Man nannte mich Insektenjupp - Josef Göhlen - E-Book

Man nannte mich Insektenjupp E-Book

Josef Göhlen

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Beschreibung

Er half der »Biene Maja« zu fliegen und schickte »Wickie und die starken Männer« auf Reisen. Er brachte Hits wie »Die Muppet Show«, »Alf« und »Die Simpsons« nach Deutschland. Er stieß Diskussionen über »Raumschiff Enterprise« an, holte mit der Augsburger Puppenkiste das »Urmel« aus dem Eis und schrieb über »Bill Bo und seine Bande«. Josef Göhlen prägte als Autor und Produzent das deutsche Fernsehen der 60er bis 90er Jahre. Er konzipierte zahlreiche Märchentitel und Weihnachtsserien wie »Tim Thaler«, »Silas« und »Nesthäkchen«. Von seinem Schaffen profitierte die japanisch-amerikanisch-deutsche Zusammenarbeit vieler Fernsehsender und Produktionsgesellschaften. In dieser Autobiografie präsentiert er Fans und Interessierten so ein einzigartiges Zeitzeugnis der deutschen Film- und Fernsehgeschichte. Mit einem Vorwort von Tommy Krappweis

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Man nannte mich INSEKTENJUPP
Impressum
Bildverweise
Vorwort von Tommy Krappweis
Vorwort von Josef Göhlen
Man nannte mich Insektenjupp
Meine Kindheit in Wintrich an der Mosel
Sieben Jahre zum Abitur im Internat in Bonn
Mein Weg als Werkstudent ins Studium und in die Medien
Meine Zeit beim WDR
Meine Zeit in Frankfurt beim Hessischen Rundfunk
Meine Zeit in München bei Beta Film/Taurus Film
Mein Weg nach Mainz zum ZDF »Bill Bo nach Mainz«, ein Spiegelartikel mit Wirkung
Wickie und die japanisch-amerikanisch-deutsche Zusammenarbeit
»Die Biene Maja« fliegt mit Willi und Flip über blühende Wiesen
»The Muppet Show«, die »Puppenkiste« des Jim Henson
Fiktionales in Serien und Reihen und Informationsprogramme im Kinderprogramm des ZDF
Mein Weg in die Hauptredaktion »Reihen und Serien/Vorabend« des ZDF und meine Zeit dort
Meine Pensionierung nach 22 Jahren ZDF
Meine von mir initiierten und verantworteten Programmtitel
Werbung

Man nannte mich INSEKTENJUPP

Die Autobiografie von Film- und Fernsehproduzent

Josef Göhlen

Impressum

Alle Rechte an den abgedruckten Geschichten liegen beim

Art Skript Phantastik Verlag und den Autor*innen.

Copyright © 2024 Art Skript Phantastik Verlag

2. Auflage 2024

Überarbeitete Neuauflage

Art Skript Phantastik Verlag | Salach

Lektorat » Alexa Waschkau

Cover » Autorenbild Josef Göhlen

Komplettgestaltung » Grit Richter | Art Skript Phantastik Verlag

Nach einer Idee von Tommy Krappweis

Retro Fernseher » www.freepik.com

Druck » BookPress | www.bookpress.eu

ISBN » 978-3-949880-05-6

Auch als eBook erhältlich

Der Verlag im Internet » www.artskriptphantastik.de

Bildverweise

S 11 – Josef Göhlen und Tommy Krappweis – Jörg Ossenbrüggen

S 12 – Josef Göhlen – Privat

S 17 – Wintrich – Privat

S 22 – Elternhaus in Wintrich – Privat

S 137 – Biene Maja – Marthy Murphy

S 171&196 – Josef Göhlen und Alf – Bildarchiv Peter Engelmeier

S 192&194 – Josef Göhlen und Biene Maja – ZDF

S 192-197 – Josef Göhlen – Privat

Vorwort von Tommy Krappweis

Ich traf Josef Göhlen zum ersten Mal in Augsburg, genauer gesagt, in den heiligen Hallen der dort heimischen »Puppenkiste«. Als manischer Fan war es mir schon Ehre genug, zum 65. Jubiläum der Augsburger Puppenkiste im Jahr 2013 eingeladen zu werden. Doch dann wurde mir ein älterer Herr vorgestellt, der sich zunächst einmal als »Fan von Bernd das Brot« outete. Ich war zugegebenermaßen erst etwas überfahren von den darauffolgenden Ausführungen, in denen er mir nicht nur detailliert erklärte, warum unsere mürrische Handpuppe eigentlich so gut funktionieren würde, sondern auch, was seiner Meinung nach gute »Familienunterhaltung« ausmache und was der signifikante Unterschied zum »Kinderfernsehen« sei. Erst während des weiteren Austauschs wurde mir klar, wer da eigentlich vor mir stand …

