Märchenprinzenküsse - Cleo Lavalle - E-Book

Märchenprinzenküsse E-Book

Cleo Lavalle

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Beschreibung

Ein gemütliches Sofa, eine Tasse Tee und viele Bücher! Anni hat den schönsten und gemütlichsten Buchladen in der ganzen Stadt. Ginge es jedoch nach dem geldgierigen Besitzer einer Buchladenkette, wären längst die Mauern eingerissen. Um der bedrohlichen Situation zu entfliehen, verkriecht sich Anni in ihre Märchenbücher. Eines Abends, kurz vor Weihnachten, fällt plötzlich ein Prinz zwischen den Seiten heraus. Fortan kommt er jeden Abend zur selben Zeit zu ihr, aber immer nur für eine Stunde. Um zusammenzufinden, müssen die beiden drei Rätsel lösen, ohne eine Ahnung davon zu haben, welches Geheimnis dahintersteckt. Und die Zeit läuft ihnen davon ... Ist es möglich , dass der Prinz aus dem Märchenbuch und Anni, die junge Frau aus der realen Welt, zusammenfinden? Ein zauberhaft-romantisches Märchen mit Spannung und großen Gefühlen.

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Seitenzahl: 179

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MÄRCHENPRINZENKÜSSE

WINTERZAUBER - BAND 2

CLEO LAVALLE

INHALT

Über OBO e-Books

1. Annis Buchladen

2. Der schönste Prinz von allen

3. Alles nur geträumt?

4. Das Rätsel

5. Verzweiflung

6. Peinlichkeiten

7. Eine Prinzessin für den Prinzen

8. Schock!

9. Das Geheimnis im Keller

10. Rettung in Sicht?

11. Triumph

12. In seinen Armen

13. Atemberaubend

14. Das Leben ist ein Märchen

Liebe Leserin, lieber Leser ...

Das Märchen

Danksagung

Winterzauber …

Eingeschneit - Ein Weihnachtshörbuch!

IMPRESSUM

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages!

Im Buch vorkommende Personen und Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Copyright © 2021 dieser Ausgabe Obo e-Books Verlag,

alle Rechte vorbehalten.

M. Kluger

Fort Chambray 

Apartment 20c

Gozo, Mgarr

GSM 2290

Covergestaltung: Claudia Toman

ÜBER OBO E-BOOKS

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1

ANNIS BUCHLADEN

„So zynisch ich auch sein mag, ein Teil von mir glaubt an die wahre Liebe und an Märchen.“

Lily James, Schauspielerin

Die kleine Glocke über der Tür bimmelte heftig, als ein Mann in dunklem Anzug, mit korrekt gebundener Krawatte und glänzend polierten Schuhen meinen Laden betrat. Er brachte einen Schwall eiskalter Luft mit herein und das lag nicht am Wetter. Breitbeinig blieb er mitten im Raum stehen, sah sich mit eisiger Miene um und füllte mit seiner Anwesenheit jeden Quadratzentimeter aus bis in die hinterste Ecke.

Als wäre er der Besitzer und nicht ich.

Mir wurde bei diesem Gedanken augenblicklich übel.

Der Mann kam ein paar Schritte auf mich zu. Sein harter Blick ließ eine Gänsehaut über meinen Rücken kriechen.

Schnell hielt ich den kleinen Teddybären, den ich gerade zurück auf seinen Platz in der Sofaecke setzen wollte, vor meine Brust, als könnte er mich vor dem, was unweigerlich auf mich zukommen würde, beschützen.

„Anni Fleming?“, fragte der Mann, ohne sich die Mühe zu machen, mich zu begrüßen.

„Ja.“

Ich schluckte schwer.

„Und Sie sind ...?“

„Sie wissen, wer ich bin“, antwortete er barsch.

Tatsächlich wusste ich das, obwohl ich ihn noch nie gesehen hatte. Allerdings hätte ich niemals damit gerechnet, dass jemand wie er sich die Mühe machen würde, meinen kleinen Laden aufzusuchen.

