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Willkommen auf Magic Island: Band zwei der neuen actionreichen Fantasy-Reihe von Andreas Suchanek – mit beeindruckender Inselwelt und sprechenden Seelentieren! Julian, Kiano, Aiko und Lani sind auserkoren: Die vier wurden zu Wächtern erwählt, die die Welt vor Bösem beschützen sollen. An ihrer Seite sind ihre Seelentiere: Husky Askan, Drache Timur, Falke Azul und Delfin Flip. Julian ist verzweifelt. Niemand kann sich an ihn erinnern. Um diesen Fluch zu durchbrechen, muss er zurück nach Elenum. Gemeinsam machen die vier Wächter sich auf, einen Ausweg zu finden, und geraten dabei in einen alles verändernden Kampf gegen den dunklen Caleb … - Seelentiere, Magie & Freundschaft: Eine packende Geschichte für Kinder ab 11 Jahren - Hund, Drache, Delfin & Falke: Vier Held*innen, ihre magischen Tiere und viele spannende Abenteuer - Mit witzigen Dialogen und viel Suchtpotenzial - Fiese Cliffhanger sorgen für maximalen lesesog! - Eine abenteuerliche Geschichte von Andreas Suchanek, dem Autor der Flüsterwald-Reihe, mit Illustrationen von Timo Grubing Diese hochspannende Abenteuerreihe entführt die Leser*innen auf die verwunschene Insel Elenum – einen Ort voller Geheimnisse und Gefahren!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 182
Veröffentlichungsjahr: 2025
Julian, Kiano, Aiko und Lani sind auserkoren. Die vier wurden zu Wächtern erwählt, die die Welt vor Bösem beschützen sollen. An ihrer Seite sind ihre Seelentiere: Husky Askan, Drache Timur, Falke Azul und Delfin Flip.
Julian ist verzweifelt. Niemand kann sich an ihn erinnern. Um diesen Fluch zu durchbrechen, muss er zurück nach Elenum. Gemeinsam machen die vier Wächter sich auf, einen Ausweg zu finden, und geraten dabei in einen alles verändernden Kampf gegen den dunklen Caleb …
Ein Abenteuer randvoll mit Gefahren & kraftvoller Magie!
Steckbrief
Böses Erwachen
Amnesie
Ein Drache im Krankenhaus
Zurück auf Elenum
Der Turm des Beschützers
Schritt für Schritt
Frühstück
Das verlorene Archiv
Ich habe euch erwartet
Eins zu viel
Am Ziel?
Nur einen Schritt entfernt
Im Gestern
Über die Mauer
Das Licht der alten Zeit
Acherons Werkstatt
Dein Anker
Der erste Zauber
Die Akropolis
Verborgen
Unter der Akropolis
Im Tempel des Vergessens
Alles oder nichts
Nur Sekunden
Am Abgrund
Ein Splitter Erinnerung
Ein Plausch unter Feinden
Es waren von Anfang an drei
Name: Aiko
Wohnort: Tokio, Japan
Alter: 15 Jahre
Hobbys: Lesen, Magie erforschen, seltene Schriften sammeln
Setzt sich ein für: Bildung für alle
Schwächen: Sticken
Seelentier: Timur
Mit dem Geruch von Desinfektionsmittel in der Nase öffnete Julian blinzelnd die Augen. Unter seinen Fingern spürte er eine weiche Decke, Tageslicht fiel in den Raum. Verwirrt sah er sich um. Das hier war nicht sein Zimmer. »Was … wo bin ich?«
Es kam keine Antwort. Er war allein. Nur langsam kehrte die Erinnerung zurück, Bilder Schlag auf Schlag. Er starrte auf sein Smartphone, Bremsen quietschten, plötzlich nichts mehr von einer auf die andere Sekunde.
»Ein Unfall.« Seine Stimme klang kratzig und heiser.
Julian bewegte seine Zehen und atmete erleichtert auf, als diese auf den Nervenimpuls reagierten. Die Finger ebenfalls. Auf seinem Gesicht befanden sich jedoch mehrere großflächige Pflaster, es schmerzte, als er darüberfuhr. Als er versuchte, sich anders hinzulegen, keuchte er vor Schmerz auf. An einigen Stellen fühlte seine Haut sich wund an und seine Muskeln rebellierten gegen die Bewegung.
