Nonna Criminale - Luzi van Gisteren - E-Book
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Nonna Criminale E-Book

Luzi van Gisteren

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Beschreibung

Die beliebte Super-Nonna-Serie in einem exklusiven "3in1-Bundle": Reisen Sie mit Federico Poletti und seiner temperamentvollen italienischen Oma zwischen den Jahren quer durch Italien - nämlich von Verona bis zur malerischen Amalfiküste! "Nonna Criminale" beinhaltet folgende Besteller aus der bekannten Super-Nonna-Serie: "Nonnas goldener Hochzeitsfall", "Nonnas falsche Toskanaperlen" und "Nonnas blütenreicher Waschsalon". Gut zu wissen: Alle Romane sind in sich geschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. Pizza, Pasta, Mo(r)da - Lesestoff für die ganze Familie! Leserstimmen zur Super-Nonna-Serie: "Die Art und Weise, wie es der Autorin gelingt, voller Witz und Esprit immer wieder neue Kriminalfälle zu konstruieren, welche in mitreißender und sehr sympathischer Form die Besonderheiten der sizilianisch-deutschen Familienverhältnisse und die Vorzüge der italienischen Kultur beleuchten, ist ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Selten wurde ich so rettungslos in die Erzählung hineingezogen, so dass die Nächte regelmäßig sehr kurz wurden, bevor ich das Buch endlich aus der Hand legen konnte."

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

Die Patronin

Die Einladung

Die Rauferei

Darth Vader

Nachtgespenster

Borgo Panigale

Trinacria

Die Ameisenfüße

Am Vesuv

Castellamare di Stabia

Amore, Amore

Furore

Das Möbelhaus

Mafia-Märchen

Blumenschmuck und Kleiderstangen

Stolpersteine

Wermut und Wehmut

Der Gommista

Die schielende Medusa

Der goldene Hochzeitsfall

Der verwackelte Dunkelfilm

Anti-Mafia-Management

Little Mister Marco

Petroleum, Petroleum

Pizza Specialista

Das Paketband

Die Entscheidung

Das Gemälde

Bella Roma

Der Nachhilfeunterricht

Epilog

Quellenverzeichnis „Nonnas goldener Hochzeitsfall“

Das Geburtstagsgeschenk

Auf der Polizeiwache

Im Glüx-Bus

Die falsche Macadamia-Nuss

Die Villa Artimundo

Der Weinkeller

Ross und Reiter

Wellness und Spa

Der Fischmarkt

Der Scrabble-Abend

Strandpläne

Der erste Kuss

Luna Park

Florenz

Spurensuche

Mangiare, mangiare!

Die Spieluhr

Manic Monday

Alles Glück der Erde…

Nonnas falsche Toskanaperlen

Lende in Salzkruste

Die Lebenden und die Toten

Toskanaregen

24. Missverständnisse

25. Der verwunschene Garten

26. Das Testament

27. Check-out

28. Friedhofswahrheiten

29. Fieberträume

30. Epilog

Quellenverzeichnis „Nonnas falsche Toskanaperlen“

Lasagne Bianca

Zucchero

Crostata al Limone

Camomilla

Grappa Veronese

Lemon Soda XXL

Risotto all`isolana

Formaggio e olive

Nuggets e sfiziosità

Cornetto al Cioccolato

Risi e bisi

12. Piadine miste

13. Panettoncino Amarena

14. Aperol Spritz

15. Pizza “I Quattro dell`Ave Maria”

16. Campari Soda

17. Stuzzichini alle zucchine

18. Patatine fritte

19. Pan dei Morti

20. Zuppa di mezzanotte

21. Torta della Nonna

22. Miele del Monastero

23. Roastbeef all'inglese

24. Noccioline salate

24. Liquore digestivo

25. Torta e Spumante

Corona-Epilog

Nachschlag: „Hinten ist die Ente fett.“

Meine lieben Leserinnen und Leser!

Die Autorin

Villa Mortale – Super-Nonnas dubioser Erbschaftsfall

Impressum der Nonna-Trilogie

© 2024 Luzi van Gisteren | Herrenlandstr. 6/1 | 78315 Radolfzell

Printed in Germany

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verarbeitung sowie Übersetzung vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer. Jegliche Parallelitäten zu Ereignissen, Firmen oder Personen, lebend oder tot, sind wenn, dann rein zufällig.

Umschlaggestaltung: Luzi van Gisteren Umschlagmotiv: Shutterstock

„Natale con i tuoi, Pasqua con chi vuoi“

“Weihnachten bei der Familie, Ostern mit wem du möchtest.“

(Italienisches Sprichwort)

Für meine Schwiegereltern:

Lucia e Nicola

Ähnlichkeiten (z.B. zu meiner italienischen Verwandtschaft) sind nicht beabsichtigt und ungewollt; des Weiteren erhebt dieses Buch keinen Anspruch auf Realitätsnähe - dies betrifft nicht nur die Handlung, sondern auch die Kinderpsychologie: Das Denken, Erleben und Erzählen eines 12-Jährigen weicht wahrscheinlich sehr von dem meines Federicos ab.

NONNAS GOLDENER HOCHZEITSFALL

Pizza, Pasta, Mo(r)da!

Eine Krimikomödie von Luzi van Gisteren

Inhalt

„Nonna kann super kochen, super bügeln, super tanzen, singen und schimpfen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn in Wirklichkeit ist meine Nonna brandgefährlich!“

Pizza, Pasta, Mo(r)da: Der 12-jährige Federico reist mit seiner italienischen Oma und Hausmeister Gianni an die Amalfiküste: Die Goldene Hochzeit von Nonnas Cousine Gelsomina, Molotovcocktails in Zios Modeatelier, jede Menge Mafiosi und weitere sprühende Vulkankrater. Doch Nonna lässt nicht locker - erst recht nicht bei Camorra & Konsorten!

Impressum

© 2017 Luzi van Gisteren | c/o Papyrus Autoren-Club | R.O.M. Logicware GmbH | Pettenkoferstr. 16-18 | 10247 Berlin

Printed in Germany

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verarbeitung sowie Übersetzung vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer. Jegliche Parallelitäten zu Ereignissen, Firmen oder Personen, lebend oder tot, sind wenn, dann rein zufällig.

Umschlaggestaltung: Luzi van Gisteren, München Umschlagmotiv: Shutterstock Bildnummer:140407549 (Urheberrecht: SeneGal) und 133147340 (Thodoris Tibilis)

Lektorat/ Korrektorat: D. Seemüller, H. Boeker, A. Biggen Illustration Vignetten: Emily Brockmann

Die Patronin

Frauen sind ein echt schwieriges Thema. Wenn ich ehrlich bin und zugebe, dass mir Nonnas Nudelsauce besser schmeckt als die von Mama, ist Mama beleidigt. Und wenn Nonna mit mir Hausaufgaben machen möchte und ich ihr sage, dass ich lieber auf Mama warte, weil die besser Deutsch spricht, zieht Nonna einen Flunsch und knurrt wie Rosemarie, der Hund von unserem Nachbarn. Das ist der Nachbar, den Nonna nicht mag, weil der seinen Schuppen nicht aufräumt und weil bei ihm alles voller Löwenzahn wuchert.

Mama meint, dass Nonna das gar nicht zu interessieren hat, weil es schließlich nicht ihr Nachbar ist und weil es sowieso nur Mama ist, die den Löwenzahn ausrupfen muss. Wenn der Löwenzahn vom Nachbarn bei uns wie eine Atombombe ein- und dann ringsum millionenartig ausschlägt, reißt Mama ihn mitsamt seinen Wurzeln fieberhaft raus, weil er sonst nachwächst. Das macht sie mit der bloßen Hand, weil das mit Gartenhandschuhen nicht so gut geht, sagt die Mama. Danach muss sie sich ihre Hände ganz lange in Lauge einweichen. Dann ist es gut, wenn man sie in Ruhe lässt, weil sie dann immer ganz angestrengt schaut. So wie der Papa, wenn der Steuerfachmann kommt.

Papa ist den ganzen Tag in unserem Restaurant und führt die Geschäfte. Jedenfalls sagt Nonna das so und betont, dass der Papa ja soooo viel arbeiten muss. Mama sagt, dass der Papa eine ruhige Kugel schiebt, weil er ja drei Angestellte hat, die er rumkommandieren kann: Patrice, den Koch, Elena, das Mädchen für alles und Gianni, den Hausmeister, der viel lieber mit dem Dreirad-Ape in der Stadt spazieren fährt statt bei der Metro Artischocken und Fisch zu holen.

Ich mag Papa. Oft gehe ich ihn im Roma besuchen. Neulich hat er mir ein Likörglas eisgekühlten Limoncello ausgegeben - das war sehr lecker!

Mama hat sich furchtbar aufgeregt, weil Limoncello voll mit Alkohol ist und ich erst zwölf bin und eigentlich noch gar keinen Alkohol trinken darf. „Ah wa, ah wa“, hat Nonna gelacht und den Kopf geschüttelt, wie sie es immer tut, wenn Mama nicht einverstanden ist mit dem, was Papa macht. Ihre graue Haarschnecke hat im Takt mit ihren großen Ohrringen gewackelt und dann hat sie ihren Lieblingsspruch gesagt: „Ich sag`sch dir: Non c'è problema!“ Ich finde das lustig, aber Mama ist leider allergisch gegen den Satz „Ich sag`sch dir.“ Meist wird Mama dann noch lauter und Nonna lacht weiter, und zwar so lange, bis Mama dann gaaaaaanz laut wird, und zwar soooooo laut, bis Nonna geht. Mama sagt, es ist schade, dass man erst mal so laut werden muss, bis man mal seine Ruhe haben kann.