Dieser Mann hatte meine Kindheit, meine Jugend, meine beruflichen Aspirationen und letztlich auch meine Persönlichkeit so entscheidend geprägt, wie kaum ein anderer Mensch auf diesem Erdenrund. Ohne seine Initiative hätte es vermutlich keine Muppet Show gegeben, die Augsburger Puppenkiste hätte keinen Bill Bo und auch keine Kumpane gehabt und Scotty hätte Captain Kirk hierzulande kaum »hochgebeamt«. Josef Göhlen war in seiner Zeit als Leiter der Kinder- und Jugendredaktion des ZDF für nahezu alles zuständig, was ich damals im Fernsehen auf keinen Fall verpassen wollte. Der Einfluss auf meinen Humor und meine Sehnsüchte, auf meinen Wunsch, zu schreiben und zu inszenieren, die Liebe zu Puppen an Fäden oder auf der Hand, die Hingabe zur Phantastik … eine gehörige Portion dessen, was mich heute zu der beruflichen und privaten Person macht, die ich unweigerlich bin, ist beeinflusst von dem medialen Wirken dieses Mannes. Und mir war klar: Damit war ich nicht allein.

Einer spontanen Idee folgend fragte ich Josef, ob er sich denn vorstellen könne, während einem meiner sogenannten »Panels« auf einer bevorstehenden Fan-Convention als Überraschungsgast auf die Bühne zu kommen. Und er willigte ein.

Was wenige Wochen später darauf folgte, werde ich nie vergessen. Ich las zunächst einfach nur eine endlos scheinende Liste monströs bekannter Fernsehklassiker vor. Dann erklärte ich, dass wir all das zum großen Teil einem Mann zu verdanken hätten, der in seiner Funktion beim ZDF dafür gesorgt hatte, dass wir mit diesen großartigen Stoffen aufwachsen durften. Als Josef Göhlen dann in die Scheinwerfer trat, brandete ohrenbetäubender Applaus und Jubel von zweieinhalbtausend Menschen auf, der sich zu einer minutenlangen Standing Ovation steigerte. Erst als sich Josef schließlich in den bereitgestellten Sessel sinken ließ, war es möglich, ein Gespräch zu beginnen.

Im Verlauf der Unterhaltung wurde klar, dass Josef Göhlen auch dafür verantwortlich war, dass es die Serie »Captain Future« ins deutsche TV geschafft hatte. Daraufhin meldete sich jemand aus dem Publikum und stellte (mit einem von mir vielleicht nur hineininterpretierten Vorwurf zwischen den Zeilen) die Frage, warum die Serie für den deutschen Markt umgestellt und gekürzt wurde. Die Antwort von Josef war eindeutig: »Ich wollte ‚Captain Future‘ unbedingt ins deutsche Fernsehen bringen. In der damaligen Situation war das nur möglich, indem wir Kompromisse eingingen. Wenn wir dazu nicht bereit gewesen wären, dann hätten Sie diese Serie gar nicht gesehen.«

Dem Fragensteller ebenso wie dem gesamten Publikum war deutlich anzumerken, dass man es bislang nie aus dieser Perspektive betrachtet hatte – und wem sollte man daraus einen Vorwurf machen? Die Herausforderungen, Zwänge und Widrigkeiten der deutschen Fernsehlandschaft sind auch für mich als Insider oft kaum nachvollziehbar.

Wir sahen uns wieder bei der Premiere meines Kinofilms »Mara und der Feuerbringer«, den Josef sehr zu meiner Freude »vom Vorspann bis zum Abspann außerordentlich genossen« hatte. Aufgrund mindestens suboptimaler, ich möchte grenzpolemisch erhöhen zu »quasi nonexistenter«, Promotion blieb dem Film ein Erfolg an den Kinokassen leider verwehrt. Das grämte Josef so sehr, dass er in einem Artikel für das Branchenmagazin »Kress Report« seinem Ärger Luft machte. In dem flammenden Plädoyer für den Wert der Familienunterhaltung und dessen fortschreitendem Untergang in deutschen Produktionen verdammte Josef den Umgang mit unserem Film und die generelle Mutlosigkeit von Sendern und Verleihern in Bausch und Bogen. Zudem lobte er Produzent Christian Becker und mich für unser Werk in der Tradition dessen, was er damals beim ZDF zu bewirken versucht hatte. Ich kann nicht verleugnen, dass das für mich durchaus Qualitäten einer Heiligsprechung aufwies. Josefs Text wurde innerhalb kurzer Zeit zu einem der meistgelesenen Artikel des Kress Report in diesem Jahr und half mir sehr dabei, den Frust über die niederschmetternde Situation zu verarbeiten.

