Margret´s African Connection - Margarethe Bösch - E-Book

Margret´s African Connection E-Book

Margarethe Bösch

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Beschreibung

Westafrika vor 35 Jahren … Eine junge Frau aus Europa bereist Afrika, um für ein österreichisches Stickerei-Unternehmen Geschäfte zu tätigen – und betritt eine Welt des Geldschmuggels, riskanter Transaktionen und der Korruption. Neben traumatischen Erlebnissen, die ihr widerfahren, findet die junge Geschäftsfrau aber auch Liebhaber und Freunde fürs Leben, die ihr die faszinierenden Seiten einer fremden Kultur näherbringen. Die Autorin beschreibt ihre Erlebnisse in Nigeria und Benin, wo sie als Export-Managerin für österreichische Firmen Luxus-Stickereien verkaufte.

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Margarethe Bösch

Margret’s African Connection

© 2014 Margarethe Bösch

1. AuflageBUCHER VerlagHohenems – Wien – Vaduzwww.bucherverlag.com

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-99018-320-5

Margarethe Bösch

margret’s

AFRICAN

CONNECTION

BUCHER

Ankunft in Benin und die Geschichte von Prince of Kosoko

Cotonou/Benin – Westafrika 1978

Die DC-9 der Air-Afrique, eine alte ausgediente Maschine der Air France, landet mit Kreischen und einer Vollbremsung auf dem löchrigen Asphalt des Flughafens von Cotonou. Ich komme gerade aus Douala/Kamerun, wo ich ziemlich erfolglos versuchte, einem alten, geilen und übergewichtigen Alhaji namens Ganbo die Stickereistoffe unserer Firma zu verkaufen. Aber Ganbo war mehr an mir als Person als an den luxuriösen Stickereien interessiert, denn als es darum ging, mir eine Vorauszahlung auszuhändigen, wollte er dies nur tun, wenn ich eine Nacht mit ihm verbringe. Mein Interesse an Männern ist zwar nach wie vor ungetrübt, doch die Anforderungen, die ich an Männer stelle, konnte er wahrlich nicht erfüllen. Aber Douala war nur eine Zwischenstation zu meinem eigentlichen Ziel in Afrika, nämlich Cotonou in der Volksrepublik Benin.

Ich habe gehört, dass Benin (ehemals Dahomey) der Markt der Zukunft für unsere Stickereien sei und soll im Auftrag meines Chefs an Ort und Stelle feststellen, wo das (damals) kommunistische Benin seine Stärken hat, wie die Geldübergaben und die Geldschmuggel-Systeme funktionieren. Nigeria – unser Hauptmarkt – will Cotonou als Ausweichflughafen für Schmuggelgut benutzen und von dort die Waren containerweise in LKWs nach Nigeria schaffen. Es ist eigentlich ein „market research“ auf Afrikanisch. Dazu kommt noch die Tatsache, dass ich unter keinen Umständen mehr nach Nigeria einreisen kann, wurde ich doch von der nigerianischen Polizei, dem CID auf die gefürchtete „blacklist“ gesetzt, da mein Name auch mit Naira-Transfers und Devisenschmuggel in Verbindung gebracht wurde. Dies entspricht leider den Tatsachen, und ich werde mich hüten, Nigeria in nächster Zeit zu bereisen, das Risiko ist mir viel zu hoch.

Nun, es ist das erste Mal, dass ich den glühendheißen Boden der Volksrepublik Benin betrete. Obwohl es noch recht früh am Morgen ist, brennt die Sonne erbarmungslos auf uns Passagiere, als wir zu Fuß zum Flughafengebäude gehen, immer in der Hoffnung, dass das Gepäck ankommen wird und nicht wieder irgendwo in Afrika liegengeblieben ist. Ich passiere alle möglichen Kontrollen, Visa, Santé, Immigration, verteile freudig meine kleinen schönen Dinge an die Damen vom Zoll (nur nicht unangenehm auffallen), wie z. B. Ohrenstäbchen, Tampons, Deospray, Nagellack – so komme ich ungeschoren und auf schnellstem Weg durch alle lästigen Kontrollen.

Endlich, das Gepäck rollt einher – rollen ist zwar reichlich übertrieben, denn das Gepäck rollt eigentlich nicht, es wird von kräftigen jungen Schwarzen von der DC-9 über das Flugfeld geschleppt.

