Ich will die andere nicht! - Karina Kaiser - E-Book

Ich will die andere nicht! E-Book

Karina Kaiser

5,0

Beschreibung

Große Schriftstellerinnen wie Patricia Vandenberg, Gisela Reutling, Isabell Rohde, Susanne Svanberg und viele mehr erzählen in ergreifenden Romanen von rührenden Kinderschicksalen, von Mutterliebe und der Sehnsucht nach unbeschwertem Kinderglück, von sinnvollen Werten, die das Verhältnis zwischen den Generationen, den Charakter der Familie prägen und gefühlvoll gestalten. Mami ist als Familienroman-Reihe erfolgreich wie keine andere! Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! »Such dir endlich eine Frau, die zu dir passt, die du gernhast und die dich gernhat«, hatte seine Oma schon oft zu ihm gesagt, meistens dann, wenn er ihre Kochkunst zu sehr gelobt oder mal wieder gemeint hatte, sie wäre die Beste, und bei ihr würde er es mindestens noch zehn Jahre aushalten.Darüber hatte sie stets nur gelächelt, ein bisschen spöttisch und ein bisschen traurig. Und vor einem guten Jahr hatte sie ihm zögernd und etwas unglücklich gestanden, dass sie in absehbarer Zeit in eine kleine und altersgerechte Wohnung ziehen wolle. Und er möge darüber nachdenken, ob er diese Wohnung – drei große Zimmer, Küche, Bad, Korridor und Balkon – behalten wolle.Sicher wollte er das, wenn nur die Miete nicht so hoch gewesen wäre.Henrik Hollstein hatte damals nicht so recht gewusst, wie er sich verhalten sollte. Natürlich würde es die Oma in der neuen Wohnung viel bequemer haben, sie musste nicht mehr so viele Treppen steigen, nicht mehr so viel einkaufen, kochen und putzen. Sie hatte dann ja nur noch für sich allein zu sorgen und nicht mehr für ihn, ihr einziges Enkelkind, das sie nach dem frühen Unfalltod der Eltern ganz allein aufgezogen hatte. Andererseits war er inzwischen achtundzwanzig Jahre alt und würde es wahrscheinlich doch schaffen, ohne sie zu überleben und die Miete aufzubringen.Der Anfang war selbstverständlich schwer gewesen, denn es war ja viel leichter und angenehmer, sich an einen gedeckten Tisch zu setzen, als für dessen kulinarische Bestückung zu sorgen. Von anderen Arbeiten ganz zu schweigen. Aber unter der Anleitung seiner Großmutter lernte er, was zur Führung eines kleinen Haushaltes unbedingt notwendig war, und lernte es schneller, als er selbst gedacht hatte.Das Schicksal meinte anscheinend, er hätte für seine Bemühungen eine Belohnung verdient, denn schon wenige Wochen, nachdem Amalie Hollstein ausgezogen war, lernte er auf einer Party bei Freunden Evelin Lanzkow kennen, eine hübsche, zierliche Brünette, die bald bei ihm einzog und sich an den Kosten beteiligte. Sie konnte zwar nicht so gut kochen wie die Oma, gab sich aber viel Mühe, ihn in jeder Hinsicht zu verwöhnen. Und das gefiel ihm außerordentlich gut.Und da er ihr offensichtlich auch gefiel mit seinem markanten Gesicht, den blonden Haaren, der sportlichen Figur und dem umgänglichen Wesen heirateten sie bereits ein Jahr später. Die Oma spendierte zu diesem Anlass das Geld für die Hochzeitsreise nach Venedig, Evelins Eltern trugen zur Wohnungseinrichtung bei, und alle nahmen nun an, dass bald ein Baby zur Welt kommen würde. Immerhin hatten beide eine ausreichend große Wohnung, hatten studiert und lebten in guten finanziellen Verhältnissen. Gesund und voller Lebensfreude waren sie ebenfalls.Doch die Jahre vergingen, Henrik, mittlerweile bereits dreiunddreißig, war vor Kurzem der Leiter des hiesigen Arboretums geworden, was ihn einerseits freute, aber auch mehr Verantwortung, Arbeit und gelegentliche Überstunden einbrachte.

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Mami Bestseller – 1 –

Ich will die andere nicht!

