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Josef Joffe

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Beschreibung

Der jüdische Witz ist aggressiv und selbstironisch zugleich. Die eigentliche Pointe lautet: Ihr müsst uns gar nicht niedermachen, das machen wir selbst viel besser – und zeigen damit, dass wir schneller und gewitzter sind als ihr. Kundig und mit viel Esprit erzählt Josef Joffe vom jüdischen Humor: von seiner Tradition, seinen Eigenheiten, seinen Figuren. Anders als ältere Sammlungen verharrt dieses Buch jedoch nicht in der versunkenen osteuropäischen Kultur, sondern nimmt den Leser mit in die neue Welt des jüdischen Humors – vor allem nach Amerika.

Eine deutsch-jüdische Kultur, die von Moses Mendelssohn bis zu Franz Kafka reicht und ein Drittel der deutschen Nobelpreisträger vor 1933 hervorgebracht hat, gibt es nicht mehr, auch die osteuropäische ist verschwunden. Aber der jüdische Humor lebt. Und er funktioniert wie eh und je: das Wortspiel, die Aggression, die sich in Selbstironie auflöst, die zugespitzte, aber nicht verletzende Pointe, der schnelle Stich in die Blase der Selbstgefälligkeit, das Hangeln im Absurden, ein atemloses Tempo – die Melancholie verfliegt im befreienden Gag, das Menschlich-Allzumenschliche wird mit einer Prise Lebensweisheit serviert.

Joffes geistreiche und leidenschaftliche Darstellung des jüdischen Humors unterhält vorzüglich, auch wenn man zugleich die Bitternis spürt, die im Witz vertrieben wird. Ein außergewöhnlicher Blick auf die Welt des Judentums, wie man sie bisher nicht kannte.

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JOSEF JOFFE

Mach dich nicht so klein, du bist nicht so groß!

Der jüdische Humor als Weisheit, Witz und Waffe

Siedler

Erste AuflageMärz 2015

Copyright © 2015 by Siedler Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Rothfos + Gabler, HamburgSatz: Ditta Ahmadi, BerlinISBN 978-3-641-15376-2

www.siedler-verlag.de

Gewidmet meiner Frau Christine Brinck Joffe, die klaglos meine Witze ertragen hat – auch die endlosen Wiederholungen

Inhalt

VORWORT – Der jüdische Witz – die Fortsetzung

KAPITEL 1 – Vom osteuropäischen Schtetl zur amerikanischen Sitcom

KAPITEL 2 – »Kannst Du Dir nicht ab und zu ein anderes Volk auswählen?«

KAPITEL 3 – »Er kann zwei Stunden lang über nichts reden«

KAPITEL 4 – Interkonfessionelles: Der Papst, der Rabbi und der Apfel

KAPITEL 5 – »Was, der andere Schlips gefällt dir nicht?«

KAPITEL 6 – »A-a-a-lles A-a-a-antisemiten«

KAPITEL 7 – Was ist talmudisches Denken?

KAPITEL 8 – Der Tod des jüdischen Witzes?

Bibliographisches

VORWORTDer jüdische Witz – die Fortsetzung

Mensch sein heißt Geschichten erzählen. Gute Geschichten haben einen Anfang, eine Mitte und ein Ende – drei Elemente, die möglichst eng beieinanderliegen sollten. Gute Geschichten mäandrieren nicht. Sie sind knapp, gradlinig und zur Pointe zugespitzt. Die besten enden im Gelächter. Das ist schon die Definition eines gelungenen Witzes. Sigmund Freud, von dem in diesem Buch noch öfter die Rede sein wird, hat es so ausgedrückt: Was der Witz zu sagen hat, erzählt er nicht bloß mit wenigen, sondern zu wenigen Wörtern.

Witze haben sich die Urmenschen wahrscheinlich schon am Lagerfeuer erzählt, nachdem sie mit ihren größeren Gehirnen vor etwa 60000 Jahren die Neandertaler zu verdrängen begannen. So lange vor TV und Smartphone gab es kaum einen anderen Zeitvertreib. Das Leben bestand aus Essen, Jagen, Rauben, Sex – und Geschichtenerzählen. Wer die Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich lenken oder sie zum Lachen bringen konnte, kriegte Punkte nicht nur bei den anderen Kerlen, sondern auch bei den Mädchen. Hier, auf dem Weg von Afrika nach Mittelost und dann Europa, wurde der Ur-Vorläufer des Stand-up Comic geboren.

Der Witz ist freilich eine mindere Form des Humors, weil er nicht dem eigenen Kopf entspringt, sondern in anderen Köpfen vorfabriziert worden ist. Er erfordert keinen Geistesblitz, der Funken sprühen lässt. Der Erzähler muss nur ein gutes Gedächtnis haben, die passende Situation erkennen und die Frechheit besitzen, die Aufmerksamkeit der Gruppe zu kapern. Das geht nicht immer gut aus. Wir kennen den Typen, der mit seinen Witzen nervt und anödet, weil sie bezugslos von der Festplatte purzeln und die Unterhaltung abtöten, statt sie zu animieren.

Dennoch hat dieser Autor zeit seines Lebens Witze ebenso gern gehört wie erzählt – das ganze Spektrum vom Wortspiel bis zur nicht salonfähigen Sorte. Insbesondere hatten es ihm jüdische Witze angetan. Wenn die gut sind, sind sie besonders gut, weil sie Doppelbödigkeit, Ironie, Selbstironie, Verbalakrobatik und Galgenhumor mischen. Das Ganze wird serviert mit Frechheit, Selbstverspottung (wie schon Freud notierte) und Auflehnung gegen Gott und Geistlichkeit. Oben drauf kommt eine Portion des Absurden und scheinbar Widersinnigen. Wenn er richtig gut ist (und es gibt reichlich platte Beispiele), ist der jüdische Witz so geistreich wie weise – und mit garantiertem Gelächter.

