Maulende Rebellen, beleidigte Zicken - Annegret Noble-Fischer - E-Book

Maulende Rebellen, beleidigte Zicken E-Book

Annegret Noble-Fischer

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Beschreibung

Streiten Sie noch oder erziehen Sie schon?

Türknallen, Schuleschwänzen, heimliches Rauchen – Eltern von Teenagern erkennen ihre Kinder in der Pubertät oftmals kaum wieder. Streit und Provokation scheinen vorprogrammiert. Laut Annegret Noble Fischer, bekannt aus der TV-Dokumentarreihe Teenager außer Kontrolle, reagieren die meisten Eltern auf diese Veränderung mit Kritik und Unverständnis - und verschärfen so den Konflikt. In ihrem praxisnahen Ratgeber gibt die erfahrene Familientherapeutin eine Vielzahl an innovativen Denkanstößen, wie Eltern ihre Kinder motivieren, fordern und zugleich fördern können.

Teenager loten bewusst Grenzen aus – sie wollen testen, wie weit sie gehen können. Viele Eltern wissen nicht, wie sie auf die Eskapaden ihrer Sprösslinge reagieren sollen. Anhand zahlreicher Beispiele aus der Praxis zeigt die Autorin, wie man Teenagern Grenzen setzen kann und ihnen Halt gibt, ohne sie zu bevormunden oder einzuengen. Es gilt, ein positives und entspanntes Verhältnis zu schaffen, in dem sich die Kinder zu selbstständigen und verantwortungsbewussten Persönlichkeiten entfalten können. Entscheidend ist dabei, was Eltern ihren Kindern in ihrem Verhältnis zu anderen Menschen und zu sich selbst vorleben, denn: ausgeglichene Eltern haben entspannte Kinder.

• Kompetenter und sensibler Ratgeber für Eltern von Teenagern
• Psychologisch fundiertes Erziehungskonzept

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 319

Veröffentlichungsjahr: 2009

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Inhaltsverzeichnis
 
Widmung
Einleitung Das Haus der Erziehung
 
Kapitel 1: Was können Eltern tun? Das Dachgeschoss: Grenzen und Konsequenzen
Grenzen
Verantwortungsbewusstsein
Macht und Kontrolle – Entscheidungsfreiheit macht Freu(n)de
Machtkämpfe
Mein Problem, dein Problem – wessen Problem ist es eigentlich?
Fehler und Herausforderungen
Die Kraft des wahren Mitgefühls
Die Macht des Schweigens und andere Herausforderungen
Natürliche und logische Konsequenzen
Kreative logische Konsequenzen
 
Kapitel 2: Die Identitätsfindung Das Obergeschoss: Lehren und Lernen
Hilfe, mein Körper spielt verrückt!
Wer bin ich eigentlich?
Wegen Umbau bis auf Weiteres geschlossen – Die Gehirnentwicklung bei Jugendlichen
Vom konkreten zum abstrakten Denken
Hormone und Gefühlsschwankungen
Die moralische Entwicklung
Verschiedene Lernstile
Erwartungen
 
Kapitel 3: Die Sprachen der Liebe Das Erdgeschoss: Wie liebt man ein Stachelschwein?
Worte des Lobes und der Anerkennung
Zeit und Aufmerksamkeit
Geschenke
Hilfsbereitschaft und andere Dienstleistungen
Zärtlichkeit
Wie erkennen Sie die bevorzugte Liebessprache Ihres Teenagers?
 
Kapitel 4: Wenn aus Paaren Eltern werden Der Keller: Was bedeuten uns Beziehungen?
Ein Wort an Alleinerziehende, Geschiedene, und Patchworkfamilien
Die Entwicklung einer Paarbeziehung
Beziehungsprobleme
Verschiedene Erziehungsstile
1. Hubschraubereltern
2. Offiziere
3. Laissez-faire Eltern
4. Eltern als Berater
Der Erziehungsplan
 
Kapitel 5: Mit sich selbst im Reinen sein Das Fundament: Die wichtigsten Fragen ...
Die Lebensgeschichte
Trauer
Vergebung
Versöhnung
Achtsamkeit
Bewusstes Wahrnehmen
Die innere Stimme
Innere Ausgeglichenheit
Das Lebensmotto
 
Schlussbetrachtung Ein Appell an die Eltern
Literaturverzeichnis
Über die Autorin
Copyright
Für meine Familie – Ihr wisst, wer ihr seid!
Einleitung Das Haus der Erziehung
 
