Mehr Geld als Gott - Sebastian Mallaby - E-Book

Mehr Geld als Gott E-Book

Sebastian Mallaby

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Beschreibung

Reiche, mächtige und womöglich gefährliche Hedgefonds-Magnaten sind die Stars des Kapitalismus im 21. Jahrhundert. Ihre Wochenendpaläste sind Futter für die Fotografen von Vanity Fair, und die Möglichkeit, sie könnten ein Chaos auslösen, beschäftigte die Aufsichtsbehörden schon vor dem jüngsten Zusammenbruch der Finanzmärkte. Auf der Grundlage des einzigartigen Wissens des angesehenen Finanzautors Sebastian Mallaby über diese Branche sowie von 300 Stunden Interviews und ungezählten internen Dokumenten erzählt Mehr Geld als Gott die Geschichte der Hedgefonds von den Anfängen in den 1960er- und 1970er-Jahren über die explosiven Schlachten mit den Zentralbanken in den 1980er- und 1990er- Jahren bis zu ihrer Rolle in der Finanzkrise von 2007 bis 2009. Das erste maßgebliche Buch über die Geschichte der Hedgefonds – von den rebellischen Anfängen bis zu ihrer Rolle bei der Definition des zukünftigen Finanzwesens.

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MEHRGELDALSGOTT

Hedgefonds und ihre Allmachtsfantasien

FinanzBuch Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

2. Auflage 2019

© 2011 FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel »MORE MONEY THAN GOD«bei »Penguin Group«.

MORE MONEY THAN GOD

Original Edition copyright © 2010, Sebastian Mallaby

All rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Horst Fugger

Lektorat: Monika Spinner-Schuch

Satz: Manfred Zech, HJR, Landsberg am Lech

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-89879-629-3

ISBN E-Book (PDF): 978-3-86248-604-5

ISBN E-Book (EPUB. Mobi): 978-3-86248-605-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter:

www.finanzbuchverlag.de

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Für meine Eltern, Christopher und Pascale

INHALTSVERZEICHNIS

Einführung: Das Alpha-Spiel

1. Big Daddy

2. Der Block-Trader

3. Paul Samuelsons Geheimnis

4. Der Alchimist

5. Top Cat

6. Rock&Roll-Cowboy

7. Der weiße Mittwoch

8. Der Orkan Greenspan

9. Soros gegen Soros

10. Der Feind sind wir

Bildteil

11. Das Dotcom-Double

12. Die Männer aus Yale

13. Die Codebrecher

14. Vorahnungen einer Krise

15. Mit dem Sturm reiten

16. »Wie konnten sie das tun?«

Fazit: Schrecklicher als was?

Danksagungen

Anhang I: Haben die Tiger Fonds Alpha generiert?

Anhang II: Die Performance der Pioniere

Anmerkungen

Über den Autor

EINFÜHRUNG: DAS ALPHA-SPIEL

Der erste Hedgefonds-Manager, Alfred Winslow Jones, hatte nicht Wirtschaftswissenschaften studiert. Er hatte nicht über quantitative Finanzmodelle promoviert. Er verbrachte die wichtigsten Jahre seiner Ausbildung nicht bei Morgan Stanley, Goldman Sachs oder in einem der anderen Brutkästen der Meister des Universums. Stattdessen nahm er einen Job auf einem Trampdampfer an, studierte an der marxistischen Arbeiterschule in Berlin und führte geheime Aufträge für eine im Untergrund agierende und gegen die Nazis kämpfende Gruppe durch, die sich als leninistische Organisation bezeichnete. Er heiratete, ließ sich scheiden und heiratete erneut, verbrachte seine Flitterwochen an der Front des spanischen Bürgerkriegs, reiste und trank mit Dorothy Parker und Ernest Hemingway. Erst im reifen Alter von 48 Jahren konnte er 100.000 Dollar einsammeln, um einen »gehedgten Fonds« zu gründen, mit dem er in den 1950er- und 1960er-Jahren außergewöhnliche Gewinne erzielte. Beinahe zufällig improvisierte Jones eine Investmentstruktur, die bis heute überdauert hat. Und sie wird auch noch viele Jahre gedeihen, trotz aller skeptischen Stimmen.

Ein halbes Jahrhundert nachdem Jones seinen Fonds gegründet hatte, trat ein junger Mann namens Clifford Asness in seine Fußstapfen. Er promovierte tatsächlich über quantitative Finanzmodelle. Er arbeitete für Goldman Sachs und er gehörte zu den Meistern des Universums. Während Jones seinen Fonds im fortgeschrittenen Alter gegründet hatte, stürmte Asness im stolzen Alter von 31 Jahren in das Geschäft und brach alle Rekorde für eine Fonds-Neugründung, indem er die enorme Summe von einer Milliarde Dollar einsammelte. Während Jones seine Methoden und die damit erwirtschafteten Reichtümer diskret verschwieg, war Asness von erfrischender Offenheit. Er fand immer Zeit, sich im Fernsehen interviewen zu lassen und der New York Times zu gestehen, es sei »kein schlechtes Gefühl«, viele Millionen zu besitzen.1 Kurz bevor der Markt für Subprime-Hypotheken 2007 kollabierte, verwaltete Asness’ Firma AQR Capital Management die bemerkenswerte Summe von 38 Milliarden Dollar und Asness selbst personifizierte die neue Finanzwelt, welche die Welt verändern würde. Er verhielt sich respektlos, ungeduldig und benahm sich selten wie ein erwachsener Mensch. In seinem Büro sammelte er Plastikfiguren von Superhelden.2

