Mit meinen Kindern allein - Karina Kaiser - E-Book

Mit meinen Kindern allein E-Book

Karina Kaiser

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Josefine Lindner, eine noch sehr ansehnliche, vollschlanke Frau Mitte der Fünfzig, hatte zum Empfang ihres einzigen Sohnes nicht das legendäre Kalb schlachten lassen. Erstens war ihr Sohn nicht der verlorene Sohn, und zweitens hatte er auch keinen überschwänglichen Empfang verdient. Als er an diesem Nachmittag ihr Büro betrat, musterte sie ihn zwar wohlwollend, sagte jedoch relativ kühl: »Ach, da bist du ja.« Tobias Lindner lachte nur über die frostige Begrüßung und umarmte seine Mutter trotz ihrer abwehrenden Haltung. »Nun meckere nicht mit mir«, meinte er grinsend und setzte sich auf den Stuhl, der an der anderen Seite des Schreibtisches stand. »Ich habe doch mein Versprechen gehalten und werde...« »Du wolltest bereits vor drei Tagen hier sein«, unterbrach sie ihn schroff und legte nun ihre Abrechnungen sorgsam zur Seite. »Aber Mutti«, rief er mit gut gespielter Empörung. »Mein Urlaub ist ja nicht nur dazu da, daß ich wie ein kleiner Junge meine Ferien auf dem Land bei meiner Mutter verbringe. Ich bin ein erwachsener Mann von achtundzwanzig Jahren und habe auch andere – Bedürfnisse.« Josefine blickte ihn mißbilligend an und schimpfte: »Wenn du endlich heiraten und seßhaft werden würdest, könntest du diese Bedürfnisse regelmäßig stillen. Aber daran denkst du anscheinend gar nicht, du willst nicht heiraten und bist lieber Geschäftsführer von so einem bayrischen Nobelschuppen, als den Gasthof deines Vaters zu übernehmen.« »Diesen Gasthof leitest du doch.« Tobias hob abwehrend beide Hände. »Und glaube mir, wir beide würden uns schon nach zwei Tagen in den Haaren liegen. Nein, das ginge nicht, absolut nicht. Und Jana würde es hier keine zwei Stunden aushalten.«

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Mami – 2010 –

Mit meinen Kindern allein

Marianne ist dennoch voller Lebensmut

Karina Kaiser

Josefine Lindner, eine noch sehr ansehnliche, vollschlanke Frau Mitte der Fünfzig, hatte zum Empfang ihres einzigen Sohnes nicht das legendäre Kalb schlachten lassen. Erstens war ihr Sohn nicht der verlorene Sohn, und zweitens hatte er auch keinen überschwänglichen Empfang verdient. Als er an diesem Nachmittag ihr Büro betrat, musterte sie ihn zwar wohlwollend, sagte jedoch relativ kühl: »Ach, da bist du ja.«

Tobias Lindner lachte nur über die frostige Begrüßung und umarmte seine Mutter trotz ihrer abwehrenden Haltung.

»Nun meckere nicht mit mir«, meinte er grinsend und setzte sich auf den Stuhl, der an der anderen Seite des Schreibtisches stand. »Ich habe doch mein Versprechen gehalten und werde...«

»Du wolltest bereits vor drei Tagen hier sein«, unterbrach sie ihn schroff und legte nun ihre Abrechnungen sorgsam zur Seite.

»Aber Mutti«, rief er mit gut gespielter Empörung. »Mein Urlaub ist ja nicht nur dazu da, daß ich wie ein kleiner Junge meine Ferien auf dem Land bei meiner Mutter verbringe. Ich bin ein erwachsener Mann von achtundzwanzig Jahren und habe auch andere – Bedürfnisse.«

Josefine blickte ihn mißbilligend an und schimpfte: »Wenn du endlich heiraten und seßhaft werden würdest, könntest du diese Bedürfnisse regelmäßig stillen. Aber daran denkst du anscheinend gar nicht, du willst nicht heiraten und bist lieber Geschäftsführer von so einem bayrischen Nobelschuppen, als den Gasthof deines Vaters zu übernehmen.«