Schwitzend und bar meiner kleinen schönen Dinge setze ich mich ins Taxi. Ein gelber R4, Reifen so glatt und glänzend wie die Glatze meines Fahrers namens Marcellin, zuckelt mich in mein Hotel. Marcellin sollte im Verlaufe der Zeit und während meiner noch zahlreichen Reisen nach Benin ein lieber, zuverlässiger Kamerad für mich werden. Jetzt aber fährt er wie ein verhinderter Formel-2-Fahrer auf der sogenannten Hauptstraße entlang des Meeres und plaudert angeregt mit mir. Er ist noch unverheiratet, erfahre ich, lebt bei seiner Mutter, er ist 30 Jahre alt und total abergläubisch, sein Hals ist mit diversen Gri-Gri-Ketten umhängt. Er öffnet einen Beutel, der ebenfalls an einer der vielen Ketten baumelt, und zeigt mir stolz ein Haarbüschel und kleine Knöchlein. Ich traue mich gar nicht zu fragen, wessen Haare und Knochen das sind.

Das trägt er immer bei sich und soll ihm Glück bringen, eine schöne weiße Frau zu finden. Er dreht sich um, zwinkert mir zu! Oh Gott! Nicht schon wieder eine Anmache von einem dicken, glatzköpfigen Mann.

Cotonou! Endlich! Ich bin total beeindruckt von der Schönheit dieser kleinen Stadt – teilweise französischer und portugiesischer Baustil, überall Palmen, Hibiskusblüten und eine Affenhitze! Ich ahne noch nicht, dass ich noch so viele Male nach Cotonou kommen würde, dass mir diese kleine Stadt im Herzen Afrikas – mit dem französischen Flair – noch sehr ans Herz wachsen wird.

Der Check-In im Hotel du Port verläuft für afrikanische Verhältnisse reibungslos. Ich erhalte Bungalow B2. Beim Verteilen von Trinkgeld bin ich in Afrika immer sehr großzügig. Ich bekomme immer beste Behandlung, beste Zimmer und schnelleren Service. Sogar das Telefon funktioniert, die Ferngespräche werden durchgestellt, denn ohne Trinkgeld heißt es „Lignes occupées“. Ohne Trinkgeld geht gar nichts, und wehe dem Weißen, der das nicht kapiert oder zu knausrig ist. Der wartet dann zwei Stunden auf das Dinner und zwei volle Tage auf ein Ferngespräch nach Europa! (Tja, damals gab’s noch keine Handys!)

Bungalow B2: ein kleiner sauberer Pfahlbau mit ratternder – aber funktionierender! – Klimaanlage. Der Geruch von feuchter Tropenluft liegt im Raum, ein kleiner Lizzard flitzt an der Wand auf und ab. Hyppolith – mein Zimmerkellner lacht herzlich, als ich beim Anblick dieses echsenartigen Tierleins erschrocken aufschreie. „Madame, der frisst alle Mücken und Fliegen, Sie müssen keine Angst haben.“ Nachdem mein Vertrauen in Hyppolith – und alle Kellner Afrikas – grenzenlos ist, glaube ich ihm und mache mich mit dem Gedanken vertraut, dass das kleine Echslein nun der Gefährte meiner einsamen Nächte in Cotonou sein wird. Hyppolith hilft mir gerne meinen Koffer auszupacken. Ich bin sicher, er tut es nicht nur wegen des Trinkgeldes, sondern auch weil er schrecklich neugierig ist. Er möchte sehen, was so eine weiße Frau alles im Koffer mitschleppt. Er bewundert meine Kleider, meine Schuhe, mein Parfum. Als er dann noch meinen Sommerpyjama aus reiner Seide sieht, flippt er fast aus. Er sagt: „Madame, mein größter Wunsch ist es, einmal einen Herrenpyjama aus Europa zu tragen.“ Natürlich verspreche ich ihm, dass sein Herzenswunsch in Erfüllung gehen werde und ich ihm beim nächsten Mal ein solches Kleidungsstück mitbringen werde. (Ich habe ihm dann später wirklich einen Pyjama mitgebracht, er trug ihn nur am Sonntag.) Neugierig wie ich bin, frage ich Hyppolith nach seinem Familienstand. Er scheint mir sehr jung, und er ist nicht schön. Umso erstaunter bin ich, dass er verheiratet ist und zwei Kinder hat. Er jammert, er sei 24 Jahre alt, seine Frau schon wieder schwanger, so viele Kinder, fast kein Geld usw., und ich greif natürlich wieder in die Tasche, um ihm eine kleine Hilfestellung zuzuschieben.