Asness erkannte an, was er Jones’ Improvisation zu verdanken hatte. Wie praktisch alle Hedgefonds zeichneten sich auch seine durch vier Merkmale aus, die Jones mit spektakulärem Erfolg kombiniert hatte. Zunächst gab es eine Erfolgsbeteiligung (Performance Fee): Jones behielt ein Fünftel der Gewinne seines Fonds für sich und sein Team ein, was die Anreize für seine Mitarbeiter natürlich deutlich erhöhte. Außerdem bemühte sich Jones sehr darum, nicht mit den Aufsichtsbehörden in Konflikt zu geraten, was ihm die Flexibilität sicherte, bei wechselnden Marktbedingungen jederzeit von einer Investmentmethode zu einer anderen zu wechseln. Aus der Sicht von Asness waren allerdings zwei Ideen von größter Bedeutung, die Jones’ Investmentportfolios geprägt hatten. Jones hatte Käufe »vielversprechender« Aktien mit »Leerverkäufen« weniger aussichtsreicher Titel kombiniert. Letztere lieh er sich also und verkaufte sie, womit er auf fallende Kurse wettete. Indem er bei einigen Aktien »long« und bei anderen »short« war, isolierte er seinen Fonds zumindest teilweise gegen allgemeine Aktienmarktbewegungen. Und nachdem er sich auf diese Weise gegen Marktrisiken abgesichert hatte, konnte er mit sicherem Gefühl seine Wetten vergrößern oder »hebeln«, und zwar mit geliehenem Geld. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, hatte diese Kombination aus Absicherung (Hedging) und Hebelwirkung durch den Einsatz von Fremdkapital (Leverage) magische Auswirkungen auf Jones’ Aktienportfolio. Aber das wahrhaft Geniale an seinem Ansatz war etwas, das Asness später auf die Spitze trieb: Man konnte diese Kombination auf Anleihen, Futures, Swaps und Optionen anwenden – und zusätzlich auf jede erdenkliche Mischung aus diesen Assets. Mehr durch Glück als absichtlich hatte Jones eine Plattform für Strategien entwickelt, die komplexer waren, als er es sich jemals hätte träumen lassen.

Keine Definition von Hedgefonds ist perfekt und nicht alle Abenteuer in dieser Saga beinhalten Hedging und Leverage. Als George Soros und Stan Druckenmiller das britische Pfund in die Knie zwangen oder als John Paulson während der Immobilienblase in den USA leerverkaufte, gab es kein explizites Bedürfnis nach Absicherung – wie wir später noch sehen werden. Als ein furchtloser Rohstoffspekulant mit der russischen Regierung den Kauf von deren sämtlichen Edelmetallen mit Ausnahme von Gold vereinbarte, war Leverage weniger wichtig als die Absicherung des gepanzerten Zugs, der das Palladium aus Sibirien befördern sollte. Aber auch wenn Hedgefonds weder Leverage anwenden noch sich im eigentlichen Sinne absichern, hat sich die von A. W. Jones geschaffene Plattform als außergewöhnlich kongenial erwiesen. Aufgrund der Freiheit, bei jedem Finanzinstrument in jedem Land der Welt auf steigende oder auf sinkende Preise zu setzen, können Hedgefonds Chancen nutzen, wo immer sie sich auch bieten mögen. Die Fähigkeit zur Aufnahme von Fremdkapital ermöglicht es Hedgefonds, den maximalen Effekt aus ihren Wetten zu ziehen. Die Gewinnbeteiligung (Performance Fee) ist ein mächtiger Anreiz, Geld zu drucken.

Ach ja, dieses Geld! Als J. Pierpont Morgan 1913 starb, hatte er in heutiger Kaufkraft ein Vermögen von 1,4 Milliarden Dollar angehäuft, was ihm wegen seiner quasi göttlichen Macht über die Wall Street den Spitznamen »Jupiter« einbrachte. Aber während der Spekulationsblase am Anfang dieses Jahrhunderts haben die besten Hedgefonds-Manager innerhalb weniger Jahre unglaubliche Geldsummen verdient. Sie verdienten mehr – extrem viel mehr – als die Chefs der mächtigsten Investmentbanken an der Wall Street und sogar mehr als die Private-Equity-Barone. 2006 verdiente Lloyd C. Blankfein, der CEO von Goldman Sachs, die nie zuvor da gewesene Summe von 54 Millionen Dollar. Aber der Letztplatzierte auf der im Alpha Magazine veröffentlichten Liste der 25 Hedgefonds-Manager mit den höchsten Einkommen vereinnahmte, wie dort berichtet, 240 Millionen Dollar. Im selben Jahr zahlte die führende Private-Equity-Firma Blackstone Group ihrem Chef Stephen Schwarzman knapp 400 Millionen Dollar. Allerdings hieß es, die drei Topverdiener unter den Hedgefonds-Managern hätten es auf jeweils mehr als 1 Milliarde Dollar gebracht.3 Die von Jones erdachte Kompensationsformel machte Hunderte Manager schnell reich – von den Hundertschaften schneller Autos in den Vorstädten in Connecticut ganz zu schweigen. In einem Bericht aus dem Epizentrum dieses Goldrauschs schrieb der Stamford Advocate, sechs dort ansässige Hedgefonds-Manager hätten 2006 insgesamt 2,15 Milliarden Dollar verdient. Das Gesamteinkommen aller Einwohner von Connecticut belief sich damals auf 150 Milliarden Dollar.