»Diesen Gasthof leitest du doch.« Tobias hob abwehrend beide Hände. »Und glaube mir, wir beide würden uns schon nach zwei Tagen in den Haaren liegen. Nein, das ginge nicht, absolut nicht. Und Jana würde es hier keine zwei Stunden aushalten.«

Josefine sagte nun nichts mehr zu diesem Thema. Es war ja doch zwecklos, ihrem Sohn klarzumachen, daß sein Platz hier war, hier im Norden Deutschlands, in der kleinen Stadt Sternberg, wo die Lindners seit Generationen eine Gastwirtschaft betrieben. So seufzte sie nur leise und stand auf.

»Ich habe noch zu tun«, sagte sie im Hinausgehen. »Wir sehen uns dann beim Abendessen.«

»In Ordnung, Chefin«, erwiderte der junge Mann und stand nun auch auf.

Er folgte seiner Mutter jedoch nicht, sondern ging zu seinem Zimmer, um die Koffer auszupacken. Immerhin wollte er drei Wochen hier in dieser ländlichen Gegend im Herzen Mecklenburgs verbringen. Hoffentlich hielt er auch aus, was er sich vorgenommen hatte.

Seine Zweifel wurden jedoch mit einem Schlag fortgewischt, als es an der Tür klopfte, und eine junge Frau mit einem Imbiß vor der Tür stand.

»Frau Lindner schickt mich«, erklärte sie nach einem höflichen Gruß und begann, mit geübten Händen den Tisch zu decken. »Sie meint, Sie hätten sicher Hunger und Durst nach der langen Reise und möchten nicht bis zum Abendessen warten.«

Er nickte und betrachtete sie ungeniert. Bei diesem herzerwärmenden Anblick vergaß er – vorübergehend – seine Freundin, denn diese Bedienung war zum Anbeißen hübsch. Dunkelbraune, wellige Haare, die sie zu einem schlichten Knoten am Hinterkopf festgesteckt hatte, umgaben ein schmales Gesicht mit einem makellosen Teint. Ihre Augen waren mandelförmig und ebenso dunkel wie ihr Haar. Und ihre Taille war so schmal, daß er gern seine Hände darum gelegt hätte.

Er kannte diese junge Frau nicht. Sie mußte erst seit kurzer Zeit bei seiner Mutter arbeiten. Vielleicht hatte sie nichts gegen einen weitgehenden Flirt mit ihm. Nun, das würde er schon noch herausbekommen. Deshalb fragte er gleich: »Sie sind neu hier, was?«

»Ich bin seit vier Wochen bei Ihrer Mutter angestellt und heiße Marianne Schneidewind.«

»Wohnen Sie auch hier?«

Sie nickte. »Ja, in den Unterkünften im Anbau.«

»Das dachte ich mir.« Tobias lächelte zufrieden und dachte, daß die drei Wochen Urlaub wahrscheinlich doch nicht so langweilig werden würden, wie er angenommen hatte.

Unterdessen hatte die Kleine den Tisch gedeckt und war nach einem höflichen ›Guten Appetit‹ wieder gegangen. Tobias grinste wie ein Lausejunge vor sich hin und machte sich dann über den Imbiß und das kühle Bier her.

Anschließend machte er einen Rundgang durch die Wirtschaftsräume, begrüßte den gewichtigen Koch und dessen Hilfstruppen, schäkerte mit dem übrigen Personal und ärgerte sich, daß die hübsche Marianne nirgends mehr zu sehen war. Nur flüchtig dachte er während seiner Eroberungsabsichten an Jana Obermayer. Er hoffte natürlich, daß diese niemals von seinem Spiel mit dem Feuer erfuhr. Und sollte das doch geschehen, so war das für den feschen Tobias auch kein Drama. Er wußte, wie gut er aussah. Er brauchte sich keine besondere Mühe zu geben, um eine neue Freundin für sich zu gewinnen. Ob er allerdings eine fand, die einmal mehrere Hotels erbte, war fraglich. Aber darum machte er sich jetzt noch keine Gedanken, und es war ihm auch nicht bewußt, daß er nur bei seiner Arbeit Verantwortung zeigte, zwischenmenschliche Beziehungen jedoch als reine Nebensache betrachtete.

