Mädelsache! - Andrea Röpke - E-Book

Mädelsache! E-Book

Andrea Röpke

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Beschreibung

Seit einigen Jahren treten Frauen in der männerdominierten neonazistischen Bewegung zunehmend selbstbewusster auf. Sie kandidieren für die NPD, organisieren Demonstrationen, führen Kassenbücher und kümmern sich um die Erziehung des rechten Nachwuchses. Vor allem aber sind sie bestrebt, rechtsradikale Politik unter dem Deckmantel von sozialen Themen wie Naturheilkunde, Ökologie, Kindergeld und Hartz IV auf kommunaler Ebene zu verankern.
Gestützt auf Insiderinformationen geben die beiden ausgewiesenen Kenner des rechtsextremen Milieus Andrea Röpke und Andreas Speit in spannenden Reportagen einen Einblick in das Innenleben dieser Szene. Sie schildern, wo völkische »Sippen« bereits Vereine, Elternräte oder Nachbarschaften prägen, fragen, warum Politik und Verfassungsschutzbehörden diesem gefährlichen Treiben tatenlos zuschauen, und zeigen Strategien gegen die rechtsradikale Unterwanderung der Gesellschaft auf.

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Seitenzahl: 364

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Andrea Röpke / Andreas Speit

Mädelsache!

Frauen in der Neonazi-Szene

Unter Mitarbeit von Maik Baumgärtner

Ch. Links Verlag, Berlin

Die mit einem * gekennzeichneten Namen sind Pseudonyme oder bewusste Anonymisierungen von Personen.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage 2012 (entspricht der 3. Druck-Auflage von 2011)

© Christoph Links Verlag GmbH, 2011

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

www.christoph-links-verlag.de; [email protected]

Umschlaggestaltung: Burkhard Neie, www.blackpen.xix-berlin.de

Druck und Bindung: Druckerei F. Pustet, Regensburg

eISBN: 978-3-86284-112-7

Inhalt

Vorwort zur dritten Auflage

Das neonazistische Terrornetz – Militanz und Ideologie: Als junges Mädchen in den Untergrund – Die Geschichte der Beate Zschäpe

Einleitung

Die NPD und die Frauen: Wahlkampfauftakt in Berlin – Weibliche Vielfalt in der extrem rechten Szene – Bürgernah und radikal

An der Seite der NPD – der Ring Nationaler Frauen (RNF)

Gitta Schüßler: Abgeordnete in der sächsischen NPD-Landtagsfraktion – Rechtsruck auch bei den Frauen – Gründung des RNF 2006 – Strategiewechsel der NPD – Kommunaler Unterbau durch aktive Frauen – Landtagskandidatin Heidrun Walde aus Sachsen-Anhalt – Streit beim RNF – Neue RNF-Chefin Edda Schmidt – Bundeskongress 2010 – Feindbild Feminismus

»Front der Frauen« – die Gemeinschaft Deutscher Frauen (GDF)

Ricarda Riefling: junge Multifunktionärin der Szene – Ideologische Ziele der Gemeinschaft Deutscher Frauen – SkingirlfrontDeutschland und Skingirl FreundeskreisDeutschland – Die GDF in Berlin und Brandenburg – Frauen mit Doppelleben – Soldatische Kindererziehung und nationalsozialistische Ideologie bei der HeimattreuenDeutschenJugend – Schaffung einer »Nationalen Gegenkultur« – Ein Ausflug der NPD-Oberweser

Gangstyle und Brauchtum – Frauen bei »Freien Kräften« und »AutonomenNationalisten«

Aussteigerinnen aus dem Spektrum der »Freien Kameradschaften« – »Autonome Nationalisten« – Die Mädelgruppe der KameradschaftTor Berlin – Der Frontbann 24 und seine Anführerin – Rückblick: Frauen im »Freien Widerstand« – ArbeitskreisMädelschar, Düütsche Deerns, Leineleefken und andere – Brauchtum und »Heimatschutz« – Skingirls in Thüringen