Das, was im Jahr 2018 folgte, war dann so großartig, dass ich es bis heute nur schwer glauben kann: Josef überließ meiner Frau Sophia und mir die Bearbeitungsrechte am Stoff seines Puppenkisten-Klassikers »Bill Bo und seine sechs Kumpane«. Seine Worte waren: »Ihr werdet damit nichts Falsches, aber sicherlich nur Gutes anstellen.« Ich kann kaum in Worten ausdrücken, wie geehrt wir uns angesichts dieses wuchtigen Vertrauensbeweises fühlten und immer noch fühlen.

Meine Firma bumm film hatte mit der Hörspielserie »Ghostsitter« gerade einen tollen Start hingelegt und Amazon Music fragte nach weiteren Stoffen. Wir boten »Bill Bo« an, Amazon Music sagte zu und so entstanden in den darauffolgenden Monaten sechzehn Stunden Hörspiel – mit Martin Schneider als Bill Bo, Thomas Nicolai als Kill Waas, Michael Krebs als der Rote Hein und Michael Kessler in einer Doppelrolle als Graf Dinkelstein und Don Josefo von der Laweng. Hella von Sinnen ließ es sich nicht nehmen, die Rolle der Haushälterin Augusta zu übernehmen, obwohl diese in der gesamten Hörspielserie nichts anderes von sich gab als »Herr Graf, der Tee«. Oliver Kalkofe gab mit Freuden die Rolle des Obristen und Josef Hannesschläger grämte sich so sehr, dass er aufgrund von Terminschwierigkeiten für die Rolle »Gselcher« absagen musste, dass wir ihn in Staffel 2 als Bürgermeister von Alheim besetzten.

Ein Hörspiel mit jeder Menge »Slapstick für die Ohren« herzustellen, war eine Herausforderung, der wir uns gerne stellten. Heute gehört diese Serie zu meinen liebsten Produktionen und ich finde, man hört überdeutlich, wie viel Spaß wir alle bei den Aufnahmen hatten.

Da wir den Stoff mitunter durchaus etwas freier bearbeitet und um einige Szenen und Figuren erweitert hatten, waren wir natürlich sehr gespannt, was Josef dazu sagen würde. Nachdem wir ihm die gesamte Serie geschickt hatten, warteten wir ziemlich lange auf eine Antwort und Nervosität machte sich breit. Würde er seine Entscheidung, uns den Bill Bo zu überlassen, nun bitter bereuen …?

Umso erlösender war die Mail, die uns dann endlich erreichte: Josef war voller Begeisterung, beglückwünschte uns zum entstandenen Werk, bat darum, seinen Dank an das gesamte Team vor und hinter den Mikrofonen auszurichten und fragte für das bevorstehende Weihnachtsfest nach dem Hörspiel auf CD, um seine gesamte Familie damit zu beglücken. Diesem Wunsch kamen wir mit Freuden nach.

Nun können wir mit Josefs Autobiografie alles aus erster Hand erfahren: Wie kam der Anime-Stil nach Deutschland? Wie wurde das ZDF zum Koproduzenten der Muppet Show und welche Hindernisse galt es zu überwinden, um Raumschiff Enterprise, Alf oder Die Simpsons hierzulande zum ersten Mal im Fernsehen zeigen zu können?

Und zugleich eröffnet uns dieses Buch einen einzigartigen Blick in die TV-Landschaft vergangener Zeiten – aus den Augen eines Pioniers und Visionärs, der mit seinen Produktionen mehrere Generationen unterhalten, inspiriert und damit im positivsten aller Sinne geprägt hat.

Danke für alles, Josef.