Gitta ist meine richtige Mutti

Karina Kaiser

»Such dir endlich eine Frau, die zu dir passt, die du gernhast und die dich gernhat«, hatte seine Oma schon oft zu ihm gesagt, meistens dann, wenn er ihre Kochkunst zu sehr gelobt oder mal wieder gemeint hatte, sie wäre die Beste, und bei ihr würde er es mindestens noch zehn Jahre aushalten.

Darüber hatte sie stets nur gelächelt, ein bisschen spöttisch und ein bisschen traurig. Und vor einem guten Jahr hatte sie ihm zögernd und etwas unglücklich gestanden, dass sie in absehbarer Zeit in eine kleine und altersgerechte Wohnung ziehen wolle. Und er möge darüber nachdenken, ob er diese Wohnung – drei große Zimmer, Küche, Bad, Korridor und Balkon – behalten wolle.

Sicher wollte er das, wenn nur die Miete nicht so hoch gewesen wäre.

Henrik Hollstein hatte damals nicht so recht gewusst, wie er sich verhalten sollte. Natürlich würde es die Oma in der neuen Wohnung viel bequemer haben, sie musste nicht mehr so viele Treppen steigen, nicht mehr so viel einkaufen, kochen und putzen. Sie hatte dann ja nur noch für sich allein zu sorgen und nicht mehr für ihn, ihr einziges Enkelkind, das sie nach dem frühen Unfalltod der Eltern ganz allein aufgezogen hatte. Andererseits war er inzwischen achtundzwanzig Jahre alt und würde es wahrscheinlich doch schaffen, ohne sie zu überleben und die Miete aufzubringen.

Der Anfang war selbstverständlich schwer gewesen, denn es war ja viel leichter und angenehmer, sich an einen gedeckten Tisch zu setzen, als für dessen kulinarische Bestückung zu sorgen. Von anderen Arbeiten ganz zu schweigen. Aber unter der Anleitung seiner Großmutter lernte er, was zur Führung eines kleinen Haushaltes unbedingt notwendig war, und lernte es schneller, als er selbst gedacht hatte.

Das Schicksal meinte anscheinend, er hätte für seine Bemühungen eine Belohnung verdient, denn schon wenige Wochen, nachdem Amalie Hollstein ausgezogen war, lernte er auf einer Party bei Freunden Evelin Lanzkow kennen, eine hübsche, zierliche Brünette, die bald bei ihm einzog und sich an den Kosten beteiligte. Sie konnte zwar nicht so gut kochen wie die Oma, gab sich aber viel Mühe, ihn in jeder Hinsicht zu verwöhnen. Und das gefiel ihm außerordentlich gut.

Und da er ihr offensichtlich auch gefiel mit seinem markanten Gesicht, den blonden Haaren, der sportlichen Figur und dem umgänglichen Wesen heirateten sie bereits ein Jahr später. Die Oma spendierte zu diesem Anlass das Geld für die Hochzeitsreise nach Venedig, Evelins Eltern trugen zur Wohnungseinrichtung bei, und alle nahmen nun an, dass bald ein Baby zur Welt kommen würde. Immerhin hatten beide eine ausreichend große Wohnung, hatten studiert und lebten in guten finanziellen Verhältnissen. Gesund und voller Lebensfreude waren sie ebenfalls.

Doch die Jahre vergingen, Henrik, mittlerweile bereits dreiunddreißig, war vor Kurzem der Leiter des hiesigen Arboretums geworden, was ihn einerseits freute, aber auch mehr Verantwortung, Arbeit und gelegentliche Überstunden einbrachte.

Evelin, nur wenig jünger als ihr Mann, rechnete hingegen fest damit, bald Dozentin an der Universität zu werden, wo sie seit ein paar Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt war. An ein Kind dachten beide anscheinend gar nicht. Die Karriere und weite Reisen im Urlaub schienen ihnen wichtiger als der Nachwuchs zu sein.

*

»Sie sind schwanger, Frau Hollstein«, hatte der Arzt vorhin gesagt und hatte dazu eine Miene gemacht, als müsste sie nun so glücklich sein, dass sie fortan die ganze Welt umarmen könnte. Der Kerl hatte ja keine Ahnung, überhaupt keine! Was sollte sie mit einem Kind bloß anfangen?

