Manuela - Joachim Kuhrig - E-Book

Manuela E-Book

Joachim Kuhrig

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Beschreibung

Seeshaupt 1981. Achim, der Gymnasiallehrer aus dem Rheinland, lebt in seinen Schulferien mit in Manuelas Haus am Starnberger See. Da er die Biografie des Stars schreiben soll, erzählt sie ihm abschnittsweise ihre bisherige Lebensgeschichte mit allen Höhen und Tiefen. Im Zentrum steht der 1973 beginnende, gegen sie gerichtete Fernsehboykott, der sie erstmalig an den Abgrund führt. Achim, seit Anfang ihrer steilen Künstlerkarriere tief ergriffener Bewunderer, hat sich längst in Manuela verliebt und erobert sie im Laufe der Zeit mit einer Engelsgeduld. Horrem 1984. Manuela und Achim sind häufig allein ohne den ständig im Weg stehenden Manager Werner. Die Liebe ist voll entflammt und mündet in einer engen Beziehung. Manuela gewinnt wieder Boden unter den Füßen und erfüllt sich mit dem Komponieren von Schlagern und Popmusik einen weiteren Lebenstraum. Dann ein plötzlicher Vertrauensbruch. Die Beziehung stirbt durch Rückzug von Achim, der sie jedoch aus seinem Herzen nicht verliert. Manuela bekommt in den Folgejahren ihr Leben nicht wirklich in den Griff. Werner, der sie entdeckt und nach oben gebracht hat, den sie aber auch zu hassen gelernt hat, stirbt 1993. Bruder Klaus, mit dem sie wegen eines Zerwürfnisses zwischen Werner und ihm bricht, hilft ihr als ihr neuer Ratgeber, wieder in Rundfunk und Fernsehen aufzutreten. Bis dahin kennt Manuela die Gipfel ihrer Karriere (Las Vegas, 45 amerikanische Bühnenshows, Freundschaft mit Cary Grant) ebenso wie die Täler tiefer Verzweiflung und Not bis hin zu Selbstmordgedanken. Doch die eigentliche Tragik ihres Lebens ist ihr früher Tod 2001. Die tückische Krankheit Gaumenkrebs überkam sie, als sie sich berechtigte Hoffnung auf ein großes Comeback machen kann. Und Achim? Er lebt bis heute für und gedanklich mit Manuela.

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Seitenzahl: 539

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Kapitel: Love And Kisses Schock am Starnberger See

2. Kapitel: Immer wenn ich an Berlin denk Sirenengeheul und Überleben

3. Kapitel: Wenn du liebst Das „Singende Neutrum“

4. Kapitel: Friede auf Erden Von der Papstaudienz in die Krise

5. Kapitel: Icke dette kiecke mal Teenager-Schreck der Hinterhöfe

6. Kapitel: Schuld war nur der Bossa Nova Doppelspitze

7. Kapitel: Die goldene Zeit Emotionaler und finanzieller Reichtum

8. Kapitel: Rund um die Welt Wilde Truppe auf Tournee

9. Kapitel: Star-Boutique Manuela Amerika – Ich komme

10. Kapitel: Du kannst mich mal besuchen in Berlin Benelux-Desaster

11. Kapitel: Da sagen sich die Füchse gute Nacht Märchenschloss mit Tücken

12. Kapitel: Alles und noch viel mehr Die Lichter von Las Vegas

13. Kapitel: Was hast du gemacht Boykott – Absturz – Ruin

14. Kapitel: Es ist zum Weinen Flucht ins Versteck

15. Kapitel: Spiel mit mir das Spiel der Liebe Mein Liebestraum wird Realität

16. Kapitel: Rhodos bei Nacht Comeback

17. Kapitel: Etwas in mir wurde traurig Stachel des Vertrauensbruchs

18. Kapitel: Komm wieder Abschied oder Abgrund

19. Kapitel: Wenn ich erst wieder Boden spür Einsamkeit und Verzweiflung

20. Kapitel: Sehnsucht nach der Heimat Ich bin wieder da

21. Kapitel: Letzte Rose Dich vergessen kann ich nie

Dank

Autoren-Vita

Diskografie

Vorwort

Mein Grundmotiv war der Wunsch, einen Tatsachenroman über die Sängerin und Komponistin Manuela zu schreiben und einige über sie kursierende fragwürdige Informationen richtigzustellen. Dabei stützte ich mich auf verschiedene Dokumente und meine Erlebniserinnerungen aus unserer gemeinsamen Zeit. Die Perspektive des Icherzählers ermöglichte Stellungnahmen aus der gegenwärtigen Situation.

Ihre Lebensgeschichte von 1943 bis 1981 basiert vor allem auf Gesprächen zwischen ihr und mir in den Jahren 1981 bis 1984. Unterbrochen ist dieser Teil des Romans abschnittsweise durch aktuelle Erlebnisse. Die Zeit bis 1992 erscheint in Schilderungen. Für die Folgejahre sind Manuelas Tagebuch- und Tonbandaufzeichnungen sowie meine Interviews mit ihrem Bruder Klaus zugrunde gelegt.

Bei der Anfertigung des Romans habe ich keine der zahlreichen Presseberichte über die Sängerin berücksichtigt. Sollte es wörtliche Übereinstimmungen geben, ist das darauf zurückzuführen, dass sie ursprünglich vor der Veröffentlichung in den Medien von Manuela stammten und ich sie aus ihren Tagebuchaufzeichnungen übernommen habe.

Sämtliche geschilderten Begebenheiten sind nicht fiktiv, sondern haben sich tatsächlich so ereignet. Lediglich einige Personen- und teilweise Firmennamen sind verfremdet, um keine Persönlichkeitsrechte zu verletzen.

Ich schildere in diesem Buch Manuelas Aufstieg, ihre Erlebnisse, die Intrigen, den Neid und die Machenschaften im Schlagergeschäft und decke auf, mit welchen Methoden in dieser Branche vorgegangen wird und mit welchen Mitteln man versucht hat, ihre Karriere zu beenden.

Weitere Motive, Manuelas Leben darzustellen, haben vor allem mit Musik, Liebe, Geld und Recht zu tun. Ihre Musik hat Millionen begeistert, der Umgang mit Finanzen und Rechtsstreitigkeiten ihr Leben negativ geprägt, ja sie in schwindelerregender Schnelligkeit brutal vom Thron gestürzt, nachdem sie ihn gerade erklommen hatte.

Die Protagonistin des Romans ist Manuela, die als Doris Inge Wegener in ärmlichen Verhältnissen in einem Berlin-Weddinger Hinterhof aufwuchs, 1963 als Neunzehnjährige mit den Liedern Schuld war nur der Bossa Nova und Wini Wini hintereinander Platz eins der deutschen Charts erreichte und bis in die Siebziger zum beliebtesten deutschen weiblichen Schlagerstar gewählt wurde. Ihre Karriere führte sie auf die Showbühne in Las Vegas und brachte ihr einen Millionenvertrag mit einer Musikfirma und 24 Millionen verkaufte Tonträger ein. Dann folgte der berufliche und finanzielle Absturz fast in die Bedeutungslosigkeit, ausgelöst durch einen aussichtslosen Rechtsstreit mit einer öffentlichrechtlichen Fernsehanstalt, ihr Versuch, an die alte Karriere anzuknüpfen.

Ich, der Autor, als gleichrangige Hauptfigur bin Mathematik-Lehrer und verbrachte viele Jahre gemeinsam mit Manuela, zunächst als ihr Bewunderer, dann als Freund und schließlich enger Partner. Meine Erlebnisse mit der Sängerin, in deren Wohnungen in Seeg, Seeshaupt, Horrem und Rath ich wie zu Hause war, sind Gegenstand der Schilderungen. Meine Berichterstatterfunktion erinnert schriftstellerisch zum Beispiel an die Dr. Watsons in Arthur Conan Doyles Sherlock-Holmes-Geschichten in London.

Antagonist ist Werner Fey, der vom Bananenhändler über den Tanzlokalbesitzer zu Manuelas Manager aufstieg. Er entdeckte die Sängerin und hatte maßgeblichen Anteil an ihrer Karriere. Er hielt sie jedoch von der Männerwelt und eigener charakterlicher Entwicklung fern. Schließlich ruinierte er sie wirtschaftlich durch falsche Management-Entscheidungen und permanente Spielsucht. Er ist quasi der Bösewicht.

Eine weitere Nebenfigur ist Manuelas sporadisch auftauchender Bruder Klaus, der ihre Häuser verwaltete und ihr bei der technischen Arbeit half. Durch eine Intrige bewirkte Fey Klaus‘ wirtschaftlichen Ruin und Streit mit seiner Schwester. Erst zum Schluss gelangten sie zu einer Wiederversöhnung.

Der Roman beginnt 1981 in Seeshaupt, wo ich in meiner Freizeit mit in Manuelas Haus wohnte, nachdem ich mich längst in sie verliebt hatte. Sie bat mich, ihre Biografie zu schreiben, wobei ich das Romanschreiben in Form von Notizen vorwegnahm, und sie erzählte abschnittsweise ihre Lebensgeschichte. Im Zentrum steht der 1973 beginnende Fernsehboykott, der sich wie ein Berufsverbot auswirkte.

Obwohl Fey Manuela schlecht behandelte, bevormundete und zum Teil sogar misshandelte, wollte sie sich nicht von ihm trennen. Die Hintergründe aufzuklären, machte ich mir zur Aufgabe. Ich half ihr auch finanziell, ihre Karriere neu aufzubauen.

