Machiavelli - Philosoph der Macht - Ross King - E-Book

Machiavelli - Philosoph der Macht E-Book

Ross King

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Beschreibung

Machiavelli gilt als faszinierendster und einflussreichster Denker der italienischen Renaissance. Sein Hauptwerk »Il Principe – Der Fürst« verfasste er um 1513, und es wird noch heute als Brevier der rücksichtslosen Machtpolitik gelesen. Doch wer war Machiavelli wirklich? Ross King entwirft ein differenziertes Bild dieses ersten Realpolitikers der europäischen Geschichte und seiner Heimatstadt Florenz unter den mächtigen Medici.

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Niccolò Machiavelli

Ross King

MACHIAVELLI

Philosoph der Macht

Aus dem Englischen vonStefanie Kremer

ISBN 978-3-641-27713-0V001© 2021 by Bassermann Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 MünchenCopyright © 2007, Ross KingAll rights reserved

Die Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel Machiavelli. Philosopher of Power in der Reihe Eminent Lives bei Atlas Books in New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Projektleitung dieser Ausgabe: Martha Sprenger

Umschlaggestaltung: Atelier Versen, Bad Aibling

Übersetzung: Stefanie Kremer

Satz dieser Ausgabe: Uhl & Massopust, Aalen

Herstellung: Timo Wenda

Für Christopher Sinclair-Stevenson

KAPITEL 1

Im Sommer des Jahres 1498 tauchte in den Wiesen am Ufer des Arno in Florenz eine seltsame neue Insektenart auf. Diese in Schwärmen auftretenden goldfarbenen Raupen hatten ein menschliches Gesicht – man konnte Augen und eine Nase erkennen –, und auf dem Kopf sah man einen hellen, goldenen Ring und ein kleines Kreuz. Rasch wurden sie als «die Raupen des Bruders Girolamo» bekannt.

«Bruder Girolamo» – das war Girolamo Savonarola, ein charismatischer, grünäugiger Dominikanermönch aus Ferrara, der mit seinen Predigten von Hölle und Verdammnis in den vorangegangenen sechs Jahren das geistige und politische Leben in Florenz beherrscht hatte. Im Jahr 1498 jedoch war sein hypnotischer Bann, der über der Stadt lag, endgültig gebrochen. Im Sommer 1497 wurde er von Papst Alexander VI. exkommuniziert, und am Morgen des 23. Mai 1498, weniger als ein Jahr danach, wurde er auf der zentralen Piazza der Stadt gehenkt. Dies war, den Worten eines Chronisten zufolge, die Strafe dafür, dass er «in Florenz Zwietracht gesät und eine Lehre verbreitet (hatte), die der katholischen Lehre nicht uneingeschränkt entsprach».1 Nachdem man ihn vom Galgen geschnitten hatte, wurde seine Leiche auf einem Scheiterhaufen verbrannt; die Asche wurde danach vom Ponte Vecchio in den Arno geworfen und flussabwärts an jenen Ort gespült, an dem wenige Wochen später auf geheimnisvolle Weise die Raupen auftauchten.

Savonarola war nicht das einzige Opfer im Florenz des Mai 1498. An seiner Seite wurden zwei Dominikanerpriester gehenkt, und weitere Anhänger Savonarolas – die von ihren Gegnern Piagnoni (Greiner) genannt wurden – erlitten ähnlich unerfreuliche Schicksale. Francesco Valori, der mächtigste politische Verbündete des Mönchs, wurde mit einer Hippe erschlagen; und der Bolzen einer Armbrust tötete Valoris Frau. Über Dutzende anderer Piagnoni wurden Geldstrafen verhängt, man beraubte sie ihrer politischen Rechte, und einige Mönche des Klosters San Marco, dessen Prior Savonarola gewesen war, wurden in die Verbannung geschickt. Nicht einmal die Glocke von San Marco, die den Spitznamen La Piagnona trug, entging der Bestrafung: Sie wurde aus ihrem Turm geholt und öffentlich gezüchtigt, ehe auch sie aus Florenz verbannt wurde.

Die Vergeltungsmaßnahmen reichten bis in die höchsten Regierungsränge, und in der Signoria – der obersten Regierungsbehörde von Florenz – wurde unverzüglich damit begonnen, die öffentlichen Ämter von Sympathisanten Savonarolas zu säubern. Alle zehn Mitglieder der Dieci di Libertà e Pace («Zehn der Freiheit und des Friedens», im Folgenden «Rat der Zehn»), die sich mit der Außenpolitik befassten, wurden entlassen, ebenso wie die acht Männer, welche die Otto di Guardia («Acht der Garde») bildeten, den für Straftaten zuständigen Ausschuss. Auch ein Kanzleibeamter namens Alessandro Braccesi verlor seinen Posten. Er wurde durch einen neunundzwanzigjährigen politischen Neuling ersetzt, der Niccolò Machiavelli hieß. Neunundzwanzig Jahre – das Alter, in dem man wahlberechtigt wurde – war bemerkenswert jung für einen Mann, um einen solch wichtigen Posten zu bekleiden. Die meisten jungen Florentiner blieben unter der Vormundschaft ihrer Väter, bis sie vierundzwanzig waren, und manche erlangten ihre gesetzliche Mündigkeit erst mit achtundzwanzig. Doch Machiavelli sollte seine Jugend und Unerfahrenheit durch eindrucksvolle intellektuelle Fähigkeiten und eine untadelige Bildung ebenso wettmachen wie durch enorme Tatkraft und gewaltigen Ehrgeiz.

Hinrichtung Savonarolas in Florenz, 1498

Machiavelli war am 3. Mai 1469 als ältester Sohn von Bernardo Machiavelli und dessen Frau Bartolomea in Florenz zur Welt gekommen. «Ich wurde in die Armut hineingeboren», sollte Niccolò später schreiben, «und lernte schon in zartem Alter, mich einzuschränken anstatt mich zu entfalten.»2 Wie so vieles, was er schrieb, war auch diese Behauptung etwas übertrieben. Seine Mutter entstammte offenbar einem alteingesessenen Geschlecht von hohem Rang, während sein Vater aus einer wohlhabenden Familie kam, die seit vielen Generationen ausgedehnte Ländereien in den sanft gewellten, mit Weinstöcken übersäten Hügeln südlich von Florenz besessen hatte. Es stimmt, Bernardo Machiavelli war keineswegs ein reicher Mann. Einmal beschrieb er sich selbst auf einem Steuerformular nur allzu wahrheitsgemäß als «nicht erwerbstätig»3. Doch er bewohnte ein großes Haus im florentinischen Viertel Santo Spirito in der Nähe des Ponte Vecchio, und außerhalb von Florenz besaß er ein Gut in Sant’ Andrea in Percussina mit Weinbergen, Apfelhainen, Olivenbäumen und Vieh. Seine ländlichen Besitztümer umfassten ferner eine Taverne und eine Metzgerei.

