Madre - Ralph Roger Glöckler - E-Book

Madre E-Book

Ralph Roger Glöckler

0,0

Beschreibung

Ralph Roger Glöcklers Erzählung beruht auf den überlieferten, durch die Kirche zensierten und bisher unveröffentlichten Notizen der Nonne Teresa da Anunciada (1658–1738), die im Kloster "Nossa Senhora da Esperança" in Ponta Delgada auf der Azoreninsel São Miguel lebte und den Kult um die Büste des "Senhor Santo Cristo" begründete. Seit drei Jahrhunderten wird dort ein Fest begangen, das viele Emigranten aus aller Welt heimkehren lässt und zum größten religiösen Ereignis auf dem Archipel der Azoren geworden ist. In den Notizen scheint die Besessenheit der Nonne auf, die Figur des "Senhor Santo Cristo" für sich und andere zum Leben zu erwecken und zu instrumentalisieren – verfasst in der Form eines Bewusstseinsstroms ihrer letzten Lebensstunden, eines Todes-Deliriums, in dem sich Erinnerungsbilder entfalten und Wahrnehmungsebenen verschieben: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verlaufen hier parallel. Teresa da Anunciada wird vor ihrem endgültigen Hinweggleiten in die Zukunft, in die heutige Zeit, versetzt, um den Kult, den sie selbst geschaffen hat, nicht mehr wiederzuerkennen und ihn als Götzendienst zu erfahren … "Madre" bildet zusammen mit den Erzählungen "Corvo" und "Vulkanische Reise" Glöcklers Azoren-Trilogie.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 188

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis
Titelseite
Impressum
Kapitel 1 - mich Liebster
Kapitel 2 - sitzen zu Tisch
Kapitel 3 - wirst mich
Kapitel 4 - ächzte
Kapitel 5 - freue mich
Kapitel 6 - Schmerzen geheilt
Kapitel 7 - Frau
Kapitel 8 - nur wüsste
Kapitel 9 - sehe nichts
Kapitel 10 - jetzt
Kapitel 11 - zwänge mich
Nachwort

Ralph Roger Glöckler

Madre

Erzählung

Elfenbein

© 2007 Elfenbein Verlag, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-941184-75-6 (E-Book)

ISBN 978-3-932245-83-1 (Druckausgabe)

für Günter

»Só o amor livre e sem sujeitos existe eternamente...«

Teresa Balté

… mich, Liebster, wird es bald nicht mehr geben, werde, wenn der Tag erwacht, nur noch in der Erinnerung sein und, wenn du es wünschst, aus dem Nichts wirken, dem Nichts, wie sie es nennen, weil wir, weil ich, Teresa da Anun­cia­da, nicht in Worte fassen kann, was mich erwarten wird … ich dein Nichts, aufgeschwollen, verkrustet, Maden in eiternden Wunden, Liebs­ter, alle Worte, die ich dir zuflüstere, atmen Gestank in dein Gesicht, faulige Gase, die deinen, mich betreuenden Bräuten die Besinnung nähmen, würden sie sich nicht wie der Duft meiner Tugenden für sie entfalten, wie berauschendes, das Kloster erfüllendes Aroma blühender Daturen, Lügen, mit denen sich schlich­te See­len betrügen, ja, Liebster, Gestank, der mich ekelt, für den ich mich schämen würde, wäre es nicht Qualm aus den Trümmern dieses Gefängnisses, aus dem ich, wenn es hell wird, zu deinem höherem Lobe befreit sein werde, du mein Alles, sehe dich, wenn ich die Lider öffne, vor mir, sehe in deine liebevollen, braunen Augen, die mir bedeuten, dass alles durch­litten, alles vergeben, dass die Ewigkeit für mich bereitet ist, Liebs­ter, fühle, ja, jetzt kann ich es sagen, wachen die Beichtväter doch nicht mehr über meine Gedanken, fühle deine Lippen, deinen belebenden, mei­ne Wunden besänftigenden Kuss … wenn ich die Augen schließe, sehe ich dein gerahmtes Bild an der Wand gegenüber, erwache für Sekunden zu jener Wirk­lichkeit, in der du, in der wir nur Abbild sind und die Schwestern über mich geneigt darauf warten, mein Ha­bit zu zerschneiden, ­Reliquien, Liebster, Reliquien für alle Fälle, damit wir auch weiterhin, wie sie es nennen, Wunder vollbringen können, ein­fache, sich fügende Din­­ge, höre Scheren- und Messerwetzen, sehe, wie sie in Gedanken an meinem Gewand zerren, an meinen Haaren, an Finger- und Fußnägeln, ja, wenn sie mir die Augen entfernen, die Zunge herausschneiden, mein Herz zerteilen, wenn sie mein Blut in Lappen aufsaugen könnten, einen für jede von ihnen und einige zum Verkaufen … ich, dein Nichts, liege in reinen Tüchern, eine brennende Kerze in der rechten, ein Medaillon der Heiligen Mutter in der linken Hand, würde, wenn ich die Augen schlösse, die Schatten der betenden Schwestern auf den Wänden dieser Zelle sehen, den in wandernden Wolken verlöschenden Mond … diese Zel­le ist, Liebster, nicht meine Zelle, diese Laken nicht mein Lager, meines, auf dem ich sterben wollte, war aus faulendem, blutig verkrustetem Stroh, kantigen Höl­­zern, Wur­zelknoten bereitet, die mich verletzten, meine Wunden nässen, eitern, die mich in Schmerzen mit dir verschmelzen ließen, innige, Liebster, sich im Schoß entzündende Qual – sie haben es weggekarrt, mit Spiritus übergossen, angezündet, ließen meine Liebe grell, krachend fla­ckern, Wind trug die Asche davon – wo sind die Disziplinen, die Wachskugeln voller Glassplitter, wo der treue Freund, mein stachliges Pektoral – in einer Kis­te, siehst du’s, später, auch wenn sie es noch nicht wissen, in ­einer Vitrine, ungereinigt, voll eingetrockneten Martersekrets, ach …

