Max - der Lebensretter - Kerry Irving - E-Book

Max - der Lebensretter E-Book

Kerry Irving

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Beschreibung

Nach einem schweren Autounfall leidet Kerry Irving, bis dahin ein begeisterter Sportler, unter chronischen Schmerzen, Angstzuständen und Depressionen. Bei einem kleinen Gang zum Einkaufen begegnet er zufällig Max, einem Spaniel, der ihn durch den Gartenzaun mit großen, braunen Augen anblickt. In diesem Blick findet Kerry Trost und Ermutigung, sein Leben wieder in die Hand zu nehmen. Max wird Kerrys ständiger Begleiter – und Kerry kümmert sich mit all seiner Liebe um diesen besonderen Hund, der ihn wieder auf die Beine bringt wie kein Arzt und kein Therapeut dies vermocht hätte. Eine herzerwärmende Geschichte nicht nur für Hundefreunde.

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Seitenzahl: 334

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Über das Buch

Nach einem schweren Autounfall leidet Kerry Irving, bis dahin ein begeisterter Sportler, unter chronischen Schmerzen, Angstzuständen und Depressionen. Bei einem kleinen Gang zum Einkaufen begegnet er zufällig Max, einem Spaniel, der ihn durch den Gartenzaun mit großen, braunen Augen anblickt. In diesem Blick findet Kerry Trost und Ermutigung, sein Leben wieder in die Hand zu nehmen. Max wird Kerrys ständiger Begleiter – und Kerry kümmert sich mit all seiner Liebe um diesen besonderen Hund, der ihn wieder auf die Beine bringt wie kein Arzt und kein Therapeut dies vermocht hätte. Eine herzerwärmende Geschichte nicht nur für Hundefreunde.

Über den Autor

Kerry Irving lebt und arbeitet zusammen mit seiner Frau Angela in Keswick im English Lake District (U.K.). Er ist ein begeisterter Hobby-Fotograf, liebt die Natur und Bergwanderungen und ist seit seiner Kindheit ein großer Hundeliebhaber. Nach einem schweren Autounfall, bei dem seine Wirbelsäule verletzt wurde, war er lange ans Haus gefesselt und schöpfte erst durch die Begegnung mit dem Spaniel Max neuen Lebensmut. Ursprünglich im Vertrieb tätig, arbeitet Kerry Irving heute als Schlosser. Seine Geschichte wurde bekannt, als Irving eine Facebook-Seite für Max einrichtete und auf begeisterte Resonanz stieß. Um etwas davon weiterzugeben, was er von Max bekommen hat, unterstützt Kerry Irving seit langem PDSA, eine Organisation, die sich um notleidende Tiere kümmert.

Kerry Irving

Maxder Lebensretter

Wie ein wunderbarer Hund mir half, meine Krise zu überwinden

Aus dem Englischen von Andrea Panster

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe

© 2021 Kailash Verlag, München

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Neumarkter Str. 28, 81673 München

© 2021 Kerry Irving

Originally published in the English language by HarperCollins Publishers Ltd. under the title MAX THE MIRACLE DOG: The Heart-warming Tale of a Life-saving Friendship

Lektorat: Anne Nordmann, Berlin

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

Umschlaggestaltung: ki 36, Sabine Krohberger Editorial Design, München

Autorenfoto: © privat

ISBN 978-3-641-27429-0V001

www.kailash-verlag.de

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Dieses Buch ist allen Tieren gewidmet, die je einem Menschen geholfen haben.

Sie sind an unserer Seite, wenn wir neben uns stehen.

Inhalt

Vorwort

Teil Eins

Ein Junge am Strand

Das Ende einer Idylle

Schwere Zeiten

Hinaus in die Wildnis

Die Schule des Lebens

Neue Horizonte

Zak

Verlust und Liebe

Teil Zwei

Der Unfall

Ein kalter, finsterer Ort

Keine Milch im Haus

Kleine Schritte

Max und ich

Türen gehen auf

Der Sicherheitschef

Abschied oder Neubeginn?

Bleib bei mir

Zu Hause

Teil drei

Nach der Besteigung des Ben Nevis

Max Out in the Lake District

Die Sintflut

Soziales Engagement

Und dann kam Paddy …

Spaziergänge mit Spaniels

Springer-Stars

Die berüchtigte Brown Leg Gang

Aus dem Garten in den Palast

Dank

Vorwort

»Bist du bereit, Max? Wenn mir irgendjemand dabei helfen kann, dann du.«

Der Hund neben mir schaut auf und sieht mir in die Augen. Er sitzt auf dem Boden. Sein Schwanz wischt hin und her und fegt Kiefernnadeln beiseite. Hinter uns steht das kleine Zelt, in dem wir zur Vorbereitung auf diesen Tag übernachtet haben. In der Ferne jenseits des Waldes ragt der schneebedeckte Felsgipfel, den ich bezwingen möchte, in den dämmrigen Morgenhimmel.

Früher hätte mich die Aussicht auf eine Wanderung auf den Ben Nevis nicht im Mindesten verunsichert. Menschen aus aller Welt kommen in diesen Winkel Schottlands, um den Weg zum Gipfel zu gehen. Aber heute ist der Ben Nevis nicht nur der höchste Berg Großbritanniens, sondern er steht für so viel mehr. Bis vor Kurzem hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass ich diese Herausforderung meistern könnte. Nun sehe ich darin eine Chance, mich meinen Ängsten zu stellen.

Wenn Max nicht gewesen wäre, wäre ich genau genommen gar nicht hier.

»Lass uns gehen«, sage ich – und unsere Wanderung beginnt.