Diese Frage beschäftigte Evelin auf dem Weg nach Hause so sehr, dass sie an nichts anderes mehr denken konnte. Sie vergaß sogar, in ihrer Lieblingsboutique einzukehren und sich das elegante rubinrote Kleid zu kaufen, das sie vor ein paar Tagen dort entdeckt hatte. Wütend auf sich selbst und vor allem auf ihren Mann kam sie daheim an, warf sich anschließend auf ihr Bett und ließ dort ihren Tränen freien Lauf.

Sie war so sehr in ihren Kummer vertieft, dass sie Henrik erst bemerkte, als er sich zu ihr setzte, sie in die Arme nahm und erschrocken fragte: »Was ist denn passiert? Ist was mit deinen Eltern oder mit Oma?«

»Nein, denen geht es gut, bloß mir nicht.«

»Was hast du denn?«

»Ich bekomme ein Kind.«

»Ein Kind??« Seine Augen begannen zu strahlen, während er sie fester an sich drückte. Dabei fragte er aufgeregt: »Bist du dir auch ganz sicher?«

»Dr. Weber hat es bestätigt«, antwortete sie missmutig. »Ich habe es sozusagen schwarz auf weiß. Kannst du mir sagen, was nun werden soll?«

»Ich verstehe dich jetzt nicht«, antwortete er irritiert. »Du bekommst das Baby, bleibst ein oder zwei Jahre zu Hause, und dann bringen wir es tagsüber in eine Kindertagesstätte.«

Sie stieß ihn von sich, sprang auf und rief entrüstet: »Ich soll ein oder zwei Jahre zu Hause bleiben, soll das Gör hüten und meine Karriere zum Teufel schicken? Ja, sag mal, du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank! Wozu habe ich denn studiert und meinen Doktor gemacht?«

»Aber – Evi, andere Frauen bekommen doch auch Kinder. Und ich werde dir doch helfen.«

»Na, klar, besonders dann, wenn du den ganzen Tag auf der Arbeit bist. Ich würde es mir ja wegmachen lassen, aber der Doktor sagt, es ist schon zu spät dazu. Leider.«

Das Kind wegmachen lassen? Er hätte jetzt am liebsten mit der Faust auf den Tisch gehauen oder sie zornig angeschrien, weil sie eine Abtreibung überhaupt in Betracht zog. Andererseits wollte er sie nicht noch mehr aufregen. Möglicherweise verlor sie dann das Kind. Daher stand er ebenfalls auf und legte ihr beschwichtigend die Hand auf die Schulter.

»Nun bekomme das Kind doch erst einmal. Du wirst schon sehen, alles geht einfacher, als du jetzt denkst. Wir kriegen bestimmt einen Kita-Platz, vielleicht schon nach ein paar Monaten. Dann kannst du doch wieder arbeiten gehen.«

»Und wenn das Kind krank wird? Diese kleinen Bälger haben doch dauernd irgendetwas – Husten, Schnupfen, Durchfall, Erbrechen und Fieber. Ich weiß das von meiner Kollegin. Wenn da nicht die Eltern und Schwiegereltern immer einspringen würden, könnte sie so gut wie gar nicht zur Arbeit gehen. Aber so etwas ist bei uns ja nicht möglich. Du hast nur noch die Oma, und die ist nach ihrem Oberschenkelhalsbruch auch nicht mehr so fit wie früher. Und meine Eltern sind Ärzte und wohnen in München, was fast tausend Kilometer von uns entfernt ist.«

»Wir werden eine Lösung finden. Zwei oder drei Monate kann ich ja auch bei dem Baby bleiben, wenn es nicht mehr gestillt werden muss.«

»Zwei oder drei Monate …« Sie sprach nicht weiter, schien zu überlegen und setzte sich wieder auf das Bett.

»Ja, so etwas machen in der heutigen Zeit viele Väter«, erklärte er eifrig. »Ich denke, das kriege ich auch hin. Und wenn das Kleine mal krank wird, dann wechseln wir uns mit der Betreuung ab. Und vielleicht ist es ja gar nicht so oft krank.«

»Vielleicht hast du recht«, erwiderte sie zerstreut. »Ich glaube, ich muss mich mit dieser – Situation – erst eine Weile auseinandersetzen, muss darüber in Ruhe nachdenken. Ich werde daher ein paar Tage Urlaub nehmen und zu meinen Eltern fliegen – allein. Du kannst dir inzwischen schon mal Babywiegen und Kinderwagen anschauen. Wer weiß, was das alles so kostet …«

Henrik hatte schon etwas aufgeatmet, erkannte jetzt aber, dass sie von einer Freude über das zu erwartende Kind meilenweit entfernt war. Und doch war er nicht ohne Hoffnung. Sie würde es zumindest behalten. Und wenn es denn erst einmal auf der Welt war, würde sie es lieben, genauso wie er.