Wenn ich meine Ruhe haben will, nützt Schreien gar nichts. Dann ist es besser, wenn ich meinen Schulranzen voll mit Löffelbiskuits und Nonnas Birnensaft packe, der laut Mama gar nicht aus Birne, sondern nur aus Zucker und Farbstoff besteht. Mit diesen Sachen verziehe ich mich dann nach draußen in mein Versteck.

Wo mein Versteck ist, kann ich jetzt nicht schreiben, weil Papa sagt, man muss immer auf der Hut sein, wenn man Tagebuch führt, weil Mütter wohl gerne rumschnüffeln. Seine Mutter, also meine Nonna, hat wohl früher auch immer rumgeschnüffelt, darum hat Papa nie Tagebuch geführt.

Nonna sagt, Papa hat nie Tagebuch geführt, weil er faul ist. Weder Tagebuch hat er geschrieben, noch Einträge für die Schule.

Man muss wissen: Nonna ist eigentlich ganz nett. Nur nicht, wenn sie die komische Wurst in die Nudelsauce schneidet. Das schmeckt mir überhaupt nicht. Genauso wenig wie Spinat. Und weil Nonna weiß, dass ich keinen Spinat mag, sagt sie immer, dass ihre selbst gemachten Ravioli nicht mit Spinat, sondern mit grünem Käse gefüllt sind.

Mama sagt, dass Lügner kurze Beine haben. Und Nonnas Beine sind wirklich sehr, sehr kurz. Und dick. Nonna sagt, dass ihre Beine mit Wasser gefüllt sind, aber das ist Quatsch. Ein Bein ist mit Blut gefüllt, nicht mit Wasser - das lernt ein Kind schon in der Grundschule. Ich habe das mit dem Wasser in Nonnas Beinen Mama erzählt und Mama hat gesagt, dass die Nonna nicht die Hellste unter dem Herrn ist; solche Worte darf Papa ja nicht hören, weil der sonst sehr, sehr wütend wird und noch lauter brüllt als Mama, wenn die Nonna lacht.

Wenn bei uns im Haus etwas repariert werden muss, wenn zum Beispiel die Tür der Waschmaschine nicht mehr aufgeht oder der Kaffeevollautomat wieder klemmt, kommt unser Hausmeister Gianni. Er repariert das, was repariert werden muss. Gianni ist lustig: Er hat eine drollige Mütze, ein wirklich riesiges Grübchen im Kinn, Hosenträger und einen dicken Bauch. Leider riecht er etwas streng. Das liegt daran, weil er so viel arbeiten muss, sagt Gianni, wenn man ihn darauf aufmerksam macht. Nonna sagt, dass er so streng riecht, weil er keine Frau hat, die ihm die Hemden wäscht.

Die Mama sagt, wenn die Nonna kocht, muss man danach immer die Küche renovieren. Das liegt daran, weil die Nonna die Kochlöffel immer ganz fest am Kochtopf abschlägt. Ich finde das toll, denn die Nonna ist voll laut in der Küche und sieht aus wie der ausgeflippte Schlagzeuger einer Rockband.

Die Nonna kann manchmal sehr sauer sein. Insbesondere Frauen können es meiner Nonna nicht so recht machen. Das geht auch Elena, unserem Küchenmädchen, so. Letztes Mal hat die Nonna Elena angemeckert, weil sie Zwiebeln nicht klein genug schneidet. Da hat Elena das Messer hingeworfen und gebrüllt, dass die Nonna doch ihren Kram selbst machen soll und dass die Arbeit im Roma Höchststrafe ist. Dann hat sie ihren Mantel geschnappt und ist einfach abgehauen und so musste ich die ganzen Zwiebeln schneiden. Die Augen haben mir dabei so getränt, dass ich mir die Taucherbrille aus meinem Schwimmbeutel geholt habe. Mit der Taucherbrille auf der Nase kann man stundenlang Zwiebeln schneiden, ohne dass einem die Augen tränen.

Tjaja, es hätte eigentlich ein beschauliches Leben sein können in unserem schönen Saarlouis, mit der schönen Elena, die die Nonna mit einem riesigen Fliederstrauß um Verzeihung bat und fortan, ohne eine Miene zu verziehen, Auberginen, Tomaten und Zwiebeln schnitt und mit Frau Tramper-Utz, die mir für die geringelte Wollschlange, die in meiner großen Verzweiflung Nonna für mich zu Ende häkelte, eine 2+ gab. Hätte da nicht die Goldene Hochzeit von Nonnas Cousine Gelsomina an der goldenen Amalfiküste ins Haus gestanden. Mit dieser Goldenen Hochzeit hat Mord und Totschlag Einzug in das ehrenwerte Haus unserer Familie Poletti gehalten. Mein Papa aber ist Realist: Er sagt, dass das Roma erst so richtig gut läuft, seitdem die Patronin unserer Familie in den Schlagzeilen stand. Die Patronin - das ist meine Nonna, meine Super-Nonna!

Die Einladung

Im Nachhinein lässt sich feststellen, dass das, was kein gutes Ende nahm, schon zu Beginn ungut anfing: Nämlich mit der unsagbar nachlässigen Poste Italiana und der verspäteten Zustellung der Einladung zur Goldenen Hochzeit Gelsominas, Nonnas Cousine väterlicherseits. Sie erreichte meine ahnungslose Nonna kurz vor knapp: nämlich genau fünf Tage vor dem großen Fest.

Nonna schlug sich die Hände über den Kopf zusammen, als sie das Kuvert mit den goldenen Röschen und der verschnörkelten Tintenschrift öffnete: „Dio Mio, Gelsomina, meine liebe Cousine heiratet übermorgen!“

„Deine Cousine ist mindestens 87!“, rief Papa empört.

„Ja, aber sie musse noch einmal vor die Traualtar. In Praiano, wo vor funfzig Jahre habe geheiratet die schöne Carmine, der seit seine dritte Schlaganfall musse immer sitze in die Rollstuhl. Perbacco! Was war das fruher für eine Mann, de Carmine. Hatte mir au gut gefalle.“ Kleine Lichtblitze durchzuckten ihre Augen.

„Ach! Eine Goldene Hochzeit, wie schön!“, rief Mama hocherfreut, „Weißt du denn schon, wie lange du in etwa bleiben wirst?“

Meine Großmutter plusterte sich auf. „Keine Ahnung! Ein zwei Woche vielleicht. Hängt auch davon ab, wie lange mein Sohn und die kleine Federico habe Zeit.“

Papas Brust schwoll an wie die des schwarzen Hahns in Nonnas Osterkorb. „Nein, Mamma. Ich komme natürlich nicht mit! Das geht auf gar keinen Fall, das kann Gelsomina wirklich nicht erwarten!“ Er beteuerte, dass er für die nächsten Wochen mit diversen Taufen, Geburtstagsfeiern und Klassentreffen ausgelastet sei. Da könne er auf keinen Fall fehlen. Aber unser Hausmeister Gianni, der könne die Nonna ja nach Italien chauffieren.

„Gianni? Boh!“ Nonna schaute für einen Moment beleidigt, doch dann erhellte sich ihre Miene wieder und sie drückte mich an ihren großen Busen, dass mir die Luft halb wegblieb. „Aber meine kleine Schatzili werde mir auf alle Fälle begleite, ich sag`sch dir!“

„Oh ja, Nonna! Ich komme gerne mit nach Italien“, wollte ich sagen, aber Mama war schneller: „Auf gar keinen Fall wird Federico dich begleiten. Die Goldene Hochzeit liegt schließlich außerhalb der Schulferien.“

„Mio Bello brauche keine Ferie, um seine Oma zu begleite nach Italie, isse grande festa von de Familia, verstehe?“ Nonnas Ohrhänger fingen schon wieder an zu wackeln, aber Mama blieb cool und schüttelte den Kopf: „Ts, ts, ts, wo kämen wir denn da hin? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Tramper-Utz Federico für zwei Wochen wegen eines Mehrgang-Menüs bei einer entfernten Urgroßtante freigibt, Carmelina!“

Da bekam Nonna ganz glasige Augen: „Was erlaube! Isse Goldene Hochzeit, was wisse du von die Goldene Hochzeit in Italien. Und isse meine gute Cousine Gelsomina, wer weiß, wie lange noch lebe!“ Sie begrub ihr Gesicht in ihre Hände und schluchzte: „Ah wa! Was soll mit diese Frau Trampesu, isse mir egal!“ Sie zog ihr kariertes Taschentuch aus ihrer Kittelschürze und schnäuzte sich lautstark.

Da wurde es Papa zu bunt: „Hör auf zu heulen! Der Junge muss was lernen! Also! Ich rufe jetzt Gianni an! Er bringt dich hin! Also!“

Nonna zuckte die Schultern und sagte nichts mehr. Es dauerte keine Stunde und da stand Gianni mit seinen 1,65 Metern und einem schäbigen, ausgebeulten braunen Lederkoffer mit der Ape auf dem Hof und grinste über beide Backen: „Ciao Carmelina, da bin ich. Muss nur noch tanken!“ Er rückte seine Baskenmütze zurecht.

„Fahrt ihr mit dem Seicento?“, fragte ich.

„Quatsch! Mit Giannis Rostlaube kommt ihr nicht mal zum Brenner!“, rief Papa, „Ihr nehmt natürlich meinen Kombi. Sicher ist sicher!“

Mein Herz machte einen Sprung. Was Papa nämlich nicht weiß, ist, dass der Seicento wie eine Eins fährt. Gianni lässt mich nämlich dann und wann mit ihm fahren. Natürlich nur, wenn er dabei sitzt. Er ist für kleine Leute gebaut und so kommt ein 12-jähriger, gut gewachsener Bursche wie ich mit den Beinen gut ans Gaspedal, auch wenn er etwas ruckelt beim Anfahren.