… gehe, so träume ich, in die Kirche hinüber, um einen Strauß weißer, duftender Lilien in einer Vase auf deinen Altar zu stellen, habe es eilig, weil ich in der letzten Zeit nachlässig, in meinem Dienst nicht so aufmerksam gewesen bin, wie es meine Pflicht gewesen wäre, hetze durch den Kreuzgang, auch wenn ich mir verzeihe, mich über meine Leichtsinnigkeit mit Worten hinwegtröste, die du mir gesagt haben könntest, stoße die Tür zum unteren Chorraum auf, halte überrascht inne: eine Prozession bewegt sich langsam, schwer­fällig dahin, Stimmen murmeln Gebete, Seufzer, einzelne gequälte Schreie, die Peitschen der Flagel­lan­ten knallen, zerfetzen die sündige Haut, Blut spritzt auf meine Hände, dann sehe ich den Herrn, der sich, das massige Kreuz auf den Schultern, dahinschleppt, Schritt vor wankendem Schritt, den Blick gesenkt, Aka­ziendornen stecken in der Stirn, Blut rinnt übers Gesicht, über die Brust, die Knochen knarren unter dem Gewicht der Balken, Herr, stoße ich hervor, Herr, Liebs­ter, frage, wer ihm das angetan habe, halte den Atem an, will ihm die Lilien überreichen, als bedürfe es nur dieser Blumen und meines Mitgefühls, ihn zu erlösen, er aber schüttelt den Kopf, sagt, ich solle gehen, geh weiter, hebt den Arm, mich meiner Wege zu weisen, sieht mich finster, feindselig an – als ob ein Pfeil meine Seele durchbohren, in unergründliche Tiefen schießen würde, ja, Herr, verdiene ich doch, von dir verachtet, für meine Sorglosigkeit bestraft zu wer­den, ja, gewiß und nicht nur, sondern für die mir ein­geborenen Fehler … aber warum nimmst du diese Blumen nicht an, schau, diese herrlichen, von dir erschaffenen, Düfte verströmenden Blumen, Lilien, makel­los wie deine Mutter, Liebster, auch wenn ich ­Sünderin nur Verachtung verdiene, Verachtung, wie krie­chen­des, niedriges, übles Getier, werde ich ihn, ob er will oder nicht, mit der Seele suchen, werde diese Blumen auf seinen Altar stellen, Lampen entzünden, auf die Knie sinken, mein Haupt, sollte er es verlangen, auf dem steinernen Boden blutig schlagen und ihn anbeten, ach Herr, verzeih, zwingt mich doch meine Liebe, dir ewig treu zu sein … blickst mich seltsam an, weiß nicht, wie ich den Ausdruck seiner Augen deuten soll, der nicht mehr eisig ist, nein, sondern verständnisvolle, doch mahnende Wärme entfaltet, du öffnest die Arme, ziehst mich he­ran, sinkst schwer auf mich, dringst in mich ein, der Boden gibt nach, ich wanke, muss Halt suchen, mich setzen, um dieser gewaltigen, wer mir nicht treu ist, so du, nulla est redemptio, nein, dieser wuchtigen, ach, wenn ich nur wüsste, wie es zu sagen, um seiner Nähe gewachsen zu sein, nulla est redemptio, Latein, Liebs­ter, verstehe ich nicht … fahre aus dem Traum, das Lager ganz zerwühlt, starre nach Luft ringend auf meinen Schatten an der Wand, nulla est redemptio, den Beichtvater fragen, so er, den Beichtvater, dann weiß ich nichts mehr …