Ab 1984 in Horrem war ich häufig mit ihr allein und wir lebten einige Jahre in enger Partnerschaft. Während dieser Zeit hatte sie beruflich wieder bescheidene Erfolge, Nummer-Eins-Titel in den Rundfunk-Hitparaden sowie 100.000 bei der GEMA gemeldete Platten eines Songs. Sie erfüllte sich mit dem Komponieren von Schlagern und Popmusik einen Lebenstraum. Wegen eines Vertrauensbruchs ging unsere Beziehung auseinander.

Nach Feys Tod hatte Manuela Probleme, ihr Leben in den Griff zu kriegen. Der Bruder half ihr, wieder Rundfunk- und Fernsehauftritte zu bekommen.

1. Kapitel

Love And Kisses Schock am Starnberger See

Manuela erhob sich mit einem Ruck von der Bettkante und schmiss ihr Halstuch zu Boden. Baute sich mit verschränkten Armen kerzengerade vor mir auf, stand in ihrem Jogginganzug da und rang nach Worten. Ihre Augen funkelten. Einen solch bösen Blick hatte ich zuvor noch nie erlebt.

Dann brach ein Unwetter über mich herein: „Das kann ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Wo du genau weißt, dass ich gerade erst den Berghof verloren habe.“ Sie hob ihr Halstuch auf und schleuderte es mir an den Kopf.

Erschreckt erhob ich mich im Bett. Ihr apricotfarbener Pudel, der die ganze Zeit an meinem Fußende unbewegt gelegen und gelauscht hatte, versuchte, sich unter der Bettdecke zu verkriechen.

„So ein Wahnsinn!“ Sie rannte davon. Bevor sie die Tür erreichte, hörte ich wieder ihre durchdringende Stimme: „Lunni kommt mit!“

Das Hündchen sprang wie von Flöhen gebissen aus dem Bett, sah mich kurz an und trottete hinter seinem Frauchen her. Die Tür fiel krachend ins Schloss.

Was hatte ich falsch gemacht? Oder hatte ich nur nicht den richtigen Zeitpunkt erwischt?

Mein Blick wanderte durch das halbdunkle Gästezimmer, in dem nur ein Doppelbett, zwei Nachttische und ein kleiner Kleiderschrank standen. Alles im Bauernstil. Ich sah auf die Uhr. Es war kurz nach Mitternacht.

Die Tür wurde wieder aufgerissen. Sie lief auf mein Bett zu, Lunni im Schlepptau, blieb zwischen Bett und Hauswand auf dem Teppich vor dem Nachttisch stehen und starrte mich wütend an. Hatte etwas wie einen Lappen in der Hand und hielt es mir vor die Nase. „Du hast mir das nur geschenkt, weil du mich kaufen willst. Mich kann man nicht kaufen. Das haben schon viele versucht. Niemand kann das.“ Wütend zerriss sie das teure Kleid, warf es auf den Boden und trat mit den Füßen darauf.

Dann verschwand sie so schnell, wie sie gekommen war. Das Kleid blieb liegen. Der Knall der zugeworfenen Tür dröhnte in meinen Ohren.

Was war bloß in sie gefahren? So kannte ich sie gar nicht. Das passte nicht zu ihr. Wie konnte sie mir das antun? Ich hatte ihr nur gesagt, dass ich sie mochte.

Plötzlich ging die Tür wieder auf. Dieses Mal nicht mit Getöse. „Ihr Männer seid alle gleich. Ihr denkt, wenn man einer Frau ein teures Geschenk macht, liebt sie euch gleich. Ihr, ihr ...“

Manuelas Stimme, die sonst betörend war, klang laut und schrill. Ihr strenger Blick erschreckte mich. Sie hob an, weiter zu schreien. Doch mitten im Satz verstummte sie und starrte mich an.

Hatte sie meine feuchten Augen gesehen?

Ihr vorwurfsvoller Gesichtsausdruck war nicht mehr so düster. Eine Spur von Verwunderung meinte ich zu bemerken. Langsam drehte sie sich um und hob beschwichtigend die Hände. Dann nahm sie vorsichtig das Kleid auf, legte es über ihren linken Arm, sah mich mitleidig an und verließ auf leisen Sohlen den Raum. Die Tür blieb offen.

Ich verkroch mich unter der Bettdecke, als wenn ich mich vor schadenfrohen Gaffern schützen wollte. Aber es war natürlich niemand im Zimmer.

Mein Stolz war von einer Frau angeknackst worden, die noch vor Kurzem auf dem Höhepunkt ihrer Gesangskarriere von Millionen umjubelt, ja, das Idol einer ganzen Generation war. Mit dreißig war sie von der Presse noch wegen ihrer Attraktivität und ihrer schicken Kleidung als Deutschlands ewiger Teenager vom Dienst bezeichnet worden. Jetzt war sie siebenunddreißig und faszinierender denn je.

Mir fehlen auch heute noch die Worte, um es zu beschreiben. Kein Foto – und es gibt Tausende von ihr – lässt dieses Gesicht und die Figur richtig zur Geltung kommen. Sie sah sexy aus. Mit Ende zwanzig hatte sie mir gesagt, dass sie gar nicht wüsste, was das bedeutet.

Auf ihr gepflegtes Äußeres legte sie stets großen Wert. Ob dezent geschminkt in der Öffentlichkeit, im Fernsehen oder auf der Bühne, auch ohne Make-up in den eigenen vier Wänden sahen ihr Gesicht und das dunkle Haar mit Strähnchen erregend aus. War immer modisch elegant gekleidet, wenn sie das Haus verließ. Vielleicht einen Tick zu jugendlich. Die Männer pfiffen ihr auf der Straße nach wie zu Zeiten von Schuld war nur der Bossa Nova, als sie mit neunzehn Deutschlands Teenager-Superstar Nummer eins war.

Am Nachmittag war ich mit ihr noch Arm in Arm durch München geschlendert und stolz darauf gewesen, dass sie so viel Aufmerksamkeit erregt, als Frau bewundert wurde und ich an ihrer Seite sein durfte.

Es war wohl naiv von mir anzunehmen, Manuela im Sturm erobern zu können. Daran seien schon viele gescheitert, wie sie erzählte. Nicht umsonst wurde sie von verschmähten Liebhabern aus der Unterhaltungsbranche wenig galant als Singendes Neutrum oder Singende Nonne bezeichnet. Darüber hat sie immer gelacht.

Sie dazu zu bewegen, mit ihr ins Bett zu gehen, sei nahezu unmöglich, sagte sie. Nicht einmal ein hohes Tier vom deutschen Fernsehen habe das geschafft. Zur Strafe habe der Mann verkünden lassen, sie sei zu schlecht für den Grand Prix d‘ Eurovision de la Chanson, den man heute European Song Contest nennt. Sie durfte Deutschland nicht vertreten.

Manuelas Manager Werner Fey sagte immer, wenn sie Geschichten über den Rundfunk, das Fernsehen, die Presse oder die Showbranche erzählte, in seiner typisch saloppen Art den legendären Satz: „Die wollen alle nur bei Manuela schlafen nehmen.“ Damit meinte er die Herren der Musikbranche.

Zwei Jahre lang hatte ich mich nicht getraut, mit ihr über meine Gefühle zu sprechen. Und jetzt?

Wenn sie mir auf ruhige Art zu verstehen gegeben hätte, dass sie zurzeit keine Lust auf eine neue Beziehung habe oder ich vielleicht nicht ihr Typ sei. Aber ihr Auftritt hatte mich schockiert. Ich hatte auch gar nicht mit einer solch demütigenden Reaktion gerechnet. Schließlich waren wir uns in der letzten Zeit näher gekommen, wenigstens etwas.

Bereits in ihrem letzten Domizil, auf dem Berghof in Seeg im Allgäu, war sie abends häufig in meinem Zimmer erschienen. Wir hatten wie auch heute auf meinem Bett gesessen und uns Geschichten aus dem Leben erzählt.

An einen Abend erinnere ich mich noch genau. In ihren Tagebüchern findet sich dazu ein Eintrag aus dem Vorjahr: „Mit Achim noch bis 22 Uhr gesessen. Dann schlafen gegangen.“ – Ich hatte ihr mein Erlebnis mit einer Oberstufenschülerin erzählt, in die ich mich gehörig verguckt hatte. Die Abiturientin hatte sich sichtlich geehrt gefühlt, mir dann aber gesagt, sie habe schon einen Freund.

Manuela hatte damals meiner Geschichte geduldig gelauscht und mich am Ende getröstet: „Du findest bestimmt eine neue nette Frau.“ – Dass ich mich zu dem Zeitpunkt schon für sie begeisterte, hatte ich ihr allerdings verschwiegen. Bei diesen Gesprächen an der Bettkante war es über Küsschen nicht hinausgekommen.

Am Mittag hatte sie sich noch so sehr gefreut und war mir um den Hals gefallen, als ich ihr in München das grüne Kleid ausgesucht und geschenkt hatte. Sie könne es prima für Fototermine und die Bühne gebrauchen. Wir waren uns einig: Es stand ihr prächtig.

So was Dummes aber auch! Dass ich ihr ausgerechnet an dem Tag, an dem ich ihr das Kleid kaufte, sagen musste, wie sehr ich sie mochte! War das ein Fehler? Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie diese Geste missverstehen könnte. Hatte ich alles vermasselt?

Ich lag immer noch im Bett des Gästezimmers im Untergeschoss ihres gemieteten Bungalows am Starnberger See und hatte trotz eines offenen Fensters das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich öffnete das zweite Fenster, um mehr frische Luft hereinzulassen.

Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen, zermarterte mir das Gehirn, wie ich mich am nächsten Morgen verhalten müsste, um gut aus der verfahrenen Situation herauszukommen. Das Naheliegende wäre gewesen, nach Hause zu fahren, zurück von Seeshaupt nach Düsseldorf. Anschließend hätte ich mich dann aber nicht mehr bei ihr blicken zu lassen brauchen. Diesen Gedanken verwarf ich. Nach stundenlangem Grübeln beschloss ich zu kämpfen, so lange bis sie von selbst zu mir käme und mir bewies, dass sie kein Singendes Neutrum sei. Auch wenn es noch einige Zeit dauerte. Ja, ich war mir sogar sicher, dass ich das schaffen könnte. Ich müsste sie nur immer in meiner Freizeit besuchen, nicht aufdringlich, aber möglichst viel mit ihr zusammen sein.

Ich konnte nicht einschlafen, dachte darüber nach, wie ich sie kennengelernt hatte. Als ihre ersten Platten wie verrückt im Radio gespielt wurden, war ich auf ihre warme Stimme aufmerksam geworden und wollte als Sechzehnjähriger natürlich wissen, wie sie aussah. Ihre Pressebilder fand ich überwältigend. Das wäre was für mich, dachte ich. Aber sie war ein Star. Wie sollte ich da herankommen?

Im Herbst 1965 sah ich sie zum ersten Mal. Ich war als Oberstufenschüler auf einer Wanderfahrt in München. Da stand sie plötzlich leibhaftig vor mir. Ich war mir sicher, dass sie es war, weil ich ihren Manager Fey, der neben ihr stand und ihren Namen nannte, ebenfalls erkannte. Ich war zu feige, sie anzusprechen, vielleicht weil sie drei Jahre älter war als ich. Ich weiß es nicht mehr genau.

Dann besuchte ich Konzerte und holte mir Autogramme von ihr. Jedes Mal war ich wie elektrisiert, wenn ich in ihrer Nähe war. Als ich ihr schrieb, dass ich sie bewunderte, bekam ich einen sehr netten Brief von ihr. Sie schrieb, dass sie mich auch bewunderte, weil ich Mathematikstudent sei und Interesse an ihr und ihrer Musik hätte.

Von 1968 an begegneten wir uns immer häufiger bei ihren Gastspielen und Fanclubtreffen, zu denen ich eingeladen wurde. Ich rief sie gelegentlich von einer Telefonzelle aus an. Selbst hatte ich noch keinen eigenen Apparat. Im Januar 1970 lud sie mich zu ihrem Senderinterview bei Radio Benelux ein. Später trafen wir uns noch öfter bei Autogrammstunden im Raum Düsseldorf. Seit wir uns kannten, schickte sie mir alle ihre neuen Platten zu.

1971 und 1973 hatten wir telefonischen Kontakt, als sie mir im Vorfeld von der Fernseh-Affäre berichtete und meine Meinung zu den Geldforderungen wissen wollte.

Dann kam die Zeit, wo ich mich auf mein Staatsexamen vorbereiten musste. Erst im August 1979 begegneten wir uns wieder, auf ihrem Berghof im Allgäu. Von da an sahen wir uns alle paar Wochen. Ich wohnte in einem Zimmer des ersten Stocks ihres Anwesens, direkt neben ihrem privaten Trakt.

Während dieser Zeit suchte sie Teilhaber an ihrer neu gegründeten Musikfirma Manuela Sound Musik Produktion. Ich beteiligte mich mit einem fünfstelligen DM-Betrag. Sie gab mir als Absicherung unter anderem zwei ihrer Pelzmäntel, die sie in den Sechzigerjahren für 32.000 Mark gekauft hatte. Ich versprach ihr, die guten Stücke nicht zu veräußern. Sie sollte die Chance haben, sie zurückzubekommen.

An dieser Stelle muss ich wohl eingeschlafen sein. Übrigens, die Mäntel hängen noch heute in meinem Kleiderschrank.

Obwohl ich nur wenig Ruhe gefunden hatte, stand ich am nächsten Morgen früh auf. Im Bad nebenan ließ ich mir Zeit. Es war ein großer Raum, direkt unter der Küche. Hellblau gefliest, vom Boden bis zur Decke. Neben einer großen Badewanne unter dem Fenster am anderen Ende des Raums gab es eine Toilette und zwei große Waschbecken. Alles hellblau. Eine ihrer Lieblingsfarben. Meine Gedanken kreisten um die gespenstige Szene der letzten Nacht. Ich wusste immer noch nicht, wie ich ihr heute begegnen sollte.

Nachdem ich mich rasiert und gekämmt hatte, zog ich meine enge, dunkelblaue Schlaghose und ein Hemd mit kurzen Ärmeln an. Damals war ich schlanker, hatte auch mehr Haare auf dem Kopf als heute. Dann ging ich bedächtig durch den langen, künstlich beleuchteten Flur Richtung Treppe. Auf den letzten Stufen hielt ich noch einmal inne, putzte nervös meine Brille, ehe ich mit Herzklopfen das obere Stockwerk betrat.

Als ich in die Küche kam, saß Manuela schon am Frühstückstisch, Lunni im Körbchen neben ihr. Sie hatte ihre Haare zurechtgemacht, trug ein locker am Körper hängendes buntes T-Shirt, das nur bis zum Bauchnabel reichte. Zu meiner Verwunderung hatte sie untenrum lediglich einen Slip an.

Was hatte das denn zu bedeuten? Hatte sie vor, mich hier zu halten und deshalb die Waffen der Schönen Frau aufgefahren?

Auf dem Berghof hatte ich sie zwar auch schon mal im Slip über den Flur huschen gesehen. Aber das war rein zufällig. Sie war nicht der Typ, der einen heiß machen und verführen wollte. Ganz und gar nicht! In all den Jahren, in denen ich mit ihr zusammen war, habe ich nicht ein einziges Mal beobachtet, dass sie in ihrer Wohnung in Unterwäsche herumgelaufen war, wenn sie Besuch hatte.

Nach einem kaum hörbaren Guten Morgen! sprachen wir kein Wort miteinander, warfen uns aber ab und an verstohlene Blicke zu. Ich blinzelte auf ihre Beine und hätte mich am liebsten vor Erregung auf sie gestürzt. Dann sah ich in ihr Gesicht. Es drückte eine tiefe Traurigkeit aus. Als ich aber einen gewissen Trotz zu erkennen glaubte, musste ich wieder an den vergangenen Abend denken und wurde wütend: „Möchtest du, dass ich nach Hause fahre?“

Sie sagte kein Wort, stand auf und blieb stehen. Ich bemerkte, dass sie barfuß war und keine Strümpfe trug. Sie starrte mich an. In ihrem Blick meinte ich, eine unendliche Traurigkeit zu erkennen. Obwohl ich in der vergangenen Nacht sehr enttäuscht von ihr war, tat sie mir jetzt leid. Ich musste an ein wehmütiges Lied denken, das sie 1967 gesungen hatte: „Morgen kommt der Tag, da lässt du mich allein ...“

Das Video zu diesem Lied findet man heute noch im Internet. Niemals hat es eine Frau gegeben, die mir besser gefallen hat als Manuela in diesem Film.

Als sie vor mir stand, musste ich schlucken und bekam kein Wort raus. Das dauerte vielleicht eine halbe Minute, kam mir aber wie eine Ewigkeit vor. Inzwischen hatte ich mich ebenfalls erhoben und war einen Schritt auf sie zugegangen. Lunni hielt es auch nicht mehr in ihrem Körbchen aus und gesellte sich zu uns. Manuelas Gesichtsausdruck veränderte sich. Sie biss sich auf die Lippen. Ich sah, wie sie mit sich kämpfte.

„Lunni, ab ins Zimmer!“, hörte ich sie sagen. Die Hündin gehorchte, trottete in Richtung Schlafzimmer und sah sich ein paar Mal um, ehe sie aus meinem Blickfeld verschwand.

Plötzlich sprang Manuela auf mich zu, packte mit beiden Händen meinen Hinterkopf und küsste mich leidenschaftlich. Dabei musste sie sich auf die Zehenspitzen stellen, weil sie fast einen Kopf kleiner war als ich.

Ich war völlig überrascht. Solch eine Leidenschaft hatte ich noch nie erlebt. In diesem Moment konnte ich mein Glück gar nicht fassen.

Sie schubste mich mit voller Kraft mit ihrem Oberkörper an die Wand und erdrückte mich fast. Ich hatte gar nicht gewusst, dass sie so stark war. Ich spürte den Druck ihrer Brüste an meinem Körper. Fühlte ihre Erregung. Sie machte weiter und immer weiter, sodass ich fast keine Luft mehr kriegte. Ihr Parfümduft, den ich durch die Nase einzog, benebelte mich. Als sie einmal innehielt, um Luft zu schnappen, atmete ich ihren Körpergeruch ein.

Ich musste denken, war das der erste Schritt in Richtung meines Ziels? Ich war mir nicht sicher. Vielleicht würde sie ja eines Tages ... Sie bestärkte mich, weiter um sie zu kämpfen. Es gab kein Zurück mehr.

Während ich jetzt meine erste richtige Kussszene mit Manuela beschreibe, muss ich an ein Erlebnis mit ihr in der Öffentlichkeit denken. Es war noch im gleichen Jahr auf der Silvesterfeier bei einer Bekannten von ihr in München. Als wir auf der Tanzfläche standen, fiel sie mir plötzlich um den Hals und drückte ihren Mund lang anhaltend auf den meinen. Alle starrten uns an. Ihr Manager Werner Fey rieb sich die Augen und war zunächst sprachlos. Dann machte er ein Gesicht, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. „Jetzt schaut euch mal an, was die Süße mit dem Oberstudienrat macht!“, rief er laut. „Wenn das seine Schülerinnen wüssten.“

Idiot, ging es mir durch den Kopf und sah dabei Manuela an. Sie blickte mit giftigem Blick zu Fey hinüber, wollte etwas entgegnen, reagierte dann aber ganz anders. Sie drückte jetzt erst recht so heftig, dass ein Glücksgefühl meinen Körper durchflutete. Ich vergaß alles um mich herum.