In den 1990er-Jahren stürzten sich die Zeitschriften auf die Extravaganzen von Dotcom-Millionären, aber nun richtete sich die Aufmerksamkeit auf Hedgefonds. Ken Griffin, der Gründer der Citadel Investment Group, kaufte sich für 50 Millionen Dollar einen Express-Privatjet von Bombardier und ließ ihn mit einer Krippe für sein zweijähriges Kind ausstatten. Louis Bacon, der Gründer von Moore Capital, kaufte sich eine Insel in der Great Peconic Bay, klebte den dort lebenden Sumpfschildkröten Sender auf den Panzer, um ihre Paarungsgewohnheiten zu dokumentieren, und veranstaltete traditionelle englische Jagden auf Fasane. Steven Cohen, der Chef von SAC Capital, ließ auf seinem Grundstück ein Basketballfeld, ein Hallenbad, ein Eislaufstadion, einen Zwei-Loch-Golfplatz und eine Anbaufläche für Bio-Gemüse einrichten. Hinzu kamen Gemälde von van Gogh und Pollock, eine Skulptur von Keith Haring und ein Kino, dekoriert mit dem Sternbild in seiner Hochzeitsnacht 16 Jahre zuvor. Die Hedgefonds-Titanen waren die neuen Rockefellers, die neuen Carnegies, die neuen Vanderbilts. Sie waren die neue Elite Amerikas – der letzte Akt im Karneval der Kreativität und der Gier, die für den Fortschritt der Nation sorgt.

Und was war das für eine Elite. Hedgefonds sind Vehikel für Einzelgänger und Antizykliker, für Menschen, deren Ambitionen zu groß sind, um innerhalb einer etablierten Finanzinstitution Platz zu finden. Cliff Asness ist ein typisches Beispiel. Bei Goldman Sachs galt er als aufgehender Stern, aber er entschied sich für die Freiheit und die finanzielle Belohnung, die mit der Führung eines eigenen Unternehmens verbunden waren. Ein Mann, der Superhelden aus Plastik sammelt, bleibt nicht lange ein festangestellter Antiheld – vor allem wenn er andere Wahlmöglichkeiten hat. Jim Simons von Renaissance Technologies, der Mathematiker, der in den frühen 2000er-Jahren das höchste Einkommen in der gesamten Branche erzielte, hätte in einer normalen Bank keine Zukunft gehabt. Er nahm von niemandem Anweisungen entgegen, trug nur selten Socken und wurde von der Pentagon-Abteilung, die sich mit der Aufschlüsselung von Geheimcodes beschäftigte, gefeuert, als er die Vietnampolitik seines Chefs anprangerte. Ken Griffin von Citadel, der 2006 an zweiter Stelle der Großverdienerliste lag, begann mit dem Trading von Wandelanleihen in einem Studentenwohnheim in Harvard. Er war ein jugendliches Genie, im Finanzbereich das Gegenstück zu den Jungunternehmern, die Tech-Firmen wie Google gründeten. Julian Robertson stellte für seinen Hedgefonds College-Athleten ein, die halb so alt waren wie er. Dann flog er mit ihnen zu verschiedenen Orten in den Rockies und ließ sie die Berge hinauflaufen. Michael Steinhardt brachte es fertig, seine Untergebenen zum Schluchzen zu bringen. Einer sagte: »Ich will mich nur noch umbringen.« Steinhardt antwortete: »Kann ich dir dabei zusehen?«4

Wie die Rockefellers und die Carnegies in früheren Zeiten hinterließen die neuen Mogule ihre Spuren auch in der Welt jenseits von Geschäften und Finanzen. Der Ehrgeizigste auf diesem Gebiet war George Soros. Seine Philanthropie förderte unabhängige Stimmen in den ehemals kommunistischen Ländern; er setzte sich für die Entkriminalisierung von Drogen ein und ebenso für eine Revision der Laissez-faire-Ökonomie. Paul Tudor Jones, der Gründer der Tudor Investment Corporation, gründete auch Robin Hood, eine der ersten »wohltätigen Venture-Organisationen«, um die Armut in New York City zu bekämpfen: Sie identifizierte wohltätige Organisationen, setzte anspruchsvolle Ziele für deren Fortschritt und zahlte für die Performance. Bruce Kovner erwies sich als Pate der neokonservativen Bewegung und war Vorsitzender des American Enterprise Institute in Washington, D. C. Michael Steinhardt finanzierte Initiativen zur Schaffung eines neuen säkularen Judaismus. Aber natürlich haben alle diese Egos ihre tiefsten Spuren im Bereich der Finanzen hinterlassen. Die Geschichte der Hedgefonds ist die Geschichte der Grenzen des Finanzwesens: Hier geht es um Innovation und steigenden Einsatz von Fremdkapital, um spektakuläre Triumphe und erniedrigende Verluste – und natürlich auch um die Debatten, die solche Dramen ausgelöst haben.

