht ist die Musik wirklich ein bisschen laut“, gab ich zu bedenken und regulierte die Lautstärke etwas nach unten. Es klingelte wieder an der Tür, doch meine Nonna machte keinen Anschein aufzumachen.
Stattdessen wischte sie sich ihre Hände an der geblümten Küchenschürze ab und drehte das Kommunistenlied voll auf, indem sie erklärte, dass nostalgische Musik nie zu laut sein könnte, diese Wohnung jedoch viel zu hellhörig sei.
„Deine Wohnung ist nicht zu hellhörig, aber diese Musik ist ganz furchtbar Nonna“, stellte ich fest, doch Nonna hörte mir nicht zu. Stattdessen feuerte sie inmitten des Lautsprecherchors fulminant zum Arbeiteraufstand an:
Vogliamo fabbriche, vogliamo terra
Ma senza guerra, ma senza guerra
Vogliamo fabbriche, vogliamo terra
Ma senza guerra, trionferà
Während sie erneut die Koteletts mit dem Fleischklopfer windelweich über das Küchenbrett schlug, sang sie voller Inbrunst von kühnen, wachen und stolzen Genossen und ihrer roten Fahne, die der Sonne empor geschwenkt wird.
Da das Klingeln an der Tür immer unnachgiebiger wurde und letztendlich in einem regelrechten Sturmklingeln mündete, konnte ich das Spektakel nicht weiter ertragen. Energisch zog ich den Stecker und ging, die Protestrufe meiner Nonna ignorierend, zur Tür. Corona machte was mit einem: Die einen glotzten Weihnachtsfilme, die anderen sangen Kommunistenlieder und wiederum andere klingelten Sturm.
Wie Nonna vorausgesagt hatte, war es Frau Stulpe. Wie hätte ich zu diesem Zeitpunkt ahnen können, welch unliebsame Wendung und grausiges Ende es mit Nonnas Nachbarin nehmen würde? An dieser Stelle hatte ich größte Not, vor der Schimpftirade der Graugelockten in Deckung zu gehen: „Sag mal Federico! Du hier? Man sollte alte Leute nicht besuchen. Man soll zu Hause bleiben! Warum bleibst du nicht zu Hause? Hast du etwa unten die Türklinke angefasst? Es gibt ja nicht mal Desinfektionsmittel! Ich nehme immer Spiritus, Spiritus geht auch, aber wenn dann nachmittags nochmal Besuch kommt. Besuch geht gar nicht. Man sollte zu Hause bleiben. Weißt du das denn nicht?“
Die echauffierte Seniorin redete sich aber derart in Rage, dass Nonna aus der Küche ihren zornesroten Kopf in den Flur steckte, den Fleischklopfer einer Drohgebärde gleich gegen die Nachbarin gerichtet.
„Was soll das?“, hechelte Frau Stulpe. „Wollen Sie etwa, dass mir das Trommelfell platzt, Frau Poletti? Sind Sie noch ganz bei Trost?“
„Ich bitte Sie, Signora Stulpe…was ist Ihr Problem? Mögen Sie etwa keine Musik? Also, wer keine Musik hat, der hat wohl kein Herz!“, schritt Nonna auf direktem Weg zum Frontalangriff über und fuchtelte siegessicher mit dem Fleischklopfer in der Luft.
„Ihre Theorien in Ehren, werte Nachbarin. Ich habe ein Herz. Aber nicht für Leute, die keine Rücksicht auf andere nehmen. Wie du mir, so ich dir! Wo kämen wir denn da hin, wenn das jeder machen würde? Soll ich vielleicht mal die „Melodien für Millionen“-Kollektion meines verstorbenen Gatten herausholen oder Ihnen den Hofbräu-Gassenhauer zum Balkon hineinjodeln lassen, wenn Sie Mittagsschlaf machen? Aber Sie machen wahrscheinlich gar keinen Mittagsschlaf – das Böse schläft nie, wie mein Mann zu sagen pflegte. Aber was ist das denn…hier riecht doch was…das ist bei Ihnen…das darf doch nicht wahr sein! Sagen Sie, Frau Poletti, ich glaube bei Ihnen brennt gerade etwas an? Oh Gott….da kommt ja Qualm aus Ihrer Wohnung, bei Ihnen ist wirklich Hopfen und Malz verloren. Hilfe! Zu Hilfe! Es brennt – halleluja! Es brennt! Diese Italienerin hier fackelt unser ganzes Haus ab!“
Obwohl beide Fenster sperrangelweit auf Durchzug standen, konnte ich Nonnas Konturen nur vage im dichten Küchenqualm erkennen. Wie ein Blinder schlich ich durch den rußschwarzen Dunst, bis ich plötzlich ihre graue Haarschnecke vor Augen hatte.