„Frau Fleming!“, sagte er in drohendem Tonfall. „Wo ist der unterschriebene Vertrag?“

Sollte ich mich dumm stellen und behaupten, ich hätte keinen Vertrag erhalten? Oder sollte ich ihm sagen, dass ich ihn in tausend Fetzen zerrissen und in den Müll geworfen hatte?

„Wir wollen den Buchladen. Wir wollen das Haus. Und wir werden beides bekommen.“

Den Buchladen hatte er gesagt. Den. Als würde er schon nicht mehr mir gehören und als wäre er nur ein Ding ohne Seele, das so mir nichts, dir nichts den Besitzer wechseln konnte.

„Ich empfehle Ihnen, unser Angebot anzunehmen“, sagte er.

Ich trat einen Schritt zurück und versuchte, meiner Stimme Festigkeit zu verleihen, als ich antwortete.

„Ich werde Ihnen meinen Buchladen nicht geben.“

Er durchbohrte mich mit seinen stahlblauen Augen.

„Sie sollten wissen, dass es keinen Sinn macht, gegen uns anzukämpfen.“

Er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach.

„Es liegt an Ihnen, ob Sie am Ende mit einer hübschen Geldsumme oder ganz ohne etwas dastehen wollen.“

Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Obwohl seine Worte sich wie eine Schlinge um meine Kehle gelegt hatten, schaffte ich es, ihm überraschend ruhig zu antworten.

„Würden Sie bitte meinen Laden verlassen?“

Doch er blieb wie festgewachsen vor mir stehen und sah mich weiterhin kalt an.

„Stellen Sie sich nicht quer, Frau Fleming. Wenn Sie Ihre Schulden nicht bis zum Monatsende bezahlen, können Sie den ganzen Plunder hier sowieso rausschaffen.“

Plunder?

Eine Welle von Wut schoss in mir hoch.

„Gehen Sie“, stieß ich zwischen den Zähnen hervor und hoffte, es würde sich wenigstens halb so bedrohlich anhören wie das, was er gesagt hatte. „Ich werde die Rechnungen begleichen. Darauf können Sie sich verlassen.“

Doch er machte einen weiteren Schritt auf mich zu. Es fehlte nicht viel und unsere Nasenspitzen hätten sich berührt.

„Nicht, bevor ich Ihre Zusage habe.“

„Die werden Sie niemals bekommen!“

Ich wollte meinen Laden nicht verkaufen, ich wollte meine Wohnung nicht verlieren. Das hatte ich denen von Books & more schon mehrfach gesagt und daran würde sich auch nichts ändern. Ich musste nur das Geld auftreiben, um die Rechnungen, die durch Firmenfusionen jetzt bei Books & more gelandet waren, zu bezahlen.

Am liebsten wäre ich zum Ausgang geeilt und hätte die Tür aufgerissen, damit dieser Mensch, der mein Nein nicht akzeptieren wollte, endlich auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Doch er stand da wie ein Felsblock, massiv, stark, unüberwindlich, und versperrte mir den Weg.

„Ich ... ich rufe die Polizei“, stammelte ich.

Hastig machte ich die zwei Schritte zur Theke, griff nach dem Telefon und wählte.

Mit einem freundlichen Lächeln trat er auf mich zu, nahm mir das Telefon aus der Hand und legte auf.

Das kam so überraschend, dass ich mich nicht einmal wehrte und ihn mit aufgerissenen Augen anstarrte, als er sich wieder vor mir aufbaute und mich musterte.

Ich bereute, nach dem Mittagessen keinen Lippenstift aufgetragen und meine Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden zu haben. In dieser Aufmachung wirkte ich auf ihn sicher wie eine Schulschwänzerin, die sich hier als Aushilfe ein wenig Taschengeld verdiente.