Die Klinke der Tür wurde herabgedrückt und eine Frau trat ein. Sie trug den Kittel einer Krankenschwester. Ihr Gesicht wies herzliche Züge auf, das Haar war zu einem Knoten gebunden. »Habe ich doch richtig gehört.« Sie kam rasch näher. »Du bist wach. Wie fühlst du dich?«
»Ich … was ist passiert?« Die Frage war heraus, bevor Julian sie zurückhalten konnte. Er wusste schließlich bereits, was geschehen war.
»Du hattest einen Unfall.« Sie betätigte den Rufknopf. »Ich bin Schwester Sarah.«
»Julian«, hauchte er.
»Ah, wir haben uns schon gefragt, wer du wohl bist«, entgegnete sie. »In deinem Portemonnaie steckte kein Ausweis, dein Smartphone ist kaputt und da kein Junge vermisst gemeldet wurde, konnten wir deine Eltern bisher nicht informieren.«
»Meine Eltern.« Die Worte brachten eine ganz neue Erinnerung mit sich.
Julian war zu Hause wie üblich über die Strickleiter in sein Zimmer geklettert. Dann war seine Mutter aufgetaucht und hatte ihn mit einer Pistole bedroht, da sie sich nicht an ihn erinnern konnte. Daraufhin war er so schnell es ging mit dem Rad geflohen.
»Möchtest du mir deinen Namen sagen?« Die Schwester nickte ihm auffordernd zu.
Hatte er sich das alles nur eingebildet? Konnte das sein? Eine Fantasie durch den Unfall? »Sander.«
Er hatte auch seinem besten Freund Milo eine Nachricht geschrieben, doch der hatte ebenfalls seltsam geantwortet.
Die Tür öffnete sich erneut und ein Mann trat ein. Er trug einen weißen Kittel, ein ebensolches T-Shirt und Hosen. Auf seinem Schild stand Doktor Rant. »Guten Morgen …« Er warf einen fragenden Blick zu Schwester Sarah.
»Julian Sander«, sagte diese.
»Dann guten Morgen, Julian. Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt.« Der Arzt kam zu ihm und zog einen Stuhl heran. In seinen Worten lag eine professionelle Glätte ohne jegliche Emotion. »Kannst du mir sagen, welches Datum heute ist?«
Er dachte kurz nach, erwiderte dann die Frage. Das Lächeln des Arztes deutete wohl an, dass die Antwort korrekt war. Er stelle noch weitere zum Namen der Stadt oder der Jahreszeit.
Schließlich nickte Doktor Rant. »Das sieht gut aus. Du hattest Glück, auch wenn du das in den nächsten Tagen und Wochen eventuell nicht so sehen wirst. Dein Körper hat eine Vielzahl an Hämatomen und einige leichte Prellungen davongetragen. Die sind nicht unbedingt gefährlich, dafür aber schmerzhaft. Im Gesicht hast du nur ein paar Abschürfungen. Eine Gehirnerschütterung liegt aber nicht vor. Dein Pulli und deine Hosen waren leider voller Blut und aufgerissen, die mussten wir entsorgen. Daher das Krankenhaushemd. Du solltest noch ein oder zwei Tage zur Beobachtung hierbleiben, dann können deine Eltern dich abholen.«
»Ich informiere sie gleich«, versicherte Schwester Sarah.
»Danke«, krächzte Julian.
»Soweit mir das mitgeteilt wurde, bist du mit Licht gefahren und der Autofahrer hat am Steuer etwas in sein Smartphone getippt.« Der Arzt wirkte verärgert. »Das passiert viel zu oft. Aber zieh beim nächsten Mal einen Helm an. Wenn du auf dem Kopf gelandet wärst, würden wir jetzt womöglich kein Gespräch mehr führen.«
Der Gedanke jagte Schockwellen durch Julians Körper. Er nickte hastig.
Doktor Rant schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. »Das wird wieder.« Er erhob sich und verließ den Raum.
»Ich bringe dir jetzt ein Glas Wasser und dann kontaktiere ich deine Eltern. Gibst du mir eure Adresse?« Sie ging hinaus und kehrte kurz darauf mit dem gefüllten Glas zurück.