 
Eltern fragen mich oft: »Was muss ich tun, damit mein Sohn aufhört, sich ständig mit seinem Bruder zu streiten?«, »Was sollen wir machen, damit mein Kind aufhört zu lügen?«, »Was kann ich tun, damit ich nicht immer hinter meinem Teenager herräumen muss?« oder: »Warum schwänzt meine Tochter laufend die Schule?«
Diese Eltern hoffen, dass sie das Verhalten ihrer Kinder verändern können, wenn sie nur die richtigen Worte wählen, die richtige Strafe einsetzen und die richtige Reaktion zeigen. Erziehung heißt für diese Eltern, dass sie ihre Kinder dazu bringen, ihr negatives Verhalten aufzugeben.
Aber eigentlich besteht Erziehung zum größten Teil daraus, dass Eltern ein Umfeld schaffen, in dem Kinder »das Richtige« tun. Die Fragen der Eltern lauten dann: »Was muss ich tun, damit mein Sohn gut mit anderen auskommt?«, »Was sollen wir machen, damit es meinem Kind wichtig ist, die Wahrheit zu sagen?«, »Was kann ich tun, damit mein Teenager im Haushalt mithilft?« oder: »Wie kann ich meiner Tochter helfen, ihre Ausbildung ernst zu nehmen?«
Viele Eltern verbringen einen Großteil ihrer Zeit damit, etwas zu »reparieren«, nachdem es schiefgelaufen ist, und haben daher wenig Zeit und Energie übrig, um dafür zu sorgen, dass sich Probleme gar nicht erst entwickeln.
Fühlen Sie sich angesprochen? Haben Sie das Gefühl, dass Sie einem Problem hinterherhinken und es nie richtig in den Griff bekommen? Dann lesen Sie bitte weiter. Sie werden wahrscheinlich nicht mit allem übereinstimmen, was ich denke, vor allem dann, wenn ich Sie darauf aufmerksam mache, dass Sie wahrscheinlich ein Teil des Problems sind und dass Sie sich verändern müssen, damit sich Ihr Kind ändert. Meine Hoffnung ist, dass Sie dieses Buch bis zum Ende lesen und erst dann entscheiden, ob ein besseres Familienleben es nicht vielleicht doch wert ist, dass Sie Ihre Erziehungsstrategien hinterfragen. Es wird niemals darum gehen, wer Schuld daran hat, dass Ihr Teenager Probleme hat oder Ihnen Schuldgefühle zu bereiten. Wahrscheinlich hat niemand wirklich Schuld an den Problemen Ihrer Familie, denn zu viele verschiedene Faktoren beeinflussen das Leben und die Entwicklung eines Kindes, um zu sagen, dass eine Person oder ein Ereignis ganz bestimmte Probleme verursacht habe. Aber es stimmt wahrscheinlich auch, dass alle Familienmitglieder dazu beitragen, dass die Probleme weiterhin bestehen.
Eltern, die viel Zeit damit verbringen, ihren Kindern beizubringen, wie man etwas tut, etwas erreicht und Erfolg hat, verbringen weniger Zeit damit, Problemen hinterherzulaufen und ihre Kinder zu bestrafen, weil etwas schiefgelaufen ist.
Verstehen Sie mich nicht falsch – es gibt Situationen, in denen Eltern ohne lange nachzudenken zu recht drastischen Maßnahmen greifen müssen, damit Jugendliche nicht in ernsthafte Schwierigkeiten geraten und beispielsweise drogenabhängig werden, im Gefängnis landen und langfristig ihre Zukunft kaputt machen. Eltern wenden sich dann meistens an die Schule, das Jugendamt oder das Rechtssystem, um die entsprechende Hilfe zu bekommen. Leider ist es dann oft so, dass zwar die Jugendlichen Hilfe bekommen, die Eltern sich aber nicht verändern. Da Familien aber nur als Einheit funktionieren, kann die Veränderung einer einzelnen Person keine Lösung des Problems bewirken.
Familien streben immer ein Gleichgewicht an. Auch wenn dieses Gleichgewicht nicht unbedingt hilfreich ist, ist es leichter, seine Rolle innerhalb der Familie zu kennen, als eine Veränderung zu riskieren. Veränderung macht Angst. Erinnern Sie sich an Zeiten des Umbruchs in Ihrem Leben: Ihre Hochzeit, die Geburt eines Kindes, der Verlust eines Arbeitsplatzes, der Tod eines Freundes, der Umzug in eine neue Stadt? Diese Zeiten waren immer mit Unsicherheit und innerer Unruhe verbunden. Wahrscheinlich auch mit schlaflosen Nächten, Bauch- oder Kopfschmerzen und veränderten Essgewohnheiten. Deshalb ist es für Familien oft einfacher, genauso weiterzumachen wie immer, statt sich auf stressige Veränderungen einzulassen.
Hier sind zwei Beispiele von Familien im Gleichgewicht:
Ein Kind wehrt sich lautstark gegen jegliche Grenzen. Es geht nicht ins Bett, es schreit jedes Mal, wenn die Eltern weggehen wollen, es isst nur, was es mag. Irgendwann passen sich die Eltern um des lieben Friedens willen der Situation an und hören auf, Grenzen zu setzen. Ein Gleichgewicht ist hergestellt: Alle richten sich nach den Launen des Kindes.
Ein alkoholkranker Vater kommt wieder einmal betrunken nach Hause. Die Mutter ruft bei seiner Arbeitsstelle an und entschuldigt ihn. Die Kinder müssen ruhig sein, denn dem Vater geht es nicht gut. Besucher werden gar nicht erst ins Haus gelassen, denn es ist zu peinlich. Ein Gleichgewicht ist hergestellt: Alkohol bestimmt das Verhalten und die Beziehungen aller Familienmitglieder.
Wahrscheinlich lesen Sie dieses Buch, weil Sie entweder mit dem Gleichgewicht, in das Ihre Familie verfallen ist, nicht mehr leben wollen, oder weil Ihre Familie durch außergewöhnliche Ereignisse aus dem Gleichgewicht gebracht wurde. Sie wollen, dass sich in Ihrer Familie etwas verändert. Und diese Veränderung fängt bei Ihnen an.
Erziehung hat verschiedene Ebenen. Ich werde das Bild eines Hauses benutzen, um diese Ebenen oder »Stockwerke« zu illustrieren. Dieses Konzept der verschiedenen Ebenen ist übrigens an die »Erziehungspyramide« der Arbinger Company von 1998 angelehnt. Stellen Sie sich ein einfaches Einfamilienhaus vor:

Ebene I: Das Dachgeschoss Grenzen und Konsequenzen

Das Dachgeschoss ist in vielen Häusern kleiner als die anderen Stockwerke und es wird oft nur selten benutzt. Man steigt unter das Dach, wenn es sein muss, hält sich dort aber nicht länger auf als nötig. Genauso ist es mit der ersten Ebene der Erziehung, auf der Eltern dafür sorgen, dass unangemessenes oder gefährliches Verhalten aufhört und sie die Jugendlichen davon abhalten, Fehler zu machen, die ihnen langfristig das Leben ruinieren könnten. Eltern werden in dieser Ebene lernen, wie sie Machtkämpfe mit ihrem Teenager vermeiden können, wie sie ihrem Kind helfen können,Verantwortung für sich und seine Probleme zu übernehmen, warum es wenig hilft, wütend zu werden, wenn Teenager unüberlegte Entscheidungen treffen, und wie sie Konsequenzen entwickeln können, die ihrem Kind helfen, sich in Zukunft hoffentlich anders zu verhalten. Ich werde später noch erklären, wie hilfreiche Konsequenzen aussehen und wann Eltern um professionelle Hilfe bitten sollten. Was können Eltern tun, um weniger oft zu Konsequenzen greifen zu müssen und und wie vermeiden sie es – bildlich gesprochen – sich ständig im Dachgeschoss aufzuhalten?