Nach Aberhunderten von Witzen begann der Autor darüber nachzusinnen, wie man die »mündliche Überlieferung« zu Papier bringen könne. Doch rasch wurde ihm klar, dass es beim reinen Aufschreiben nicht bleiben konnte. Denn: So mancher jüdische Witz erfordert eine (leider pointentötende) Erklärung, die sich auf den kulturellen Kontext bezieht – auf Ritus und Speisegesetze, auf das Verhältnis zu Gott, Glauben und Religion.

Wenn man schon Witze erklären muss (eine Todsünde), warum nicht umgekehrt mit Witzen die Kultur und Religion begreiflich machen – umso mehr, als ein jüdischer Witz ein ganzes Theologie-Seminar in ein paar Sätze fassen kann? Also macht dieses Buch aus der Not eine Tugend, indem es Witze als spielerische Einführung ins Judentum nutzt, das den meisten deutschen Lesern unvertraut ist. Unvertrautheit trifft inzwischen mehr und mehr auch für das Christentum zu. Vor zwei Generationen kannte fast jeder das Neue, aber auch das Alte Testament; die Bibel war das einigende Band zwischen »oben« und »unten«, Stadt und Land, Nord und Süd. Heute kann man nicht mehr auf diese Kenntnisse zählen. Wie viele kennen noch das Gleichnis vom Weinberg? Oder, wie der Autor einer TV-Umfrage entnahm, den Unterschied zwischen »Golgatha« und einer bekannten Zahnpasta.

Ein zweiter, noch wichtigerer Gesichtspunkt kam hinzu. Zwar gibt es reichlich Jüdische-Witze-Sammlungen auf Deutsch. Aber diese schöpfen aus inzwischen verschütteten Quellen: der untergegangenen jüdischen Kultur Osteuropas und Russlands. Die klassischen Witze, die immer wieder auftauchen, haben sozusagen einen Bart, auch die allerbesten. Außerdem: Selbst Juden kennen die alte Welt nicht mehr, die bevölkert war von Schnorrern und Schadchen (Heiratsvermittlern), Fuhrleuten und Hausierern, Wunderrabbis und Zweiflern, Zaren, Bütteln und Gutsherren.

Folglich konnte es im 21. Jahrhundert bei den alten Witzen nicht bleiben; neue Quellen mussten angezapft werden. Manche klassischen Witze sind zwar zeitlos oder lassen sich weitgehend getrennt von ihrem historischen Hintergrund erzählen. Aber der lebendige jüdische Witz hat inzwischen eine neue, eine anglophone Heimat gefunden, vorweg in Amerika, gefolgt von Großbritannien und Kanada.

Kein Wunder. In der EU leben etwa 1,1 Millionen Juden, um 1900 waren es in Europa inklusive Russland neun Millionen. In der anglo-amerikanischen Welt wohnen nunmehr knapp sieben Millionen Juden; rechnet man Menschen jüdischer Herkunft hinzu, die keine oder eine andere Religion haben, werden es (geschätzt) 9,5 Millionen. Dazu kommen knapp sieben Millionen in Israel, welche die kaum beantwortbare Frage aufwerfen, ob die nun »jüdischen« oder »israelischen« Humor produzieren (davon mehr im Haupttext).

Der anglophone jüdische Humor, der in diesem Buch viel Raum einnimmt, ist in der Moderne des 20. und 21. Jahrhunderts zu Hause – nicht mehr im Ghetto, sondern in den großen Städten von New York über Montreal bis London und deren grünen Vororten. Die Figuren und Situationen sind neu, die Strukturen bleiben aber »jüdisch«; was das ist, wird im Anfangskapitel ausgebreitet. Auf jeden Fall hat die größte jüdische Gemeinde auf Erden dem alten Kanon reichlich neue Kapitel hinzugefügt.

Aus diesem Grund versucht dieses Buch etwas Neues im deutschen Sprachraum anzubieten, und nicht nur einen Aufguss jener Klassiker, welche die vielen deutschen Sammlungen bevölkern. Der Autor zehrt dabei von seinen langen Aufenthalten in den USA, wo er studiert, geforscht und gelehrt hat. Typisch »amerikanisch« sind zum Beispiel die Witze über die »Jewish Mother«, die im alten Europa so gut wie keine Rolle spielte. Typisch sind auch die Witze, die um Aufstieg, Assimilation und Entfremdung vom Judentum kreisen, obwohl deren Wiege in der deutschsprachigen Moderne des frühen 20. Jahrhunderts stand. In Berlin, Wien, Prag und Budapest begannen die Juden das Bethaus mit Kanzlei, Bühne, Schreibtisch und Ordinationszimmer zu vertauschen – und eine neue Kultur zu begründen.

Dieses Buch will sozusagen »Der jüdische Witz – die Fortsetzung«sein, also die alteuropäische Tradition mit der anglo-amerikanischen Neuen Welt verknüpfen. Der jüdische Witz ist nicht tot, wie der Verlust der alten Heimat vermuten ließe. Er hat nur seinen Wohnort und seine Sprache gewechselt. Der Weg über Atlantik und Kanal hat ihm nicht geschadet. Der Umzug hat den jüdischen Witz befruchtet und beflügelt. Die Fortsetzung ist ein neuer Baum auf dem Boden des Vertrauten.