Julian nannte ihr die Straße und Telefonnummer. »Wurde sonst noch etwas gefunden?«, fragte er vorsichtig.
»Was meinst du?« Die Schwester war schon wieder auf dem Weg hinaus, stoppte aber in der Bewegung.
»Ich hatte ein Halsband aus Leder mit einem eingeflochtenen Rubin.«
Die Antwort war ein Stirnrunzeln. »Tut mir leid. Wir haben nur das kaputte Smartphone bekommen, es befindet sich in deinem Nachttisch. Vielleicht liegt das Halsband noch an der Unfallstelle.« Damit ging sie hinaus.
Julian starrte in Richtung Decke und fragte sich, was seiner Einbildung entsprach und was nicht. Hatte seine Mutter ihn wirklich vergessen oder handelte es sich hierbei um eine Unfall-Fantasie? Und was war mit Milo? Er betastete die Stelle an seinem Hals, an der das Amulett hängen sollte.
Konnte das sein? Hatte er sich die magische Insel Elenum, Askan, Aiko und die anderen lediglich eingebildet?
Julian grübelte noch, als die Tür erneut geöffnet wurde. Schwester Sarah kehrte zurück. »Bist du sicher, dass du mir die korrekte Adresse genannt hast? Unter der Telefonnummer habe ich eine Frau erreicht, die mich wütend angefahren hat. Sie hat keinen Sohn und ich soll es nicht wagen, sie noch einmal anzurufen.«
»Ich …« Da war sie wieder, die Panik. Sein Puls beschleunigte.
»Okay, ganz ruhig.« Schwester Sarah setzte sich zu ihm aufs Bett. »Trink erst einmal etwas, ruhe dich aus. Vielleicht hast du dich mit der Hausnummer vertan oder einen Zahlendreher in der Nummer.«
Er nickte, glaubte jedoch nicht wirklich daran. Sekunden später lag er wieder allein im Raum.
Wenn seine eigenen Eltern ihn nicht mehr erkannten, musste das im Umkehrschluss doch bedeuten, dass es Elenum tatsächlich gab. Denn davor war sein Leben normal verlaufen. Er hatte mit Milo Fußball gespielt, fast täglich die Tierrettung besucht. Dort lebte Nissa, die Dackelhündin, um die er sich kümmerte.
Er hatte ein ein völlig normales Leben gehabt.
Bis das Amulett durch sein Fenster gesaust war und ihn zur Litfaßsäule gelenkt hatte, in der ein magisches Portal nach Elenum verankert war. An diesem Punkt wurden seine Gedanken zunehmend träger. Die Verletzungen seines Körpers forderten ihren Tribut. Julian zog die Decke ans Kinn und schlief ein.
Im Traum sah er gewaltige Kreaturen, die etwas von Helden murmelten. Und davon, Magie zu erschaffen aus winzig kleinen Siliben, die Gegenständen besondere Fähigkeiten verleihen konnten.
Vor ihm saß ein Husky, stolz in der Gestalt und mit intensivem Blick. Als könne er Julian bis hinab auf die Seele schauen. Von ihm ging Stärke aus, aber auch Erdung. Eine Erdung, die Julians aufgewühltes Innerstes beruhigte und seine Verzweiflung abebben ließ.
Ein Schmerz durchzuckte ihn.
Er erwachte.
Es stimmte wohl, was Doktor Rant gesagt hatte, die Hämatome würden ihn noch die nächsten Wochen begleiten und obgleich sie nicht gefährlich waren, schmerzten sie höllisch. Julian griff nach dem Wasserglas und trank in kleinen Schlucken. Er hustete, trank mehr.
Vor dem Fenster dämmerte es bereits, es war Abend. Er hatte den gesamten Tag verschlafen, fühlte sich dafür aber auch deutlich kräftiger als zuvor. Es quietschte, als Julian die Nachttischschublade des Schränkchens neben dem Bett aufzog. Sie bestand aus weißem Metall, von dem stellenweise die Farbe abblätterte. Im Inneren lag das, was von seinem Smartphone übrig war. Er griff danach und betrachtete das von spinnwebenartigen Rissen überzogene Display. »Du bist eindeutig nicht mehr zu gebrauchen.«
Er legte das Gerät zurück, ignorierte das Portemonnaie daneben. Was blieb ihm noch zu tun? Seine Eltern kontaktieren brachte nichts. Aber konnte er ohne sein Halsband überhaupt die Litfaßsäule benutzen? Falls es Elenum wirklich gab.