Bernardo Machiavelli hatte eine Rechtsausbildung absolviert und schlug dann, nicht gerade mit großem Eifer oder Erfolg, eine Laufbahn als Notar ein. Dennoch genoss er in Florenz offenbar einen Ruf als erstklassiger Rechtskundiger. Er schloss Freundschaft mit dem Leiter der Kanzlei von Florenz, dem hoch angesehenen Gelehrten Bartolomeo Scala, der ihn in einer Abhandlung aus dem Jahr 1483 mit dem Titel De legibus et iudiciis dialogus als Rechtsexperten besonders hervorhob. Bernardos bemerkenswerteste Eigenschaft jedoch war seine Leidenschaft für Bücher. Im Zuge seiner Ausbildung hatte er lateinische Grammatik studiert, seine Handschrift vervollkommnet und gelernt, wie man Testamente aufsetzt und Geschäfts- und Eheverträge beglaubigt. Doch in seinen Gedanken befasste er sich viel umfassender und gründlicher mit den Fragen des menschlichen Daseins, als solche Büroarbeiten vermuten ließen, und in den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts beschäftigte er sich nebenher mit klassischer Literatur. Scala wurde ihm wohl durchaus gerecht, als er ihn in seinem Dialogus voller Sachkenntnis Schriftsteller wie Platon, Justinian, Cicero und Laktanz zitieren ließ. Man weiß, dass Bernardo zu mitunter nicht geringen Kosten Werke solcher Schriftsteller wie Livius und Macrobius für seine Privatbibliothek erwarb; und wenn er es sich nicht leisten konnte, sie zu kaufen, dann lieh er sich Bücher von Einrichtungen wie der Bibliothek des Klosters Santa Croce. Zu seinen kostbarsten Besitztümern zählte eine Ausgabe von Livius’ Römische Geschichte, die er dafür erhalten hatte, dass er ein Register mit allen Ortsnamen für den florentinischen Verleger des Werkes erstellte. Elf Jahre später, im Jahr 1486, ließ er die Ausgabe in Leder binden, wofür er den Buchbinder mit drei Flaschen Rotwein von seinem Landgut bezahlte.

Mit seiner Verehrung für die klassische Literatur und die Geschichte stand Bernardo beileibe nicht allein da. Die intensive Beschäftigung mit der Kultur der Welt der Antike hatte Florenz an die Spitze einer neuen geistigen und künstlerischen Strömung gebracht – die später als «Humanismus» bekannt werden sollte –, die den Schwerpunkt des Denkens von der Theologie zu den eher weltlichen Lehren verlagerte, die einst die Grundlage der klassischen Literatur gebildet hatten. Ein Gelehrter namens Coluccio Salutati, der von 1375 bis 1406 der Kanzlei von Florenz vorgestanden hatte, erklärte, aus den klassischen Schriften könne man wichtige Lehren über zeitgenössische Moral und das politische Leben ziehen, die man in der Bibel nicht finden könne. Er und seine Anhänger gingen auf eine sehr pragmatische Weise an die Schriften der alten Griechen und Römer heran, die sie letztlich wie Handbücher, angefüllt mit praktischen Ratschlägen zu Alltag und Moral, behandelten. Sie glaubten, dass die Werke der alten Griechen und Römer unter anderem Anweisungen geben könnten, wie man seine Kinder am besten erzieht, eine Rede hält, ein guter Staatsbürger wird und einen Staat regiert – Taten und Bestrebungen, die einen Menschen (und eine Gesellschaft) glücklich und wohlhabend machen würden.

Die Humanisten eröffneten den Europäern des 15. Jahrhunderts eine neue Sichtweise auf die Welt, und auf die Stellung des Menschen darin. Neben anderen Quellen bezogen sie ihre Anregungen aus der Behauptung des griechischen Philosophen Protagoras, der sagte: «Der Mensch ist das Maß aller Dinge.» Für die Christen des Mittelalters wurden die Regierung, die Gesetze und die Moral einer Gesellschaft von Gott bestimmt, doch für die Humanisten des 15. Jahrhunderts ebenso wie für die alten Griechen und Römer waren dies vom Menschen geschaffene Institutionen und als solche sowohl wert, überprüft zu werden, als auch offen für Veränderungen. Obwohl viele Humanisten gläubige Christen waren, konzentrierte sich ihr Interesse eher auf die Dinge des menschlichen Lebens als auf übernatürliche Werte. Insbesondere gaben sie dem klassischen Menschenbild den Vorzug gegenüber dem christlichen: Der Mensch wurde nicht als ein Geschöpf betrachtet, das durch die Erbsünde verdorben war und der Erlösung durch Gottes Gnade bedurfte, sondern als ein freies, schöpferisches und selbstbestimmtes Wesen, das sowohl zu höherem Verstand als auch zu niederen Leidenschaften befähigt war.

Bernardo war offenbar fest entschlossen, seinen Sohn, auch wenn es viel kosten mochte, in den Genuss der humanistischen Bildung kommen zu lassen, die in Florenz aufblühte. Drei Tage nach seinem siebten Geburtstag begann Niccolò unter der Aufsicht eines ortsansässigen Lehrers, der als Maestro Matteo bekannt war, die Grundlagen der lateinischen Sprache zu erlernen. Maestro Matteo hielt seine Stunden in einem Haus in der Nähe des Ponte Santa Trinità ab, das unweit des Hauses der Machiavellis gelegen war. Wenige Jahre später studierte Machiavelli die Arithmetik und verfasste unter der Anleitung eines Lehrers von höherem Ansehen namens Paolo da Ronciglione lateinische Texte. Paolo, ein Lehrer von recht gutem Ruf, war ein Freund und Kollege des bedeutenden humanistischen Gelehrten Cristoforo Landino, dessen 1481 veröffentlichter Kommentar zu Dante die Stadtväter von Florenz so beeindruckte, dass er – ein solches Ansehen genossen die Dichter und Gelehrten in jenen Tagen – mit einem Landhaus belohnt wurde.