„Das heißt, dein Auto bleibt hier, Gianni?“, fragte ich und sah mich bereits im zweiten Gang um den Block schlendern.

„Glaube, i nehm` lieber das Zug!“, rief Nonna und entfachte damit eine erneute Diskussion über An-, Ab- und Weiterreisen: Papa rechnete ihr vor, dass sie es angesichts der schlechten Verbindung des Fernverkehrs nicht einmal mehr zum Mitternachts-Spumante schaffen würde. Sie solle sich nicht so haben, sondern besser nach Hause und ihre Sachen packen gehen. Gianni könnte derweil ja noch beim Floristen ein paar Geschenke besorgen gehen, ein paar Blümchen und so - man wolle sich vor der Verwandtschaft schließlich nicht lumpen lassen.

Gianni nahm Papas Worte für mehr als bare Münze: Er ließ beim Floristen ein Bouquet binden, das sich gewaschen hatte: Langstielige Rosen, lachsfarbene XXL-Lilien, Büsche von Nelken eingerahmt in meterhohen Pampagrasschnitt und in eine regelrechte Schleierkrauthecke - allesamt schockgefrostet, damit die Blüten auch im Süden noch ansehnlich wären. Dazu zwei Turteltäubchen aus Stuck, umhüllt von einem Quadratkilometer Zellophan und einem ganzen Bataillon an hellblauen Schleifchen sowie einer mannsgroßen Magnumflasche Sekt, die ich auf der Rückbank festhalten musste, damit sie in den engen Kurven nicht das Bouquet erdrückte.

„Man kann dich zwischen dem Riesen-Blumenstrauß kaum erkennen!“, lachte Gianni und die Reifen quietschten, als er vor Nonnas Wohnblock hielt. „Deine Großmutter ist eine ganz bezaubernde, aber auch anspruchsvolle Frau!“, meinte er, als ich mich zwischen Langstielrosen und den Gipstauben abzuschnallen versuchte. Der Gurt klemmte.

„Du darfst nicht alles für bare Münze nehmen, was Nonna sagt. Sie meint es nicht so!“ Ich rüttelte ungeduldig an dem Verschluss und - zack - da war es geschehen: Ich war mit dem Ellbogen abgerutscht und hatte einem der Turteltäubchen den Flügel abgebrochen.

Da Carmine jedoch seit seinem Schlaganfall im Rollstuhl saß, fand ich den abgebrochenen Flügel irgendwie sinnbildlich und sagte nichts. Gianni war heute ohnehin äußerst schweigsam. Erst als ihm Nonna in ihrer ausladenden Pünktchenbluse vor unseren parkenden Wagen trat, fand er seine Sprache wieder:

„Carmelina, das ging aber schnell! Du siehst ganz wunderbar aus!“ rief er pathetisch. Er sprang aus dem Wagen, machte einen Diener und verstaute Nonnas Gepäck im Kofferraum.

Nonna öffnete die Hintertür und warf, ohne mich anzublicken, ihre lachsfarbene Stola, die sich im Übrigen sehr gut zu den lachsfarbenen Lilien machte sowie ihr cremefarbenes Hütchen zwischen das Bouquet, die XXL-Magnumflasche Sekt und das angebrochene Turteltäubchen, das ich noch immer auf meinem Schoß hielt.

Sie befestigte einen Duftbaum neben dem kleinen Rosenkranz am Rückspiegel und brummte: „Habe für alle Fälle immer eine kleine Koffer gepackt. Man kann nie wisse! Manchmal muss schnell ins Krankehaus. Oder muss nach Italie. Italie besser, ich sag`sch dir!“

Giannis Kinngrübchen begann zu leuchten und er kratzte sich am Hinterkopf. „Also dann, Signora, auf geht`s in die Heimat: Bella Italia!“

Ich träumte so ein bisschen vor mich hin. Eigentlich hatte ich keine Lust, heute im Roma Zwiebeln zu schneiden. Was würde ich drum geben, einfach im Auto sitzen zu bleiben? Aber meine gestrenge Lehrerin, Frau Tramper-Utz, würde morgen, wenn ich nicht pünktlich zum Unterricht erscheinen würde, vielleicht wie ein wilder Zornesdrache bei meiner armen Mama anrufen. Sie würde mich dann wahrscheinlich richtig hassen und Mama wäre ganz traurig.

Als wir die Stadtgrenze bereits passierten, war es Zeit „Wann gedenkt ihr eigentlich, mich endlich nach Hause zu bringen?“ zu fragen. Gianni legte eine Vollbremsung hin und fiepte wie ein ausgemergelter Spatz: „Um Gottes willen! Den Jungen hab ich ja ganz vergessen!“

Da drehte sich Nonna zu mir um, zwinkerte mir diabolisch zu und sprach, als wäre es die logischste Sache auf Erden: „Ah! Da isse ja meine kleine Federico. Perfetto! Du fahre naturalemente mit uns!“

„Aber Carmelina, das geht doch nicht!“, schrie Gianni und fuhr im Schritttempo an die Seite.

„Stai zitto, ich sag`sch dir! Isse große Auto von meine Sohn! Non c'è problema! Außerdem muss die Federico das Sektflasch halte!“ Sie begann Butterbrote auszupacken: „Für jede ein Panino und dann leis sei, ich sag`sch dir!“

Die Rauferei

Gianni chauffierte den Kombi mit laschen 60 km/h über die Fernstraße, während wir von einem Auto nach dem anderen überholt wurden.

„Wenn du nix schneller mache, wir schaffe nix zu die Kirche von meine Cousine, Dio Mio, Gianni! Wasse solle mitte diese Tempo nach Italie?“ Nonna seufzte tief und kramte ihr rotes Taschenmesser aus der Handtasche. „Guarda, Federico: Das Messer hatte deine Nonno gehört, damit hat er mir meine Lieblingsnusse auffe gemacht. Sogar eine Hase für Pasqua hatte er aufgemacht mit diese Messer. Habe lange nixe sauber bekomme!“ Sie klappte den Blendschutz ein und hielt die ausgezogene Klinge gegen die Sonne. „Federico, Schatzili, musse schaue wie schön glänzt jetzt. Habe lange diese Messer geputzt, ware viel Arbeit!“

„Aber Nonna, das hast du mir doch schon so oft erzählt“, sagte ich etwas genervt.

„Habe deine Nonno sehr geliebt, mio Caro!“ Ihre Stimme bekam den typisch brüchigen Ton, den sie immer bekommt, wenn sie von ihm spricht.

Ich hab meinen Nonno (also meinen Opa) leider nicht kennen gelernt, weil er in dem Jahr gestorben ist, als Mama mit mir schwanger war. Gianni verdrehte die Augen. Er hat mir mal erzählt, dass Nonna sich früher oft über ihren Mann beschwert hat, weil er nachts so laut geschnarcht hat und sie fast vierzig Jahre nicht durchschlafen konnte.

„Hier, musse esse!“ Sie reichte mir einen Aprikosenschnitz, den sie mit Nonnos Taschenmesser aufgeschnitten hatte.

„Nonna, können wir Mama anrufen? Du hast doch das Handy in deiner Tasche?“, fragte ich und steckte mir die Aprikosenhälfte in den Mund. Sie hatte einen faden Beigeschmack, aber ich schluckte sie runter.

„Ja ja, warum nix?“ Nonna klappte das Taschenmesser ein und kramte umständlich in ihrer Handtasche.

„Porca miseria!“ Sie ließ von ihrer Tasche ab und klopfte sich mit der Hand an die Stirn. „Habe meine Telefono zu Hause liege lasse, neben meine Passaporto, weiß nix, wie konnte passiere. Arme bin ich!“

Gianni legte die nächste Vollbremsung hin: „Um Gottes willen, Carmelina!!“, schrie er und kam beinahe zum Stehen, ehe er tief durchschnaufte. Er erzählte, dass er an der Schweizer Grenze noch jedes Mal kontrolliert worden wäre. Das läge wohl daran, dass den Schweizer Grenzern wahrscheinlich seine Nase zu krumm sei oder seine Baskenmütze nicht gefallen würde, jedenfalls hätten sie ihn und seinen Seicento schon regelrecht auseinandergenommen.

„Aber du kannst doch deine Baskenmütze einfach absetzen. Außerdem fahren wir ja nicht mit dem Seicento, sondern mit Papas Kombi.“

Nonna schüttelte den Kopf und meinte ganz pragmatisch: „Mache nix, fahre halt über Österreich! Ich sag`sch dir: Non c'è problema! Aber vielleicht musse bizzele schneller fahre!“

Dass wir zwanzig Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt waren und mit dem Umweg über den Brennerpass mehrere Stunden verlieren würden, war Nonna egal.

Gianni willigte ein. „Na gut! Sicher ist sicher!“, sagte er. Die Panini waren längst aufgefuttert und die restlichen Aprikosen leider allesamt faul. Nonna schmiss sie nach und nach wütend aus dem Fenster.

Dem Volvo hinter uns schien das nicht zu gefallen, denn er blinkte mehr als einmal auf, was Nonna nicht zu interessieren schien. „Alles biologico!“, sagte sie und beförderte letztendlich den restlichen Aprikosenmatsch ins Nirwana des Voralpenlandes, respektive auf die Windschutzscheibe des Volvos. Er hupte nun wie verrückt und setzte zu einem riskanten Überholmanöver an. Uns kam ein LKW entgegen und er musste wieder hinter uns einscheren, sein zweiter Versuch aber glückte und während er neben uns fuhr, zeigte er uns schimpfend und tobend einen Vogel.