Wir sind so früh dran, dass außer uns niemand auf den Beinen ist. Erste Sonnenstrahlen dringen in den Wald und fallen quer über den Weg. Max hat die Nase am Boden, und seine Schultern stampfen auf und ab wie zwei Kolben. Er trottet voraus und kehrt wieder zu mir zurück, ohne mich aus den Augen zu lassen. Er ist ein sehr aufmerksamer Hund. Das ist typisch für die Rasse, trotzdem ist dieser Springer Spaniel etwas ganz Besonderes. Niemand versteht mich besser als Max oder weiß um meine Beklommenheit, während wir einen Zaunübertritt meistern und uns dieser für mich alles entscheidenden Herausforderung stellen. Wenn ich allein wäre, wäre es ein Leichtes, an dieser Stelle einfach umzukehren, nach Hause zu fahren und zu sagen: »Es ist wirklich fantastisch dort oben!«, und niemand wüsste Bescheid. Max’ Gegenwart erinnert mich daran, dass ich mir damit nur in die eigene Tasche lügen würde.

Es gibt zwei Gründe für unseren frühen Aufbruch. Bei meinem Tempo werden wir viel länger zum Gipfel brauchen als die meisten anderen. Ich muss jeden Schritt mit Vorsicht und Bedacht wählen und mich gleichzeitig dagegen wappnen, dass ich jederzeit von plötzlichen Schmerzen durchzuckt werden könnte, die mich zum Innehalten zwingen. Wir nehmen den sogenannten »Pony Track« oder die Touristenroute. Ich muss damit rechnen, dass sich der Weg, der sich allmählich in Serpentinen über die unteren Hänge des Berges zieht, bis zum Vormittag mit Wanderern füllt – der wichtigste Grund, weshalb ich so zeitig losgegangen bin. Außer meinem Hund soll mich niemand sehen. Ich kann es jetzt wirklich nicht gebrauchen, dass ein Fünfundsiebzigjähriger mit einem großen Rucksack an mir vorbeizieht und sich dann fragt, wieso ein scheinbar fitter Mittvierziger nicht das gleiche Tempo anschlagen kann. Dass ich von außen ganz normal aussehe, halte ich für einen Teil des Problems. In Wirklichkeit muss ich auf jede Bewegung achten, denn ein falscher Schritt kann schreckliche Schmerzen verursachen.

Es fällt mir schwer, mich zu entspannen, aber ich fühle mich von Max nie unter Druck gesetzt, schneller zu gehen. Er ist nicht angeleint und erkundet den Weg, als wolle er prüfen, ob er sicher für mich ist. Es ist nicht seine Art, in seine eigene Welt davonzustürmen oder mir das Gefühl zu geben, ich würde ihn bremsen. Er klebt aber auch nicht so eng an meiner Seite, dass die Gefahr besteht, über ihn zu stolpern. Er tickt anders, und das ist einer von vielen Gründen, weshalb sich eine derart enge Bindung zwischen uns entwickelt hat. Er lässt mir Freiraum und gibt mir gleichzeitig das Gefühl, nicht allein zu sein.

Max ist für mich da – und umgekehrt. Wir unternehmen diese Wanderung gemeinsam, weil nur er versteht, dass ich mein Bestes gegeben habe, falls alles schiefgeht. Wenn ich scheitere, scheitere ich nur in seiner Gegenwart. Er ist mein kleiner Freund, mein ständiger Begleiter und Schutzengel in Gestalt eines oft dreckverschmierten und leicht müffelnden Spaniels.

Wir wählen unseren Weg den Pfad hinauf, klettern über lose Steine und in den Hang geschlagene Stufen. Ich bleibe immer wieder stehen, um zu Atem zu kommen und die Aussicht zu genießen. Schon seit einer Weile spiele ich mit dem Gedanken an diese Wanderung und kann kaum glauben, dass ich wirklich hier bin. Die Sonne klettert gerade erst in den Himmel, und die Temperatur ist perfekt. Es ist ein glasklarer Tag, und je höher wir kommen, desto mehr frischt die belebende Brise auf. Ich habe Proviant für uns beide dabei, aber in diesem Augenblick interessiert sich Max nur dafür, seinen Stock nicht fallen zu lassen. Er hat ihn gerade erst aus einer Erosionsrinne gefischt, und ich kann sicher sein, dass er ihn bis zum Gipfel hinauf- und wieder hinuntertragen wird. Hat er sich erst einmal für etwas entschieden, gibt er niemals auf, und ich erinnere mich an diese Eigenschaft, als ich gegen meine eigenen Bedenken bezüglich unseres Vorhabens ankämpfe.

Wir hatten über einen halben Tag für die Anfahrt aus dem Lake District gebraucht, wo ich zu Hause bin. Die Autofahrt war eine Qual. Es dürfte die wohl weiteste Reise sein, die ich seit der dramatischen Veränderung in meinem Leben vor sieben Jahren unternommen habe. Hinterm Steuer musste ich feststellen, dass bei jeder Bewegung vom Bremsen bis zum Abbiegen stechende Schmerzen vom Hals bis in den Rücken und die Arme ausstrahlten. Max saß neben mir auf dem Beifahrersitz. Er hat sich diesen Platz ausgesucht, und ich habe ihn gern an meiner Seite – vor allem in schwierigen Momenten.

Trotz der stundenlangen unangenehmen Fahrt freute ich mich auf den Ausflug. Es sollte dabei ausschließlich um meinen Hund und mich gehen. Ein Männerwochenende. Erst nachdem wir auf dem Campingplatz angekommen waren und ich das Zelt aufgebaut hatte, holte mich die Kraftanstrengung der Fahrt wieder ein. Ich wollte nur noch schlafen. Doch für Max war dies die erste Nacht unter einer Zeltplane. Ich war mir nicht sicher, ob er zur Ruhe kommen würde. Er schnupperte ein wenig herum, während ich meinen Schlafsack und seine Decke ausbreitete. Dann rief ich ihn ins Zelt.

Ohne zu zögern, schlüpfte Max herein und rollte sich zusammen, als gehöre er hierher, und damit war die Sache erledigt. Den nächsten Tag verbrachten wir mit kurzen Spaziergängen im Wald am Fuße des Berges. Ich musste mich ausruhen, wieder zu Kräften kommen und mich auf den Aufstieg vorbereiten.

