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München, 1982. Die bildschöne junge Frau Hanny Kraemer wird tot in ihrer Badewanne aufgefunden - mit aufgeschnittenen Pulsadern. Für die Polizei ist der Fall rasch aufgeklärt: Selbstmord. Dr. Peter Schwarzburg, der Liebhaber der Toten, will den Umständen dieses Selbstmords auf den Grund gehen - und er engagiert den Privatdetektiv Bruno Machiavelli. Dieser stellt zu seinem Erstaunen fest, dass Kommissar Ludwig Schönwolf - trotz geschlossener Akte - noch immer in dieser Sache ermittelt. Und damit wird dieser Fall schnell um einiges größer und gefährlicher, als Machiavelli zunächst vermutet hatte... MACHIAVELLI UND DER SÜNDIGE ENGEL ist der erste Band einer Roman-Serie um den Münchner Privatdetektiv Bruno Machiavelli aus der Feder von Christian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Serien EIN FALL FÜR REMIGIUS JUNGBLUT, DIE UNHEIMLICHEN FÄLLE DES EDGAR WALLACE, FRIESLAND und der Frankenberg-Krimis um den Privatdetektiv Lafayette Bismarck.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
CHRISTIAN DÖRGE
Machiavelli
und der sündige Engel
Roman
Signum-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Der Autor
MACHIAVELLI UND DER SÜNDIGE ENGEL
Die Hauptpersonen dieses Romans
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Copyright © 2023 by Christian Dörge/Signum-Verlag.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg
Umschlag: Copyright © by Christian Dörge.
Verlag:
Signum-Verlag
Winthirstraße 11
80639 München
www.signum-literatur.com
München, 1982.
Die bildschöne junge Frau Hanny Kraemer wird tot in ihrer Badewanne aufgefunden - mit aufgeschnittenen Pulsadern. Für die Polizei ist der Fall rasch aufgeklärt: Selbstmord.
Dr. Peter Schwarzburg, der Liebhaber der Toten, will den Umständen dieses Selbstmords auf den Grund gehen - und er engagiert den Privatdetektiv Bruno Machiavelli. Dieser stellt zu seinem Erstaunen fest, dass Kommissar Ludwig Schönwolf - trotz geschlossener Akte - noch immer in dieser Sache ermittelt.
Und damit wird dieser Fall schnell um einiges größer und gefährlicher, als Machiavelli zunächst vermutet hatte...
Machiavelli und der sündige Engel ist der erste Band einer Roman-Serie um den Münchner Privatdetektiv Bruno Machiavelli aus der FedervonChristian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Serien Ein Fall für Remigius Jungblut, Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace, Friesland und der Frankenberg-Krimis um den Privatdetektiv Lafayette Bismarck.
Christian Dörge, Jahrgang 1969.
Schriftsteller, Dramatiker, Musiker, Theater-Schauspieler und -Regisseur.
Erste Veröffentlichungen 1988 und 1989: Phenomena (Roman), Opera (Texte).
Von 1989 bis 1993 Leiter der Theatergruppe Orphée-Dramatiques und Inszenierung
eigener Werke, u.a. Eine Selbstspiegelung des Poeten (1990), Das Testament des Orpheus (1990), Das Gefängnis (1992) und Hamlet-Monologe (2014).
1988 bis 2018: Diverse Veröffentlichungen in Anthologien und Literatur-Periodika.
Veröffentlichung der Textsammlungen Automatik (1991) sowie Gift und Lichter von Paris (beide 1993).
Seit 1992 erfolgreich als Komponist und Sänger seiner Projekte Syria und Borgia Disco sowie als Spoken Words-Artist im Rahmen zahlreicher Literatur-Vertonungen; Veröffentlichung von über 60 Alben, u.a. Ozymandias Of Egypt (1994), Marrakesh Night Market (1995), Antiphon (1996), A Gift From Culture (1996), Metroland (1999), Slow Night (2003), Sixties Alien Love Story (2010), American Gothic (2011), Flower Mercy Needle Chain (2011), Analog (2010), Apotheosis (2011), Tristana 9212 (2012), On Glass (2014), The Sound Of Snow (2015), American Life (2015), Cyberpunk (2016), Ghost Of A Bad Idea – The Very Best Of Christian Dörge (2017).