Machiavelli trat dann offenbar in jene Institution über, an der Landino selbst einen Lehrstuhl für Dichtkunst und Rhetorik innehatte: das Studio Fiorentino, eine 1348 gegründete Hochschule, die allerdings 1473 nach Pisa umgesiedelt wurde. Über Machiavellis Zeit an dieser Schule ist so gut wie nichts bekannt, doch man kann wohl mit Gewissheit annehmen, dass er in der lebendigen geistigen Atmosphäre des Studio aufblühte und gedieh. Er war ein überaus charmanter Zeitgenosse. Schmächtig gebaut, wie er war, mit den schmalen Lippen, dem schwach ausgebildeten Kinn, den hohlen Wangen und dem kurz geschorenen schwarzen Haar mag er ja eine wenig einnehmende Erscheinung gewesen sein. Doch er verfügte über einen pointierten Witz und hatte eine Vorliebe für Heiterkeit und Schabernack, die sein asketisches Aussehen Lügen straften; auf den meisten Porträts von ihm sollte – wenngleich sie postum gemalt wurden – ein ironisches Lächeln die Lippen umspielen. Obwohl er gierig die klassische Literatur verschlang, konnte er sich doch auch weniger erhabenem Zeitvertreib wie dem Glücksspiel oder der Gesellschaft von Prostituierten widmen. Den Worten eines Freundes zufolge «strömte er vor Charme und Albernheiten über», und ein anderer behauptete, Machiavellis Scherze und witzige Bemerkungen ließen alle «vor Lachen fast platzen». Man kannte ihn bald unter dem Namen «Machia», ein Wortspiel zu macchia, was «Fleck» bedeutet: eine Anspielung auf den Schaden, den er mit seiner scharfen Zunge und dem respektlosen Witz anrichtete.

Im Studio wurde Machiavelli vermutlich ein solides Grundwissen in den Hauptdisziplinen des humanistischen Lehrplans wie Redekunst, Grammatik, Dichtkunst, Geschichte und Philosophie der Moral vermittelt. Ein Text, den er offenbar mit einiger Sorgfalt studierte (schließlich schrieb er das 7400 Zeilen lange Gedicht mit der Hand ab), war De rerum natura des römischen Philosophen Lucretius, dessen einziges Manuskript 1417 wiederentdeckt und nach Florenz zurückgebracht worden war. Man kann sich gut vorstellen, dass der junge Machiavelli von Lucretius’ Hauptargument fasziniert war: Angst und religiöser Aberglaube sollten dadurch gebannt werden, dass man den Verstand gebrauchte und die Natur in ihrer innersten Beschaffenheit studierte.4

Machiavelli befasste sich sowohl mit der Philosophie als auch mit der Dichtkunst. Drei seiner jugendlichen Versuche wurden in einen Gedichtband aufgenommen, der mit Zeichnungen des Malers Sandro Botticelli illustriert war. Im gleichen Band standen auch zehn Gedichte von Lorenzo de’ Medici (genannt «der Prächtige»), der in den Jahren von 1469 – zugleich Machiavellis Geburtsjahr – bis zu seinem Tode 1492 de facto der Herrscher von Florenz war. Die Medici waren die reichste und mächtigste Familie in Florenz. Lorenzos Großvater, Cosimo de’ Medici, der Sohn des reichsten Bankiers in Europa, hatte 1434 die damalige Regierung entmachtet und war gleichsam zum Herrscher über Florenz geworden. Die Familie hatte daraufhin sechs Jahrzehnte lang die Herrschaft über die Stadt ausgeübt, wobei sie die Institutionen der Republik nach außen hin zwar anerkannte, tatsächlich jedoch die Macht in den Händen ihrer Anhänger konzentrierte.

Cosimo und Lorenzo waren beide großzügige und kenntnisreiche Förderer der Künste gewesen, sie finanzierten den Bau von Kirchen und Palästen und unterstützten die berühmte Platonische Akademie, die sich in der Villa di Careggi außerhalb von Florenz traf. Wie nahe Machiavelli den Medici tatsächlich stand, bleibt zu vermuten. Anscheinend gehörte er zumindest für einige Zeit jenem Zirkel aus humanistischen Gelehrten, Künstlern und Philosophen an (eine erlesene Gruppe, zu der auch der junge Michelangelo zählte), die von Lorenzo gefördert wurden. Machiavelli hatte sogar eines seiner Gedichte Lorenzos jüngstem Sohn, Giuliano de’ Medici, gewidmet, der in den frühen neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts, als der erwähnte Gedichtband erschien, noch ein Jugendlicher war. Wie die Verbindung auch immer ausgesehen haben mag, 1494 wurde sie jedenfalls auf dramatische Weise durchtrennt, als ein Volksaufstand gegen Lorenzos überheblichen und unfähigen ältesten Sohn Piero (bekannt als Lo Sfortunato, «der Unglückliche») die Medici in die Verbannung zwang.

Als er Ende zwanzig war, hatte Machiavelli die Laufbahn gefunden, in der er sich seine zahlreichen Fähigkeiten zunutze machen konnte. Die Politik lag den Machiavellis im Blut. In den vorangegangenen zwei Jahrhunderten hatten etliche Mitglieder der Familie politische Ämter in Florenz innegehabt. Insgesamt waren dreizehn Machiavellis zur ein oder anderen Zeit in das höchste Amt der Stadt erhoben worden, in den Rang des Gonfaloniere (Bannerträger) der Gerechtigkeit. Die schillerndste Karriere war jene des Giovanni Machiavelli gewesen, eines Zeitgenossen von Dante, der bei mehreren Gelegenheiten in hohe Ämter gewählt wurde, obwohl er einen Geistlichen ermordet hatte und der Vergewaltigung beschuldigt worden war. Die einzigen anderen Machiavellis, die von sich reden machten, waren Francesco und Girolamo, Vettern zweiten Grades von Bernardo: Beide wurden geköpft, weil sie sich der oligarchischen Herrschaft Cosimo de’ Medicis widersetzt hatten.

Unbeirrt angesichts dieses Schicksals seiner Verwandten, stürzte Niccolò sich offenbar in den turbulenten Monaten, die Savonarolas Fall vorangingen, in die Politik. Anfang 1498 kandidierte er für die Stellung des Ersten Sekretärs der Signoria, ein Amt, durch das die Regierung der Republik in administrativen Angelegenheiten unterstützt wurde. Er trat gegen drei weitere Kandidaten an, konnte jedoch nicht genug Stimmen auf sich ziehen, was möglicherweise daran lag, dass er als Gegner Savonarolas galt.5 Doch die Wellen des Umbruchs sollten ihn schon bald in ein Amt spülen. Drei Monate später, unmittelbar nach Savonarolas Tod und der rücksichtslosen Verfolgung der Piagnoni, erzielte er ein glücklicheres Ergebnis. Am 28. Mai 1498 wurde er vom Rat der Achtzig, dem Ausschuss, der die Botschafter und andere Amtsträger der Republik ernannte, für den wichtigen und angesehenen Posten des Sekretärs der Zweiten Kanzlei vorgeschlagen. Da die Ernennung ratifiziert werden musste, wurde sein Name einer Versammlung von etwa 3000 Bürgern vorgelegt, die als der Große Rat des Volkes bekannt war. Wieder sah sich Machiavelli drei Rivalen gegenüber, doch dieses Mal, am 19. Juni, wurde er für den Rest der zweijährigen Amtszeit des verstoßenen Alessandro Braccesi gewählt. Der Mann, dessen Name später zum Synonym für eine gnadenlose Herrschaft mit eiserner Faust werden sollte, kam aufgrund einer Abstimmung unter seinen Mitbürgern an die Macht.