Heute Nacht habe ich nicht gut geschlafen, doch nachdem wir aufgebrochen sind und die Kiefern hinter uns gelassen haben, lassen meine Bedenken bezüglich der Wanderung allmählich nach. Wir haben eine ordentliche Strecke vor uns, aber Max ist nicht nur wegen der frischen Luft und der Dinge hier, die es zu sehen und zu hören gibt. Seine Anwesenheit wirkt beruhigend, und es stört ihn nicht, dass ich mein eigenes Tempo habe. Er wirft mir immer wieder lange Blicke zu, und der Ausdruck in seinen Augen scheint zu sagen: »Ich bin für dich da.«

Der Ben Nevis gehört zu den Bergen, die man auf einem Foto nicht recht würdigen kann. Erst wenn man davorsteht und zum Gipfel hinaufsieht, denkt man: »Ganz schön groß!« Der Weg zum Gipfel ist ziemlich lang, und die Wanderung ist nicht ganz einfach. Ich habe mir die Karte angesehen und dabei entdeckt, dass die Strecke erosionsbedingt geändert wurde. Ich muss eine größere Schleife gehen und bin darauf nicht vorbereitet. Nach etwa einem Drittel des Weges muss ich immer wieder stehen bleiben und die Schultern lockern. Das liegt daran, dass ich mich beim Gehen verspanne, weil ich Angst habe, einen falschen Schritt zu machen und unter schrecklichen Schmerzen zusammenzubrechen. An einer Stelle schlängelt sich der Weg um eine Felsnase, und ich bleibe einfach stehen und lehne mich dagegen, um meine Verspannungen abzuschütteln. Sofort kommt Max angelaufen und sieht mich an, und seine langen Ohren flattern im Wind.

»Ich gebe nicht auf«, versichere ich ihm. »Vertrau mir. Wir schaffen das.«

Wir steigen weiter hinauf, und die Landschaft verändert sich. Die Stufen werden höher und anstrengender. In einem Moment komme ich ganz normal vorwärts, und schon im nächsten muss ich mich mächtig ins Zeug legen und mich an Grasbüscheln und Felsen nach oben ziehen. In diesem Augenblick wird mir klar, dass diese Wanderung eine Riesensache für mich ist. Gleichzeitig haben wir einen Punkt erreicht, an dem ich über Tümpel und Seen hinweg auf einen scheinbar endlos weiten Horizont blicken kann. Dies führt mir vor Augen, wie hoch wir schon sind und dass uns jetzt nichts mehr aufhalten kann.

An der Schneegrenze schaltet Max einen Gang höher. Er liebt Schnee, und da der letzte Winter schon eine Weile zurückliegt, nutzt er diese Gelegenheit, um zu zeigen, was es heißt, ein Springer Spaniel zu sein, und stürzt sich in die Schneeverwehungen. Ich muss lächeln, als er umherspringt und seine Pfoten in den Bergen aus Pulverschnee versinken. Obwohl ich seinem Beispiel schlecht folgen kann, genügt dies, um mir einen Motivationsschub zu geben.

Kurz darauf sehe ich bei einem meiner regelmäßigen Kontrollblicke, wie weit wir schon gekommen sind, dass sich jemand mit großen Schritten nähert. Der Mann ist noch weit unten, aber er ist viel schneller, als ich es je sein könnte, und das schärft meine Konzentration. Ich bin gern allein mit Max, aber weil ich so früh losmarschiert bin, habe ich es mir in den Kopf gesetzt, ich könnte an diesem Tag als Erster auf dem Gipfel sein. Ich bin keineswegs der Erste, der den Ben Nevis erobern will. Doch in diesem Augenblick fühle ich mich wie ein Pionier und möchte nicht, dass jemand vor mir oben ankommt.

»Lass uns weitergehen«, sage ich – nicht nur zu Max.

Es ist nicht mehr weit, aber der Wanderer holt immer weiter auf. Ich versuche, nicht in Panik zu geraten oder mich zu überfordern. Auf keinen Fall möchte ich so weit von jeder Hilfe entfernt von qualvollen Schmerzen gelähmt werden. Um mich zu konzentrieren, richte ich den Blick fest auf Max. Ich erinnere mich daran, dass all dies an einem absoluten Tiefpunkt in meinem Leben begonnen hat und wir uns unmittelbar vor einem Höhepunkt befinden.

Zum Gipfel hin weitet sich der Weg zu einem Steinplateau. In dieser Höhe ist es bitterkalt, was teilweise auf die kühlende Wirkung des Windes zurückzuführen ist, und ich bin froh, mich in Wanderbekleidung und -schuhen für extreme Witterungsverhältnisse auf den Weg gemacht zu haben. Mit brennenden Augen sehe ich nicht weit vor mir den berühmten Cairn: Der drei Meter hohe Steinhügel dient als Triangulationspunkt und hilft Kletterern und Wanderern bei der Orientierung. Er markiert auch die höchste Stelle des Ben Nevis. Mein Herz beginnt, heftig zu schlagen. Noch einmal werfe ich einen prüfenden Blick über meine Schulter. Der Wanderer ist jetzt ganz nah, und ich kann erkennen, dass es sich um einen jungen Mann handelt. Aber trotz seines strammen Tempos kann er mich jetzt unmöglich noch überholen.

»Max«, verkünde ich, und er merkt sofort auf, »wir haben es geschafft.«

Mit Max an meiner Seite und Tränen in den Augen lege ich eine Hand an den Steinhügel. Was mir vor Kurzem noch undenkbar erschien, ist Wirklichkeit geworden. Vom Campingplatz bis hierher haben wir gut 1300 Höhenmeter überwunden. Wir haben dreieinhalb Stunden gebraucht, und ich stehe als neuer Mensch auf diesem Gipfel – als ein Mensch, für den von jetzt an alles möglich ist. Ich empfinde ein Hochgefühl, Erleichterung und unendlich viel Liebe für meinen treuen kleinen Freund.

»Gut gemacht!«, überrascht mich eine Stimme von hinten. Ich drehe mich zu dem Wanderer um, der immer näher gekommen ist. Er strahlt mich an und beugt sich hinunter, um Max den Kopf zu kraulen.