Josef Joffe

Frühjahr 2015

KAPITEL 1Vom osteuropäischen Schtetl zur amerikanischen Sitcom

Das Wesen des jüdischen Humors

Warum noch ein Buch über den jüdischen Witz? Amazon bietet über 50 Bände auf Deutsch an. Auf Amazon-Englisch sind es 220. Die beste Antwort liefert ein jüdischer Klassiker:

»Warum muss ein Jude eine Frage immer mit einer Gegenfrage beantworten?« – »Warum denn nicht?«

Die simpelste Antwort auf die Frage »Warum noch ein Buch über den jüdischen Humor?« wäre demnach »Warum denn nicht?«. Es gibt offenbar einen bleibenden Bedarf, selbst in Deutschland, wo im Vergleich zur Vor-Nazizeit kaum noch Juden leben. Offiziell sind es hunderttausend Gemeindemitglieder; vor 1933 waren es rund sechshunderttausend – in bedeutend sichtbareren Positionen als heute: Journalismus und Literatur, Theater und Film, Forschung und Lehre, Politik und Wirtschaft.

Eine deutsch-jüdische Kultur, die von Mendel(s)sohn (dem Komponisten wie dem Architekten) bis zu Freud, Kafka und Zweig führt und ein Drittel der deutschen Nobelpreisträger vor 1933 gezeugt hat, gibt es nicht mehr, die osteuropäische, den Urquell des jüdischen Humors, auch nicht. Aber der jüdische Witz lebt.

Dieses Buch enthält nicht nur unverzichtbare Klassiker, sondern auch neuere Witze. Manchmal werden sie richtig, öfter falsch erzählt, wobei das »Jüdeln« – was manche für Jiddisch halten – zum peinlichen Pointenkiller gerät und das Gegenteil von Vertrautheit signalisiert. Außerdem: So mancher jüdische Witz ist keiner, sondern entstammt dem Ur-Schatz der Menschheit. Deshalb will dieses Buch versuchen, nur echte jüdische Witze vorzulegen – was, etwas hochtrabend, eine Art Theorie des jüdischen Humors erfordert. Wie unterscheidet sich dieser von Humor als solchem? Was macht ihn aus? Was ist der Unterschied zwischen einem jüdischen und einem Judenwitz, der zur antisemitischen Gattung zu rechnen ist, also mit uralten Vorurteilen über Juden arbeitet?

Zum Zweiten will dieses Buch versuchen, auf spielerische, »witzige« Art und Weise das Wesen des Judentums auszuleuchten: das Verhältnis zu Gott, Glauben und Ritus. Das Judentum ist zwar die Mutter der beiden weitaus größeren Buchreligionen, aber in Deutschland so gut wie unbekannt, weil es hier anders als in Amerika, England und Frankreich kaum noch Juden gibt. Vor 1933 machten Juden fast ein Prozent der deutschen Bevölkerung aus; heute sind es ein Achtelprozent (oder ein Viertel, rechnet man die geschätzte Zahl der Nicht-Gemeindemitglieder dazu). Noch unvertrauter ist jedoch der Islam, und selbst das Christentum – mit Athen, Rom und Jerusalem eine Mutter der westlichen Kultur – nimmt hierzulande immer weniger Raum im kollektiven Bewusstsein ein. Deutschland, ja Europa (abzüglich Polen und Irland) »entchristianisiert« sich.

Wer kennt sich noch halbwegs in der Bibel aus, ohne die man die Hälfte der Kunst, Musik und Architektur, auch einen Großteil der Literatur – Dostojewski, Joyce, Mann – nicht verstehen kann? Selbst ein durch und durch verweltlichter Dichter und Agitprop-Genie wie Bertolt Brecht antwortete auf die Frage, welche Literatur ihn am stärksten inspiriert hätte: »Sie werden lachen, die Bibel.«

Jüdische Witze über Gott und Rabbiner, Speisegesetze und Riten fügen sich nebenbei zum »Religionsunterricht« zusammen. Die gut gesetzte Pointe transportiert im Lachen das Ernste wie das Ernsthafte, sei’s die jüdische Conditio humana, sei’s den schwierigen Umgang mit einem Gott, der sich zum christlichen so verhält wie ein gelegentlich strenger, aufbrausender und unberechenbarer Vater zu einer stets gütigen, verzeihenden Mutter.

Was wäre denn ein echter jüdischer Witz? Vor gar nicht allzu langer Zeit erzählte ein bedeutender deutscher Verleger während der Grabrede für einen alten jüdischen Freund einen jüdischen Witz, der keiner ist:

Ein Jude kommt allabendlich in die Bar und bestellt zwei Whiskys, die er nacheinander austrinkt. Irgendwann fragt ihn der berätselte Barkeeper, warum er nicht gleich einen Doppelten bestelle. Der Gast klärt ihn auf: »Mein Freund und ich sind Kriegskameraden. In einem fast tödlichen Hinterhalt haben wir einander geschworen, nur noch zu zweit zu trinken, wenn wir lebend davonkämen. Also bestelle ich immer zwei Drinks, und er macht das Gleiche ein paar Tausend Kilometer weiter.« – »Verstehe«, murmelt der Barkeeper und serviert den nächsten Whisky.

Ein paar Wochen später ordert der Stammgast nur einen Whisky. »Was ist los«, fragt der Barmann, »ist Ihr Freund etwa gestorben?« – »Nein, nein, um Gottes willen. Aber in der Gemeinde haben sie mir ins Gewissen geredet, und deshalb habe ich aufgehört zu trinken. Er darf natürlich weiter trinken.«

Das ist kein jüdischer Witz, wie gleich erklärt werden soll, sondern ein irisch-katholischer Klassiker, der so läuft:

Paddy bestellt regelmäßig drei Pint Guinness, setzt sich in eine Ecke, wo er nacheinander jeweils einen Schluck aus den drei Gläsern nimmt. Nach einigen Wochen überwältigt Neugier die Diskretion, und der Barkeeper fragt: »Sie wissen doch, dass Bier abgestanden schmeckt, wenn es nicht frisch getrunken wird. Warum bestellen Sie nicht ein Glas nach dem anderen?« – »Sie haben recht, aber die Sache ist so: Ich lebe hier in Dublin, meine beiden Brüder leben in Boston und Melbourne. Wir haben einander versprochen, immer zu dritt zu trinken. Also trinke ich ein Bier für mich selber und die beiden anderen für meine Brüder. Die machen es genauso.«