Ein Klopfen an der Tür ließ ihn aufblicken. Schwester Sarah schob ihren Kopf durch den Spalt. »Ah, du bist wach. Ich wollte sichergehen. Wie geht es dir?«
»Besser, danke.« Julian rang sich ein Lächeln ab, obwohl er am liebsten geheult hätte.
»Das ist gut. Fühlst du dich stark genug, Besuch zu empfangen?«
»Besuch?«, echote er. »Wen denn?«
»Da ist ein Junge, der den Unfall beobachtet hat«, erwiderte sie. »Sein Name ist Milo.«
Reflexartig fuhr Julian in die Höhe, nur um vor Schmerz aufzustöhnen.
»Das interpretiere ich als Ja«, scherzte die Schwester. »Sei vorsichtig beim nächsten Mal. Ich bringe dir nachher ein Schmerzmittel.«
Sie ging hinaus.
Kurz darauf klopfte es erneut. Die Tür öffnete sich und Milo betrat den Raum. Er hielt eine Mütze in der Hand, die schwarzen Locken standen wie immer in alle Richtungen ab und waren dezent platt gedrückt. Im linken Ohr trug er einen Ohrstecker. Seine blaue Jacke war feucht, es hatte wohl geregnet.
Die Tür schloss sich mit einem dumpfen Laut und erstmals verspürte Julian wieder etwas wie Hoffnung.
»Hallo.« Milo hob grüßend die Hand und trat von einem Fuß auf den anderen.
Julian atmete erleichtert auf.
»Ich bin Milo.«
Und da ging sie hin, seine Hoffnung. Sein bester Freund konnte sich nicht mehr an ihn erinnern, das war offensichtlich.
»Julian«, krächzte er.
Milo kam näher und setzte sich auf den Stuhl neben seinem Bett. »Voll der üble Unfall. Ich hab alles gesehen. Das Auto kam angebraust, hat dich gestreift und du bist geflogen.«
Was hätte Milo wohl gesagt, wenn er die Wahrheit gekannt hätte? Dass es nämlich seine Antwort gewesen war, die Julian auf der Fahrt kurz vor dem Unfall so durcheinandergebracht hatte.
»Freut mich auf jeden Fall, dass es dir gut geht«, unterbrach Milo die Stille. »Ich wollte schon direkt nach der Schule kommen, aber heute war Fußball.«
»Ah.« Julian schluckte. »Gut?«
»Kein einziges Tor.« Er schüttelte den Kopf. »Will irgendwie nicht so richtig laufen.« Bei diesen Worten wirkte er geknickt. »Aber egal. Ich habe vorne bei dieser Schwester etwas für dich abgegeben. Das ist bei deinem Unfall durch die Luft geflogen und ich habe es gefunden. Ein Halsband mit einem roten Stein dran.«
Julian zuckte zusammen und keuchte erneut auf. »Diese verdammten Prellungen.«
»Soll ich die Schwester rufen?«
»Erst wenn du gehst«, erwiderte er. »Dann kann sie mir mein Artef… Halsband zurückgeben.« Womit es endlich wieder möglich war, Askan zu manifestieren.
»Das scheint dir ja echt wichtig zu sein.«
»Ist ein Geschenk«, erwiderte Julian. »Danke, dass du es hergebracht hast.«
»Klar doch.« Milo grinste verschmitzt. »Obwohl es ja echt wertvoll aussah.«
»Dafür gebe ich dir einen Kaffee aus.«
»Deal. Ich kenne da ein tolles Café.«
Und sie sagten beide gleichzeitig: »Coffee Friends an der Spree.«
»Du kennst es?«, fragte Milo. »Lustiger Zufall. Hab dich da noch gar nicht gesehen. Meist sitze ich am Wochenende da auf der Spreeterrasse und lese.«
Gemeinsam hatten sie dort bis vorgestern immer ihre Dosis Koffein nach der Schule geholt und manchmal auch samstags nach dem Fußball zusammen herumgesessen. Milo vergrub sich dann in irgendeines seiner Science-Fiction-Bücher, während Julian ein Smartphone-Game zockte oder verbliebene Schulaufgaben anging. Aus Milos Perspektive hatte das nun aber wohl nie stattgefunden.