Zurück nach Seeshaupt.

Bevor Manuela mich losließ, rieb sie kurz ihren Oberkörper an meinem, trat einen Schritt zurück und ordnete ihr Haar. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich inzwischen in ein Lächeln verwandelt. Dabei sah sie mir ohne Unterbrechung in die Augen. Das war neu für mich. Ich konnte es nicht einordnen. Ein paar Tränen sah ich an ihren Wangen herunterlaufen. Ihre blaugrauen Augen, das ovale Gesicht und die halblangen modisch frisierten Haare hielten mich fest. Sie sagte immer noch nichts. Ich habe damals nicht gewusst, dass sie sich nie mit Worten entschuldigte. Niemals. Später sollte ich das noch öfter leidvoll erfahren.

Nach dieser Szene packte ich natürlich nicht meine Sachen, sondern blieb bei ihr.

Kurze Zeit später brach sie ihr Schweigen: „Soll ich dir mal zeigen, was ich in Los Angeles in der Ballettschule gelernt habe?“

Wegen ihrer spontanen Ideen wurde sie von ihrem Manager gelegentlich Wundertüte genannt. Der Ausdruck gefiel mir so sehr, dass ich ihn an passender Stelle ebenfalls gebrauchte.

Sie ging mit mir durchs Wohnzimmer, rechts am Flügel vorbei, der neben dem Panoramafenster mit Blick in den Garten stand. Ihr Papagei Coco beobachtete uns von seinem Käfig auf der Fensterbank aus. „Cocochen“, krächzte er. Es klang so, als hätte Manuela gesprochen. Neben der Regalwand, wo sie ihre Bücher und Notenhefte aufbewahrte, befand sich eine Tür, die uns in den hinteren Raum führte. Dort standen die Möbel noch kreuz und quer. Seit dem überstürzten Umzug nach der Versteigerung ihres Berghofs war erst kurze Zeit vergangen und ihr neues Heim noch nicht vollständig eingeräumt.

Sie zeigte mir links neben der Tür an der Wand einige gymnastische Übungen, die nur sehr gelenkige Frauen fertigbringen. Dann aber auch Kopfstände, abgestützt mit nur einer Hand. Hierbei sah ich besonders interessiert zu, weil sie immer noch wie beim Frühstück spärlich bekleidet war. Bis dahin hatte ich nicht viel nackte Haut von ihr gesehen. Besonders ihre Oberweite hielt sie immer schamhaft versteckt. Heute hoffte ich, sie endlich einmal zu sehen zu bekommen. Bei den Kopfständen rutschte das lockere T-Shirt nämlich jedes Mal nach unten. Aber so ganz richtig kam sie nicht zum Vorschein.

Warum führte sie mir Kunststückchen mit halb nacktem Körper vor? Ich verstand das nicht.

Heute glaube ich, dass es ihr nur darum gegangen ist zu verhindern, dass ich vorzeitig nach Hause fuhr, weil sie möglicherweise etwas ganz anderes von mir wollte. Vielleicht irre ich mich aber auch.

Auf einmal wurde die Tür mit einem Ruck aufgestoßen. Der Riese Werner Fey kam hereingeschossen. Wie ein Herkules stand er vor uns. Sandalen mit weißen Socken, lange Hose, Hosenträger überm hellblauen Hemd mit langen Ärmeln, volles hochrotes Gesicht, unruhige Augen, struppiges Haar und unrasiert.

An ihn hatte ich gar nicht gedacht, weil er zum Frühstück nicht erschienen war.

Fey managte Manuela, seit er sie im Jahre 1960 in Berlin entdeckt hatte. Ihm hatte sie maßgeblich ihre große Karriere zu verdanken. Von 1964 an hätten beide immer unter einem Dach gewohnt, erfuhr ich später von ihr. So war es auch hier in Seeshaupt, wo er sein Büro in ihrem Haus hatte.

Jetzt war er aufgestanden und hatte vermutlich an der Tür gelauscht, um zu hören, was ich mit Manuela machte. Ohne ein Wort zu sagen, packte er sie am Oberkörper, stellte sie mit den Füßen auf den Boden und schüttelte sie. Dann gab er ihr eine schallende Ohrfeige. „Du verdammtes Flittchen!“, schrie er. „Rennst hier im Slip herum.“

Im gleichen Augenblick trat Manuela ihm vors Schienbein und rief giftig: „Du verdammter Idiot! Geh zu deinen Huren in den Puff!“

Unglaublich! Ich muss blass geworden sein vor Wut. Ich traute meinen Augen und Ohren nicht.

Sie musste sich von Fey zutiefst verletzt gefühlt haben, dass ihr solche Worte über die Lippen gekommen waren. Ich hatte sie noch nie so sprechen gehört. Es war überhaupt nicht ihre Art. Im Gegenteil. Sie drückte sich normalerweise gewählt aus, in einer Sprache, die einem akzentfreien Hochdeutsch näher war als meine eigene. Das war erstaunlich für eine Berlinerin, die in armen Verhältnissen im Hinterhof groß geworden war und nur die Volksschule besucht hatte.

So eine Gemeinheit! Ehe ich eingreifen konnte, hatte er sie wieder geschlagen. Dieses Mal noch fester, sodass sie beinahe zu Boden fiel.

„Au!“, heulte sie.

„Der Achim fährt jetzt besser nach Hause“, sagte er mit ruhiger Stimme zu mir gewandt und schickte Manuela im Brüllton in ihr Schlafzimmer. Dabei rieb er sein Bein.

Manuela dachte nicht daran, stand wütend auf und schmiegte sich an mich. „Wenn er geht, gehe ich mit ihm! Dann siehst du mich nie mehr! Dann kannst du wieder auf dem Markt Bananen verkaufen, Herr Fey! Ohne mich bist du ein Nichts, Herr Fey! Komm Achim, wir packen unsere Sachen!“

Fey hielt inne. Er war der Situation nicht mehr gewachsen. „Ich entschuldige mich hiermit“, murmelte er zu mir gewandt. „Ich hatte gestern einen schlechten Tag.“

Hätte ich Fey damals besser gekannt, hätte ich schärfer reagiert, ihn wahrscheinlich angegriffen. Aber auf ein Handgemenge wollte ich mich nicht einlassen. Er war siebzehn Jahre älter als ich und stärker. Ich hätte wahrscheinlich den Kürzeren gezogen.

Trotzdem brach es aus mir heraus: „Das mit dem Flittchen nimmst du sofort zurück. Du weißt genau, dass sie keins ist. Du kennst sie schon seit Ewigkeiten. Sie ist das Gegenteil von einem Flittchen. Verdammt noch mal! Wie kannst du Manuela nur so beleidigen, du ... Und, dass du sie ja nicht mehr anrührst! Wehe, du schlägst sie noch einmal! Nie mehr! Hast du verstanden! – Entschuldige dich gefälligst bei ihr, du ...!“

Er hielt mir seine Hand hin. Ich verweigerte den Handschlag und sah verärgert weg. So ein brutaler Idiot, dachte ich. Wie war sie nur an den geraten? Unglaublich!

Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass ich mich damals feige verhalten habe. Ich hätte schärfer reagieren und Manuela besser beschützen müssen. Es gibt keine Entschuldigung für mein Versagen. Ich habe ein ungutes Gefühl, wenn ich an die unwürdige Szene denke.

Manuela tat mir leid. Ich streichelte sie am Hinterkopf. Sie hielt mich immer noch fest umklammert und drückte ihre Lippen auf meine Wange. Dann flüsterte sie mir ins Ohr: „Der braucht sich nicht mehr bei mir zu entschuldigen. Der ist bei mir schon lange unten durch.“

Fey war inzwischen ins Wohnzimmer gegangen.

„Warum schmeißt du ihn nicht einfach raus?“

Manuela senkte den Kopf. „Das kann ich dir noch nicht erzählen. Noch nicht. Hab Geduld! Unsere Zeit wird kommen.“

Ich befühlte vorsichtig ihr Gesicht. Sie wehrte sich. Wegen der Schläge schlug ich vor, einen Arzt zu holen.

Das lehnte sie vehement ab: „Es geht nicht. Er zeigt Fey an und der macht mich anschließend fertig. Dann ist Schluss mit der Karriere!“

Was war bloß los in diesem Haus?

Ich war froh, geblieben zu sein. Es gab für mich einiges herauszufinden. Wie in einem Krimi.

Manuela löste sich von mir und ging langsam durchs Wohnzimmer. Dabei würdigte sie Fey keines Blickes, drehte sich nur einmal nach mir um. Ihr Kopf war knallrot. Dann lief sie durch den Flur, an der Küche vorbei ins Bad in der Nähe ihres Schlafzimmers.

Ich setzte mich neben Fey auf die weinrote Viersitzer-Couch, die an der Wand gegenüber dem Fenster stand. Als ich von ihm wissen wollte, warum er Manuela brutal geschlagen hatte, kam die zögerliche Antwort, für ihn sei die Situation eindeutig gewesen, sie habe sich an mich heranmachen wollen. Sie solle sich auf ihr Comeback konzentrieren und keine Männergeschichten beginnen. Die Lage sei höchst prekär, sie sei pleite und bräuchte Sponsoren, keine Liebhaber.

Auf meine Frage, was er denn von mir hielte und ob ich denn nicht vor zwei Jahren finanziell geholfen hätte, die Firma Manuela Sound Musik Produktion auf die Beine zu stellen, sagte er nichts. Ich war zu blind um zu merken, dass Fey nur eifersüchtig auf mich war. Er wollte Manuela für sich behalten.