Über lange Zeit haben Hedgefonds die Fehler der akademischen Sicht der Märkte ausgenutzt. Natürlich ist der akademische Bereich ein weites Feld, geprägt von allerlei divergierenden Meinungen. Aber von Mitte der 1960er- bis Mitte der 1980er-Jahre herrschte die Meinung vor, der Markt sei effizient, die Kurse würden sich zufällig entwickeln und der Erfolg von Hedgefonds beruhe vor allem auf Glück. Diese Einschätzung kann sich auf überzeugungskräftige Logik berufen. Könnte man zuverlässig wissen, dass der Kurs einer bestimmten Aktie oder Anleihe wahrscheinlich steigen wird, dann hätten schlaue Investoren dies längst erkannt und den Kurs bereits in die Höhe getrieben. Da aber sämtliche relevanten Informationen schon in den Kursen enthalten sind, wird die nächste Bewegung einer Aktie von etwas verursacht werden, das von den Investoren nicht prognostiziert worden ist. Die logische Schlussfolgerung daraus ist, dass professionelle Vermögensverwalter, die Kursbewegungen zu antizipieren versuchen, mit ihrem Vorhaben in der Regel scheitern werden. Diese Kritik der Theorie vom effizienten Markt ist manchmal berechtigt. Viele Hedgefonds haben keinen wirklichen »Vorteil«, also keinen Einblick, der es ihnen ermöglichen würde, besser abzuschneiden als der Markt. Sie können vielleicht ein paar Jahre lang gut abschneiden, indem sie immer höhere Risiken eingehen, aber letztlich wird sie das Glück verlassen und sie werden das Geld ihrer Kunden verlieren. Aber für die erfolgreichen Fonds, welche die Branche dominieren, sind die Vorgaben des effizienten Markts schlicht falsch: Man könnte sie auch Vorteils-Fonds nennen.

Manchmal besteht dieser Vorteil lediglich darin, die jeweils besten Aktien auszuwählen. Trotz allem, was man in der Finanzliteratur lesen kann, haben A. W. Jones, Julian Robertson und viele von dessen Schützlingen auf diesem Gebiet zweifellos Wertvolles geschaffen, wie wir gleich sehen werden. Aber häufig besteht dieser Vorteil nur darin, die kleinen Widersprüche in der Theorie vom effizienten Markt zu nutzen, die deren Verfechter von Anfang an eingeräumt hatten, obwohl sie es versäumten, sie angemessen zu betonen. Zum Beispiel bestanden die Theoretiker darauf, dass die Kurse nur bei perfekter Liquidität effizient sein können. Ein Verkäufer, der eine Aktie zum effizienten Preis anbietet, sollte immer einen Käufer finden können. Ansonsten müsste er ja einen Preisabschlag anbieten, wodurch der Preis unter das effiziente Niveau sinken würde. Aber in den 1970er- und 1980er-Jahren konnte ein großer Pensionsfonds, der einen großen Aktienblock abstoßen wollte, keinen Käufer finden, ohne einen Kursabschlag anzubieten. Michael Steinhardt verdiente sein Vermögen, indem er diese Kursabschläge systematisch ausnutzte. Eine eher unbedeutende Fußnote in der Sichtweise des effizienten Markts wurde zur Basis einer Hedgefonds-Legende.

Die tatsächlichen Vorteile von Hedgefonds werden häufig durch die Aussagen ihrer Chefs verdeckt. Die Titanen erscheinen oft wie geheimnisvolle Genies: Sie haben enorme Renditen erzielt, können aber nicht erklären, wie sie das geschafft haben.5 Die vielleicht extremste Version dieses Problems stellte der junge Paul Tudor Jones dar. Bis heute behauptet Jones, er habe den Crash von 1987 antizipiert, weil sein Kollege Peter Borish, der rote Hosenträger trug und knapp über 20 Jahre alt war, den Markt der 1980er-Jahre mit den Charts vor dem Crash von 1929 verglichen hatte. Als er sah, dass beide Linien gleich aussahen, war Jones klar, dass der Markt einbrechen würde. Aber diese Erklärung für Jones’ brillantes Timing ist – gelinde gesagt – nicht adäquat. Erstens gab Borish zu, die Daten manipuliert zu haben.6 Zweitens prognostizierte er, der Crash werde im Frühjahr 1988 stattfinden. Hätte sich Jones an Borishs Ratschlag gehalten, dann wären seine Börsenengagements beim Crash im Oktober ausgelöscht worden. Kurz gesagt: Jones hatte aus Gründen Erfolg, die wir später noch erörtern werden, aber nicht aus den Gründen, die er selbst nannte. Die Lehre daraus: Ein Genie versteht sich manchmal selbst nicht – und das ist eine Lektion, die sich nicht auf den Finanzbereich beschränkt. Der legendäre Tennistrainer Vic Braden beklagte sich einmal: »Bei allen unseren Forschungen mit Spitzenspielern haben wir keinen einzigen gefunden, der immer weiß und erklären kann, was er tut. Sie geben zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Antworten oder ihre Antworten ergeben einfach keinen Sinn.«7