»Glückwunsch auch Ihnen«, sage ich und grinse frech. »Sie sind heute der Zweite auf dem Gipfel. Der Dritte, wenn Sie meinen Hund mitzählen.«

Der Wanderer, ein deutscher Tourist, lacht und schüttelt mir die Hand. Wir unterhalten uns ein wenig, dann macht er sich auf den Weg, um sich die Aussicht von der anderen Seite des Plateaus anzusehen. Ich bin zufrieden damit, vor dem Wind geschützt hinter dem Cairn zu sitzen und den Augenblick auszukosten. Ich fische Max’ Trinknapf, eine Thermoskanne Wasser für uns beide und ein paar Leckerbissen aus dem Rucksack, um unseren Erfolg zu feiern. Er genießt seine Hundekekse, während ich eine Scheibe Malzbrot esse. Ich hatte auch eine Banane in eine Außentasche des Rucksacks gesteckt, doch wie sich herausstellt, ist sie steif gefroren. Schnell ziehe ich die Handschuhe wieder an.

Es ist zu kalt, um länger als ein paar Minuten auf dem Gipfel zu bleiben. Doch bevor wir gehen, muss ich eine letzte Sache erledigen. Ich habe das Telefon noch nicht am Ohr, da kommen mir erneut die Tränen. Nach allem, was wir durchgemacht haben, habe ich recht nah am Wasser gebaut.

Meine Frau meldet sich, und ich sage: »Ange? Ich bin’s, Kerry. Wir haben es geschafft!«

»Ihr habt was geschafft?«, fragt sie nach einer kleinen Pause, doch dann erinnert sie sich wieder: »Ach ja, die Bergtour.«

»Wir sind auf dem Gipfel! Vom Ben Nevis! Max und ich haben es bis ganz nach oben geschafft.«

»Wie schön«, erwidert sie fröhlich, und ich weiß genau, was das heißt. Angela ist Friseurin und arbeitet zu Hause. Ihr freundlicher, aber förmlicher Tonfall verrät mir, dass sie gerade Kundschaft hat. Wenn sie allein wäre, wäre sie nicht so zurückhaltend. Ich lächle in mich hinein und sage ihr, dass ich sie liebe und anrufen werde, wenn wir wieder auf dem Campingplatz sind. »Das wäre toll«, sagt sie zur Verabschiedung. »Vielen Dank! Bis bald.«

Ich verstaue mein Telefon und grinse Max an. Es ist, als wüsste auch er genau, was zu Hause los ist. Dann stehe ich vorsichtig auf und sehe mich ein letztes Mal um. Angesichts der fantastischen Aussicht auf die wild zerklüftete Landschaft unter uns fühle ich mich wie ein König, und ich bin sehr stolz darauf, Max an meiner Seite zu haben. Ich hoffe, er teilt mein Glücksgefühl über diesen Erfolg. In letzter Zeit haben wir gemeinsam so viel erreicht.

»Auf geht’s«, sage ich. Unser Weg ist noch nicht zu Ende. Mit Max an meiner Seite ist es erst der Anfang.

Teil eins

Ein Junge am Strand

Der Lake District ist meine Heimat, die ich sehr liebe. Hier gehöre ich hin, und das Gefühl, hier verwurzelt zu sein, ist mir enorm wichtig. In dieser rauen Landschaft bin ich am glücklichsten, auch wenn ich hier einen der extremsten Tiefpunkte in meinem Leben durchgemacht habe. Hier habe ich auch einen ganz besonderen Hund kennengelernt, der alles veränderte.

Die Berge bilden den Hintergrund der Geschichte von Max und mir, genau wie die majestätische Weite der Seen, in denen sich der Himmel spiegelt. Meine frühesten Kindheitserinnerungen sind jedoch nicht von hier. Sie entstanden weit entfernt vom Nordwesten Englands in einer kleinen Küstenstadt namens Fish Hoek auf der südafrikanischen Kap-Halbinsel.

Ich wurde als jüngster von drei Söhnen in Shropshire geboren. Weshalb wir gerade dort waren, als ich zur Welt kam, habe ich nie erfahren. Wir waren jedenfalls nicht lange genug dort, um Wurzeln zu schlagen. Mein Vater war Schiffsingenieur. Er verbrachte viel Zeit auf See. Als ich zu Beginn der Sechzigerjahre auf der Bildfläche erschien, wurde er bald darauf im Ausland stationiert. Da meine Mutter nicht allein zurückbleiben wollte, packte sie unser Hab und Gut zusammen, und wir begaben uns auf eine lange Reise, um mit dem Schiff den halben Globus zu umrunden und ein neues Leben anzufangen. Im Anschluss daran verbrachten wir als Familie fünf glückliche Jahre in unserer ganz eigenen Welt.

Nur der Strand ist mir aus jener Zeit in Erinnerung geblieben. Der Sand hatte die Farbe verblichener Knochen, und wo er endete, stand eine Reihe pastellfarben gestrichener Strandhäuschen mit Blick auf eine endlose blaue Bucht. Dort lernte ich Krabbeln, Laufen und unter der Aufsicht meiner Mutter in Ufernähe herumzuplanschen. Da in den Gewässern rund um das Kap Haie patrouillierten, durfte ich mich nie allzu weit von ihr entfernen. Tagsüber, wenn es heiß war, verzogen wir uns in den Schatten und tranken Zuckerrohrsaft. Ich entwickelte eine Faszination dafür, bei Ebbe die Gezeitentümpel nach Krabben abzusuchen. Zuweilen stellte ich meine Eltern auf eine harte Probe, weil ich meine neuen Freunde im Eimer nach Hause schmuggelte, damit sie unter meinem Bett übernachten konnten.

Wenn ich an jene prägenden Jahre zurückdenke, ist da nur ein buntes Sammelsurium aus Bildern, Geräuschen, Geschmäckern und Gerüchen in meinem Kopf – von den gewaltigen Wolken, die sich über den Bergketten auftürmten, bis hin zum Salz auf meiner Haut. Eine Geschichte gibt es dazu nicht. Ich weiß nur noch, dass es eine sichere und schöne Zeit war, und ich nicht ahnte, dass sich schon bald alles ändern würde.