»Die Idee ist unzerstörbar« – Frauen in braunen Netzwerken

»Trauermarsch« in Bad Nenndorf – Ursula Haverbeck: Holocaust-Leugnerin und Hitler-Verehrerin – Hilfsorganisation fürnationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. und Deutsches Rechtsbüro – Rechte Täterinnen und Musikerinnen – Frauen gegen Homosexuelle und »Kinderschänder« – CollegiumHumanum und »Umwelt & Aktiv«

Nationale »Sippen« – Heidnisch-völkische Siedlungsprojekte

Artglaube und deutsche Scholle – Völkische Siedler in Mecklenburg – Lalendorf und das umtriebige Ehepaar Müller – Die Frauen der NPD vor Ort – Ein Dorf in Angst – Rechte Unternehmerinnen – Schlesien-Fans zur Tarnung – Die Netzwerke von Sturmvogel und Artamanen – Nationale Graswurzelarbeit

»Das lässt sich eben nicht trennen« – Vom Umgang mit rechten Frauen

Rechte Frauen in Kindergarten, Schule, Sportverein – Arbeitsrechtliche Maßnahmen – Rechte »Selbsthilfegruppe« Jeanne D. – Zivilcourage gegen Rechts – Berichten oder Nichtberichten? – Die Notwendigkeit der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements vor Ort

Anhang

Literaturverzeichnis

Personenregister

Danksagung

Zu den Autoren

Vorwort zur dritten Auflage

Das neonazistische Terrornetz – Militanz und Ideologie: Als junges Mädchen in den Untergrund – Die Geschichte der Beate Zschäpe

»Ich bin die, die Sie suchen«, sagt Beate Zschäpe zu den erstaunten Beamten. Am Montag, dem 7. November 2011, taucht die Neonazistin nach 13 Jahren im Untergrund auf. In ihrer thüringischen Heimatstadt Jena, wo sich die jetzt 36-Jährige bereits in der Jugend der rechtsextremen Szene zuwendete, stellt sie sich auf der Polizeiwache. Drei Tage zuvor waren ihre Kameraden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, mit denen sie das Leben in der Illegalität geführt hatte, nach einem Banküberfall in Eisenach erschossen aufgefunden worden. Danach folgen Schlag auf Schlag Enthüllungen über eine braune Terrorzelle, die das ganze Land wochenlang in Atem halten. Die zwei Männer und eine Frau stehen im Zentrum der Ermittlungen. Denn Beate Zschäpe gehört zu dieser Untergrundtruppe, die sich den Namen Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gab und vermutlich mindestens zehn Menschen geplant ermordete sowie mehrere Sprengstoffanschläge und 14 Banküberfälle verübte. »Es ist durchaus denkbar, dass der Gruppe noch weitere Straftaten zuzurechnen sind«, räumt Generalbundesanwalt Harald Range in Karlsruhe auf einer Pressekonferenz am 1. Dezember 2011 ein. Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, muss beim selben Pressetermin eingestehen: »Noch gibt es zahlreiche Lücken.« Bis zu jenem Tag schweigt die Frau mit dem Puppengesicht, der Brille und den langen, dunkel gelockten Haaren. Der Presse gibt sie Rätsel auf. Die einen machen sie als »gefährliche Mitläuferin« aus, für die »Bild-Zeitung« ist sie ein »heißer Feger«. Bald werden gängige Klischees von der vermeintlich friedliebenden Weiblichkeit und der unpolitischen Frau vermischt. Lässt die Militanz einer Frau wie Beate Zschäpe sich nicht leugnen, gilt sie schnell als sexuelles Anhängsel. Die rechte Täterin wird als »Nazi-Braut« verharmlost. Denn einer jungen Frau werden politisch motivierte Verbrechen kaum zugetraut. Die 182 seit der Wende mit neonazistischem Hintergrund ermordeten Menschen fielen männlichem Hass zum Opfer. Braune Gewalt hat ein männliches Antlitz – so die öffentliche Wahrnehmung.

Bis 2003 prangte Beate Zschäpes Foto auf Fahndungsplakaten. Als »Bombenbastler von Jena« wurden sie und ihre beiden Kameraden gesucht. 2011 geht es um mehr, es geht um kalkulierte Gewalt, geplant und verübt von Neonazis. Seit Anfang November ziert das schüchtern wirkende Lächeln dieser undurchsichtigen jungen Frau unzählige Medienberichte.