… bin ich ja wieder, lieber Onkel, Bruder Estácio da Anunciada, nachdem ich mich nenne, Ihr faltiges Gesicht verschlossen, der Blick gesenkt, knie im Beichtstuhl, um Ihnen die Sünden zu bekennen, was für ein seltsames Mädchen, mit großen Augen, kräftiger Nase, manchmal eingefallenem, blassem, dann wieder vollem, rosigem Gesicht, nein, schön bin ich nicht, auch wenn meine Züge von adeligem Blut zeugen, verarmtem Adel, was keine Sünde ist, im Gegenteil, macht es das Leben doch härter, den Kampf um eine Klausur schwieriger, wer würde die Mitgift bezahlen wollen, wenn nicht eine gütige, verwandte, eine beschwatzbare Seele, Adel, verarmt, ja, aber Gott geneigter und dieser uns, Mutter, der Schwester Joana und mir … knie also neben Ihnen, um meine Schuld zu bekennen, eine unaussprechliche, nicht zu benennende Sündhaftigkeit, suche mit Worten nach einem Makel, der mir, der uns, ich fühle es, anhaften muss, bekenne kleine, alltägliche Verfehlungen, ja, wie gestern, als meine Gedanken in der Messe abschweiften, Verfehlungen, die mir Angst machen und dennoch nicht bedeuten, was sie zu bedeuten scheinen … Vater war schon tot, als ich geboren wurde, noch ein Kind mehr, wird er gedacht haben, das letzte, dreizehnte, wollte gar nicht wissen, ob ich Junge oder Mädchen war, hatte genug, aber was rede ich da, war er doch, wie Mutter sagte, ein kranker, von Schulden gebrochener Mann, dem Gott in seiner Güte, nachdem er Vieh und Äcker verkauft hatte, endlich Ruhe und uns ein karges, ihm geweihtes Leben schenkte, könnte ich gar nicht sagen, wovon wir uns ernährten, dem wenigen, wahrscheinlich, was uns verblieben ist … so viele Geschwister, lieber Onkel, Bruder Estácio, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere, außer an Joana’s und einzelner anderer, schalten sie mich doch Mamas Liebling, verwöhnt, eigensinnig, faul, was, nun ja, verletzend, aber nicht ganz abwegig ist, neige ich doch eher dazu Maria, als die arbeit­same Martha zu sein … rutsche auf den Knien um­her, Bruder Estácio, schweife ab, als wäre nichts zu bekennen, und erzähle, was Sie nicht, was niemand wissen will, bin das ungehörige, um Gott buhlende Mädchen, weisen Sie mich also zurecht und sehen nicht nur stumm vor sich hin, als wäre ich gar nicht anwesend … Ja, Mutter, komm, setz dich zu uns, lies Joana und mir vor, wie jeden Abend, damit die Heilige Birgitta uns den Weg durch die Nacht weisen kann, der Onkel Beichtvater hebt den Blick, sieht uns müde an, nickt, bevor er die Lider wieder sinken lässt, als habe er, alt und weise, nichts zu hören, nichts zu sagen, setze dich zu uns, Mutter, dein Atem riecht nach Wassersuppe und Brot, deine Haare wie offenes Küchenfeuer, aber wie sanft deine Hände auf unserem Haar, blättere das Buch auf, wo wir gestern endeten, sprach der Sohn zu seiner Braut, ja, lies mit fester Stimme, so du die Worte nicht frei erinnerst, bist im Haus der Armut gesäugt worden, weilst nun im Haus der Erhobenen, aber leise genug, um müde Kinder nicht aufzuregen, in einem armen Haus gibt es drei Dinge, du machst eine Pause, fleckige Wände, hältst inne, schädlicher Qualm, blickst uns an, Ruß, überall Ruß … du aber wurdest in ein Haus makelloser Schönheit geführt, blickst von den zerlesenen Seiten auf, schließt die Augen, sprichst wie von weit her, wärmende Feuer ohne beißenden Qualm, Wohlsein ohne Bitternis, das Haus der Armut, meine Töchter, ist die Welt, seine Wände aus Stolz, Gottver­gessenheit, Sünde erbaut, Joana und ich erschauern, halten uns fest in den Armen, hören bereits, was später aus Mutters Kammer zu hören sein wird, diese Wände, fährt Mutter fort, beflecken, vernichten gute Werke, verdunkeln Gottes Antlitz, hören, kurz, hart, gedämpftes Knallen, dann Stille, Ächzen, kurzes, hartes … um Mutters Lippen, wir sehen es vor uns, grandiose, auf dem Rücken striemige Gerechtigkeit, Qualm ist irdische Liebe, dann öffnet sie die Augen, weil er die Seele blendet, zu Überflüssigem verführt, Ruß das Vergnügen, hält inne, ihre Lippen zucken, sieht uns seltsam an, fast, lieber Beichtvater, als wäre sie gekränkt, wolle, müsse etwas vor den Töchtern verschweigen, lasst uns beten, sagt sie leise, wie ergeben, faltet die Hände vor der Brust, Herr Jesus Christ, sagen wir wie aus einem Mund, du bist das Haupt aller Menschen und Engel, der König der Könige, der Herr der Herren, dann spricht nur noch sie, wir loben deine leuchtenden Augen, deine geneigten Ohren, deine gesegnete Na­se, die den Gestank der Verräter ertrug, deinen Mund, Lippen, deine dem Schweigen geneigte Zunge, deine sauberen, hellen Zähnen, deinen ehrwürdigen Bart, deine Kehle, Magen, Eingeweide, mit denen du die nötige Kost verdautest, dein königliches Herz, hält kurz den Atem an, erschreckt, als müsse sie sich Birgittas Worten erwehren, Herr, sagt sie tapfer, deine reinen Lenden, das, so sie leise, auf meiner Zunge, dann noch behutsamer, schmelzende Kristall, nun fast tonlos, deines Samens, deine Knie, Waden, Schienbeine, Lob dir, vor dem wir auf Erden und im Himmel niederknien, wie du es vor den deinen getan hast, Amen, sagt sie, Amen wiederholen wir leise …