Eines Tages bestellt Paddy nur zwei Guinness. Der Barkeeper setzt eine ernste Miene auf: »Ich will nicht Ihre Trauer stören, aber nehmen Sie bitte mein Beileid entgegen.« Paddy blickt verwirrt, dann lacht er: »O nein, nicht, was Sie denken – kein Todesfall. Wir sind aber gerade in eine Baptistengemeinde eingetreten, und da hat meine Frau mir den Alkohol verboten. Das gilt aber nicht für meine beiden Brüder.«

Die irische Version stimmt; der Paddy-Witz ist ein katholischer Seitenhieb gegen den angelsächsischen Protestantismus, vor allem gegen die gestrengen Baptisten, eine Speerspitze der amerikanischen Prohibition. Das Judentum hingegen, anders als der Islam oder manche protestantische Gemeinschaft, ächtet Alkohol nicht. Im Gegenteil – Wein in Maßen ist integraler Bestandteil des Rituals, und weil Alkoholgenuss kein Tabubruch ist, gibt es auch kaum jüdische Besäufnis-Witze. Zu Pessach, das den Auszug aus Ägypten feiert und aus dem das christliche Ostern wurde, müssen während des Seder-Mahls1 vier Gläser Wein getrunken werden. In diesem Fall symbolisiert der Wein, der Sklaven vorenthalten wurde, die wiedergewonnene Freiheit. Vorgeschrieben ist auch das erste Glas Wein, das zusammen mit dem Gebet das Sabbat-Mahl am Freitagabend einläutet.

Während des Purim-Festes, das mit dem christlichen Karneval zusammenfällt und mit diesem gewiss den gemeinsamen heidnischen Ursprung in der Tagundnachtgleiche teilt, ist Alkoholgenuss bis zur Trunkenheit geradezu Pflicht (im Fasching ist es keine Pflicht, aber Sitte). Das Besäufnis markiert die Freude über die Rettung der Juden vor der Vernichtung durch den persischen Erzschurken Haman, der als erster Minister unter Ahasveros (Xerxes) diente.

Wir werden im Lauf dieses Buches öfter auf den Unterschied zwischen echten und sogenannten jüdischen Witzen zurückkommen. Vorweg aber eine nicht minder gravierende Frage: Gibt es denn überhaupt noch neue jüdische Witze?

Witzologen behaupten, es existiere ohnehin nur ein Dutzend »Urwitze«, die seit Jahrhunderten um die Welt wandern; die Abertausende von anderen seien Fußnoten und Variationen – so, wie laut Alfred North Whitehead alle Philosophie seit zweitausendfünfhundert Jahren bloß Fußnoten zu Platon seien.

Richtig ist, dass die meisten jüdischen Witze einer längst untergegangenen Kultur entstammen. Diese hatte sich nach den Kreuzzügen und den Vertreibungen der Juden aus Deutschland, England, Frankreich und Spanien in einem weiten, nach Osten ausgreifenden Bogen entfaltet. Im 16. Jahrhundert beherbergte Polen die größte jüdische Gemeinde Europas. Warschau, Wilna (Vilnius, die Hauptstadt Litauens) und Krakau waren Zentren des jüdischen Lebens. Es ging weiter nach Osten und Südosten: nach St. Petersburg in Russland, Kowno im heutigen Belarus, Czernowitz in der Bukowina, Lemberg und Odessa in der Ukraine.

Diese »Produktionsanlage« ist ein für alle Mal geschlossen, aus den bekannten Gründen. Die Restbestände der jüdischen Kultur fielen im Kommunismus der Flucht zum Opfer, dann, nach dem Kollaps der Sowjetunion, der Massenauswanderung. Und trotzdem: Die Herstellung läuft weiter, hauptsächlich in Amerika. Hier darf man inzwischen mit nur gelinder Übertreibung behaupten, dass der Humor ein jüdischer ist: verbal, aggressiv, selbstironisch – ein Genre, das mit scharfer Pointe das Absurde in der Conditio humana aufspießt und zugleich im wohligen Gelächter auflöst.

Weil die größte jüdische Gemeinschaft seit dem Holocaust inzwischen anglo-amerikanisch ist (sieben Millionen in den USA und in Kanada, rund eine halbe Million in Großbritannien), tauchen in diesem Buch zahlreiche Witze aus dieser neuen Welt auf. Die »Witzfabrik« ist von Europa über den Kanal und den Atlantik gewandert, wo zwar bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts Diskriminierung und gesellschaftliche Ausgrenzung herrschten, aber weder Unterdrückung noch Verfolgung. Die Grundstruktur ist die alte, die Lebenswelt eine neue.

In der angloamerikanischen Welt fehlen Zar und Gutsherr, Wunderrabbi und Schadchen, Pogrom und mörderischer Judenhass. Die Witze handeln stattdessen von Assimilation und Aufstieg, von Neureichen und Emporkömmlingen, vom Verlust des Glaubens und Familienzusammenhalts in einer Welt, in der das Ghetto nicht aufgezwungen und bald, im Laufe des Aufstiegs, auch nicht mehr selber gewählt wurde.

Die historische Quelle des jüdisch-amerikanischen Humors im 20. Jahrhundert war der sogenannte »Borscht Belt« (»Borschtsch-Gürtel«) in den Catskill-Bergen von New York.

Bis in die sechziger Jahre zogen Generationen von Einwanderern mit ihren Familien von New York und der Ostküste in die Sommerfrische der Catskills, um in der Natur Sentimentales aus dem »Old Country« und Witze über ihre neue Heimat zu genießen. Das ist vorbei, weil Ausgrenzung wie Selbstausgrenzung weitgehend verschwunden sind, und damit auch die Reibungsflächen, an denen sich der traditionelle jüdische Humor entzündet hatte.