Nun, das Plauderstündchen mit Hyppolith ist sehr angenehm, aber gewiss nicht der Sinn und Zweck meines Aufenthaltes in Cotonou. Ich will auf den Markt (marché), wo Stickereien verkauft werden und natürlich alle anderen Luxusgüter und einige eventuelle Kunden kontaktieren, deren Adressen ich von der österreichischen Handelsdelegation erhalten habe. Ich bin gerade dabei, meinem Hyppolith meinen Zivilstand, meine Hobbys etc. darzustellen, als ein Boy an die Türe klopft. „Madame, au téléphone!“ Ich muss zur Rezeption laufen, denn das Telefon in meinem Bungalow scheint nur eine Attrappe zu sein und funktioniert natürlich nicht.

Ich zwänge mich in die Telefonzentrale des Hotels. Sie besteht aus einem kleinen fensterlosen Raum, in dem eine haarsträubende saunaartige Hitze herrscht und ein schläfriger Angestellter Dienst tut.

Mein Chef, der Herr Konsul Diplom Ingenieur, Kommerzialrat Leopold Biedermann, ist am Telefon. „Es ist eine Katastrophe passiert!“, schreit und kreischt er ins Telefon. Der Mann ist ebenfalls übergewichtig und 6O Jahre alt, ich befürchte, dass er einen Herzinfarkt bekommt, so aufgeregt ist er. Er ist der Hysterie nahe! Nun, die Story: Während ich in Douala erfolglos werkelte und mich mit dem alten geilen Ganbo herumschlug, waren drei Herren aus Nigeria (Lagos) bei uns in Österreich. Sie kauften bei meinem Chef, dem Konsul höchstpersönlich, vier Container voll Stickereien im Wert von einer Million Schilling. Die nigerianischen Herren bezahlten mit US-Dollar in Form von Traveller-Schecks! Nun ja! Das war damals eine übliche Zahlungsweise. Nur, bevor man dann die Ware verschickt (übrigens alles per Luftfracht über Paris nach Cotonou – ja, ja, liebe Spediteure, das waren noch Zeiten!), prüft man bei der Bank, ob die Schecks okay sind und nicht als „lost and stolen“ gemeldet sind. Gerade dies hat man während meiner Abwesenheit nicht getan. Der Herr Kommerzialrat (von Kommerz keine Ahnung und guter Rat ist teuer) hat die Container einfach abgeschickt, ohne zu prüfen ob die Schecks gedeckt sind. Die Container wurden sofort einem Spediteur übergeben und nach Paris geschickt, „jetzt sind die Container bereits in Cotonou“, heult der Kommerzialrat ins Telefon. Das Airwaybill (das offizielle Konnossement, welches den Überbringer berechtigt, die Ware auszulösen, quasi der Paketschein) hat der Herr Kommerzialrat noch höchstpersönlich den drei Herren übergeben.

Ich bin überrascht und entsetzt. Jeder Absolvent einer Handelsakademie (ein MBA-Absolvent von Harvard vielleicht nicht ...) weiß, dass ein Airwaybill ein hochoffizielles Dokument ist. Mit dem Original-AWB können diese Männer also jederzeit in Cotonou aufkreuzen und die vier kostbaren Container am Flughafen abholen. Kein Wunder, dass mein Boss so aufgeregt ist. Er bekniet mich, ja er befiehlt mir, sofort etwas zu unternehmen, da ich ja, Gott sei es gedankt, gerade in Cotonou bin.

„Stoppen Sie die Ware am Flughafen! Gehen Sie zum Zollamt, zum Flughafenchef, was immer Sie können, diese Schweine dürfen die Ware nicht bekommen, ohne dass Sie Ihnen bares Geld zahlen! Ich will Cash sehen! Und bringen Sie das Geld mit, wir brauchen das in der Firma, ich muss die Weihnachtsgelder auszahlen.“ „Herr Konsul Biedermann“, endlich lässt er mich auch zu Wort kommen, „wie sind die Container markiert? Auf dem Flughafen stehen hunderte von Containern rum, ganz Vorarlberg schickt alle Container wöchentlich nach Cotonou! Wir sind ja nicht die einzigen.“ „Adenijy 1-4“, stöhnt er. „Tun Sie alles, um mein Geld zu retten.“ Nun, das hört sich eher nach Befehl als nach einer Bitte an. „Ich werde schauen, was ich tun kann. Ich weiß nicht, wie das alles hier funktioniert, wir sind hier ja nicht in Zürich oder Paris, Herr Konsul, das hier ist Afrika, Afriiiiiika! Hier ist alles anders, und ich kenn hier doch keinen Menschen.“ „Ja, ja, ich weiß, soviel Geld, es geht um die Zukunft der Firma, es ist die Höhe, dazu ist der Nigerianer noch ein Prinz! Wie kann ein Prinz mich so betrügen? Dieser Kosoko ist ein Prinz! Und lassen Sie Leute aus Nigeria kommen, die Ihnen helfen“, er kreischt bereits vor Aufregung.