In diesem Augenblick kam sie zurück. Hatte sich umgezogen, trug nun einen hellblauen Jogginganzug und hielt einen Eisbeutel an ihren Kopf. Nachdem sie eine Weile aus dem Fenster geschaut hatte, setzte sie sich in einen der beiden Sessel, die am Couchtisch standen.

„Manuela ist keine Frau für eine Nacht“, wechselte Fey das Thema und starrte an die Decke.

Sie sah weiterhin unbeteiligt aus dem Fenster und verzog keine Miene. Dann stand sie auf, um den Raum wieder zu verlassen, nicht ohne hinter Feys Rücken diesem einen Vogel zu zeigen. „Hirni!“, hörte ich sie murmeln.

Der Papagei krächzte wie zum Hohn hinterher: „Keine Frau! Für eine Nacht!“ Sie rief wütend: „Coco, halt den Schnabel!“

Ich hätte beinahe gelacht, obwohl mir ganz anders zumute war.

Manuela ließ sich den ganzen Tag nicht mehr blicken, hatte sich in ihrem Schlafzimmer verschanzt. Nur Wasserrauschen in ihrem Bad war zu hören.

So konnte es nicht weitergehen. Hatte Fey sie in der Hand? Warum schickte sie ihn nicht einfach in die Wüste? Schliefen die beiden miteinander? Waren sie am Ende ein Liebespaar? Letzteres konnte ich mir kaum vorstellen. Er war viel älter als sie und galt damals in der Branche und bei den Fans lediglich als ihr väterlicher Freund. Während der letzten zwei Jahre, der Zeit unserer näheren Bekanntschaft, hatte ich nicht ein einziges Mal gesehen, dass sie ihn umarmt oder gar geküsst hatte. Sie sagte nie zu ihm Werner, sondern immer Herr Fey oder gelegentlich Feychen. Wenn sie sich über ihn geärgert hatte, wurde er von ihr Onkel Otto genannt. Er sprach sie oft mit Kindchen oder Süße an, auch in der Öffentlichkeit. Ihr Umgangston war meistens rau. Sowohl draußen als auch im Privaten hielt sie in der Regel Abstand zu ihm.

Was hieß das schon! Ich wollte alles in der nächsten Zeit herausfinden. Über ihre Kindheit bis zum Start ihrer Karriere wusste ich durch die nächtlichen Erzählungen schon viel. Aber danach, was war danach alles geschehen? Warum saß sie heute auf einem Trümmerhaufen und klammerte sich an Fey, einen verhassten Mann?

Über den Vorfall in der vergangenen Nacht sprachen wir nie mehr. Den Grund für ihr Ausrasten erfuhr ich erst viel später, als sie mir erzählte, dass sie an der Art und Weise, wie sie den Berghof verloren habe, fast zerbrochen sei und monatelang in einem Ausnahmezustand gelebt habe.

Es war Samstag, der 25. Juli 1981. Ich war gerade mal zwei Tage hier am Starnberger See. Die Ereignisse überschlugen sich und mein Urlaub dauerte noch fünf Wochen.

2. Kapitel

Immer wenn ich an Berlin denk Sirenengeheul und Überleben

Am nächsten Morgen fragte mich Manuela beim Frühstück auf der Terrasse, ob ich Lust hätte, ein Buch über ihr Leben zu schreiben. Sie habe sich Aufzeichnungen gemacht und könne mir alles erzählen, was ich noch nicht von ihr wüsste. Gespannt blickte sie mich wie ein kleines Mädchen mit ihren Augen an, die sie heute ein wenig geschminkt hatte. Sie trug ein weißes T-Shirt über einer schwarzen kurzen Hose und offene Schuhe. Am rechten Handgelenk baumelten wie immer zwei vergoldete Armreifen.

Als ich nein sagte, senkte sie enttäuscht den Kopf. „Aber du bist doch Lehrer. Du musst das doch können.“

Ich sah sie an. „Mathematiklehrer bin ich. Wenn ich eine Biografie schriebe, würde sie zu trocken, zu sachlich. Ich bin es nur gewohnt, im mathematischen oder naturwissenschaftlichen Stil zu schreiben, wenn du verstehst, was ich meine.“

Enttäuscht sah sie zur Seite. „Verstehe ich nicht. Ich lese keine Mathematikbücher.“

Ich schmunzelte.

Sie rückte mit ihrem Stuhl an mich heran und streichelte meinen Arm. Dabei sah sie mich so herausfordernd an wie ein Kind, das einen Wunsch erfüllt haben wollte. „Versuch es doch wenigstens!“ Ihr Blick war aufregend.

„Vielleicht später mal. Im Moment kann ich das nicht. Ich muss erst noch verkraften, was vorgestern Abend passiert ist. – Aber wir sollten uns über all das nicht streiten!“

Sie rückte noch näher an mich heran, sodass ich ihren Atem spürte. „Achim, ja, vorgestern Abend. – Wie ich dir schon mal sagte. Unsere Zeit wird kommen. Hab bitte Geduld! Ich bin völlig durcheinander. Ich weiß nicht mehr, wem ich trauen kann und wem nicht. Wir kennen uns zu wenig. Sei nicht traurig! Warte noch ein bisschen!“

Ich sagte nichts und drehte mich von ihr weg. Als sie um mich herum ging und meine feuchten Augen sah, drückte sie mir flüchtig ihre Lippen auf den Mund und verschwand ins Haus.

Kurze Zeit später kam sie wieder. Ich saß inzwischen am Wohnzimmertisch und wollte gerade ein paar Fotos sortieren. Sie drückte mir wortlos einen Umschlag in die Hand, der ein paar handgeschriebene Aufzeichnungen von ihr enthielt, und ging in den Garten, um eine Zigarette zu rauchen. Neugierig begann ich, die Texte zu überfliegen.

Geschichten aus ihrer Kindheit. Nichts über ihre Karriere als Sängerin. Das hätte mich mehr interessiert. Als sie wieder ins Wohnzimmer trat und darauf angesprochen wurde, gab sie keine Antwort und senkte ihren Blick. Ich meinte, wieder eine Traurigkeit in ihr zu bemerken.

Was war nur mit ihr los?

In diesem Augenblick polterte Fey herein, mit halb offenem Hemd und struppigem Haar. „Kindchen hat im Lotto gewonnen. Vier Mark fünfzig.“

„Na, wenigstens etwas Erfreuliches heute“, antwortete Manuela mit ironischem Unterton. Dann aber: „Zieh dich erst mal ordentlich an!“

„Ich geh‘ jetzt mal ‘ne Stunde spazieren“, sagte ich. „Kommt jemand mit?“

„Süße bleibt hier!“, rief Fey und sah Manuela vorwurfsvoll an, nachdem sie sich schon auf mich zubewegt hatte. Dann versperrte er ihr den Weg.

Ich trat dazwischen und schrie: „Wenn du sie jetzt nicht in Ruhe lässt, bin ich weg. Ich mache dieses Theater nicht mehr mit. Dann kannst du dein Papst-Projekt allein zu Ende führen.“

Sie hob die rechte Hand in Hüfthöhe und ballte die Faust. „Der Achim bleibt hier. Wer soll dir denn bei der nächsten Platte helfen, Onkel Otto! Die Papstsache läuft doch nicht ohne ihn. Oder willst du nach Rom fahren? Die warten bestimmt schon auf dich im Vatikan.“

Fey trat zur Seite.

Sie holte ihre Handtasche und steckte sich wieder eine Zigarette an. Wir gingen spazieren.

Nachdem wir eine Weile am See entlang geschlendert waren, setzten wir uns in ein Gartenrestaurant und tranken Kaffee. Dabei beobachteten wir die Enten am Seeufer. Der Himmel war strahlend blau und wir kamen endlich auf andere Gedanken.

Als Manuela nach einer Weile bemerkte, dass ich mich wieder mehr für sie als für die Natur interessierte, sah sie mich erst streng an und lachte anschließend leise. Sie befeuchtete ihren rechten Zeigefinger mit etwas Speichel und fuhr mit ihm ein paar Mal über meinen Mund. Dann fragte sie mich, wie ich denn das Kapitel über ihre Kindheit schreiben wollte.

„Sag doch mal, wie du es dir vorstellst!“, schlug ich vor.

Sie zündete erneut eine Zigarette an, steckte sie mir aber in den Mund und nahm für sich eine andere aus der Schachtel. Diese Geste sollte ich noch oft erleben, immer wenn sie sich besonders gern mit mir unterhielt. Obwohl sie wusste, dass ich Nichtraucher war. Des lieben Friedens willen rauchte ich die Zigarette.

Dann legte sie los und obgleich ich mich nicht an alle Einzelheiten ihrer Formulierungen erinnern kann, war mir schon damals aufgefallen, dass sie mir durchaus literarisch vorkamen. Literarische Qualitäten waren zu der Zeit allerdings noch kein Thema für mich. Der etwas förmliche Stil, in dem ich ihre Erzählungen schildere, ist dadurch zu erklären, dass ich heute vieles in ihren Aufzeichnungen nachgelesen und übernommen habe. Sie hat nicht immer so gesprochen.