… ach, Onkel Estácio, wo ich doch beichten wollte, vergeben Sie mir, aber schon schmiege ich mich an die Schwester, träume offenen Auges, trotz Mutters Peitschen, Ächzen, ihrer schmerzvoll zitternden Lippen, sag­te ich trotz, nein, eben deswegen, wer, wie sie, ist dir, Gott, meinem Herrn und Geliebten, so treu ergeben, träume also davon, Birgitta in ihrer Mutter Leib zu sein, aber das Schiff, mit dem wir die stürmische Bucht überqueren, zerschellt auf den Schären, stürzen in die aufgehetzte See, ich, in schützender, nährender Blase, fühle eisiges Schwappen, schwebe durch stru­delnde Nehre, fühle, wie Mutter in wasserlastigen Kleidern mit Armen und Beinen kämpft, höre ihre Schreie, da werden wir von Erich, dem Bruder des schwedischen Königs in letzter Minute gerettet … in der Nacht, lieber Beichtvater, erscheint eine Frau in strahlenden Gewändern an Mutters Bett, sagt, sie sei wegen des kost­baren Guts in ihrem Leib gerettet worden, solle es also in der Liebe des allmächtigen Vaters unterweisen, der es ihr geschenkt habe, später, immer noch wach, sehe ich, sehen wir die glimmende Frau auf einem Altar ne­ben dem Bett, komm, sagt sie, komm Birgitta, ich knie nieder, betrachte die Krone in ihren schneeweißen Hän­den, ob ich bereit sei, sie zu tragen, nicke, habe gar keine andere Wahl, wie auch, wenn heilige Frauen rufen, fühle die Rundung auf meinem Kopf … dann ist die Erscheinung weg, die Kammer nur noch matt von Kerzen erhellt, Schatten, Schemen, was, frage ich mich, war das, wo ist sie hin, fühle das Gewicht der Krone auf dem Kopf, aber da ist nichts, nur dieser dumpfe, in meinem Schädel kreisende Druck, als setze man mir die Insignie erneut auf, hebe sie wieder weg, die Erinnerung an eine in gleißendem Licht verschwindende Frau, taste nach der schlafenden, nur mit der Schulter zuckenden Schwester, bleibe lange mit offenen Augen liegen, weiß nicht mehr, ob ich Teresa, Birgitta oder eine Beute des Teufels bin, lieber Beichtvater, Onkel Estácio, hören Sie nur, eine Beute des Teufels, wo ich so gerne wie Birgitta wäre … der alte Mann hebt weder den Blick, noch sieht er mich forschend an, die Augen fallen mir zu, werde, ohne mich zu wehren, in einen von Birgittas Träumen gesogen, du, Liebster, wie gerade eben ans Kreuz geschlagen, von Geiern zerfleischt, die dein Sterben gerochen haben, da hocken sie mit hängenden Flügeln auf den Balken, lassen ihren Kot fallen, blickst mich an, schau nur, so du, wie sie mich zugerichtet haben, wer, so ich, habe dies getan, wenn nicht die unersättlichen Vögel, nein, so du, würden sie doch nicht anders können, sondern jene, die mich zum Gespött machen, mich anspeien, die sich weigern, mich zu lieben, Herr, stammle ich, werfe mich nieder, liege mit ausgebreiteten Armen vor dir im Schmutz, beiße in die Erde, Herr, für dich will ich mich martern, quälen, keine Schmerzen sind köstlicher, für dich will ich mich töten … Joana erwacht, lauscht einer fremden, nie zuvor gehörten Stim­me, fragt sich, ob es wohl meine sei, dreht sich zu mir um, folgt wirr anmutender Rede, betrachtet mich besorgt im Kerzenlicht, lalle ich doch unverständliche Worte, lächle, seufze unter Tränen, rufe, auch wenn sie es nicht verstehen kann, dich an, Liebster, will dein Kind, dein Mädchen, ja, will deine Braut sein …