Ein Prinz. Da haben wir es. Ich bin mir sicher, dass der Herr Konsul und der Prinz miteinander verhandelt haben – und ein Konsul ist in Österreich ja auch schon fast ein Adeliger mit CD-Nummer am Mercedes. Und der Konsul ob des Titels „Prinz“ total beeindruckt. Der Konsul war noch nie in Afrika! Der Konsul weiß nicht, dass es in Afrika Prinzen gibt wie Sand am Meer. Jedes Kaff hat seinen König, und seine Prinzen! Jedes Dorf seinen Chief! Der Konsul weiß nicht, dass die Telefone zwischen Benin und Nigeria seit zwei Monaten nicht funktionieren! Jemand herkommen aus Nigeria, dass ich nicht lache!

Wie dem auch sei, Tatsache ist nun, dass ich etwas unternehmen muss, damit die Ware wieder in unseren Firmenbesitz gelangt. Aber was soll ich tun? Wer ist der Chef des Flughafens und dieses Zolls? Vor allem ist die Sache eilig. Wir haben Mittwoch und die Container sind mit dem Samstagflug der UTA Paris – Cotonou angekommen, befinden sich also schon auf dem Airport.

Die Nigerianer würden „any minute from now“ hier antanzen oder jemanden schicken, um die vier Container Luxusstickereien abzuholen und nach Nigeria zu schmuggeln, um diese dort auf den gigantischen Märkten in Lagos, Ibadan und Kano zu verkaufen. Stickereien sind ein absoluter Luxus und deswegen von der Regierung in Nigeria auf die Liste der verbotenen Güter (banned goods) gesetzt (wie z.B. auch Champagner). Trotzdem gehen pro Woche bis zu 400 Container von Benin nach Nigeria.

Ich bin zum ersten Mal in Benin. Mit wem soll ich über mein Problem sprechen? Die paar Adressen, die ich habe, sind Kaufleute aus Porto Novo. Meine nigerianischen Kunden, welche ich jetzt in Cotonou treffen soll, erwarte ich erst am Wochenende.

Ich bin hilflos. Zu dem Gefühl der Hilflosigkeit mischt sich aber auch kalte Wut. Wut auf diese Gangster, Wut auf „meine“ Firma, die solch einen Kapitalfehler macht. Auch habe ich keine Ahnung, was für eine – von „meiner“ Firma gefälschte – Rechnung der Prince of Kosoko vorweisen wird. Es wird immer alles unterfakturiert, damit der Zoll in Benin für die Nigerianer nicht zu hoch ist.

Schweißüberströmt verlasse ich die fensterlose Telefonzentrale, ich haste zum Bungalow. Dort dusche ich und mache mich zurecht. Lippenstift ist das einzige Make-up, das man in Afrika auftragen kann, alles andere zerrinnt in der feuchten Hitze (36° C, 90% Luftfeuchtigkeit, das hält das beste Make-up und die teuerste Mascara nicht aus). Erfrischt und in einer Wolke aus Parfum entscheide ich mich, erst einmal zum Flughafen zu fahren. Marcellin, der Gute, döst auf dem sandigen Hotelparkplatz in seinem klapprigen postgelben R4 vor sich hin.

„Marcellin!“ Ich haue mit der Faust auf seine Motorhabe, um den dösenden Mann zu wecken. „Oui, Maman!“ Aha, nun bin ich also schon die „Maman“ und nicht mehr die Madame. Ich bin nicht sicher, soll ich das nun als Ehrerweisung auffassen, denn „Maman“ werden immerhin nur die älteren ehrbaren Damen in Französisch-Westafrika genannt. Ich entschließe mich für die Ehrerweisungs-Variante und lasse mich in den quietschenden R4 fallen. „Zum Flughafen, mon cher camerade Marcellin, fahr mich dorthin, wo die großen Container ankommen und wo der Chef des Flughafens ist, aber der Mann, der mit den Containern zu tun hat, nicht mit den Passagieren.“