Ebene 2: Das Obergeschoss Wie Jugendliche lernen

Das Ziel von Konsequenzen ist es, Kindern und Jugendlichen etwas beizubringen. Das bedeutet, dass man weniger Konsequenzen braucht, wenn man ihnen auf andere Art und Weise beibringen kann, was von ihnen erwartet wird – was richtig und falsch ist. Das ist das Geheimnis des Obergeschosses. Oft befinden sich Schlaf- und Badezimmer im Obergeschoss. Kleinere voneinander klar abgegrenzte Räume, die jeweils einem ganz bestimmten Zweck dienen, die aber normalerweise nicht im Mittelpunkt des Familienlebens stehen. Genauso ist es mit der zweiten Ebene der Erziehung, der Ebene, auf der es um das erfolgreiche Lehren und Lernen geht. Es ist wichtig, dass Eltern verstehen, wie sie ihrem Teenager beibringen können, was er wissen muss, um als Erwachsener ein erfolgreiches Leben führen zu können. Eltern werden hier erfahren, wie sich das Gehirn eines Jugendlichen verändert, warum es zwar frustrierend, aber eigentlich gut ist, dass Jugendliche alles diskutieren wollen und immer einen Weg um die Regeln herum finden, und warum es unrealistisch ist zu erwarten, dass Teenager keine impulsiven Entscheidungen treffen.
Außerdem wird sich dieses Kapitel mit dem Sinn und dem Ziel der Adoleszenz befassen und sich mit verschiedenen Lernstilen auseinandersetzen.
Als Eltern haben Sie mehr oder weniger 18 Jahre lang Zeit, um Ihrem Kind beizubringen, was es wissen muss, um in der Welt der Erwachsenen zurechtzukommen. Auf den ersten Blick wirkt dies wie ein langer Zeitraum, in der Realität aber ist er sehr kurz. Daher ist es wichtig, dass Sie sich die Eigenschaften guter Lehrer aneignen. Erinnern Sie sich an Ihre eigene Kindheit. Wer waren die einflussreichsten Menschen in Ihrem Leben? Normalerweise lernt man am besten, wenn man denjenigen, der versucht, einem etwas beizubringen, respektiert und eine gute Beziehung zu ihm oder ihr hat.

Ebene 3: Das Erdgeschoss Beziehung und Verbundenheit

Die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Teenager ist die dritte Ebene der Erziehung oder das Erdgeschoss. Oft befinden sich Wohnzimmer und Küche im Erdgeschoss, sie stellen normalerweise das Zentrum des Familienlebens dar. Beziehungen, Verbundenheit und das Gefühl dazuzugehören stehen im Mittelpunkt dieses Stockwerkes und dieser Erziehungsebene.
Ohne Beziehung ist es oft unmöglich, Kindern etwas beizubringen. Insbesondere Jugendliche, die versuchen, ihre eigene unabhängige Identität zu entwickeln, müssen sich akzeptiert und verbunden fühlen, um Sie zu respektieren, Ihnen zuzuhören und Sie ernst zu nehmen. Wie zeigen Sie Ihrem Teenager, dass Ihnen eine Beziehung mit ihm wichtig ist? Quantität und Qualität der gemeinsamen Zeit sind beide wichtig. Ich werde in einem späteren Kapitel erläutern, was Sie tun können, um die Beziehung zu Ihrem Teenager zu vertiefen oder wieder zu beleben.
Auch wenn Jugendliche oft scheinbar alle Zuwendung ablehnen, brauchen sie die Liebe ihrer Eltern und wollen wissen, dass sie trotz ihrer Fehler bedingungslos akzeptiert werden. Eltern werden sich Gedanken darüber machen, wie sie ihrem Kind zeigen können, dass sie es lieb haben, auch wenn sie nicht immer mit seinem Verhalten einverstanden sind.

Ebene 4: Der Keller Wenn aus Paaren Eltern werden

Kinder und Jugendliche sind gute Beobachter und lernen mehr von dem, was sie sehen und beobachten, als von dem, was ihnen gesagt wird. Wie Sie mit anderen Leuten umgehen, bringt Ihrem Kind bei, wie es andere Menschen – inklusive seiner Eltern – behandeln sollte. Ihre Beziehung zu anderen Erwachsenen in Ihrem Leben ist die vierte Ebene der Erziehung oder der Keller. Im Keller bringt man unter, was sonst im Haus keinen Platz hat. Oft denkt man nicht viel über den Keller nach, bis man etwas braucht, das dort verstaut ist. Man vermisst einen Keller so lange nicht, bis man keinen hat und nicht weiß, wohin mit all den Sachen, die zwar wichtig sind, die man aber im täglichen Leben nicht braucht. Genauso ist es mit dieser Ebene der Beziehung. Man denkt nicht viel darüber nach, wie wichtig es ist, Beziehungen zu pflegen, bis die Beziehungen auf einmal nicht mehr funktionieren oder man sie braucht. Kinder und Jugendliche gehen oft in den Keller und stöbern dort herum – sie wissen genau,wie gut oder schlecht Sie Ihre Beziehungen pflegen.
Um von Ihrem Kind respektiert zu werden, müssen Sie in Ihren Beziehungen vorleben, dass Sie Integrität besitzen und wissen, wie man Verbundenheit herstellt – vor allem in der Beziehung zu dem anderen Elternteil Ihres Kindes. Ob Sie mit dem anderen Elternteil zusammenleben oder nicht, wie Sie miteinander klarkommen, signalisiert Ihrem Kind, wie wichtig Ihnen gute Beziehungen sind. Wenn die Mutter den Vater kritisiert oder der Vater die Kinder verwöhnt, weil er denkt, dass die Mutter zu streng ist, dann werden die Kinder keinen der beiden respektieren und die Beziehung zwischen Eltern und Kindern wird leiden.
Eltern werden auf dieser Ebene erkennen, warum sie einen bestimmten Erziehungsstil bevorzugen und sich darüber Gedanken machen, ob es vielleicht andere Wege gibt, ihrem Kind dabei zu helfen, erfolgreich in die Welt der Erwachsenen hineinzuwachsen. Eltern werden – egal, ob sie zusammen, geschieden oder alleinerziehend sind, – Pläne entwickeln, wie sie besser mit anderen zusammenarbeiten können, um ihr Kind zu erziehen.

