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Letzte Chance für Wohlstand und Freiheit
Nouriel Roubini prognostizierte die Finanzkrise von 2008. Doch man glaubte ihm erst, als es bereits zu spät war. Umso lauter meldet er sich heute zu Wort: Denn uns droht eine Gefahr, die größer ist als alle bisherigen Wirtschaftskrisen der Geschichte.
Roubini definiert zehn Bedrohungen, die in ihrer Wechselwirkung verheerende Folgen für die globale Wirtschaft haben werden. Von der schlimmsten Schuldenkrise, die die Welt je gesehen hat, über blockierte Grenzen, die Lieferketten zerstören, eine neue Konkurrenz globaler Supermächte bis hin zum Klimawandel, der die bevölkerungsreichsten Städte der Welt bedroht. Jede einzelne dieser Gefahren wäre schon gewaltig, gebündelt aber werden sie zu Megagefahren – Megathreats.
Roubini sieht eine kleine Chance, dass wir das Ruder noch rumreißen können, aber das bedeutet, dass Regierungen weltweit jetzt entschieden handeln müssen. Megathreats betreffen nicht nur die armen Länder der Welt, sondern auch die wohlhabenden, deren Reichtum von sozialer Stabilität abhängig ist ...
Roubinis Fazit: »Der Wandel kommt, ob uns das gefällt oder nicht. Wenn Sie überleben wollen, lassen Sie sich nicht davon überraschen.«
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Seitenzahl: 464
Veröffentlichungsjahr: 2022
Zum Buch:
Letzte Chance für Wohlstand und Freiheit
Nouriel Roubini prognostizierte die Finanzkrise von 2008. Doch man glaubte ihm erst, als es bereits zu spät war. Umso lauter meldet er sich heute zu Wort: Denn uns droht eine Gefahr, die größer ist als alle bisherigen Wirtschaftskrisen der Geschichte.
Roubini definiert zehn Bedrohungen, die in ihrer Wechselwirkung verheerende Folgen für die globale Wirtschaft haben werden. Von der schlimmsten Schuldenkrise, die die Welt je gesehen hat, über blockierte Grenzen, die Lieferketten zerstören, eine neue Konkurrenz globaler Supermächte bis hin zum Klimawandel, der die bevölkerungsreichsten Städte der Welt bedroht. Jede einzelne dieser Gefahren wäre schon gewaltig, gebündelt aber werden sie zu Megagefahren.
Roubini sieht eine kleine Chance, dass wir das Ruder noch rumreißen können, aber das bedeutet, dass Regierungen weltweit jetzt entschieden handeln müssen. Sein Fazit: »Wenn wir überleben wollen, dürfen wir uns nicht von Megathreats überrumpeln lassen.«
Zum Autor:
Nouriel Roubini ist einer der gefragtesten Wirtschaftsexperten unserer Zeit. Der emeritierte Professor der Stern School of Business an der New York University sorgte international für Schlagzeilen, weil er die Finanzkrise von 2008 treffsicher voraussagte. Eine Prognose, die ihm den Spitznamen »Dr. Doom« einbrachte. Roubini war Wirtschaftsberater des Weißen Hauses und des US-Finanzministeriums während der Clinton-Administration. Heute leitet er Roubini Global Economics, ein Unternehmen für Kapitalmarkt- und Wirtschaftsanalysen. Nouriel Roubini lebt in New York City.
Nouriel Roubini
MEGATHREATS
10 Bedrohungen unserer Zukunft – und wie wir sie überleben
Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer
Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel Megathreats bei Little, Brown and Company.
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.
Aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Neubauer
© Nouriel Roubini, 2022
© der deutschsprachigen Ausgabe 2022 Ariston Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Alle Rechte vorbehalten
Redaktion: Jan W. Haas, Berlin
Covergestaltung: wilhelm typo grafisch
Satz: und E-Book Produktion Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-30277-1V003www.ariston-verlag.de
Für meine Eltern Djalil und Rachel und meine Geschwister Niki, Davide und Sabrina
Inhalt
Vorwort
Teil 1: Schulden, Bevölkerung und Risikopolitik
1 Die Mutter aller Schuldenkrisen
2 Staatspleiten, Firmenpleiten
3 Die demografische Zeitbombe
4 Die Falle des billigen Geldes
5 Die Große Stagflation
Teil 2: Finanzen, Handel, Geopolitik, Technik und Umwelt
6 Währungsschmelze und Finanzkrise
7 Das Ende der Globalisierung?
8 Künstliche Intelligenz
9 Der neue Kalte Krieg
10 Ein unbewohnbarer Planet?
Teil 3: Lässt sich die Katastrophe noch abwenden?
11 Finstere Zeiten
12 Eine »utopischere« Zukunft?
Nachwort
Dank
Register
Vorwort
Wir haben täglich mit Risiken zu tun. Viele sind überschaubar, und wenn wir sie falsch einschätzen, hat das kaum Folgen. Wenn Sie 100 Euro in eine Aktie investieren, dann tut es Ihnen nicht weiter weh, wenn Sie einen Teil davon verlieren. Kann ein Risiko jedoch schmerzhafte und bleibende Schäden verursachen, dann sprechen wir von einer Bedrohung. Wenn Sie ein Ferienhaus am Rand einer Klippe kaufen, dann erreicht das Risiko dieses Niveau der Bedrohung. Klimawandel, Stürme und Erosion bedrohen Ihre Investition und womöglich sogar Ihr Leben, wenn Sie tatenlos dabei zusehen, wie sich die Abbruchkante allmählich Ihrem Haus nähert.
Mit unseren Entscheidungen können wir zumindest einen gewissen Einfluss auf unser Schicksal nehmen. Diese Entscheidungen werden allerdings komplizierter, wenn es um kollektive oder gesellschaftliche Risiken geht, die in die Zuständigkeit der Politik fallen. Sollen wir Krieg führen? Soll der Staat eine Branche mit Finanzspritzen retten? Soll die Politik den Kohlendioxidausstoß besteuern, um den Klimawandel zu bremsen? Auf Entscheidungen wie diese haben wir als Einzelne nur sehr bedingt Einfluss, doch die möglichen Konsequenzen für jede und jeden von uns sind gewaltig. Ein Blick auf die Finanzkrise des Jahres 2008 oder den unschlüssigen Umgang mit der Coronapandemie reicht, um zu verstehen, dass schlechte Politik unsere Ersparnisse vernichten und das Leben und die wirtschaftliche Existenz von Millionen von Menschen bedrohen kann. Kollektive Entscheidungen sind deutlich schwieriger als die von Einzelnen. Und manchmal kommt es nicht einmal zu einer Entscheidung, weil sich die Politiker nicht einig werden.
Als Wirtschaftswissenschaftler beschäftige ich mich mit Risiken und deren Konsequenzen. Im Jahr 2006 beobachtete ich die astronomischen Preise auf dem privaten Immobilienmarkt, einen beängstigenden Anstieg der Hypothekenverschuldung und einen Bauboom, bei dem so viel gebaut wurde, dass neue Häuser keine Käufer mehr fanden. Ich warnte, dass diese beispiellose Blase bald platzen und die Welt in eine Rezession und eine Finanzkrise stürzen würde. Damit machte ich mir keine Freunde. Kritiker verspotteten mich als Untergangspropheten »Dr. Doom« und wollten nichts von meiner Forderung nach Gegenmaßnahmen hören. So nahmen die Dinge ihren Lauf. Am Ende stand die Weltfinanzkrise, der Immobilienmarkt der Vereinigten Staaten und einiger anderer Länder kollabierte, und das Finanzsystem und die Weltwirtschaft wurden bis in ihre Grundfesten erschüttert.
Risiken und Bedrohungen lauern überall. Einige entwickeln sich nur langsam, andere sind deutlich gefährlicher als andere. Die größten Bedrohungen ziehen besonders langsam herauf, weshalb es so schwierig ist, Gesellschaft und Politik zu einer Reaktion zu bewegen. In diesem Buch möchte ich die größten Bedrohungen skizzieren, mit denen die Menschheit heute konfrontiert ist. Einige davon könnten uns schon sehr bald treffen, andere erst in etwas fernerer Zukunft. Unter diesen »Megabedrohungen« verstehe ich einschneidende Probleme, die gewaltigen Schaden anrichten und Elend verursachen können und die sich weder einfach noch rasch beseitigen lassen.
Kriege klammere ich in diesem Buch aus, auch wenn sie großes Leid verursachen, wie zuletzt der brutale Einmarsch Russlands in die Ukraine. Kriege sind so alt wie die Menschheit; einige sind regional, andere erfassen die ganze Welt; einige enden rasch, andere ziehen sich über viele Jahre hin. Aber Kriege sind keine neue Bedrohung, und ihre Vermeidung fällt nicht in mein Fachgebiet, auch wenn ich auf den folgenden Seiten geopolitische Megabedrohungen erörtere, die Kriege zwischen den Weltmächten provozieren und Menschen und Wirtschaft stark in Mitleidenschaft ziehen könnten. Als Megabedrohungen bezeichne ich vielmehr übergreifende wirtschaftliche, finanzielle, politische, geopolitische, technische, medizinische und klimatische Herausforderungen. Einige dieser Bedrohungen könnten durchaus einen Kalten Krieg auslösen oder auch zu militärischen Auseinandersetzungen führen. Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich zehn Bedrohungen auf uns zukommen sehe, die so existenziell und dringlich sind, dass wir ihnen mit klarem Blick entgegentreten müssen, um zu verhindern, dass sie uns vernichten.