Marcellin scheint kapiert zu haben und drückt auf die Tube. Wir rattern am wunderschönen Palmenstrand vorbei, das Meer leuchtet blau zwischen den Kokospalmen, es ist ein Traum! Viel lieber würde ich jetzt am Strand liegen und die afrikanische Sonne genießen. Am Flughafen angelangt, fragen wir uns durch zum richtigen „Chef d’aeroport“. „Le chef“ ist „le camerade Joseph Agbindinoukoun“. Endlich stehe ich vor ihm, dem Chef. Joseph ist ein Nachkomme des Königs von Aboumé (also wieder ein Prinz!). Er ist hochintelligent und voller Charme. Er ist nicht schön, aber interessant, und auch nicht übergewichtig! Seine Zähne sind schneeweiß, aber etwas zu lang, und als der liebe Gott die Gesäße verteilte, muss er es mit Joseph sehr gut gemeint haben, denn sein Allerwertester ist sehr ausgeprägt. Aber er ist sehr lieb und freundlich, und wenn er lächelt scheint die Sonne aufzugehen und seine Augen strahlen. Er bietet mir einen Platz an in seinem Büro – es ist kühl, die Klimaanlage läuft auf Hochtouren. Joseph riecht sehr angenehm nach Eau Sauvage von Dior. Ich trinke die angebotene Cola und rauche. Marcellin wartet draußen, wahrscheinlich schläft er schon wieder. Ich schildere Joseph detailliert mein Problem und er gräbt in seinem Aktenberg.

„Ja, die Container sind da, die Nigerianer sind jedoch noch nicht aufgetaucht, es hat noch niemand nach dieser Ware gefragt. Aber klar, sie können jederzeit auftauchen, Madame. Madame! Sie haben wahrhaftig ein großes Problem. Sie wissen, dass diese Leute mit dem Original des Airwaybills diese Container auslösen können, sie müssen nur den Zoll bezahlen?“

„Ja, Monsieur Joseph, oh pardon, camerade.“ Immer wieder vergesse ich, dass man in Benin die Menschen und auch die Beamten mit „Genosse“ anzusprechen hat. „Ja, ich weiß, bitte helfen Sie mir, dies sind Gangster, sie haben mit gestohlenen Traveller-Schecks bezahlt, man muss ihnen das Handwerk legen.“

„Madame Marguerite, Sie wissen es und wir wissen es. Die Exporteure in Autriche senden gefälschte Rechnungen mit der Ware, damit die Nigerianer nicht so viel Zoll zu zahlen haben. Haben diese Männer eine Rechnung in Autriche erhalten?“

„Ja, ich bin sicher, aber ich kenne den Betrag nicht. Ich war so aufgeregt, ich vergaß den Konsul danach zu fragen. Bitte, camerade Joseph, bitte helfen Sie mir, eine Lösung zu finden!“

„Madame, ich werde alles tun, was in meiner Macht steht. Ich bin kein Freund der nigerianischen Mafia. Aber wir sind in Afrika, zudem ist Benin ein kommunistisches Land und wie Sie wissen sehr rassistisch, Sie sind hier eine weiße Kapitalistin, sehen Sie nicht die Plakate in der Stadt, die unser president le grand camerad Kerikou anbringen ließ? Das trägt alles nicht zur Verbesserung Ihrer Situation bei.“

Ich gestehe, dass ich noch gar nicht im Stadtzentrum war, sondern nur direkt vom Flughafen in das nahegelegene Hotel fuhr. Ja, später sehe ich sie auch, diese Plakate

„RAUS MIT DEN WEIßEN KAPITLISTEN“

„TOD DEN VERRÄTERN (Mort aux Traiteurs!)“

„RAUS MIT DEN IMPERIALISTEN (en dehors les Imperialistes)“

„Monsieur Joseph, camerade, helfen Sie mir, denn ich kenne keine Seele hier in Cotonou, es gibt auch keine österreichische Botschaft in Benin, die nächste Botschaft ist in Abidjan und ich muss die Ware für meinen Chef retten!“

Joseph verspricht, sein Bestes zu tun.

Erschöpft verlasse ich das Büro. Wind ist aufgekommen, die Palmen rauschen und singen, die Hitze ist erträglicher geworden. Es ist 16 Uhr. Mein Magen knurrt, ich habe Hunger. Noch vor wenigen Stunden glaubte ich, einige Tage in Cotonou zu verbringen, in Ruhe auf meine Lagos-People wartend und Marktforschung zu betreiben. Jetzt muss ich sehen, wie ich aus diesem Schlamassel herauskomme. Mein Verantwortungsbewusstsein ist seit meiner Jugend so ausgeprägt, dass es richtig unangenehm sein kann. Wieso kann ich nicht einfach sagen: „Was soll’s? Ist ja nicht mein Geld, war ja nicht mein Fehler! Sollen die nigerianischen Gangster doch die vier Kisten abholen, kann ich etwas dafür, dass die in Österreich so eine Scheiße gebaut haben?“