Rückkehr zur Literatur im Jahr 2013: Veröffentlichung der Theaterstücke Hamlet-Monologe und Macbeth-Monologe (beide 2015) und von Kopernikus 8818 – Eine Werkausgabe (2019), einer ersten umfangreichen Werkschau seiner experimentelleren Arbeiten.
2021 veröffentlicht Christian Dörge mehrere Kriminal-Romane und beginnt drei Roman-Serien: Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace, Ein Fall für Remigius Jungblut und Friesland.
Künstler-Homepage: www.christiandoerge.de
Bruno Machiavelli: Privatdetektiv aus München.
Hanny Kraemer: eine wohlhabende junge Dame.
Dr. Peter Schwarzburg: Gynäkologe.
Bartholomäus Dämmerich: ein Kunstmaler.
Big Luigi de Santis: Besitzer eines Kaufhauses.
Ludwig Schönwolf: Kommissar bei der Münchner Kriminalpolizei.
Josef Röselius: ein Werbekaufmann.
Sara Giordano: eine Verkäuferin.
Clarissa Sachs: Fotomodell.
Andreas Fontaine: ein Privatdetektiv.
Herbert Mischewski: Buchprüfer.
Johann Bergsträßler: Staatsanwalt.
Georg Pfaffenbach: Beamter beim Sittendezernat.
Dieser Roman spielt 1982 in München.
Als Hanny Kraemer, 26 Jahre jung, keinen Ausweg mehr musste, ließ sie Wasser in ihre Badewanne einlaufen, nahm eine große Dosis Seconal, stieg in die Wanne, schnitt sich die Pulsadern auf und starb. Todesursache: Ertrinken.
Das war am regnerischen, windigen 14. Oktober 1982 gegen Mitternacht. Die Tote wurde von ihrem Hausmädchen am frühen Morgen des 15. Oktober gefunden. Am Nachmittag dieses 15. Oktober saß ein Mann mir gegenüber auf der anderen Seite meines Schreibtischs und sprach über Hanny Kraemer. Seine Worte kamen stoßweise und gepresst wie bei einem Menschen, der aus noch frischer Erinnerung über ein grauenvolles Erlebnis berichtet; es klang, als stecke ein Kloß in seinem Hals.
Der Mann war Dr. Peter Schwarzburg, Frauenarzt und Geburtshelfer, Mitte vierzig. Er hatte ein eckiges, nicht unangenehmes Gesicht und schien bis auf das Halsleiden in recht guter Verfassung zu sein.
Draußen hatte sich der Sturm gelegt. Hin und wieder stahl sich ein blasser Sonnenstrahl herein. Es war Sonntag, daher herrschte wenig Verkehr. Die Kälte drang in mein Büro ein, das in einem alten, zugigen Gebäude in Bogenhausen untergebracht ist. Ich hatte Kaffee gekocht. Nach einer Weile stand ich auf, holte eine halb volle Flasche Cognac und goss uns beiden einen ordentlichen Schluck in den Kaffee.
»Es war ganz typisch für Hanny – ihr war jede Unordnung zuwider«, sagte er. »Man konnte alles ganz einfach fortspülen.«
Ich hatte nicht die leiseste Idee, was er von mir wollte.
»Sie waren ihr Hausarzt?«, fragte ich.
»Ihr Arzt... und ihr Liebhaber.«
»Sieh an...«
»Wir wollten in drei oder vier Monaten heiraten. Ich bin vor einem Jahr von daheim weggezogen.«
Er trank etwas von dem Kaffee mit Schuss als Medizin für seinen angeknacksten Hals.
»War Fräulein Kraemer gesund?«, erkundigte ich mich.
»Vollkommen – physisch gesehen. Geistig offenbar nicht.«
Ich schwieg. Derlei betraf eher nicht mein Fachgebiet.
»Sie war auch nicht schwanger«, fuhr er fort. »Und selbst wenn sie ein Kind erwartet hätte – das wäre kein ausreichender Grund. Ich habe genug Psychologie studiert, um zu wissen, dass man nicht aus einer vorübergehenden Depression heraus Selbstmord begeht. Ein solcher Entschluss braucht ein starkes auslösendes Element.«
Ich nickte zerstreut.