Gerade in Sachen Wirtschaftskrisen haben wir ein ausgesprochen kurzes Gedächtnis. Von einigen kurzen Unterbrechungen abgesehen, hat die Welt seit Ende des Zweiten Weltkriegs eine lange Phase des Friedens, des wachsenden Wohlstands und der Produktivität erlebt. Das vergangene Dreivierteljahrhundert war eine Zeit der relativen Stabilität. Rezessionen waren, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kurz. Innovationen haben unsere Lebensqualität verbessert. In den meisten Ländern konnte jede neue Generation ihren Lebensstandard gegenüber dem ihrer Eltern und Großeltern verbessern.
Diese lange Phase des relativen Wohlstands neigt sich heute leider dem Ende zu. Die Epoche der Stabilität endet, und eine Zeit der akuten Instabilität, des Konflikts und des Chaos bricht an. Wir sehen uns Bedrohungen gegenüber, wie sie die Menschheit noch nie erlebt hat – und diese Bedrohungen hängen eng miteinander zusammen.
Wir stehen am Rande einer Klippe, und der Boden unter unseren Füßen gibt nach. Trotzdem glauben die meisten Menschen noch immer, dass sich die Zukunft nicht wesentlich von der Vergangenheit unterscheiden wird. Das ist ein folgenschwerer Irrtum. Die Warnsignale sind klar und unmissverständlich. Wirtschaftliche, technische, politische, geopolitische, gesundheitliche und Umweltgefahren haben sich zu etwas viel Größerem aufgeschaukelt und werden die Welt bis zur Unkenntlichkeit verändern. Willkommen im Zeitalter der Megabedrohungen.
Wir müssen lernen, in Alarmbereitschaft zu leben. Die wirtschaftlichen und geopolitischen Gewissheiten von einst – Arbeitsplatzsicherheit, eine intakte Umwelt, der Sieg der Menschheit über Infektionskrankheiten, der Frieden zwischen den Großmächten – lösen sich in Luft auf. Die Nachkriegsjahrzehnte des Wirtschaftswachstums und Wohlstands, die nur von vorübergehenden Phasen der Inflation und Rezessionen unterbrochen wurden, gehen zu Ende, und es drohen Wirtschafts- und Finanzkrisen, wie sie die Menschheit seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre nicht mehr erlebt hat. Diese Krisen werden noch verschärft durch den Klimawandel, den demografischen Kollaps, die nationalistische Mobilmachung gegen Welthandel und Migration, den globalen Konkurrenzkampf zwischen China (und seinen De-facto-Verbündeten Russland, Iran und Nordkorea) und dem Westen sowie eine technische Revolution, die in kürzerer Zeit mehr Arbeitsplätze vernichten wird als jede andere vor ihr.
Dieses Buch beschreibt die zehn größten Bedrohungen, die auf uns zukommen. In dieser Zusammenstellung wird sichtbar, wie sie sich überschneiden und gegenseitig verstärken. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Schuldenbergen und Schuldenfallen, billigem Geld und Finanzkrisen, künstlicher Intelligenz und Arbeitsplatzverlust, Entglobalisierung, geopolitischen Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten, Inflation und Rezession, Währungskrisen, Ungleichverteilung und Populismus, globalen Pandemien und Klimawandel. Jede dieser Krisen behindert uns bei der Bekämpfung der anderen. Eine einzige dieser Bedrohungen wäre schon schlimm genug. Zehn Megabedrohungen gleichzeitig sind eine ganz andere Dimension.
In der Folge analysiere ich jede Bedrohung in einem eigenen Kapitel und bewerte dann unsere kollektiven Aussichten, heil aus ihnen herauszukommen. Um es vorwegzunehmen: Ohne großes Glück, beispielloses Wirtschaftswachstum und unwahrscheinliche globale Kooperation wird dies kein gutes Ende nehmen. Zu tief stecken wir im Schlamassel.
Wir haben unser Schicksal selbst in der Hand. Viele der hier beschriebenen Megagefahren haben sich aus politischen Entscheidungen ergeben, die eigentlich als Lösung für konkrete Probleme gedacht waren: fehlgeleitete Deregulierung der Finanzmärkte, unkonventionelle makroökonomische Politik, auf Kohlendioxidemissionen basierende Industrialisierung, Produktionsverlagerung ins Ausland, die Entwicklung der künstlichen Intelligenz oder die Förderung Chinas auf dessen Weg zu einer international konkurrenzfähigen Macht, um nur einige zu nennen.
Wenn wir die hier erörterten Megabedrohungen bewältigen wollen, müssen wir uns von einigen lieb gewonnenen Annahmen verabschieden. Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass in der Industrie wegrationalisierte Stellen durch neue und bessere Arbeitsplätze in anderen Sektoren ersetzt werden, wie dies früher so oft der Fall war. Wir können nicht erwarten, dass Steuersenkungen, Liberalisierung des Handels und Deregulierung wirtschaftliche Kräfte freisetzen, die für alle Menschen gleichermaßen von Vorteil sind. Unser Überleben könnte vielmehr davon abhängen, die Freiheit des Einzelnen dem nationalen und globalen Gemeinwohl unterzuordnen. Wenn wir nicht zu nachhaltigem Wachstum für alle finden, dann laufen wir Gefahr, in ein finsteres Zeitalter der Stammeskriege zurückzufallen, in dem widerstreitende Interessen endlose nationale und internationale Konflikte schürten und nur Verlierer zurückblieben.
Dieses Buch nimmt zwar eine mittelfristige Sicht ein und beschäftigt sich mit Megagefahren, die in den kommenden zwei Jahrzehnten unsere Zukunft bedrohen, doch die ersten dunklen Wolken zogen schon 2022 auf: Die Rückkehr der Inflation in den Industrienationen und die zunehmende Gefahr einer wirtschaftlichen Rezession ließen eine »Stagflation«, die Kombination dieser beiden Phänomene, wahrscheinlicher werden; die Anhebung der Leitzinsen durch die Zentralbanken vergrößerte die Instabilität der Finanzmärkte und die Gefahr des Bankrotts hoch verschuldeter Länder und Unternehmen; das Ende des billigen Geldes führte zu einer Baisse am globalen Aktienmarkt und ließ zahlreiche Spekulationsblasen platzen, darunter die Kryptowährungen; die Maßnahmen zur Einschränkung der Globalisierung fragmentierten die Weltwirtschaft; der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine barg die Gefahr einer räumlichen Ausweitung des Konflikts und des Einsatzes atomarer, biologischer oder chemischer Waffen; ein Kalter Krieg zwischen dem Westen und China (und seinen De-facto-Verbündeten Russland, Iran und Nordkorea) warf seine Schatten voraus, der Taiwankonflikt spitzte sich zu; beispiellose Hitzewellen und Dürren in Indien, Pakistan, dem südlichen Afrika, dem Westen Nordamerikas und in Europa zeugten von einer Verschärfung des Klimawandels; die Abschwächung des chinesischen Wirtschaftswachstums und die verfehlte Null-Covid-Strategie Chinas ließen eine harte Landung befürchten; die weltweite Pandemie, die gerade in ärmeren Ländern noch immer nicht unter Kontrolle ist, drohte weitere Virusvarianten hervorzubringen; und der rasante Preisanstieg bei Lebensmitteln, Energie und Rohstoffen barg die Gefahr von Energieknappheit und Hunger. Diese unheilvollen Zeichen sind die Vorboten einer sehr viel schlechteren und gefährlicheren Zukunft und von Megabedrohungen, die in den nächsten beiden Jahrzehnten auf uns zukommen. Nicht umsonst warnte Kristalina Georgiewa, Direktorin des stets wachsamen Internationalen Währungsfonds, im Frühjahr 20 die Weltwirtschaft stehe am Rande »ihrer vielleicht größten Prüfung seit dem Zweiten Weltkrieg« und es drohe »ein mögliches Zusammentreffen von Katastrophen«.1
Ich würde viel lieber optimistischer in die Zukunft blicken und vorhersagen, dass sich die Aktienmärkte erholen, die Gewinne anziehen, die Einkommen steigen, neue Arbeitsplätze entstehen, die Volkswirtschaften gedeihen, die Demokratie weltweit erstarkt, das Wachstum nachhaltig und gerecht wird und globale und faire Abkommen geschlossen werden, an die sich alle halten. Leider kann ich das nicht. Die Megabedrohungen werden unsere Welt verändern, ob uns das gefällt oder nicht. Wenn wir überleben wollen, dürfen wir uns nicht von ihnen überrumpeln lassen.
Teil 1
Schulden, Bevölkerung und Risikopolitik
Kapitel 1 Die Mutter aller Schuldenkrisen
Seit vier Jahrzehnten beschäftige ich mich mit Schuldenkrisen und deren Bekämpfung, und zwar nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als Wirtschaftsberater der US-Regierung. Einige Krisen blieben auf eine Region begrenzt, andere erfassten die gesamte Weltwirtschaft. Manche hinterließen kaum Spuren, andere vernichteten ganze Wirtschaftssektoren und viele Millionen Existenzen. Niemand kann so tun, als hätte er oder sie alle Antworten auf ein derart komplexes Problem wie die Gestaltung der Wirtschaftspolitik parat, doch so viel weiß ich inzwischen: Erfahrung ist kein guter Lehrmeister. Unbeirrt machen wir immer wieder dieselben Fehler. Ein ums andere Mal lassen wir zu, dass sich unter dem Einfluss des Überschwangs und einer Politik des billigen Geldes Spekulationsblasen aufblähen, und ein ums andere Mal platzen diese Blasen. Der Road Runner aus der Zeichentrickserie kann eine in einem Geschenk versteckte Stange Dynamit erschnüffeln – warum schaffen wir das nicht? Egal ob die hübsche Verpackung schuld ist oder die menschliche Natur: Die schlimmste Schuldenkrise aller Zeiten liegt direkt vor uns, so als hätten wir sämtliche ihrer Vorgänger vergessen.