Nonna ließ sich davon nicht beirren: „Was will diese blöde Mann! Ah wa! Ah wa!“, rief sie und machte, indem sie bei ihrer ausgestreckten Hand Mittel- und Ringfinger einzog, die wohl allerübelste neapolitanische Geste, die mir Papa schon früh verboten hat. Der Volvofahrer schien etwas von neapolitanischen Gesten zu verstehen, denn noch ehe Nonna ihren Beschwörungswink einstellte, legte dieser vor uns eine Vollbremsung hin. Auch Gianni kam zum Stehen und verriegelte schnell die Türen von innen. Ein Mann mit Kugelbauch und hochrotem Kopf stieg aus dem Auto und türmte sich wie ein Grizzlybär vor uns auf. Seine Augenbrauen waren in der Mitte fast zusammengewachsen und verliehen dem Fahrer ein grimmiges Äußeres.

Gianni nahm seine Baskenmütze ab und machte ein paar beschwichtigende Gesten. Der Volvofahrer war schon dabei, auf dem Absatz kehrt zu machen, als Nonna das Fenster herunter ließ. Sie lehnte sich heraus und rief: „Wie lange wolle noch halte auf das Verkehr Sie blöde Mensch!“ In der Tat hatte sich hinter uns eine hupende Autoschlange gebildet, doch Nonna hätte besser geschwiegen, denn jetzt ging „dieses blöde Mensch“ erst so richtig auf: Er spuckte mehrfach vor unser Auto, dann stolzierte er mit dunklem Monsterblick an uns vorbei und um unseren Kombi herum. Mit einem Mal war da ein dumpfer Schlag und unser Auto wippte ein paar Mal auf und nieder. „Wenn das mal keine Beule gibt!“, warnte Gianni. Der Dickbauch kam wieder an uns vorbei und fletschte die Zähne, was meinen Puls sekundenschnell verdreifachte.

„Basta!!!“, rief Nonna und schnallte sich wütend ab.

„Nicht aussteigen!“, riefen Gianni und ich im Chor, doch Nonna wollte nicht hören. Wie von der Tarantel gestochen preschte sie nach draußen und Gianni, der verzweifelt versucht hatte, seine Fingernägel in ihre Pünktchenbluse zu bohren, hielt nur noch leere Luft in seinen Händen.

Nonna dagegen rannte wie eine übergeschnappte Furie auf die Straße und stellte sich breitbeinig vor dem Volvofahrer auf, der mit verschränkten Armen vor seinem Wagen lehnte. Sie stampfte mit dem rechten Fuß und schrie dabei Sachen, die nichts Gutes bedeuten konnten, denn das grimmige Gesicht des Mannes verwandelte sich urplötzlich in eine unheimliche Karnevalsmaske. Er schrie jetzt noch lauter als Nonna und wenn ich es richtig mitbekam sogar auf Italienisch, obwohl sein Volvo ein österreichisches Kennzeichen hatte. Er schrie „Puttana“, was natürlich gar nicht geht! In mir schwappte ein Lavafass über - so durfte keiner mit meiner Nonna reden! Ich schnallte mich ab, riss die Tür auf und sprang nach draußen. Leider rutschte mir in dieser Sekunde das eh schon angeknackste Turteltäubchenpaar auf den grauen Asphalt und zerbrach in tausend Stücke, aber das war mir egal. Hier war Gefahr im Verzug! Nonna wusste sich jedoch selbst zur Wehr zu setzen - sie war gerade dabei, mit ihrer Handtasche dem dicken Mann mit den zusammengewachsenen Augenbrauen eine über seinen breiten Schädel zu bügeln.

„Aber nicht doch, Carmelina!“, rief Gianni aus dem Fenster. Es war eine Katastrophe! Das Hupkonzert hinter uns hatte sich inzwischen in ein ohrenbetäubendes La Ola-Echo verwandelt. Ein paar Schaulustige bildeten einen Halbmond um uns und wir beobachteten gebannt die beiden Streithähne, die auf Italienisch Zetermordio schrien.

„Nun beruhigen Sie sich doch endlich mal!“, rief eine junge Frau hinter mir. „Wenn Sie sich nicht beruhigen, müssen wir wohl die Polizei holen. Der Junge hier ist ja schon fix und alle!“ Sie streichelte mir beruhigend den Rücken.

„Komm Nonna, lass uns bitte gehen“, bettelte ich und zog meine Oma am Rock. Sie schaute mich kurz an, dann öffnete sie ihre Handtasche und holte ihren zerfledderten Notizblock und einen Bleistift heraus. Sie schien etwas zu malen, schob ein wenig ihre Zunge heraus, so wie wenn sie der Buttercremetorte die letzten Sahnehäubchen aufsetzt; dann riss sie das Papier mit einem Ruck ab und überreichte es dem wütenden Volvo-Fahrer, der den Zettel kurz anschaute, einen undefinierbaren Zischlaut von sich gab und das zerfledderte Blatt dann wie versteinert in seine Hemdtasche einsteckte.

Nonna aber nahm mich an der Hand und stolzierte mit hocherhobenem Haupt zurück ins Auto. Sie drapierte ihre Handtasche zwischen den Beinen, schnallte sich an und winkte der freundlichen Frau, die mir den Rücken gestreichelt hatte, wie Queen Mum höchstpersönlich zu. Den Volvofahrer aber würdigten wir keines Blickes mehr.

„Was hast du dem bösen Mann nur auf den Zettel geschrieben?“, fragte ich meine Oma. Nonna ist zuweilen etwas wortkarg, auch in diesem Moment konnte ich ihr nicht mehr als ein staubtrockenes „Boh!“ entlocken.

„Komm, sag schon, Carmelina, was hast du da auf den Block gekritzelt, nun mach`s doch nicht so spannend!“, bettelte Gianni.

Nonna grinste diabolisch, doch sie blieb stumm wie ein Fisch.

„Du hast doch vorhin was von Hunger gesagt, Carmelina, wir sind gleich über dem Brenner und dann im schönsten Land der Welt mit den schönsten Leuten der Welt und mit den schönsten Autobahnraststätten der Welt - wie wäre es mit einer schönen Portion Käse-Maccaroni beim Autogrill? Ich lad dich ein, aber du musst mir sagen, was du dieser Bestie gemalt hast, dass sie auf einmal Ruhe gegeben hat. War das ein Zauberwort? Komm, sag` schon! Ich bin gespannt wie ein Regenbogen!“

„Wie ein Flitzebogen heißt das!“, brachte ich mich ein.

„Mein Enkelsohn habe Recht, gespannt wie eine spitze Boge heiße das, du dumme Kopf!“, echauffierte sich Nonna und richtete sich auf, als sei sie Expertin für deutsche Redewendungen.

Darth Vader

„Ich hab so was von Kohldampf!“, stöhnte ich. Das war DAS Stichwort für Gianni: Wir hatten gerade die italienische Grenze ohne Kontrolle passiert, da bog er in eine hell erleuchtete Raststätte ein. Mir war schon ganz flau im Magen und wir setzten uns an einen kleinen Tisch in der schummrigen Gaststätte. Ich musste dringend mal.

Vor der Toilette stand eine Gruppe junger Italiener in Jogginghosen. Sie diskutierten und gestikulierten wild mit ihren Zigaretten in den Händen und ließen mich nicht vorbei, als ich mich an ihnen vorbeidrücken wollte. Einer rempelte mich an, ein anderer hielt mich aus unerfindlichen Gründen am Kragen fest. Mein Puls raste auf 300 hoch; fix riss ich mich los und lief um die Raststätte herum auf eine Wiese, wo es bestialisch stank. Ich versuchte mir den Geruch von Tomatensauce, Paprika und Oregano ins Gedächtnis zu rufen, um den Würgreflex, der sich in mir auftat, zu unterdrücken.

Auf einmal war mir, als hätte ich einen lauten Knall gehört. Allerdings konnte ich mich nicht weiter auf die Geräuschkulisse konzentrieren, denn ich musste die Luft anhalten, um nicht womöglich zu ersticken. Als ich endlich fertig war, rannte ich schnell ins Restaurant zurück. Doch - oh weh! Nonna und Gianni waren nicht mehr da! Auf dem Tisch, an dem sie vor wenigen Minuten noch gesessen hatten, standen nun drei schöne Teller Nudeln, aber wohin waren meine Großmutter und Gianni verschwunden? Ich setzte mich an den Tisch und stocherte in meinen Nudeln herum. Ich sah mich im Restaurant um, neben einem einsamen Herrn im Blaumann, der auf seiner Bank eingeschlafen war, saß weiter hinten ein älteres Pärchen, aber nicht das, das ich mir so sehnlichst herbeiwünschte.

Dennoch gesellte ich mich an ihren Tisch.

„Entschuldigung, haben Sie vielleicht meine Großeltern gesehen?“

Die graugelockte Frau schob ihre Brille zurecht. „Ik kan hem niet verstaan“, sagte sie und klang dabei, als wäre ihr gerade eine Kartoffel im Hals stecken geblieben.

„Bitte: Meine Nonna saß doch gerade noch an dem Tisch da drüben!“ Ich zeigte rüber zum Tisch mit den dampfenden Nudeltellern. „Where is my Nonna?“, fragte ich verzweifelt.

„Ah! Hij zoekt zijn grootouders!“, mischte sich nun der kahlköpfige Herr ein, er hatte wirklich megalange Ohrläppchen, von denen ich meinen Blick kaum abwenden konnte.

„There was a big Knall vorhin, did you hear it?“ Die Alten schauten mich verständnislos an; ich untermalte meine Aussage mit „Bang! Bang!“ und stapfte ein paar Mal mit dem Fuß auf. Der Graulockigen schien langsam ein Licht aufzugehen: „Oh, yes, you are right! There was a big bang! ButyouknowpeoplefromNetherlandsandsuchanoiseyouknowwhentherewasthesecondworldwarIwasalittlegirlaandnyammysisterinlawclyrard….…“

Das war zu viel für mich! Ich stieg aus und verfluchte Frau Tramper-Utz English Lesson. Für was lernte ich eigentlich das Zeugs, wenn ich mich im Urlaub nicht mal verständigen konnte?