Seit den 1980er-Jahren sind Finanzakademiker immer mehr zu der Erkenntnis gelangt, dass Märkte gar nicht so effizient sind, wie man zuvor geglaubt hatte. Manchmal waren ihre Meinungsänderungen einfach perfekt. Ein junger Wirtschaftswissenschaftler namens Scott Erwin besorgte sich von einer kleinen Firma in Indianapolis eine besonders detaillierte Auflistung der Preise an den Rohstoffmärkten. Nach einer sorgfältigen Analyse verkündete er, dass sich die Preise in Trends bewegten – die Veränderungen waren also nicht zufällig. Er wusste offenbar nicht, dass fast 20 Jahre zuvor einer der ersten Hedgefonds mit dem Namen Commodities Corporation die gleichen Daten analysiert hatte, zur selben Schlussfolgerung gelangt war und einen Computer programmiert hatte, um entsprechend zu traden. Zwischenzeitlich mussten andere Forscher einräumen, dass die Märkte nicht uneingeschränkt liquide sind, was man schon lange zuvor entdeckt hatte, und dass Investoren nicht absolut rational agieren, was für Hedgefonds-Trader eine Binsenweisheit war. Der Crash von 1987 unterstrich diese Zweifel: Wenn sich der Börsenwert aller amerikanischen Unternehmen an einem einzigen Tag um ein Fünftel verändern konnte, dann war es schwer, zu glauben, dass die Bewertung besonderen Respekt verdiene. »Wäre die Theorie vom effizienten Markt ein börsennotiertes Wertpapier, dann wäre ihr Kurs enorm volatil«, spotteten die Harvard-Ökonomen Andrei Shleifer und Lawrence Summers 1990. Aber die Aktie der Theorie vom effizienten Markt – zumindest in der herkömmlichen Definition – ist zusammen mit dem Rest des Markts am 19. Oktober 1987 zusammengebrochen.«8

Die Erkenntnisse über die Grenzen der Markteffizienz wirkten sich massiv auf die Hedgefonds aus. Zuvor war die vorherrschende akademische Meinung, dass diese Fonds scheitern würden. Danach standen die Akademiker Schlange, um in Hedgefonds zu investieren. Wenn die Märkte nicht effizient waren, dann konnte man Geld verdienen. Und die Finanzprofessoren sahen keinen Grund, warum sie nicht diejenigen sein sollten, die davon profitieren. Cliff Asness war recht typisch für diese neue Bewegung. Er hatte an der School of Business der University of Chicago studiert; sein Doktorvater war Eugene Fama, einer der Begründer der Theorie vom effizienten Markt. Aber 1988, als Asness nach Chicago kam, stand Fama an der Spitze einer Gegenbewegung: Zusammen mit seinem jüngeren Kollegen Kenneth French entdeckte Fama nicht zufallsbedingte Marktmuster, die sich für Trader als lukrativ erweisen konnten. Asness schrieb Beiträge für die Veröffentlichungen der beiden Forscher, dann machte er sich auf an die Wall Street und gründete schon bald seinen Hedgefonds. Auf ähnliche Weise wurden die Nobelpreisträger Myron Scholes und Robert Merton, deren Formel zur Optionspreisbewertung aus der Schule vom effizienten Markt erwachsen war, zu Verantwortlichen des Hedgefonds Long-Term Capital Management. Andrei Shleifer, der Harvard-Ökonom, der die Theorie vom effizienten Markt mit einer einbrechenden Aktie verglichen hatte, war zusammen mit zwei weiteren Finanzprofessoren Mitbegründer einer Investmentfirma namens LSC. Sein Mitautor Lawrence Summers vollzog die größte Veränderung: Früher Präsident von Harvard und Wirtschaftsberater von Präsident Obama – heuerte er nun beim quantitativen Hedgefonds D. E. Shaw an.9

Der stärkste Effekt des neuen Konsenses, dass die Märkte nicht effizient sind, war aber nicht der Andrang der Akademiker auf die Hedgefonds. Institutionelle Investoren hatten nun freie Hand, diesen Fonds enorme Mengen an Kapital anzuvertrauen. Auch in dieser Hinsicht waren die Jahre nach 1987 ein Wendepunkt. Zuvor war das meiste Geld der Hedgefonds von reichen Privatanlegern gekommen, die wahrscheinlich die akademische Warnung nicht registriert hatten, es sei unmöglich, besser abzuschneiden als der Markt. Danach kam das meiste Geld der Hedgefonds von Stiftungen, denen ihre gelehrten Berater mitgeteilt hatten, man könne den Markt schlagen – und die daran teilhaben wollten. Die neue Bewegung wurde angeführt von David Swensen, dem Chef der Yale-Stiftung, der sich auf zwei Dinge konzentrierte: Wenn es an den Märkten systematische Muster von der Art gab, wie sie French, Fama und andere identifiziert hatten, dann konnten Hedgefonds auf systematische Weise davon profitieren: Es gab Strategien, von denen man ein gutes Abschneiden erwartete, und man konnte sie im Voraus identifizieren. Außerdem wären die Gewinne aus diesen Strategien nicht nur für sich selbst genommen gut. Durch die Magie der Diversifizierung konnten sie auch das Gesamtrisiko einer Stiftung reduzieren. Und Swensen tätigte in der Tat stark diversifizierte Investitionen: 2002 investierte sein verwegener Fonds von der Westküste in Indonesien und kaufte die größte Bank des Landes, wobei er sich nicht von der Tatsache abschrecken ließ, dass der Zusammenbruch der Währung, eine politische Revolution und islamistischer Extremismus die meisten westlichen Investoren aus dem Land getrieben hatten. Dem Beispiel Swensens folgend pumpten Stiftungen seit den 1990er-Jahren Geld in Hedgefonds – auf der Suche nach den unkorrelierten Renditen, welche die Stiftungsgurus »Alpha« nannten.