Ein Land, das aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben sollte, ist Argentinien. Im Jahr 2020 erlebte das Land seinen vierten Staatsbankrott seit 19 den neunten seiner Geschichte. Im August 2020 verkündete das Finanzministerium des Landes die Einigung mit seinen erschöpften Gläubigern. Wenige Stunden bevor die drittgrößte Volkswirtschaft Südamerikas zahlungsunfähig gewesen wäre, einigten sie sich auf eine Umschuldung und einen Schuldenschnitt.
In hoch verschuldeten Ländern stirbt die Hoffnung nie. »Ich hoffe, dass wir niemals wieder in dieses Schuldenlabyrinth geraten«, erklärte der argentinische Präsident Alberto Fernandez seinerzeit. Er versprach, die Verschuldung des Landes über das kommende Jahrzehnt hinweg zu halbieren, und erklärte, seine Regierung werde alles unternehmen, um die schlingernde Wirtschaft auf Kurs zu bringen. Er dankte den Gouverneuren und Abgeordneten, die ihn unterstützten, Papst Franziskus und den politischen Führern von Mexiko, Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien: »Es war nicht einfach, aber wir Argentinier verstehen uns darauf, wieder aufzustehen, wenn wir gestrauchelt sind.«2
Es war die Art von Beteuerung, wie sie Politiker in schwierigen Zeiten gern von sich geben. Doch Argentinien ist weit davon entfernt, die aktuelle Krise überstanden zu haben, genau wie der Rest der Welt. Der argentinische Staat steht mit 300 Milliarden Dollar in der Kreide, einer Summe, die fast der gesamten wirtschaftlichen Produktion des Landes im Jahr 2020 entspricht. Während und nach der Coronakrise wurde es von der Inflation gebeutelt, für 2022 wird eine Inflationsrate von fast mehr als 50 Prozent erwartet.
Der Rest der Welt wird Argentinien immer ähnlicher. Die Staatsverschuldung, aber auch die Verschuldung von Unternehmen, Banken und Privatpersonen drohte schon vor der Pandemie außer Kontrolle zu geraten. So zum Beispiel in den Vereinigten Staaten. Das gigantische Hilfspaket der Biden-Regierung von 1,9 Billionen Dollar und die beiden Pakete der Trump-Regierung ließen den staatlichen Schuldenberg seit 2019 um 4,5 Billionen Dollar anschwellen. In der Washington Post bezeichnete der frühere Finanzminister Lawrence Summers 2021 das Biden-Paket als »kühnsten Akt der makroökonomischen Stabilisierungspolitik in der Geschichte der Vereinigten Staaten«, warnte jedoch hellsichtig, ein Konjunkturpaket in dieser exorbitanten Höhe werde zu einer Überhitzung der Wirtschaft und einem Anstieg der Inflation führen.3 Prompt plante die Biden-Regierung ein weiteres 3 bis 4 Billionen Dollar schweres Hilfspaket für Infrastrukturmaßnahmen und Soziales, das nur zum Teil durch Steuereinnahmen finanziert werden würde. Zum Glück konnte dieses Paket nur zum Teil verabschiedet werden.
Mit den Reaktionen auf die Coronapandemie war jegliche Haushaltsdisziplin vergessen, und zwar bei Parteien des gesamten politischen Spektrums. »In Europa erreichen die Schulden das höchste Niveau seit dem Zweiten Weltkrieg«, schrieb die New York Times im Februar 2021.4 In vielen europäischen Ländern wachsen die Schuldenberge so rasch, dass sie inzwischen das Bruttoinlandsprodukt übersteigen.
Laut Daten des Institute of International Finance beliefen sich die privaten und staatlichen Schulden Ende 2021 auf über 350 Prozent der jährlichen globalen Wirtschaftsleistung. Sie sind seit Jahrzehnten im Steigen begriffen (1999 waren es noch 220 Prozent), doch mit der Coronakrise erlebten sie einen sprunghaften Anstieg.5 Das heutige Schuldenniveau ist der absolute Höchststand, sowohl in Industrie- als auch in Schwellenländern. In den Vereinigten Staaten ist das Bild ähnlich. Das Verhältnis von Verschuldung zu Wirtschaftsleistung ist deutlich schlechter als auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre und mehr als doppelt so hoch wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Vereinigten Staaten in eine robuste Phase des Wachstums eintraten.
Dieser rasante Anstieg veranlasste das Institute of International Finance, das die globale Verschuldung beobachtet, zu einer simplen Warnung: »Wenn der Schuldenberg weltweit mit derselben Durchschnittsgeschwindigkeit weiterwächst wie in den vergangenen 15 Jahren, dann gehen wir davon aus, dass die internationale Verschuldung 2030 die Marke von 360 Billionen Dollar überschreitet und damit um 85 Billionen Dollar über der heutigen liegt.«6Somit würde die Verschuldung das Vierfache der jährlichen Wirtschaftsleistung betragen – bei dieser Größenordnung werden die gewaltigen Kosten des Schuldendienstes jegliches Wirtschaftswachstum ersticken.
Nachhaltiges Wirtschaften verlangt eine bezahlbare Verschuldung, die das Wachstum nicht abwürgt. Gesund ist eine Verschuldung dann, wenn ein Land in der Lage ist, während einer Rezession neue Schulden aufzunehmen (um die Konjunktur zu beleben) und sie wieder zurückzuzahlen, wenn die Konjunktur wieder an Fahrt aufnimmt. Ungesund ist eine Verschuldung dagegen, wenn ein Land keine realistische Chance hat, sie wieder abzutragen. Wenn in dieser Situation eine Schuldenkrise zuschlägt, können Länder, Regionen und sogar die ganze Welt in eine schwere Rezession stürzen, die ihre gesamte Wirtschaft zurückwirft. Die harten Gegenmittel – zum Beispiel eine Abwertung der Landeswährung oder Einschnitte bei den sozialen Leistungen – haben oft alle möglichen unbeabsichtigten Nebenwirkungen, zum Beispiel den Kollaps von Märkten, den Aufstieg autoritärer Populisten und sogar den heimlichen Verkauf von Raketen- und Atomtechnologie an den meistbietenden Schurken.7
»Seit 2016 ist die globale Verschuldung mit beispielloser Geschwindigkeit gestiegen«, warnte das Institute of International Finance im November 2020 in einem Bericht im Weekly Insight. Mit anderen Worten war die Krise schon damals im Anmarsch. Die Pandemie hat sie lediglich beschleunigt.8
Auch wenn das Schuldenniveau in Industrienationen höher ist, geraten Schwellenländer deutlich schneller in Schwierigkeiten. Im Vergleich zu anderen Schwellenländern steht Argentinien nicht einmal sonderlich tief in der Kreide. Die private Verschuldung liegt bei etwa einem Drittel des jährlichen Bruttoinlandsprodukts und ist damit relativ gesund. Doch Schulden in Fremdwährungen erschweren die Rückzahlung internationaler Kredite. Argentinien hatte seinen Peso an den US-Dollar gekoppelt, und als im Jahr 2001 die Wirtschaft des Landes einbrach, während die Konjunktur in den Vereinigten Staaten stark blieb, kollabierte die Währung, und Argentinien war nicht mehr in der Lage, seine Auslandsschulden zu bedienen. Heute droht dem Land erneut eine Schuldenkrise. In Industrienationen erreicht das Schuldenniveau mittlerweile schwindelerregende Höhen von bis zu 420 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, Tendenz weiter steigend. Der kommende Tsunami wird auch China nicht verschonen, das mit seinem Wachstum auf Pump ein wahres Schulden-Himalaja von rund 330 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angehäuft hat.
Es stimmt zwar, dass wir seit Jahrzehnten und Jahrhunderten immer neue Finanzblasen und Wirtschaftskrisen erleben. Wie bereits erwähnt, habe ich in den vergangenen vier Jahrzehnten zahlreiche Schuldenkrisen erlebt, und von jeder haben sich die betroffenen Volkswirtschaften wieder erholt. Doch wer annimmt, dass Krisen immer kommen und gehen werden und schlimmstenfalls ein paar Narben zurückbleiben, hat sich diesmal geirrt. Wir haben Neuland betreten. Vor dem Hintergrund des weltweit stagnierenden Einkommens schulden Staaten, Unternehmen, Banken und Haushalte mehr, als sie in den meisten realistischen Szenarien zurückzahlen können. Schulden, die bei Null- und Negativzinsen beherrschbar waren, werden es künftig nicht mehr sein, da die Zentralbanken ihre Leitzinsen nun anheben müssen, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Diesmal rasen wir auf einen Kipppunkt zu, der eine Wende im Leben von Gläubigern und Schuldnern bedeutet, egal ob staatlich oder privat, ob besonnen oder verschwenderisch. Die Mutter aller Schuldenkrisen könnte uns in diesem oder im kommenden Jahrzehnt treffen.
*
Das aktuelle Dilemma weckt ungute Erinnerungen. Im Frühjahr 2006 war der Immobiliensektor der Vereinigten Staaten wie im Rausch. Private Immobilien gingen weg wie warme Semmeln, und wer auf eigenen Beinen in eine Bank gehen konnte, galt schon als kreditwürdig. Häuser wurden in der Annahme gekauft, dass die steigenden Preise auch diejenigen Kreditnehmer retten würden, die sich verhoben hatten. In meinen Augen war das eine Blase, und das sagte ich auch so.