In den nächsten Monaten klammerte er sich innerlich an diese Hoffnung und versuchte, seiner Frau ihren Zustand so erträglich wie möglich zu machen. Er nahm ihr weitgehend die Hausarbeit ab, kaufte allein ein und ließ sie an den Wochenenden so lange schlafen, wie sie wollte. Und er freute sich, dass sie zumindest an der Einrichtung des Kinderzimmers Interesse zeigte.

Das Kleine würde ein Mädchen werden. Henrik nannte es schon jetzt seine kleine Püppi, die nach seiner Mutter Irene heißen sollte. Seiner Frau schien der Name des Kindes egal zu sein. Sie hatte mit sich selbst zu tun und beklagte häufig genug, dass sie von Tag zu Tag dicker wurde und ihrer Meinung nach wie ein Walross aussehen würde.

*

Die kleine Püppi kam pünktlich an einem sonnigen Tag Mitte Oktober und ohne großes Trara zur Welt. Sie wog 3580 Gramm, war 51 cm lang und kerngesund. Henrik hätte sie immerzu anschauen können, ganz im Gegensatz zu seiner Frau, die ihrer Tochter nur mäßiges Interesse entgegenbrachte.

»Ich glaube, du freust dich gar nicht so recht über unser Kind«, stellte er an diesem Nachmittag kurz vor Weihnachten fest, als sie die Kleine gestillt und anschließend ihm übergeben hatte, damit er sie neu windelte und in die Wiege legte. So wie immer.

»Natürlich freue ich mich, dass sie gesund und ziemlich pflegeleicht ist«, gab Evelin nachlässig zu. »Andererseits weiß ich nicht viel mit ihr anzufangen. Vielleicht ändert sich das, wenn sie etwas älter ist.«

Er sagte nichts dazu, sondern wandte sich enttäuscht ab, um einige Arbeiten in der Küche zu erledigen. Seine Frau kümmerte sich um den Haushalt kaum noch, sondern telefonierte viel mit ihrer Mutter und diversen Freundinnen. Oder sie ging einkaufen und gab dann viel Geld für ihre persönlichen Bedürfnisse aus. So war sie früher nicht gewesen. Das Kind konnte sie offenbar nicht lieben, es war für sie nur eine lästige Nebensache.

Zu Weihnachten kamen ihre Eltern zu Besuch, die das kleine Mädchen jedoch kaum beachteten, ihn und seine Großmutter ebenfalls nicht. Sie sprachen fast nur über ihre Arbeit in einer radiologischen Klinik und über ihre Vorstellungen, im Rentenalter nach Mallorca oder Gran Canaria zu ziehen, um dort bei ständig schönem Wetter ihren Lebensabend zu genießen.

Henrik war froh, als sie am zweiten Feiertag abreisten.

Evelin freute sich nicht, sie bedauerte die Abreise der Eltern zutiefst und hätte sie wohl begleitet, wenn sie die Kleine nicht noch hätte stillen müssen.

»Aber im Frühjahr besuche ich euch«, versprach sie ihnen, worauf Frau und Herr Doktor Lanzkow zustimmend nickten und ihrer Einzigen tröstend über die Wange strichen.

Der Abschied von Schwiegersohn und Enkelkind fiel wesentlich kühler aus.

Henrik schwieg verbissen und hoffte immer noch, seine Frau würde ihr Kind allmählich wenigstens ein bisschen gernhaben – und in ihm nicht nur eine Art Bruder sehen.

Doch die Monate vergingen. Und es änderte sich nichts – gar nichts. Seine Frau war nach wie vor viel unterwegs und flog Anfang März tatsächlich für drei Wochen zu ihren Eltern – und kam neu eingekleidet und überaus gut gelaunt zurück. Sie hatte sogar daran gedacht, ihrem Mann ein teures Rasierwasser und ihrem Kind ein Kuscheltier mitzubringen.

Diese Geste hätte ihn eigentlich freuen sollen, machte ihn jedoch nur misstrauisch. Auf diesbezügliche Fragen bekam er von der Mutter seines Kindes aber keine Antwort.