Ebene 5: Das Fundament Erst mal ist man ein Mensch

Wie Sie mit anderen Menschen umgehen, hängt davon ab, wer Sie sind, was Ihnen wichtig ist und nach welchen Werten Sie leben. Wer sind Sie? Was sagen Sie, wenn keiner es hört? Was tun Sie, wenn niemand es je herausfinden wird? Was denken Sie wirklich über Ihre Nachbarn? Wie ehrlich oder liebevoll, wie hilfsbereit oder vorurteilslos, wie vergebend oder glücklich sind Sie hinter verschlossenen Türen? Was ist wirklich in Ihrem Herzen los?
Wer Sie sind, ist das Fundament oder die fünfte Ebene der Erziehung. Nur wenn Sie in Einklang mit sich selbst leben, werden Sie gute Beziehungen zu anderen Menschen in Ihrem Leben haben, insbesondere mit dem anderen Elternteil Ihres Kindes. Nur wenn Sie in Einklang mit sich selbst leben, werden Sie eine gute Beziehung zu Ihrem Kind haben und ihm beibringen können, wie man das Leben erfolgreich meistert. Nur wenn Sie in Einklang mit sich selbst leben, werden Konsequenzen, die Sie verhängen, die gewünschten langfristigen Veränderungen im Verhalten Ihres Kindes hervorrufen. Genau wie ein Haus nur so stabil ist wie sein Fundament, sind alle Ihre Erziehungsversuche nur so erfolgreich wie Ihre Integrität als Mensch.
Diese Ebene beschäftigt sich damit, was Eltern tun können, um mit sich selbst und ihrem Leben im Reinen zu sein. Eltern werden sich mit ihrer eigenen Geschichte und Themen wie Trauer, Vergebung, Achtsamkeit und ihrem Lebensmotto auseinandersetzen. Zuletzt werden Eltern sich mit der Kraft der eigenen Gedanken beschäftigen und Pläne für eine Veränderung und eine positive Zukunft schmieden.
Wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, gibt es in diesem Konzept vier Ebenen, auf denen Sie daran arbeiten, Ihrem Kind zu helfen, erfolgreich zu sein und das Richtige zu tun, und nur eine Ebene, die sich damit beschäftigt, was Eltern tun können, wenn etwas schiefgelaufen ist. Die Erfahrung zeigt, dass sich die Lösung zu einem Problem meistens auf der darunterliegenden Ebene befindet. Wenn Sie Ihrem Kind zehnmal erklärt haben, was Sie von ihm erwarten, und sich das Verhalten Ihres Kindes nicht entsprechend verändert hat, dann sollten Sie auf der Beziehungsebene nach einer Lösung suchen: Wie gut ist Ihre Beziehung zu Ihrem Kind wirklich? Wie viel Zeit haben Sie in den letzten Wochen miteinander verbracht? Haben Sie den Großteil dieser Zeit damit verbracht, sich darüber zu streiten, wie respektlos Ihr Kind ist?
Ihr Kind respektiert Sie nicht? Fragen Sie sich: Wie behandeln Sie andere Menschen in Ihrem Leben? Kritisieren Sie ständig Ihren Chef? Streiten Sie oft mit Ihrer Frau oder Ihrem Mann? Sind Sie mit Ihrem Leben unzufrieden? Sind Sie mit sich selbst im Reinen? Leben Sie Ihren Werten entsprechend?
Kapitel 1: Was können Eltern tun? Das Dachgeschoss: Grenzen und Konsequenzen
 
 
Auf dieser Ebene der Erziehung versuchen Eltern, das Fehlverhalten ihres Kindes zu unterbinden. Das Ziel eines guten Erziehungsstils ist es, so wenig Zeit wie möglich auf dieser Ebene zu verbringen.
Was können Eltern tun, wenn ihre Teenager falsche Entscheidungen treffen und Probleme haben? Die Antwort klingt einfach, ist aber oft schwer umzusetzen: Grenzen setzen und darauf vertrauen, dass Konsequenzen die besten Lehrer sind.