Nein, ich kann es nicht so abhandeln. Es ist mein Job, ich bin für diesen Markt verantwortlich, ich muss mein Bestes tun. Aber was ist wohl das Beste? Ja, und wieso bin ich für diesen Markt eigentlich verantwortlich? Wieso hat mein Boss einfach zu mir gesagt: „Nix da jetzt mit Europa bereisen, Europa ist ein Armenhaus für Stickereien, jetzt müssen Sie nach Afrika, da spielt die Musik!“? Und wie die Musik spielt! Ich klettere wieder in den R4. Marcellin hat inzwischen mächtig transpiriert und mir wird fast übel von seinem beißenden body odour. Oh Joseph, du warst so cool und elegant und wohlparfümiert! Die Fahrt ins Hotel legen wir in 15 Minuten zurück, ich öffne alle Fenster des R4 und versuche, nicht an Marcellins Geruch oder an meinen Hunger zu denken. Im Hotel angekommen, bezahle ich Marcellin. Ich betrete die Hotelhalle und verlange meinen Schlüssel. Statt in meinen Bungalow zu gehen, betrete ich das kleine Restaurant am Pool, ich möchte Kartoffelpürree. Seit Douala träume ich von Kartoffelpüree. Ich kann keinen Reis und keine Fritten mehr sehen. Aber – die Küche ist noch geschlossen. Der Kellner zwinkert mir zu, er gibt mir zu verstehen, dass der Koch ja schon da ist, und eventuell ein purée de pommes de terres für mich zubereiten könnte, nun, na ja, eventuell ... Ich verstehe. Ich schicke ein schönes Trinkgeld in die Küche. (Ja, Ja, Herr Prüfer vom Finanzamt, deswegen die vielen „Trinkgelder ohne Beleg“ in meinen Reiseabrechnungen, die Sie immer so zerpflückten, aber verlangen Sie mal einen Beleg für ein Schmiergeld oder ein Trinkgeld, Herr Prüfer!) Nach 30 Minuten, ich schlürfe gerade meinen Gin-Tonic, bekomme ich mein Püree mit grünen Erbsen. Ich entspanne mich zusehends. Das Essen schmeckt köstlich. Insgeheim lobpreise ich die Franzosen – es gibt Croissants, Baguettes, Profiteroles, Champagner, Vittel, Evian und all die wunderbaren Dinge, die Frankreich so liebenswert machen.

Abends an der Bar treffe ich einen Landsmann, es ist Erich B. aus Altach. Auch er ist in Sachen Stickereien unterwegs. Wir setzen uns an den Pool und plaudern angenehm, verbringen einen schönen Abend unter dem afrikanischen Sternenhimmel. Erich erzählt von seiner Familie, seinen Zukunftsplänen. Ich erzähle ihm von meinem Pech mit den Containern. Wir sind zwar sozusagen Konkurrenten auf dem afrikanischen Markt. Aber dieser Markt ist so gigantisch groß, und wir sind irgendwie als Europäer „entre nous“ hier im fernen Afrika und es ist einfach klar, dass man sich gegenseitig hilft. Das kleinkarierte und provinzielle Denken „Die Konkurrenz ist dein Feind“ hat in Afrika keinen Platz. Erich ist schon zum fünften Mal hier in Cotonou. Er kennt sich schon gut aus, hat bereits etliche Koffer mit Geld aus dem Land geschmuggelt und wird mir ein paar gute Tipps geben. Er rechnet mir vor, wie viel Geld bei jedem Geldschmuggel er verdient, denn sein Chef gibt ihm jedes Mal 5% der Summe, die er mitbringt. Ich bin platt! Mein Chef hat mir noch nie einen Groschen gegeben. Ich habe vorher bereits etliche Male Geld aus Nigeria mitgebracht und alle möglichen Abenteuer und gefährlichen Situationen erlebt. Ich nehme mir vor, bei meiner Rückkehr mit dem Konsul ein ernstes Wort zu reden. Ich will in Zukunft auch eine „Schmuggelprovision“ haben! Wie blöd war ich eigentlich bis jetzt, das alles für mein Gehalt zu tun? Typisch blödes Weib! Wo bleibt die Emanzipation! Ich steigere mich derart in diese Sache hinein, dass ich drauf und dran bin, den Konsul anzurufen! Es ist jedoch schon nach Mitternacht. Ich werde das morgen erledigen. Ich kann den Konsul doch jetzt nicht mehr anrufen, wo seine Nerven ohnehin schon blank liegen!