„Wir kennen Mittel und Wege, Ihnen alles zu nehmen“, drohte er. „Ich wiederhole es zum letzten Mal: Wir wollen den Laden, wir wollen das Haus. Geht das nicht in Ihren Schädel?“

„Bitte. Gehen. Sie.“

Ich hatte das Gefühl, diese drei Worte zu schreien. Aber sie kamen wie ein Flüstern aus meinem Mund.

Der Mann grinste wie der Teufel höchstpersönlich.

„Gut“, antwortete er. „Ich werde gehen. Doch in einer Woche bin ich wieder hier. Und dann will ich Ihre Unterschrift. Verstanden?“

Er ging zur Tür und hatte schon die Klinke in der Hand, als er sich noch einmal umdrehte.

„Mäuschen wie Sie verschlinge ich mit einem Happs.“

Ich blickte auf das dunkelrote Sofa mit dem geschwungenen Rückenteil, das schon immer in dem kleinen Laden stand. Es nahm viel Platz ein, den man besser für Bücher nutzen sollte, aber ich brachte es nicht fertig, es zu entfernen. Denn es gab der Buchhandlung etwas sehr Gemütliches. Meine Kundinnen liebten es, hier mit einer Tasse Schokolade oder Tee zu sitzen und in meinen Büchern zu schmökern.

„Du hast den schönsten Laden auf der ganzen Welt, Anni“, sagten sie oft.

Auf dieses Sofa ließ ich mich sinken und schaute durch die Sprossenfenster nach draußen. Die Schneeflöckchen tanzten schon den ganzen Tag vom Himmel und überzogen das Kopfsteinpflaster der schmalen Straße mit einer zarten weißen Schicht, die von den wenigen Autos, die hier vorbeifuhren, wieder verwischt wurde.

Mein Herz hämmerte mir noch immer bis zum Hals. Dieser schreckliche Mensch hatte mir mit seinem Besuch einen riesigen Schrecken eingejagt. Bisher war es nur nötig gewesen, die Kaufangebote von Books & more zusammenzuknüllen und in den Papierkorb zu werfen.

Das hier war mein Laden und den würde ich mir von niemandem wegnehmen lassen. Das hatte ich meiner Großtante Klara hoch und heilig versprochen, als sie ihn mir vor einem halben Jahr, kurz bevor sie überraschend gestorben war, überschrieben hatte.

Wegen der Rechnungen hatte ich mir bisher keine Gedanken gemacht. Seit Bestehen des Ladens gab es schon immer Zahlungsverzug. Die zuständige Mitarbeiterin beim Großhändler war eine alte Freundin meiner Großtante gewesen. Leider war sie sogleich nach der Übernahme in Rente geschickt worden.

Dadurch hatten sich die Umstände geändert und sämtliche Rechnungen waren sofort fällig.

Mein Magen zog sich zusammen, als ich daran dachte, dass der Mann das, was mein Leben ausmachte, Plunder genannt hatte.

Wie willst du dich gegen diesen Riesen wehren?

Books & more hatte auch in anderen Städten kleine Buchhandlungen aufgekauft, hatte Mauern oder gleich ganze Häuser eingerissen, um sie in Läden mit viel Neonlicht zu verwandeln, in denen es am Ende mehr Geschenkartikel gab als Bücher. Dort fand man nur die aktuellen Bestseller. Keine der unbekannten, fabelhaften Autorinnen bekam die Chance, dass ihr Werk auch einmal gesehen und gekauft wurde.

Wie willst du dich gegen diesen Riesen wehren?

Die Frage hämmerte in meinem Kopf, seit der eiskalte Typ meinen Laden verlassen hatte. Doch ich hatte keine Antwort darauf.