»Falls du übermorgen Zeit hast, schau doch mal vorbei.« Milo erhob sich. »Oder musst du länger hier liegen bleiben?«
Auf keinen Fall würde er hierbleiben. Die Magie des Amuletts besaß heilende Kräfte, wie er nach seinem letzten Abenteuer durch den Kampf gegen Caleb bemerkt hatte. »Das müsste passen.«
»Dann hole ich mal deine Krankenschwester.« Milo winkte zum Abschied, zog die Mütze über und verließ das Zimmer.
Kurz darauf schneite Schwester Sarah herein. »Dein Freund ist gerade bei uns gewesen.«
»Haben Sie mein Halsband?«
»Ich fürchte, so einfach können wir dir das nicht geben, Julian«, entgegnete sie. »Doktor Rant hat sich das angesehen. Es handelt sich um einen echten Rubin. Laut Milo hat dieser auf der Straße gelegen. Auch wenn du sagst, dass er dir gehört, müssen wir da zumindest mit deinen Eltern sprechen.«
»Was?!« Die altbekannte Wut loderte in ihm empor. In diesem Fall wurde sie allerdings umgehend verdrängt vom brutalen Schmerz, der von verschiedenen Punkten an seinem Körper herrührte. »Aber es gehört mir!«
»Und niemand nimmt dir dein Halsband weg«, versicherte Schwester Sarah. »Es wird im Büro von Doktor Rant verwahrt, und sobald deine Eltern hier sind, bekommst du es zurück. Jetzt ruh dich noch ein wenig aus.« Sie schickte ihm einen Blick, der deutlich machte, dass eine Diskussion an diesem Punkt sinnlos war, und ging hinaus.
Julian ballte die Fäuste und brüllte in Richtung Decke. Wie sollten seine Eltern hier auftauchen, wenn sie sich nicht an ihn erinnerten? Wie konnte er etwas ändern, wenn er nicht an das Artefakt herankam? Das schloss sich doch gegenseitig aus! Nein, das ging so nicht weiter.
Sein Körper mochte lädiert sein, aber mit seinem Kopf funktionierte noch alles. Das Artefakt befand sich im Büro von Doktor Rant. Womit genau genommen nur eine Lösung blieb: Er musste dort hinein und es sich zurückholen.
Mittlerweile war die Dämmerung vor dem Fenster zur Nacht geworden. Damit war immerhin sichergestellt, dass die meisten Patienten schliefen und das Personal auf ein Minimum reduziert war. Worauf also warten?
Julian schlug die Decke beiseite und kroch aus dem Bett. Er kam sich dämlich vor, trug er doch lediglich Boxershorts, Socken und den weißen Nachthemd-Kittel, der am Rücken zugebunden war. Was hätte er jetzt für eine Jeans gegeben oder einen Pullover. Aber da musste er durch. Er nahm Portemonnaie und Smartphone mit, obgleich das Gerät keinen wirklichen Nutzen mehr besaß.
Lautlos öffnete er die Tür und schlüpfte in den Gang. Es war still, Dämmerlicht lag über allem. In der Luft hing der beständige Geruch von Scheuer- und Desinfektionsmittel. Weit vorne schimmerte Licht aus einem der Zimmer. Dort befand sich wohl der Aufenthaltsraum für das Pflegepersonal. Doch wo konnte Julian Doktor Rants Büro finden? Sicher nicht auf diesem Stockwerk. Und zuerst benötigte er sowieso Kleidung.
Seine Beine trugen ihn wie von selbst in Richtung des Pflegebereichs. Das Licht war angeschaltet, doch niemand darin. Aus einem der anderen Räume drang Stimmgewirr. Anscheinend war eine Besprechung in Gang.
Julian trat an die halb geöffnete Tür.
»… verlegen wir von der Intensiv hierher auf die Innere«, sagte Doktor Rant gerade.