Und wenn er mir nichts bezahlen will? Soll ich den Job schmeißen? Ja, und wenn ich dann keinen Job mehr bekomme? Ich könnte natürlich dann mit dieser Provision endlich die Abwaschmaschine kaufen, die wir uns alle so wünschen. Ich könnte den Plattenspieler für Chrisi meinen pubertierenden Sohnemann kaufen und, und, und ... Alle diese Dinge gehen mir durch den Kopf während Erich immer noch redet und redet ...

Erich ist trotz der langen Reise noch unternehmungslustig. Er geht noch in die Hoteldisco „mal gucken“. Ich falle todmüde ins Bett, nicht ohne vorher jedoch meine obligatorische Malariaprophylaxe und den Schluck aus der Chivas Regal Flasche genommen zu haben. Chivas ist für mich in Afrika kein Drink sondern ein prophylaktisches Getränk für Darm und Magen.

Ich schlafe wie ein Murmeltier, trotz des Getöses der Klimaanlage und der Anwesenheit des kleinen Lizzards.

Morgens um 8 Uhr werde ich wach. Donnerstag. Ich beginne, meinen Tag zu planen. Vormittags werde ich am Pool liegen und am Nachmittag mit Erich nach Porto Novo fahren, um dort einige Stickereihändler zu besuchen. Es ist ja erst Donnerstag und meine Lagos-Kunden werden erst am Wochenende in Cotonou sein. Mama Bolanle, Micky, Omotayo Talabi etc. sind alles Händler, die während der Woche in Lagos in ihren Shops sitzen und verkaufen, und sie kommen erst am Wochenende nach Cotonou um dort zu entspannen, mal gut französisch zu essen und natürlich um ihre Geschäfte mit uns abzuwickeln. Ich stelle mir vor, wie sie alle in ihren Shops thronen und kilometerweise „embroideries made in Austria“ verkaufen. Ich werde mich also in Geduld fassen müssen. Denn obwohl sie alle wissen, dass ich schon in Cotonou bin mit neuen Dessins und neuen wunderbaren Farbstellungen und dass ich keinen Fuß mehr in ihr Land setzen kann, ist es nie ganz sicher wer wann kommt. Das ist eben Afrika!

Man sieht sich „any minute from now“ wenn nicht in Cotonou, dann eben in Zürich, Lustenau, London oder St. Gallen. Geld und Zeit spielen keine so große Rolle. Das Geschäft boomt. Wenn man über das Wochenende nicht nach Cotonou fahren kann, fliegt man halt eben nach Zürich oder London und trifft sich dort.

Dass Zeit in Afrika keine große Rolle spielt, lerne ich schon, als ich das erste Mal nach Lagos flog. Mr. Odunewu hat mich für mittags in sein Büro bestellt, um Aufträge zu besprechen und Anzahlungen zu leisten. Ich plane meinen Flug entsprechend, komme am Vorabend des Appointments mit der Swiss Air in Lagos an und stehe Punkt 12 Uhr im Shop von Mr. Odunewu in der Kosokostreet. Seine Mama und sein Bruder begrüßen mich herzlich, ich bekomme Coca-Cola und einen Sessel und warte und warte. „He will be back any minute from now“, sagt Mama immer freundlich zu mir. „Just wait some more time.“ Es wird Nachmittag. Es ist heiß, schwül und stickig, mein Magen knurrt. Wenn ich Hunger habe, werde ich überaus gereizt, so platzt mir gegen 16 Uhr der Kragen. „Wo ist Alhaji, er muss doch jetzt kommen, das geht so nicht, wo ist er denn?“, frage ich, diesmal aber schon am Ende meiner Geduld und ohne Verständnis für die afrikanische Zeitrechnung. Würdevoll antwortet mir Mama Odunewu: „He is in London, and will be back any minute from now!“ Entsetzt über so viel Ignoranz verlasse ich fluchtartig die gastfreundliche Mama und bekomme auf dieser Reise meinen Kunden überhaupt gar nicht zu Gesicht. Ja, das ist Afrika!

Schon meine Ankunft in Lagos beginnt mit einer Panne. Per Telex ist für mich ein Zimmer im Hotel Bristol reserviert, in meiner Handtasche habe ich die Bestätigung vom Hotel.

Nach einer chaotischen Einreise (die Ankunftshalle ist ein wahres Irrenhaus, überall türmt sich Gepäck, der Geräuschpegel ist unerträglich, dazu die Hitze und die Gerüche) treffe ich spätabends im Hotel ein. Eine freundliche junge Dame namens Kiki erklärt mir mit strahlendem Lächeln, dass kein Zimmer mehr zu haben ist. Ich jammere und schimpfe, keine Chance! Ich kann unmöglich um diese Uhrzeit in einer mir fremden Stadt in Afrika auf Zimmersuche! Nachdem ein paar Dollarscheine von meiner Hand in Kikis gepflegtes Händchen wandern, bekomme ich ein „Ausweichzimmer“.