*

»Oma hat am nächsten Samstag Geburtstag. Sie wird fünfundsiebzig und möchte ein bisschen mit uns feiern. Was wollen wir ihr schenken? Hast du eine Idee?« Henrik schaute seine Frau fragend an, doch die antwortete nur nüchtern: »Ich weiß es nicht, aber dir wird schon etwas Passendes einfallen, du kennst sie ja schließlich viel besser als ich.«

»Na gut, ich denke, sie wird sich über einen Präsentkorb und eine Orchidee sehr freuen.«

»Dann besorge alles. Ich habe übrigens keine Zeit, du musst allein hinfahren, nimm aber die Kleine mit. Deine Großmutter hängt ja so an ihr. Und ihr drei habt dann einen vergnügten Nachmittag.«

»Ja, sie hängt sehr an Reni, viel mehr als deine Eltern«, bestätigte er in frostigem Ton. »Die haben das Kind ja auch erst ein Mal gesehen.«

»Mit kleinen Kindern haben sie es nicht so. Das weißt du doch.«

»Genauso wenig wie du. Warum hast du eigentlich keine Zeit, mit uns zu Oma zu fahren?«

»Ich habe in der nächsten Woche ein Gespräch mit Professor Höllriegel und muss mich intensiv darauf vorbereiten. Schließlich will ich in Kürze wieder arbeiten gehen. Und deshalb ist es mir ganz lieb, wenn du die Kleine mitnimmst. Ihr Geschrei lenkt mich nur ab.«

»In Ordnung.« Er stand auf, verließ das Wohnzimmer und ging zu seiner Tochter, die gerade ihren Mittagsschlaf beendet hatte. Seine Frau begleitete ihn nicht. Das tat sie nur selten und behauptete mitunter sogar, er wäre die ›bessere Mutter‹.

Vermutlich war er das auch, und er fragte sich, ob er immer so leben wollte und leben konnte. Seine Frau, die er in den ersten Jahren so sehr geliebt hatte, war ihm fremd geworden. Die Nächte voller Liebesglut und Sinnlichkeit konnte er allerdings nicht vergessen. Und ganz tief in seinem Innern hoffte er immer noch, Evelin würde wieder so werden, wie sie zu Anfang ihrer Ehe gewesen war.

Die Hoffnung war jedoch vergebens. Das stellte er mit jedem Tag mehr fest. Und dieser Zustand war kaum noch zu ertragen.

Vielleicht sollte er sich scheiden lassen und sich eine andere Frau suchen, eine häusliche und liebevolle Frau.

Daran gedacht hatte er schon öfter, dieses Thema jedoch nie angesprochen – wegen Reni. Die Kleine war inzwischen diejenige, die seinem Dasein einen Sinn gab. Und wenn es zur Scheidung kam, dann durfte er sie vielleicht doch nicht behalten.

Dieser Ansicht war auch seine Großmutter, als sie diese anlässlich ihres Ehrentages besuchten. Die alte Frau stellte nämlich betrübt fest: »Nur gut, dass du die Reni hast. Die macht dir wenigstens noch Freude, während ihre Mutter ganz andere Sachen im Kopf hat. Dabei war sie früher so ein liebes und aufmerksames Mädchen.«

»Ja, seit dem sie ihren Doktor gemacht hat, schwebt sie nur noch in höheren Regionen und stellt sich vor, baldmöglichst die kaufmännische Leitung einer großen Firma, einer Kureinrichtung oder eines besser bezahlten Lehrstuhles übernehmen zu können. Sie denkt nur noch an sich und an ihre Karriere. So habe ich mir meine Ehe nicht vorgestellt.«

»Sie hätte besser kein Kind haben sollen.«

»Sie wollte ja auch keines, aber irgendwann hat es mit der Verhütung nicht geklappt.« Henrik lächelte spöttisch und ging dann zu einem anderen Thema über, was ziemlich leicht war, denn die kleine Irene war inzwischen sieben Monate alt und krabbelte schon munter durch die Wohnung ihrer Urgroßmutter.

Gegen 17 Uhr begann das kleine Mädchen jedoch zu nörgeln. Offenbar müde und hungrig wollte es nur noch nach Hause. So verabschiedete sich Henrik von seiner Oma und versprach, bald wiederzukommen.

*