»Deshalb bin ich hier«, betonte er.
Ich schaute ihm ins Gesicht.
»Jemand hat sie in den Selbstmord getrieben«, erklärte er. »Ich muss wissen, wer, Herr Machiavelli.«
Plötzlich fühlte ich die Kälte um mich herum. Ich griff nach der Flasche, zögerte und schob sie dann weg.
»So? Warum denn?«, wollte ich wissen.
Er gönnte sich noch einen Schluck von der Medizin. Als er dann wieder sprach, klang seine Stimme ruhig und normal, als ob ein neuer Geistesblitz sein Halsleiden vertrieben hätte.
»Ich habe sie geliebt – wegen ihrer anziehenden Wesensart, ihrer Natürlichkeit und Vitalität. Vielleicht auch deshalb, weil es für mich schmeichelhaft war zu fühlen, wie sie allmählich meine Liebe erwiderte. Man musste sie schon näher kennen, um sie richtig beurteilen zu können. Sie hatte einen Verstand, so scharf wie ein Florett; ein geschmeidiges, elegantes Damenflorett. Im richtigen Augenblick konnte sie aber auch verspielt sein, dann traten ihre Originalität und ihr Temperament zutage. Sie besaß die Selbstsicherheit einer reichen jungen Frau, das sich über den Wert des Geldes und den eigenen Wert vollkommen im Klaren ist. Sie war...«
Sein Kopf sank nach vorn.
»Entschuldigen Sie«, murmelte er. »Ich darf mich nicht so gehen lassen. Jemand hat ist für ihren Selbstmord verantwortlich; und ich muss wissen, wer das war.«
Seine Stimme klang schon wieder leidend. Ich konnte nur hoffen, dass er keinen Nervenzusammenbruch erlitt, denn damit hätte ich kaum etwas anzufangen gewusst.
»Sie müssen das Mädchen sehr gut gekannt haben«, sagte ich. »Dann wissen Sie sicher auch, ob es in ihrem Leben jemanden gab, der sie zu einem solchen Schritt hätte veranlassen können.«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein... Wir haben nicht zusammen gelebt. Sie hatte ihre eigene Wohnung in der Nähe, weil sie größten Wert auf ihre Unabhängigkeit legte. Das machte sie mir noch liebenswerter. Doch sie hatte einige Geheimnisse vor mir. In ihrem Leben gab es zweifellos manches, wovon ich nichts wusste. Auch was uns beide betrifft, war sie sich noch nicht ganz schlüssig. Wir hatten vereinbart, dass wir uns niemals endgültig binden würden; sollten wir heiraten, dann nur auf Widerruf, wenn ich das so sagen darf. Auch das liebte ich an ihr. Ich hätte mich allen Bedingungen gebeugt – allen!«
Er blickte mich über den Schreibtisch hinweg an. Wieder fühlte ich das Frösteln.
Mit fester Stimme fuhr er fort: »Ich habe sie derart geliebt, dass ich denselben Weg wie sie gegangen wäre, wenn ich jetzt nicht hier säße und mit Ihnen reden würde. In diesem Augenblick sind Sie mein einziges Bindeglied zum Leben.«
Nun griff ich doch nach der Flasche und goss mir einen kräftigen Schluck in den lauwarmen Kaffee.
»Sie verlangen von mir, dass ich Ihnen das Leben rette«, stellte ich fest. »Ziemlich viel verlangt.«
»Ich kann’s nicht ändern. Ich muss wissen, wer sie zum Selbstmord getrieben hat. Und wenn’s eine Million Mark kostet! Ich habe fast so viel auf dem Konto, und kann den Rest notfalls beschaffen.«
»Nehmen wir einmal an, wir finden es wirklich heraus: was dann? Was wollen Sie dann unternehmen?«
Er starrte in seine Tasse.
»Darüber reden wir, wenn es so weit ist«, murmelte er.