„Am Abend des 17. August 1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, war meine Mutter Frieda Wegener hochschwanger. Meine Schwester Rutha erzählte mir später, dass sie eine Vorahnung gehabt habe, dass ich bald auf die Welt käme. Deshalb verkroch sie sich nicht wie sonst immer mit meinen vier Geschwistern im Luftschutzbunker im Humboldthain, sondern in unserem Keller in der Thurneysser Straße 3. Als die Wehen einsetzten, brachten Nachbarn meine Mutter in ihre Wohnung. Mein ältester Bruder Kalle wurde in die Pankstraße geschickt, um die Hebamme zu holen. Friedchen, wie ich meine Mutter noch heute liebevoll nenne, brachte mich trotz Sirenengeheuls und britischer Kampfflugzeuge in der Luft am nächsten Morgen um halb fünf zur Welt. ‚Kiek ma, isse nich niedlich, die Kleene!‘, soll die Hebamme zu meiner Mutter gesagt haben. ‚Wie soll se denn heeßen?‘ – Ick bekam den Namen Doris Inge. Dreiundfünfzig Zentimeter soll ich groß gewesen sein und dabei sechsdreiviertel Pfund gewogen haben, hat mir Friedchen später mal erzählt.“

Jetzt, wo ich Manuelas Geburtstag nenne, muss ich an die Fernsehsendung eines Privatsenders im Jahre 1987 denken, sie hieß Einfach tierisch. In dieser Sendung hat sie Ewiges Feuer gesungen und unter anderem über ihren Geburtstag geplaudert. Sie wüsste bis heute nicht, ob sie am 17. oder 18. August geboren sei. Als sie mal in ihrer Jugend mit ihrem Bruder Klaus beim Einwohnermeldeamt gewesen sei, habe man ihr entgegen der Auskunft ihrer Mutter versichert, der Geburtstag sei der 17. Sie hat diese Geschichte im Fernsehen hochdramatisch auf Berlinerisch erzählt und dabei viel gelacht.

„Ist die Thurneysser Straße nicht in einem Berliner Arbeiterviertel in Wedding?“

Sie nickte.

„Ja, und wir waren bettelarm. Mutter musste mit ihren fünf Kindern in einer Eineinhalbzimmerwohnung leben. Und dann diese Bomben, die die Flugzeuge auf die Stadt warfen. Es war grauenhaft.“ Manuela sah mich mit ernster Miene an.

„Was war mit deinem Vater?“

„Er war im Krieg. Friedchen hatte sich von ihm getrennt. Wir waren aleene, Mutter, meine Geschwister Helga, Rutha, Kalle, Peter und icke.“

Sie erzählte mir noch, dass ihre Mutter Probleme hatte, sie trocken zu legen, denn das Geld sei knapp gewesen und eine Windel habe 95 Pfennig gekostet. Die paar, die sie hatte, mussten immer wieder gewaschen werden.

Mit der attraktiven Manuela hier neben mir am Starnberger See war mir ihre Windelgeschichte aus der Kindheit peinlich. Ich wechselte das Thema und fragte sie, ob sie denn bis zum Kriegsende in ihrer Wohnung geblieben seien.

Sie berichtete, dass ihre ganze Familie auf Anordnung der Behörde evakuiert worden sei. Sie sei erst ein paar Monate alt gewesen, wie die acht Jahre ältere Ruth, wie Rutha eigentlich heißt, später erzählt habe. Sie seien mit einem Bus nach Seehausen in der Nähe von Wittenberge gebracht worden und hätten bei einem Bauern namens Schulze Unterschlupf gefunden.

„Die arme Rutha hat immer auf mich aufpassen müssen, während meine Mutter mit meiner ältesten Schwester Helga zur Wohnung nach Berlin fuhr, um nach dem Rechten zu sehen und Sachen zu holen. Ich muss ein ziemlich schwieriges Baby gewesen sein, mit dem Rutha ihre Not hatte. Sie war doch noch ein Kind, die Arme. Einmal soll ich meine Windeln ausgezogen und damit die Tapete beschmiert haben. Sie musste alles wieder sauber machen. Meinen Popo hat sie unter einer alten Wasserpumpe auf dem Hof gewaschen. Bestimmt nicht angenehm für sie! Als ich meine ersten Zähne bekam, hatte ich starke Schmerzen und schrie wie verrückt. Sie wusste nicht, was sie machen sollte, und war froh, als Mutter wieder im Hause war.“

„Habt ihr euch denn in Seehausen sicher gefühlt? Ich meine vor den Bomben.“

„Das ja. Aber dann hieß es, die Russen kämen. Mit einem Pferdewagen ging es auf die Flucht, meine Familie zusammen mit einer Berlinerin, die ebenfalls fünf Kinder hatte. Die beiden Kleinsten, mein Bruder Peter und ich – Klaus war noch nicht geboren – wurden mit einer Schubkarre gefahren. Es ging nur langsam vorwärts Richtung Schwerin. In der ersten Nacht haben wir unter dem Pferdewagen geschlafen.“

An dieser Stelle wurden wir unterbrochen. Die Kellnerin fragte uns, ob sie abrechnen dürfte, weil sie Feierabend habe. Ich zahlte. Manuela bedankte sich artig bei mir für die Einladung und mein geduldiges Zuhören.

„Sollen wir noch ein wenig am See entlanglaufen? Wenn du willst, erzähle ich dabei weiter.“ Sie stand auf. „Na, dann los! Komm, häng dich ein bei mir!“

Wir liefen die Uferpromenade entlang, Arm in Arm, wie sie es mochte. Wie ein Liebespaar. Mir fielen die neugierigen Blicke der Spaziergänger auf. Was hatte sie nur an sich, dass sie so attraktiv wirkte?

Ein leichter Sommerwind war zu spüren. Wir beobachteten, wie die Wellen sachte am Ufer ausliefen. Am Badestrand blieben wir eine Weile stehen und sahen zu, wie die Kinder im Wasser planschten. Ich beobachtete Manuela und erriet ihre Gedanken. Wie gerne hätte sie Kinder gehabt.

„Wenn ich keine eigenen Kinder bekomme, will ich welche adoptieren“, sagte sie plötzlich und sah mir in die Augen.

An mir sollte es nicht liegen, dachte ich, sagte aber nichts.

Dann erzählte sie weiter von der Flucht: „Eines Nachts hatten wir an einem Hang über einem Bach geschlafen. Die Russen müssen schon ganz in der Nähe gewesen sein, denn die Kinder waren von Friedchen ermahnt worden, mucksmäuschenstill zu sein. Da ich das natürlich noch nicht hatte verstehen können, war mir ein Nuckel in den Mund gesteckt worden, den sich Mutter von der Berlinerin geborgt hatte.“

Ich sah ihr auf den Mund und grinste. Sie gab mir einen Klaps.

„Nicht jetzt“, sagte sie und kicherte. Dann erzählte sie weiter: „In dieser Nacht wurden wir durch Geräusche geweckt. Russische Soldaten hatten uns entdeckt. Wir verstanden nicht, was sie sagten. Einer zeigte auf Mutter. Sie wurde weggezerrt und wir blieben allein zurück mit der anderen Frau. Alle hatten furchtbare Angst.“

Manuela wollte plötzlich nicht weitererzählen. Ihre Augen waren feucht. Sie sah zu Boden. „Wie es weiterging, kannst du in meinen Aufzeichnungen lesen. Jetzt gehen wir am besten nach Hause.“

Sie hatte es auf einmal eilig. Ihr war eingefallen, dass sie um sechzehn Uhr zu Hause ein wichtiges Telefongespräch erwartete. Mobiltelefone gab es noch nicht.

Als wir durch die Gartentür ins Wohnzimmer traten, wartete Fey auf uns. „Es ist was passiert“, sagte er mit gesenktem Kopf.

Jetzt geschah etwas, was ich aus heutiger Sicht als großen Fehler im Verhalten gegenüber ihrem Manager sehe. Sie ging wortlos an ihm vorbei und würdigte ihn keines Blickes. Als ginge sie die Sache nichts an: Lass alles die anderen machen! Ich kümmere mich nur um meine Musik.

„Hat noch Zeit bis morgen“, murmelte Fey und sah dabei mit besorgter Miene erst sie an, dann mich.

Am Flügel angekommen, setzte Manuela sich auf den Schemel und klimperte. Dann spielte sie ein Stück, das ich noch nicht kannte. Es sollte erst 1991 auf ihrer vorletzten Vinylschallplatte veröffentlicht werden. An jenem Nachmittag sang sie noch zu diesem selbst komponierten Titel den Fantasiearbeitstext: „It’s so very hard to see you, Mary-Ann ...“

Am Abend ging ich früh in mein Zimmer. Ich war nicht mehr so aufgewühlt wie an den Vortagen. Manuelas freundliches Verhalten nach ihrer demütigenden Szene hatte mich beruhigt.

Da ich noch nicht schlafen wollte, holte ich ihr Manuskript hervor und las im Bett die Aufzeichnungen von vorn bis hinten, zweimal. 1977 hatte sie sich die handschriftlichen Notizen gemacht. Da war sie in Amerika. Fürs Buch stand oben dick unterstrichen. Ihre Texte enthielten nicht nur Stichwörter, sie waren vielmehr weitgehend ausformuliert, sodass ich sie fast wörtlich hätte übernehmen können.

Würde ich jemals Zeit haben, Ihre Lebensgeschichte zu schreiben?

Heute bin ich froh, ihre Notizen vor mir liegen zu haben, denn ich kann nun weiter über ihre Erinnerungen berichten.

Am Seeufer waren wir in der Erzählung bei der verschleppten Mutter stehengeblieben. Wie war das damals im Krieg weitergegangen?

„Als es am Bach hell war, brach die Berlinerin, die sich jetzt um zehn Kinder kümmern musste, auf. Sie zogen mit dem Wagen und der Schubkarre über eine Landstraße. Meine Geschwister weinten, weil Mutter verschwunden war. Aber urplötzlich tauchte sie vor ihnen auf und es gab Freudentränen. Später hat sie ihren Kindern nie erzählt, was die Russen mit ihr angestellt hatten. Einer von ihnen muss gnädig gewesen sein. Er hatte am Morgen zu ihr gesagt: ‚Lauf! Geh zu deinen Kindern!‘“

Wie gut, dass Manuela das alles nicht bewusst erlebt hat, dachte ich und guckte wieder in ihr Manuskript.