In jenem Jahr nahm ich in Las Vegas an einer Konferenz über hypothekenbesicherte Wertpapiere teil. Die brandgefährlichen Ramschhypotheken waren nicht zu übersehen. Meine Untersuchungen zeigten, dass günstige Kredite und laxe Anforderungen eine Immobilienblase nährten. Nach der Konferenz mietete ich mir ein Auto und fuhr ins Death Valley, das so heißt, weil hier anderthalb Jahrhunderte zuvor Goldgräber zu Dutzenden in der sengenden Sonne gestorben waren. Unterwegs kam ich durch ein von Menschen gemachtes Tal des Todes, das meine Besorgnis angesichts der Verschuldung bestätigte.
Die Ausfallstraße aus Las Vegas führte mitten durch eine nagelneue Wohnsiedlung. Ein neues Einfamilienhaus reihte sich an das andere, und alle standen sie leer. Hier lebte keine Menschenseele. In den Fenstern brannte kein Licht. In den Einfahrten standen keine Autos. Die »Siedlung« war nichts als das bleiche Skelett der Gemeinschaft, die sich die Bauherren vielleicht vorgestellt hatten. Rücksichtslose Gier hatte diese Immobilienblase aufgebläht – dieselbe Gier, aus der die beiden Protagonisten in Erich von Stroheims gleichnamigem Stummfilmklassiker einander im Death Valley erschlagen.
Obwohl es eindeutige Hinweise darauf gab, dass die Immobilienblase Schuldner und Gläubiger gleichermaßen in Gefahr brachte, zerstreuten sogenannte Experten sämtliche Bedenken. Einige Monate später, auf einer Konferenz des Internationalen Währungsfonds, rührte ich ein weiteres Mal die Alarmtrommel.
Beim Ölpreis waren leichte Ausschläge erkennbar, die Immobilienpreise gaben nach, doch noch war die Lage nicht dramatisch. Trotzdem warnte ich, dass nach dem Platzen der Immobilienblase eine Finanzkrise auf uns zukommen werde. Eine Welle der Zahlungsausfälle bei den Hypothekenkrediten würde die Banken und Anleger treffen, die in die Versicherungen der riskanten Anleihen investiert hatten. Die Experten verließen sich auf die Bewertungen der führenden Rating-Agenturen, die in Interessenkonflikten gefangen waren, doch ich rechnete mit Abermilliarden Dollar Verluste für Hedgefonds, Investmentbanken, Kreditgeber, Geldinstitute und verblüffte Hausbesitzer.
Die Zuhörer spendeten höflichen Applaus. Der Moderator des Forums meinte, »Ich glaube, wir brauchen jetzt alle erst mal einen Schnaps«, und hatte damit die Lacher des skeptischen Publikums auf seiner Seite. Mein Nachredner warf mir vor, in meinen Prognosen keine mathematischen Modelle verwendet zu haben, und verwarf meine Prognosen als bloße Mutmaßungen eines ewigen Schwarzmalers.
Im Februar 2007 hatte ich ein weiteres Mal Gelegenheit, meine Sorgen zum Ausdruck zu bringen, diesmal in einer Diskussionsrunde des Weltwirtschaftsforums in Davos. Die meisten der Anwesenden verschlossen nach wie vor die Augen vor der Realität. Der amerikanischen Notenbankchef Ben Bernanke hatte davon gesprochen, dass auf dem Immobilienmarkt eine Korrektur fällig sei, doch er hatte ausgeschlossen, dass diese auf andere Sektoren übergreifen werde. Er erwarte keine Finanzkrise und schon gar keine systemische Gefahr für das gesamte Finanzwesen. Ich widersprach höflich und warnte, wir sollten uns auf eine holprige Wegstrecke und eine internationale Finanzkrise einstellen. Soweit ich das beurteilen konnte, machte ich kaum Eindruck. Stattdessen gab ich meinen Kritikern neuen Anlass, mich als Dr. Doom zu schmähen.
Die Reaktion bestätigte, dass selbst führende Experten in Davos die Probleme oft erst erkennen, wenn es schon zu spät ist. Es handelt sich um eine klassische kognitive Verzerrung: Die meisten Menschen wollen sich das Schlimmste lieber nicht vorstellen. Wir sind geborene Optimisten. Ich persönlich glaube, dass der Geist von Davos Jahr für Jahr das Gegenteil dessen anzeigt, was wirklich passieren wird. Wenn alle Teilnehmer des Forums der Ansicht sind, dass etwas eintreten wird – egal ob gut oder schlecht –, dann liegen sie mit großer Wahrscheinlichkeit falsch.
Die Eliten der Welt werden oft vom Gruppendenken beherrscht. Auf derselben Veranstaltung hatte ich ein weiteres Mal Gelegenheit, meine unbequeme Sicht der Dinge zum Ausdruck zu bringen. Auf meinem zweiten Vortrag in Davos beschrieb ich die Zukunft der europäischen Währungsunion mit Blick auf ihre Risiken. Die beiden anderen Redner des Forums, der damalige Zentralbankchef Claude Trichet und der italienische Finanzminister Giulio Tremonti, äußerten ihr Vertrauen in die Stabilität und Nachhaltigkeit der Währungsunion. Meine Einschätzung fiel nicht ganz so zuversichtlich aus. Ich unterstrich die große Gefahr, dass sich einige Mitglieder der Union überschulden und ihre Konkurrenzfähigkeit verlieren könnten und dass die Eurozone daran zerbrechen könnte.
Bei anhaltend schwachem Wachstum und wachsenden Haushaltsdefiziten würden Italien, Griechenland, Spanien und Portugal bis Ende des Jahrzehnts in eine verheerende Schuldenkrise stürzen, warnte ich. Der italienische Finanzminister war über meine Ausführungen sichtlich verärgert. Da ich als jemand vorgestellt worden war, der eine amerikanische Sicht in die Diskussion einbringen werde, klärte ich die Zuhörer auf, dass ich in der Türkei zur Welt gekommen und in Mailand aufgewachsen war. Und nun erklärte ich dem italienischen Finanzminister, dass meine zweite Heimat früher oder später vor dem finanziellen Kollaps stand. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus. »Roubini!«, rief er. »Gehen Sie zurück in die Türkei!« Die Zeitungen sprachen später von »Tremontis Wutausbruch«.
Drei Jahre später war Griechenland pleite, und Portugal, Italien, Irland und Spanien versanken in schweren Finanzkrisen. Es sollten noch zwei weitere Jahre vergehen, ehe sich Griechenland zu einer harten Sparpolitik durchrang und ein Rettungspaket von zunächst 110 Milliarden Euro von der Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Weltwährungsfonds erhielt.
Griechenland überlebte die Krise nur knapp – doch das war erst der Anfang. Die Schulden des italienischen Staats waren zehnmal so hoch – zu viel für eine Pleite, aber auch zu viel für einen Rettungsschirm. Ohne Griechenland konnte die Eurozone überleben, doch mit dem Verlust von Italien, ihrer drittgrößten Volkswirtschaft, hätten die Vordenker der Eurozone die Gemeinschaftswährung begraben können.
Die Weltfinanzkrise von 2007/08 hatte in den Vereinigten Staaten ihren Ausgang genommen, befeuert durch eine Überschuldung der Verbraucher. Immobilienbesitzer konnten ihre Kredite nicht mehr bedienen, Banken waren zahlungsunfähig, der Aktienmarkt brach ein, Vermögen lösten sich in Luft auf, Kreditgeber drehten den Geldhahn zu, Unternehmen machten dicht, Arbeitsplätze wurden vernichtet. Notenbanker konferierten mit Finanzpolitikern und Bankern, um das Gemetzel zu stoppen.
Niemand freut sich über derart gewaltige Verwerfungen und das damit einhergehende Leid. Ich verspürte nicht die geringste Genugtuung darüber, dass meine Prognosen eintraten. Die Kollegen, die mich 2006 zu einem Vortrag vor dem Internationalen Währungsfonds eingeladen hatten, hielten mich für einen Spinner. Als ich zwei Jahre später wieder dort sprach, befand sich der Immobilienmarkt in den Vereinigten Staaten im freien Fall, Banken standen vor dem Bankrott, und ich wurde als Prophet begrüßt.
Man sollte meinen, dass wir aus diesem Chaos gelernt haben. Doch das Leben auf Pump ist einfach zu verführerisch.
*
Staaten, Unternehmen und private Haushalte nehmen Kredite auf, um damit Investitionen oder ihren Verbrauch zu finanzieren. Öffentliche oder private Investitionen zahlen für Dinge, die weit in die Zukunft reichen. Staaten finanzieren mit dem geliehenen Geld Häfen, Straßen, Brücken und andere Infrastruktureinrichtungen; privatwirtschaftliche Unternehmen kaufen Maschinen, Software oder Computer, um Waren zu produzieren oder Dienstleistungen bereitzustellen; und private Haushalte investieren in Eigenheime und Bildung. Investition auf Kredit kann sinnvoll sein, solange der Ertrag der Investition höher ist als ihr Preis. Bei Konsum auf Pump wird das geliehene Geld dagegen verwendet, um laufende Kosten zu bestreiten, die eigentlich aus dem Einkommen bezahlt werden sollten.
Die Erfahrung lehrt eine goldene Regel: Wenn du dir Geld leihst, dann um zu investieren, nicht um zu konsumieren. Konsum auf Pump ist grundsätzlich riskanter als Investition auf Pump. Wer auf Kredit Haushaltslöcher stopft, überflüssige Dinge anschafft oder in Urlaub fährt, begibt sich auf einen abschüssigen Weg, der leicht im Konkurs endet.