Tommy Krappweis, Fan

25.01.2024

Vorwort von Josef Göhlen

Wenn ich, Josef Göhlen, meine Memoiren schreibe, so meine ich in erster Linie den Weg, den ich in den Medien, besonders aber im Fernsehen gegangen bin. Über mein Privatleben möchte ich eigentlich schweigen. Ich erzähle es nur, soweit es meinen Beruf oder Berufung beeinflusst hat. Ich werde mich also auf meinen Berufsweg, auf dem mein Beruf Berufung war, und der natürlich auch mein Privatleben bestimmt hat, konzentrieren.

Es war ein Leben im Vorübergehen! Momente meines Lebens! Motivationen, Ereignisse und Begegnungen! Das sind meine Memoiren.

Dabei sind die Mosaiksteine meiner Erinnerungen nicht nach einer in sich schlüssigen und aufbauenden Strategie der Dramaturgie geordnet, sondern folgen dem Prinzip des Einfalls. So kann es sein, dass manchmal das Stöckchen auf das Hölzchen folgt. Um dennoch eine Übersicht zu garantieren, habe ich die Memoiren nach Lebens- bzw. nach Berufsabschnitten geordnet.

Claudia und Daniel gewidmet

Man nannte mich Insektenjupp

Bevor ich zu den Memoiren meines Lebens im Vorübergehen komme und Herausforderungen, Motivationen und vor allem Begegnungen meines Tuns und Handels beschreibe, möchte ich schildern, wie ich zu dem Spitznamen »Insektenjupp« gekommen bin, und damit zugleich den Titel meiner Memoiren erklären.

Es war eine simple, kuriose, ja triviale Situation.

Dank meiner Initiative flog 1976 eine Biene mit Namen Maja sehr erfolgreich über die deutschen und österreichischen Bildschirme.

Und wieder einmal war Internationale Funkausstellung in Berlin, und wieder war an einem sonnigen Nachmittag im Sommergarten der Messe »Majas Party« zu einer Zeit, in der die Zeichentrickserie Animationsserie »Die Biene Maja« größten Erfolg erzielte.

Am Abend nach getaner Arbeit trafen sich Fernsehprominenz und Presse in der Bar des ehemaligen Hotel Schweizerhof an der Budapesterstraße in Berlin zum Nachttrunk.

Später, wollte ich mir auch das Alkohol geschwängerte Spektakel in der Bar anschauen und einmal miterleben. Dort saßen, laut palavernd, Whisky und andre hochqualitative Getränke schlürfend, unter Anderen ein Programmdirektor der ARD, zwei Unterhaltungschefs von ARD und ZDF, sowie der stellvertretende Abteilungsleiter der damals Aktuellen Redaktion des ZDF, Horst Schättle, der später in seinen medienaktiven Jahren Intendant des SFB werden sollte. Dieser hatte am Tag im Sommergarten noch mit seinem Chef Karl-Heinz Rudolph das Titellied der Biene Maja mehr gegrölt als gesungen. Als er mich die Bar betreten sah, sprang er auf und schubste dabei ungewollt den Direktor des Bremer Senders von seinem Schemel, beugte sich dann zu ihm hinab und richtete sich und den Direktor mit dem rechten Arm hochhebend wieder auf und rief lachend mit der linken Hand auf mich zeigend: »Das ist die Schuld des Insektenjupps«. Damit war für die Presse mein Spitzname geboren, der einige Wochen lang für manchen hämisch-kritischen, spöttischen oder aber auch bewundernden Presseartikel herhalten musste, weil ja der Erfolg der 104 Episoden umfassenden Maja-Serie kein Ende zu haben schien. Die einen, die den Spitznamen »Insektenjupp« gebrauchten, waren neidig und spotteten, wieder andere benutzten ihn bewundernd und lobend. Mich selbst tangierte es wenig, selbst dann nicht, als der Syndikus des ZDF, mein Freund Ernst Fuhr, nach Erfolg der »Heidi«-Serie den »Insektenjupp« mit einem »Juppheidi« noch übertrumpfen wollte.

Meine Kindheit in Wintrich an der Mosel

1931 bis 1945

Wintrich an der Mosel

Zunächst muss ich zum Verständnis des weiteren Lebenslaufes natürlich den Anfang meines Lebens und meine Herkunft erwähnen.

Meine Kindheit war geprägt von meinen Eltern, der Landschaft und der besonderen Zeit, die von der Naziherrschaft gezeichnet war, und von mir willig angenommen, – in Ausnahme allerdings der Nazigesinnung, die mir in Ablehnung durch meine Eltern aber in Annahme durch Lehrer und Schulkameraden begegnete. Ich lehnte z. B. Uniform und Veranstaltungen des Jungvolkes ab und musste daher Jahr für Jahr schuldig im Nachbarort in eines reichen Nazibonzens Weinberg Unkraut jäten.