Am Morgen des 4. November 2011, einem Freitag, überfielen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kurz nach der Öffnung eine Sparkassenfiliale in Eisenach. Nachdem sie das Geld erbeutet hatten, flohen die beiden mit dem Fahrrad zu ihrem nur ein paar Straßen weiter parkenden Wohnmobil. Doch anstatt wegzufahren, blieben die Männer vor Ort. Misstrauische Anwohner informierten die Polizei. Als zwei uniformierte Beamte anrückten, hörten sie Schüsse aus dem weißen Fahrzeug, aus dem kurze Zeit darauf Flammen schossen. Der Generalbundesanwalt erklärte später, Mundlos habe zunächst Böhnhardt erschossen, dann das Wageninnere angezündet und sich selbst gerichtet. Ein letzter Anruf soll noch an Beate Zschäpe gegangen sein. Nur wenige Stunden später läuft sie mit ihren zwei Katzen von der gemeinsamen Wohnadresse in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau zu einem Eckhaus, klingelt bei den Nachbarn, bittet deren Tochter, die Katzen zu beaufsichtigen. Qualm dringt da schon aus der 120 Quadratmeter großen Wohnung des Trios. Zschäpe sagt der besorgten Nachbarstochter, sie hätte die Polizei bereits informiert – und verschwindet. Keine fünf Minuten später explodiert das Obergeschoss ihres Hauses. Brandbeschleuniger wurden gelegt. Als Täterin gilt die 1,60 Meter kleine Frau, die immer schwarze oder rote Kleidung trug. Sie wollte Spuren beseitigen, aber ihre Haustiere sollten nicht sterben. Das halbe Haus wurde weggesprengt, Verletzte gab es allerdings nicht.

Fast ein Wunder, heißt es aus Ermittlungskreisen. »Eine kaltblütige Täterin«, schimpft ein Mann aus Zwickau gegenüber der lokalen Presse. Seine 89-jährige Tante, die in der anderen Hälfte des Doppelhauses wohnt, konnte von Verwandten gerettet werden. Bis zu dem Tag galten Zschäpe, der 38-jährige Mundlos und der 34-jährige Böhnhardt in dem Stadtteil als nette Nachbarn. Seit 2008 wohnten sie dort. Zuvor hatte Zschäpe jahrelang eine Wohnung in der Polenzstraße in Zwickau angemietet.

Dass die Männer stets schwarze Kleidung trugen und Rucksäcke dabei hatten, kommt Anwohnern im Nachhinein irgendwie auffällig vor. Manche Nachbarn glaubten, Mundlos und Zschäpe wären ein Paar und Böhnhardt der Bruder von Zschäpe. Das Trio ließ sie in dem Glauben. Nett und freundlich scheint vor allem Zschäpe, geborene Apel, in der Straße aufgetreten zu ein. Für die Nachbarn war sie Susann Dienelt. Andere Namen, Mandy Struck, Silvia Pohl, Susann Eminger oder Lisa Pohl, nutzte sie auch, um unerkannt zu bleiben. Einige der Identitäten lieh sie sich von existierenden Kameradinnen. Es fiel nicht auf. In der Frühlingsstraße erzählen Anwohner: »Die hat keine rechten Sachen getragen« und »Sie machte einen ganz normalen Eindruck.« Ihre radikale Gesinnung haben weder die Frau noch die Männer des Trios durchscheinen lassen. Als recht nett, etwas kumpelhaft und dennoch leicht zurückhaltend wird die gelernte Gärtnerin Beate Zschäpe beschrieben.

Die Tarnung war offensichtlich perfekt. Während Zschäpe die unauffällige Frau von nebenan spielte, waren bereits acht mittelständische türkische Unternehmer sowie der griechische Mitinhaber eines Schlüsseldienstes mit einer Ceska, Kaliber 7 Millimeter, regelrecht hingerichtet worden. Keine Spur führte nach Zwickau. Später würde sich in den Trümmern des Hauses in der Frühlingsstraße auch die Tatwaffe zum Mord an einer jungen Polizistin 2007 in Heilbronn finden. Das Trio hortete ein regelrechtes Waffenarsenal. Dank zahlreicher Banküberfälle scheinen sie sich ein luxuriöses Leben geleistet zu haben. Sie richteten ein Fitnessstudio ein und verbrachten mehrwöchige Urlaube auf Sylt oder Fehmarn. In der Dorotheenklause, ein paar Straßen weiter, kam die junge Frau gelegentlich auf ein Bier vorbei. Zschäpe erzählte den Nachbarn, sie arbeite von zu Hause aus. Die wunderten sich schon mal über die teuren, oft wechselnden Mietwagen oder Wohnmobile, fragten aber nicht nach.