Nach Jahren, in denen mein Vater auf Schiffen im Hafen und auf See gearbeitet hatte, ging sein Dienst bei der Marine zu Ende – und da meine Eltern das Gefühl hatten, dass die Zeit reif für etwas Neues war, kehrten wir nach Großbritannien zurück. Meine Mutter und mein Vater stammen beide aus Penrith, einer kleinen Marktgemeinde in Cumbria, die unmittelbar östlich der Seen im Tal des Flusses Eden liegt. Deshalb beschlossen sie, zu ihren Wurzeln zurückzukehren.

Obwohl mein Vater eine Arbeit aufgab, die ihm sehr gefiel, bekam er aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung eine gute Anstellung in der Region als Kundendiensttechniker bei einem Waschmaschinenhersteller. Deshalb konnten wir uns ein hübsches Reihenhaus in einer kleinen Häuserzeile unter der Bahnbrücke mit Aussicht auf die freie Landschaft und die schwache Silhouette der fernen Berge im Hintergrund leisten. Aber das Tollste für einen Jungen meines Alters war, dass wir nur einen Steinwurf von einem Bauernhof entfernt waren. Ich liebte es, bei den Tieren zu sein, und war ganz vernarrt in die Schweine und Hühner. Ich bat meine großen Brüder, mich mitzunehmen, doch meist machte jeder von ihnen sein eigenes Ding. Nicht dass sie mich nicht gemocht hätten, ich war ihnen nur einfach zu klein. Wenn sie dann ohne mich loszogen, wanderte ich den Feldweg entlang zum Tor des Bauernhofs, um meine tierischen Freunde zu besuchen. Eigentlich war ich ganz glücklich allein, das war immer schon so. Man könnte sagen, dass ich damals zum Einzelgänger wurde, auch wenn ich das seinerzeit natürlich nicht so empfand. Genau genommen befand sich der kleine Junge in guter Gesellschaft, wenn er erst einmal das Hoftor durchquert hatte.

Für mich war es die natürlichste Sache der Welt, mit den Tieren zu sprechen. Ja, das machen Kinder so – aber ich habe nie damit aufgehört! Es ist irgendwie magisch zu wissen, dass sie zuhören. Auf diese Weise entsteht Verbundenheit, und die brauchen wir alle in unserem Leben. Am allerliebsten aber war ich draußen in der Natur. Ich mochte das Vogelgezwitscher, die leichte Brise auf meinem Gesicht und das Gefühl, überallhin gehen zu können. Ich war glücklich allein; ich gehörte zu den Jungen, die mit ihrer Fantasie einen Stock in ein Schwert oder eine Höhle aus Ästen und Farnen in ein Schloss verwandeln können. Auch fehlte mir jedes Gefühl für Gefahr. Ich spielte gern unten am Fluss, der stark anschwellen konnte, wenn Regenwasser aus den Hügeln herablief. Sogar die inzwischen aufgelassene Dampfzugstrecke hatte für mich ihren Reiz. Früher war sie die wichtigste Verbindung zwischen Penrith und Keswick bei den Seen gewesen. Damals hatte der Heizer Kohlestücke, die zu groß für den Feuerkasten waren, einfach neben das Gleis geworfen. Mein Vater wusste, dass ich mich gern an der Strecke aufhielt, und schickte mich sogar mit einem Eimer los, um alles für den heimischen Ofen aufzulesen, was ich finden konnte.

Während ich mich unter freiem Himmel wohlfühlte, wurde es zu Hause immer ungemütlicher. Wenn ich heimkam, herrschte eine gespannte Atmosphäre zwischen meinen Eltern. Ich war noch zu klein, um zu verstehen, was sie entzweit hatte; ich wusste lediglich, dass etwas nicht stimmte.

Eines Tages brachte mein Vater einen Collie mit nach Hause, der die Familie zusammenschweißen sollte. Wir tauften ihn Rex, was damals praktisch obligatorisch war, wenn man einen Hund hatte. Ich war nicht alt genug, um Rex als meinen Hund zu betrachten, aber ich sah ihn als Mitglied der Familie. Ich nahm ihn mit auf Spaziergänge über die Felder – vermutlich, weil wir daheim beide schnell einen Lagerkoller bekamen und es ein guter Vorwand war, um ein wenig rauszukommen. Wenn ich beobachtete, wie er durch die Wiesen und das Röhricht lief und herumtollte, hatte ich nicht das Gefühl, sein Herrchen zu sein. Es schien, als seien wir gleichgestellt.

Wir legten uns auch noch einen Kater zu, doch mein Vater kam mit ihm überhaupt nicht zurecht. Das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit, denn der Kater machte sich immer aus dem Staub, wenn mein Dad zu Hause war. Trotzdem war er meinem Vater lästig. Eines Morgens sagte man mir, der Kater sei umgezogen und lebe nun auf einem Bauernhof am anderen Ende der Stadt. Ich erinnere mich noch, dass ich überlegte, woher die heftigen Kratzer an den Unterarmen meines Vaters stammten, als er seine Abwesenheit erklärte. Wer weiß? Gut möglich, dass mich meine kindliche Unschuld vor der vollen Wahrheit schützte. Für den Zustand der Ehe meiner Eltern galt dies auf jeden Fall.

Das Ende einer Idylle

»Verschwinde, und lass dich hier nie wieder blicken!«

Als mein Vater meine Mutter aus dem Haus warf, stand ich einfach nur da und sah entsetzt dabei zu. Kurz zuvor hatte ein lautstarker Streit begonnen. Er war so heftig, dass offenbar keiner von beiden meine Anwesenheit in der Küche bemerkte.

»Hör auf damit, Dad!«, rief ich. Aber er war vollauf damit beschäftigt, die Tür mit der Schulter zu blockieren, während meine Mutter alles versuchte, um wieder ins Haus zu gelangen. »Hör auf!«

Warum auch immer dieser Krieg zwischen ihnen ausgebrochen war – ich war zwischen die Fronten geraten. Ich hatte meinen Vater noch nie so wütend gesehen, und meine Mutter schrie so laut und hämmerte so heftig gegen die Tür, dass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte.

