Mama Cool - Wiebke Busch - E-Book

Mama Cool E-Book

Wiebke Busch

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Beschreibung

Lisa ist Mitte zwanzig und Werbetexterin in einer der angesagtesten Werbeagenturen Deutschlands. Unfähig, mit Geld umzugehen, und frei von jeder Verantwortung feiert sie sich durch die Hamburger Partyszene. Nebenbei versucht sie, ihr wirres Leben auf die Reihe zu bekommen. Mit anderen Worten: ihre Affären zu sortieren, diese mit ihrer besten Freundin bei Rotwein und Kippen gründlich zu analysieren und schließlich ihren heimlichen Schwarm Fred zu erobern. Entgegen allen schlechten Vorzeichen gelingt ihr das sogar, die beiden werden ein Paar. Lisa und Fred erscheint ihr altes Leben immer langweiliger und sie sind bereit für einen großen Schritt: Die zwei beschließen, ein Baby zu bekommen. Natürlich will Lisa sich nicht an den gewöhnlichen Schwangerschaftszirkus anpassen. Frech und ironisch analysiert sie die neue Welt um sich herum und merkt dabei schnell: Muttersein ist gar nicht so einfach. Vor allem, wenn man dabei cool bleiben will.

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Wiebke Busch

Mama Cool

Roman

INHALT

Prolog

Es würde doch alles so weiterlaufen wie bisher. Nur eben zu dritt statt zu zweit. Oder etwa nicht?

Da saß ich. Inmitten von Leuten, mit denen ich bis vor Kurzem überhaupt nichts gemeinsam hatte. Ich sah mich unauffällig um: kurzhaarige Jack-Wolfskin-Jacken-Trägerinnen mit ihren Männern, die auf Adidas-Samba-Turnschuhen durchs Leben schlurften. Sachbearbeiter aus der Versicherungsbranche, freiberufliche Künstler, Polizeiobermeisterinnen: Ein Kursteilnehmer nach dem anderen gab seine Kurzbiografie zum Besten. Der Grund, warum wir uns paarweise in diesem Raum versammelt hatten, war offensichtlich. Alle erwarteten Nachwuchs. Alle zum ersten Mal, denn dies war der Geburtsvorbereitungskurs.

Zu der Neugier, was mich hier erwartete, mischte sich die Erkenntnis, dass mein Leben, so wie ich es kannte, sich dem Ende zuneigte. Oder war es gar nicht so anders? Bisher hatte ich mich meist mit Menschen umgeben, deren kleinster gemeinsamer Nenner der Job oder das Hobby waren. Werber feierten mit Werbern. Alle anderen waren doof. Vorher war es ähnlich: Studenten hingen mit Studenten rum, die Tennisspieler mit den Tennisspielern, die Jimi-Hendrix-Fans mit den anderen Hippies, die Technos mit den Technos …

Die hier Anwesenden vereinte die Tatsache, dass sie einen Menschen getroffen hatten und vorhatten, mit ihm eine Familie zu gründen. Alle waren kurz vor dem wohl bisher größten Ereignis ihres Lebens. Voller Erwartung und Spannung. Aber auch voller Angst und Sorge, ob denn alles so funktionieren würde, wie sie es sich erträumten.

Mir wurde schlagartig klar, dass ich mir bisher ziemlich wenig Gedanken über das Danach gemacht hatte. Während die übrigen Kursteilnehmer über Eröffnungswehen fachsimpelten, öffnete die Anwesenheit in dieser Runde mir die Augen. Ich stellte mich mir zum ersten Mal selbst als Mutter vor. Mit ungewaschenen Haaren und Breiflecken auf dem Designer-T-Shirt. Das war allerdings definitiv aus der letzten Saison, denn zum Shoppen war ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gekommen. Die Füße schmerzten nicht mehr von durchtanzten Nächten in Mörder-High-Heels, sondern vom vielen Kinderwagenschieben und Babyumhertragen. Meine Freundinnen sah ich nie, denn die hatten erst frei, wenn ich schon komplett erschöpft auf dem Sofa eingepennt war. Dafür hatte ich neue Freundinnen. Ebenfalls Mütter, mit denen ich tagein, tagaus über Babypupse, Schlafrhythmen und Zahnungsschmerzen plapperte. Mein neuer Wirkungskreis war der Spielplatz, auf dem ich mit praktischen Klamotten und gemütlichen Schuhen im Sand herumrutschte und die eben erwähnten Müttergespräche bei einem Becher Tee aus der Thermoskanne führte.