„Die Flucht ging weiter. Jetzt kam der Gegenangriff der Deutschen und der Flüchtlingstreck war zwischen den Fronten. Die Flugzeuge heulten über uns. Wir krochen auf allen Vieren durch den Wald. Wo man hinsah, waren jetzt überall Russen. Mit einem Mal waren wir wieder in Seehausen. Schulzes Bauernhof war durch die Luftangriffe erheblich zerstört, sodass wir uns woanders eine Bleibe suchen mussten. Wir kamen in einer Schule unter.

Aber auch dort lauerten Gefahren. Wie ich erst viel später von Rutha erfahren habe, war Mutter um ein Haar von einem russischen Soldaten vergewaltigt worden. Als sie zwei Männer auf sich zukommen sah, hat Friedchen mich zum Schutz auf ihren Arm genommen. Sie dachte, dass sie dann verschont bliebe. Einer nahm Mutter das Kind weg, der andere knöpfte sich in der Zwischenzeit die Hose auf. Meine Geschwister schrien um Hilfe und rannten ins Nachbarhaus zum Kommandanten der Sowjets. Ein Glück! Das hatte Wirkung. Der Soldat, der mich auf dem Arm hielt, sagte etwas auf Russisch zu seinem Kameraden. Dieser zog seine Hose wieder hoch. Nachdem der andere mich wieder meiner Mutter zurückgegeben hatte, liefen beide Hals über Kopf davon. In diesem Augenblick erschienen ein russischer Offizier und sein Dolmetscher. Nachdem Mutter den Vorfall geschildert hatte, wurden die Männer gefasst und standrechtlich erschossen. Zur Wiedergutmachung bekam Friedchen von den Russen einen Kinderwagen geschenkt.“

Wenn ich heute diese Schilderungen lese, werde ich nachdenklich. Sicherlich war es vielen Familien im Zweiten Weltkrieg ähnlich ergangen, vor allem denen in Berlin. Manuelas Mutter mit ihren fünf Kindern war ein solches Schicksal nicht erspart geblieben.

Im Tagebuch findet man über die Zeit danach Folgendes: „Später zurück nach Berlin. Gott sei Dank nicht Sibirien! Thurneysser Straße 3 ein Trümmerhaufen. Enge Verhältnisse. Zwei Jungs in einem Bett. Zwei Mädchen im Zweiten. Icke hatte ein Kinderbett.“

Hier gibt es eine Unterbrechung in den Aufzeichnungen. Es geht erst weiter mit ihrer Schulzeit.

Von ihrem Bruder Klaus habe ich 2010 bei einem Telefonat Informationen über die zwischenzeitlichen Ereignisse bekommen. Sie stammten aus Interviews mit Manuelas Geschwistern und ihrer Mutter. „Als Doris‘ Vater Karl Wegener, der von seiner Frau geschieden war, kurz nach dem Krieg aus der Gefangenschaft zurückgekehrt war, wusste er nicht, wo er wohnen sollte. Friedchen nahm ihn auf. Sie bereute diesen Schritt aber bald, weil er sie brutal schlug und auf seine Kinder mit der Kohlenschippe losging. Sie hätte sich beinahe das Leben genommen. Riss allen Mut zusammen und schmiss ihn hinaus, nachdem er eines Tages Rutha an den Haaren über den nassen Boden geschleift hatte. – Mutter und ihre fünf Kinder waren bitter, bitter arm, hatten oft nichts zu essen. – Eines Tages traf Mutter beim Einkaufen einen alten Schulkameraden wieder, Erich Dittmer. Er hatte im Krieg den rechten Arm verloren. Seine Fußspitzen waren im Russlandfeldzug abgefroren und es war eine Spalthand übrig geblieben, weil er die drei Mittelfinger verloren hatte. Da er aber für sie die Liebe in Person war und sie Gefallen an ihm gefunden hatte, heiratete sie ihn am 11. Oktober 1947. Er soll aber gleich zu ihr gesagt haben: ‚Wenn du schon fünfe hast, dann will ick och eens haben. – Na, dett ooch noch!‘ – ‚Du hast mer jefehlt in meiner Raupensammlung‘, soll sie geantwortet haben. Am 26. Juli 1948 wurde ich, der Klaus, geboren. Jetzt waren wir sechs Kinder und in unserer guten Stube wurde es verdammt eng.“

„Warum hat dein Vater nicht die anderen fünf Kinder adoptiert“, wollte ich von Klaus wissen.

„Wollte er ja, aber Mutter nicht. Der alte Wegener sollte bezahlen, sagte sie, und damit war die Sache erledigt. Von der kleinen Rente meines Vaters konnten wir keine großen Sprünge machen. Aber er soll sich aufopferungsvoll um alle sechs Kinder gekümmert, keinen bevorzugt haben, hat mir Manuela mehrfach versichert. Sie mochte ihn. Er war ihr Vater, nicht Karl Wegener, der sie nicht einmal ...“

„Ja das stimmt“, unterbrach ich Klaus. „Sie hat mir mal gesagt, dass sie mit dir vor seiner Wohnung gestanden und eine fremde Frau nur einen Türspalt geöffnet habe. Die kleine Doris wollte lediglich einen Krankenschein von ihrem Vater. Er habe seine Tochter nicht einmal angeschaut. Sie sei sich wie ein ungeliebtes Kind vorgekommen. – Später hat sie mir auch mal erzählt, dass sie deinen Vater öfter zum Fehrbelliner Platz zur Post begleitet habe, um die Rente zu holen. Er habe ihr jedes Mal einen Lutscher oder eine Tüte Bonbons gekauft. – Wenn eure Mutter sie einkaufen geschickt hatte, musste Doris immer anschreiben ...“

„Und mir hatte sie mal erzählt“, unterbrach er mich, „dass sie heute keine Möhren, Sellerie oder Kohlrüben mehr sehen könne, weil es die bei uns so oft gegeben habe. Gebadet wurde einmal die Woche, Samstagabend. Im Hinterhof wurde sie mit Wurzelbürste und Seife von Mutter in einem Badetrog mit heißem Wasser gewaschen. Vor aller Leute Augen. Das soll ihr sehr unangenehm gewesen sein, obwohl sie noch klein war.“

„Lustig, wenn man bedenkt, dass sie gut zehn Jahre später im gleichen Hinterhof im Rahmen einer großen Feier ihre erste Goldene Schallplatte für vier Millionen verkaufte überreicht bekam.“

Einige Zeit zuvor, Manuela war noch klein, hatte sich eine amüsante Geschichte abgespielt, die sie mir mehrfach erzählt hat. „Eines Tages hielten Mutter und Vater einen Mittagsschlaf. Bevor sie sich hinlegten, sagten sie zu Helga und Rutha, sie sollten Erbsen kochen. Aber die Kinder hatten kein Brennmaterial. So kamen meine beiden Schwestern auf die Idee, die Stuhlbeine abzusägen und das Holz zu verfeuern. Es klappte alles prima. Der Erbseneintopf duftete, als die Eltern in die Küche kamen. Als Vater sich an den Tisch setzte, war er sehr erstaunt und fragte Mutter, warum denn der Tisch so hoch sei. Er kam natürlich dahinter und beide bekamen Senge.“

Ihren Aufzeichnungen zufolge konnte sie sich an ihre Schulzeit und was dann folgte, selbst gut erinnern.

Von ihren Geschwistern wurde sie Lunne genannt, von ihren Lehrern Krümel, weil sie die Kleinste in der Klasse war. Das gefiel ihr gar nicht, war aber nicht zu ändern. Manuela nannte sie sich erst viel später, weil sie den Namen Doris und erst recht Doris Inge nicht ausstehen konnte. „Doris passt zu einem blonden Mädchen und ich habe doch dunkle Haare“, sagte sie mir mal.

Mit ihren großen Brüdern Karlheinz und Peter machte sie die Gegend unsicher. Sie ist schlimmer als ein Junge, soll ihre Mutter gesagt haben. Doris war bei den Jungen gefürchtet, weil sie ihre Brüder als Beschützer in der Hinterhand hatte. Wenn ihre Streiche wieder mal zu deftig ausgefallen waren, Doris die Jungen aus der Nachbarschaft verkloppt und es Beschwerden über sie gegeben hatte, bekam sie von ihrer Mutter mit Fritze Frost, dem gefürchteten Teppichklopfer, den Hintern versohlt oder es hagelte Ohrfeigen. Ein paar von den Teppichklopfern hatte Doris schon heimlich in der Panke, einem nahegelegenen Bach, verschwinden lassen, aber die Mutter fand immer wieder einen neuen.

Doris liebte ihre Schwestern. Diese nutzten jedoch die Unwissenheit der Kleinen manchmal aus. Als Helga und Ruth ihr erstes Geld verdienten, schickten sie Doris sonntags mit einer Silbermünze zu Mais‘ Eckkneipe, um Lutscher zu holen. Doris wusste nicht, dass die Münze, die wie ein Fünfzigpfennigstück aussah, Falschgeld war. Da Herr Mais schlecht sah, gab er Doris immer zehn Lutscher für fünf Pfennig das Stück.

Als Doris acht Jahre alt war, wurde gerade das Bad Humboldthein eröffnet. Da sie verrückt nach Wasser war, bat sie Friedchen um 20 Pfennig. 10 Pfennig betrug der Eintritt. Obwohl sie lesen und schreiben konnte, sah sie nicht nach rechts und links, sondern rannte unbeirrt auf die Rutschbahnen zu. Sie wunderte sich noch, dass bei zwei Rutschen eine leer war und die anderen Kinder sich auf der zweiten drängelten.