»Gib mir meine Jungs!«, schrie sie. »Kerry!«

Ich versuchte, meinen Dad wegzuziehen, aber ich war zu klein. Noch nie hatte ich mich so nutzlos gefühlt. Mom versuchte sogar, durchs Küchenfenster wieder hereinzuklettern, aber er stieß sie zurück.

»Mum!«, heulte ich hysterisch. »Ich will zu meiner Mummy!«

Ich werde diesen Streit nie vergessen. Als er vorüber war, lag die Ehe meiner Eltern in Trümmern. Meine Mutter zog noch am selben Tag aus und nahm mich mit, aber meine beiden Brüder blieben bei meinem Vater. Es gab weder Verhandlungen noch ruhige Gespräche. Ich stürzte mich einfach bei der erstbesten Gelegenheit in die Arme meiner Mutter, während mein Vater schwor, dass es zwischen ihnen aus war.

Mit einem eilends gepackten Koffer zogen wir bei ihren Eltern in Penrith ein. Sie hatten eine altmodische Einstellung zur Ehe, und es war ihnen unbegreiflich, wie meine Mutter und mein Vater eine Trennung überhaupt in Betracht ziehen konnten. Aber sie nahmen uns auf. Nachdem meine Mutter aufgehört hatte zu weinen, sagte sie immer wieder, sie habe mich lieb, und alles werde gut. Ich war gerade einmal acht Jahre alt und hatte bereits Dinge gesehen und gehört, die mein Vertrauen in meinen Platz auf dieser Welt erschütterten. Ich hatte länger in Südafrika gelebt als hier, doch der glückliche Junge vom Strand war inzwischen ganz in die Vergangenheit entschwunden. Weil ich noch so klein war, fiel es mir schwer, die Geschehnisse zu verarbeiten. Man sagte mir zwar, ich müsse mir keine Sorgen machen, doch unterschwellig waren sie immer da.

Der Streit, dessen Zeuge ich gewesen war, entpuppte sich als Auftakt zu einer hässlichen Scheidung. Wir Kinder wurden zu Waffen in einem Krieg. Und schlimmer noch, meine großen Brüder nahmen es mir übel, dass es mir irgendwie gelungen war, bei unserer Mutter zu bleiben, während sie zurückgelassen wurden. Wenn wir uns sahen, flößten sie mir Schuldgefühle ein, als hätte ich sie im Stich gelassen. Dabei war das Leben bei meinen Großeltern auch nicht leicht. Ich war ohne jede Vorwarnung aus meiner gewohnten Umgebung gerissen worden und völlig aus dem Gleichgewicht, und meine Großmutter litt an Parkinson. Natürlich wusste ich nicht, was das bedeutete, ich sah nur die Symptome: das Muskelzittern, die Distanziertheit und die langsamen Bewegungen. Da ich keine weitere Erklärung dazu bekam, machte Großmutter mir Angst. Ich konnte in ihrem Haus nicht entspannen, weil ich immer befürchtete, sie könne jederzeit ins Zimmer schleichen. Außerdem waren wir ein gutes Stück von der Natur entfernt. Es war etwas ganz anderes, in einer Ortschaft zu wohnen. Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte, wenn ich hin und wieder etwas Freiraum brauchte.

Die einzige Rettung waren mein Großvater und seine Hobbys. Er besaß einen Schrebergarten in der Nähe, der sein ganzer Stolz war. Er hatte die meiste Zeit seines Lebens im Schatten meiner Großmutter gestanden, doch mit dem Spaten in der Hand war er in seinem Element, und sein Wissen faszinierte mich. Er zeigte mir, wie man im Treibhaus aus Samen Gemüsepflanzen zog, sie zur rechten Zeit auspflanzte und dann pflegte, während sie heranwuchsen. Im Sommer saßen wir draußen und aßen Tomaten direkt vom Strauch. Ich machte dabei immer eine Riesensauerei, aber ihr Geschmack und ihr frisches, herbes Aroma verzauberten mich. Mein Großvater hatte auch eine Leidenschaft fürs Rasenbowling. Er verbrachte viel Zeit im Club gegenüber dem Bahnhof von Penrith. Ich denke gern daran zurück, wie ich die Entwicklung eines Spiels verfolgte und das Gefühl hatte, Teil seiner Mannschaft zu sein. Er war ein sehr guter Spieler, und als er einige Jahre später starb, wurde seine Asche auf dem Grün verstreut.

Neben dem Schrebergarten meines Großvaters wurde auch der Rasenbowling-Club zu einem Ort, an den ich flüchten konnte, wenn ich mal aus dem Haus musste. Er lenkte mich auch von der Sehnsucht ab, die ich bei jedem Gedanken an meine Brüder und meinen Vater empfand. Selbstverständlich bemühte sich meine Mutter nach Kräften um mich, aber sie hatte wegen der laufenden Scheidung ihre eigenen Probleme. Es war eine verwirrende Zeit. Wenn ich meinen Vater besuchte, versuchte er, gegen meine Mutter zu punkten – und umgekehrt. Mit der Zeit zerbrach ihre Beziehung ganz, und auch meine Brüder setzten mir weiter zu, weil ich nicht bei ihnen wohnte. Ich hatte immer das Gefühl, irgendetwas wiedergutmachen zu müssen, deshalb drängte ich sie, mir bei der Suche nach Teilen für ein großes Gokart zu helfen, mit dem wir früher in Kapstadt gespielt hatten. Es war in mehreren Seekisten zurückgekommen, aber unterwegs waren ein paar Teile verloren gegangen. Zu meiner großen Bestürzung war ihnen das egal, während ich nichts lieber wollte, als es wieder in Ordnung zu bringen.