Mit sich und der Welt zufrieden schlenderte er nun zum Pferdestall, um Anton Lieskau zu begrüßen, einen Mann, der schon seit vielen Jahren die Pferde versorgte und mitunter die Gäste durch die wald- und seenreiche Landschaft kutschierte.

Von dem Vorrentner Lieskau war jedoch kein Zipfelchen zu sehen, weder im Stall noch auf auf der angrenzenden Wiese. Er wollte schon zum Haus zurückkehren, als er die Stimme einer Frau vernahm. Neugierig betrat er den Stall ein zweites Mal und erblickte in der letzten Box das knusprige Figürchen der hübschen Marianne. Sie bemerkte ihn nicht, hatte ihm den Rücken zugedreht, verteilte eifrig Hafer und sprach mit den vier Pferden, als wären diese ihre Kinder.

Tobias störte sie nicht bei ihrer Arbeit. Er lehnte in der Stalltür und sah ihr mit einem eigentümlichen Lächeln zu.

Nach einigen Minuten schaute sie auf und rief erschrocken: »Mein Gott, wo kommen Sie denn so plötzlich her?«

»Es tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe«, versetzte Tobias und suchte den Blickkontakt mit den großen braunen Augen. »Ich suche Herrn Lieskau.«

»Der hat einen Termin beim Arzt. Deshalb müssen die Pferde heute abend mit mir vorliebnehmen.« Marianne betrachtete den Sohn der Chefin prüfend und wußte nicht, was sie von ihm halten sollte. Deshalb fügte sie eilig hinzu: »Ihre Mutter hat es so angeordnet.«

»Das kann ich mir denken. Aber Sie müssen Ihre Sache gut machen, denn meine Mutter vertraut die Pferde nicht jedem an.«

Marianne errötete ein wenig. Doch da ihre Arbeit im Stall jetzt beendet war, wusch sie sich in der Futterküche die Hände und fragte nur noch: »Schließen Sie nachher den Stall ab?«

Tobias schüttelte den Kopf. »Nein, machen Sie das nur. Da mein Freund Anton nicht da ist, komme ich ein anderes Mal wieder.«

Die junge Frau nickte, schloß das Gebäude ab und eilte leichtfüßig über den Hof, um sich in ihrem Zimmer für den Dienst in der Gastwirtschaft umzuziehen.

Tobias bereitete es keine Mühe, an ihrer Seite zu bleiben. Erst im Haus trennten sie sich.

Da seine Mutter erst recht spät ihre Abendmahlzeit einnahm, hatte er zu dieser Stunde durchaus schon wieder Hunger und langte tüchtig zu. Er wußte, daß ihr sein Appetit gefiel.

»Unsere gute Hausmannskost scheint dir aber doch noch zu schmecken«, sagte sie mit gutmütigem Spott. »Dann war meine Sorge, daß du nur noch Schnecken und Kaviar essen würdest, ja überflüssig.«

»Vollkommen, Muttchen«, erwiderte er, während er sich noch eine Portion Kartoffelsalat nahm. »Mir gefällt das Essen und mir gefällt die Bedienung, besonders diese Neue.«

Josefine Lindner unterdrückte ein listiges Lächeln. Scheinbar gleichgültig versetzte sie: »Die Marianne Schneidewind ist ein armes Ding, das weder Vater noch Mutter hat und im Kinderheim aufgewachsen ist. Sie macht sich aber gut. Ich bin sehr zufrieden mit ihr.«

»Das freut mich«, entgegnete er und wechselte dann schnell das Thema. Er wollte nicht, daß seine Mutter ihn durchschaute, und ahnte nicht, daß sie ihm einen sehr reizenden Köder ausgelegt hatte. Fraglich war nur, ob diese Falle auch zuschnappte und den jungen Mann endlich in der Heimat festhalten würde.