»Woher hatte sie das Seconal?«
»Von mir.«
»Auf Rezept?«
»Selbstverständlich. Es wäre ihr nicht schwer gefallen, einen Apotheker zu überreden, ihr etwas mehr zu geben. Aber sie ist nicht am Seconal gestorben, sondern ertrunken.«
»Das Ergebnis der Autopsie zweifeln Sie also nicht an?«
»Ein Freund von mir hat die Autopsie durchgeführt. Ich vertraue ihm.«
»Er wusste nichts von Ihrer Verbindung zu Fräulein Kraemer?«
»Nein.«
»Wie kam sie mit ihren Eltern zurecht?«
»Ihr Vater ist tot. Ihre Mutter war nicht gerade... nun, liebevoll zu ihr, aber sie hat immer ihre Pflicht getan. Soviel ich weiß, hat es zwischen den beiden nie ernsthafte Spannungen gegeben. Die Mutter spielt eine nicht unwichtige Rolle in der besseren Gesellschaft. Als ich Hanny kennenlernte, hatte sie sich jedoch schon völlig von ihrer Familie gelöst – nicht nur finanziell.«
Was sollte ich ihn noch fragen? Ich hatte nicht vor, den Auftrag zu übernehmen, deshalb stellte ich auch keine gezielten Fragen. Er brachte mir immerhin so viel Vertrauen entgegen, dass er zu mir gekommen war, und er brauchte einen Menschen, der ihm zuhörte. Das mindeste, was ich tun konnte, war, ihn reden zu lassen. Vermutlich hoffte ich unbewusst, dass er die ganze Idee fallenlassen würde, wenn er nur ausführliche genug darüber sprechen und die Sache von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten konnte.
»Haben Sie Fräulein Kraemer als Patientin kennengelernt?«, fragte ich.
»Ja. Sie kam wegen einer harmlosen Zervikal-Wucherung zu mir in die Sprechstunde. Die Sache war nicht ernst, aber lästig. Das war vor drei Jahren. Damals war sie verlobt. Ich untersuchte sie gründlich und entfernte die Wucherung. Sie war nur einen Tag im Krankenhaus.«
»Kennen Sie den Namen des Mannes, der sie heiraten wollte?«
»Nein, den Namen habe ich nie erfahren.«
»Sie deuteten an, ihre Familie spielte eine gewisse Rolle in der Gesellschaft, also muss die Verlobung doch in den Zeitungen gestanden haben, sofern es sich nicht um eine heimliche Affäre handelte?«
»Wahrscheinlich. Damals jedoch... berührte mich das alles nicht.«
»Ab wann hat sie Ihnen denn mehr bedeutet?«
»Sechs Monate später kam sie erneut in meine Sprechstunde. Sie hatte wiederholt Menstruations-Schwierigkeiten. Das war noch harmloser als der Tumor, aber genauso lästig. Wir kamen ins Gespräch. Sie erzählte mir, dass aus ihrer Heirat nichts würde. Im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, dass wir uns beide für Malerei interessierten. Sie malte selbst, und auch ich hatte mich ein wenig darin versucht. Sie war gerade aus Paris zurückgekommen und erzählte mir von ihrer Reise. Schließlich lud ich sie zum Mittagessen ein. Eine Woche darauf verabredeten wir uns im Haus der Kunst und verbrachten dort den ganzen Nachmittag. Bei dieser Gelegenheit hat es mich erwischt. Es kam einfach über mich. Mit ihr war alles so einfach, so unkompliziert. Wir haben nur miteinander geredet, sonst war nichts. Über irgendwelche Bindungen fiel kein Wort. Soweit ich wusste, hatte sie keinerlei Bindungen. In der Folgezeit trafen wir uns gelegentlich zum Essen. Ich spürte, dass ich mich in sie verliebt hatte – aber dieses Gefühl steigerte sich allmählich und behutsam, so wie man sich in ein Gemälde verlieben kann.«
Er brach ab und vergrub das Gesicht in beiden Händen.
»Mein Gott!«, stöhnte er. »Entschuldigen Sie – aber ich muss einfach darüber reden...«
»Ich verstehe schon. Sagen Sie – als Sie Fräulein Kraemer zum ersten Mal sahen und sie untersuchten...«
Jetzt brach ich mitten im Satz ab, doch ich hatte ihn falsch eingeschätzt. Was die berufliche Seite anging, blieb er ganz sachlich. Wahrscheinlich lernt man das mit der Zeit.
»Was meinen Sie?«, fragte er.