»Mum«, sagte ich eines Tages und musste meinen ganzen Mut zusammennehmen. »Ich möchte mit meinen Brüdern zusammen sein.«

Ich kann mir vorstellen, dass ihr bei diesen Worten ihres Jüngsten wohl das Herz gebrochen ist. Aber als ich ihr eines Tages beim Abendessen gegenübersaß, lächelte sie mich tapfer an und versprach, dass sie sehen würde, was sich da machen ließ. Da meine Eltern nicht mehr miteinander sprachen, war eine gütliche Einigung natürlich völlig ausgeschlossen. Die Angelegenheit wurde ins Scheidungsverfahren hineingezogen und landete schließlich vor Gericht. Ich musste in muffigen Nebenzimmern mit Anwälten und einer Reihe von Fremden herumsitzen, die mich dazu befragten, bei wem ich leben wollte.

Inzwischen war klar, dass meine Mutter mich nicht gehen lassen wollte. Das machte es mir sehr schwer, meine Meinung zu äußern und zu sagen, was ich wollte. Ich hatte das Gefühl, sie im Stich zu lassen, aber man forderte mich auf, ehrlich zu sein, und ich tat wie geheißen. Ich konnte nicht alle Beteiligten glücklich machen. Ich konnte nur die Wahrheit sagen, und die lautete nun einmal, dass ich ohne meine Brüder unglücklich war. Die Entscheidung des Gerichts, mich wieder mit ihnen zu vereinen, verschärfte die Situation zwischen meinen Eltern in vielerlei Hinsicht noch weiter. Ich kehrte in unser Reihenhaus zurück, und obwohl mein Leben dort vollständiger war, war meine Mutter ganz und gar nicht glücklich darüber. Sie warf meinem Vater vor, mich hinter ihrem Rücken zu manipulieren, und er schlug nicht weniger heftig zurück. Sie machten sich gegenseitig schlecht, was mich verwirrte und verstörte.

Ich war ein Grundschulkind, und die beiden Menschen, die sich eigentlich um mich hätten kümmern sollen, führten gegeneinander Krieg. Sie hatten jegliches Vertrauen zueinander verloren, und ich stand zwischen den Fronten. Ich wollte mit meinen Brüdern zusammen sein, doch die waren bei Licht betrachtet nur selten zu Hause. Wenn man bedachte, wie unser Vater über unsere Mutter sprach, konnte ich ihnen das nicht verübeln. Schon bald nach meiner Rückkehr zerstritt sich mein großer Bruder mit ihm, zog erst zu unserer Mutter, feierte aber kurz darauf seinen achtzehnten Geburtstag und ging von da an seinen eigenen Weg. Da ich von Aufruhr und Konflikten umgeben war, zog ich mich schnell wieder in meine eigene Welt zurück mit Rex und den Tieren vom Bauernhof und den Abenteuern, die ich draußen auf den Feldwegen erleben konnte.

Trotz der Turbulenzen, in denen meine Eltern steckten, hatten wir gefühlt auch gute Momente. Wenn mein Vater am Ende der Woche von der Arbeit nach Hause kam, nahm er uns mit in den Pub. Er holte uns mit seinem Kleintransporter ab, und dann machten wir uns auf, etwas zu unternehmen. Da wir zu klein waren, um mit ihm ins Wirtshaus zu gehen, warteten wir im Transporter oder im Biergarten. Er brachte jedem von uns ein Radler und eine Tüte »Salt & Vinegar«-Chips. Es fühlte sich besonders an, obwohl wir im Grunde uns selbst überlassen waren. In meinen Augen aber war dies ein Hauch von einem normalen Familienleben. Wir hatten nicht die geringste Ahnung vom Alkoholproblem unseres Vaters, bis er eines Abends ins Röhrchen pusten musste und der Alkoholtest positiv war.

Es war ein Abend unter der Woche. Dad war zu einem Einsatz gerufen worden, um etwas in einem großen Hotel mit Blick auf den Ullswater zu reparieren. Kurz entschlossen hatte er meinen mittleren Bruder und mich mitgenommen. Den ganzen Tag über hatte sich ein Unwetter zusammengebraut, und als wir in der Abenddämmerung losfuhren, kam Wind auf, und es begann zu regnen. Von der Uferstraße aus wirkte die Wasserfläche wie gehämmertes Metall. Normalerweise spielten wir am Seeufer, wenn wir unseren Vater auf einen seiner Einsätze begleiteten. Doch als er den Wagen abgestellt und mit seinem Werkzeugkasten ins Hotel gehuscht war, war der Sturm so heftig, dass es sich anfühlte, als stünden wir unter Beschuss.

Mein Bruder hatte den Platz auf dem Beifahrersitz ergattert. Ich saß hinten zwischen dem ganzen Elektrokram, und das war alles andere als ein Spaß. Wir waren gelangweilt und missmutig und stritten darüber, ob wir die Fenster des Transporters einen Spalt öffnen sollten, damit sie nicht beschlugen. Eine gute Stunde später kam unser Vater endlich aus der Dunkelheit herangeeilt, den Kragen zum Schutz vor dem strömenden Regen hochgeschlagen. Er brüllte sofort los, dass wir uns benehmen sollten. Ich weiß nicht, ob man ihm bei der Arbeit einen Drink angeboten oder ob er seinen eigenen Vorrat dabeigehabt hatte. So oder so hätte er den Schlüssel nicht ins Zündschloss stecken, den Wagen anlassen, die Beleuchtung einschalten und sich über die Uferstraße auf den Heimweg machen dürfen. Die Fahrt hinten im Wagen war schon unter normalen Umständen ziemlich holprig, doch in jener Nacht hatten die Scheibenwischer große Mühe, für klare Sicht zu sorgen, und ich rutschte von einer Seite zur anderen, als sei ich auf hoher See.

»Daddy!«, rief ich bittend, als wir schneller in die Kurve gingen, als mir lieb war.

Mein Bruder rutschte zwar ebenfalls hin und her, aber er wurde von seinem Sicherheitsgurt gehalten und kicherte in sich hinein. Da ich auf diesen Luxus verzichten musste, fand ich die Situation gar nicht komisch.

»Das liegt am Wetter«, sagte Vater, als könne der Sturm etwas für seinen Fahrstil, und schalt meinen Bruder dafür, dass er gelacht hatte.