Nach der Vertreibung der Medici im Jahr 1494 hatte sich Florenz, eine Stadt mit etwa 50000 Einwohnern innerhalb ihrer Mauern, als Republik rekonstituiert. Den Eckpfeiler dieser Republik stellte der Große Rat des Volkes dar, eine Versammlung florentinischer Männer über neunundzwanzig, die das Recht besaßen, über die Gesetzgebung abzustimmen und Staatsdiener zu wählen, die ihnen von der Signoria, dem Exekutivorgan der Regierung, vorgeschlagen wurden. Die Signoria setzte sich aus acht Signori (oder Prioren) und dem offiziellen Oberhaupt der Regierung, dem Gonfaloniere der Gerechtigkeit, zusammen. Diese neun Männer gestalteten in Absprache mit verschiedenen Gremien wie dem Rat der Zehn oder den Acht der Garde die Politik der Republik. Ihr gesamter Schriftverkehr – Berichte, Briefe, Abkommen – wurde von den Sekretären der Kanzlei vorbereitet.

Die florentinische Kanzlei war keine gewöhnliche Behörde. Über ein Jahrhundert lang war sie mit einigen der brillantesten Literaten von Florenz besetzt gewesen: mit Dichtern, Historikern und Gelehrten des Lateinischen und Griechischen. So entsprach der amtliche Schriftverkehr der Regierung, der stets auf Lateinisch geführt wurde, dem höchsten literarischen Standard, hatte doch Coluccio Salutati die Praxis eingeführt, offizielle Dokumente mit klassischen Zitaten und Anspielungen zu spicken. Marcello Virgilio Adriani, ein Gelehrter des Griechischen, der zusätzlich zu seiner Funktion in der Kanzlei als Professor für Dichtkunst und Rhetorik am Studio Fiorentino lehrte und 1498 zum Sekretär der Ersten Kanzlei gewählt wurde, führte diesen Brauch, einen glänzenden literarischen Stil zu pflegen, aufs Trefflichste fort. Auch Alessandro Braccesi war sehr begabt gewesen, er hatte drei Gedichtbände auf Lateinisch verfasst und Enea Silvio Piccolominis Historia de duobus amantibus, die Liebesgeschichte von Euryalus und Lucretia, ins Italienische übersetzt, eine Geschichte von Leidenschaft und Ehebruch, die in den vierziger Jahren des 15. Jahrhunderts von dem Mann geschrieben wurde, der später Papst Pius II. wurde.

1498 arbeiteten fünfzehn oder zwanzig Schreiber in der Kanzlei, die meisten von ihnen besaßen eine Ausbildung als Notare oder waren humanistische Gelehrte. Die Hälfte von ihnen unterstand dem Sekretär der Ersten Kanzlei, der mit der Außenpolitik befasst war. Die anderen standen im Dienst des Sekretärs der Zweiten Kanzlei, dessen Posten 1437 geschaffen wurde, um des zunehmend umfangreichen Schriftverkehrs der Regierung Herr zu werden. Als Sekretär der Zweiten Kanzlei sollte sich Niccolò Machiavelli, zumindest theoretisch, mit innenpolitischen Angelegenheiten befassen. Doch die sparsame Signoria zog die Kanzleisekretäre oft auch als diplomatische Gesandte heran und schickte sie, ausgestattet mit einigen Vollmachten, jedoch ohne den Prunk und die Ausgaben eines richtigen Botschafters, ins Ausland. Zudem unterstützte der Sekretär der Zweiten Kanzlei den Rat der Zehn, jenes Gremium, das die außenpolitischen Beziehungen der Republik überwachte, in administrativer Hinsicht. Und tatsächlich wurde Machiavelli am 14. Juli, kaum einen Monat nachdem er in die Kanzlei eingetreten war, offiziell zum Sekretär der Zehn ernannt, eine Stellung, durch die gewährleistet war, dass er, anstatt an das Schreibpult gefesselt in seinem Büro zu bleiben und Berichte über innenpolitische Angelegenheiten zu verfassen, in den Sattel würde steigen müssen, um mit Abgesandten und Botschaftern von Florenz ins Ausland zu reisen. Niccolò sollte die Welt sehen.

Machiavellis Gehalt als Sekretär der Zweiten Kanzlei betrug 128 Florin, eine auskömmliche, doch beileibe nicht üppige Summe, bedenkt man, dass das durchschnittliche Jahresverdienst eines gelernten Handwerkers in Florenz etwa achtzig bis neunzig Florin betrug. Er hatte einige Assistenten, die für ihn arbeiteten. Darunter waren ein Freund, Biagio Buonaccorsi, sowie ein Notar namens Agostino Vespucci, ein Vetter des Forschungsreisenden Amerigo Vespucci. All diese Beamten saßen in einer überfüllten Schreibstube in einem nach Norden hinausgehenden Raum im zweiten Stock des Palazzo della Signoria, jenes riesigen, festungsgleichen Gebäudes, das als Sitz der Regierung von Florenz diente.* Um in diese Schreibstube zu gelangen, musste man einen erheblich größeren Raum durchqueren, die Sala dei Gigli (den Liliensaal), den Speisesaal der Signori. Der Liliensaal war prunkvoll ausgeschmückt, es gab einen Türstock aus Marmor und eine vergoldete Decke. Der Raum wurde von Donatellos Marmorstatue des David beherrscht, und an den Wänden sah man Heiligenfresken von Domenico Ghirlandaio, Michelangelos erstem Lehrer.

Die Sala dei Gigli wies noch ein weiteres Kunstwerk auf. Etwa um 1400 hatte man über einer der Türen ein Wandgemälde von einem Glücksrad angebracht, neben dem ein Sonett stand, in dem davor gewarnt wurde, auf die wankelmütige und launenhafte Göttin Fortuna zu vertrauen.6 In den Tagen nach dem dramatischen Sturz Savonarolas und seiner Anhänger musste diese Warnung ganz besonders prophetisch erschienen sein. Doch als Niccolò Machiavelli sich im Sommer 1498 anschickte, seine ersten Schritte auf den Fluren der Macht zu tun, sah es so aus, als lächelte ihm das Glück.