»Nun, ihr Gesamtzustand... War alles in Ordnung? Keine Anzeichen früherer Krankheiten oder falscher Behandlungen?«
»Nein, ihr Gesundheitszustand war ausgezeichnet. Ich stellte ihr die Routinefrage, ob sie schon einmal verheiratet gewesen sei. Das ist so eine berufliche Beschönigung. Sie verneinte. Die Untersuchung ergab, dass sie noch unberührt war.«
»Schön; danach haben Sie sich drei Monate lang immer wieder getroffen?«
»Ja. Ab und zu habe ich ihr kleine Geschenke gemacht. Wir gingen gemeinsam zu Auktionen und Verkaufsausstellungen. Im Laufe der Zeit habe ich für sie drei Bilder gekauft: einen Gauguin, einen Dalí und einen Renoir, kleine Bilder, nicht sehr teuer. Sie hat die Geschenke mit derselben unbeschwerten Freude angenommen wie das Leben selbst, ohne Zieren und ohne sich verpflichtet zu fühlen.«
Ich wartete.
Nach einer Weile sprach er weiter. »Dann brachen wir miteinander – weil ich mich nicht länger beherrschen konnte. Ich musste es ihr sagen. Wir gingen zum ersten Mal zum Abendessen aus. Ich liebe dich, enthüllte ich ihr. Sie nahm es auf ihre gewohnt ruhige Art auf, antwortete aber: Das schmeichelt mir, aber ich liebe dich nicht. Ich mag dich sehr gern, und ich bin gern mit dir beisammen. Dann brachte sie mich zu einer von diesen seltsamen Zusagen. Wenn’s mir schwer fiele, dann sollten wir uns lieber nicht mehr treffen, meinte sie. Aber jetzt konnte ich erst recht nicht ohne sie sein! Ich war verzweifelt und wünschte mir nur, dass alles wieder werden sollte wie vorher. Ich wollte sie nur sehen, ohne etwas von ihr zu verlangen.«
»Sie fühlten sich nicht zurückgestoßen? Weil Sie ihr Aufmerksamkeiten erwiesen und Geschenke gemacht hatten?«
»Nein, nein! Sehen Sie – es ging ja nicht darum, dass ich einfach eine Frau gebraucht hätte. Ich wollte in ihrer Nähe sein und war bereit, auf alle ihre Bedingungen einzugehen.«
»Sie haben sich dann wieder gesehen?«
»Ja, nach ein paar Wochen fingen wir dort wieder an, wo wir aufgehört hatten. Aber nun war sie nicht mehr so ungezwungen wie zuvor. Sie war so lieb und so weiblich, dass ich nie eine Frage stellte. Mit meiner Ehe stimmte es seit einiger Zeit schon nicht mehr. Dass ich so viel mit Hanny beschäftigt war, war in dieser Hinsicht natürlich nicht gerade günstig...« Er hüstelte und entschuldigte sich, als hätte allein der Gedanke an Hanny sein Halsleiden wieder heraufbeschworen. »Hanny kann nichts dafür, dass meine Ehe in die Brüche ging.«
Natürlich nicht, dachte ich. Aber trotzdem spielte sie dabei eine Rolle.
»Hat Ihre Frau jemals etwas von Ihrer Affäre mit Hanny erfahren?«, fragte ich.
»Das bezweifle ich. Wir haben uns stets ausgesprochen diskret verhalten. Wenn wir zusammen waren, dann hielten wir uns von unseren Freunden fern. Alles sollte sauber und unbefleckt bleiben.«
Sauber und unbefleckt. Dafür ist die Badewanne praktisch. Man kann alles fortspülen...
Ich stand auf und trat ans Fenster. Draußen gab es nichts zu sehen; dann ging eine Frau im Nerzmantel mit einem schwarzen Pudel vorbei. Der Hund hatte eine rosa Schleife im Haar.
Was soll ich mit ihm nur anfangen?, überlegte ich.
»Wann haben Sie eigentlich zuletzt etwas gegessen?«, fragte ich.
Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und schüttelte den Kopf. »Weiß nicht – heute jedenfalls noch nicht.«
»Dann wird’s aber höchste Zeit.«
»Ich könnte ohnehin keinen Bissen hinunterbringen.«
Ich wurde ein wenig ungeduldig. »Wollen Sie’s nicht wenigstens versuchen?«
Mein Ton rüttelte ihn auf. »Schön, wie Sie wollen«, murmelte er.