Die neue Sichtweise der ineffizienten Märkte bürdete den Hedgefonds auch eine soziale Funktion auf. Das war das Letzte, was sie sich gewünscht hatten. Sie hatten sich vor allem zu einem Zweck auf das Alpha-Spiel eingelassen – sie wollten Geld verdienen. Aber wenn es ein Alpha gab, weil die Märkte ineffizient waren, dann folgte daraus, dass Ersparnisse auf irrationale Art und Weise investiert worden waren. Zum Beispiel besagten die Studien von Fama und French, dass die wenig glamourösen »Value«-Aktien im Vergleich zu den allgemein gepriesenen »Wachstums«-Aktien unterbewertet waren. Das bedeutete, dass den soliden und biederen Firmen Kapital zu teuer und ihren glanzvolleren Rivalen zu billig zur Verfügung gestellt wurde. Das war eine Verschwendung von Wachstumschancen. Auf ähnliche Weise zeigten die Kursabschläge bei Aktiengeschäften mit hohem Volumen, dass sich die Kurse auch dort kapriziös verhalten können, wo dies wenig Beachtung findet. Das erhöhte das Risiko für die Investoren, die dann wiederum höhere Prämien von denen verlangten, die ihr Kapital nutzten. Es war die Funktion der Hedgefonds, solche Ineffizienzen zu korrigieren. Indem er Value-Aktien kaufte und Wachstumsaktien leerverkaufte, trug Cliff Asness seinen Teil dazu bei, die ungesunde Benachteiligung der soliden, eher biederen Firmen zu reduzieren. Indem er Ford-Aktien kaufte, nachdem sie nach einem umfangreichen Verkaufsauftrag unlogischerweise abgesackt waren, stellte Michael Steinhardt sicher, dass die Großmutter mit ein paar Ford-Aktien im Depot immer damit rechnen konnte, einen fairen Preis für sie zu erzielen. Statistik-Arbitrageure wie Jim Simons und David Shaw übertrugen Steinhardts Kunst in ein Computerprogramm und führten seine Mission damit auf ein höheres Niveau. Je mehr Märkte man effizient gestalten konnte, desto mehr Kapital würde man der produktivsten Nutzung zuführen. Je weniger Kurse außer Rand und Band gerieten, desto geringer war vermutlich das Risiko finanzieller Spekulationsblasen – und somit auch das Risiko scharfer, destabilisierender Korrekturen. Durch die Glättung der Verrücktheiten im Marktgeschehen trugen Hedgefonds zu dem bei, was Wirtschaftswissenschaftler den »großen Ausgleich« nannten.

Aber die Hedgefonds warfen auch eine beunruhigende Frage auf: Falls die Märkte zu wilden Spekulationsblasen und Zusammenbrüchen neigten, würden die wildesten Marktteilnehmer die Turbulenzen dann nicht noch verrückter machen? 1994 verkündete die US-Notenbank eine winzige Anhebung der Kurzfristzinsen um einen Viertelprozentpunkt – und der Anleihenmarkt spielte daraufhin verrückt. Hedgefonds, die Leverage einsetzten, waren durch diese Entscheidung auf dem falschen Fuß erwischt worden und begannen, ihre Positionen im großen Stil glattzustellen. Als Drohung zukünftiger Paniken an den Finanzmärkten verbreiteten sich die Turbulenzen von den USA bis nach Japan, Europa und in die Emerging Markets. Einige Hedgefonds gingen unter und für ein paar Stunden sah es sogar so aus, als sollte die Großbank Bankers Trust mit ihnen in den Abwärtsstrudel gezogen werden. Als ob diese Warnung noch nicht gereicht hätte, sah die Welt vier Jahre später eine weitere Pleite in der Branche, als Long-Term Capital Management (LTCM) und die Nobelpreisträger im Management dieses Fonds Bankrott machten. Erschreckt von dem Gedanken, dass eine chaotische Pleite auch den Bankrott von Lehman Brothers verursachen und zu einem Dominoeffekt führen könnte, gerieten die Regulierer in Panik und beeilten sich, die Beerdigung von LTCM zu verwalten. Gleichzeitig richteten Hedgefonds Schaden an, was die Wechselkurspolitik in Europa und Asien betraf. Nach der Asien-Krise klagte Mahatmir Mohamad, Premierminister von Malaysia: »Alle diese Länder haben 40 Jahre lang ihre Volkswirtschaften aufgebaut – und dann kommt ein Trottel wie Soros mit viel Geld zum Spekulieren daher und ruiniert alles.«10