Aber auch der Kauf von überteuerten Vermögenswerten auf Kredit birgt ein großes Risiko. Nichts bläht eine Blase schneller auf als billiges Geld, das den Markt überflutet. Wenn beispielsweise ein Unternehmen unüberlegt Milliardenkredite in den Ausbau eines Glasfasernetzes steckt, während die Preise dafür auf dem Höhepunkt stehen, dann kann es sich zwar einreden, dass es in die Zukunft investiert. Doch wenn die Rückzahlung des Kredits nicht über absehbare Einkünfte gedeckt ist, dann können diese Investitionen teuer werden oder gar die Pleite bedeuten. Wie viele Unternehmen während des Glasfaserbooms erleben mussten, führt die stark gehebelte Investition in überbewertete Anlagen erst zu einem Boom, dann zu einer Blase und schließlich zum großen Knall.
Dieses Boom-and-Bust-Muster ist spätestens seit der Veröffentlichung von Zeichen und Wunder im Jahr 1841 bestens bekannt. In diesem Buch »aus den Annalen des Wahns«beschrieb der schottische Autor Charles Mackay die menschliche Neigung, dem schnellen Geld hinterherzujagen, beginnend mit einer Spekulation mit Tulpenzwiebeln, die im Holland des 17. Jahrhunderts so teuer wurden wie Häuser.
Schulden- und Finanzkrisen treffen nicht nur krisenanfällige Schwellenländer. Die Geschichte der jüngsten Jahrzehnte ist voller solcher Krisen auch in wohlhabenden Industrienationen. Wenn das Urteilsvermögen der Anleger getrübt ist, ist billiges Geld wie ein Aufputschmittel.
Es beginnt immer mit den besten Absichten. Als die Nixon-Regierung 1971 die Goldbindung des Dollars aufgab und den Kurs der US-amerikanischen Währung der Nachfrage des Marktes überließ, gestattete ihr dies die Finanzierung der größeren Haushalts- und Handelsdefizite infolge des Vietnamkriegs. Die Goldbindung war nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt worden, um die Stabilität der Währung zu gewährleisten. Nixons Entscheidung hatte kurzfristige Vorteile, doch langfristig barg sie große Risiken. In den fünf Jahrzehnten, die seither vergangen sind, erlebten Industrienationen (von Schwellenländern gar nicht zu reden) lähmende Schwankungen: die Rezession und Inflation der 1970er, die amerikanische Savings-and-Loan-Krise der 1980er, die skandinavische Bankenkrise Anfang der 1990er, die Krise des Europäischen Währungssystems 19 die japanische Immobilienkrise der 1990er und die nachfolgende Rezession und Deflation, die Pleite des Hedgefonds Long-Term Capital Management und die Dotcom-Krise im Jahr 20 die Hypothekenkrise in den Vereinigten Staaten, die 2007 zu einer Weltfinanzkrise führte, die Krise der Eurozone Anfang der 2010er-Jahre und natürlich die Coronakrise des Jahres 2020. Und jeder dieser Zyklen ließ die staatliche und private Verschuldung weiter steigen.
Meine erste Erfahrung mit Schuldenkrisen machte ich 1984 während eines Praktikums beim Internationalen Währungsfonds. Viele lateinamerikanische Länder hatten während eines Ölbooms ihre Staatsausgaben erhöht und gewaltige Summen in die Modernisierung ihrer Infrastruktur investiert, und nun ächzten sie unter der Schuldenlast. In London und New York spielte das Musical Evita, das auf dem Leben der argentinischen Diktatorengattin Eva Perón basierte, vor ausverkauften Häusern. Im wirklichen Leben stand Argentinien im Mittelpunkt einer Schuldenkrise, die zwar 1982 begann, ihre Ursache jedoch in der Überschuldung lateinamerikanischer Staaten in den 1970er-Jahren hatte.
Nach den Ölpreisschocks von 1973 und 1979 war Rohöl teuer, und Experten gingen davon aus, dass die Nachfrage weltweit immer weiter steigen würde. Da ausländische Investoren den lateinamerikanischen Währungen misstrauten, nahmen die neuen Ölförderländer (und einige andere) Kredite in der sichersten Währung der Welt auf, dem US-Dollar, um die stark gestiegenen Staatsausgaben und Investitionen zu finanzieren. Eine Anleihe in der Landeswährung könnte durch Abwertung oder Inflation über Nacht nichts mehr wert sein. Ein Dollar war jedoch immer einen Dollar wert. Solange das Öl gute Erträge brachte, profitierten alle. Bis 1980 überstiegen die Öleinnahmen die steigenden Kosten des Schuldendienstes. In diesem freundlichen Klima wuschen Gläubiger und Schuldner einander den Pelz und machten sich nicht nass.
Doch 1980 stiegen die Zinsen in den zweistelligen Bereich, weil der amerikanische Notenbankchef Paul Volcker auf diese Weise die durch die steigenden Ölpreise befeuerte Inflation eindämmen wollte. Die Ratenzahlungen für die Auslandskredite überstiegen bald die Exporteinnahmen. Um ihre Kredite zu bedienen, mussten die Schwellenländer ihre Dollarreserven anzapfen. Auf der Suche nach neuen Dollars für ihre Gläubiger rangen Argentinien, Mexiko, Brasilien und andere lateinamerikanische Ölförderländer um Lösungen, und dazu gehörten immer neue Kredite.
Als der Ölpreis 1982 einbrach – die Vereinigten Staaten befanden sich in einer tiefen Rezession –, war das Spiel aus. Die Ölwirtschaft stagnierte, die OPEC-Staaten häuften Defizite an und konnten ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Finanzministerien in aller Welt, vor allem in Lateinamerika, suchten händeringend nach Dollars, um ihre Auslandskredite zu bedienen. Die Dollarzinsen stiegen weiter. Als Kredite fällig wurden, mussten Länder ohne Geld und Zugang zu frischem Kapital den Offenbarungseid leisten. Eine Pleite folgte auf die nächste. Banken erlitten herbe Verluste. Der internationale Geldmarkt wankte. Der Internationale Währungsfonds, der zur Beilegung von Krisen dieser Art gegründet worden war, schritt mit Notkrediten ein. Diese Schuldenkrise war harmlos im Vergleich zur Finanzkrise von 2008 und unserer bevorstehenden Megabedrohung, doch für Lateinamerika war sie verheerend.
Während der gesamten 1980er-Jahre kam das Wirtschaftswachstum in der Region zum Erliegen. In Argentinien herrschte Hyperinflation mit zweistelligen Inflationsraten. Erst in den 1990er-Jahren kehrte wieder relative Stabilität zurück, als die Schuldner ihre Kredite umschulden und Geld zu günstigeren Zinsen aufnehmen konnten.
Die lateinamerikanischen Staaten schlossen einen bangen Frieden mit ihren Gläubigern. Nach einer kurzen Atempause und der »Tequilakrise« in Mexiko 1994/95 durchlief Ostasien 1997/98 eine Schuldenkrise ganz neuer Art. Vier eigentlich gesunde Volkswirtschaften erlitten Schiffbruch. Die Krise erwischte die meisten Analysten auf dem falschen Fuß, weil Krisen in Schwellenländern üblicherweise nach dem lateinamerikanischen Muster abliefen: Nach einem Anstieg der Staatsverschuldung bricht plötzlich die Nachfrage nach einem entscheidenden Exportgut ein.
In Ostasien waren Haushaltsdefizite und Staatsverschuldung jedoch überschaubar. Die Länder hatten ihre Auslandsverpflichtungen im Griff und schienen alles richtig zu machen, die Politik agierte besonnen, und die Sparquote war hoch. Die sogenannten asiatischen Tigerstaaten Südkorea, Malaysia, Indonesien und Thailand galten als Vorbild des wirtschaftlichen Wandels. Sie bauten einen Kader von global agierenden, dynamischen Unternehmen auf – doch diese Unternehmen finanzierten ihre Expansion mit gewaltigen Krediten, die sie oft in Fremdwährungen aufnahmen. Die private Verschuldung kann mindestens genauso verheerend wirken wie die staatliche.
Damals beobachtete ich die private und staatliche Verschuldung in aller Welt. Als Professor an der Universität Yale richtete ich eine Website ein, auf der ich aktuelle Entwicklungen verfolgte und Analysen für Tausende Wirtschaftswissenschaftler, Unternehmen und Investoren bereitstellte. Wie jedermann sehen konnte, waren die ostasiatischen Staaten alles andere als leichtfertige Kreditnehmer, doch mit ihren ehrgeizigen Wachstumszielen brachten sie gesunde Unternehmen, Banken und Immobilienunternehmen dazu, große Risiken einzugehen und unter anderem Unternehmen aufzukaufen, die am Rande der Pleite standen.
Zur Finanzierung ihrer Expansion wandten sich die Privatunternehmen an ausländische Geldgeber. Sie schulterten überbewertete Anlagen, meist Immobilien und Unternehmen. Diese erwirtschafteten zwar Einnahmen in Landeswährung, doch die Rückzahlung der Kredite musste in US-Dollar oder Yen erfolgen. Das wurde vielen dieser spekulativen Investitionen zum Verhängnis und riss nicht nur die asiatischen Tigerstaaten in den Abgrund, sondern auch internationale Banken und Anleger.
Um ihre Exporteinnahmen zu steigern, waren die Tigerstaaten gezwungen, ihre überbewerteten Währungen deutlich abzuwerten, um die Kosten für ihre Exportgüter zu senken und diese wettbewerbsfähiger zu machen. Damit begann eine Abwärtsspirale, und es wurden immer größere Summen in Landeswährung benötigt, um die Schulden in US-Dollar oder Yen zu begleichen. Die realen Kosten der Auslandsschulden explodierten weit über die eigentlichen Zinskosten hinaus. Kreditnehmer gingen pleite und rissen die Kreditgeber mit in den Abgrund. Die Probleme der Privatwirtschaft griffen schließlich auf den Staat über, weil dieser immer tiefer in die Taschen greifen musste, um Steuerausfälle auszugleichen und strauchelnden Unternehmen und Banken unter die Arme zu greifen.