Grenzen

Was sind Grenzen und warum helfen sie? Grenzen zeigen an, wer für was verantwortlich ist. Sie bedeuten Sicherheit, Schutz und Geborgenheit und machen deutlich, wo eine Person aufhört und die andere anfängt. Innerhalb der Grenzen kann man sich frei bewegen. Je älter ein Kind ist, desto größer ist auch der Freiraum, in dem es sich bewegen kann, ohne dass jemand eingreift. Innerhalb dieses wachsenden Freiraums sind Kinder und Jugendliche für ihre Entscheidungen und ihr Verhalten verantwortlich.
Gesetze, Verträge, Regeln, Richtlinien und moralische Verantwortungen stecken für Erwachsene die Grenzen ab. Wenn Erwachsene außerhalb dieser Grenzen leben, werden gesellschaftlich sanktionierte Institutionen eingreifen, so wie Polizei, Staatsanwälte oder Richter. Je größer der Freiraum ist, in dem man sich bewegt und Entscheidungen trifft, desto schwerwiegender sind die Konsequenzen für Grenzverletzungen. Deshalb ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche so früh wie möglich lernen, dass verletzendes Verhalten schmerzhafte Konsequenzen hat. Ein Kind, das jemanden schlägt, bekommt dafür eine Auszeit und muss sich entschuldigen. Ein Jugendlicher, der jemanden schlägt, muss darüber mit einem Richter sprechen und wahrscheinlich Sozialstunden ableisten. Ein Erwachsener, der jemanden schlägt, verbringt dafür eine gewisse Zeit im Gefängnis oder muss eine Geldstrafe zahlen. Eltern, die ihre Kinder vor den Konsequenzen ihrer Entscheidungen retten oder davon entbinden, erlauben ihnen nicht, aus ihren Fehlern zu lernen. Diese Kinder müssen die Lektion dann als Erwachsene lernen – wenn die Fehler sehr viel mehr kosten.
Auch wenn es oft nicht so aussieht: Im Grunde brauchen und wollen Kinder und Jugendliche klare Grenzen, damit sie wissen, wofür sie verantwortlich sind und wofür nicht. Die Welt ist groß, chaotisch, verwirrend, unzuverlässig, bedrohlich und oft gefährlich. Wenn Eltern nicht bereit oder in der Lage sind, klare Grenzen zu setzen, gibt es für Kinder und Jugendliche zwei Reaktionsmöglichkeiten:
Die einen fühlen sich für alles und jeden verantwortlich und sind damit völlig überfordert. Sie haben das Gefühl, jeden Streit schlichten zu müssen, sich sozial engagieren zu sollen und alle um sie herum glücklich machen zu müssen. Da sie an diesen Anforderungen natürlich immer wieder scheitern, fühlen sie sich letztendlich entmutigt, minderwertig, hilflos, unfähig und überfordert.
Die anderen nutzen ihre grenzenlose Freiheit aus und verweigern jede Verantwortung für ihr Verhalten. Warum ist Stehlen falsch? Das Geschäft hat doch genug Geld. Wenn jemand sie dumm anschaut, hat er es verdient, verprügelt zu werden. Wenn Lehrer nervige Fragen stellen, müssen sie eben damit rechnen, dass sie beschimpft und gemobbt werden. Wenn man Geld braucht, dann nimmt man es sich eben. Wenn man rauchen will, dann tut man das, auch wenn es in der U-Bahn verboten ist. Diese Jugendlichen haben den Eindruck, dass die Welt ihnen etwas schuldet. Und wenn sie das nicht bekommen, dann nehmen sie es sich eben – zur Not mit Gewalt.
Wenn Eltern klare Grenzen setzen, können Kinder und Jugendliche beruhigt sein, dass sie nicht für alles, was in ihrem Leben und in der Welt passiert, verantwortlich sind. Die Scheidung der Eltern spielt sich außerhalb ihrer Grenzen ab, genauso wie die Verantwortung für die Miete, die Steuern, den Krieg im Irak und AIDS in Afrika. Jugendliche, die wissen, dass diese Probleme außerhalb ihres Einflussbereichs liegen, können sich auf die Herausforderungen innerhalb der ihnen gesteckten Grenzen konzentrieren. Regelmäßige Erfolgserlebnisse innerhalb dieser Grenzen führen zu einem Gefühl von Kompetenz, positivem Selbstwert und Zuversicht.
Kinder wollen erleben, dass Grenzen stark und unbeweglich bleiben, auch wenn sie diese auf die Probe stellen. Sie wollen wissen, dass sie innerhalb dieser Grenzen tatsächlich sicher und geborgen sind. Diese Sicherheit ist aber nur dann gewährleistet, wenn die Grenzen sich nicht bewegen, egal wie sehr sich die Jugendlichen dagegen auflehnen. Es liegt in der Verantwortung der Eltern und anderer Erwachsener, diese Grenzen aufrechtzuerhalten, auch wenn das oft nicht einfach ist. Wie oft geben Sie nach, wenn Ihr Teenager Sie nur lange genug nervt? Jedes Mal, wenn Sie das tun, zeigen Sie Ihrem Kind, dass es sich nicht wirklich auf Sie verlassen kann, dass Grenzen letztendlich bedeutungslos sind, dass der Streit zwischen Ihnen und Ihrem Partner vielleicht doch seine Schuld war und dass es vielleicht doch für die Probleme des Freundes verantwortlich ist. Bevor Sie das nächste Mal nachgeben, weil Sie zu müde, zu frustriert oder zu entmutigt sind, denken Sie daran, welche Botschaft Sie Ihrem Kind damit senden.
Andererseits gibt es Jugendliche, die sich konsequent weigern, von Eltern gesetzte Grenzen zu respektieren. Sie tun und lassen, was sie wollen, ohne jemals Verantwortung für sich und ihr Verhalten zu übernehmen. Diese Jugendlichen müssen dann leider oft erfahren, dass ihnen höhere Instanzen Grenzen setzen, so wie die Schule, das Jugendamt, Ausbilder, Arbeitgeber, die Polizei und Jugend- oder Familienrichter. Und wenn sie dann immer noch nicht verstehen, dass Entscheidungsfreiheit Verantwortung mit sich bringt, dann verlieren sie ihre Freiheit in Heimen, geschlossenen Anstalten oder Gefängnissen. So schwer das auch für Eltern sein mag, wenn Ihr Teenager sich trotz wachsender Konsequenzen weigert, Grenzen zu respektieren, sollten Sie so schnell wie möglich um Hilfe bitten. Es gibt eine Vielzahl von Therapieprogrammen, die Ihrer Familie dabei helfen können, Beziehungen zu reparieren und Grenzen neu abzustecken.
Ich arbeite regelmäßig mit Eltern, die keinen Rat mehr wussten und die Polizei anriefen, als sie entdeckten, dass ihr Kind Drogen nahm oder gestohlene Waren verkaufte. Wenn Ihnen das als eine zu drastische Maßnahme erscheint, denken Sie weiter: Was hätte passieren können, wenn diese Eltern einfach nichts getan hätten? Mithilfe von Polizei, Jugendrichtern, Bewährungshelfern und Therapeuten hat dieser Jugendliche eine Chance, sein Leben zu verändern, bevor das Führungszeugnis schwere Straftaten aufweist und damit eine Ausbildung, ein Studium oder einen Beruf so gut wie unmöglich macht. Jugendliche, die keine Grenzen respektieren, werden nicht an ihrem 18. Geburtstag plötzlich zu Musterbürgern. Und die Konsequenzen, mit denen sie als Erwachsene rechnen können, haben sehr viel langfristigere Folgen als die Konsequenzen, die sie als Jugendliche erfahren. Greifen Sie ein, bevor der Preis noch höher wird.
Sie haben alles versucht und nichts scheint zu helfen? Geben Sie nicht auf. Bitten Sie weiterhin um Hilfe. Beginnen Sie eine Therapie. Besuchen Sie Seminare für Eltern. Fragen Sie weiterhin beim Jugendamt nach. Reden Sie mit Ihrem Kinderarzt. Setzen Sie sich mit anderen Eltern in Verbindung. Sprechen Sie mit den Lehrern und dem Direktor der Schule. Nutzen Sie das Internet, um Programme für Eltern, Familien und Jugendliche zu finden.