* Im Interesse größerer historischer Genauigkeit werde ich dieses Gebäude – das man heute als den Palazzo Vecchio kennt – als den Palazzo della Signoria bezeichnen, wie es auch während Machiavellis Amtszeit hieß. Seinen heutigen Namen (der «alte Palast») erhielt es erst, als die Medici 1549 den Palazzo Pitti erwarben, woraufhin die Familie den Palazzo della Signoria (den sie zuvor als Gerichtshof sowie für Theateraufführungen genutzt hatte) zugunsten ihres «neuen Palasts» am südlichen Ufer des Arno aufgab.

KAPITEL 2

Als Domenico Ghirlandaio seinen Freskenzyklus über das Leben Johannes’ des Täufers in der Kirche Santa Maria Novella in Florenz abschloss, setzte er überschwänglich darunter: «Im Jahre 1490, in welchem diese schönste aller Städte, berühmt für ihre Siege, Künste und Bauwerke, großen Wohlstand, Gesundheit und Frieden genoss.» Doch Wohlstand, Gesundheit und Frieden sollten nicht von Dauer sein. Die Jahre zwischen dem Tod Lorenzos des Prächtigen 1492 und demjenigen Girolamo Savonarolas 1498 waren sehr unruhig und voller Katastrophen gewesen. Eine Reihe von Missernten, die teilweise auf heftige Stürme zurückzuführen waren, hatte eine Hungersnot hervorgerufen, und im Frühjahr 1497 verhungerten die Armen in den Straßen von Florenz. Eine Sonnenfinsternis in jenem Sommer wurde von Fieber und der Pest begleitet, die täglich über hundert Tote forderten. In den vorangegangenen anderthalb Jahrhunderten hatte die Pest Florenz regelmäßig heimgesucht, das letzte Mal in dem Monat von Savonarolas Tod. Um alles noch schlimmer zu machen, war eine neue Krankheit aufgetaucht, die als il male francese, «die Franzosenkrankheit» – also die Syphilis –, bekannt wurde und ihre Opfer mit Furunkeln entstellte und manchmal blind machte. Sie war, den Worten Francesco Guicciardinis, eines Bewohners der Stadt zufolge, «so schrecklich, dass man sie als eines der schlimmsten Verhängnisse bezeichnen muss». Doch die größte Katastrophe, die in jenen Jahren über Florenz – ja, über ganz Italien – hereinbrechen sollte, war nach Meinung vieler Menschen die Invasion der Halbinsel durch die Franzosen unter König Karl VIII.

In den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts bestand die italienische Halbinsel aus einem Mischmasch von über einem Dutzend unabhängiger Königreiche, Herzogtümer, Feudalstaaten, Stadtstaaten und Republiken. Es gab jedoch fünf vorherrschende Mächte. Die beiden wichtigsten Rollen im Norden spielten das Herzogtum Mailand, das unter der Kontrolle der Familie Sforza stand, und die Republik Venedig, deren Hoheits- und Einflussgebiet sich von ihren Kanälen und Lagunen aus weit ins Landesinnere erstreckte. Das Königreich Neapel, das in den vorangegangenen fünfzig Jahren von Mitgliedern des Königshauses von Aragón regiert wurde, beherrschte das südliche Drittel Italiens, während der Großteil Mittelitaliens vom Kirchenstaat eingenommen wurde, einem vierhundert Kilometer langen Gebiet, das vom Papst regiert wurde und sich von Rom im Süden bis nach Bologna im Norden quer über die Halbinsel erstreckte. Florenz, die fünfte Großmacht, umfasste über neuntausend Quadratkilometer der Toskana und schloss auch die Stadt Pisa mit ein.

Diese fünf Hauptmächte hatten seit dem Jahr 1454, in dem ihre Vertreter einen Nichtangriffspakt, den Frieden von Lodi, geschlossen hatten, mehr oder minder in Frieden miteinander gelebt. Doch dieses Gleichgewicht wurde 1494 durch den Tod des Königs Ferdinand I. von Neapel, der als Don Ferrante bekannt war, empfindlich gestört. Der ehrgeizige junge König von Frankreich ergriff unverzüglich Maßnahmen, die seinen Spitznamen, Karl der Freundliche, Lügen straften. Als Urenkel Ludwigs II. von Anjou, der 1389 zum König von Neapel gekrönt worden war, besaß Karl VIII. einen entfernten Anspruch auf das Königreich Neapel, und Lodovico Sforza, der skrupellose neue Herzog von Mailand, drängte ihn, diesen Anspruch durchzusetzen. Und so überquerte der französische König im September 1494 mit einem Heer von über 30000 Mann die Alpen und zwang alle italienischen Mächte, eine Erklärung darüber abzugeben, ob sie seinen Anspruch unterstützen wollten oder den des Sohnes von Don Ferrante, des neu gekrönten Königs Alfonso II.

Die Florentiner hatten sich zunächst auf Alfonsos Seite gestellt. Doch das Auftauchen der furchterregenden französischen Armee auf toskanischem Boden, die mit Leichtigkeit (und Brutalität) die florentinische Festung Fivizzano eroberte, löste einen überstürzten Wechsel der Loyalitäten aus, zumindest bei Piero dem Unglücklichen. Lorenzo der Prächtige hatte einst vorausgesagt, dass sein ältester Sohn durch seinen Leichtsinn und seine Überheblichkeit den Fall des Hauses Medici herbeiführen werde. Diese Voraussage ging rasch in Erfüllung, als der in Panik geratene Piero, ohne sich erst damit aufzuhalten, die Signoria oder das Volk zu Rate zu ziehen, Karl VIII. hastig seine Unterstützung anbot, zusammen mit einigen florentinischen Festungen, worunter auch die Festung Pisa war. Eine solch feige Kapitulation versetzte die Menschen von Florenz in Wut, und innerhalb weniger Tage flohen Piero und der Rest seiner Familie unter den Rufen «Für Volk und Freiheit!» ins Exil. Die Menschen von Florenz hatten ihre Freiheit gewonnen, doch was sie verloren hatten, war beinahe ebenso wertvoll: die Stadt Pisa.

Dieser Verlust stellte für die Florentiner die demütigendste Folge der französischen Invasion dar. Florenz hatte seinen Nachbarn, eine reiche Hafenstadt, seit 1406 regiert. Im November 1494 hatte Karl VIII. ein Abkommen mit den Florentinern unterzeichnet, in dem er versprach, Pisa in florentinischen Besitz zurückzugeben, sobald er Neapel erobert hätte, doch die Rückgabe stellte sich als schwierig heraus, da die Pisaner, wie ein Geschichtsschreiber jener Tage vermerkte, «der Kontrolle durch Florenz von Natur aus höchst feindselig gegenüber» standen. Es folgten Jahre voller Gefechte, mit denen die Florentiner erfolglos versuchten, diesen wertvollen Besitz zurückzuerobern. Im Mai 1498 hatten die Pisaner die Florentiner bei San Regolo vernichtend geschlagen und – um den Demütigungen eine weitere hinzuzufügen – Ludovico da Marciano gefangen genommen, den Heerführer der Florentiner.