… nein, Onkel Estácio, zu weltlicher Plage tauge ich nicht, seht nur, hör ich die anderen Schwestern tuscheln, obwohl sie selbst sich anbieten, die häusliche Arbeit zu tun, seht nur, das faule, verzogene Ding, ach, so die Mutter, solle nicht hinhören, kniet mit erhobenen Hän­den im Schilf, als würde es beten, macht, verlogen wie es ist, auf heilig, ja, knie hinter dem Haus, bete mit geschlossenen Augen, erhobenen Händen, Herr, hier zählen Reich­tum und Macht, in die ich, ist unsere Familie doch arm, nicht hineingeboren wurde, kann, denke ich an Birgitta, große Dame, Fürstin, Heilige, nichts an unseren Verhältnissen finden, und würde es einen Mann für mich geben, müsste er ein edler, schöner, reicher Kavalier sein, so edel, schön und reich, wie er weder auf dieser Insel, noch irgendwo sonst zu finden ist, ­seien, wie Mutter sagt, wahrer Adel, Reichtum und Schönheit nicht von dieser Welt, also bitte ich dich mit geschlossenen Augen, erhobenen Händen, ja, als faul ge­scholten, Lügnerin, als falsche Heilige auf nasser Erde kniend, Herr, nimm du mich zu deiner Braut, der sich, edel, schön, reich, an alle Menschen selbst verschenkt und nur verlangt, dafür angebetet zu werden … Onkel Estácio, hören Sie mir zu, auch wenn diese Beichte keine Beichte, sondern, ach, wenn ich nur wüsste, was, ist, knie also auf nasser Erde, sehne mich in seine Arme, an seine Brust, sehne mich in irrem Verlangen, bis ich schwe­relos werde, von Wärme umflutet, da schießt ein Sonnenstrahl aus den Wolken, dringt wie ein schneidender Schmerz in mich ein, ja, Herr, ich weiß es, wirst mich nehmen, weil du, wie ich dich liebe, gar nicht anders kannst, mich wann, wo, wie auch immer zu neh­men, bin dein Kind, dein Mädchen, deine Braut, nein, wirst mich nicht in dieser Welt aussetzen, sondern für meine Mitgift Wunder wirken, mich vor deinen Altar führen …