Aus all diesen Gründen gab es am Beginn des 21. Jahrhunderts zwei gegensätzliche Meinungen über Hedgefonds. Manchmal wurden die Fonds als stabilisierende Helden gefeiert, die ineffiziente Kurse wieder auf die richtige Linie zwangen. Manchmal wurden sie auch als die schwachen Glieder beschimpft, deren eigene Instabilität oder rücksichtslose Aggression die Weltwirtschaft bedrohten. Letztlich ging es um den von A. W. Jones so hochgeschätzten Einsatz von Fremdkapital (Leverage) – oder besser gesagt: um eine wesentlich erweiterte Version dieses Faktors. Leverage gab den Hedgefonds die nötige Munition, um umfangreichere Trades durchführen und die Kurse somit effizienter und stabiler machen zu können. Aber Leverage machte Hedgefonds auch anfälliger für Schocks: Wenn ihre Trades gegen sie liefen, konnte ihre dünne Kapitaldecke blitzschnell verbrennen. Das zwang sie dazu, Positionen schnell abzustoßen, was die Kurse wiederum destabilisierte.11 Nach dem Kursverfall am Anleihenmarkt 1994 und der Pleite von Long-Term Capital Management 1998 befanden sich die beiden konkurrierenden Ansichten über Hedgefonds in einer Pattsituation. In den USA und Großbritannien betonte man vor allem die stabilisierenden Funktionen von Hedgefonds. Anderswo beachtete man eher deren destabilisierende Auswirkungen in Paniksituationen. Fast schon komisch: Die Länder, die Hedgefonds am positivsten sahen, waren auch diejenigen, in denen diese Fonds ihren Sitz hatten.

Dann kam die Krise von 2007 bis 2009 und jedes Urteil über finanzielle Themen wurde hinterfragt. Die Börsenturbulenzen der 1990er-Jahre konnte man als akzeptablen Preis für die Vorteile eines ausgefeilten und gehebelten Finanzsystems interpretieren, aber die Umwälzungen von 2007 bis 2009 lösten die schlimmste Rezession seit den 1930er-Jahren aus. Natürlich wurden auch Hedgefonds in die Panik verstrickt. Im Juli platzte ein Kredit-Hedgefonds namens Sowood. Im folgenden Monat versuchten etwa ein Dutzend quantitativer Hedgefonds gleichzeitig, ihre Positionen zu liquidieren, was wilde Schwankungen an den Aktienmärkten und Verluste in Milliardenhöhe verursachte. Das folgende Jahr verlief noch wesentlich brutaler. Lehman Brothers brach zusammen und in der Konkursmasse dieser Bank gab es Kapital einiger Hedgefonds. Die daraus resultierenden Turbulenzen führten bei den meisten anderen Hedgefonds zu Verlusten. Sie benötigten Fremdkapital, aber in den Wochen nach der Lehman-Pleite verlieh niemand Geld. Hedgefonds hatten ihre Strategien auf Leerverkäufe aufgebaut, aber nach der Lehman-Panik verfügten manche Regierungen in dieser Hinsicht einige unbeholfene Einschränkungen. Hedgefonds waren auf die Geduld ihrer Investoren angewiesen, die ihr Geld jederzeit kurzfristig abziehen konnten. Aber mit der Geduld war es sehr schnell vorbei, als die Märkte in einen Abwärtsstrudel gerieten. Die Investoren verlangten ihr Geld zurück und einige Fonds führten diesbezüglich zeitliche Restriktionen ein. War damit erwiesen, dass die Risiken von Hedgefonds ihre Vorteile überwogen? Sie hatten eben nicht die »große Mäßigung« erreicht, sondern die »große Katastrophe« mit verursacht.

Diese Schlussfolgerung mag zwar naheliegend sein, aber sie ist fast mit Sicherheit falsch. Die Katastrophe hat in der Tat bewiesen, dass das Finanzsystem kaputt ist, aber sie hat eigentlich nicht gezeigt, dass Hedgefonds dabei das Problem sind. Zunächst hat sie demonstriert, dass die Zentralbanken die Volkswirtschaften vielleicht auf eine neue Art und Weise steuern müssen. Statt sich auf die Verbraucherpreisinflation zu konzentrieren und die Inflation bei Vermögensgegenständen zu ignorieren, müssen sie versuchen, die Luft aus Spekulationsblasen zu lassen. Diese Lektion liegt seit den ersten Hedgefonds-Pleiten 1994 nahe. Hätte die Fed Mitte der 2000er-Jahre den Einsatz von Fremdkapital eingeschränkt und die Zinsen erhöht, dann hätte es später weniger Verrücktheiten gegeben. Die amerikanischen Haushalte hätten ihre Verschuldung nicht von 66 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 100 Prozent zehn Jahre später erhöht. Immobilienfinanzierungsfirmen hätten nicht so viele Hypotheken verkauft, ohne sich um die Bonität der Schuldner zu kümmern. Fannie Mae und Freddie Mac, die beiden halbstaatlichen Immobilienfinanzierer, wären sehr wahrscheinlich nicht zusammengebrochen und hätten sich nicht in die Arme der Regierung flüchten müssen. Geschäftsbanken wie Citigroup und Investmentbanken wie Merrill Lynch hätten sich nicht so gierig auf durch Hypotheken abgesicherte Wertpapiere gestürzt, die sich schließlich als wertlos erwiesen, und dabei ihr Kapital verschwendet. Die Fed ermöglichte diesen Verschuldungsrausch, weil sie sich entschlossen auf die Inflation der Verbraucherpreise konzentrierte und glaubte, Spekulationsblasen problemlos ignorieren zu können. Das Gemetzel von 2007 bis 2009 hat gezeigt, wie falsch diese Einschätzung war. Da es die Möglichkeit gab, Kredite fast zum Nullzins aufzunehmen, verschuldeten sich die Leute hemmungslos.