Junge, Junge!, dachte ich. Bei allem Respekt für den Verlust, den du erlitten hast – jetzt müssen wir dich aber bald ein wenig zusammenflicken!
Ich nahm ihn mit in Tonis Kneipe auf der anderen Straßenseite. Dort bekommt man hervorragende Leberkässemmeln, und die Serviererinnen haben die angenehme Eigenschaft, je nach Bedarf zu plaudern oder auch den Schnabel zu halten. Heute, am Sonntagnachmittag, hatte eine junge Griechin namens Pauline Dienst. Sie ließ mich nicht im Stich. Aus meiner Stimmung las sie deutlich die Bitte heraus: Um Himmels willen, sag' etwas!
»Ich werde wieder heiraten«, erzählte sie, während sie die Teller auflegte. »Das heißt – falls der Kerl nicht kneift.«
»Wer ist der Kerl denn?«, fragte ich.
»Ein Barmixer namens Franz. Eigentlich mag ich ihn nicht besonders, aber er ist wenigstens solide. Trinkt und spielt nicht, und wenn nicht im Dienst ist, dann sitzt er am liebsten zu Hause. Behauptet er.«
»Warum sollte er dann kneifen?«
»Na ja... Was möchten Sie denn?«
»Für mich eine Leberkässemmel und ein Bier. Der Doktor bekommt...«
»...dasselbe«, sagte er. »Vorher bitte einen doppelten Whisky mit Eis.«
»Gern.«
»Haben Sie morgen frei?«, fragte ich ihn.
»Nein«, antwortete er. »Aber es stehen wenigstens keine Operationen und keine Entbindungen auf dem Plan.«
»Na, mir soll’s recht sein.«
Pauline brachte uns den Whisky und zwei Gläser Bier.
»Warum er vielleicht kneift? – Nun, er hat einen Sportwagen. Muss ein richtiger Traumwagen sein. Er ist ganz verliebt in die Kiste. Aber ich hasse Sportwagen. Ich mag sie schon nicht ansehen, geschweige denn darin fahren. Natürlich möchte ich ihn nicht veranlassen, sich davon zu trennen, jedenfalls nicht sofort. Aber er weiß zufällig, wie ich dazu stehe. Manchmal macht er so ein komisches Gesicht – wissen Sie, wie ein Mensch, der in seinen Hund verliebt ist. Wenn du mich liebst, Baby, dann lieb mich mitsamt dem Wagen – oder gar nicht! Ich hasse die lausige Karre.«
Dr. Schwarzburg wurde zum ersten Mal auf sie aufmerksam. »Wenn Sie ihn nicht mögen und den Wagen hassen – warum wollen Sie ihn dann überhaupt heiraten?«, fragte er.
Sie lehnte sich an die Wand der Nische. Ihre Augen bekamen einen träumerischen Ausdruck.
»Sehen Sie – das ist so«, sagte sie. »Vorher war ich mit diesem Stoffel verheiratet, einem Griechen. Das soll nicht heißen, dass er nicht für mich gesorgt hätte – aber er hatte eben die Angewohnheiten eines Stoffels. War eine ausgesprochene Ratte! Franz ist Deutscher, ein waschechter Bayer. Dadurch steigt mein Ruf. Darum!«
»Aha«, murmelte Dr. Schwarzburg.
Gleich darauf erschien sie mit den Leberkässemmeln.
»Sind Sie ein richtiger Doktor?«, fragte sie. »Ich meine, ein Mediziner?«
»Ja.«
»Welche – äh – Branche?«
»Ich bin auf Frauenkrankheiten und Geburtshilfe spezialisiert«, verdeutlichte er.
»Ach so. Gute Kombination, wie?«
»Zweifellos. Womit haben Sie denn Sorgen?«
»Ich? Nee, in dieser Richtung hab’ ich keine Sorgen.«
Sie zog sich hinter die Bar zurück.