Ich war wütend. „Do you have a handy?“, fragte ich barsch.

„What is a handy?“, fragte die Kartoffelhalsfrau zurück, die hatte in ihrer English Lesson wohl auch nicht so gut aufgepasst.

„Mobieltje, ik denk dat hij ons mobieltje wil“, sagte der Mann mit der Nickelbrille, zog ein altes Klapphandy aus seiner Hosentasche und reichte es mir.

„Hier“, sagte er und wählte die Nummer für Deutschland vor.

Ich wählte konzentriert die Vorwahl von Saarlouis: „null, sechs, acht, drei“, sagte ich. „Zonder de nul“, unterbrach mich der Mann. Ich verstand nur Bahnhof und schaute das Paar fragend an. Die Frau erklärte mir auf Englisch, dass ich die Null bei der Vorwahl weglassen müsste.

Ich befolgte den Ratschlag. Endlich klingelte es, doch es nahm keiner ab. Der Anrufbeantworter sprang an. Ich versuchte, äußerst gefasst rüberzukommen: „Hallo! Hey! Wo seid ihr denn?“, faselte ich, während mich die Kartoffelmenschen irritiert anstierten. „Ich wollt euch nur sagen - ich bin nun doch mit nach Italien gefahren. Zur Tante. Zur Goldhochzeit oder wie das heißt. Jedenfalls sind wir gerade beim Essen, naja, so halbwegs, ich meine….ist ja auch egal. Also, was ich sagen wollte: Macht euch keine Sorgen! Wir haben nur kein Telefon dabei. Die Nonna hat`s liegenlassen. Aber wir melden uns dann wieder, wenn wir unten sind. Okay. Tschüüüüüühüüüüüüss!“

Ich hatte mich bemüht, möglichst normal zu klingen.

„Alles in orde?“, fragte die Frau.

Ich nickte anstandshalber. Ich wollte das Telefon schon zurückgeben, da fiel mir ein, dass ich ja noch im Roma anrufen könnte - vielleicht hatte ich ja da mehr Glück.

„Darf ich nochmal?“, fragte ich.

Die Herrschaften nickten so gütig wie Weihnachtsmann und Weihnachtsfrau höchstpersönlich.

Mir war so was von zum Heulen, das können Sie mir glauben! Ich zog die Nase hoch und blinzelte den Tränenschleier weg, dann wählte ich die Nummer vom Roma.

Nach dem elften Klingeln meldete sich Elena. Ich konnte sie kaum verstehen, es schien gerade wie immer hoch her zu gehen und im Hintergrund hallten Stimmen und Musik.

Ich musste meinen Namen vier Mal in den Hörer schreien, ehe sie begriffen hatte, wer dran war.

„Ooh Federico! Bescht du dat endlisch? Mir warten awei schonn eewisch off disch, de hättscht doch heit helfe solle et Gemies schneppele.“1

„Elena! Ich muss dringend Papa sprechen!“, rief ich.

„Ei, awwer doch jetz net. Et senn em Deiwel sei Gäscht hie onn der Kejelclub hat eewen grad vierzehn Calzone beschtellt, dei Pappa werd disch beschtemmt gleisch zreckrufen, awwer ent kann isch da saan: Der es ganz scheen wiedisch! Wie isch dir et gesaat hann: Hie es emm Deiwel sei Arwett onn die Paprika schneiden sich beschtemmt net von allään!!“2

„Elena!!! Ich bitte dich!!! Papa soll nicht zurückrufen!!! Das geht nicht!!! ICH MUSS IHN SOFORT SPRECHEN!!!!“, brüllte ich. Das Telefon war verstummt. Elena hatte schon aufgelegt.

Es war mir, als würde es mir das Herz zerreißen. Ich bedankte mich und reichte dem Mann sein Telefon zurück. Dann ging ich zurück zu unserem Platz.

So viel Aufregung an einem einzigen Tag! Essen beruhigte: Ich stocherte in meinem Pastateller; die Nudeln waren inzwischen eiskalt und die Spaghetti schmeckten wie Regenwürmer. Ich fragte mich, was schlimmer war: Mit verbundenen Augen kalte Spaghetti zu essen und zu denken, es seien Regenwürmer; oder Regenwürmer zu essen und davon auszugehen, es seien kalte Spaghetti. Ich legte mein Besteck zur Seite, der Appetit war mir gründlich vergangen!

Ich musste Nonna und Gianni finden! Vielleicht waren sie im angrenzenden Geschäft Rubbellose kaufen gegangen. Nonna ist ein großer Rubbellose-Fan. Sie hofft auf den Hauptgewinn oder zumindest viel Geld und die vielversprechendsten Gewinne gab es laut Nonna nur in Italien.

Der Laden war gespenstisch leer - sogar die Kasse war unbesetzt!

Ich hörte eine Frauenstimme, sie klang wie Micky Maus. Ich bekam nur ein paar Wortfetzen mit, ich schlich um die Regale, um sie besser zu verstehen: „Gigi hielt sich zuletzt vor einem Jahr bei seiner Mutter in Kalabrien auf. Mit schwerem Geschütz hat die Polizei heute sein Hotelzimmer in Bregenz gestürmt. Bei diesem Großeinsatz wurden mehrere scharfe Schusswaffen gefunden, aber von Gigi fehlt weiterhin jede Spur. Die Polizei geht davon aus, dass der Mafiaboss wenige Sekunden vor Ankunft des Einsatzkommandos geflohen ist. In der Tiefparkgarage des Hotels wurde ein Volvo entwendet und es ist davon auszugehen, dass Capo Gigi…“

Wo war diese Reporterin? Ich drehte mich hektisch um, lief hin und her - der Laden war wie gesagt leer, aber die Alte plapperte und plapperte in ihrem nasalen Stil. Hinter einer Trennwand entdeckte ich einen Fernseher, in dem gerade die Abendnachrichten liefen. Als ein Bild von Mafiaboss Gigi eingeblendet wurde, hatte ich das dringende Bedürfnis, mich auf den Boden zu setzen, dem ich nachgab. Den grimmigen Neandertaler, der so aussah, als hätte ihm sein Nebenbuhler gerade die Flamme ausgespannt, war kein anderer als der wütende Volvofahrer vom Brenner. Von Nonna und Gianni aber fehlte weiterhin jede Spur!

Mit einem Mal wurde mir ganz schwindelig und mir war mindestens so flau wie Gianni, der einmal nach dem Karneval im Roma mit Blutvergiftung im Krankenhaus behandelt werden musste. Ich griff aus unerfindlichen Gründen in das Glas mit den sauren Weingummis und dann: Ging ich in die Knie! Und dann: Filmriss!! Aber so was von! Keine Ahnung, wie lange ich da gelegen habe, auf dem Boden des Tankstellenladens. Irgendwann kam ich wieder zur Besinnung; ich öffnete meine Augen und es war mir, als würde mir die Nachrichtensprecherin direkt in die Augen sehen. Ihre Haare waren ein Stückchen kürzer und ihre Bluse hatte sie inzwischen gegen einen violetten Blazer getauscht, aber wieder betonte sie, dass man auf alle Fälle auf der Hut sein sollte, da Capo Gigi als extrem gefährlich einzustufen war.

Im Fernsehen wurde gerade die Nummer der Polizei eingeblendet, unter der man sachdienliche Hinweise zum Verbleib von Mafiaboss Gigi geben konnte.

Ich stand hektisch auf, torkelte und schnappte mir einen Losschein, um mir auf der Rückseite die Nummer der Polizei zu notieren, doch ehe ich einen Kugelschreiber gefunden hatte, wurde eine Waschmittelwerbung gezeigt, in der ein Mann mit weißer Unterhose und Socken eine Frau antanzte, die gerade das Waschpulver in die Maschine füllte. Schauen Sie sich mal die italienische Werbung im Fernsehen an, dann wissen Sie die deutsche wieder zu schätzen! Es folgten zwei schnauzbärtige Catman-Zwillinge, die sich wie ausgemergelte Sumo-Ringer um eine einfache Packung Cerealien stritten und dabei ganz widerlich lachten. Mein Blick klebte an der Reklame und so realisierte ich erst spät, dass sich ja noch eine Person im Laden befand, nämlich erst in dem Moment, als sich ein dunkler Schatten hinter mir auftat und zwei Arme meinen Brustkorb schlangenartig umfassten.

Ein kalter Geruch nach Asche und Staub ging von dem Mann aus. „He! Was soll das?“, keuchte ich und versuchte mich von dem schwarzen Riesen wegzudrücken, er maß mindestens zwei Meter. Der Mann klang seltsam gedämpft, ein bisschen so wie Darth Vader stöhnte er „Vieni! Vieni“ (also: „Komm!“ Komm!“) und umklammerte mich wie King Kong.

Von amerikanischen Thrillern der 90`er bis zu den blutrünstigeren skandinavischen haben meine jugendlichen Augen ja schon viel gesehen, doch diese Situation überforderte wirklich mein Vorstellungsvermögen: Als ich mich zu meinem Hintermann umdrehte, musste ich feststellen, dass der Typ eine Maske anhatte, ein gruseliges Ding. Mein Kopf wollte wie wahnsinnig um Hilfe schreien, doch es war wie verhext, denn ich bekam keinen Mucks raus. Das Ungeheuer aber legte mich wie einen nassen Sack über seine Schulter und trug mich nach draußen. Ein kühler Wind ummantelte mich und ich war heilfroh, als mich der Maskierte tonlos auf dem Boden absetzte. Blaues Licht blendete mich und ich schloss die Augen. In diesem Moment war ich überzeugt, von Außerirdischen in eine andere Galaxie entführt zu werden. Armer Gianni, nie wieder werde ich dir deinen Seicento aus der Garage chauffieren können! Arme Elena, deine Zwiebeln wirst du ab jetzt für immer alleine schnippeln müssen. Arme Mama, armer Papa - von euch konnte ich mich nicht einmal mehr verabschieden. Am meisten tat mir aber meine Nonna leid, denn ich wusste ja, wie gern sie mich hatte. Eine Träne machte sich die Bahn aus meinem Auge frei.