Seinerzeit legendäre Ferienanlagen wie Grossinger’s und Kutsher’s sind seit Jahrzehnten geschlossen. Amerikas Juden sind längst angekommen; auf die Ferienghettos von gestern sind sie nicht mehr angewiesen. Heute verbringt die Mittelschicht ihren Urlaub in Naples und Boca Raton in Florida, die Geldelite in den Hamptons auf Long Island, auf Martha’s Vineyard bei Boston und in Aspen, Colorado, wo überall die Preise dezidiert höher liegen. Der Grundstein des jüdisch-amerikanischen Humors jedoch wurde im Borschtsch-Gürtel gelegt. Hier begannen die Karrieren von Woody Allen, Mel Brooks, Billy Crystal, Jerry Lewis, den Marx Brothers, Danny Kaye oder Henny Youngman, von dem übrigens der beste Kommentar zum Verhältnis der Generationen stammt: »Warum vertragen sich Großeltern und Enkel so gut? Weil sie denselben Feind haben.«

Schnell, böse und dennoch weise – mit garantiertem Gelächter. Dieser Humor ist zum amerikanischen geworden, bei Juden und Christen, Schwarzen, Braunen und Weißen. Und wir kennen ihn hierzulande, ohne den Ursprung zu erkennen. Denken wir nur an die Sitcoms, die auch in Deutschland laufen: Friends, How I Met Your Mother, The Big Bang Theory, Two and a Half Men, Cheers, Der Prinz von Bel-Air (die im afro-amerikanischen Milieu spielt), Chaos City, Scrubs – Die Anfänger, Ally McBeal. In all diesen Serien tauchen zwar jüdische Schauspieler auf, aber selten Juden als solche, und doch ist der Humor, wenn man so will, jüdisch.

Die hervorstechende Ausnahme ist Die Nanny, eine Serie aus den Neunzigern, die heute im deutschen Fernsehen gezeigt wird und in der jüdische Figuren im Zentrum stehen. Die Hauptfigur ist Miss Fine, ein Kindermädchen aus dem jüdischen Kleinbürgertum von Queens, das an der Upper East Side drei blonde Oberschichtenkinder betreut. Sie übertreibt und verhohnepipelt ihre »typisch jüdischen« Eigenschaften, während sie gleichzeitig über WASP-Eigenheiten herzieht – und selbstverständlich die besten Sprüche kriegt.

Apropos WASP (»Wespe«), die alte Elite der »White Anglo-Saxon Protestants«, ein Wortspiel, wo die Pointe nur auf Englisch funktioniert:

Zwei Bienen treffen sich zufällig im Central Park, und die eine stöhnt: »Ich habe seit Tagen kein Futter mehr gefunden. Ich sterbe vor Hunger.« Die andere: »Kein Problem. Flieg rüber zur Ostseite des Parks, 62. Straße und Fifth Avenue. Da läuft gerade eine prächtige jüdische Hochzeit – Blumen, Kuchen und Süßigkeiten in Hülle und Fülle, mehr als ein ganzes Bienenvolk je essen könnte.«

Zwei Stunden später kommt der Kamerad glücklich zurück: »Es war herrlich – wie du es versprochen hast. Ich bin bis zu den Fühlern vollgestopft.« Da unterbricht ihn der Freund: »Was ist das für eine kleine Kappe, die du auf dem Kopf hast.« – »Das ist eine Kippa.« – »Wieso trägst du die?« – »So they would not think I was a WASP.«

Ob in Nanny, How I Met Your Mother oder Seinfeld, das Prinzip ist stets das gleiche: das Wortspiel, die Aggression, die sich in Selbstironie auflöst, die zugespitzte, aber nicht verletzende Pointe, der schnelle Stich in die Blase der Selbstgefälligkeit, das Hangeln im Absurden, das atemlose Tempo der Gags2, die Beleidigung, die im Wortwitz verdampft. Die Melancholie verfliegt im befreienden Gag, das Menschlich-Allzumenschliche wird mit einer Prise Lebensweisheit serviert. Gelacht wird mit- und übereinander, nicht über den Trottel, der über seine eigenen Füße oder vom hohen Ross fällt wie bei Laurel und Hardy (Dick und Doof). Juden lachen hauptsächlich sich selber aus.

Der Erste, der das Prinzip des Sich-selbst-auf-den-Arm-nehmen in gelehrter Sprache analysiert hat, war Sigmund Freud in seinem Buch Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. Über die »Theorie« des jüdischen Humors wird noch zu reden sein. Zuerst die kritische Unterscheidung zwischen »Judenwitz« und »jüdischem Witz«. Der Judenwitz ist ein antijüdischer Witz, weil er klassische Vorurteile über die Juden bestätigt, etwa über ihre Geldgier, Anatomie oder ihr Hygiene-Defizit. Zwei Beispiele:

Ein Jude trifft einen anderen nach einem Jahr im Badehaus wieder und begrüßt ihn: »So schnell sieht man sich wieder.«

Frage: Warum haben Juden so große Nasen? Antwort: Weil Luft umsonst ist.