»Ich habe eine Patientin, auch eine Kellnerin«, erzählte mir Dr. Schwarzburg. »Meine Lieblingspatientin. Sechs Kinder hat sie schon, und das siebente ist unterwegs. Letzten Monat kam sie zu mir, legte sich hin und sagte: Langsam wird’s mir lästig, Doktor. Was kann man nur dagegen tun? Ich nannte ihr das einzige sichere Mittel. Sie meinen, Sie können das machen, Doktor? Wie bei einem Hund oder so?, fragte sie. Ich sagte, das ginge, aber ich täte es ungern. Das will ich auch hoffen!, sagte sie. Sehen Sie, schließlich kann ja dem einen Mann etwas zustoßen, und dann krieg’ ich einen anderen und überleg’s mir vielleicht wieder anders. – Genau, erwiderte ich. Inzwischen habe ich erfahren, dass sie sich damit abgefunden hat. Sie wird das Kind bekommen und vermutlich noch ein paar dazu, ehe sie damit aufhört.«
Es freute mich, dass er über etwas anderes als nur über seine verlorene Liebe redete. Pauline kam mit zwei frischen Gläsern Bier. Dr. Schwarzburg hob ihr das leere Whiskyglas entgegen, stellte es dann aber wieder kopfschüttelnd auf den Tisch.
Pauline blieb abwartend stehen. »Darf ich Sie mal was fragen, Herr Doktor?«
»Ja, freilich.«
Sie warf mir einen Blick zu. Ich nahm meine Semmel und das Bierglas und stand auf.
»Gut, aber vergessen Sie mich nicht – wenn Sie weggehen sollten, ja?«
Dr. Schwarzburg nickte. Pauline setzte sich ihm gegenüber in die Nische. Ich trug meine Semmel bis ans andere Ende der Bar und unterhielt mich mit ein paar Männern aus der Nachbarschaft, die mit Tonis Hilfe hier ihren Katzenjammer pflegten. Nach ungefähr fünf Minuten trat Pauline hinter mich und tippte mir auf die Schulter.
»Sie können sich wieder zum Doktor setzen. Vielen Dank.«
Ich rutschte vom Barhocker. »Gut.«
»Sagen Sie: Ist er wirklich ein richtiger Doktor?«
»Selbstverständlich.«
»Besten Dank!«
Ich kehrte zu unserer Nische zurück. Dr. Schwarzburg hatte sein Bier ausgetrunken und starrte tiefsinnig ins leere Glas.
»Noch eins?«, fragte ich.
»Nein, ich nehme mir eine Flasche mit nach Hause.«
Nach Hause? Wohin denn?, dachte ich in plötzlichem Schrecken. Er schien Gedanken lesen zu können.
»Hören Sie – vielleicht klingt das komisch und kindisch –, aber könnten Sie mich für diese eine Nacht bei sich aufnehmen? Ich hab’ gesehen, dass Sie eine Couch im Büro...«
»Hm...«
»Ich weiß, dass es verdammt komisch klingt. Aber ich fühle mich wirklich nicht wohl. Wenn ich jetzt allein nach Hause gehe – trinke, nachdenke, grüble... Ich hab’ so viele Mittelchen zur Hand, mit denen ich mich ziemlich schmerzlos...«
»Verstehe«, murmelte ich.
»Selbstverständlich werde ich Ihnen die aufgewendete Zeit bezahlen. Auch die Unterkunft.«
»Darüber unterhalten wir uns später. Wenn Ihnen die Couch genügt, bitte sehr.«
»Das ist mir eine große Hilfe.«
»Und morgen Nacht?«, fragte ich. »Und die übernächste Nacht?«
»Immer schön ein Tag nach dem anderen. Erst diese Nacht, dann die nächste. Eine Stunde nach der anderen.«
»Na gut.«
Er wollte mich nicht bezahlen lassen. Im Hinausgehen kaufte er noch eine Flasche Whisky, die wir mit in mein Büro in der Barlowstraße nahmen. Es war ungefähr halb sechs und wurde schon langsam dunkel. Er trank ein paar kräftige Schlucke aus der Flasche. Ich fragte mich schon, ob ich jetzt die ganze Nacht wachbleiben und aufpassen musste, dass er nicht Hand an sich legte.
»Sie müssten sich doch eigentlich mit Gewalt auskennen«, meinte er unvermittelt.
Ich war verblüfft und fand nicht so schnell eine Antwort. Außerdem hatte ich seine Frage nicht recht verstanden.