„Oh, meine schöne Jung!“ Ich halluzinierte, ich sah plötzlich die Ringellöckchen meiner Oma vor mir, ich schloss die Augen. Ich spürte Frauenlippen auf meiner Wange, sie küssten mich hunderttausendmal ab. Ich wollte die Augen öffnen, da merkte ich, dass sie ja schon offen waren. Ich blinzelte: Da war ja wirklich meine Oma! Ihr Blick war starr: „Bello. Du bisse ja gans grün in deine Gesicht!“

„Nu lass doch mal von dem Jungen ab, Carmelina!“ Da war ja auch Gianni. Nonna und Gianni waren wieder da. Sie standen inmitten der Außerirdischen.

„Und grau bisse du. Und auch ein bizzelee gelb. Habe dich überall gesucht. Ich sag`sch dir: Blödes Gasalarm in diese Tankstelle. MADONNA!!“

Gianni lächelte sanft. „Du hattest großes Glück, Federico. So eine Gasexplosion ist brandgefährlich. Zum Glück hat dich der Feuerwehrmann gefunden!“

„Viva i Vigili del Fuoco italiani“, rief Nonna laut. „Es lebe das italienische Feuerwehr - sein einfach die beste auf das ganze Welt, ich sagsch dir!“

„Ach Federico! Du bist das? Wir warten schon lange auf dich, du solltest mir doch heute beim Gemüseschneiden helfen."↩

„Ja, aber es geht jetzt nicht! Wir haben so viele Leute hier und gerade eben hat der Kegelclub vierzehn Calzones bestellt, er ruft dich gleich zurück – aber eines sag ich dir gleich: Gut zu sprechen ist er nicht auf dich! Wie gesagt: Hier ist viel zu tun und ich komme mit Paprikaschneiden gar nicht hinterher!“↩

Nachtgespenster

Der Weg von unserer mitteldeutschen Kleinstadt zur atemberaubenden Amalfiküste ist ein weiter und noch dazu beschwerlich, wenn man von wütenden Autofahrern und explosionsbedrohten Tankstellen aufgehalten wird.

Gianni hatte einen weiteren Stopp eingelegt, um angeblich ein, zwei Stunden im Auto zu dösen. Es war bereits nach Mitternacht und wir befanden uns mitten in der Prärie, kein Hotel weit und breit. Der Hausmeister hatte den Sitz zurückgelassen und grunzte zufrieden vor sich hin. Nonna hatte sich das kleine Licht im Auto angeschaltet und häkelte an einer ihrer Deckchen, die bei uns Zuhause die Schubladen verstopfen. Und ich, ich sah Nonna beim Häkeln zu und war kurz darauf auch schon in meinem persönlichen Sternchen-Schnucken-Zauberland angekommen. Ich träumte so schön von Wind und Meer, von Panettone, von Cannoli Siciliani und Torrone-Bergen, als jemand wie wild an unser Fenster klopfte.

Es war die holländische Frau, die ich in der Raststätte um ihr Telefon gebeten hatte und die im Nachthemd vor mir stand.

Ich ließ das Fenster runter und sie reichte mir mit lächelndem Gesicht noch einmal ihr Handy:

„Federico, je moeder is aan de telefoon!“ Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Ein Mörder? Am Telefon? Und diese Frau im weißen Hemd? Vielleicht war sie nur ein Geist?

Ich streckte meine zitternde Hand aus dem Fenster und nahm das kalte Gerät in Empfang.

Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich die Stimme meiner Mutter am Telefon vernahm.

Sie sagte mir, dass sie schon gaaaaaanz oft bei dieser holländischen Camper-Frau angerufen habe, die uns extra auf unseren Parkplatz gefolgt wäre. Sie hätte zwar kein Wort verstanden, was diese Dame ihr erzählt hätte, sie wäre ja ganz aufgelöst.

„Isse Mama am Telefon?“, Nonna drehte sich zu mir um. Ich nickte. „Soll besser morge anrufe, jetzt zu spät!“, sagte Nonna und gähnte. Das hatte Mama mitbekommen und nun regte sie sich leider erst so richtig auf: Sie kreischte, dass Nonna wohl nicht ganz sauber und dass das, was Gianni und Nonna da gerade machen, Kidnapping und somit strafbar sei.

„Kidnapping?“, habe ich gefragt und den Kopf geschüttelt. „Nein, Mama, das ist doch kein Kidnapping!“

„Kidnapping?“, schlug die Holländerin Alarm. Sie sah sich hilfesuchend um und rief dabei immer wieder „Kidnapping! Kidnapping!“.

Nonna, die eben dabei war, über ihrer Häkelware einzuschlummern, richtete sich schlagartig auf und tönte wie in Trance mit ihrem allseits bewährten „Ah wa! Ah wa!“

Das wiederum hörte auch Mama und geriet dabei mal wieder auf die Palme: „Gib mir die Nonna! Sofort! Gib mir jetzt die Nonna!“

Nur Gianni schlief weiter, er musste wirklich sehr müde sein!

Mir aber wurde das viel zu viel.

Wenn sich deine hysterische Mutter am Telefon und gleichzeitig deine Super-Nonna mit unberechenbarem Kaliber und eine holländische Camperin im Nachthemd neben dir in Rage reden, wirst du plötzlich ein anderer.

Laut sagte ich: „Schluss!!! Aus!!! Das ist hier kein Kidnapping! Ich mache mit meiner Oma und unserem Hausmeister Urlaub in Italien! Basta!!! Und du Nonna hörst jetzt auch auf immer Ah wa! zu sagen, das nervt nämlich!“

Dann war Ruhe. Gott sei Dank!

„Was ist passiert? Was ist los?“, rief Gianni und schüttelte sich wie eine feuchte Promenadenmischung.

„Nichts, gar nichts“, antwortete ich in Vollendung meines hochprofessionellen Durchgreif-Auftritts.

Gianni war so perplex, dass er den Motor startete. So verabschiedete ich mich hastig von meiner Mutter.

„Nicht auflegen! Nicht auflegen!“, rief sie völlig echauffiert - doch ich musste sie abwürgen, ich hatte keine andere Wahl. Ich hauchte meiner Mutter ein Küsschen durchs Telefon und versprach ihr hoch und heilig, mich später wieder zu melden. „Nimm auf keinen Fall Alkohol an, wenn Nonna dir welchen anbietet, hörst du?“, seufzte sie resigniert und ich spürte Tränen in ihren Worten.

Dann legte ich auf und gab dem verwirrten Nachtgespenst das Handy zurück. Und so fuhren wir weiter auf der Autobahn Richtung Süden, weiter durch die Nacht - hinein ins Ungewisse.

Borgo Panigale

Im Nachhinein frage ich mich, wann Gianni und Nonna beschlossen hatten, in Bologna die Autobahn zu verlassen. Ich hatte den Rest der Nacht durchgeschlafen und wachte erst auf, als mir die Sonne auf der Nase kitzelte.

„Morgen!“, murmelte ich, meine Güte, was war ich noch müde. Und wie sehr schmerzten mir die Glieder, ich kam mir vor, als hätte mich jemand durch den Fleischwolf gedreht! Nonna hielt mir ein weißes Häkeldeckchen vors Gesicht:

„Schau mal Federico….hab gemacht ein schönes Deck für meine Nichte!“ Sie schien die Nacht wie eine Besessene durchgehäkelt zu haben.

„Hübsch!“, log ich. Ich mochte diese Deckchen nicht, zu Hause lag ein ganzer Stapel in meiner Schreibtischschublade und ich musste sie immer auflegen, wenn Nonna zu Besuch kam.

„Jetzt gibt es gleich eine schöne Caffè`“, schwärmte meine Oma, als Gianni im Schneckentempo von der Autobahn abfuhr.

„Wo sind wir denn?“, frage ich.

„Bologna-ha-ha-tschi!“ Gianni musste niesen.

„Salute! Si! Bologna!“, sagte Nonna. „Ich sag`sch dir: In Bologna hat die Gelsomina und der Carmine Flitterwoche gemacht. 1966.“

„Aha!“, sagten Gianni und ich wie aus einem Mund und gähnten akkurat wie Synchronschwimmer.

„Brauche auch noch eine schöne Anzug für dich, Schatzili. Andiamo a Bologna und kaufe schöne Anzug für meine Enkel. Und du Gianni! Hast du eine schöne Anzug per la Festa von meine Cousine?“

„Natürlich!“, meinte Gianni und reihte sich auf der Ausfahrt-Spur ein. Die Autos überholten uns von links und rechts.

„Und? Deine Hose passt? Ist nix zu kurz?“, fragte Nonna und sah ihn kritisch von der Seite an.

„Natürlich nicht!“, sagte Gianni cool. „Von mir aus könnt ihr diese Sachen besorgen. Aber ich, ich weiß, was ich in Bologna mache - ich fahr zum Borgo Panigale!“ Er zog sich seinen Hosenträger zurecht.

„Borgo Panigale?“, fragte ich. „Was ist das?“

„Boh!“, machte Nonna.