Danach traute ich mich nichts mehr sagen. In der Dunkelheit, die nur vom schwachen Schein des Armaturenbretts erhellt wurde, hielt ich mich so gut es ging hinten im Wagen fest. Jedes Mal, wenn wir durch ein überschwemmtes Straßenstück pflügten, krachte das Wasser mit Wucht gegen das Fahrgestell. Um den Lärm zu übertönen, machte mein Vater die Musik im Radio lauter. Das Gesäusel stand in krassem Gegensatz zu dem wütenden Sturm. Ich konnte wirklich nichts anderes hören. Als der Transporter nur wenige Minuten später zur Seite kippte und auf zwei Rädern von der Straße schlitterte, dachte ich zuerst, wir seien vom Blitz getroffen worden. Der Lärm – vom schabenden Metall bis hin zu den splitternden Scheiben – war ohrenbetäubend, als der Wagen aufs Dach kippte und sich wie eine blockierte Trommel bei einer von Dads Waschmaschinen um weitere neunzig Grad drehte.

Der Wagen kam auf der Straße zum Liegen. Das Radio spielte noch immer, aber ich hatte das Gefühl, dass die Welt aus den Fugen geraten war, und Vater rief sofort nach meinem Bruder und mir. Wir waren zwar geschockt und mit Kratzern und blauen Flecken übersät, aber wie durch ein Wunder nicht ernsthaft verletzt. Nacheinander krochen wir aus dem Wrack. Ich kletterte zuletzt durch den verzogenen Rahmen, wo vorher die Windschutzscheibe gewesen war. Dabei fischte ich den Rückspiegel aus den Trümmern, den es aus seiner Verankerung gerissen hatte. Mein Vater streckte die Hand aus, um mir herauszuhelfen. Auf seinem Gesicht konnte ich nur Kratzer und Besorgnis erkennen, während mein Bruder schluchzend hinter ihm stand. Erschüttert bis ins Mark, aber in dem verzweifelten Wunsch, dass alles in Ordnung kommen möge, zeigte ich ihnen den Spiegel und verkündete: »Der macht sich bestimmt super an unserem Gokart.«

Schwere Zeiten

Nach dem Unfall wurde meinem Vater der Führerschein entzogen. Noch unmittelbarer aber war die tiefe Erschütterung unserer Familie, nachdem wir mit einem blauen Auge davongekommen waren. Der Vorfall führte leider zu keiner Annäherung zwischen meinen Eltern, sondern als meine Mutter davon erfuhr, zog sie sofort vor Gericht und machte geltend, dass unser Vater nicht in der Lage sei, für uns zu sorgen. Bis zu jenem Augenblick hatten mein älterer Bruder und ich uns niemals gefragt, ob unser Vater ein Alkoholproblem hatte. Bei der Verhandlung behauptete meine Mutter, dass dies kein Einzelfall gewesen sei. Von da an betrachtete ich meinen Vater mit anderen Augen, wenn er ein Bier trank, was seit dem Führerscheinverlust zu Hause häufiger vorzukommen schien.

Aber es gab noch weitere dringende Gründe, weshalb meine Mutter uns zurückhaben wollte. Kurz nach dem Unfall begann mein Vater eine Beziehung mit einer Frau aus der Schusterwerkstatt im Ort, die schon bald unsere Stiefmutter werden sollte. Meine Mutter war der Ansicht, dass wir dadurch in den Hintergrund gedrängt würden. Wir waren häufig allein, mussten uns selbst etwas zu essen machen und trugen schmutzige Schuluniformen, die von Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurden. Gleichzeitig begann unsere Mutter, die ein Schatten ihrer selbst gewesen war, bei unseren Begegnungen wieder vor Lebenslust zu sprühen. Bald darauf stellte sie mich dem Mann vor, der mein Stiefvater werden sollte. Da er nett zu sein schien und sie zweifellos glücklich machte, sollte es mir recht sein. Die Beziehung entwickelte sich erwartungsgemäß, und die beiden suchten sich sogar eine gemeinsame Wohnung in Penrith. All dies stützte ihre Argumentation, dass ihre Söhne bei ihr besser aufgehoben seien.

Und so gingen mein älterer Bruder und ich zurück zu unserer Mutter. Nachdem die Scheidung rechtskräftig war und Mutter erneut heiratete, hatte es tatsächlich den Anschein, als würde sie ein neues Kapitel in unserem Leben aufschlagen. In gewisser Weise war diese Zeit wie Flitterwochen für uns alle. Wäre ich etwas älter gewesen, hätte ich gewusst, dass alle Flitterwochen irgendwann zu Ende gehen.

Mein Stiefvater behielt seinen Unmut darüber, dass seine neue Frau bereits Kinder mit in die Ehe brachte, nicht lange für sich. Meinem älteren Bruder und mir wurde schnell klar, dass wir dem neuen Vorstand der Familie lästig waren. Anfangs verstummte er jedes Mal, wenn wir auftauchten, als hätten wir ihn unterbrochen, sodass wir uns unbehaglich fühlten. Wenn Mutter zu Hause war, beließ er es dabei, und sie war zu verliebt, um irgendetwas zu merken. Sie arbeitete in einem Restaurant und war oft den ganzen Abend weg, und dadurch verändere sich alles. Wenn wir mit unserem Stiefvater allein waren, bemühte er sich nicht, seine wahren Gefühle zu verbergen. Sofern er uns nicht völlig ausblendete oder vor sich hin murmelte, dass wir ihm im Weg seien, ließ er Schimpftiraden gegen unseren Vater los. Es war, als mache er ihn dafür verantwortlich, dass sein neues Leben mit unserer Mutter mit der Hypothek ihrer Söhne belastet war. Ich konnte es meinem älteren Bruder nicht verübeln, dass er mit sechzehn Jahren die Schule verließ und sagte, er würde ausziehen. Er hatte einen Job in einem Hotel gefunden, wo er auch wohnen konnte. Von nun an war ich allein mit einem Mann, der aus seiner Verachtung für mich keinen Hehl machte.

»Du bist ein nichtsnutziger Bastard, Irving«, sagte er oft, als sei mein Nachname eine Art Fluch.