»Lisa? Lisa?! Geht es dir nicht gut?« Die Stimme der Kursleiterin riss mich aus meinen Gedanken. »Du bist ein bisschen blass. Möchtest du ein Glas Wasser? Wir reden hier doch nur über den Worst Case. Damit ihr auf alles vorbereitet seid. Aber es kann auch alles ganz easy laufen. Du brauchst keine Angst zu haben.«

»Hä?« Ich brauchte einen Moment, um mich wieder in die Wirklichkeit zu bugsieren. Meine Fantasie war mit mir durchgegangen und der Schrecken war mir wohl anzusehen. Ich berappelte mich und murmelte: »Ach so. Ne, ich war gerade woanders. Worum geht’s?«

Die Kursleiterin wiederholte noch einmal die Vor- und Nachteile verschiedener Narkosemittel und ging dann über zur Geburtsstellungstheorie. Ich verließ die Szene geistig schon nach wenigen Minuten wieder und versetzte mich noch einmal in meine zukünftige Rolle. So wollte ich das nicht stehen lassen, das waren ja gruselige Aussichten. Ich war fest entschlossen, mich als Mutter nicht selbst zu verlieren. Niemals wollte ich mich in die Riege der Frauen einreihen, die sich so sehr mit ihrem Nachwuchs identifizierten, dass sie synchron mit ihm rosafarbige Haarspangen und Pippi-Langstrumpf-Zöpfe trugen. Und es musste doch auch unter Müttern ein oder zwei Exemplare geben, die genauso dachten wie ich.

1.

In Hamburg sagt man »Tschüss«

Ein paar Stunden später saß ich mit meiner Nachbarin und gleichzeitig besten Freundin Tess in meiner Küche zur aktuellen Lagebesprechung. Logisch, dass ich ihr von meinem Traum erzählt hatte. Nun versuchten wir gemeinsam, meine Chancen zu evaluieren. Eine leere Flasche Rotwein und die Überreste einer Packung Gauloises in Form eines vollen Aschenbechers waren unsere Zeugen. Allerdings kamen wir zu keinem Ergebnis. Gut war: Fred flirtete mit mir. Schlecht war: Das tat er mit 99,9 Prozent seiner weiblichen Mitmenschen.

»Und dann hab ich ihm auch noch erzählt, dass ich von ihm geträumt habe!« Ich öffnete die nächste Rotweinflasche.

»Echt?« Vor Schreck fiel Tess das Weinglas aus der Hand. Es zerbrach natürlich. Damit war es das zigste Glas, das unter ihren Fingern sein Leben ließ. »Oh nein! Ich grobmotorischer Dödel! Entschuldige. Morgen geh ich los und kauf dir Zinnbecher, versprochen. Und gib mir ja nie wieder eins von deinen Gläsern!«

Ich ging gar nicht darauf ein, sondern jammerte: »Er hat gefragt, ob wir Sex hatten in meinem Traum! Und ich blöde Kuh hab Ja gesagt. Dabei stimmt das noch nicht mal!«

»Und? Was hat er gesagt?« Ungeduldig rutschte Tess auf ihrem Stuhl herum.

»Na, was wohl? Dass wir das dann ja wohl irgendwann mal in die Tat umsetzen müssen.«

Bei dem Gedanken daran wurde mir schlecht vor Aufregung. Oder war das der Rotwein? Egal, ich füllte den Kaffeebecher, den Tess mir entgegenhielt. Ich war so mit dem Gedanken an Sex mit Fred beschäftigt, dass ich das ungewöhnliche Gefäß nicht kommentierte. War das nur Geschnacke von ihm? Wie gesagt: Er flirtete mit jeder Frau, die nicht komplett hässlich oder zweihundert Jahre alt war. Und selbst die waren nicht wirklich sicher vor seinen Charme-Offensiven. Wie sollte ich da je wissen, was er wirklich von mir hielt? Es musste was geschehen. Ich brauchte einen Plan.

Doch vorerst schaltete sich mein Gewissen in Form eines Telefonklingelns ein. Es war Stefan mit seinem allabendlichen Anruf.