Ich wusste, dass die Bücherkette hier in der Straße etwas plante, wofür diese gar nicht gemacht war. In unserem Viertel hatte es schon immer kleine Läden gegeben mit Geschenkartikeln, Feinkost, alten Möbeln und antikem Schmuck, in denen man stundenlang stöbern konnte. Große Geschäfte wurden hier nicht gemacht, aber dafür konnte man große Gefühle erleben, wenn man auf versteckte Schätze stieß, bei deren Anblick einem das Herz höherschlug.

Leider waren manche Ladenbesitzer zu alt, um dem Druck, den Books & more auf sie ausübte, standzuhalten. Ich wusste, dass meine Nachbarn links und rechts kurz davorstanden, aufzugeben und so waren die Häuser schon so gut wie an den Riesen verkauft.

Bis heute hatte ich meine Augen und Ohren davor verschlossen und wollte die Situation aussitzen, denn ich hatte die Hoffnung gehabt, dass ein Wunder passieren und sich alles von alleine regeln würde. Diese Hoffnung war vor ein paar Minuten in sich zusammengefallen.

Dafür kroch Angst in mir hoch und raubte mir den Atem. Hier war mein Zuhause! Es war der einzige Ort auf der ganzen weiten Welt, an dem ich mich nicht verloren fühlte. In der Wohnung darüber lebte ich, seit ich auf der Welt war. Ich hatte auf den Holzdielen krabbeln und laufen gelernt, hatte Murmeln über den langen Flur geklickert und mit meiner Freundin Ines in den Räumen fangen oder verstecken gespielt. Auch meinen ersten Kuss hatte ich dort bekommen.

Ich schaute auf die Uhr. Es war Zeit, zu schließen. Mit hängendem Kopf schlich ich zur alten Kasse und drückte auf den großen Knopf, der laut ächzend die Lade mit dem Geld öffnete. Ich holte die wenigen Scheine heraus.

Mein Herz wurde schwer.

Wieder fast nichts eingenommen!

Meine Kundinnen liebten meinen Laden genauso sehr, wie ich es tat. Aber leider fehlte den meisten das Geld, um sich mehr als ein Buch im Monat zu kaufen. So waren meine finanziellen Mittel lächerlich gering und wenn ich auch keine Miete zahlen musste, so gab es doch einen Bankkredit und das, was übrig blieb, reichte gerade mal für das Nötigste, obwohl ich keine großen Ansprüche hatte. Denn die Buchhandlung war mein einziger Lebensinhalt.

Ich musste nicht reisen, musste nicht ausgehen oder ähnliche Dinge tun. Genauso wenig brauchte ich einen überfüllten Schrank mit Kleidern und Schuhen. Ich war am glücklichsten, wenn ich mit einem Buch auf meinem Sofa sitzen oder mit einem dicken Kissen an der Rückwand meines Bettes lehnen und schmökern konnte. Meine Welt spielte sich zwischen den Seiten eines Buches ab und selbst wenn ich es schon fünfmal gelesen hatte, konnte ich jedes Mal etwas Neues darin entdecken.

Ich nahm das Geld, steckte es in meine Hosentasche und löschte das Licht bis auf die Lampen im Schaufenster. Dann zog ich mich an, ging in den kleinen Abstellraum, holte die Schaufel und öffnete die Tür.

Der Schnee fiel weiter vom Himmel und färbte die Fußspuren auf dem Gehweg weiß. Wie schade, dass ich die Schippe ansetzen und die ganze Pracht zur Seite schieben musste.

Der alte Gemüsehändler von gegenüber winkte mir zu, bevor er das Gitter vor seinem Laden herunterließ. Er war von dem Riesen verschont geblieben, weil er das Glück hatte, Haus und Geschäft auf der richtigen Seite zu haben.

Ich seufzte. Es klang erbärmlich.

Dann machte ich mich an die Arbeit. Es war zu kalt, um herumzutrödeln. Kurz darauf war alles sauber. Ich öffnete die Ladentür, klopfte den Schnee von meinen Stiefeln, schloss die Tür ab und machte mich auf den Weg nach oben.