Das sind keine jüdischen Witze; ihre Funktion ist die Reproduktion antisemitischer Klischees.3 Der Bad-Witz unterstellt den Juden mangelnde Sauberkeit. Dies ist umso erstaunlicher, als dass das ständige Waschen integraler Teil des Rituals ist, das schon im Buch Levitikus eingefordert wird. Waschen ist Pflicht vor und nach dem Essen sowie vor dem Gebet. Nach der Menstruation müssen gläubige Frauen in die Mikwe, das rituelle Tauchbad, wo das Wasser fließen muss und nicht stehen darf. Sauberkeit ist sozusagen eine jüdische Obsession. Echte jüdische Witze im Wasser-und-Bad-Segment laufen als Wortspielereien:

Am Hotelempfang: »Wünscht der Herr ein Zimmer mit fließend Wasser?« – »Wieso? Bin ich eine Forelle?«

»Hast du ein Bad genommen?« – »Wieso? Fehlt denn eines?«

Der Nasen-Witz ist ebenfalls kein jüdischer, sondern ein antijüdischer, der rassistische Klischees aufnimmt. Den richtigen, hier gerafft wiedergegeben, erzählt Friedrich Torberg in seinem unnachahmlich geistreichen Buch DieTante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten:

Ein Reisender aus Wien, der mit dem Judentum nichts mehr am Hut hat und noch weniger mit der englischen Küche, erspäht 1930 in London ein koscheres Restaurant. Es serviert jene jüdische Kost, die so eng mit der mitteleuropäischen verwandt ist. Durch und durch assimiliert, bestellt der Jude aus purer Sentimentalität einen Rindsbraten, wie er ihn aus der Heimat kennt, und zur Abrundung einen Käse. Der Kellner bedauert: »Sorry, Sir, wir sind streng koscher, und milchig und fleischig dürfen nach dem Speisegesetz nicht gemischt werden« (sozusagen eine frühe Version der Trennkost). – »Aber der Herr am Fenster hat doch auch einen Braten, dann Käse bekommen.« – »Gewiss doch«, flötet der Kellner, »aber der ist kein Jude, deshalb gilt das Gesetz für ihn nicht.« – »Ich«, entgegnet der Wiener, »bin es auch nicht.« Woraufhin der Kellner den Chef holt, der im Anmarsch sein Käppchen zurechtrückt und einen bohrenden, wütenden Blick auf das Gesicht des Gastes wirft. Dann schießt sein Finger nach vorn, zu dessen Nase: »No cheese!«

Auch hier gibt die »typisch jüdische« Nase die Pointe her, aber der Unterschied zum Judenwitz ist so breit wie die Themse. Die Geschichte nimmt das Vorurteil ins Visier und auf den Arm. Sie macht sich lustig über die eigenen Glaubensgenossen, die für ein Stück Käse ihre Identität verleugnen, ihr aber nicht entfliehen können.

Auf der zweiten Ebene aber verspottet die Anekdote die Antisemiten. Statt das Stereotyp zu entkräften – etwa: »Auch Christen haben krumme Nasen« –, wird es übernommen und umgedreht, um Unverwundbarkeit und Überlegenheit zu beweisen. Die Botschaft: »Ihr könnt uns gar nicht treffen, das machen wir selber viel besser.«4

So auch der knappe böse Witz über den Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF), einen besonders patriotischen Verein, der 1919 gegründet wurde, um antijüdische Hetze über Feigheit und Drückebergerei im Ersten Weltkrieg auf gründlich-deutsche Weise zu widerlegen – also mit Fakten wie dem, dass 85000 deutsche Juden gekämpft hatten und 12000 gefallen waren. Sein Motto: »Der RjF sieht die Grundlage seiner Arbeit in einem restlosen Bekenntnis zur deutschen Heimat. Er hat kein Ziel und kein Streben außerhalb dieser deutschen Heimat und wendet sich aufs schärfste gegen jede Bestrebung, die uns deutsche Juden zu dieser deutschen Heimat in eine Fremdstellung bringen will.«

Es hat bekanntlich nicht viel geholfen. Deshalb dieser böse Witz, wonach der RjF – wahlweise auch der Verband nationaldeutscher Juden – Plakate geklebt hätte, auf denen stand: »Raus mit uns!« Oder: »Nieder mit uns!«

Zum Unterschied zwischen Judenwitz und jüdischem Witz lese man Friedrich Torbergs fulminanten Verriss von Salcia Landmanns Der jüdische Witz, eines Bestsellers, der 1960 erschienen und inzwischen in die vierzehnte Auflage gegangen ist. Der Essay trägt den Titel »Wai geschrien! Oder: Salcia Landmann ermordet den jüdischen Witz« und wurde zum ersten Mal im Oktober 1961 in Der Monat veröffentlicht. Er gipfelt in dem akribisch belegten Vorwurf, sie habe neben echten jüdischen Witzen (unbewusst) auch viele antisemitische Witze gesammelt, diese aber nicht richtig erzählen können (was leider manchmal auch zutrifft).

Viele Beispiele, so Torberg, dienten dem Beweis, »dass die Juden betrügerisch und geldgierig sind, verlogen und verschlagen, schmutzig und unappetitlich, dummdreist und ungebildet, gefühlsroh und wehleidig, pietätlos und taktlos, feig und wasserscheu …« Es handele sich demnach um Judenwitze. Gerade deshalb, steigert sich Torberg, »ist das Buch ein Erfolg geworden, weil es antisemitisch ist, weil es den Vorstellungen entgegenkommt, die sich ein deutscher Durchschnittsbürger von den Juden macht«. Ohne dass dieser, so fügt er hinzu, ein eingefleischter Judenhasser, geschweige denn ein verkappter Nazi wäre.

Allein die »typisch jüdischen« Namen, die Landmann benutzt! Torberg zählt sie alle auf: Fleckseif, Katzenschein, Bruchband, Mehlkloß, Wasserfleck, Grünschwanz, Quadratstein, Vogeldreck, Sonnenstich, Papierkragen, Wassergeruch … Nomen ist hier nicht bloß Omen, sondern Diffamierung. Dieses Buch verzichtet deshalb weitgehend auf sogenannte jüdische Namen, obwohl es die selbstverständlich gibt: von Kohn und Levi, den Hohe- und gewöhnlichen Priestern im alten Tempel, über eine ganze Reihe von Steinen, Bergen und Bäumen zu Städten: Rubinstein, Goldstein, Eisenstein; Goldberg, Silberberg; Mandelbaum, Citrinbaum, Birnbaum; Breslauer, Berliner, Frankfurter, Prager … Ein richtig jüdischer Witz, der sich über jüdische Namen lustig macht, läuft so:

Im Zug stellt sich ein Spross des baltischen Uradels commentgemäß einem jüdischen Reisenden vor: »Ich heiß Ungern-Sternberg.« Der Jude: »Das glaube ich Ihnen.«

Apropos jüdische Namen. Juden, die einen Platz in der Mehrheitsgesellschaft fanden und die Alte Welt abschütteln wollten, haben oft ihre Namen geändert, insbesondere in Amerika, wo »Katz« zu »Cotts« mutierte und das polnische »Waleczinski« zum schottischen »Wallace«. Oder einfach zu »Smith«. In Deutschland wurde aus dem »Kohn« der »Kahn« (oder »Kuhn«) und dann das »Schiff«. Aus dem hebräischen »Zwi« wurde der deutsche »Hirsch«. Leider erfordert der nächste Witz für Leser, die mit der englischen Aussprache nicht vertraut sind, eine Erklärung, die unweigerlich zum Pointenkiller gerät. »Sean« wird auf Englisch wie »Schon« (kurzes O wie in »Bronn«) ausgesprochen:

Der frisch aus Russland Eingewanderte, der froh war, dem Zaren entflohen zu sein, stellt sich an der Lower East Side von New York, dem klassischen Ghetto vor hundert Jahren, als »Sean Ferguson« vor. Wieso dieser komische schottische Name?, wollen die Leute wissen. »Den hat mir der Einwanderungsbeamte auf Ellis Island verpasst. Als er mich nach meinem Namen in der alten Heimat fragte, habe ich auf Jiddisch geantwortet: »Schon vergessen.«

Den nächsten Dialog, der auf der Schwierigkeit basiert, die Chinesen wie viele andere mit dem englischen »th« haben, muss man sich ebenfalls auf Englisch vorstellen, wo der Lispellaut zum »t« mutiert. Obwohl eine Pointe, die erklärt werden muss, keine mehr ist: Sie basiert auf der Verwechselung von »Sam Ting« mit »same thing«.

In San Francisco, mitten in Chinatown, gibt es eine Wäscherei, die »Eli Cohen’s Chinese Laundry« heißt. Mr. Cohen entpuppt sich als waschechter Chinese, dessen Englisch sehr holprig ist. Wieso er einen jüdischen Namen trage, will ein Kunde wissen. »Als ich vor dem Einwanderungsbeamten in Ellis Island stand, fragte der den Einwanderer vor mir nach dessen Namen. Der antwortete: »Eli Cohen.« Dann fragte er mich, und ich erwiderte wahrheitsgemäß: »Sam Ting.«

Noch ein chinesisch-jüdischer Witz:

Zwei Juden werden im Delancey Street Delicatessen an der Lower East Side von einem perfekt Jiddisch sprechenden Kellner bedient – einem Chinesen. Berätselt fragen sie den Besitzer: »Wieso spricht dieser Chinamann so gut Jiddisch?« Der Chef flüstert: »Psst. Er glaubt, wir bringen ihm Englisch bei.«

Im Übrigen sind diese Namenswitzeleien historisch nicht korrekt. Die Einwanderungsbeamten auf Ellis Island, für Millionen der erste Kontakt mit der Neuen Welt, waren weder so blöd noch so willkürlich, wie sie im jüdisch-amerikanischen Witz gezeichnet werden. Auf der Insel an der Südspitze von Manhattan wurden von 1892 bis 1924 (als der Zugang scharf rationiert wurde) bis zu elftausend Einwanderer pro Tag registriert. »Dennoch«, notiert die Historikerin Dara Horn, »mussten die Beamten dem höchsten professionellen Standard genügen. Oft selber Einwanderer oder deren Kinder, mussten sie mindestens zwei Fremdsprachen beherrschen. Hinzu kamen Hunderte von Dolmetschern, die jede mögliche Sprache abdeckten. Jiddisch, Russisch und Polnisch waren ein Kinderspiel für sie.«5 Die Beamten schrieben nichts einfach hin, sondern ab: aus Papieren und Schiffsdokumenten.

Wie kamen dann aber die Verballhornungslegenden zustande? Aus Furcht, Hoffnung und Scham. Die Furcht: Wer in der Alten Welt einen typisch jüdischen Namen trug, hatte nichts zu lachen; oft genug ging es sogar tödlich aus. Die Hoffnung: Hier in Amerika muss ich das Kainsmal nicht mehr tragen und kann mit einem anglifizierten Namen neu anfangen. Scham: Aber ich schäme mich, Glauben und Herkunft abgeworfen zu haben; also schiebe ich den Verrat den amerikanischen Torwächtern zu.

Zurück zu Torberg: Salcia Landmann erzähle »jüdische Witze, die nicht jüdisch sind« – und »jüdische Witze, die keine Witze sind«. Fairerweise muss man anerkennen: Sie erzählt auch echte und gelungene jüdische Witze, die zur Grundausstattung einer jeden Sammlung gehören. Ein Beispiel für den »jüdischen« Witz, der nicht jüdisch ist:

Ruben Lubliner hat im Heringsgeschäft seine letzten Groschen verloren. Nun trabt er weinend nach Hause. An einer Wegkreuzung stößt er auf ein Kruzifix. Die Schmerzensmiene des Gekreuzigten entlockt ihm den mitleidigen Ausruf: »Hast du auch mit Heringen gehandelt?«

»Jüdisch« ist dieser Witz nur wegen »Ruben Lubliner«. Ansonsten ist es ein plumper antiklerikaler Witz, der in diversen Variationen ganz ohne Juden auskommt. Etwa:

Ein wütender Wohnungsbesitzer nagelt seinen Papagei zur Strafe an die Wand, weil der telefonisch tonnenweise Briketts bestellt hatte, die sich nun bis zur Decke in den Zimmern stapeln. Der Blick des Papageis fällt auf das Kruzifix auf der gegenüberliegenden Wand: »Hast du auch Kohlen bestellt?«