Im Verlauf der Krise der asiatischen Tigerstaaten erhielt ich eine E-Mail von Janet Yellen, die während der Amtszeit von Präsident Bill Clinton den Wirtschaftsberatern des Weißen Hauses vorstand und mich einlud, mich dem Rat anzuschließen. Ich freute mich über diese Gelegenheit, an der Gestaltung einer Wirtschaftspolitik mitzuwirken, die eine stabilere Weltwirtschaft zum Ziel hatte. Die nächsten zweieinhalb Jahre verbrachte ich in Washington, D.C., zunächst als Wirtschaftsberater des Präsidenten, dann im Finanzministerium als Berater von Wirtschaftsminister Larry Summers und seinem Stellvertreter Tim Geithner bei der Bewältigung der verschiedenen Schuldenkrisen. Wir erlebten mit, wie Russland 1998 von der ersten Rezession seit dem Ende der Sowjetunion getroffen wurde und in der Folge der größte amerikanische Hedgefonds Long-Term Capital Management pleiteging und Russland, Pakistan, Brasilien, Argentinien, Ecuador, die Türkei, Uruguay und sogar einige Industrienationen in die Krise stürzte. In dieser Zeit habe ich viel gelernt.
Wieder einmal traf es Argentinien. Schon 1991 hatte das Land den Wechselkurs des argentinischen Peso an den US-Dollar geknüpft. Das beruhigte die Kreditgeber, die nun wieder großzügiger Geld gaben, weil sie sich sicher sein konnten, dass der Peso stabil blieb. Argentinien verlor keine Zeit und häufte neue Staatsschulden an. Während meiner Arbeit in Washington in den Jahren 1998 bis 2000 verbrachte ich viele Stunden mit der Bewertung der Lage in Argentinien. Wir führten erschöpfende Debatten darüber, ob es ratsamer war, Argentinien zu retten oder den Staatsbankrott zuzulassen. Ich sah keine andere Lösung als eine Abwertung des Peso, Erklärung der Zahlungsunfähigkeit und Umschuldung – ein Weg, den Argentinien 2001 schließlich auch wählen sollte.
Ich will Argentinien gar nicht allein für seine fatale Wirtschaftspolitik verantwortlich machen. Kreditgeber machten sich mitschuldig, als das Land durch eine Reihe äußerer Ereignisse erschüttert wurde. Schwellenmärkte werden oft besonders hart von raschen Zinsanhebungen der US-Notenbank oder starken Preiseinbrüchen bei Exportgütern getroffen. Im folgenden Jahrzehnt sagte ich mehrmals vor internationalen Gerichten aus, um Argentinien nach der Staatspleite von 2001 dabei zu helfen, aggressive Forderungen von Heuschrecken abzuwehren.
Wenn Politiker ein Problem lösen, legen sie damit oft schon den Grundstein für die nächste Krise. Wirtschaftswissenschaftler verweisen gern auf das Problem des »subjektiven Risikos«, also die Gefahr, dass sich Kreditnehmer und -geber nach einer staatlichen Rettungsaktion sicher fühlen und jegliche Besonnenheit aufgeben. Warum sollten sie sich auch Sorgen machen, wenn jemand anders die Zeche zahlt? Politische Entscheidungen haben viele unbeabsichtigte Folgen, und eine davon sind die Verwicklungen um Ramschhypotheken, die 2008 zur Weltfinanzkrise führten.
Während der Savings-and-Loan-Krise der 1980er-Jahre, als zahlreiche amerikanische Bausparkassen durch spekulative Hypothekenkredite in den Ruin getrieben wurden, rief die Regierung die Resolution Trust Corporation ins Leben, die riskante Anlagen bündelte und an risikohungrige Investoren verkaufte. Gewiefte Anleger witterten das große Geschäft mit diesen riskanten Anlagen und erwarben sie bei Notverkäufen zum Schnäppchenpreis. Eine ganze Ramschbranche blühte auf. Kreative Köpfe an der Wall Street spannen Stroh zu Gold. Nach dem eiligen Segen der Rating-Agenturen, die für ihre Bewertungen von den Ausgebern der Anleihen bezahlt wurden, schien das Risiko plötzlich kalkulierbar. Das bereitete den Boden für den Boom auf dem privaten Immobilienmarkt, der durch skrupellose Kreditgeber befeuert wurde.
Machen wir einen Sprung in die Gegenwart. Die Coronakrise führte zunächst zur schwersten globalen Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Pandemie erschütterte eine Weltwirtschaft, die bereits unter der Last gewaltiger privater und öffentlicher Schulden ächzte. In Industrienationen reagierte der Staat mit einer unkonventionellen Lockerung der Haushalts- und Geldpolitik, in der Annahme, dass Finanzspritzen privaten Haushalten und Unternehmen über die Einkommensverluste hinweghelfen würden. Um es in wirtschaftlichen Begriffen zu sagen, waren die Kreditnehmer zwar grundsätzlich zahlungsfähig, aber gerade illiquide.
In der Annahme, dass sich die Pandemie mit dem Beginn der Impfkampagne abschwächen würde, schossen Staaten gewaltige Summen in solche illiquiden Unternehmen, damit die Lichter nicht ausgingen. Trotzdem gab es zahlreiche Opfer, große wie kleine Unternehmen hatten sehr unter der Pandemie zu leiden. In der Folge stieg die private und staatliche Verschuldung. Die Lösung verlangte weitere Schuldenaufnahme, und die wurde dadurch erleichtert, dass die Notenbanken die Geldbasis stärker ausweiteten (durch »quantitative Lockerung«, also den Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen) als während der Finanzkrise 2008.
Die ärmsten Entwicklungsländer hatten nicht die Möglichkeit zu einer derart aggressiven Konjunkturpolitik. Überforderte Kreditgeber entschieden sich für finanzielle Triage und unterschieden zwischen insolventen Kreditnehmern, die vermutlich nicht überleben würden, und solchen, die mit einer minimalen Geldspritze auskamen. Letztere benötigten dringend Geld, um fortbestehen zu können. Weil Schwellenländer und ärmere Länder nicht die Mittel für eine breite Unterstützung hatten, durchlitten sie eine »pandemische Wirtschaftskrise«, die formale wirtschaftliche Aktivitäten zum Erliegen brachte. Das bekamen auch die Kreditgeber in aller Welt zu spüren. Bis heute leiden 60 Prozent der ärmeren Volkswirtschaften unter einem erheblichen Schuldenrisiko, und nach Schätzungen der Vereinten Nationen könnten infolge ihrer aktuellen Problemlage in den kommenden Jahren bis zu 70 Prozent der Entwicklungsländer zahlungsunfähig werden.9
Einige Staaten und internationale Einrichtungen haben ärmeren Ländern Aufschub gewährt. Private Kreditgeber weigerten sich jedoch zumeist, auf einen Teil ihrer Forderungen zu verzichten. Mit verschiedenen Maßnahmen wurden die Kreditkapazitäten des Internationalen Währungsfonds und anderer internationaler Einrichtungen aufgestockt, um schwachen Volkswirtschaften, die von Schuldenkrisen gefährdet waren, subventionierte Kredite gewähren zu können. Geschwächte Schwellen- und Entwicklungsländer blieben bis ins Jahr 2022 gefährdet, selbst nach Ende der schweren Corona-Rezession und dem Beginn des Aufschwungs. Viele dieser Länder haben kein funktionierendes Gesundheitswesen und keinen Zugang zu kostengünstigen Impfstoffen. Da sie auf den Finanzmärkten nicht genügend Vertrauen genossen, um ihre Geldpolitik lockern zu können, stieg der Anteil ihrer Verschuldung am Bruttoinlandsprodukt, während ihre Einkünfte sanken.
Anfang 2022 wurden Schwellen- und Entwicklungsländer, die keine Exportnationen sind, vom Anstieg der Energie-, Güter- und Lebensmittelpreise getroffen. Viele Millionen mittellose Menschen in geschwächten unterentwickelten Volkswirtschaften waren von Lebensmittelknappheit und Hunger bedroht. Die Gefahr des Staatsbankrotts wuchs, unter anderem im Tschad, in Äthiopien, Sri Lanka, Somalia und Sambia. Im April 2022 warnte Weltbankpräsident David Malpass: »Entwicklungsländer stehen vor zahlreichen, einander verstärkenden Krisen, darunter die Pandemie, die steigende Inflation, der russische Einmarsch in die Ukraine, große makroökonomische Ungleichgewichte sowie Energie- und Lebensmittelknappheit. Diese führen zu schweren Rückschlägen in der Armutsbekämpfung, Bildung, Gesundheit und Gleichberechtigung von Mann und Frau.«10
Wohlhabende Industrienationen mit üppigen Mitteln ließen in puncto Risiko die Zügel schießen. Im Jahr 2021 schrillten einmal mehr die Alarmglocken, als Kleinanleger Kredite aufnahmen, um Aktien von GameStop zu kaufen, einer amerikanischen Einzelhandelskette für Computerspiele, die unter dem Aufschwung der Onlinespiele litt. Mithilfe von Krediten eines Onlinebörsendienstleisters trieben sie die Aktienkurse weit über den Wert hinaus, der durch die Erträge des Unternehmens gerechtfertigt gewesen wäre. Der Grund: Sie wollten Baisse-Spekulanten schlagen, die auf eine Pleite der Kette gewettet hatten.