„Nonna, so was ist dir doch noch nie passiert!“, stellte ich unnötigerweise fest.
„Porca Miseria!“ Meine Großmutter schimpfte wie ein Rohrspatz. Sie war gerade mit einem großen Wassereimer zugange, den sie mit beiden Händen zum Backofen herüber hievte, um die völlig verkohlten Koteletts abzulöschen.
„So ein Mist! An allem ist Frau Stulpe schuld. Warum regt sie sich nur über ein bisschen Musik auf. Madonna mia! Das schöne Essen! Dabei hatte ich mich so gefreut, dass ich die Koteletts noch im Tiefkühlfach hatte – jetzt ist alles hin!“ Sie knallte den Backofen zu und hockte sich erschöpft an den Küchentisch.
Dieser Tag hatte nicht gut angefangen, es war nur logisch, dass er sich nicht besser entwickelte.
„Aber nicht nur Frau Stulpe ist schuld, sondern vor allem dein Vater!“, verkündete Nonna großspurig. Sie berichtete, dass sie Papa schon vor Wochen darum gebeten hatte, nach dem Backofen zu sehen, da sich die Temperatur schon seit Längerem nicht richtig regulieren lassen würde. „Aber er hat ja nie Zeit! Er scheint ganz vergessen zu haben, dass er eine Mutter hat. Eine arme Frau bin ich!“ Nonna wackelte fortlaufend den Kopf und redete sich selbst in Rage.
So langsam wurde es mir wirklich zu viel mit dieser „Drama Queen“. Zuerst schrie sie hysterisch den Supermarkt zusammen und nun ließ sie auch noch das Essen anbrennen – und das, obwohl mein Magen auf halb acht stand! Selbst Mama hätte es in der Zwischenzeit geschafft, mir wenigstens eine Stulle zu schmieren. Zum jetzigen Zeitpunkt hätte ich selbst mit einem Tofu-Burger oder einem einfachen Knäcke mit Dill Dipp vorliebgenommen. Doch was gab es in diesem Haus? Ärger, nichts als Ärger und Frust! Ich meine gut, die Situation mit diesem Panik-Virus war für alle nicht leicht, aber, so what? Wir hatten immer noch was im Kühlschrank. Wir hatten einer perfiden Hamsterkäuferin sogar die letzten Nudelpackungen abgenommen. Wir würden so schnell nicht sterben, jedenfalls nicht am Hungertod. Und genau das sagte ich Nonna jetzt.
„Du könntest wenigstens ein paar Nudeln machen!“, schlug ich vor. Nudeln machten satt. Und vor allen Dingen gingen sie schnell. Jetzt musste es auch schnell gehen, denn mein Magen knurrte wie ein Wolf und ich konnte förmlich beobachten, wie ich minütlich mehr in den Unterzucker geriet.
„Beweg dich endlich und mach mir was zum Essen!“, schrie der graue Wolf in mir, während die Küchenvorhänge im Märzwind wie ein Bataillon aufgescheuchter Gespenster umherflatterten. Doch das sagte ich natürlich nicht. Stattdessen wimmerte ich ein bisschen, wie früher, als Nonna mich unter die Dusche gezwungen hatte, wo ich doch so gerne ein trockener Junge geblieben wäre.
Nonna erhörte mein Wimmern. Endlich begann sie, mir mein blitzschnelles Lieblingsgericht zuzubereiten: Spaghetti Aglio e Olio. Ich liebe Knoblauchspaghetti, doch ich hätte zum jetzigen Zeitpunkt alles gegessen – selbst das frittierte Telefonbuch von Spiesen-Elversberg. Während meine Großmutter das Nudelwasser zeitlupenartig in den Kochtopf einließ, überlegte ich, ob ich sie mit einem „Hopp hopp hopp“ ein bisschen anfeuern sollte. Flinke Küchenarbeit ging anders! Nonna hantierte langsamer als eine Schnecke und ich fragte mich, ob sie das nervtötende Schauspiel tatsächlich aus Kraftlosigkeit oder nicht vielmehr aus Gehässigkeit vollbrachte. Während sie die Knoblauchzehe mit den Fingerspitzen zu schälen begann, riss ich einer Übersprungshandlung gleich den Backofen auf, um zwischen den verbrannten Koteletts noch einen halbwegs nahrhaften Knochen zu erheischen.
Dummerweise schob mich Nonna zur Seite und holte nun selbst die Koteletts beziehungsweise das, was davon übriggeblieben war, aus dem Ofen. Dann stellte sie das Radio an und begann die verbrannte Ofenform zu schrubben, während im Rundfunk die aktuellen Fallzahlen des Robert Koch Instituts und die Schreckensmeldungen der ausufernden Pandemie in Italien bekanntgegeben wurden.