»Die Kapazität haben wir«, erwiderte jemand. »Der Junge liegt doch allein in einem Zimmer. Dieser Julian.«
»Falls er tatsächlich so heißt«, entgegnete Schwester Sarah. »Wirkt recht mitgenommen. Und die Adresse, die er angegeben hat, war falsch.«
»Was sagt denn die Polizei?«, fragte Doktor Rant.
»Keine Vermisstenanzeige. Das ist das Seltsame. Seine Angehörigen müssten ihn doch suchen.«
»Falls er von hier stammt«, warf jemand ein. »Habt ihr mal deutschlandweit nachgefragt?«
»Die haben mir signalisiert, dass es niemanden Vermissten gibt, auf den Julians Beschreibung passt«, entgegnete Schwester Sarah. »Vielleicht sollte ihn sich auch mal ein Psychologe ansehen. Zur Sicherheit. Und er will unbedingt dieses Halsband wiederhaben.«
»Ich drücke keinem Jugendlichen mit halber Amnesie einen echten Rubin in die Hand«, entgegnete Doktor Rant. »Bis wir das geklärt haben, bleibt der Stein in meinem Büro. Wenn wir hier fertig sind, gehe ich nach oben und sehe ihn mir mal genauer an. Nicht, dass ein Diebstahl vorliegt und der Junge uns deshalb einen falschen Namen nennt.«
Julian hatte genug gehört. Bevor er in Versuchung kam, die Tür zu öffnen und den Arzt anzubrüllen, wich er zurück. Wichtig war jetzt sein Artefakt. Nun kam ihm zugute, dass es bereits später Abend war. Kurz sah er sich noch einmal im Raum der Pflegekräfte um. Über einem Stuhl hing eine Jogginghose, in die er hineinschlüpfte. Sie war etwas lang, doch er krempelte die Enden einfach um. Den Kittel schob er nach oben und steckte ihn in den Bund. Das sah zwar lächerlich aus, so fiel er aber immerhin nicht sofort auf. Smartphone und Portemonnaie wanderten in die Taschen.
Und da!
An der Wand hing ein Schlüsselbund. Klar, die Pflegekräfte benötigten Zugang zu allen Räumen. Er schnappte ihn sich, verließ den Gang, stieg die Treppen hinauf und betrat einen weiteren. Auf halber Höhe leuchtete ihm förmlich der Name Doktor Rant – Chefarzt entgegen. Julian betrachtete das Schloss, das jedoch keinerlei Rückschlüsse darauf zuließ, welcher Schlüssel passen sollte. Er begann damit, jene vom Bund aus dem Personalbüro durchzuprobieren.
»Komm schon«, flüsterte er.
Irgendwo erklangen leise Stimmen. Zwei Personen unterhielten sich und kamen näher. Gleich würden sie in den Gang einbiegen und einen Jungen in Jogginghose und Krankenhaushemd entdecken, der sich Zugang zum Büro eines Chefarztes verschaffen wollte …
Klack.
Der Schlüssel drehte sich. Julian entriegelte die Tür und schlüpfte hinein. Aufatmend lehnte er sich gegen das Holz der Tür.
Jetzt musste er nur noch das Halsband finden.
»Das ist ja nett hier«, erklang eine Stimme.
Julian zuckte zusammen.
Der Lederstuhl hinter dem Schreibtisch drehte sich und die bisher durch die Lehne verborgene Sitzfläche wurde sichtbar. Ein kleiner Drache saß dort, das Kinn auf die rechte Kralle gestützt, und lächelte. »Entspricht diese Kleidung der aktuellen Mode? Spiegelt sie deinen Charakter wider? Lass uns darüber reden.«
»Timur!«
Julian blickte aus Reflex an sich herab und konnte nur hoffen, dass Krankenhauskittel und Jogginghose nicht sein Innerstes widerspiegelten. »Wie kommst du hierher, Timur?« Er schob den Schlüssel in Schloss der Tür und gab ihm eine leichte Drehung, damit es blockiert war und sie hier nicht von jemandem überrascht wurden.
Der kleine Glücksdrache sprang von dem Bürosessel. Seine Schuppen rissen Streifen aus dem schwarzen Leder. »Ich wurde manifestiert, um nach dir zu suchen. Meine scharfen Drachenaugen haben dich selbstverständlich erspäht und ich habe vorausgesehen, dass du diese Tür nehmen wirst.« Er räusperte sich.
