Maggie Thatchers Rosskur - Ein Rezept für Deutschland ? - Dominik Geppert - E-Book

Maggie Thatchers Rosskur - Ein Rezept für Deutschland ? E-Book

Dominik Geppert

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Beschreibung

Fast niemand bleibt indifferent, wenn die Rede auf sie kommt. Ihre Anhänger verglichen Margaret Thatcher mit Elizabeth I., Winston Churchill oder Charles de Gaulle. Ihre Gegner bezeichneten sie als weiblichen Rambo oder »Attila die Henne«. Die Briten zollen ihr in Meinungsumfragen Respekt oder bekunden Abscheu, aber nie Gleichgültigkeit. Helmut Schmidt nannte sie »ein Rhinozeros«, Helmut Kohl pflegte Thatchers England als abschreckendes Beispiel für einen entfesselten Kapitalismus anzuführen.
Deutschlands Politiker wagten es lange nicht, den parteiübergreifenden Konsens, der sich in der Bundesrepublik seit 1949 herausgebildet hat, in Frage zu stellen. Seine Voraussetzung war die Gewissheit stetig zunehmender sozialer Sicherheit und immer weiter wachsenden Wohlstands, etwas, was heute fragwürdiger denn je ist.
In Britannien schwanden schon in den siebziger Jahren die Grundlagen, auf denen die Gesellschaft der Nachkriegszeit ruhte. Überkommene wirtschaftspolitische Instrumente erwiesen sich als unbrauchbar, um den ökonomischen Niedergang des Landes zu bremsen. Thatcher hat radikale Konsequenzen daraus gezogen und sie so entschlossen wie niemand sonst in die Tat umgesetzt.
Dominik Gepperts Essay kontrastiert die britische Krise der siebziger Jahre, ihre Überwindung in den achtziger und deren Folgen in den neunziger Jahren mit den gegenwärtigen Entwicklungen in unserem Land. Was kann man vom britischen Weg lernen?

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Dominik Geppert

Maggie Thatchers Rosskur –ein Rezept für Deutschland?

Siedler

Datenkonvertierung eBook:

Kreutzfeldt Electronic Publishing GmbH, Hamburg

www.kreutzfeldt.de

© 2003 by Siedler Verlag, Berlin,

einem Unternehmen der

Verlagsgruppe Random House GmbH

Alle Rechte vorbehalten,

auch das der fotomechanischen Wiedergabe.

Satz: Ditta Ahmadi, Berlin

ISBN 978-3-641-01141-3

Erste Auflage

Inhalt

9Einleitung

13Die englische Krankheit und die deutsche Malaise

36Oppositionsparteien in Orientierungsnöten

59Vom Konsens zum Konflikt

81Krise, Charisma und Führungskraft

103Die vergebliche Suche nach dem Dritten Weg

123Anmerkungen

Für Christina

Etwa alle dreißig Jahre gibt es so etwas wie einen

Gezeitenwechsel in der Politik.

Dann ist es einerlei, was man sagt oder tut.

Die Bürger wenden sich ab und erwarten etwas anderes.

Ich vermute, wir erleben heute einen derartigen

Gezeitenwechsel – zu Gunsten von Frau Thatcher.

PREMIERMINISTER JAMES CALLAGHAN

während des Wahlkampfes im Frühjahr 1979, der Margaret Thatcher an die Macht brachte

Einleitung

Margaret Thatcher ist in Deutschland nicht beliebt. Ihre Politik einer radikalen Reform von Wirtschaft und Gesellschaft löst hierzulande ein negatives Echo aus. Thatcherismus: das klingt nach sozialem Kahlschlag, nach Steinzeit-Kapitalismus und politischer Konfrontationsstrategie – alles keine Vokabeln, mit denen sich deutsche Politiker, egal welcher Richtung, gern bedenken lassen. In einem Land, das sich viel auf seinen reich ausgebauten Wohlfahrtsstaat, auf seine soziale Marktwirtschaft und auf politische Konsenslösungen zugute hält, war der Name Thatcher und all die unerfreulichen Gedankenverbindungen, die er enthielt, lange Jahre ein Tabu.