»Hallo, Schatz«, begrüßte ich ihn, »du, ich sitz hier grad mit Tess und wir haben ein schwerwiegendes Liebesproblem am Wickel. Ja, Tess und der Nachbar, du weißt schon. Ich ruf dich morgen an! Tschüss! Ja, mach ich. Du auch!« Puh.

»Wie lange willst du den Armen eigentlich noch im Glauben lassen, bei euch sei alles in bester Ordnung?«, fragte Tess. »Außerdem habe ich echt keinen Bock, immer als liebeskranke Usche herhalten zu müssen. Stefan denkt bestimmt schon, ich hab sie nicht alle. Mach endlich klar Schiff in eurer Beziehungskiste.«

»Wieso? Es ist doch alles in Ordnung!«

Natürlich war es das ganz und gar nicht. Seine Anrufe nervten, die Fahrten nach Leipzig, wo er noch studierte, auch. Und auf seine Wochenendbesuche hatte ich auch schon lange keinen Bock mehr. Lieber wollte ich mit meinen neuen Werberfreunden übern Kiez ziehen. Oder das ganze Wochenende mit Tess Kakao oder Rotwein trinkend auf dem Sofa sitzen. Und, wenn ich ganz ehrlich war, vor allem freie Bahn für Fred haben. Stefan hatte schon lange keinen Platz mehr in meinem neuen Leben. Das wurde mir in diesem Moment bewusst. Auch ohne meine Schwärmerei für Fred gab es genügend Gründe, diese Beziehung zu beenden. Einziger Grund, der dagegensprach: Wir waren schon so lange zusammen. Aber bei näherer Betrachtung war auch das eher ein Grund zum Schlussmachen. Mit 28 fühlte ich mich noch viel zu jung, um schon gelangweilt von meinem Partner zu sein. Das konnte man mit fünfzig immer noch lang genug.

Gedacht, getan? Ne, so einfach würde es nun auch nicht werden. Schließlich hatte ich schon mehrere Anläufe gemacht, mich endgültig von Stefan zu trennen. Nur, um mich einige Wochen auszutoben, mich bei der nächsten Gelegenheit wieder mit ihm zu treffen und nach dem dritten Bier zu versöhnen. Das Glück hielt allerdings meist nur bis zum nächsten Morgen, dann ärgerte ich mich über mein mangelndes Talent, konsequent zu sein. Würde es dieses Mal genauso laufen?

*

Die Entscheidung wurde mir überraschenderweise abgenommen. Von Stefan selbst, als ich ihn am nächsten Morgen zurückrief und versuchte, unsere Wochenendverabredung mithilfe von haarsträubenden Ausreden abzusagen.

»Lisa«, unterbrach mich Stefan. »Lisa!«

»Was denn?« Genervt wartete ich, was er nun wieder wollte.

»Ich hab schon verstanden. Und ich denke auch, dass das keinen Sinn mehr hat.«

»Wie? Du kennst Thomas doch gar nicht!« Im ersten Moment dachte ich, Stefan versuchte sich auch als Liebestherapeut in Sachen Tess und ihrer imaginären Flamme Thomas. Doch dann fiel der Groschen und ich kapierte, dass er von uns sprach. »Und jetzt?«

»Keine Ahnung, vielleicht lassen wir es einfach. Wenn wir ehrlich sind, haben wir doch nichts mehr gemeinsam. Außer vielleicht … ja, was eigentlich?« Stefan schien zu überlegen.

Ja, was eigentlich?, überlegte auch ich. Das war es ja, was ich die ganze Zeit schon fühlte. Aber es jetzt so deutlich auszusprechen tat schon weh. Mir kamen die Tränen, wie immer in solchen Momenten. Ich schluchzte einmal tief in den Hörer.

»Warum weinst’n jetzt?«, fragte Stefan in seiner unglaublich sensiblen Art.

»Weil das schon ein bisschen traurig ist. Findest du nicht? War ja doch ’ne lange Zeit und so …« Meine Stimme versagte nun ganz.