Am 4. November bietet sich den Ermittlern im biederen Wohngebiet der sächsischen Stadt Zwickau ein Trümmerfeld. Das Gelände um die Wohnung von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos in Zwickau wird abgesperrt. In Schutt und Asche findet sich erdrückendes Beweismaterial. Stück für Stück wird offenbar, wie akribisch die Morde vorbereitet wurden. Einen Monat später ist immer noch ungeklärt, welche Rolle Beate Zschäpe genau innerhalb dieser mörderischen braunen Untergrundzelle spielte. Hat sie die Morde, Banküberfälle und Sprengstoffanschläge nur gedeckt, trieb sie die Kameraden womöglich ideologisch an, oder war sie sogar beteiligt?

Im Kölner Hochsicherheitsgefängnis Ossendorf sitzt Zschäpe in strenger Einzelhaft. Schon im Chemnitzer Frauengefängnis, wo sie zuerst einsaß, schwieg sie zu den Taten. Jetzt vertreten zwei Anwälte ihre Interessen, auch die Kronzeugenregelung wurde ihr aus rechtlichen Gründen zunächst angeboten. Die männlichen Täter sind tot. Potentielle Unterstützer werden nach und nach observiert und verhaftet. Auch junge Frauen unterstützten die Zelle, sie liehen Zschäpe vermutlich Ausweispapiere und Bahncards. Verhaftet wurde bisher keine von ihnen.

Zschäpe schweigt nur scheinbar. Denn kurz bevor sie sich in Jena der Polizei freiwillig stellt, soll die Frau, die als Gründungsmitglied der rechtsterroristischen NSU gilt, noch letzte erschütternde Statements ihrer Gruppe zur Post gebracht haben. Sie hätte es auch sein lassen können, alles ist vorüber. Aber nun scheint sie die Taten bewusst öffentlich machen zu wollen. Nach den derzeitigen Ermittlungen sieht es so aus, als wenn die letzte Überlebende der Kerntruppe bis zum Schluss zur »Sache« steht und das bekunden wollte.

Einen Tag nachdem ihre engsten Komplizen Anfang November in dem Wohnmobil in Eisenach sterben, ruft Zschäpe nicht nur die Eltern von Mundlos und die Mutter von Böhnhardt an, um ihnen die Nachricht von deren Tod zu überbringen. Sie verschickt auch eine vorbereitete, selbst hergestellte DVD mit einem 15-minütigen Film. Darin führt die Comic-Figur »Paulchen Panther« zu den Schauplätzen der Morde der NSU. Die Täter verhöhnen mit der Stimme von Paulchen Panther und dessen »Witz« ihre Opfer: den Blumenhändler Enver Simsek, den Schneider Abdurrahim Özüdogru, den Obsthändler Süleyman Tasköprü, den Gemüseverkäufer Habil Kilic, den Dönerverkäufer Yunis Turgut, den Betreiber eines Schlüsseldienstes Theodorous Boulgarides, den Dönerverkäufer Ismail Yazar, den Mitarbeiter eines Internetcafés Halit Yozgat und die Polizistin Michèle Kiesewetter. Bilder von Tatorten, Comic-Zeichnungen und Fotos von den Opfern wechseln sich ab. »Der Nationalsozialistische Untergrund ist ein Netzwerk von Kameraden mit dem Grundssatz ›Taten statt Worte‹«, ist zu lesen, und: »Solange sich keine grundlegenden Änderungen in Politik, Presse und Meinungsfreiheit vollziehen, werden die Aktivitäten weitergeführt.«

Über ein Jahrzehnt tappte die Polizei im Dunkeln. Zahlreiche Ermittler unterschiedlicher Dienststellen bundesweit recherchierten wegen der Morde in falsche Richtungen. Es ging sogar soweit, dass die Familien der Opfer ins Visier gerieten, ein rechtsextremer Tathintergrund aber völlig außer Acht blieb. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) räumt ein, dass »einige Behörden kläglich versagt« haben, und der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz Heinz Fromm bekennt, die Mordserie sei »eine Niederlage für die Sicherheitsbehörden«.