Es war ein Boom-and-Bust-Szenario im Kleinen. Billiges Geld blähte eine unhaltbare Anlageblase auf. Als GameStop und andere Aktien wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehrten, zahlten die Kleinanleger die Zeche. Viele der sogenannten Meme Stocks, in den sozialen Medien gehypte Aktien, die 2021 einen Boom erlebten, verloren 2022 mehr als 70 Prozent ihres Werts. Einen ähnlichen Boom-and-Bust-Zyklus durchliefen zur selben Zeit die Kryptowährungen, ein weiteres Anlageobjekt ohne realen Wert, dessen Blase von einem Spekulationshype befeuert wurde. Viele Experten erkennen in diesen Episoden nichts als einen vorübergehenden Aussetzer der Vernunft. Dabei übersehen sie, dass die amerikanische Regierung gerade Schecks an Millionen von Bürgern verschickt hatte. Viele davon verzockten ihre mageren Ersparnisse mit Meme Stocks oder wertlosen Kryptowährungen. Das brachte weder ihnen noch der Wirtschaft etwas. Ihr Geld löste sich einfach in Luft auf und brachte ihnen nichts als Schulden und ein Souvenir-Shirt mit dem Bild von Notenbankchef Powell als Jesus mit Heiligenschein, wie die Times berichtete. »Anstelle der Bibel hat er eine Heilige Schrift, die besagt: ›Die Rezession fällt aus, die Aktienkurse können nur steigen.‹«11
Die vermeintliche Demokratisierung der Kreditvergabe durch vereinfachten Zugang und niedrige Zinsen wird leider schlechter überwacht, als sie es sollte. In den Nullerjahren stürmten amerikanische Hauskäufer den Markt, um mit billigen Krediten Eigenheime zu erwerben. Der Obduktionsbericht füllt die 600 Seiten des Financial Crisis Inquiry Report und viele mehr. Dank günstiger Zinsen und Börsen-Apps, die an Videospiele erinnern, haben unerfahrene Anleger heute neue Anlässe und Möglichkeiten, sich Geld zu leihen. Über die sozialen Medien hypen sie Aktien, deren Kurse in keinem Verhältnis zum Unternehmenswert stehen, und wertlose Kryptowährungen. Wie ein Hauskauf ohne Eigenbeteiligung und Sicherheiten ist dies eine Einladung zur Katastrophe, die vor allem Geringverdiener mit kleinen Ersparnissen, unbefriedigenden Arbeitsverhältnissen und schlechter Ausbildung anlockt. Doch statt ihnen zu helfen, verbünden sich Politiker der extremen Linken und Rechten und öffnen diesen Menschen noch die Tür, durch die sie sich ins Verderben stürzen.
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Wie könnte die Mutter aller Schuldenkrisen aussehen, die im kommenden Jahrzehnt auf uns zukommt? Auch wenn sich die Welt im vergangenen Jahrhundert sehr verändert hat, lässt die Vergangenheit beängstigende Schlüsse auf die Zukunft zu.
Während sich Europa bemühte, die Rechnung des Ersten Weltkriegs zu begleichen, tötete die Spanische Grippe mehr als 100 Millionen Menschen und schwächte die wirtschaftliche Produktion weiter. Dennoch folgte mit den Goldenen Zwanzigern eine Zeit der Euphorie, der wirtschaftlichen und technischen Innovation, zum Beispiel der Massenproduktion von Radios, Haushaltsgeräten und Autos und dem Aufstieg des Tonfilms. Im Aufschwung der Börse gingen die Anzeichen von Spekulationsblasen und Überschuldung unter. Wie wir wissen, nahm die Sache kein gutes Ende: Die verfehlte Politik nach dem Börsenkrach des Jahres 1929 führte in die Weltwirtschaftskrise der 1930er.
Mag sein, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, aber sie reimt sich oft, wie Mark Twain wusste. Die Anzeichen mehren sich, dass die 2020er ein weiteres Goldenes Jahrzehnt werden könnten. Konjunkturmaßnahmen in gewaltigem Umfang nähren Spekulationsblasen auf den globalen Märkten. Die Realwirtschaft wird einen Aufschwung erleben, getragen von leicht verfügbaren Krediten, niedrigen Zinsen und umfangreichen staatlichen Konjunkturpaketen.
Die Party wird so lange weitergehen, bis die leichtfertige Spekulation nicht mehr tragbar ist. Urplötzlich und ohne Vorwarnung wird die Hochstimmung enden. In diesem sogenannten Minsky-Moment, benannt nach dem Wirtschaftswissenschaftler Hyman Minsky, wachen die Marktteilnehmer mit einem Mal auf und erkennen, dass sie dem irrationalen Überschwang erlegen sind. Die Stimmung kippt, die Blase platzt, und der Krach folgt auf dem Fuß.
Blasen sind noch immer geplatzt, doch diesmal wird das Ausmaß alles bisher Dagewesene übertreffen. Industrie- und Schwellenländer stehen tiefer in der Kreide als je zuvor. Die Wachstumsaussichten sind trübe, der Aufschwung nach der Corona-Rezession verläuft holprig und wird sich im Laufe der Zeit weiter verlangsamen. Die Politik hat sämtliche Mittel der Geld- und Finanzpolitik ausgeschöpft, und ihr bleiben kaum noch Pfeile im Köcher. Der nächste Akt dieses wirtschaftlichen Dramas wird wenig Ähnlichkeit mit früheren Krisen haben.
Niemand kann vorhersehen, was das nächste Beben auslösen wird, selbst wenn die Baisse an der Börse während der ersten Hälfte des Jahres 2022 andeutete, dass die aktuelle Blase vor dem Platzen steht. Es gibt eine ganze Reihe von Kandidaten: Wie 1929 könnte der gesamte Markt zusammenbrechen; der Anstieg der Inflation könnte die Notenbanken dazu zwingen, das Geld in drakonischer Weise zu verknappen, und damit einen unhaltbaren Zinsanstieg provozieren; Erreger, die vom Tier auf den Menschen übergehen, könnten in Zukunft häufigere und schwerere Pandemien auslösen; Unternehmen könnten in die Schuldenkrise geraten, wenn Zinsen steigen und Kredite nicht mehr bezahlbar sind; eine neue Immobilienblase könnte Hauseigentümer und Banken treffen; ein geopolitischer Schock wie der Einmarsch Russlands in die Ukraine könnte eskalieren und die Rohstoffpreise weiter in die Höhe treiben; und das Zusammenspiel der genannten Risiken könnte eine globale Rezession auslösen. Alternativ könnten wir eine Rückkehr zum Protektionismus oder eine wirtschaftliche Entflechtung der Vereinigten Staaten und Chinas erleben, wenn die beiden Länder auf eine geopolitische Konfrontation zusteuern. Italien könnte pleitegehen und den Zusammenbruch der Eurozone einläuten. Populisten könnten an die Macht kommen, ihr Land mit einer nationalistischen Politik herunterwirtschaften und nicht tragbare Schulden anhäufen. Der Klimawandel könnte einen kritischen Punkt erreichen, ab dem weite Teile der Erde unbewohnbar werden.
Wenn eine oder mehrere Erschütterungen eine schwere Rezession und Finanzkrise auslösen, werden die herkömmlichen Mittel zu ihrer Bekämpfung nicht mehr zur Verfügung stehen. Ohne Sicherheitsnetz werden hoch verschuldete Haushalte, Unternehmen und Banken bankrottgehen, Ersparnisse und Vermögenswerte werden vernichtet, und es werden nur Schulden übrig bleiben. Unsere Annahmen über Wohlstand werden sich in Luft auflösen. Unser Status wird von dem bestimmt werden, was wir schulden, nicht von dem, was wir besitzen.
Mit den steigenden Zinsen werden verschuldete Staaten immer weniger in der Lage sein, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Zentralbanken müssen entscheiden, ob sie einen Staatsbankrott zulassen möchten oder die Schulden stattdessen über Inflation, eine andere Form des Zahlungsausfalls, tilgen wollen. Die Eurozone könnte das erste Opfer werden, denn hier haben die Mitgliedsstaaten keine eigene Notenbank, mit der sie eine lokale Währungskrise abwenden könnten.
Schwellenländer mit hohen Schulden und schwachen Währungen müssen verheerende Folgen befürchten. Wenn die Exporte eines Landes nicht genug Einnahmen generieren, um seine Gläubiger im Ausland zu bezahlen, bricht die Landeswährung ein. Wenn dieser Absturz die Inflation steigen lässt, während die Wirtschaft schrumpft und die Währung verfällt, entsteht ein wirtschaftlicher Sumpf, den Hedgefonds-Manager Ray Dalio als »inflationäre Depression« bezeichnet hat. Statt Waren oder Rohstoffe exportieren die krisengeschüttelten Schwellenländer nun Menschen, die anderswo auf bessere Lebensbedingungen hoffen.
Selbst China ist nicht gegen eine globale Pleitewelle gefeit. Während der Jahrzehnte des rasanten Wachstums konnte das Land die gewaltige staatliche und private Verschuldung schultern. Doch die aktuelle Verlangsamung des Wachstums und die Auswüchse der privaten Verschuldung – etwa auf dem Immobiliensektor, der unter Überschuldung und Überkapazitäten leidet – haben bereits zu Spannungen geführt, und einige große Immobilienunternehmen stehen am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Doch eine schwere weltweite Wirtschaftskrise ließe Chinas Exportmarkt schrumpfen, sie würde im Ausland den Protektionismus schüren, in China eine Rezession auslösen und in eine Schuldenkrise führen, die mindestens so problematisch wäre wie andernorts.
Pleiten springen von einem Land und von einer Branche zur anderen über. Die seit der Finanzkrise eingeführten währungspolitischen Instrumente und Konjunkturanreize könnten die Ansteckung verlangsamen, doch allmählich gehen uns die Mittel aus, und multinationale Einrichtungen und hoch verschuldete Länder stehen auf wackeligen Beinen. Kleinunternehmen und Privatpersonen müssen neue wirtschaftliche Prioritäten setzen, um überleben zu können. Staaten werden systemrelevante Dienstleistungen kürzen. Wir stecken in einem tiefen Loch fest, und das Wasser steigt.