Das Zimmer ist zwar schon an zwei japanische Geschäftsleute vermietet, die sind aber glücklicherweise für 3 Tage nach Kano geflogen und im Moment nicht im Hotel. So kommt es, dass ich in einem Zimmer schlafe, welches eigentlich bewohnt ist. Es stehen eine Menge Gepäckstücke, Kameras, Stative herum, aber ich kann bleiben und endlich schlafen. Am dritten Tag dann nochmals ein Trinkgeld für Miss Kiki – und ich bekomme ein eigenes Zimmer. Die Herren aus Japan habe ich übrigens nie gesehen!

Mit Bodyguard nach Yaba

Während dieser Reise habe ich auch einen Termin mit einem Mr. Folani. Ich warte drei Tage auf sein Erscheinen – ich habe ja meine Lektion gelernt: „any minute from now“ könnte er ja noch antanzen. Mr. Fola schuldet uns Geld, und täglich telefoniere ich vergebens mit seiner Gattin – er kommt weder ans Telefon, noch ins Hotel. Er bleibt einfach verschwunden. Am Abend des dritten Tages beschließe ich kurzerhand, Mr. Fola persönlich in seinem Haus zu besuchen. Als ich dem Taxifahrer die Adresse nenne, meint er lakonisch, nach Yaba fahre er nur mit mir, wenn ich einen Bodyguard mitnähme. Yaba ist kein guter Stadtteil und sei seit drei Monaten ohne Strom! „Yaba no goodo!“, sagt er.

Kiki, inzwischen meine Freundin, organisiert in Windeseile (also in 2 Stunden) einen Bodyguard für mich. Er heißt Benjamin, ist ein Schrank von einem Mann, zeigt mir auch noch seine Pistole und seinen Schlagstock und erklärt sich bereit, mich nach Yaba zu begleiten und zu beschützen.

Es regnete schon den ganzen Tag, aber als wir endlich nach Yaba aufbrechen schüttet aus Kübeln und es ist stockfinster. Die Fahrt zieht sich in die Länge über Stock und Stein, und in Yaba ist es tatsächlich stockdunkel. Man sieht nur Petroleumlampen. Wirklich kein Strom!

Der Fahrer hat nicht übertrieben. Das Viertel ist mir unheimlich, wenn wir fast stehen, um den Schlaglöchern auszuweichen, kommen die Menschen und leuchten mit Lampen in unseren Wagen. Kein gutes Gefühl.

Plötzlich – auf der „Straße“ – eine riesige Pfütze, ja fast ein Teich. Wir müssen stehenbleiben, kommen so nicht weiter. Der Chauffeur organisiert einen langen Holzstock um die Tiefe des Wasserhindernisses zu messen. Es gibt kein Durchkommen mit dem Auto. Kurzerhand bricht mein mutiger Benjamin die Aktion „Yaba“ ab, befiehlt eine sofortige Umkehr. Auch ihm ist die Sache nicht mehr geheuer! Wie froh bin ich dann, als wir wieder in „Lagos Downtown“ unverrichteter Dinge ankommen, denn Downtown ist hell erleuchtet, Tausende von Menschen wuseln trotz des Regens in der Stadt herum.

Mr. Folani habe ich erst 2 Monate später getroffen („any minute from now“).

Aber zurück nach Cotonou. Ich hoffe, dass viele meiner Kunden kommen, denn ich muss ja noch unbedingt Vorauszahlungen für bestehende Aufträge kassieren, und dieses Geld muss ja auch hinausgeschmuggelt werden aus Benin!

Das Poolwasser ist grünlich-schmutzig. Eine beninische Schulklasse übt gerade das Schwimmen. Ich denke an den Hautpilz meiner Freundin Linda – die eben erst aus Cotonou nach Hause zurückgekehrt ist, ihre Oberarme voller weißer grusliger Flecken und ich beschließe, nicht ins Wasser zu gehen. Ich vertröste Marcellin, der schon mit glänzender frisch polierter Glatze vor mir steht, auf den nächsten Tag. Er hat leider kein Telefon. Er verspricht mir, täglich einige Male vorbeizusehen, ob ich ihn brauche. Er hat nicht viele Kunden an diesen Tagen. Die wenigen Russen und Chinesen, die im Hotel leben, sind alle auf Einladung der Regierung in Cotonou und werden mit schwarzen Limousinen herumgefahren und die paar Franzosen, die auch noch hier herumgeistern, scheinen allesamt mit Firmenwagen unterwegs zu sein.