Helmut Schmidt soll die Politikerin im Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing ein Rhinozeros genannt haben. Rudolf Augstein bezeichnete sie als selbstgerechte Hausfrau. Peter Glotz warf ihr Anfang der neunziger Jahre vor, sie habe England zu einem Flugzeugträger der Japaner gemacht. Kritik kam aber nicht nur von der Linken des politischen Spektrums, sondern beinahe ebenso sehr von rechts der Mitte. Jeder Sozialdemokrat, so klagte der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz noch Anfang 2003, bekenne sich eher zu Fidel Castro als ein Christdemokrat zu Maggie Thatcher. Es ist gewiss kein Zufall, dass auch Helmut Kohl gegen Ende seiner Amtszeit Thatchers Großbritannien als abschreckendes Beispiel für einen entfesselten Kapitalismus anzuführen pflegte.1

Die Antipathie beruhte auf Gegenseitigkeit. Kohl schnappte im Dezember 1989 bei einer Sitzung der Staats- und Regierungschefs der EG in Straßburg eine Bemerkung der britischen Premierministerin auf, die sich unbeobachtet wähnte: »Zwei Mal haben wir die Deutschen geschlagen, jetzt sind sie wieder da.« Wenig später erfuhr eine staunende Weltöffentlichkeit aus Thatchers engstem Umkreis, welche Attribute die Britin dem deutschen Nationalcharakter zuschrieb: Die Deutschen waren aus ihrer Sicht nicht nur fleißig, gemeinschaftsorientiert und arbeitsam, sondern auch ängstlich, aggressiv, überheblich, rücksichtslos, selbstgefällig, sentimental und von Minderwertigkeitskomplexen geplagt.2 Manches von der Bitterkeit und den Vorurteilen Thatchers gegenüber Deutschland war auf die Meinungsverschiedenheiten über die europäische Integration zurückzuführen, die sie als Premierministerin mit Kanzler Kohl hatte. Anderes gehörte zu dem überkommenen englischen Klischeebild von den Deutschen, das sich schon vor 1914 herausgebildet hatte und in zwei Weltkriegen feste Gestalt annahm.

Umgekehrt hängen die Ablehnung Thatchers und die Verteufelung des Thatcherismus in unserem Land mit einem Denkverbot zusammen, das sich Deutschlands Politiker lange Zeit auferlegt haben: Niemand wagte es, den Konsens der alten Bundesrepublik in Frage zu stellen. Dieser Konsens umfasste den ausgebauten Wohlfahrtsstaat und die sozial weich abgefederte Marktwirtschaft ebenso wie das Bekenntnis zu einer reibungslos fortschreitenden europäischen Integration. Seine Prämisse war die Gewissheit stetig zunehmender sozialer Sicherheit und weiter wachsenden Wohlstands.

Momentan erleben wir in Deutschland die Erosion der Fundamente dieses Konsenses. In Großbritannien ist vor dreißig Jahren Ähnliches geschehen. Dort schwanden schon in den siebziger Jahren die Grundlagen, auf denen die Gesellschaft der Nachkriegszeit beruhte. Althergebrachte wirtschaftspolitische Instrumente erwiesen sich als unbrauchbar, um den ökonomischen Niedergang des Landes zu bremsen. Der Wohlfahrtsstaat, der nur bei Vollbeschäftigung bezahlbar war, lastete immer schwerer auf der Volkswirtschaft. Die einvernehmliche Konfliktbewältigung wichtiger Interessengruppen stieß in Zeiten des Mangels an ihre Grenzen. Thatchers Politik ist das Ergebnis dieses Erosionsprozesses.

Die harten Schnitte und unangenehmen Wahrheiten, die sie ihren Landsleuten zumutete, sind nur angesichts des Scheiterns des Nachkriegskonsenses verständlich. Thatcher hat radikale Konsequenzen daraus gezogen und sie so entschlossen wie niemand sonst in die Tat umgesetzt. Die schonungslose Brutalität, mit der Thatcher den Briten klar machte, dass sich die politischen Spielregeln grundlegend verändert hatten, erzeugte zum Teil bis heute Abscheu, ja blanken Hass. Erst kürzlich wurde die überlebensgroße Marmorstatue der Ex- Premierministerin, die man in Westminster aufgestellt hatte, von einem aufgebrachten Briten enthauptet.