Klar, ich wollte die Beziehung nicht mehr. Aber ich wollte auch nicht Schluss machen. Ich wollte Stefan nicht mehr so nahe sein. Ich wollte ihn aber auch nicht verlieren. Er war doch mein Stefan. Sollte er mir jetzt tatsächlich nicht mehr auf die Nerven gehen mit seinen blöden Witzen, den ewigen Anrufen, seinen immer bekloppteren Weltverbesserungsideen? Nie wieder? Ich hatte schon immer alles gehasst, was »nie wieder« war. Und wenn es nur ein alter Schuh war, den ich wegwarf. Bei dem Gedanken, diesen Schuh »nie wieder« zu tragen, kamen mir die Tränen. Und jetzt »nie wieder« Stefan? Nach fast sechs Jahren! Aber es war besser so. Und außerdem schien mir auch keine Wahl zu bleiben. Stefan hatte entschieden.

Wir redeten noch ein bisschen um den heißen Brei. Keiner wollte auflegen und damit den endgültigen Schlussstrich ziehen. Aber irgendwann schaffte ich es doch: »Bis dann. Wir hören uns. Auch wegen deiner Sachen.«

»Jause!« Selbst in einem sentimentalen Moment wie diesem konnte Stefan diese bescheuerte Art zu reden nicht lassen. Na gut, nicht mehr mein Bier.

Ich legte auf, verdrückte noch eine Träne, atmete einmal tief durch und warf Stefans Zahnbürste, die alibimäßig im Bad auf der Ablage lag, in den Müll. Niemals hätte ich gedacht, dass ich so erleichtert sein würde. Ich schnappte mir den Wohnungsschlüssel, schmiss die angebrochene Zigarettenschachtel in die Tasche, riss meinen Parka vom Haken und ging aus der Tür. Auf dem Rad wurde mir erst richtig bewusst: Jetzt bin ich Single. Komisch. Dieses Gefühl hatte bei den hundert Malen Schlussmachen zuvor nie gehabt. Sollte es dieses Mal wirklich endgültig sein? Adieu Stefan! Hallo, neues Leben!

Mit Schwung nahm ich die fünfte rote Fußgängerampel, die meinen Weg kreuzte, überholte eine Mittdreißigerin mit Perlenkette, kamelfarbener Kaschmir-Jacke‹Was machte die in Eimsbüttel auf einem Fahrrad? Normalerweise fuhren solche Exemplare mit SUVs durch Eppendorf oder die Elbvororte.›und dickem Arsch in einer 7-For-All-Mankind-Jeans‹Diese Marke hatte ihren Namen also anscheinend daher, dass sie in der Lage war, einen Arsch in der Größe von sieben zu beherbergen.› und radelte einem neuen Arbeitstag entgegen. Einem neuen Tag in Freds Nähe. Der neue Bewohner in meinem Bauch, ein Schmetterling mit riesigen Flügeln, flatterte wie verrückt und mir wurde kurz schwindelig. Vor Freude? Oder vor Angst, sich wieder völlig zum Deppen zu machen, sobald er auf der Bildfläche erschien? Was war es nur, das einem die Gehirnzellen von einem auf den anderen Moment ausschaltete? Gerade dann, wenn man sie am allernötigsten brauchte, um zu zeigen, wie cool, souverän, witzig, welterfahren und geistreich man war. Im entscheidenden Moment brachte ich immer nur Dünnsinn mit Soße hervor.

Wie letzten Sommer, als der sexy Typ aus dem Beach Club mich endlich bemerkt und sogar angesprochen hatte: »Cooles Cap! Steht dir echt gut.«

»Echt, findste?«, hatte ich bräsig gefragt. »Hab die nur auf, weil ich fettige Haare hab.«

Nöööööööööp. Sie haben verloren.

Der Typ hatte etwas angestrengt gelächelt, sein Bier genommen und sich mit »Na, dann frohes Waschen!« in Richtung Liegestühle verabschiedet. Genauso gut hätte ich ihm sagen können, ich hätte Filzläuse.

So etwas durfte mir bei Fred nicht passieren. Gab es denn keine Pille gegen Dämlichkeit in Flirtsituationen? Oder einen Ratgeber? Für alles gab es Ratgeber! Trennung, Yoga-Ernährung, Fahrradputzen, wahrscheinlich auch Popeln oder Füße pulen. Aber wer rät bei akutem Hirnverlust? Allerdings war in solchen Momenten eh Hopfen und Malz verloren. Da half auch kein Studieren von Ratgebern.