*

Tobias war ernstlich an Marianne Schneidewind interessiert. Seiner Meinung nach war sie durchaus die passende Ergänzung für seinen diesjährigen Urlaub. Wenn er schon in der mecklenburgischen Einsamkeit drei Wochen verbringen mußte, dann sollte ihm auch jemand diese Einsamkeit versüßen. Also, nichts wie ran an das junge Gemüse, dachte er und lud Marianne ein, ihren nächsten freien Tag mit ihm zu verbringen.

Als sie mit der Antwort zögerte, setzte er verschmitzt hinzu: »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Meine Mutter ist eine sehr tolerante Frau, die es überhaupt nicht interessiert, wie und mit wem ihre Angestellten ihre Freizeit verbringen.«

Marianne lächelte erleichtert und fragte: »Wie haben Sie sich diesen freien Tag denn vorgestellt?«

»Ich habe an eine Fahrt ins Blaue gedacht«, erklärte er ihr und legte einen Arm um ihre Schultern. »Wir könnten nach Ludwigslust fahren und dort das Schloß und den Park besichtigen. Zwischendurch essen wir irgendwo zu Mittag, trinken Kaffee oder essen Eis und sind zum Abend wieder hier. Na, wie finden Sie meine Vorschläge?«

»Sehr gut, ich frage mich nur, warum Sie Ihre freie Zeit mit mir verbringen wollen.«

Fragt die immer so unbequem? dachte er mißmutig, aber ein Blick auf ihren vollen Mund versöhnte ihn schnell wieder. Im Prinzip konnte sie ja fragen, was sie wollte. Er würde schon dafür sorgen, daß sie meistens gar nicht zum Sprechen kam. Und wenn er doch mal antworten mußte, so wie jetzt, dann machte er ihr eben ein hübsches Kompliment. So etwas mochten die Frauen.

»Marianne, Sie sind so schön. Ich möchte, daß mich alle anderen Männer beneiden.«

Das klang so drollig, daß Marianne lachen mußte. Damit hatte er gewonnen und fühlte sich wieder als toller Herzensbrecher.

Josefine Lindner registrierte diese Entwicklung mit großer Befriedigung. Ja, ja, sie hatte schon etwas dabei gedacht, als sie diese arme Kleine einstellte. Sie kannte doch ihren Sohn. Aber sie war sich nicht sicher, ob ihre Rechnung aufging.

*

»Ich bin erst zum Abendessen zurück«, sagte er am übernächsten Tag zu ihr.

Sie nickte gleichmütig. »In Ordnung, Tobias. Wenn es später werden sollte, dann kannst du dich ja telefonisch melden.«

Er strahlte und eilte davon, während sie sich wieder ihren zahlreichen Pflichten zuwandte.

Nach einer knappen Stunde waren Tobias und Marianne vor dem Schloß Ludwigslust angekommen. Der junge Mann hatte seinen flotten Sportwagen in der Nähe abgestellt und spazierte nun mit der hübschen Kleinen, wie er sie immer bei sich nannte, durch den Schloßpark, der in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts nach Plänen von Lenne zu einem englischen Landschaftsgarten umgestaltet worden war.

»Warst du hier schon einmal?« erkundigte er sich gerade und wählte zum ersten Mal eine vertraute Anrede.

»Nein, noch nie«, erwiderte sie. »Für die Kultur und die Architektur hatte ich bisher wenig Zeit.«

»Dann ist der Ausflug hierher ja goldrichtig«, freute er sich und drückte seine Gefährtin für drei Wochen fest an sich.

Marianne ließ sich seine behutsamen Zärtlichkeiten gern gefallen, auch wenn sie nicht alle Bedenken beiseite schieben konnte. Und doch malte sie sich in ihren kühnsten Träumen aus, daß Tobias für immer nach Hause kommen würde, um mit ihr zusammen zu leben und zu arbeiten.

Es wurde ein wunderschöner Tag, der auch am Abend nicht endete. Nach dem Essen klopfte Tobias, als wäre das ganz selbstverständlich, an Mariannes Zimmertür.