Meine Wiege stand in Wintrich an der Mosel, einem kleinen Dorf mit ca. 1.000 Einwohnern, in dem Winzer und Landwirte meist als kleinere bis mittlere Unternehmen tätig waren und heute noch sind. Meine Geburt erwartete man am Nikolaustag, den 6.12.1931. Deshalb habe ich auch noch den Zusatznamen Nikolaus. Den Gefallen tat ich meinen Eltern aber nicht. Ich kam nach 12 Uhr am 7.12., so dass als erster Rufname Josef gewählt wurde.

Eva, geb. Quint, und Franz Göhlen waren meine Eltern. Großzügig waren sie, soweit sie es als kleiner Landwirt und Winzer sein konnten. Lebensmittel stellten sie selbst im eigenen Garten und auf eigenen Feldern her, die mir als Kind alle vertraut wurden und derer ich mich heute weit ab von zu Haus wehmütig erinnere. So auch an die Weinberge, steil und felsig zur Mosel hinunter angelegt, und an die mühevolle Arbeit des Krautentfernens, des Schneidens und Aufbindens der Weinreben, an das Spritzen mit Giften gegen Insekten und Pilze und schließlich die Ernte in der kalten Jahreszeit, wenn die Glieder und besonders die Hände beim Abschneiden der Trauben erstarrten. Und schließlich mussten die mit Trauben gefüllten Rückenbütten, auch Hotten genannt, den Abhang hinab oder hinauf zum Büttenwagen getragen werden, womit die Trauben dann zum Keltern gefahren wurden.

Unsortiert kommen mir Bilder meiner Kindheit in den Sinn. Erinnerungen an eine Zeit, die ich von Geburt bis zum 13. Lebensjahr in Wintrich verbrachte und in der ich nicht über Bernkastel, die damalige Kreisstadt, oder Trier, die für Kleidung vorgesehene Einkaufsstadt, hinauskam. Der Kommunionsanzug wurde allerdings von Bleyle bei Porn in Wintrich, einem Einzelhandelsgeschäft für Lebensmittel und Kleidung, als Matrosenanzug gekauft. Ansonsten fuhr man mit der Moseltalbahn gemächlich nach Trier, um Textilien zu kaufen oder es kam vor, dass man ein größeres Fachkrankenhaus als das einfache Kreiskrankenhaus in Bernkastel aufsuchen musste. Bei solchen Gelegenheiten war ein Dombesuch in Trier Pflicht und ebenso die andächtige Bewunderung des schwarzen zylindrischen Steines, der neben dem Eingang zum Dom zu Trier lag, der vom Teufel vom Himmel heruntergeschmissen sein sollte und auf dem Trierer Kinder Rutschpartien ausübten. Ob der Steinkoloss dort vor den Toren des Doms noch heute liegt, kann ich nicht eruieren, weil ich schon lange nicht mehr meine Heimat aufgesucht habe.

Die geneigten Lesenden möge mir auch weiterhin gestatten, die Kindheitserinnerungen nicht systematisch, sondern nach Gutdünken und Einfällen hier zu erwähnen.

In Trier gab es Bekannte, bei denen man auch übernachten konnte. Und da gab es Herrn Steinlein, einen weitverzweigten Verwandten der Familie, der Regierungspräsident von Trier war und der mich nach dem Abitur beriet, doch als Inspektor und Beamter mein Leben zu Ende zu bringen. Da er gemütlich hinter seinem großen Schreibtisch im Sessel saß und gleichzeitig mich mit seinen Ratschlägen und seinem Dackel unter dem Schreibtisch fütterte, beschloss ich, seinem Rat nicht zu folgen. Ich machte mich nach Hause auf, um meinen Koffer zu packen und ohne Geld nach Köln aufzubrechen und mich dort an der Uni zu immatrikulieren. Warum ich gerade Köln aussuchte, weiß ich nicht. Von Bonn kannte ich aus meiner Internatszeit – über die ich im Laufe meiner Erinnerungen erzählen werde – mein Internat, das Sinti- und Roma-Lager vor den Toren des Internats, Vorstadtkinos und das Gefängnis, jedoch die Uni nicht.