Gianni zwinkerte mir im Rückspiegel zu. „Das Ducati-Werk mit dem Motorradmuseum! Schöne rote italienische Flitzer, Federico!“

„Oh ja!“, rief ich. „Ich will auch mitkommen! Nonna, ich will auch diese Rennmaschinen sehen. Bitte, bitte!“

Nonna plusterte die Wangen auf: „Arme bin ich! Mir interessiere nix diese Motorrad. Was muss eine Nonna mit Borgo Panigale!“ Sie fächelte sich mit ihrer Häkeldecke Luft zu - das Thermometer war, obwohl es noch nicht einmal 10 Uhr war, schon auf über 25 Grad geklettert.

„Weißt du, Carmelina“, versuchte Gianni meine italienische Großmutter zu locken. „Ich bin davon überzeugt, dass sich der Mann deiner Cousine über ein 1:18 Desmosedici-Modell mehr freuen wird als über den Blumenschmuck!“

„Ah wa!“, brummte Nonna und sah aus dem Fenster.

Als wir beim Borgo Panigale vorfuhren, schlug Gianni vor, erst mal schön frühstücken zu gehen.

„Fruhstuck? Brauche nix nur Fruhstucke! Brauche schöne Anzug für meine Federico!“, versuchte sie den Hausmeister zur Weiterfahrt ins Centro zu bewegen.

Als mir schon von weitem das Mega-Logo von Ducati auf der roten Wand des Firmengeländes ins Blickfeld stach, bekam ich Herzklopfen. „Cool!“, rief ich. „Gehen wir da jetzt rein?“

Gianni lachte, als er den Wagen vor dem Ducati-Museum an der Via Antonio Cavalieri parkte: „Certamente! Come non potrei fermarmi qui?“ was so viel hieß wie „Natürlich! Wie könnten wir hier vorbeifahren?“ Es war das erste Mal, dass ich ihn Italienisch sprechen hörte.

Vor dem großen Tor des Werksgeländes hatte sich bereits eine längere Schlange gebildet. Wir stellten uns in die Reihe. Vor uns waren vier Jungs, etwa sechzehn Jahre alt. Sie unterhielten sich, glaube ich, auf Englisch, doch ich konnte nur ein paar Worte verstehen.

„Americani!“, sagte Nonna und musterte die Kerle von oben bis unten und begann herumzulaufen. Sie schlängelte sich an den Amerikanern vorbei, unterhielt sich kurz mit zwei Männern. Dann ging sie nach vorn, steckte ihre Nase zwischen den Eisenstäben hindurch und rief irgendwelche „Signori“ herbei. Sie krakeelte quer über den Hof, ob die 10-Uhr-Führung denn heute etwa ausfallen würde. Manchmal ist es mir peinlich, mit Nonna verwandt zu sein. Die Jungs vor uns lachten, einer nahm sogar sein Handy aus der Tasche und startete eine Videoaufnahme von meiner Oma.

Gianni beobachtete das nicht lange: „Carmelina!“, rief er. „Komm her, schnell! Ich habe eine Idee!“

Nonna ignorierte ihn und begann stattdessen, wie wild an dem Tor zu rütteln.

„Dio Mio!“, zischte er wütend. „Wenn die das Gitter weiter so schüttelt, geht gleich der Alarm…“ Weiter kam er nicht, denn auf einmal wurde mein Gehör von einer gellenden Sirene außer Gefecht gesetzt. Das Horn lärmte und dröhnte wie blöd; ich hielt mir schnell die Ohren zu, damit mir nicht das Trommelfell platzte.

Nun bequemte sich Nonna doch, zu uns zurückzukommen. Sie quasselte etwas auf mich ein, doch ich wollte den Teufel tun, die Finger aus den Ohren zu nehmen, sondern drehte mich stattdessen um.

Ich fand die ganze Situation äußerst beklemmend; ich schloss die Augen und begann zu zählen. Erst als ich bei 100 war, öffnete ich sie wieder: Die Sirene wütete und toste immer noch, die Amerikaner waren weggelaufen und auch all die anderen. Dafür kam jetzt ein Wachmann in einer blauen Uniform daher, der einen Schlüssel in ein Kästchen am Tor steckte und für eine paradiesische Ruhe sorgte.

Dankbar lächelte ich ihn an, doch der Kerl war stinksauer.

Ob ich den Alarm ausgelöst hätte, fauchte er mich an. Ich schüttelte den Kopf. Er schloss das Tor auf und kam auf mich zu, ich drehte mich um und wollte wegrennen, doch der Kerl war schneller und packte mich von hinten. Ich zappelte und fuchtelte wie blöd.

Was ich da angestellt hätte, herrschte er mich an, da ging mir erst so richtig die Hutschnur auf:

Ich schrie ihn an, dass ich das nicht war und dass ich auf meine Großeltern hier warten müsste und dass vorhin noch ganz viele Leute hier gestanden hätten, die jetzt alle weggegangen wären und dass wir eigentlich auf einer Hochzeit eingeladen wären und dass uns aber unsere Turteltäubchen aus Gips zerbrochen wären, weil wir von einem wütenden Mafiaboss auf der Autobahn bedroht worden sind und dass wir gestern wegen einer Gasexplosion nicht mal in Ruhe Abendessen konnten und dass meine Mutter in Deutschland stinksauer wäre, ganz zu schweigen von meiner Lehrerin, Frau Tramper-Utz und der Schulleitung, die mir nach dieser Goldenen Hochzeit wahrscheinlich mit vereinten Kräften den Kopf abreißen würden.

Da mir auf einmal irgendwie alles zu viel war, fing ich an zu weinen. Ehrlich gesagt, hab ich Rotz und Wasser geheult; ich war bitter enttäuscht, dass mich Nonna und Gianni schon wieder alleine gelassen hatten.

Da hatte der Wachmann wohl doch Mitleid mit mir. Er kniff mir kumpelhaft in die Wange und sah sich verlegen um.

Als ich mich wieder so halbwegs beruhigt hatte, zog er sich eine Muratti-Zigarette aus der Tasche.

Ich rang noch immer um Luft, vom vielen Heulen war mir richtig die Puste ausgegangen, da fand sich ein Pärchen hinter uns ein.

Sie trugen schwarze Motorradkluft: Die schwarzen Stoppel der Frau standen in alle Richtungen und ihr dicker Po kam in der engen Lederhose so richtig zur Geltung. Es fiel mir schwer, meinen Blick von ihrem Gesäß abzuwenden, und dem Wachmann ging es ebenso. Mein Gott, was musste denen heiß sein! Der Mann hatte obendrein noch ein schwarzes Piraten-Dreieckstuch um den Hals gebunden - seine Birne war knallrot.

Der Wachmann fragte die beiden, ob ihnen etwas aufgefallen wäre, doch die Biker verstanden kein Italienisch.

„Spagnolo!“, sagte der Mann. Spanier waren das also! Waren die etwa den ganzen Weg mit dem Motorrad bis nach Bologna gekommen? Der Lederne schwitzte wie ein Schwein; er band sich sein Dreieckstüchlein ab und tupfte sich die Stirn ab. Er fragte in gebrochenem Italienisch, ob man sich irgendwo bis zur 12 Uhr Führung abkühlen könnte.

Der Wachmann zeigte zuerst auf den Kiosk und dann auf mich: „Una Coca Cola anche per lui!“, bat er den Biker, auch mir eine Cola mitzubringen. Der Spanier nickte und kam tatsächlich mit ein paar Flaschen zurück.

In dem Moment, als wir unsere Getränke leergetrunken hatten und die Spanier sich bereits am Eisentor anstellten, kam Gianni mit einem breiten Grinsen um die Ecke. Der Stein, der mir vom Herzen fiel, hatten sicher Mama und Papa im Roma gehört. „Gianni!“, rief ich hocherfreut. Ich wunderte mich, wo Nonna blieb.

„Die ist gut versorgt“, meinte Gianni und erzählte, dass er Carmelina in einen Bus Richtung Innenstadt verfrachtet hätte. Am Nachmittag würden wir uns wieder treffen und jetzt wäre erst mal Zeit für die schönen Dinge des Lebens und den Motorsport. Ob er die Werksführung machen würde, fragte Gianni den Wachmann, doch dieser schüttelte den Kopf: „No, no! Non io - Manfredi!“

Wir warteten ein paar Minuten, doch die Manfredi-Ducati-Allzweckwaffe schien heute nicht mehr zu kommen.

„Venite!“, sagte der Wachmann, nachdem er sich die zweite Muratti reingezogen hatte. Er nahm den Spaniern die Tickets ab. Wir hatten gar nichts: keine Turteltäubchen, keinen Hochzeitsanzug, keine Tickets. Dem Muratti-Mann war`s egal. Er führte uns durch das Tor und brachte uns in das Ducati-eigene Museum, von welchem uns Manfredi angeblich abholen würde.

Etwas verloren standen wir vor den schlecht ausgeleuchteten Vitrinen und schauten uns Poster vergangener Motorradrennen und nostalgische Helme an.

Ich fand`s ehrlich gesagt so mittel, die neuen Maschinen interessierten mich mehr, aber Gianni konnte sich kaum von den Schaufenstern losreißen. Vor einer Scheibe mit Schwarz-Weiß-Fotografien blieb er wie angewurzelt stehen.

„Schau Gianni, da vorne sind die ganzen goldenen Trophäen, die will ich sehen!“, drängte ich ihn. Er drehte sich zu mir um und sah durch mich hindurch. Erst jetzt bemerkte ich, dass er Tränen in den Augen hatte.

„Hey, Gianni, du siehst ganz traurig aus. Was ist los?“, rief ich.

„Mein Vater war Rennfahrer“, sagte er leise. Seine Stimme klang, als wären ihm geschmacklose Dinkelkekse im Hals stecken geblieben.