Sie öffnete und nickte lächelnd, als er fragte: »Darf ich noch ein bißchen bei dir bleiben?«

Aus dem ›bißchen‹ wurden mehr als drei Stunden, in denen es Marianne kaum gelang, dem liebeshungrigen Sohn ihrer Chefin seine – vorläufigen – Grenzen zu zeigen.

Josefine Lindner hatte an diesem Abend nicht mit der Gesellschaft ihres Einzigen gerechnet. Sie ging früh zu Bett und hoffte wieder einmal, etwas für dessen Seßhaftigkeit getan zu haben.

Die Wünsche von Marianne und ihrer Chefin ähnelten sich. Sie sprachen natürlich nicht darüber, und Marianne ahnte nicht, daß Josefine sie gern zur Schwiegertochter hätte. Doch was nützt alles Hoffen und Wünschen, wenn der, auf den es ankam, ganz andere Vorstellungen vom Leben hatte?

Tobias amüsierte sich mehr als zwei Wochen prächtig, bis Marianne an einem Abend fragte: »Wie soll es mit uns weitergehen?«

Auf diese Frage nicht vorbereitet, antwortete er ungehalten: »Na, wie schon? Ich werde dich anrufen und sicher zu Weihnachten ein paar Tage herkommen, das heißt, wenn ich Urlaub bekomme.«

Sie nickte beklommen. »München ist so weit weg von hier, aber...«

»Aber?«

»Ich – ich könnte dich ja auch mal besuchen. Deine Mutter gibt mir bestimmt ein paar Tage Urlaub.«

Sie wollte ihn besuchen??? Na, das fehlte ihm gerade noch. Dieses zwar hübsche, aber doch sehr ländliche Mädchen würde sich in einer Großstadt ganz bestimmt nicht wohl fühlen. Und dann war da ja auch seine Jana, die ihm unter Garantie eine Szene machen würde. Eigentlich müßte er jetzt sofort Schluß mit dieser kleinen Marianne machen, aber das bekam er auch nicht fertig. Doch ehe er noch eine passende Antwort parat hatte, sagte sie frustriert: »Schon gut. Ich weiß, daß du mich dort nicht haben willst. Vielleicht ist es auch besser so.«

Ihr trauriges Gesicht tat ihm irgendwie weh. Deshalb versetzte er tröstend: »Ich habe dort wirklich nicht viel Zeit für dich. Das ist nun einmal so. Vielleicht kann ich schon im Herbst ein paar Tage kommen. Versprechen kann ich es natürlich nicht.«

»Ja, ich verstehe«, antwortete sie leise und unterdrückte die Tränen. Die halfen ihr jetzt auch nicht. Sie mußte mit der Trennung fertig werden und auch damit, daß er diese Probleme anscheinend nicht hatte.

Und als er sie jetzt verlangend in die Arme nahm, vergaß sie für Stunden, daß der Abschied unmittelbar vor der Tür stand.

*

Tobias war abgereist, genau an dem Tag, den er dafür vorgesehen hatte. Das Leben ging auch ohne ihn weiter. Im Gasthof ›Zum alten Mecklenburger‹ gab es viel zu tun, auch wenn die Saison inzwischen vorbei war. Josefine war froh, auch im Herbst noch Gäste zu haben, die hier Beschaulichkeit und Ruhe suchten, und die Anton Lieskau mit seinen Kaltblutpferden durch die buntgefärbten Wälder kutschierte. Alles war wie immer oder besser – beinahe.

Marianne vermißte Tobias sehr, aber er meldete sich selten. Sie selbst schrieb ihm ab und zu, hatte aber nur ein paar nichtssagende Ansichtskarten bekommen. Angerufen hatte sie ihn noch nie, weil er anscheinend vergessen hatte, ihr seine Telefonnummer zu geben. Und seine Mutter mochte sie nicht danach fragen. Es gab ja eigentlich auch keine Veranlassung, ihn anzurufen, zumindest bis jetzt nicht.