… wie Mutter Almosen geben, Onkel Estácio, sich wie Birgitta des Mantels entkleiden, um den Frierenden zu wärmen, ja, lieber Beichtvater, hörst du es klopfen, wie diese trotzigen, ergebenen Frauen sein, erst sacht, dann heftiger, was sonst, ich dein Nichts, du mein Alles, ich öffne die Tür, vereint in unbeugsamer Liebe, ein frommes Spiel, dieses Sein-Wollen-wie, Laune des verzogenen, wie sie sagen, verlogenen Kinds, wer weiß, ich weiß es nicht, will es nicht wissen, will nur, muss diesen zerlumpten, stinkenden Alten erhören, der die Müt­ze vom Kopf nimmt, mich ansieht, als bäte er um ein Stück Brot, eine Suppe, eine Weile Rast in diesem Haus, lasse ihn eintreten, frage Mutter, ob ich ein Brot, eine Suppe bereiten dürfe, seht nur, so die Schwestern, die gütige Heilige, lade ihn schließlich ein, ohne auf sie zu achten, sich an den Tisch zu setzen, während ich, erfüllt vom Mitleid, das Mutter, Birgitta, das die Heiligen empfunden haben müssen, ja, beglückt des Bedürftigen Schwester zu sein, lade ihn also ein, sich zu setzen, während ich ungeschickt Gemüse, also in meine Finger schneide, würde ihn gerne waschen, entlausen, neu einkleiden, je Ekel erregender, zischeln die andern, als könnten sie Gedanken lesen, umso mehr will sich das fromme Mütchen kühlen, aber da er ein Mann ist, stelle ich nur den dampfenden Teller hin, gebe eine Serviette, einen Kanten Brot, bediene ihn wie meinesgleichen, wie du, Liebster, es getan haben würdest, setze mich zu ihm, sehe aber verlegen weg, weil er, die Suppe löffelnd, den Blick nicht von mir abwendet, einen seltsam forschenden, wie soll ich sagen, zärtlich verwirren­den Blick, als müsste der Himmel meine Geste ver­güten, hebt nach beendeter Mahlzeit den Arm, um mich zu segnen, frage, nachdem er gegangen ist, wer dieser Mensch gewesen, ob er hier je gesehen worden sei, ist dieses Dorf doch klein, kann ich, können wir die Nachbarn am Geruch erkennen, da, Vater Estácio, verstehe ich plötzlich, wer dieser Fremde war, kein Zweifel, weiß es genau, ein Bote, auch wenn die Schwestern kopfschüttelnd über mich tuscheln, kann es hören, obwohl ich es niemandem gesagt habe, niemandem jemals sagen werde, auch Mutter nicht, sollen sie Fenster und Türen aufreißen, um das Haus zu lüften, nein, lasse mir diesen Boten nicht nehmen, hat sich seine gichtige Gestalt doch bereits verflüchtigt, kann mich an nichts mehr erinnern, an keinen einzigen Zug seines hageren Gesichtes, erinnere mich nur an diese verwirrende Gegenwart, diesen Gestank, der sich plötzlich in Duft verwandelt … ja, Onkel Estácio, wie Mutter Almosen ­geben, wie Birgitta sich des Mantels entkleiden, den Frie­renden zu wärmen, hören Sie das Gewimmer draußen vor dem Haus, wie diese trotzigen, ergebenen Frauen sein, was sonst, ich dein Nichts, du mein Alles, heise­res, fast ersterbendes Wimmern, vereint in unbeugsamer Liebe, nein, kein frommes Spiel, wie sie es nen­nen, dieses Sein-Wollen, Sein-Müssen-wie, keine Laune des wahr- oder unwahrhaftig zur Heiligkeit berufenen Kinds, lausche, will nicht wissen, was wahr, unwahr, heilig, unheilig ist, muss diesem Seufzen lauschen, hören Sie es auch, nein, weg, da, da ist es wieder, trete rasch hinaus, eile einer alten, in Lumpen gehüllten, durch den Schlamm kriechenden Frau zu Hilfe, die mühsam das Gesicht hebt, irr lächelnde, zahnlose Fratze, Fieber, Hunger, Schmerzen, die ich lindern werde, wie du, Liebster, dieses Fieber, diesen Hunger, diese Schmerzen lindern würdest, rufe die andern herbei, weil