Als Niccolò Machiavelli 1498 in die Kanzlei eintrat, stand die Rückeroberung Pisas ganz oben auf der Tagesordnung der Signoria und der Zehn. Das Problem war umso ernster, als Florenz über kein eigenes Heer verfügte und daher, wie viele andere italienische Staaten auch, gezwungen war, fremde Soldaten – Söldner aus kleineren und ärmeren italienischen Staaten – dafür zu bezahlen, dass sie die Schlachten der Florentiner schlugen. Für Handelsstädte wie Florenz, deren Bürger sich lieber den Geschäften denn dem Krieg widmeten, stellten diese Söldner, die condottieri genannt wurden, ein notwendiges Übel dar. Eines der Hauptprobleme bestand darin, dass man von Männern, die für Beutel voller Dukaten anstatt aus Vaterlandsliebe kämpften, nicht immer erwarten konnte, dass sie sich tapfer für die Sache ihres Auftraggebers einsetzten. Die condottieri waren für ihre Faulheit, ihre Ausreden und ihr doppeltes Spiel bekannt.

Da der unglückselige Ludovico da Marciano in einem Kerker in Pisa schmachtete, brauchten die Florentiner jemand anderen, der ihren Angriff führen konnte. Im Juni 1498 beriefen sie einen berühmten condottiere namens Paolo Vitelli, den Sohn eines für seine Grausamkeit berüchtigten Kriegsherrn aus der umbrischen Stadt Città di Castello, zu ihrem neuen Heerführer. Obwohl er erst siebenunddreißig war, hatte Vitelli schon in ganz Italien gekämpft, seit er im Alter von dreizehn Jahren das erste Mal Geschmack daran gefunden hatte. Wie viele andere condottieri war auch er ein altmodischer Krieger, der die Streitaxt und das Schwert der Muskete vorzog. Er war dafür bekannt, gefangen genommenen Musketieren die Augen auszustechen und die Arme abzuhacken, weil er sich über die neuen Gegebenheiten der modernen Kriegsführung ärgerte, wo berittene Krieger von einfachen Fußsoldaten, die Feuerwaffen trugen, getötet werden konnten.

Einen Monat nach Vitellis Berufung nahm die Signoria einen zweiten Söldner in ihre Dienste, Jacopo d’Appiano, den Herrscher der toskanischen Hafenstadt Piombino sowie der Inseln Elba und Monte Cristo. Der achtundvierzigjährige Jacopo d’Appiano war ebenfalls ein altgedienter condottiere, der in der Vergangenheit im Auftrag von Neapel, Mailand und Siena gekämpft hatte. 1496 hatte er sogar im Auftrag von Pisa gegen Florenz gekämpft. Die Florentiner sicherten sich seine Dienste für 25000 Dukaten, eine gewaltige Summe, wenn man bedenkt, dass sich die gesamten jährlichen Einnahmen der Stadt aus Zöllen und anderen indirekten Steuern auf etwa 130000 Dukaten beliefen. Doch Jacopo war mit den Vertragsbedingungen nicht zufrieden – er wollte 5000 Dukaten mehr –, und so erhielt Machiavelli im März 1499 den Befehl, nach Pontedera zu reisen, in jene Stadt etwa dreißig Kilometer vor Pisa, in der Jacopo sein Lager aufgeschlagen hatte. Seine Anweisungen von der Signoria waren von einer Art, an die er sich bedauernswerterweise bald gewöhnen sollte. Er sollte Jacopo zusichern, dass Florenz seinen Wünschen wohlwollend gegenüber stehe – dies aber so unbestimmt und allgemein wie irgend möglich, sodass die Signoria nicht verpflichtet sein würde, den Wünschen tatsächlich nachzukommen. Er sollte also mit Versprechungen aufwarten, jedoch nicht mit Geld.

Für diese erste diplomatische Mission musste Machiavelli wahrscheinlich all seine rhetorischen Fähigkeiten aufbieten. Es ist sehr aufschlussreich, dass sein Vater sich im Jahr 1480 von einem florentinischen Buchhändler namens Zanobi eine der berühmtesten Abhandlungen über die Redekunst geliehen hatte, die je geschrieben wurde: Ciceros De oratore. Ob Niccolò diese spezielle Ausgabe nun gelesen hatte oder nicht (er war damals erst elf), zu einem späteren Zeitpunkt seiner Ausbildung hat er dieses berühmte Werk gewiss studiert. Cicero erläutert die unterschiedlichen Eigenschaften, die einen guten Redner ausmachen, ebenso wie praktische Übungen, die der Redner nutzen kann, um seine Fähigkeiten zu entwickeln: die Stimme schulen, Gesten einsetzen, Tatsachenwissen erwerben, das Gedächtnis verbessern, sich die Gunst der Zuhörer sichern und so weiter. Die Redekunst, wie sie bei Cicero beschrieben wird, wurde von einer florentinischen Regierung, die es (wie in ihren Verhandlungen mit Jacopo d’Appiano) stets vorzog, ihren Verbündeten Worte anstelle von Taten anzubieten, überaus hoch geschätzt: Nicht umsonst war Adriani, der Sekretär der Ersten Kanzlei, Rhetorikprofessor an der Hochschule. Machiavellis Fähigkeiten in der feinen Kunst der Überredung – die Gewandtheit seiner Zunge ebenso wie die seiner Feder – hatten ihm offenbar nicht nur den wichtigen Posten in der Kanzlei verschafft, sondern auch die heikle Mission, den reizbaren Herrn von Piombino zu besänftigen.

Doch Machiavellis geschulte Redekunst konnte ihn nur schwerlich auf diesen Einsatz in einem Militärlager in dem sumpfigen, häufig überschwemmten Land vor Pisa vorbereitet haben. Er sollte sich bald daran gewöhnen, lange Strecken reiten zu müssen, um das Verhalten einer pfennigfuchserischen Signoria gegenüber habgierigen Kriegsherren zu rechtfertigen, bei denen man mit Geld mehr erreichen konnte als mit Worten. Es überrascht nicht, dass seine ersten Erfahrungen mit einem condottiere nicht gerade angenehm ausfielen. Jacopo war ein gerissener Taktierer, dessen hartnäckige Aufsässigkeit einst dazu geführt hatte, dass er von einem aufgebrachten Papst exkommuniziert wurde. Dennoch wurde die Entsendung insofern zu einem Erfolg, als Jacopo weiterhin verpflichtet blieb, Florenz zu beschützen und Pisa anzugreifen.