Die verlorene Prinzessin

Eines Tages trug es sich zu, dass dem König eines großen Landes ein wunderschönes Kindlein geboren wurde. Seine Haut war zart und rosig. Seine Äuglein grün wie zwei Smaragde. Die Haare braun wie eine Haselnuss. Die Vöglein jubelten und tirilierten, als sie des Mädchens ansichtig wurden.

Doch kurz darauf verstummten sie. Denn mit dem ersten herzhaften Schrei des Kindes hauchte die Mutter ihr Leben aus.

Erschrocken schlug ich das Buch zu und legte es zur Seite. Auch meine Mutter war direkt nach meiner Geburt verstorben ... und mein Vater kurz danach. Ich schluckte schwer und sah das Buch an. Sollte ich weiterlesen?

Märchen waren meine große Leidenschaft, seit meine Großtante Klara mir das erste vorgelesen hatte. Ich war damals noch sehr klein gewesen, aber ich konnte mich gut daran erinnern, dass es „Hänsel und Gretel“ war, das für wohlige Schauder gesorgt hatte. Wie grausam es war, dass Eltern ihre Kinder alleine im Wald zurückließen, nahm ich gar nicht wahr. Denn ich lag eingekuschelt in eine weiche Decke, hatte den Kopf auf den Schoß meiner Tante gebettet und wusste, dass mir nichts passieren konnte, solange sie bei mir saß, mit ihrer sanften Stimme vorlas, und beim Umblättern hin und wieder ihre Hand ausstreckte, um mir über den Kopf zu streichen.

Die Erinnerung daran sorgte selbst heute noch dafür, dass ein wunderbares Gefühl von Geborgenheit in mir hochstieg, wenn es auch jedes Mal mit der Bitterkeit vermischt war, eine Waise zu sein.

Ich seufzte schwer. Wären meine Eltern oder Großtante Klara doch nur hier ... Dann wäre alles nur halb so schlimm.

Ich hob meinen Blick und ließ ihn nach draußen schweifen. Noch immer tanzten Schneeflocken durch den vom Mondlicht gelb gefärbten Himmel.

Dann sah ich auf das Tischchen neben meinem Himmelbett. Dort standen der Teller mit dem Butterbrot, das ich mir geschmiert, und die Tasse mit dem Kakao, den ich mir heiß gemacht hatte. Beides war noch unberührt.

Ich nahm die Tasse und trank einen großen Schluck. Dann biss ich ein Stück von dem Brot ab. Während ich kaute, sah ich wieder auf das Buch. Es war ziemlich alt und ich hatte es erst heute, festgeklemmt zwischen zwei Brettern, ganz hinten in dem großen Regal mit den vielen Märchenbüchern gefunden.

Als hätte es dort jemand versteckt, damit ich es nicht finde.

Eine Gänsehaut lief mir über den Rücken bei diesem Gedanken. Sollte ich es morgen wieder in das Regal stellen und so tun, als hätte ich es nie gesehen?

Du musst gegen deine Geister ankämpfen, Anni, murmelte ich vor mich hin.

Ich biss wieder in das Brot, kaute und sah den Schneeflocken dabei zu, wie sie durch die Luft tanzten.

Obwohl ich niemals erfahren hatte, wie es war, wenn einen die Mutter morgens aufweckte und mit einem gedeckten Frühstückstisch auf einen wartete oder wenn der Vater einen huckepack nahm und einem beibrachte, wie man Fahrrad fuhr ... meine Großtante hatte mir ihre ganze Liebe und ein wunderbares Zuhause gegeben. Dafür würde ich ihr bis in alle Ewigkeit dankbar sein.

Ich stellte Teller und Tasse auf dem Tischchen ab und zündete ein paar Kerzen an, weil ich mich plötzlich nach etwas sehnte, das ich gar nicht so richtig benennen konnte.