ich zu schwach bin, ihr alleine aufzuhelfen, führe sie ins Haus, wo sie bewusstlos zu Boden sinkt … mögen die Schwestern auch hämische Blicke tauschen, Mutter lässt mich gewähren, Mutter, so höre ich sie vorwurfsvoll denken, und Teresa, der eigenmächtige Liebling, Mutter reicht mir also ein kleines Kissen, das ich der Alten unter den Schopf schiebe, bis sie kurz aus der Ohnmacht erwacht, um, weicher gebettet, einzu­schla­fen … ja, ich erwärme Wasser, während die Alte schnarcht, weiß, dass ich sie waschen, kleiden, nähren werde, sehe sie bereits gestärkt das Haus verlassen, ihrer Wege gehen, da erwacht sie, richtet sich auf, weiß nicht, wo sie ist, sieht sich fragend um, will aufstehen, fliehen, aber ich rede ihr zu, erzähle, wie wir sie in Ob­hut genommen haben, da sinkt sie zurück, blickt mich seltsam an, als klänge meine Stimme wie aus anderen Sphären, ja, es macht mich glücklich, die arme Kreatur bei mir geborgen zu wissen, fühle mich leicht, wie erhoben, gehe auf den Zehen zum Herd hinüber, scheine zu schweben, fühle meinen Körper federleicht in den Zehenspitzen, prüfe mit einem Finger, ob das Wasser schon warm genug ist, besorge Tücher, Kleider, Seife, Schwamm und Kamm, knie mich neben die Frau, will sie aus ihren Fetzen schälen, aber sie schlägt nach meiner Hand, sieht mich entsetzt an, verschränkt die Arme vor der Brust, als wollte ich sie nicht nur berauben, sondern, so die schadenfrohen Schwestern, mit meiner Lie­bedienerei belästigen, lasse also ab, rede beruhigend auf sie ein, höre nicht länger auf die Gedanken meiner Schwestern, wolle ich doch nur tun, was unser Herr getan habe, und immer wieder, wenn wir es wollen, durch uns bewirken würde, sehe die Alte vorbehaltlos an, nämlich seine Liebe zu leben, öffne ihre Arme, ziehe die verdreckten, klebrigen Fetzen von ihrem Körper, wasche die Alte, nehme, ohne genau hinzusehen, den eingeschrumpelten Körper wahr, Ödeme, Pusteln, Wunden, blaue Flecken, die zu Hautsäcken entleerten Brüste, das über den Knochen eingestürzte Gesäß, drehe und wende sie, halte beim Reinigen verschmierter Notdurft die Luft an, will das Gesicht abwenden, um wieder zu atmen, versage es mir jedoch so lange, bis ich nicht mehr kann, bitte dich für meinen Ekel um Vergebung, wer, Liebster, hat Schauerlicheres erschaut als du, wasche ihr Gesicht, ihre dünnen Haare, ziehe ihr trockene Kleider an, schneide Finger- und Fußnägel, krumme Krallen, die schwarz bröckelnd in meine Hände fallen, streichle ihre Füße, schmiege sie an mein Ge­sicht, küsse sie, wie du, Liebster, Liebe, zischeln die Schwestern, Liebe, dass wir nicht lachen, küsse sie, wie du es getan hättest … wenn ich zu beichten hätte, Onkel Estácio, würde ich, wie sie es nennen, Lust auf Selbstverleugnung beichten, ja, würde diese Selbstsucht wie einen Felsblock aus meiner Seele rollen, ach, ich weiß nicht, ob ich mich dessen schuldig mache, will es gar nicht wissen, weiß nur, lieber Beichtvater, dass ich diese Frau betreuen muss, ja, keine andere Wahl habe, als diese Pflicht zu erfüllen, würde es mich doch zerstören, ihr nicht zu gehorchen, helfe ihr also, eine Suppe zu löffeln, wische ihr wie einem Kind den Mund ab, bette sie auf ein Lager am Boden, lasse sie ruhen, weiche dann langsam auf den Zehen zurück, betrachte ihr Gesicht, die sich langsam schließenden Augen, den schnar­chenden Mund, breite die Arme aus, den Kopf im Nacken, lächle dir selig zu, fühle mich leicht, licht, glühend, ja, erhoben, Liebster, als schwebte ich über der Erde …