Oder sollte man erst einmal blättern, wenn einen das Objekt seiner Begierde ansprach? Wohl eher nicht. Ich musste mich zusammenreißen. Etwas autogenes Training, tief durchatmen und an mich glauben. So würde es gehen. So musste es gehen!

Im Fahrstuhl hoch zur Agentur checkte ich mein Spiegelbild. War da nicht ein Pickel? Ich ging ganz nah ran. Leider bemerkte ich nicht, wie ich auf dem Weg vom Fahrradkeller nach oben im Erdgeschoss haltmachte. Die Tür ging auf und Eva und Fred erschienen auf der Bildfläche. »Na, Fraggelchen, hast ’n Pickel?!« Eva war schonungslos.

Natürlich wurde ich knallrot und murmelte etwas von einer Fliege im Auge. Um den beiden nicht ins Gesicht sehen zu müssen, kramte ich ziellos in meiner Tasche. Hatte ja wieder super geklappt mit dem coolen Auftritt heute Morgen.

»Wer hat hier Knoblauch gegessen?« Oh nein, die Peinlichkeiten gingen weiter. Ich war es. In Gedanken verfluchte ich Tess und ihre legendäre Thunfischtunke. Eine Zehe weniger von der Anti-Flirt-Knolle hätte es auch getan.

»Grinst nicht so blöd und gebt mir lieber ein Kaugummi!«

Natürlich hatte keiner eins. Also ließ ich Fred und Eva widerwillig oben aussteigen, fuhr wieder runter und lief rüber zum Zeitungsmann. »Eine Bild, einmal Orbit und zwei Packungen Gauloises, bitte.«

Am besten brachte ich Grit gleich eine Packung mit, bevor sie wieder den ganzen Tag bei mir schnorrte. Zwar hatte ich nichts dagegen, abzugeben, aber dann müsste ich wahrscheinlich in zwei Stunden eh wieder runterlaufen, um neue Kippen zu holen. Denn es könnte spät werden heute und auch an eine Mittagspause war wahrscheinlich nicht zu denken. Morgen war die große Präsentation bei der Marie, einer großen Frauenzeitschrift. Ein Zehn-Millionen-Etat, der die Agentur im Nu unter die Top Ten der Stadt katapultieren würde. Nicht schlecht, bei den geschätzten zwanzigtausend Werbeagenturen in Hamburg. Es schien, als gäbe es wirklich in jedem Haus eine. Oder zumindest in jeder Straße. Egal, auf jeden Fall waren es viele. Und jede war auf der Jagd nach den großen Fischen. Die Marie war auf jeden Fall einer davon. Dementsprechend angespannt war die Stimmung momentan bei allen Kollegen und besonders natürlich bei Gerd. Morgen sollte erst einmal alles vorbei sein.

Um 13 Uhr war der Termin im Verlag, bis dahin gab es noch jede Menge zu tun. Ich nahm vorsorglich noch eine Packung Zigaretten mehr mit und kaufte zur Hebung der allgemeinen Stimmung für jeden ein Franzbrötchen. Das waren mit Zimt gefüllte Kalorienbomben und das einzige Wahrzeichen Hamburgs, das man nicht nur sehen, sondern auch riechen konnte. Jeden Morgen, wenn die Bäckereien öffneten, hüllten sie die Stadt in eine unwiderstehliche Duftwolke. Nirgendwo sonst gab es diese Köstlichkeit, die ihren Namen von seinem französischen Vorbild, dem Croissant, hatte.

Als ich endlich im Büro angekommen war, fielen alle dankbar über die Zuckerdosis in Brötchenform her. Nur Fred nicht, der telefonierte. Also schob ich ihm den Teller mit dem extra großen Franzbrötchen neben seinen Rechner. Er schaute auf, zwinkerte mir zu und gab mir einen Luftkuss. Ich bekam auf der Stelle weiche Knie und wankte zur Tür. Dort folgte auch schon die Ernüchterung: »Mäuschen, mach dir nicht so einen Kopf. Wir sehen uns heut Abend.« Fred verabschiedete sich von seiner Karriereluder-Freundin auch noch mit einem Kuss durchs Telefon! Das war zu viel!