Dann nahm ich das Buch in die Hand und betrachtete es. Auf dem Einband war auf hellblauem Hintergrund der Scherenschnitt eines Paares zu sehen, das sich küsste. Das Bild war schon ein wenig vergilbt. Dennoch strahlte es große Innigkeit aus.

Dir kann nichts passieren. Es ist nur ein Märchen in einem alten Buch.

Beherzt nahm ich es in meine Hände, schlug es auf und las weiter.

Weil es aber so war, dass das Kindlein seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war, befahl der König, es vor ihm zu verbergen. Denn der Schmerz über den Verlust seiner geliebten Frau brach ihm fast das Herz.

Dennoch geschah es, dass er nur kurz danach eine neue Frau, von der man sagte, sie sei herrschsüchtig, als seine Gemahlin in das Schloss führte.

Es dauerte nicht lange und die neue Frau, die jetzt Königin war, sagte eines Abends zu ihrem Manne: „Ich bin in freudiger Erwartung. In ein paar Monden werden wir ein Prinzlein oder ein Prinzesschen haben.“

Dem König aber wurde es angst und bange, dachte er doch sofort daran, was seiner ersten Frau widerfahren war.

Die Frau, die von dem Kummer ihres Mannes ahnte, ging tief, ganz tief in den Wald hinein zu einer weisen Frau, die dort in einer armseligen Hütte hauste.

„Weise Frau sage mir: Werde ich Schaden nehmen, wenn ich mein Kindlein gebäre?“, fragte sie das alte Hutzelweib, das ihr mit einem schwarzen Kater auf dem Buckel entgegentrat.

Die weise Frau bekam glasige Augen und starrte in die Ferne. Plötzlich zog ein Grinsen über ihr faltiges Gesicht.

„Du wirst eine Tochter gebären und niemand wird Schaden nehmen.“

„Wird meine Tochter einst auch Königin sein?“

Da blickte die Alte wieder in die Ferne und sprach: „Die älteste Königstochter wird von einem wahren Prinzen zum Altar geführt.“

Ich blickte erschrocken auf. Denn plötzlich flackerten die Kerzen, als hätte jemand eine Tür geöffnet und den Wind hereingelassen.

Einen Moment später war wieder alles wie zuvor.

Ich bin wohl übermüdet, dachte ich und rieb mir über die Augen.

Dennoch las ich weiter.

In einem anderen Reich, zur selben Zeit, lebte ein kleiner Prinz. Er war trotz seines jungen Alters schon klug und führte mutig den Degen. Eines Tages, als er im Hof des riesigen Schlosses spielte, näherte sich ihm eine alte Frau.

„Kommt her zu mir, Prinz! Ich habe Euch eine Vorhersage zu machen.“

„Sprecht, Frau“, sagte das Prinzchen mit seiner piepsigen Stimme.

„Hört mir gut zu: Sobald Ihr dreiundzwanzig Winter erlebt habt, werdet Ihr Euch auf den Weg machen, eine wunderschöne Prinzessin vor einem Riesen zu retten und sie als Eure Gemahlin ins Schloss zu führen“, sprach die Frau.

„Wo finde ich das edle Fräulein?“, wollte der Prinz wissen.

„Das muss Eure Sorge nicht sein. Zu gegebener Zeit wird sich alles fügen. Aber passt auf, was ich Euch noch mitzuteilen habe.“

Die Frau zog den Prinzen mit sich in eine stille Ecke und bläute ihm allerlei Reden ein.

Nachdem sie damit fertig war, verschwand sie genauso plötzlich, wie sie gekommen war und das Prinzchen ging wieder seinem Spiel nach.

Ich schreckte auf, weil wieder ein Wind durch mein Schlafzimmer ging. Und dieses Mal erloschen die Kerzen und nur noch die kleine Lampe auf dem Nachttisch spendete Licht.

Mir standen sofort sämtliche Haare zu Berge.