In Deutschland hingegen hat sich in jüngster Zeit die Wahrnehmung Thatchers verschoben. Sie erfährt derzeit in allen politischen Gruppierungen – teils klammheimliche, teils unverhohlene – Bewunderung. Je mehr sich die politisch-ökonomische Krise in Deutschland vertieft, je stärker die Parteien in Ratlosigkeit erstarren, je schriller das Krisenbewusstsein in der Öffentlichkeit Alarm schlägt und je mehr das Vertrauen in die Problemlösungskapazitäten des politischen Systems schwindet, desto spürbarer ist eine Lager übergreifende Renaissance der Eisernen Lady. Immer häufiger vernimmt man die Bemerkung, was Deutschland brauche, sei eine zweite Frau Thatcher. Wo man früher bei ihr Unbarmherzigkeit gesehen hätte, erkennt man jetzt Durchsetzungsvermögen. Was man zuvor als Starrsinn oder Borniertheit empfunden hat, erscheint im Kontrast zu der Zaghaftigkeit und dem Opportunismus deutscher Politiker als Führungskraft und Überzeugungsstärke.

In der Presse erscheinen heute Artikel über die »Reformerin mit eiserner Hand«, die für viele hierzulande zur Hoffnungsträgerin geworden sei. Deutschland stehe vor einer Krise, wie sie Großbritannien in der Thatcher-Ära erlebte, sagt FDP-Chef Guido Westerwelle. Man werde das Land mit ähnlich revolutionären Veränderungen umbauen müssen, wie es damals Margaret Thatcher in Großbritannien getan habe. Unter den deutschen Berufspolitikern fehle es am Typus des »Entschlossenheitspolitikers«, wie ihn Thatcher verkörperte, hat Mathias Döpfner angemerkt, jemand, der unter Umständen auch unter Inkaufnahme der Nichtwiederwahl in vier Jahren alles auf eine Karte setze, das Richtige bewirke, »um dann vielleicht tatsächlich mit großem Erfolg wiedergewählt zu werden«.3

Nicht nur Konservative oder Wirtschaftsliberale reden so, sondern immer öfter – mit resignativem Unterton – auch Linksliberale und Sozialdemokraten. Wenn wir weitermachten wie bisher, schrieb kürzlich Peter Merseburger, werde »Deutschland bald reif sein für eine Radikalkur à la Thatcher«. In den USA und Großbritannien ist man ohnehin schon lange der Ansicht, die Lage in Deutschland ähnele heute der britischen Krise der siebziger Jahre, die den Boden für den Thatcherismus bereitete. Selbst der US-Ökonom Paul Krugman, einer der schärfsten Kritiker der Wirtschaftspolitik der Bush-Regierung, sagte in einem Interview mit dem Spiegel Anfang Januar 2003: Wenn Amerika zu viel Vertrauen in freie Märkte setze, dann Deutschland eindeutig zu wenig. Da sei doch alles sehr eng gezurrt, von den Kündigungsregeln bis zum Ladenschluss. »Was Deutschland heute fehlt, ist eine Margaret Thatcher.«4

Die britischen Tories warben in den achtziger Jahren mit dem Kürzel TINA. Das Akronym stand für den Slogan: »There Is No Alternative«: Es gebe keine Alternative zu den von Thatcher verordneten schmerzhaften Reformen. Gilt das heute auch für Deutschland?

Die englische Krankheit und die deutsche Malaise

Dass Deutschland von Großbritannien etwas zu lernen habe, ist eine uralte und zugleich eine ganz neue Idee. Unseren Vorfahren im 19. Jahrhundert hätte sie unmittelbar eingeleuchtet. Sie bewunderten und beneideten die Briten um ihr Empire, den Parlamentarismus, ihre Flotte, die vielen Kolonien, ihre Wirtschafts- und Handelsmacht, ihren Wohlstand – und nicht zuletzt um das aus all dem resultierende Gefühl, die größte Macht der Welt zu sein. Den Deutschen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hingegen erschien der Gedanke lange Zeit absurd, britische Verhältnisse könnten vorbildhaft sein. Stand nicht dem bemerkenswerten deutschen – oder zumindest westdeutschen – Aufstieg ein ebenso erstaunlicher britischer Niedergang gegenüber? Die Briten selbst litten unter Selbstzweifeln und Depressionen. Hugh Gaitskell etwa, der Führer der Labour-Partei, prophezeite Anfang der sechziger Jahre, ausländische Besucher würden in Zukunft nicht mehr nach Großbritannien kommen, um Ideen für die Zukunft kennen zu lernen, sondern nur noch, um eine glorreiche Vergangenheit zu studieren.

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