Eine Niederlage mit tödlichen Folgen, die bereits 1998 ihren Anfang nahm. Denn am 26. Januar des Jahres durchsuchten Polizeikräfte in Jena die Wohnung von Uwe Böhnhardt und das Kinderzimmer von Beate Zschäpe bei ihrer Mutter. Der Verdacht: die Herstellung von Rohrbomben. Am 13. April 1996 hatte die Polizei an einer Autobahnbrücke bei Jena einen aufgehängten Puppentorso gefunden, auf dessen Vorder- und Rückseite jeweils ein gelber Davidstern mit der Aufschrift »Jude« zu sehen war. Der Torso war mit zwei Elektrokabeln an einer Bombenattrappe auf der Brücke verbunden. Auf dem Theaterplatz der Stadt wurde über ein Jahr später, am 2. September 1997, ein rot bemalter Koffer mit einem schwarzen Hakenkreuz aufgefunden. Im Koffer ein Metallrohr mit etwa zehn Gramm TNT. Am 26. Dezember desselben Jahres entdeckten Spaziergänger auf dem Jenaer Nordfriedhof erneut einen roten Koffer mit schwarzem Hakenkreuz. Zwischen 24. November und 1. Dezember 1997 hatten Behörden bereits den Jenaer Neonazi Böhnhardt observiert, auch dessen enge Verbindung zu Mundlos und Zschäpe festgestellt. Bekannt war ebenso, dass die junge Rechtsextreme, die zunächst zur Kameradschaft Jena, danach zum Thüringer Heimatschutz (THS) zählte, eine Garage im Stadtteil Burgau angemietet hatte. Bei den Durchsuchungen wurden die Beamten fündig: Vier vorbereitete Rohrbomben, 1,4 Kilogramm TNT und diverses Propagandamaterial wurden sichergestellt. Entgegen möglicher Erwartungen wurden die drei Verdächtigen nicht festgenommen. Dabei war Böhnhardt bereits wegen Volksverhetzung verurteilt. Ungehindert setzte der sich, nachdem Beamte ihm die Durchsuchungsmaßnahme eröffnet hatten, in seinen Wagen und fuhr davon. Erst zwei Tage nach der Razzia am 26. Januar erließ die Staatsanwaltschaft Gera Haftbefehle gegen die drei »Bombenbastler«. Da waren Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe schon abgetaucht.

Bereits 1992 war Beate Zschäpe mit Uwe Mundlos befreundet. Der Professorensohn dachte da schon weit rechts. Im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla lebte Zschäpe damals mit ihrer Mutter. Gelegentlich ließ sie in der Kaufhalle kleinere Dinge mitgehen. Dann verurteilte ein Richter sie zu Arbeitsstunden wegen Körperverletzung. Mit dem »Winzer-Clan«, einer rechten Gruppe aus der Siedlung, zog sie um die Häuser, griff immer wieder nichtrechte Jugendliche an. Böhnhardt kam erst später zum gefürchteten »Clan«. Zwischen den beiden Männern soll die junge Frau emotional hin und her gerissen gewesen sein. Die Freundschaft der drei litt darunter nicht. Auch in ihrer Gesinnung waren sie vereint. Schnell galten sie als unzertrennlich, schlossen sich gemeinsam dem neonazistischen Thüringer Heimatschutz an. Böhnhardt und Mundlos wurden stellvertretende Leiter der Sektion. In punkto Aggressivität stand die junge Frau den beiden Männern in nichts nach, erinnert sich Katharina König aus Jena, thüringische Landtagsabgeordnete von Die Linke. Seit ihrem 15. Lebensjahr engagiert sie sich bei der »Jungen Gemeinde«. Sie war eines der »Hassobjekte« der militant auftretenden Neonazi-Szene. Mitte der 1990er Jahre, berichtet König, sei Zschäpe an einem Angriff auf die kirchliche Einrichtung beteiligt gewesen. Bei der Auseinandersetzung um einen Weihnachtsmarkt soll Zschäpe dann mehrmals auf ein Mädchen eingetreten haben, so dass es im Krankenhaus behandelt werden musste.