Im selben Moment rutschte das Märchenbuch von meinem Schoß und fiel krachend auf den Boden. Während ich ihm erstaunt hinterhersah, weil ich mich wunderte, wie solch ein kleines Buch so viel Krach machen konnte, wurden seine Seiten durcheinandergewirbelt.

Einen Wimpernschlag später stand ein großgewachsener Mann vor mir, schüttelte den Staub aus seiner Kleidung und verbeugte sich.

2

DER SCHÖNSTE PRINZ VON ALLEN

„Wenn du Märchenaugen hast, ist die Welt voller Wunder.“

Viktor Blüthgen

Mit weit aufgerissenen Augen saß ich auf meinem Bett und obwohl ich hellwach war, glaubte ich, zu träumen. Vor mir stand ein Mann, wie dem Märchen entsprungen, das ich gerade las.

Er war wunderschön anzusehen in seiner dunklen Hose, die ihm bis über die Knie reichte, einer dazu passenden, reich bestickten Jacke mit weiten Ärmeln, dem kurzen Umhang und einem auffälligen Spitzenjabot, das sich wellenförmig über seinen halben Oberkörper ergoss und ihm fast das Aussehen eines Piraten gab. Obwohl er sehr groß war, trug er Schuhe mit einem kleinen Absatz.

Der Fremde hatte das Gesicht eines Engels und gleichzeitig war es männlich markant. Seine Augen funkelten in einem warmen Braunton. Die dunklen Haare hatte er unter seinem Hut mit Feder, den er zur Verbeugung abgenommen und sogleich wieder aufgesetzt hatte, versteckt. Er schenkte mir das umwerfendste Lächeln, das ich jemals bei einem Mann gesehen hatte.

Noch nie zuvor in meinem ganzen Leben hatte ich einen schöneren Mann gesehen als ihn.

„Wer ... wer sind Sie? Was ist ... wo ... wo kommen Sie her?“, stammelte ich fassungslos.

„Darf ich mich vorstellen, edles Fräulein?“, fragte er förmlich. „Prinz Rufus Eugenius Friedrich Caspar von und zu Reichenfels. Bitte habt keine Angst vor mir.“

Er beugte ein Knie, streckte seine Hand aus und als wäre es das Natürlichste auf der Welt, reichte ich ihm meine Hand zu einem in die Luft gehauchten Kuss.

„Mir wurde zugetragen, dass Ihr Euch in Gefahr befindet, edles Fräulein.“

Ich saß mit offenem Mund da und starrte ihn an. Von dem, was er gesagt hatte, war in meinem Kopf nichts hängen geblieben.

„Ja, aber wie ... aber was ... aber wieso ...“, stotterte ich.

„Ist es genehm, wenn ich ...“, er sah sich suchend in meinem Schlafzimmer um, bis sein Blick auf den gemütlichen Ohrensessel fiel. „Ist es genehm, wenn ich hier Platz nehme, edles Fräulein?“

Nach wie vor starrte ich ihn an und zwickte mich unauffällig in den Oberarm, obwohl ich aus diesem wunderbaren Traum gar nicht aufwachen wollte. Ein Prinz! Ein richtiger Prinz! Hier in meiner Wohnung.

In meinem Schlafzimmer!

Schnell zog ich die Bettdecke hoch über meine Brust.

„Bitte entschuldigt! Wo bleiben meine Manieren? Ich werde mich natürlich in den Salon zurückziehen, bis Ihr Euch ein wenig hergerichtet habt.“

Der Prinz machte eine Verbeugung, lächelte mich an und wirkte dabei so bezaubernd, dass es mir den Atem verschlug.

Dann verließ er den Raum.

So weit ist es mit dir gekommen. Nun siehst du plötzlich Gespenster!

Ich schüttelte den Kopf, als müsste ich den Inhalt meines Gehirns neu sortieren.

Das Haus, in dem unsere Familie schon seit Generationen lebte, war sehr alt. Bisher hatte allerdings noch niemand etwas von nächtlichen Erscheinungen erzählt.