Aber nicht nur der Steinleinbesuch sondern auch mein kurzes Volontariat, das ich bei der Volkszeitung in Trier begonnen hatte und zu dem ich täglich 40 km hin und 40 km her mit dem Fahrrad fahren musste und bei dem ich als erste Aufgabe bekam, einen Bericht über den aufkeimenden Frühling rings um die römische Basilika zu schreiben, haben mich zu dem Aufbruch nach Köln veranlasst.

Bevor ich dies aber mit 21 Jahren tat, hatte ich eine Internatszeit in Bonn hinter mir und vorher in Wintrich noch eine Kindheit bis zum 13. Lebensjahr verbracht, die man Idylle nennen könnte, wenn nicht die Nazizeit und der schreckliche Krieg stattgefunden hätten.

Zu Hause in der Familie des Franz und der Eva Göhlen war man streng katholisch, schon deshalb, weil das große Nachbarhaus, das Pfarrhaus, und die Kirche nur einen Steinwurf vom Elternhaus entfernt waren. Der Pfarrhausgarten lag direkt neben dem unseren und man äugte eifersüchtig auf jede neue Blüte, die sich zeigte – im Pfarrgarten durch die Haushälterin mit Blick in unseren Garten und durch die Oma wiederum in den Garten des Pfarrers.

Die Oma war übrigens neben meiner Mutter die einzige Person, die belesen war und die »Landeszeitung« sowie die Kirchenzeitung neben den Katalogen einschlägiger Versandhäuser wie beispielsweise Witt fast auswendig sagen konnte. Im Übrigen wurden die Kataloge, wenn sie dann benutzt worden waren, auch noch auf dem Häuschen im Garten, auf das man bei Notdurft verrichten musste, benutzt, solange das alte Haus nicht mit sanitären Anlagen versehen wurde. Das aber geschah erst nach dem Krieg, als Fachwerk verpönt und Plastik beliebt war. Ja, ich war empört und fragte entsprechend. Man wollte es bequemer, kommoder als bisher haben und zog dem Schieferboden in der Küche einen Linoleumboden vor. Und auch die Tischdecke war nicht mehr aus Leinen, sondern aus Plastik.

Ich erinnere mich gerne an die Küche, die vor der Sanierung groß war mit Schieferboden, Herd und offenem Kamin und mit Holz und Reisig zu beheizendem Backofen, der alle zwei Wochen knuspriges selbst gebackenes Brot entließ. Auf dem Küchenschrank hinter dem Esstisch stand im Zentrum das Radio, das – meist zur Mittagszeit – damals noch orchestrale Unterhaltung mit Weisheitssprüchen eines Dichters von sich gab.

Die religiösen Utensilien hatte man in die gute Stube verlagert, die man nur sonntags öffnete, um die vorübergehenden Kirchgänger auf der Straße zu beobachten oder in der man den Pfarrer oder einen Behördenmenschen empfing. Aber im Winter wurde sie auch banaler benutzt, zum Beispiel zum »Weiden machen«. Dies meint den Vorgang, Weidenzweige zu bearbeiten, so dass sie im Frühjahr zum Aufbinden der Reben benutzt werden konnten. Dort stand auch das Spinnrad, mit dem man die Wolle des einzigen Schafes, das man besaß, verarbeiten konnte. Hier habe ich unter Aufsicht der Oma spinnen gelernt und erfahren, dass Knoten des Schicksals, wie Oma philosophisch manche Ungereimtheiten des Spinnfadens und des Lebens nannte, durch Vorsicht und Überlegung und Mut zu mindern oder gar zu vermeiden waren.

Dies geschah in diesem älteren Haus, meinem Geburts- und Elternhaus.

Ich liebte dieses Haus. Hatte es doch immer, wenn ich wieder aus dem Internat in den Ferien nachhause kam, ein Zimmer für mich bereit, hoch oben unterm Dach, von dem aus man die Mosel sehen und ihr Rauschen hören konnte. Damals war sie noch nicht in Staustufen gezwungen, sondern konnte über Schieferkliffe, frei und dennoch mit am Ufer stehenden Weiden eingezäunt, dahin rauschen. Um Kirche, Weinberge, Felder und Mosel drehte sich das Leben und wir waren als Kinder begeistert, wenn man als Messdiener bei der Wandlung in der Messe, die große Schelle klingeln lassen konnte, wenn man das Weihrauchfass schwingen oder die Fahne bei Prozessionen in den Wind stemmen durfte. Katholisch war man, auch wenn gelegentlich, versteckt hinter dem Altar, der Rest vom Messwein mundete und man den Beichttermin als Routinetermin wahrnahm. Die Absolution war sicher.