Julian verschränkte die Arme, neigte den Kopf und blickte den Drachen stirnrunzelnd an.
»Möglicherweise ist Aiko auch so nah, dass sie mich direkt neben dir manifestieren konnte«, erklärte er. »Sie stand vor dem Krankenhaus. Momentan ist sie auf dem Weg die Treppe herauf.« Timur sah sich um. »Wieso bist du in diesem Raum?« Er ging zu einem Regal, in dem zwischen Büchern ein unterarmlanges Skelett aus Plastik stand.
»Das ist das Zimmer eines Arztes«, erklärte Julian. »Es ist kompliziert. Jedenfalls ist hier irgendwo mein Halsband.«
Timur deutete auf den Schreibtisch. »In der rechten Schublade.«
»Woher weißt du das?« Julian eilte um den Tisch herum und ging in die Hocke.
»Ich bin ein Artefaktwesen, da ist es nicht schwer, die Artefakte der Helden zu erspüren, wenn ich nahe dran bin.« Er nahm das winzige Skelett in die Krallen, worauf sich diverse der lose eingesetzten Plastikorgane lösten und zu Boden fielen. Timur blinzelte und stellte die Figur wieder zurück.
»Die Schublade ist verschlossen.« Julian rüttelte daran. »Verdammt!«
Timur stapfte neben ihn. »Das ist aber kein sehr filigranes Schloss. Wo sind die hübschen Schnörkel und Ornamente, wie sie Schatztruhenschlösser aufweisen?«
»Das ist nur eine Schublade.«
»Ich könnte sie öffnen.«
»Leg los.« Julian nickte eifrig.
Worauf Timur einen seiner Krallennägel in das Schloss rammte und es damit vollkommen zerstörte. Die Schublade ließ sich nun problemlos aufziehen.
Im Inneren lag, geflochten in ein Lederband, Julians Artefakt-Rubin. Winzig klein waren die Siliben zu sehen, die dem Objekt seine magische Kraft verliehen, eingebrannt in Magglas, das den roten Edelstein überzog. Julian nahm das Halsband heraus und streifte es über. Sofort spürte er die Präsenz von Askan. Die Heilmagie wurde aktiv, der Schmerz in seinen Verletzungen ebbte ab.
Vor der Tür waren Stimmen zu hören, jemand schob seinen Schlüssel ins Schloss. Oder versuchte es. Die Blockade durch den Zweitschlüssel verhinderte, dass aufgeschlossen werden konnte. Julian ging auf Zehenspitzen zur Tür und lauschte.
»Seltsam«, erklang die Stimme von Doktor Rant. »Da stimmt etwas mit dem Schloss nicht.«
»Soll ich es mal versuchen?«, fragte Schwester Sarah.
»Bitte.«
Erneut wurde gerüttelt und geschoben.
»Wirklich seltsam«, sagte sie.
»Da müssen wir wohl den Hausmeister wecken«, erklärte Doktor Rant.
»Gehen wir in den Aufenthaltsraum«, entgegnete Schwester Sarah. »Ich rufe ihn an, und bis er da ist, trinken wir einen Kaffee.«
Die Stimmen wurden leiser. Julian atmete auf und ließ seine Stirn gegen das kühle Holz der Tür sinken. Nicht auszudenken, was eine Entdeckung für Folgen gehabt hätte. Andererseits gehörte das Halsband ja ihm und er hatte ein Recht darauf, es wiederzubekommen.
Wieder hörte man ein Hämmern an der Tür.
Er zuckte zurück und wäre beinahe hintenübergekippt.
»Julian?!«, erklang die gedämpfte Stimme von Aiko.
Schnell drehte er den Schlüssel und zog die Tür auf.
»Du …« Sie musterte ihn von oben bis unten. »Was ist passiert?«
»Julian hat eine problematische Kleiderwahl getroffen«, merkte Timur an. »Das sollte Thema in unserem nächsten Helden-Seelentier-Sitzkreis sein. Ich werde diesen gerne leiten, um euch an meiner Weisheit teilhaben zu lassen.«
»Anima Disparere«, sprach Aiko genervt die Formel, die die Seelentiere wieder verschwinden ließ.
Timur löste sich auf und kehrte zurück in das Fußbändchen mit der Akoya-Perle.