»Beate Zschäpe wollte die Erste unter den wenigen Kameradschaftsfrauen sein«, erzählt ein früherer Bekannter des Trios aus der thüringischen Universitätsstadt. Mundlos stand kurz vor dem Abitur, wollte studieren. Zschäpe fand nach der Lehre keine Anstellung. Schon damals schien ihr Verhalten ambivalent. Sie gab sich radikal, schlug auch zu, trug aber immer unauffällige Kleidung, keine Szenekennzeichen. »Bei politischen Diskussionen hielt sich Beate Zschäpe immer zurück«, behauptet der ehemalige Neonazi-Anführer Tino Brandt aus Rudolstadt. Gemeinsam mit den Jenaern machte er den Thüringer Heimatschutz zu einem der größten Netzwerke von militanten Kameradschaften. An die 170 Rechtsextreme waren in einzelnen Sektionen zusammengeschlossen. Einer der Einflussreichsten war André Kapke. Von 1993 bis zu ihrem Untertauchen fünf Jahre später sollen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zu seinem »Freundeskreis« gehört haben, sagte der Neonazi der neu-rechten Wochenzeitung »Junge Freiheit«. Im Interview vom 2. Dezember 2011 berichtet er, der heute dem Umfeld des militanten Freien Netzes zugeordnet wird: »Es gab eine Vereinbarung, wenn jemand etwas machen will, das strafrechtliche Konsequenzen haben könnte, dann sollte er sich gut überlegen, wen er einweiht«, und weiter: »Sicher haben wir uns damals immer mehr radikalisiert.« »Beate«, behauptet er, »war ein offenes und lebensfrohes Mädchen.« Nach deren Flucht will er sie nicht mehr gesehen haben.

2001 kam das Ende des Thüringer Heimatschutzes. In dem Jahr flog Anführer Tino Brandt als V-Mann »Otto« des thüringischen Verfassungsschutzes auf. Da waren die drei »Bombenbastler« bereits im Untergrund, womöglich in Ungarn oder Bulgarien, angeblich für einige Zeit bei einem Sympathisanten in Südafrika. Noch sind die zeitlichen Abläufe nicht völlig geklärt, jedoch offenbart sich ein Unterstützernetzwerk, zu dem auch Frauen zählten. Doch den Schritt in die jahrelange Illegalität dürfte Beate Zschäpe wohl als Einzige aus der extrem rechten Szene gegangen sein. Und alles spricht dafür, dass sie es nicht aus Zuneigung, sondern aus politischer Überzeugung tat.

Drei Tage blieb Zschäpe, gegen die inzwischen ein Verfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung eingeleitet worden war, unentdeckt. Ihre engsten Weggefährten waren tot. Gerüchte, sie sei bei Helfershelfern, machten die Runde. In der Neonazi-Szene soll sie auch während der letzten zehn Jahre bei internen Events aufgetaucht sein. Noch gibt es dafür keine handfesten Beweise.

Eine ganz andere Sorge treibt sowohl den Generalbundesanwalt Harald Range als auch BKA-Präsidenten Jörg Ziercke um: Welche Rolle spielten im Fall der Zwickauer Zelle die Verfassungsschutzbehörden und deren V-Leute? Seit Jahren gab es nicht mehr so laute öffentliche und mediale Kritik an den Inlandsgeheimdiensten. Bereits früh nach dem Untertauchen 1998 wurden mögliche behördlich legitimierte Verstrickungen zum Trio diskutiert. In internen Akten spekulierte das Landeskriminalamt in Thüringen gar, ob einer der drei selbst mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet haben könnte.