Verantwortungsbewusstsein

Für Eltern, die dieses Buch lesen, bevor ihr Teenager die eine oder andere falsche Entscheidung getroffen hat, gilt: Setzen Sie von Anfang an feste und liebevolle Grenzen. Damit helfen Sie Ihrem Kind, sich sicher zu fühlen und sich innerhalb dieser Grenzen mit Zuversicht zu bewegen. Wenn die Grenzen dann weiter werden, ist es wahrscheinlich, dass Ihr Kind mit der neuen Freiheit einigermaßen verantwortungsbewusst umgeht.
Aber auch relativ verantwortungsbewusste Jugendliche streben oft nach der größeren Freiheit, die sie mit weiteren Grenzen erlangen, aber nicht nach der Verantwortung, die mit dem größeren Freiraum einhergeht. Sie wollen sich von ihren Eltern nichts sagen lassen, wollen aber weiterhin mietfrei im Elternhaus leben, kostenlos essen und die Wäsche gewaschen bekommen. Sie wollen nicht im Haushalt mithelfen, erwarten aber, dass sie weiterhin Taschengeld und neue Kleidung bekommen. Es ist Ihre Aufgabe als Eltern, Ihrem Kind beizubringen, dass alle Entscheidungen, auch die ganz kleinen, Konsequenzen haben. Sobald es eine Entscheidung getroffen hat, ist Ihr Kind für die guten und die schlechten Folgen dieser Entscheidung verantwortlich. Verantwortungsbewusstsein ist eines der größten Geschenke, das Sie Ihrem Kind machen können.
Wie bringt man Kindern und Jugendlichen Verantwortungsbewusstsein bei?
1. Geben Sie dem Jugendlichen eine Aufgabe, die er erfolgreich erledigen kann. Diese Aufgabe sollte herausfordern (nicht langweilen), aber nicht so schwer sein, dass sie nicht ohne Hilfe zu schaffen ist. Außerdem sollten Sie sicherstellen, dass Ihr Kind wirklich weiß, was Sie erwarten. Lassen Sie sich deshalb von ihrem Kind nochmals genau erklären, was es tun soll. Oft hat es schon hier ein Missverständnis gegeben und das Kind hat bereits die Aufgabenstellung falsch interpretiert.
2. So seltsam es klingen mag: Hoffen Sie, dass Ihr Kind einen Fehler macht. Je früher Kinder lernen, wie man aus Fehlern lernt, desto geringer die Folgen. Je älter die Kinder, desto teurer die Fehler. Wenn Ihr Kind einen Fehler macht, können Sie die Konsequenzen für sich selbst sprechen lassen, ohne viele Worte darüber verlieren zu müssen. Falls Sie sich fragen, ob es nicht unfair ist, zu hoffen, dass Ihr Kind einen Fehler macht, bedenken Sie, dass das Gehirn tatsächlich aus Fehlern nachhaltiger lernt als aus Erfolgen. Wenn wir uns in einer Situation befinden, die vorher schon einmal zu einem Fehler geführt hat, dann sendet das Gehirn eine Warnung aus, bevor wir überhaupt darüber nachdenken. Sie wollen, dass das Gehirn Ihres Kindes viele dieser Warnsignale speichert und aussendet – und das kann nur passieren, wenn Ihr Kind die entsprechenden Fehler macht.
3. Zeigen Sie Mitgefühl und lassen Sie möglichen natürlichen Konsequenzen freien Lauf. Verhalten hat Konsequenzen. Wenn diese Konsequenzen unangenehm für Ihren Teenager sind, dann zeigen Sie ehrliches Mitgefühl. Lassen Sie Ihren Teenager wissen, dass Sie ihn lieb haben und an ihn glauben. Sagen Sie ihm, dass es Ihnen leidtut, dass er gerade schmerzhafte Erfahrungen machen muss. Lassen Sie sich aber nicht dazu hinreißen, Ihr Kind vor den Konsequenzen zu retten, weil es Ihnen leidtut. Kinder und Jugendliche müssen lernen, dass ihre Fehler ihnen selbst wehtun. Wenn Sie wütend werden und Ihrem Kind eine Moralpredigt halten, konzentriert sich Ihr Kind auf Ihren Ärger und nicht auf seinen Fehler. Damit lernt es, dass seine Fehler Ihre Gefühle aufwühlen – was für manche Jugendliche ein guter Grund ist, das Verhalten zu wiederholen, nur um Ihre Reaktion zu sehen. Ihr ehrliches Mitgefühl erlaubt Ihrem Kind, sich auf sein Leben und seine Entscheidungen zu konzentrieren und nicht auf Ihre Reaktion.
4. Geben Sie dem Jugendlichen die gleiche Aufgabe noch einmal. Damit drücken Sie aus, dass Sie zuversichtlich sind, dass Ihr Kind diese Aufgabe meistern kann und dass Sie darauf vertrauen, dass Ihr Kind schlau genug ist, aus seinen Fehlern zu lernen. Bieten Sie Hilfe an, aber sagen Sie sonst nichts, es sei denn, Ihr Kind fragt danach. Auch eine verspätete Moralpredigt hat selten den erwünschten Erfolg.
Manchmal hat Verhalten keine natürlichen Konsequenzen, oder die natürlichen Konsequenzen wären so gefährlich, dass Eltern eingreifen müssen, bevor der Jugendliche den Fehler bis zum Ende durchzieht. In diesem Fall ist es die Aufgabe der Eltern, logische Konsequenzen zu entwickeln und sie durchzusetzen.