Tatsächlich hatte Machiavelli seine Sache offenbar so gut gemacht, dass er wenige Monate später, bei größter Sommerhitze, auf eine nahezu identische Mission geschickt wurde. Er ließ seinen, wie er es nannte, «gewaltigen Berg Arbeit» in der Kanzlei zurück und ritt nach Forlì, das achtzig Kilometer nordöstlich von Florenz auf der anderen Seite des Apennin liegt. Dieses Mal bestand seine Aufgabe darin, einen dritten condottiere, Ottaviano Riario, dazu zu überreden, seinen Vertrag (der im vorangegangenen Juni ausgelaufen war) ohne eine Erhöhung der Entlohnung zu erneuern. Genau genommen musste Machiavelli, da Ottaviano, der noch keine zwanzig war, in Mailand weilte, mit der Mutter des jungen Söldners verhandeln, Caterina Sforza. Dass Machiavelli entsandt wurde, um mit einer derart eindrucksvollen Gestalt zu verhandeln, lässt das Ausmaß des Vertrauens der Signoria in ihren jugendlichen Sekretär der Zweiten Kanzlei ermessen.

Caterina Sforza war auf ihre Art sogar noch furchteinflößender als Jacopo d’Appiano. Obwohl erst sechsunddreißig Jahre alt, war sie doch schon eine legendäre Gestalt mit einer tragischen und bewegten Vergangenheit. Sie war die uneheliche Tochter Galeazzo Maria Sforzas, jenes brutalen und lasterhaften Herzogs von Mailand, der 1476 auf den Stufen des Mailänder Doms von Verschwörern ermordet wurde. An den gewaltsamen Tod der Menschen, die ihr nahestanden, sollte sich Caterina, die damals dreizehn war, auf schreckliche Weise gewöhnen. Mit fünfzehn wurde sie mit Girolamo Riario verheiratet, dem Neffen von Papst Sixtus IV. und Herrscher über Imola und Forlì. Girolamo wurde 1488 von Attentätern ermordet, ebenso wie sieben Jahre später Giacomo Feo, ihr zweiter Mann. Ein dritter Ehegatte, Giovanni de’ Medici, ein entfernter Vetter Lorenzos des Prächtigen, starb 1498, allerdings auf natürliche Weise. Diese Schicksalsschläge konnten Caterinas Mut nicht dämpfen. Sie trug den Spitznamen Virago und war berüchtigt für ihre Verwegenheit. Den Mördern ihres ersten Mannes war sie entkommen, indem sie allein in das Kastell von Forlì geflohen war, und als die Attentäter drohten, ihre kleinen Kinder umzubringen, sollte sie sich nicht ergeben, erschien sie (der Legende zufolge) mit erhobenen Röcken und entblößten Genitalien auf dem Festungswall: «Ich habe immer noch die Möglichkeit, neue zu machen!», höhnte sie. Erst kürzlich hatte sie die ihr eigene tödliche Unverfrorenheit demonstriert, als sie versuchte, Papst Alexander VI. zu ermorden: Sie schickte ihm mehrere Briefe, eingeschlagen in ein Tuch, das zuvor um den Kopf eines Pestopfers gewickelt gewesen war.

Mit ihrem rotblonden Haar und der porzellanweißen Haut war Caterina für ihre Schönheit ebenso berühmt wie für ihren Mut. Sie besaß ein Rezeptbuch, in dem sie ausführlich die Ingredienzien für Gesichtscremes erläuterte (in dem gleichen Buch fanden sich Rezepte für langsam wirkende Gifte). Der florentinische Maler Lorenzo di Credi hatte sie verewigt, und die Kaufleute von Forlì trieben mit kleinen Porträtzeichnungen von ihr einen lebhaften Handel. Machiavellis Freund Biagio Buonaccorsi, der in der Kanzlei zurückgeblieben war, begehrte eines dieser kleinen Souvenirs. «Ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr mir postwendend ein Porträt von Ihrer Hoheit auf Papier schicken könntet, die dort in großer Zahl angefertigt wurden. Und wenn Ihr es mir schickt», wies er Machiavelli an, «dann rollt es auf, damit es nicht durch Faltlinien verdorben wird.»

Machiavelli seinerseits war von der Virago offenbar erheblich weniger angetan. Er verbrachte fast zwei Wochen in Forlì. Die Verhandlungen gingen hin und her, da Caterina immer wieder versuchte, Zeit zu gewinnen; sie behauptete, sie habe weder Soldaten noch Schießpulver übrig, und wollte alle getroffenen Vereinbarungen in letzter Minute wieder abändern. Für die gewählten, jedoch leeren Worte, die so häufig den Eckpfeiler florentinischer Diplomatie bildeten, zeigte sie nur wenig Verständnis. Schließlich machte Machiavelli, verärgert über den Mangel an Fortschritten, seiner Unzufriedenheit «mit Worten und Gesten» (die zweifellos weniger raffiniert und höflich ausfielen als jene, die Cicero empfahl) Luft, ehe er Anfang August nach Florenz zurückkehrte. Zu jenem Zeitpunkt sah es allerdings so aus, als sollte der florentinische Angriff auf Pisa mit oder ohne Caterinas Soldaten und Schießpulver Erfolg haben.

Caterina Sforza (Lorenzo di Credi)

«Unsere Offensive in Pisa geht immer besser voran», hatte Biagio Buonaccorsi Machiavelli, wenige Tage bevor dieser nach Florenz zurückkehrte, geschrieben. Das war kein bloßes Wunschdenken. Seit Paolo Vitelli ein Jahr zuvor zum Heerführer von Florenz ernannt worden war, hatte er einen zögerlichen Feldzug gegen die Pisaner geführt, mit Gefechten, in denen gegenseitig Dörfer überfallen, Vieh gestohlen, Ernten zerstört und Burgen in Brand gesetzt wurden. Doch Anfang August hatte Vitelli seine Aufmerksamkeit endlich einem direkten Angriff auf Pisa selbst zugewandt. Mit Hilfe seines älteren Bruders Vitellozzo nahmen seine Streitkräfte rasch die nahe gelegene Festung Ascanio ein (woraufhin Vitelli seiner Gewohnheit gemäß den Verteidigern die Hände abhackte) und schossen dann mit 190 Kanonen auf Pisa. Am 6. August hatte seine Artillerie sechsunddreißig Meter der Befestigungsmauer um die Stadt zerstört, und vier Tage später stürmten seine Soldaten Pisas Festung und schlugen deren Befehlshaber in die Flucht. Wenige Tage später, an Mariä Himmelfahrt, nahmen seine Männer eine innerhalb der Stadtmauern gelegene Kirche und deren benachbartes Viertel ein. Nach fast fünf Jahren der Unabhängigkeit schien die abtrünnige Stadt endlich der Gnade von Florenz ausgeliefert zu sein.