Ich stürmte an meinen Platz, holte die neue Zigarettenpackung aus der Tasche und wühlte nach einem Feuerzeug. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, heute Morgen noch nicht zu rauchen, gestern waren es wieder viel zu viele gewesen. Aber das war mir jetzt alles egal. Das Herz klopfte mir bis zum Hals und meine Laune war im Keller. Welch eine Verschwendung von Energie und Gefühlen. Diesen Typen wirst du niemals kriegen, Lisa. Und selbst wenn, dann wirst du ihn nie für dich allein haben. Liebesgeflüster am Telefon und gleichzeitig Flirten mit der Kollegin. Das ging gar nicht!

Unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, sprang ich reflexartig auf, um das Fenster zu öffnen. Grit bedankte sich, sie hasste Rauch am Morgen, sofern sie ihn nicht selbst produzierte. Eva motzte sofort los: »Ne, mach zu. Mir ist arschkalt!«

»Nur kurz«, versuchte ich, sie zu besänftigen. »Schieb mal den Ascher rüber!«

Ich rauchte die Zigarette in Rekordzeit und starrte auf meinen Rechner.

»Oh, der Fraggle denkt.« Eva machte sich gern lustig über mich, wenn ich so dasaß.

Auf Außenstehende musste es tatsächlich manchmal so wirken, als bestünde mein Job nur darin, aus dem Fenster zu glotzen. Eine ziemlich dösige Praktikantin, die eben wegen ihrer Dösigkeit schon längst wieder mitten auf der Mecklenburgischen Seenplatte schwamm, hatte mich einmal dabei beobachtet und schließlich allen Mut zusammengenommen, um zu fragen: »Als Texter kennst du doch bestimmt alle Rechtschreib- und Grammatikregeln, oder?«

»Nö, dafür gibt es das Lektorat«, gab ich zur Antwort.

Sie hatte einen Moment überlegt und dann einen neuen Anlauf genommen: »Aber du kennst dich doch bestimmt mit all den Programmen auf dem Computer richtig gut aus, oder?«

»Nö, dafür gibt es die IT.«

»Die was?«

»Den Computer-Service.«

Daraufhin war die Praktikantin in Schweigen verfallen und man hatte sie förmlich denken sehen: Was macht die Alte denn den ganzen Tag?

Im Moment fürchtete ich allerdings, dass ich an diesem Tag wirklich zu nichts anderem fähig sein würde, als aus dem Fenster zu starren. Aber das ging nicht! Gerd wartete auf die fertigen Anzeigentexte für die morgige Präsentation. Egal, erst mal musste ich Tess die neuesten Entwicklungen berichten. Ich öffnete mein Mailprogramm und tippte los. Tess wusste ja noch gar nichts von dem frühmorgendlichen Beziehungs-Beendigungs-Telefonat mit Stefan. Außerdem brauchte ich einen Rat zum Thema »Fred und Freundin«. Und wenn Tess keinen hatte, dann wenigstens moralische Unterstützung oder zumindest Trost.

»Der Fraggle schreibt wieder Mails und wir warten uns hier den Ast auf die Texte!« Eva hatte mich ertappt. Was auch nicht schwer war. Denn ob ich Mails oder Werbetexte schrieb, ließ sich leicht an der Frequenz der Tastaturanschläge erraten. Die war deutlich erhöht, sobald es um Privates ging. Wieso konnte nicht mal einer die lautlose Tastatur erfinden? Bis dahin blieb mir nur Lügen: »Gar nicht, ich mach hier gerade Breakthrough-Advertising. Also halt die Klappe und stör mich nicht!«

3.

Plan F

»Na, dann kann das ›Projekt Fred‹ ja starten.« Tess zündete sich eine Zigarette an und griff nach ihrem Zinnbecher. Den hatte sie sich tatsächlich in der Mittagspause bei einem Trödler in der Schanze, dem Viertel, in dem sie arbeitete, gekauft. »Bäh, schmeckt ja wie tote Tante!«

»Vielleicht war ja mal eine drin, eingeäschert oder so. Haste den nicht richtig ausgespült?«