„Ich dachte, du hast gar keine Eltern?“, fragte ich kleinlaut. Mama hatte mir mal erzählt, dass Gianni ein „armer Tropf“ sei; keiner hätte sich je um ihn gekümmert und er hätte nicht mal eine richtige Ausbildung abgeschlossen.

„Natürlich hab ich Eltern“, sagte Gianni bestimmt, „sonst wär ich wohl nicht hier!“

„Aber Mama hat mir mal erzählt, dass du bei Pflegeeltern aufgewachsen bist?“

„Das stimmt. Meine Mutter war wohl noch sehr jung, zu jung, um für mich zu sorgen. Jedenfalls hat sie das in ihrem Brief geschrieben, den sie neben mich gelegt hat. Ich war ein Findelkind, weißt du. Weißt du, was das ist, ein Findelkind, Federico?“

Ich nickte stumm. Am liebsten hätte ich den Hausmeister in den Arm genommen, er tat mir so schrecklich leid, der Arme!

„Tja, meine Mutter hat mich in St. Ludwig in Saarlouis abgelegt, als ich wahrscheinlich erst ein paar Wochen alt war. In einem kurzen Brief hat sie geschrieben, dass sie zu jung ist und nicht für mich sorgen kann oder so ähnlich. Und dass ich auf keinen Fall Rennfahrer wie mein Vater werden soll, weil die viel zu schnell über alle Berge sind. Früher dachte ich immer, dass sie mich wegen meinem Kinngrübchen weggeben hat. Hab bisher auch keinen mehr getroffen, der so ein dickes Kinngrübchen hat wie ich!“ Gianni wischte sich mit dem Hemdärmel über die Augen.

„Ach Gianni, Schönheit ist doch auch nicht alles. Mama sagt immer, es kommt auf die inneren Werte an“, versuchte ich ihn aufzubauen.

„Aber weißt du, mein Vater, das war ein richtiger Motorrad-Rennfahrer“, sagte er und seine Augen leuchteten durch den Tränenschleier.

„Ist dein Papa auch in der Vitrine abgebildet, Gianni?“

Gianni zuckte die Schultern. „Nun, ich weiß nicht. Vielleicht?“

„Aber Gianni! Wie kannst du das sagen! Weißt du nicht, wie dein Vater aussieht?“, rief ich laut. Ich fand das wirklich empörend: Vielleicht war Gianni der Sohn eines ganz berühmten, reichen Mannes und stellte hier sein Licht unter den Scheffel.

„Nun, wie soll ich wissen, wie mein Papa aussieht, wenn ich noch nicht mal seinen Namen weiß?“ Er holte tief Luft und zog sich einen Hosenträger, der runtergerutscht war, wieder hoch. „Manche Dinge im Leben laufen halt nicht so, wie man es sich wünscht. Kann man nichts machen, Federico“, sagte er und er tat mir so unendlich leid.

Auf einmal tat mir mein Herz so weh, so weh, wie ich es lange nicht mehr, wenn überhaupt schon mal empfunden hatte. Und wieder spürte ich diesen dicken Kloß im Hals, den ich schon mal vor zwei Jahren hatte, als Klaus, mein Schmusekater, eingeschläfert werden musste.

„Gianni!“, sagte ich und streichelte den Arm meines Freundes. Gianni nickte stumm und senkte den Kopf und in diesem Moment wusste ich eines: Egal wie sehr sich alle über Gianni, seine Baskenmütze, sein Kinngrübchen und seine Hosenträger lustig machen sollten - ich würde ab jetzt stets zu meinem Freund halten und für immer an seiner Seite stehen.

Trinacria

Die Strozzapreti lagen mir im Magen. Der Besuch bei Ducati war ein echtes Highlight gewesen, aber für die Auswahl der Osteria in Bologna schien Gianni kein gutes Händchen gehabt zu haben. Ich stöhnte.

„Was isse Caro? Solle anhalte?“ Nonna drehte sich besorgt zu mir um.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, es geht schon. Wenn ihr nur bitte diese komische Musik ausmacht!“

Statt die Musik leiser zu drehen, griff Nonna in ihre Handtasche. Seit sie ein paar Stunden alleine in Bologna gewesen war, hatte sie erstaunlich gute Laune. „Sinde schöne neapolitanische Volkslieder. Nimm besser eine Schluck von diese da!“

Sie reichte mir den Flachmann mit ihrer Fernet-Branca-Notration. Viel war ja nicht mehr drin! Immerhin war es Alkohol, den ich gerne ausprobierte, wenn ich schon mal durfte.

„Danke!“ Ich trank die Flasche ganz aus - sie schmeckte furchtbar, aber das Brennen im Magen war cool!

Gianni lachte. „Du machst ihn noch zum Alkoholiker, Carmelina!“

Nonna starrte angestrengt auf die Straße. „Warum du nix überhole rechts, Gianni?“

„Das geht doch nicht!“ Der Hausmeister war entrüstet. „Ich kann wohl schlecht rechts überholen, oder?“

„Warum?“, meinte Nonna emotionslos. „Alle mache so in Italie, mal überhole links, mal überhole rechts, egal!“

Der Abstecher in Bologna hatte uns viel Zeit gekostet, denn Nonna hatte ganze zwei Stunden überzogen, während Gianni und ich uns in Borgo Panigale genervt die Füße vertreten hatten. Einen passenden Anzug für mich hatte sie zwar nicht gefunden, dafür aber ein Mousepad mit einem Motiv des Grand Hotel, in dem Gelsomina und Carmine in den 60`er angeblich geflittert hatten. Ich bezweifelte, ob Nonna überhaupt wusste, zu was das Mousepad zu gebrauchen war und ob es Gelsomina und Carmine dienlich sein würde, war noch fraglicher.

Nun hatte sie es eilig: „Heute musse mindestens bis Napoli fahre. Sind 600 Chilometri da Bologna a Napoli. Allora: Sechs Stunde, eh! 22 Uhr a Napoli. Da Bologna. Aber du fahre zu langsam. Mit diese Tempo wir schaffe nix, Gianni!“

Gianni biss sich auf die Lippen. Der Verkehr an diesem Donnerstagnachmittag war schrecklich dicht. „Das schaffen wir heute sowieso nicht mehr nach Neapel, Carmelina.“

Nonna war anderer Meinung: „Wenne nix rechts überhole, wir schaffe nix nach Napoli! Mamma Mia, Gianni: Musse bizzele schneller mache, bizzele mit die Pfeffer in die Popo. Vai! Vai!“ Erst als Gianni auf den Standstreifen wechselte und auch dort irgendwann hinter einem italienischen Transporter zum Stehen kam, gab sie Ruhe.

„Sieht man den Vesuv schon irgendwo?“ fragte ich und schaute interessiert in die Hügellandschaft. Ich fand Vulkane superspannend und hegte die Hoffnung, statt langweiliger Festivitäten unterwegs vielleicht auch einen dampfenden Krater zu Gesicht zu bekommen.

Gianni lachte mich aus: „Oh Federico! Der Vesuv ist noch weit weg, wir sind noch nicht mal durch die Toskana durch!“

Wie doof! Ich konnte es kaum erwarten, nach Süditalien zu kommen. Angeblich habe ich dort das Laufen gelernt. Hat Mama erzählt, als wir mal gemeinsam Fotos angeschaut haben. In diesem Urlaub war auch Nonna dabei. Jedenfalls war sie auf den Fotos zu sehen, aber Mama wollte nicht darüber sprechen. Sie hat gesagt, es war für sie der einzige Urlaub, in dem sie ihre Augenmigräne bekommen habe.

Für die gute Stimmung nippte ich nochmal am Fernet-Branca-Flachmann, obwohl der längst leer war. Für Stau kann keiner was. Für schlechte Musik schon!

„O Sarracino! O Sarracino!“, sang Nonna voller Inbrunst mit. Ich streckte den Kopf zum Fenster heraus und schloss für einen Moment die Augen. Als ich sie wieder öffnete, blickte ich in zwei strahlend blaue Augen. Das Mädchen, dem sie gehörten, saß auf dem Beifahrersitz eines Wagens, der in der Kolonne gerade neben uns fuhr beziehungsweise stand. Es war so schön wie Elena, unser Küchenmädchen. Das heißt, das stimmt nicht ganz: Das Mädchen neben mir war noch schöner als Elena. Bestimmt war sie aus einem Adelshaus, die Tochter eines Grafen oder so. Sie sah aus wie eine kleine Principessa, so fein und sie war in etwa so alt wie ich, vielleicht auch ein, zwei Jahre älter. Sie lächelte mich an. Und ich lächelte zurück und winkte.

Was soll ich sagen: Das Mädchen gab mir einen Handkuss. Und dann: Fuhr der Wagen an uns vorbei!

„Gianni, gib Gas!“, schrie ich aufgeregt.

„Jetzt fängst du auch noch an“, brummte der Hausmeister.

Ich wollte schon die Tür öffnen und dem schwarzen Wagen mit der Schönen hinterherlaufen, als Gianni sich endlich wieder in den anrollenden Verkehr einordnete und weiterfuhr.

Dann war`s geschehen: Die Schöne war weg! Und ich hatte mir nicht mal ihr Kennzeichen notiert!

„Nonna“, sagte ich, „glaubst du nicht, dass sich Mama und Papa Sorgen machen?“

„Ah wa!“, sprach Nonna. Sie erzählte, dass sie in Bologna eine Postkarte an meine Eltern geschickt und ihnen geschrieben habe, dass alles in Ordnung sei. „Tutto a posto“, sagte sie und wiederholte den Ausdruck ein paar Mal.

Ich fand, dass gar nichts in Ordnung war: Die Fahrt war zu lang, die Musik im Auto unerträglich und meine große Liebe verschwunden.