Doch die Signoria wollte nichts dem Zufall überlassen. Während der Beschuss seinen Fortgang nahm, wurde Befehl erteilt, in Vorbereitung auf Vitellis Angriff die Madonna von Impruneta nach Florenz zu bringen. Die Madonna stellte das wertvollste Heiligenbild von Florenz dar. Der Legende nach vom Apostel Lukas gemalt, war sie etwa im Jahr 1000 im Erdreich entdeckt worden, als in Impruneta, elf Kilometer südlich von Florenz, die Fundamente für die Kirche Santa Maria ausgehoben wurden. Es heißt, das Bildnis habe vor Schmerz aufgeschrien, als es vom Spaten getroffen wurde; seither wurde das wundersame Bild in der Kirche aufbewahrt und in Zeiten der Not nach Florenz getragen – stets in einer barfüßigen Prozession, das Bildnis sorgsam verhüllt. In den vorangegangenen fünf Jahren war es zu mindestens vier verschiedenen Gelegenheiten nach Florenz gebracht worden und hatte solche Wunder vollbracht, wie für die Ernte im Jahr 1494 schönes Wetter zu bescheren oder die Bevölkerung von Livorno im Jahr 1496 ein Blutbad an vierzig Pisaner Soldaten anrichten zu lassen.

Bei dieser jüngsten Gelegenheit, am 24. August, wurde die Prozession aus Impruneta aufgehalten, als das Bildnis, während es über Land getragen wurde, an einem Olivenzweig hängenblieb – ein Missgeschick, das allgemein als gutes Omen betrachtet wurde. Doch Pisa ergab sich nicht. Gerüchte, denen zufolge die Pisaner sich mit vergifteten Pfeilen bewaffneten, gaben Vitellis Mannen zu denken. Vitelli selbst machte offenbar keinerlei Anstalten, seinen Vorteil auszunutzen. Der Umstand, dass der Große Rat des Volkes dagegen gestimmt hatte, ihn die Stadt plündern (und sich und seine Männer am Beutegut bereichern) zu lassen, machte ihm nicht gerade Appetit auf einen Angriff. Er legte solchen Widerwillen an den Tag, dass bald der Verdacht auf Verrat aufkam – ein Verdacht, den seine Entscheidung, die Belagerung Anfang September aufzuheben (angeblich, weil seine Truppen durch die Malaria dezimiert wurden), alles andere als zerstreute. Dieser Misserfolg war ein heftiger und demütigender Schlag für den Kampfgeist der Florentiner. «Ein gewaltiges Murren erfüllte Florenz», merkte ein Beobachter an.

Einer, den Vitellis scheinbar unerklärliches Versäumnis, Pisa einzunehmen, vor ein Rätsel stellte und in Wut versetzte, war Niccolò Machiavelli. Hatte Machiavelli schon eine geringe Meinung von Jacopo d’Appiano und Caterina Sforza gehabt, so erschien Vitellis kostspieliges Zaudern geradezu beispielhaft für die Unzuverlässigkeit und die betrügerischen Machenschaften derjenigen, die für Geld kämpften anstatt für die Ideale des Vaterlands. Indem er die Belagerung aufgab, hatte Vitelli sich entweder der Feigheit schuldig gemacht oder, viel schlimmer, der geheimen Absprache mit dem Feind. Machiavelli war von Letzterem überzeugt. Außer sich vor Wut über «Vitellis Verrat», wie er es nannte, behauptete er, für das Scheitern der Belagerung «trug er die Schuld». Der condottiere, so schrieb er, habe «grenzenlose Bestrafung» verdient.

Diese Bestrafung sollte schon bald erfolgen. Vitelli wurde gefangen genommen und zurück nach Florenz gebracht, wo man ihn auf der Streckbank folterte und dann, nachdem man ihn (ungeachtet eines Mangels an Beweisen) in einem Prozess für schuldig befunden hatte, sich von den Pisanern bestechen zu lassen, am 1. Oktober enthauptete. Die Exekution fand auf der obersten Galerie des Palazzo della Signoria statt, während sich auf der darunter liegenden Piazza eine dichte Menschenmenge drängte. «Man erwartete, dass sein Kopf hinunter auf die Piazza geworfen würde», schrieb ein Zeuge. «Er wurde jedoch nicht hinuntergeworfen, sondern auf eine Lanze gespießt und mit einer brennenden Fackel an der Seite in den Fenstern der Galerie gezeigt, sodass ein jeder ihn sehen konnte.»

Zur gleichen Zeit wurden auch einige von Vitellis engen Vertrauten, darunter sein Arzt, gefangen genommen; einer von ihnen, ein Mann mit dem engelsgleichen Namen Cherubino, wurde kurz danach in den Fenstern des Palazzo del Podestà gehenkt. Doch Vitellozzo, Paolos Bruder, ein condottiere, der im wohlverdienten Ruf stand, grausam zu sein, war den Fängen der florentinischen Justiz entkommen. Dass er zusammen mit 200 seiner Soldaten entwischen konnte, war ein Schnitzer, den zu bedauern die Florentiner schon bald Grund genug haben würden.

KAPITEL 3

Machiavellis Amtszeit als Sekretär der Zweiten Kanzlei sollte wenige Monate nach dem Fiasko bei Pisa zu Ende gehen. Kanzleisekretäre wurden für gewöhnlich zunächst für eine Amtsperiode von zwei Jahren gewählt, doch er war 1498 nur für zwanzig Monate gewählt worden, die verbleibende Dienstdauer, für die Alessandro Braccesi ernannt gewesen war. Am 27. Januar 1500 wurde Machiavellis Name zum dritten Mal in weniger als zwei Jahren vor den Großen Rat des Volkes gebracht. Die gescheiterte Unterwerfung Pisas wurde ihm offenbar nicht angelastet, denn er wurde prompt wiedergewählt; dieses Mal den Vorschriften gemäß für eine einjährige Amtszeit. Bestimmt war er nicht nur über die Gewissheit erfreut, ein weiteres Jahr in den Diensten der Republik zu stehen, sondern auch über die sechs Goldflorinen, die ihm die Regierung «aufgrund der Gefahren, die er auf sich genommen hatte», zahlte. Da Pisa noch nicht unterworfen und ein offener Krieg zwischen Frankreich und Mailand ausgebrochen war, lagen zweifellos noch mehr Gefahren vor ihm.