»Oah, Lisa, du bist widerlich. Klar hab ich den ausgespült. Aber irgendwie …«, Tess schmatzte, »… ne, igitt. Das schmeckt nicht. Darf ich bitte ein Glas, auch auf die Gefahr hin, dass es diesen Abend nicht überlebt?« Ohne eine Antwort abzuwarten, stand sie auf und angelte sich ein Glas vom Regal. Dabei fiel ihr Blick auf meine Einkaufstüten-Kiste. Ganz oben lag eine von Liedloff, meiner absoluter Lieblingsboutique. »Oh, Lisa! Du hast doch nicht wieder?«

»Doch«, ich guckte trotzig. »Ich hab die ganze Nacht gearbeitet und saß heut morgen wieder um Punkt neun am Schreibtisch. Da hab ich mir doch wohl eine kleine Belohnung verdient! Und nachdem Fred mit seiner Oberschickse zum Mittag abgedackelt ist, brauchte ich eine Aufmunterung. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Hab sozusagen gespart!« Ich glaubte wahrhaftig selbst an diese Worte.

»Was hast du gekauft?«, fragte Tess. Sie wusste von der permanenten Ebbe auf meinem Konto als Folge exzessiver Feier- und Shopping-Arien. Und sie war auch dabei gewesen, als der Scheinwerfer‹Geldautomat› mir letztens den Fuckfinger gezeigt hatte und nichts mehr ausspucken wollte. Langsam machte sie sich anscheinend Sorgen.

»Nur was Kleines«, brachte ich zu meiner Verteidigung vor.

»Was?«, insistierte Tess.

Ich konnte nicht anders und hüpfte freudig in den Flur, raschelte kurz herum und kam mit einem seligen Lächeln zurück. »Sind die nicht der absolute Traum? Louboutins sind Wanderstiefel dagegen!«

An meinen Füßen befanden sich knallrote Ankleboots in Kroko-Optik mit einem mörderischen Zwölf-Zentimeter-Absatz.

»Der feuchte Traum eines jeden Mannes vielleicht. Dass du darauf laufen kannst!«

Bei allen Gemeinsamkeiten waren Tess und ich in Schuhangelegenheiten völlig unterschiedlich. Sie bevorzugte Flaches und Bequemes für ihre Füße. Schließlich sollten die sie noch durch den Hamburg-Marathon bringen, für den sie seit Wochen trainierte. Und danach New York? Hawaii? Wer wusste das schon? Jedenfalls war sie passionierte Läuferin und stand jeden Morgen um sechs auf, um ihre Runde noch vor der Arbeit zu drehen. Egal, wie wein- und zigarettenreich der Abend vorher gewesen war. Ich bewunderte sie dafür, fand es aber manchmal auch etwas krank. Tess hingegen sah bei meinem Schuhtick manchmal Behandlungsbedarf. Aber dieses Mal erkannte sie den Härtefall und sagte nichts mehr. Und sie musste eingestehen, dass die Schuhe wirklich der Hammer waren. Sie schenkten mir Endlosbeine und der Absatz hob nicht nur meinen Hintern, sondern auch mein Selbstbewusstsein. »Wow! Zugegeben: echt der Kracher!«

»Nicht? Ich musste sie haben! Und morgen Abend zieh ich sie gleich an. Zwei Typen von Hinz & Renz machen eine Abschiedsparty im Yoko Mono. Hab die Einladung von einer alten Studienkollegin von Eva. Die sitzt mit den beiden im Großraumbüro. Der eine ist echt süß. Und solo, soweit ich weiß. Kommste mit? Vorher wollen wir noch zu Rocco essen gehen.«

»Mal sehen, hab viel zu tun und am Samstag um zehn treff ich mich wieder mit den Marathon-Jungs. Da kann ich eh nicht so lang.«

»Respekt. Ich bin ja eher für Saufen statt Laufen. Aber dass du das so durchziehst, alle Achtung. Warum trefft ihr euch immer so früh?«

»Is’ ja gar nicht früh! Die wollten schon um acht los, ich hab meinen ganzen Charme eingesetzt, um sie auf zehn zu drücken. Echte Freaks sind das. Aber nett.«

»Wie nett genau?« Plötzlich ging mir ein Licht auf. Vielleicht lief Tess gar nicht nur um des Laufens willen? War sie hinter einer der Sportskanonen her und quälte sich deshalb am heiligen Samstagmorgen durch den Stadtpark, als gäbe es Geld und das ewige Leben dafür?