„So was Doofes, dachte ich. Icke rauf, rutschte rein und kam natürlich nicht mehr raus, weil es für Schwimmer war. Weg war ich, im Wasser verschwunden. Ich konnte nämlich nicht schwimmen. Heute kann ich das noch nicht. Ein Bademeister musste mich wohl beobachtet haben und rettete mich in letzter Sekunde. Nach Hause gebracht, Bauch ausgepumpt. Ergebnis: sechs Wochen schulfrei. Zu meiner Verwunderung keine Schläge.“

Eines Tages kam Doris nach der Schule nach Hause in die Thurneysser Straße. Es war im Jahr 1954. Ihre Wohnung war leer. Keiner hatte ihr gesagt, dass sie umgezogen waren. Von einem Freund ihres Bruders Peter hatte sie erfahren, dass sie jetzt ein paar Straßen weiter in der Gottschedstraße 26 wohnten. Ohne Peter hätte sie die neue Wohnung nicht gefunden. Das neue Zuhause war zwar komfortabler als das alte, jedoch immer noch eng und ohne Bad, aber wenigstens mit eigenem Klo. Jedes der Kinder hatte jetzt immerhin ein eigenes Bett.

„Sonntags ging es jedes Mal raus zur Oma nach Tegel. Wir mussten immer das schönste Kleid anziehen. Wenn es ging, weiß mit Lackschuhen. In der Straßenbahn, das war Linie 41, wurden wir schon vorher geimpft, was wir zu sagen hatten. ‚Also‘, sagte Mutter, ‚wenn Oma euch eine Zimtschnecke anbietet, die könnt ihr essen, aber nicht mehr. Dann sagt ihr immer: Nein danke, Oma, wir sind satt.‘ – Oma war eben auch sehr arm, wie wir.“

Über ihre Schulzeit hat Manuela nicht so gerne gesprochen. Wie ihren Aufzeichnungen zu entnehmen ist, ist sie immer wieder vom Thema abgewichen.

Sie war keine gute Schülerin. Ihre Lieblingsfächer waren Musik, Sport und Religion. Hier hatte sie immer gute Noten. In Leichtathletik hatte sie fünf Ehrenurkunden bekommen, vom Bundespräsidenten Theodor Heuss unterschrieben. Rechnen war gar nicht ihr Fall. Da gab es öfter die Note „mangelhaft“. Später hatte sie das sehr bereut, weil ihr vielleicht Einiges erspart geblieben wäre, wenn sie besser hätte rechnen können.

Doris‘ schönste Erinnerung war die Reise der Schulklasse an die Nordsee. Vier Wochen lang konnte sie sich da mit ihren Freundinnen auf Spiekeroog erholen.

Solange sie keine festen Schuhe besaß, hatte sie öfter im Winter bei Eis und Schnee die Schule schwänzen müssen. Kein Wunder, dass das auf die Dauer nicht gut ging und sie die Klasse sieben in der Oberschule (praktischer Zweig) wiederholen musste. Sie gab später aber auch zu, manchmal einfach zu faul gewesen zu sein. Sie hatte jetzt andere Interessen: Schicke Kleidung und Jungs!

Das Schuhproblem war in dem Moment gelöst, als ihre Schwester Helga ihr vom ersten selbst verdienten Geld ein paar feste Schuhe kaufte. Doris war überglücklich. Helga stotterte den Kaufpreis in Raten zu fünf Mark ab. Nicht so begeistert war Doris darüber, dass sie immer die Kleider ihrer älteren Schwestern auftragen musste.

Aber nach der Konfirmation konnte sie sich endlich von den Geldgeschenken ihrer Verwandten ein paar Röhren-Jeans kaufen. „Davon hatte ich schon lange geträumt. Die galten damals als todschick, waren aber sündhaft teuer: fünfzig Mark.“

Ihr Glück währte nicht lange. Noch ehe Doris die Hose ein erstes Mal anziehen konnte, hatte ihre Mutter sie verbrannt. „Ein Mädel looft nich in Hosen rum“, war ihr einziger Kommentar. Doris rannte davon und weinte bitterlich. Sie fühlte sich verachtet, wieder als ungeliebtes Kind. Nicht nur ihr leiblicher Vater hatte sie verstoßen, jetzt auch ihre Mutter.

Zurück nach Seeshaupt.

Während ich in den Aufzeichnungen weiterlas, ging plötzlich das Licht aus. Ich war im Dunkeln. Da ich keine Ersatzlampe hatte, ging ich nach oben ins Wohnzimmer. Obwohl es schon spät am Abend war, besorgte mir Fey, der noch auf war, eine neue Glühbirne.

Aus dem Tagebuch erfuhr ich weiter die folgende Geschichte: Mit dem Verlust der Jeans war auch Doris‘ Plan, Alex, einem Freund ihres Bruders Peter, zu imponieren, gescheitert. Dieser ging mit ihr in die Wilhelm-Hauff-Schule an der Gotenburger Straße. Für ihn schwärmten auch alle anderen Mädchen der Schule. Als wenn er Peter Kraus wäre, das damalige Teenageridol Nummer eins. Doris war wie elektrisiert, wenn sie ihn sah. Eines Tages drückte Lehrer Schaffer ihr in der Pause einige Briefe in die Hand, die er zufällig gefunden hatte. Es waren Alex‘ Liebesbriefe an Doris. Sie fühlte sich sehr geschmeichelt. Ihre Schulliebe währte jedoch nicht sehr lange.

Das Sitzenbleiben war für die Eltern eine Katastrophe, nicht so für Doris. In der neuen Klasse gab es nämlich einen Jungen, den sie auf Anhieb mochte. Heinz saß in der ersten Reihe, Doris hinten. Er drehte sich häufig um, damit er sie sehen konnte, und verrenkte sich dabei fast den Hals. Das tollste Mädchen und der tollste Junge der Klasse hatten zueinander gefunden. Er war ihre erste große Liebe und sie waren solange unzertrennlich, bis Doris‘ Mutter ihre Tochter nicht auf Klassenreise nach Süddeutschland fahren ließ, weil das Geld fehlte. Doris war todunglücklich.

Als ich schon dachte, Manuelas Manuskript komplett gelesen zu haben, fiel mir noch ein Zettel in die Hand, den ich übersehen hatte. Er enthielt eine kleine Geschichte, die hierher passt.

Im Nachbargebäude von Doris‘ Schule befand sich damals die Oberschule mit den Jahrgängen acht und neun. Dort ging ein Mädchen zur Schule, das damals schon ein Star war. Pack die Badehose ein war ihr erster großer Hit, als sie gerade mal acht Jahre alt war. Doris hatte sie schon häufig gesehen, aber nie eine Gelegenheit gehabt, mit ihr zu sprechen. Bei einer Schulspeisung war es dann aber eines Tages so weit. Sie fragte Doris, ob sie ihr mal ihren Löffel borgen könnte. „Ich habe meinen nämlich zu Hause vergessen“, sagte sie. Damit sie nicht lange warten musste, aß Doris ihren Teller schnell leer und freute sich ungemein, mit einem Star gesprochen zu haben. Dass sie selbst als Manuela ein paar Jahre später mal erfolgreicher und noch beliebter sein würde als das Pack-die-Badehose-ein-Mädchen zu der Zeit, konnte sie damals nicht ahnen.

Über ihre Jugendzeit bis zum Beginn ihrer steilen Karriere als Schlagersängerin sollte sie mir unbedingt selbst berichten, entschied ich. Am besten wieder abends vor dem Schlafengehen. Das liebten wir beide. Mein Urlaub in Seeshaupt war ja auch noch lange nicht zu Ende.

Am Abend konnte ich nicht sofort einschlafen. Mir ging durch den Kopf: Was hatte Werner Fey am Nachmittag mit der Bemerkung Es ist was passiert gemeint?

3. Kapitel

Wenn du liebst Das „Singende Neutrum“

Am nächsten Morgen lief ich, nachdem ich mich im Bad frisch gemacht hatte, in die Küche, um zu sehen, ob Manuela und ihr väterlicher Hausfreund Fey bereits aufgestanden waren.

Beide saßen schon am Frühstückstisch. Sie adrett gekleidet, er unrasiert mit zerknautschter Hose und ungebügeltem Hemd. Die Stimmung war eisig. Sie sprachen kein Wort, sahen sich nicht einmal an. Als sie mich erblickte, konnte ich ein Lächeln in ihren Augen erkennen.

Sie erhob sich, drückte mir den Mund auf die Wange und streckte Fey die Zunge heraus, jedoch so, dass er es nicht bemerkte. „Er hat Neuigkeiten. Aber setz dich erst mal.“

Mit versteinerter Miene erzählte mir Fey umständlich, dass Manuelas Hab und Gut in Amerika in Gefahr sei: „Sie hat dir bestimmt schon erzählt, dass ihre Möbel in Amerika bei der Firma Billings untergestellt sind. Wenn in den nächsten Stunden keine telegrafische Überweisung über tausenddreihundert Mark erfolgt, werden ihre Möbel in Los Angeles versteigert. Wir haben das Geld nicht. Du weißt, dass sie alles, was sie hatte, in die Platten-Produktion von Friede auf Erden gesteckt hat.“

Schweigen.

Manuela hatte feuchte Augen und ging ins Bad. Nachdem sie zurückgekehrt war, fragte ich sie, ob sie mit mir käme. Ich wollte zur Sparkasse, wieder mal versuchen zu helfen.



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