Macht und Kontrolle – Entscheidungsfreiheit macht Freu(n)de

Geben Sie Ihren Kindern so viel Macht und Kontrolle über ihr Leben wie möglich. Für kleine Kinder ist das die Entscheidung, ob sie einen Apfel oder eine Banane essen, ob sie das gelbe oder das grüne T-Shirt anziehen, ob sie sich beim Überqueren der Straße an Ihrer Hand oder am Kinderwagen festhalten wollen. Je älter die Kinder sind, desto mehr Verantwortung für ihr Leben sollten sie übernehmen. Wenn ein Jugendlicher das Gefühl hat, dass er ein gewisses Maß von Entscheidungsfreiheit hat und den Lauf seines Lebens mitbestimmen kann,wird dieser Jugendliche wenig Zeit und Energie investieren, um seine Eltern zu manipulieren und zu kontrollieren. Wenn Jugendliche das Gefühl haben, mitreden zu können, dann wird es ihnen weniger wichtig, ihre Eltern in Machtkämpfe zu verwickeln. Machtkämpfe dienen Jugendlichen dazu, sich selbst zu beweisen, dass sie keine Kinder mehr sind, ihre eigene Identität haben und unabhängig von ihren Eltern Entscheidungen treffen können. Ein Jugendlicher, der das Gefühl hat, dass andere Menschen sein Leben bestimmen und er keine Entscheidungsfreiheit hat, wird viel Zeit und Energie darauf verwenden, seine Eltern, andere Erwachsene und das »System«, das ihn kontrolliert,zu manipulieren und auszutricksen. Jugendliche, die sich machtlos und nicht anerkannt fühlen, werden einen Weg finden, um Macht, Kontrolle und Anerkennung zu bekommen, egal was es kostet.
Eltern, die lernen, ihren Kindern viele Entscheidungen zu überlassen, werden in wichtigen Situationen ohne anstrengende Machtkämpfe die Kontrolle übernehmen können. Wenn Ihr Kind weiß, dass es hundert Entscheidungen am Tag treffen darf, dann wird es weniger frustriert sein, wenn Sie ein-, zweimal am Tag sagen: »Sonst lasse ich dich entscheiden, aber diese Entscheidung treffe ich jetzt mal.« Ohne ständige Machtkämpfe wird es für Eltern und ihre Kinder einfacher sein, ein gutes Verhältnis und eine positive Beziehung zu haben.
Wie bringen Sie Ihrem Kind die Prinzipien der Entscheidungsfreiheit bei?
1. Wenn Ihr Kind sich nicht innerhalb weniger Momente entscheidet, müssen Sie bereit sein, die Entscheidung für Ihr Kind zu treffen. Lassen Sie Ihr Kind wissen, das keine Entscheidung auch eine Entscheidung ist, nämlich die Entscheidung, Ihnen die Wahl zu überlassen. Sie können Ihren Teenagern natürlich etwas länger Zeit geben, um sich zu entscheiden, aber geben Sie ihnen einen konkreten Zeitpunkt, zu dem sie Ihnen eine Antwort gegeben haben müssen. »Lass mich bitte Freitagabend, bevor ich in’s Bett gehe, wissen, ob du dieses Wochenende am Samstag oder am Sonntag ins Kino gehen willst. Sonst entscheide ich, wann ich dich fahren kann.«
2. Bieten Sie nur Optionen an, mit denen Sie auch wirklich leben können. Falls Sie zwei Wahlmöglichkeiten anbieten, aber eigentlich wollen, dass Ihr Kind die erste wählt, können Sie sich darauf verlassen, dass Ihr Kind sich – wie Sie natürlich wissen – für die andere Option entscheidet (auch wenn die erste Option tatsächlich für alle Beteiligten besser gewesen wäre). Warum? Um zu sehen, wie Sie reagieren und um Sie in Versuchung zu führen, sich auf einen Machtkampf einzulassen. Wenn Sie Wahlmöglichkeiten anbieten, dann müssen Sie mit der Entscheidung Ihres Kindes leben. Seien Sie deshalb vorsichtig mit dem, was Sie anbieten.
3. Entscheidungen haben Konsequenzen. Bieten Sie nur Optionen mit Konsequenzen an, die Sie akzeptieren können. Jede Wahlmöglichkeit hat Auswirkungen auf andere Menschen und andere Bereiche des Lebens. Seien Sie sich dieser Auswirkungen bewusst, bevor Sie Ihrem Kind die Entscheidung überlassen. Kurzfristig scheint es vielleicht eine gute Idee, Ihrem Teenager anzubieten, bei den Großeltern zu leben, aber ist das wirklich eine realistische Option? Was passiert mit der Schule? Wie lange kann er da bleiben? Was passiert, wenn Sie mit dem Erziehungsstil der Großeltern nicht einverstanden sind? Wer ist verantwortlich, falls Ihrem Kind etwas passiert oder es eine Straftat begeht?
4. Wenn Ihr Kind eine Option wählt, die Sie nicht angeboten haben, sagen Sie: »Das ist keine Option.« Und wiederholen Sie die Wahlmöglichkeiten. Kinder und Jugendliche wissen, dass sie ihre Eltern nur lange genug nerven müssen, bis die Eltern ihnen das geben, was sie wollen. Der beste Weg, Eltern zu nerven, ist, etwas zu wollen, das nicht zur Debatte stand. Die meisten Eltern lassen sich dann auf lange Diskussionen und Erklärungen ein, warum der Wunsch des Kindes nicht akzeptabel ist. Je länger ein Kind diese Unterhaltung ausdehnen kann, desto wahrscheinlicher wird es gewinnen. Kinder sind immer geduldiger als Eltern, wenn es darum geht, eine sinnlose Diskussion so lange durchzuhalten, bis einer aufgibt (und damit verliert). Lassen Sie sich gar nicht erst auf dieses Spiel ein. Wenn Ihr Kind nicht wählt – und etwas zu wählen, das nicht zur Wahl steht, ist das Gleiche wie nicht zu wählen -, dann entscheiden Sie (Prinzip 1). Das erspart Ihnen viele unnötige Diskussionen, die sich normalerweise sowieso nur im Kreis drehen.
5. Vorsicht! Wahlmöglichkeiten können schnell zu Drohungen werden. Der Unterschied besteht in der Formulierung und im Tonfall. Vermeiden Sie Drohungen um jeden Preis. Mit Drohungen laden Sie zu einem Kampf ein. Jeder Kampf, egal wer gewinnt, beeinträchtigt die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Kind. Manchmal müssen Eltern sich auf Machtkämpfe einlassen, um Ihre Kinder vor größerem Schaden zu bewahren. Das sollten die einzigen Kämpfe sein, die Sie führen. Oft werden Wahlmöglichkeiten zu Drohungen, wenn Eltern die Konsequenzen der Entscheidungen mit einbeziehen, oft mit dem Ziel, dem Kind eine der Wahlmöglichkeiten weniger schmackhaft zu machen. »Du kannst mit uns einkaufen gehen oder du kannst mit deinen Freunden abhängen, aber dann bekommst du kein Geld.« Egal ob die Konsequenz realistisch ist oder nicht, oder vielleicht sogar im Voraus vereinbart war, sie macht die Wahlmöglichkeit zu einer Drohung.