Wenig gelassen reagiert auch die NPD auf die Enthüllungen um das Terrornetzwerk aus dem eigenen ideologischen Spektrum. Zu viele ihrer Funktionäre scheinen verstrickt, einer soll gar eine Schusswaffe sowie Munition besorgt haben. Jetzt fallen auch die zahlreichen Waffenfunde, Drohungen und Anschläge aus dem unmittelbaren Umfeld der Neonazi-Partei ins Gewicht. Schließlich hat sich seit dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds in Zwickau auch die Debatte um ein NPD-Verbot beschleunigt. Keine Überraschung also, dass die NPD sich von der NSU und ihrer Mordserie distanziert. Wem gelingt das besser als einer nationalen Vorzeigefrau? Ricarda Riefling gilt in Niedersachsen als Bindeglied zwischen der sich bürgerlich gerierenden Partei und den militanten »Freien Kräften«. Ihr Ehemann war Führungsmitglied des 2000 in der Bundesrepublik verbotenen Terrornetzwerkes Blood & Honour. Als neugewähltes NPD-Vorstandsmitglied erklärte sie dann auch öffentlichkeitswirksam gegenüber dem Berliner »Tagesspiegel«: Zschäpe sei kein Vorbild, sondern eine »Verräterin«. Die junge Neonazistin kennt ihre Aufgaben.

Andrea Röpke, Andreas Speit

Hamburg, im Dezember 2011

Einleitung

Die NPD und die Frauen: Wahlkampfauftakt in Berlin –WeiblicheVielfalt in der extrem rechten Szene – Bürgernahund radikal

Sie stand vorn. Erfreut schaute sie vom Rednerpult herab auf die Gste in der ersten Reihe. Lcheplte und grte still. ffentliche Auftritte sind fr Manuela Tnhardt keine Seltenheit. Selbstsicher wartete sie an diesem 15. Januar 2011, bis sich in der Aula der Max-Taut-Schule im Berliner Stadtteil Lichtenberg alle auf sie konzentrierten. Hatte sie doch die besondere Aufgabe, die Wahlauftaktveranstaltung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) fr das Berliner Abgeordnetenhaus zu erffnen. Als Hausherrin begrte die Berliner NPD-Lokalpolitikerin den eigenen Parteivorstand in der Schule. Kurz rckte die Kulturwissenschaftlerin, Jahrgang 1952, das Mikrophon zurecht und strahlte, whrend sie begann, die Oberen der NPD vorzustellen: Es ist mir eine groe Ehre, den Parteivorsitzenden, Kamerad Udo Voigt, den Kameraden Holger Apfel, den Kameraden Udo Pastrs () zu begren. Unter ihnen war keine Frau. An diesem Samstag, an dem auch die angestrebte Vereinigung mit der Deutschen Volksunion (DVU) gefeiert werden sollte, wrde die gestandene Rechte die einzige weibliche Rednerin sein.

In der NPD sind Frauen und Mdchen aber schon lngst in unterschiedlichen Funktionen aktiv sitzen im Landtag und in Kommunalparlamenten, leiten Vorstnde, planen Kundgebungen und Infostnde oder laden zu Veranstaltungen. Manuela Tnhardt ist eine jener Frauen, die engagiert und souvern fr Volk und Vaterland auftreten. 2007 bernahm sie die Fhrung des damals maroden NPD-Kreisverbandes Lichtenberg. Die Max-Taut-Schule ist der extrem rechten Lokalpolitikerin bestens vertraut, denn hier tagt die Bezirksverordnetenversammlung, deren Mitglied sie fr die NPD seit 2006 ist. In diesen Rumlichkeiten brachte die adrett wirkende NPD-Dame mit gewelltem blonden Haar Antrge fr getrennte Schulklassen fr Deutsche und Auslnder oder fr die Schaffung einer Beauftragten zur Auslnderrckfhrung mit ein. Hier provozierte die Parteifrau genauso wie die NPD-Herren gern bei Sitzungen die Mandatstrger anderer Parteien: Ein groes Problem fr Sie als Demokraten ist sicherlich auch die Erkennbarkeit national Gesinnter. Meine Fraktion kommt ja nun gebildet und gut brgerlich daher. Dumm gelaufen! Und droht: Wenn sich irgendwann das Blatt wenden wird, wette ich, dass ein Teil von Ihnen schon immer fr uns gewesen sein wird. Aber eines verspreche ich Ihnen: Wir vergessen nichts!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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