»Nett eben!« Bingo, Tess wurde rot! Zwar versuchte sie, es vor mir zu verbergen, indem sie aufstand und ihre Nase in den Küchenschrank steckte. »Hast du noch Chips? Ich hab irgendwie Hunger.«

Aber so ein billiges Ablenkungsmanöver zog nicht und ich blieb beim Thema: »Verstehe. Und nach dem Laufen geht ihr zusammen duschen, oder wie muss ich mir das vorstellen?«

»Oder Erdnüsse? Soll ich hochgehen zu mir und was holen? Hast du auch Hunger? Oder wollen wir uns ’ne Pizza bestellen?«

»Ja, von mir aus.« Ich zog den Flyer vom Bestelldienst von der Pinnwand und warf ihn rüber. »Aber jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Ich will Salami. Also, ich wäre die Letzte, die das nicht verstehen könnte. So ein Marathon-Freak hat sicher auch einen amtlichen Knackarsch. Komm, gib es doch zu, du bist scharf auf mindestens einen von den beiden!«

Es war einfach zu köstlich, wie Tess sich in die Karte vom Pizzadienst vertiefte. Als ob da irgendetwas Neues drin stünde. Jeder, der in einer Werbeagentur arbeitete, kannte die Karte auswendig. Zu oft saß man abends lange im Büro und verschlang eine von diesen miesen, fettigen Teigklumpen vor dem Rechner. Hinterher war einem schlecht. Aber als Alternative gab es innerhalb unseres Budgetrahmens nur den Asiaten. Und da kam zum Schlechtsein noch der Glutamat-Juckreiz hinzu.

»Jetzt sag!« Endlich riss ich Tess die Karte aus der Hand. »Habt ihr schon geknutscht? Und wenn ja, warum weiß ich das nicht längst? Wann darf ich ihn kennenlernen? Welcher von den beiden ist es denn?«

Tess seufzte genervt: »Keiner. Der eine ist hässlich und der andere verheiratet.«

»Na und? Das ist ein Grund, aber kein Hindernis.«

»Für mich schon«, entgegnete Tess trotzig. »Und jetzt tu mal nicht so! Du sagst doch selbst, solange dein Fred noch mit Superwoman zusammen ist, wirst du nichts unternehmen. Oder ist das nur ’ne faule Ausrede, weil du dich nicht traust?«

Tja, wenn ich das nur selbst wüsste. Sicher, bisher war vergeben – zumindest, was die Gegenpartei betraf – auch für mich immer tabu gewesen. Aber dieses Mal war ich mir nicht so sicher, ob es nicht doch an meiner Feigheit lag, dass ich noch nichts unternommen hatte. Tatsache war allerdings auch, dass Fred schon hin und wieder angedeutete hatte, seine derzeitige Beziehung sei nicht das größte Glück auf Erden – ob das nun der Wahrheit entsprach oder einfach nur ein Trick war, um sich ein Hintertürchen offen zu halten und seinen täglichen Flirtereien zu einer höheren Erfolgsquote zu verhelfen. Jedenfalls sah es nicht so aus, als wollte er seine Ursel demnächst heiraten und mit ihr Kinder kriegen. Soweit ich wusste, wohnten die zwei noch nicht einmal zusammen.

Oder war ich selbst noch gar nicht bereit für eine neue Liebe? Schließlich war die Beziehung mit Stefan offiziell erst seit – ich sah kurz auf die Uhr – 36 Stunden beendet.

Mit einem Mann Schluss zu machen wegen eines anderen, fand ich immer schon schäbig und schwach. Ich fand, man sollte sich aus freien Stücken und ganz unbeeinflusst trennen. Aber wenn ich ehrlich war, hatte ich bei jedem Wort und in jedem Moment des Telefonats mit Stefan an Fred gedacht. An dieses Lächeln, das einem das Gefühl gab, man teile ein wunderbares Geheimnis mit ihm. An seine Hände, die eigentlich etwas zu filigran waren für einen Mann seiner Größe. An seine Stimme, die meinen Körper zum Vibrieren brachte, sobald ich sie zu Ohren bekam. An diesen Brusthaaransatz, der aus dem Hemd lugte, wenn er mal keine Krawatte trug und verwegenerweise den obersten Knopf geöffnet hatte …