Machtkämpfe

Machtkämpfe scheinen eine große Rolle im Miteinander von Jugendlichen und ihren Eltern zu spielen. Sie entstehen oft, wenn Eltern ein schnelles, nicht wirklich wohlüberlegtes »Nein« aussprechen. Es gibt drei Regeln, wie und wann Eltern von Jugendlichen Nein sagen sollten:
1. So wenig wie möglich.
2. So oft wie wirklich nötig.
3. Wenn schon, dann auch konsequent.
Wie Sie wissen, lernen Kinder und Jugendliche am besten, wenn sie ihre eigenen Entscheidungen treffen dürfen und dann aus den Konsequenzen lernen. Wenn Sie als Erwachsener Nein sagen, dann treffen Sie die Entscheidung. Es gibt Situationen, in denen Sie um der Sicherheit Ihres Kindes willen Nein sagen müssen. Sparen Sie sich Ihr »Nein« für diese Situationen auf. Und bedenken Sie bitte, dass nicht Nein zu sagen nicht bedeutet, dass Sie zu allem Ja sagen. Es bedeutet, dass Sie Ihrem Kind erlauben zu wählen und ihm damit die Verantwortung für seine Entscheidung überlassen.
Wenn es darum geht, wie Eltern auf die Bitten ihrer Kinder reagieren, fallen Eltern meist in eine der folgenden Kategorien: diejenigen, die erstmal Ja sagen und dann dieses Ja oft einschränken oder zurücknehmen müssen, und diejenigen, die zunächst Nein sagen und damit einen Machtkampf herausfordern. In keiner der beiden Kategorien überlassen die Eltern dem Jugendlichen die Entscheidung. Das Denken in Wahlmöglichkeiten braucht etwas Übung.
Lassen Sie uns eine typische Situation durchspielen: Es ist 21 Uhr an einem Mittwochabend. Die Tochter kommt ins Wohnzimmer, wo die Eltern sich gerade die Nachrichten ansehen, und sagt: »Morgen beginnt die Schule später. Ich geh dann noch mal raus mit Evi, Tanja und Jasmin. Ich bin um 23 Uhr zurück.« Die Familie hat keine feste Regel für diese Situation. Was sind die Wahlmöglichkeiten, die die Eltern anbieten könnten, statt mit Ja oder Nein zu reagieren? Hier zwei Beispiele:
• »Normalerweise gehst du nur Freitag oder Samstag so spät raus. Wenn du heute wirklich gehen möchtest, welche Nacht bleibst du dann diese Woche zu Hause, Freitag oder Samstag?«
• »Unsere Erwartung ist eigentlich, dass du unter der Woche nicht mehr so spät rausgehst. Du weißt, dass wir nicht gut schlafen, wenn du nicht im Haus bist. Wie wirst du uns die Zeit entschädigen, die wir heute aufbleiben müssen?«
Egal, was die Tochter darauf antwortet, die Eltern wiederholen einfach die Optionen. In der ersten Situation bleibt die Tochter am Freitag oder Samstag zu Hause. Falls sie sich nicht für einen der Tage entschieden hat, wählen eben die Eltern. In der zweiten Situation findet die Tochter einen Weg, den Eltern ihre Zeit zu bezahlen (Hausflur putzen, Wäsche waschen, Rasen mähen) oder die Eltern finden etwas für sie. Damit die Eltern das auch durchsetzen können (man kann einen Teenager nicht dazu zwingen, den Hausflur zu putzen oder den Rasen zu mähen), können sie etwas, das dem Teenager gehört, verkaufen (»Um uns für die Zeit zu bezahlen, die wir aufbleiben mussten, haben wir deine Lautsprecher verkauft.«). Sie müssen dabei entscheiden, wie viel Ihnen eine Stunde Ihrer Zeit wert ist. Die meisten Eltern rechnen mit etwa 10 bis 15 Euro, aber das bleibt ganz Ihnen überlassen. Das Problem ist natürlich, dass man immer sehr viel weniger Geld bekommt, wenn man etwas verkauft, als es kostet, den Gegenstand zu ersetzen. Aber so funktioniert die Welt nun einmal. Wenn Sie als Erwachsener eine Strafe oder Ihre Schulden nicht bezahlen, kommt jemand und nimmt Ihre Wertgegenstände mit. Sie müssen (vor allem anfangs) den Gegenstand tatsächlich verkaufen (und nicht nur in den Keller stellen). Freunden Sie sich mit einem örtlichen Pfandleiher an und lassen Sie Ihren Teenager wissen, wo seine Sachen landen. Dort kann Ihr Kind, wenn es das will, diese dann (oft für doppelt so viel Geld, wie Sie dafür bekommen haben) wieder zurückkaufen. Das klingt zugegeben sehr drakonisch, ist aber sehr wirksam und zeigt Ihrem Kind, dass Sie es wirklich ernst meinen, wenn Sie Konsequenzen ankündigen. Im besten Fall müssen Sie zu diesem Mittel entweder gar nicht oder nur einmal greifen.
Als Erwachsener muss man nur bedingt Rechenschaft ablegen, wenn man etwas tun will. Aber man muss ständig Entscheidungen treffen und Konsequenzen abwägen. Um Ihr Kind auf das Erwachsensein vorzubereiten, hilft es daher wenig, ihm Gehorsam beizubringen. Es braucht vielmehr die Fähigkeit, über Entscheidungen nachzudenken und dann die Option zu wählen, die ihm langfristig am besten dient.
Es gibt natürlich immer wieder Ausnahmen, in denen Sie Ihrem Kind nicht die Wahl lassen können, weil es damit entweder sich oder jemand anderen in Gefahr bringt. In diesen Fällen sollten Sie als Eltern natürlich ganz klar Nein sagen. Aber wenn Sie dann Nein sagen, dann meinen Sie es bitte auch. Da gibt es dann kein Verhandeln, keine Kompromisse und kein Kleinbeigeben. Wenn Sie sich auf einen Machtkampf einlassen, dann seien Sie sich absolut sicher, dass Sie ihn gewinnen können. Da Sie Ihren Teenager nicht wirklich zu etwas zwingen können, bedeutet das oft, dass Sie einen Plan B für den Fall haben müssen, dass sich Ihr Kind weigert, das Nein zu akzeptieren. Was können Sie da tun? Manchmal müssen Eltern in diesem Fall an eine höhere Instanz appellieren, wie die Polizei, Jugendämter, Gerichtshelfer, Richter, Rechtsanwälte, Schuldirektoren oder Arbeitgeber. Vor allem dann, wenn es um Drogen, Alkohol oder Gewalt geht, sollten Eltern um Hilfe von außen bitten, wenn sich das Verhalten ihres Teenagers nicht ändert, obwohl er die Konsequenzen seiner Entscheidungen erlebt hat.
Wenn Ihr Kind Ihr Nein nicht respektiert und sich oder andere dadurch in Gefahr bringt, dann muss sein Verhalten eine Konsequenz haben, die entweder die Grenzen erzwingt (ein Jugendlicher kann nicht weglaufen und in Geschäfte einbrechen, wenn er im Jugendgefängnis sitzt) oder die sicherstellt, dass Sie als Eltern nicht länger für das Verhalten Ihres Kindes zur Verantwortung gezogen werden können (wenn Ihr Kind im Heim ist, ist das Heim für sein Verhalten verantwortlich). Natürlich sind diese Lösungen ein letzter Ausweg, nicht ein erster Ansatz. Erst, nachdem Sie alles andere probiert haben, um Ihrem Teenager zu helfen, gute Entscheidungen zu treffen, aus Konsequenzen zu lernen und Grenzen zu respektieren, sollten Sie zu einer so drastischen Lösung greifen. Aber leider ist eine solche Maßnahme manchmal nötig, um zu gewährleisten, dass Ihr Kind sicher ist und keinen anderen Menschen gefährdet.

Mein Problem, dein Problem – wessen Problem ist es eigentlich?

Vor dem Gesetz sind Sie für das Verhalten Ihres Kindes verantwortlich. Wenn Sie das Verhalten Ihres Kindes aber nicht mehr beeinflussen können, ist es wichtig, einen Weg zu finden, der Sie von der Verantwortung befreit, die Konsequenzen des Handelns Ihres Teenagers auszubaden. Wenn Ihr schulpflichtiges Kind sich weigert, in die Schule zu gehen, und Sie dafür ein Bußgeld bezahlen sollen, dann arbeiten Sie zusammen mit dem Gericht daran, dass dieses Bußgeld in Sozialstunden umgewandelt wird, die Ihr Kind ableisten muss. Wenn Ihr Teenager sich dann weigert, diese abzuarbeiten, dann wird er die entsprechende Zeit im Jugendarrest absitzen müssen. Wenn Ihr Kind beim Schwarzfahren erwischt wird, dann bezahlen Sie diese Geldstrafe nicht, sondern erarbeiten mit dem zuständigen Richter eine Möglichkeit, Ihr Kind diese Strafe in irgendeiner Weise abarbeiten zu lassen.