Ein Beispiel für einen Witz, der keiner ist:

»Rabbi, Ihr missratener Sohn fährt am Schabbes im Landauer. (Landmann erklärt: »Am Schabbes darf der fromme Jude keinerlei Fahrzeug benutzen.«) Der Rabbi: »Unmöglich. Am Sabbat fährt kein Jude im Landauer.«

Auch dieser »Witz« hat mit Juden nichts zu tun, egal ob darin »Rabbi« und Schabbes vorkommen. Vor allem hat er keine Pointe, die schlimmste Sünde überhaupt. Zweitens enthält dieser Dialog nichts von dem, was einen guten jüdischen Witz auszeichnet, also Ironie, Geistesblitz, Selbstverspottung. Apropos Selbstverspottung als untergründige Form der Selbstverteidigung:

Vor langer Zeit konnte man für die Taufe eine Belohnung kassieren. Zwei völlig abgebrannte Juden kommen an einer Kirche vorbei, wo ein Plakat jedem Juden für den Übertritt hundert Gulden verspricht. Der eine zum anderen: »Du gehst rein, lässt dich bespritzen, und hinterher machen wir halbe-halbe.« Als der frischgebackene Katholik zurückkommt, pocht der andere ungeduldig auf seinen Anteil. Der reckt seine Nase in die Luft: »Siehst du, das mögen wir an euch nicht.«

Variante 1:

»Typisch. Ihr Juden denkt doch immer nur ans Geld.«

Variante 2:

»Kaum kommt ein Christ zu Geld, wollt ihr Juden es ihm aus der Tasche ziehen.«

Die eigentliche Pointe ist so traurig wie gewitzt: »Selbst den Antisemitismus können wir besser als ihr.« Nicht minder beißend geht der folgende Witz mit dem oft vergeblichen Versuch um, die jüdische Identität aus Karrieregründen abzuschütteln:

Der ehrgeizige junge Anwalt will sich am kommenden Sonntag ganz stilvoll im Wiener Stephansdom taufen lassen. Devot fragt er einen christlichen Kollegen: »Bitte schön, wie kleidet man sich eigentlich zur Taufe?« Der antwortet süffisant: »Wir, Herr Kollege, tragen Windeln.«

Juden wären keine Juden, wenn sie so schnell aufgäben. Übrigens: Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts waren über 60 Prozent der Anwälte in Wien Juden. Angespornt durch derlei herablassende Zurückweisung, verkündet ein anderer jüdischer Aufsteiger aus derselben Anwaltskanzlei:

»Ich lasse mich nächsten Sonntag evangelisch taufen.« – »Aber Herr Kollege, das wird ihnen kaum nützen in unserem katholischen Land.« – »Doch. Eine Woche später trete ich zum Katholizismus über. Und wenn mich dann jemand fragt, was ich vorher gewesen sei, antworte ich wahrheitsgemäß: evangelisch.«

In diesen Witzen schält sich das Wesen des jüdischen Humors heraus. In seinem viel zitierten Buch Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten taucht Sigmund Freud tief und professoral in die Theorie ein: »Ein … besonders günstiger Fall wird hergestellt, wenn [der Witz] sich gegen die eigene Person richtet, vorsichtiger ausgedrückt, eine Person, an der die eigene Anteil hat, eine Sammelperson also, das eigene Volk zum Beispiel. Diese Bedingung der Selbstkritik mag uns erklären, dass gerade auf dem Boden des jüdischen Volkslebens eine Anzahl der trefflichsten Witze erwachsen sind … Es sind Geschichten, die von Juden geschaffen und gegen jüdische Eigentümlichkeiten gerichtet sind … Auch die Judenwitze, die von Juden herrühren, geben dies zu, aber sie kennen ihre wirklichen Fehler wie deren Zusammenhang mit ihren Vorzügen … Ich weiß übrigens nicht, ob es sonst noch häufig vorkommt, dass sich ein Volk in solchem Ausmaß über sein eigenes Wesen lustig macht.«

Den passenden Witz liefert Freud gleich dazu:

Ein galizischer Jude fährt in der Eisenbahn und hat es sich recht bequem gemacht, den Rock aufgeknöpft, die Füße auf die Bank gelegt. Da steigt ein modern gekleideter Herr ein. Sofort nimmt sich der Jude zusammen, setzt sich in bescheidene Positur. Der Fremde blättert in einem Buch … und richtet plötzlich an den Juden die Frage: »Ich bitte Sie, wann haben wir Jom Kippur?« (Versöhnungstag, höchster Feiertag im jüdischen Jahr) »Asoi« (etwa: »ach so«), sagt der Jude und legt die Füße wieder auf die Bank.

Freuds Essay, ohne den kein Buch über den jüdischen Witz auskommt, enthält übrigens eine erkleckliche Anzahl derselben. Leider war der größte aller Seelenforscher kein geborener Humorist; wiewohl tiefschürfend, kommt der Text insgesamt recht umständlich, verschachtelt und pedantisch daher. Aber auch dazu – zur Verknappung als Ur-Regel allen Humors – gibt es einen guten Witz:

Auf einer nicht endenden Zugfahrt durch die russische Weite erzählen sich vier jüdische Reisende alle Witze, die sie kennen. Als das Reservoir erschöpft ist, beschließen sie, jeden schon erzählten Witz zu nummerieren, um hernach nur noch die Zahl auszurufen: 11, 24, 38 … Ein fünfter Jude betritt das Abteil, hört fein zu und meldet stolz: »Ich hab’s kapiert. 24!« Eisiges Schweigen. »Was ist denn los? Ihr habt doch vorhin krachend über Witz 24 gelacht.« – »Schon, schon«, belehrt ihn sein Gegenüber, »aber erzählen muss man ihn können.«