Die anstehende Schuldenkrise könnte die schlimmste sein, die wir je erlebt haben. Doch sie ist nur eine der Megagefahren, die auf uns zukommen. Was geschieht, wenn sie durch schweres politisches und individuelles Versagen verstärkt wird?
Kapitel 2 Staatspleiten, Firmenpleiten
Alle glücklichen Schuldner sind einander ähnlich, jeder unglückliche Schuldner ist auf seine Weise unglücklich – so könnte man es in Anlehnung an den ersten Satz von Lew Tolstois Anna Karenina formulieren. Glückliche Schuldner, die ihre Schuld begleichen, kommen voran. Wenn unglückliche Schuldner ihre Schuld dagegen nicht begleichen, sind ihre Gründe so vielfältig wie die unseligen Projekte, mit denen sie sich übernehmen.
Das gilt nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für Staaten. Wenn diese am Abgrund des Bankrotts stehen, benötigen sie jemanden, der sie auffängt und ihnen wieder Halt gibt. Dazu sind internationale Einrichtungen wie der Weltwährungsfonds und die Weltbank da, die stark genug sind, um die hohen wirtschaftlichen Kosten von Fehleinschätzungen, politischen Irrungen und Ungemach zu tragen. Auch wenn die Welt heute wohlhabender ist als je zuvor, ist ein starker Arm immer schwieriger zu finden. Die üppigsten Kapitalquellen – die reichsten Nationen – sind selbst verschuldet.
Schuldenkrisen sind zwar heilbar, doch die meisten Behandlungsformen beinhalten eine kräftige Medizin und eine anstrengende Reha. Rettungsschirme bringen zwar das lebenswichtige Geld, doch die Zahlungen sind oft mit schmerzhaften Auflagen verbunden. Insolvenz und Sanierung vernichten Arbeitsplätze und kosten Investoren teures Geld; dennoch können sie scheitern. Inflation verringert zwar im Laufe der Zeit die Schuldenlast, doch auch die Ersparnisse schmelzen dahin, und die Kosten steigen. Kapitalbesteuerung belastet die Eigentümer von Sach- und Geldvermögen. Finanzrepression schiebt die Rechnung einem verschwenderischen Finanzsektor zu, der sich darauf versteht, die Last an alle anderen weiterzugeben. Sparmaßnahmen erscheinen sinnvoll, doch sie können in eine schwere Rezession führen. Die einzig vernünftige Lösung ist das Wirtschaftswachstum, doch das rückt in weite Ferne, wenn die Initiative unter Schulden erstickt wird. In diesem Kapitel werden wir uns diese sieben Strategien im Einzelnen ansehen und erkunden, warum sie die Probleme oft noch verschärfen, statt sie zu lösen.
Rettungsschirme für klamme Staaten können die wirtschaftliche Gesundheit eines Landes genauso wenig wiederherstellen, wie zwei Freunde einen betrunkenen Dritten nüchtern machen können, indem sie ihn an eine Wand lehnen. Die Übernahme von privater Überschuldung durch den Staat führt oft direkt in die staatliche Überschuldung. Ein gutes Beispiel ist Argentinien, das heute vor der fünften Staatspleite seit 1980 steht. In der Vergangenheit haben Einigungen mit den Kreditgebern noch jedes Mal den Zugang des Landes zum internationalen Kapitalmarkt wiederhergestellt, doch damit wurde nur neuen Finanzkrisen der Boden bereitet. Als der Internationale Währungsfonds 2016 einsprang, warnte er vor »anhaltenden makroökonomischen Ungleichgewichten, mikroökonomischen Verzerrungen und einem geschwächten institutionellen Rahmen«.12
Machen wir einen Sprung in den Oktober 2020: Kaum zwei Monate nachdem Argentinien ein weiteres Mal zu einer Einigung mit seinen Kreditgebern kam, gestand ein Regierungsmitglied, dass die Schuldenquote weiter stieg. Die Kreditwürdigkeit Argentiniens verbesserte sich nicht etwa, sie verschlechterte sich. Angesichts dieser beunruhigenden Entwicklung warnte ein argentinischer Wirtschaftswissenschaftler in einem Forum, sein Land stehe »wieder einmal am Abgrund«.13
Heute ist Argentinien eher die Regel als die Ausnahme. Riesige Defizite, negative Zahlungsbilanzen und ein unersättlicher Hunger nach Krediten haben viele Länder an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht. Fragen Sie Finanzpolitiker in Griechenland, Italien, Spanien, dem Libanon, der Türkei, Ecuador, Äthiopien, dem Tschad, Sambia oder Sri Lanka, um nur einige wenige zu nennen. Aber nehmen Sie niemanden aus. Während seiner Regierungszeit spielte US-Präsident Donald Trump selbst öffentlich mit dem Gedanken des Staatsbankrotts als einer einfachen Möglichkeit, sich der Schulden zu entledigen, ganz so als handelte es sich bei den Vereinigten Staaten um eine private Hotelkette mit lausigem Management und zweifelhaftem Ruf.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich habe nichts gegen Schulden. Kredite sind ein sinnvolles Instrument zur Finanzierung von Investitionen, solange die Volkswirtschaft gesund, die Währung stabil, der Anteil der Verschuldung am Bruttoinlandsprodukt im Rahmen, die Zahlungsbilanz ausgeglichen ist und die Einkommen steigen. Wirtschaftswachstum trägt dazu bei, dass die Schuldenlast beherrschbar bleibt. Solange die Wirtschaft floriert, kann sich die Politik darauf konzentrieren, ihre Konjunkturmaßnahmen zu justieren. Besonnene Verschuldung im Zusammenspiel mit Wirtschaftswachstum kann das Leben besser machen, ohne künftige Generationen zu belasten. Es ist in Ordnung, auch in schlechten Zeiten Kredite aufzunehmen, etwa um eine Rezession abzuschwächen, wenn in guten Zeiten ein Haushaltsüberschuss erwirtschaftet wird, um die Schuldenquote zu stabilisieren und abzubauen.
In den sieben Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg herrschte ein überwiegend positives Umfeld vor, das die Zusammenarbeit der Industrienationen begünstigte. Robustes Wirtschaftswachstum half diesen Staaten, die im Krieg angehäuften Schulden abzubauen. Doch seit den 1970er-Jahren begannen sich unter dieser friedlichen Oberfläche die Anreize zu verschieben. Die Veränderungen setzten langsam ein, doch sie beschleunigten sich unter dem Banner der Globalisierung.
Schwellenländer konkurrieren heute darum, wer am billigsten produzieren kann. Mit der Verlagerung ihrer Produktion ins Ausland wetteifern multinationale Konzerne um eine möglichst große Kostenreduzierung. Sie geben Fertigungsstandorte in den Industrienationen auf und verlagern Arbeitsplätze in Billiglohnländer. Der zunehmende Wohlstand in Schwellenländern führt Millionen aus der Armut und lässt ihre Konsumerwartungen steigen. Um die Nachfrage bedienen zu können, wenden sich expandierende Unternehmen und konkurrierende Länder an den globalen Kreditmarkt.
In den Industrienationen leiden dagegen die Löhne vieler Arbeitnehmer unter dem Unterbietungswettbewerb, und die Verschuldung der privaten Haushalte explodiert. In einst florierenden Regionen sorgen Einkommensverluste für einen Anstieg der Überziehungskredite. Die Bürger der Vereinigten Staaten haben heute in der Summe mehr Kreditkartenschulden als Ersparnisse. Die privaten Haushalte sind der Motor der Binnenwirtschaft. Sinkende Haushaltseinkommen bedeuten weniger Steuereinnahmen. Gig-Worker ohne soziale Absicherung werden zerrieben zwischen der schwindenden Kaufkraft und den steigenden Kosten ihrer privaten Krankenkasse. Die neue Armut verursacht hohe Kosten aufseiten der öffentlichen Hand, während gleichzeitig die zunehmende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen den politischen und ökonomischen Populismus fördert.
Ein immer größerer Teil der Lebensmittel, Miete, Kleidung, Bildung und sonstigen Konsumbedürfnisse wird mit Krediten bezahlt. Kommunen finanzieren Schulen und Dienstleistungen mit geliehenem Geld, und der Bund verschuldet sich, um nationale Prioritäten wie das Gesundheitswesen oder die Aufrüstung zu bezahlen. Auf allen Ebenen steigt die Verschuldung immer weiter, doch das Wachstum reicht nicht aus, um sie wieder abzutragen.
Damit die privaten Verbraucher weiter konsumieren können, erleichtern ihnen Banken und Aufsichtsbehörden den Zugang zu Ausbildungskrediten, Kreditkarten, Hypotheken, Baufinanzierung und so weiter. Banken erfinden immer neue und riskantere Möglichkeiten der Kreditvergabe und verführen Kunden dazu, immer mehr Schulden anzuhäufen.
In europäischen Ländern mit ihrem großzügigeren Sozialstaat stellt sich der Konflikt zwischen sinkenden Realeinkommen und steigenden Konsumerwartungen etwas anders dar. Statt die Bürger in die Verschuldung zu treiben, übernehmen sie die Kosten für eine Vielzahl von Dienstleistungen. Gesundheit, Bildung, Rente, Arbeitslosengeld und Sozialhilfe landen in der Bilanz des Staats, nicht der privaten Haushalte, wobei die Steuereinnahmen nicht mit den Ausgaben mithalten. Dank dieser bürgerfreundlichen Politik steigen das Haushaltsdefizit und die Staatsverschuldung schneller als die private Verschuldung.