Zudem hat die Krise gezeigt, dass Finanzfirmen mit nicht funktionierenden finanziellen Anreizen belastet sind. Das deutlichste Problem ist »Too Big to Fail« – also Unternehmen, die zu wichtig sind, als dass man sie scheitern lassen könnte. Die Giganten der Wall Street überladen sich mit Risiken, weil sie fest davon ausgehen, dass die Steuerzahler sie notfalls retten werden. Andere Marktteilnehmer schließen sich dieser Ruchlosigkeit bereitwillig an, weil sie ebenfalls an die Unterstützung durch die Regierung glauben. Aber dieses Problem gibt es hauptsächlich bei denjenigen Institutionen, die tatsächlich von der Regierung gerettet worden sind: Geschäftsbanken wie Citigroup, frühere Investmentbanken wie Goldman Sachs oder Morgan Stanley, Versicherer wie AIG, die Geldmarktfonds, die auf dem Höhepunkt der Krise eine Notgarantie der Regierung erhielten. Im Gegensatz dazu schafften es die Hedgefonds ohne direkte Unterstützung der Steuerzahler durch die Krise: Es gibt keinen Präzedenzfall, der dafür spräche, dass die Regierung hinter ihnen steht. Sogar als Long-Term Capital 1998 kollabierte, überwachte die Regierung zwar die Beerdigung dieses Fonds, stellte aber kein Geld zur Verfügung, um seine Verluste abzudecken. Irgendwann in der Zukunft könnte sich auch ein aufgeblähter Hedgefonds als »Too Big to Fail« erweisen – und darum sollten die größten Hedgefonds sowie diejenigen mit dem höchsten Leverage reguliert werden. Aber die große Mehrheit der Hedgefonds ist zu klein, um für das Finanzsystem in seiner Gesamtheit eine Bedrohung darzustellen. Sie können auf sichere Weise scheitern, auch wenn sie vor dem Scheitern nicht sicher sind.12

Der andere zweifelhafte Anreiz im Finanzwesen betrifft die Gehaltspakete der Händler. Wenn die Händler enorme Risiken eingehen, verdienen sie ein Vermögen, falls sie richtigliegen. Aber wenn sie falschliegen, erleiden sie keine vergleichbaren Strafen. Die Gewinnbeteiligungen und Boni schrumpfen zwar, aber sie geraten nicht in den negativen Bereich. Auch dieses Problem – »Bei Kopf gewinne ich, bei Zahl verlierst du« – stellt sich bei Banken in schärferer Form dar als bei Hedgefonds. Bei Hedgefonds gibt es in aller Regel »High Water Marks«: Wenn sie in einem bestimmten Jahr Geld verlieren, berechnen sie reduzierte oder eventuell auch gar keine Gewinnbeteiligungen, bis die Verluste wieder aufgeholt sind. Die Chefs von Hedgefonds investieren in der Regel auch ihr eigenes Geld in ihre Fonds. Sie spekulieren also mit Kapital, das ihnen zumindest teilweise selbst gehört – ein sehr wirksamer Anreiz, Verluste zu vermeiden. Im Gegensatz dazu gibt es bei den Händlern der Banken allgemein weniger Beschränkungen. Sie setzen einfach das Geld anderer Leute aufs Spiel. Daher ist es vielleicht keine Überraschung, dass ein typischer Hedgefonds bei der Anwendung von Leverage wesentlich vorsichtiger agiert als eine typische Bank. Im Schnitt leiht sich ein Hedgefonds nur den Gegenwert oder das Doppelte des Kapitals seiner Investoren. Sogar diejenigen Fonds, denen man sehr hohen Leverage nachsagt, leihen sich meist weniger als das Zehnfache. Dagegen arbeiteten Investmentbanken wie Goldman Sachs oder Lehman Brothers vor der Krise mit dem 30-Fachen des eigenen Kapitals. Und nach manchen Maßstäben lag der Leverage bei Banken wie Citigroup sogar noch höher.13

Schon die Struktur der Hedgefonds fördert eine geradezu paranoide Disziplin. Banken sind in aller Regel etablierte Institutionen mit selbstzufriedenen Chefs. Hedgefonds sind im Allgemeinen instabile neue Unternehmungen, deren Chefs kein Problem damit haben, die ganze Nacht wach zu bleiben, um zu überprüfen, ob ein bestimmtes Geschäft geklappt hat. Banken sammeln mithilfe staatlich garantierter Absicherungen ihrer Einlagen die Ersparnisse der Bürger ein. Hedgefonds müssen beweisen, dass sie Risiken managen können, ehe Kunden ihnen ihr Geld anvertrauen. Banken wissen: Wenn sie eine Liquiditätskrise erleiden, haben sie Zugang zu Notfallkrediten der Zentralbank; also haben sie kein Problem damit, massiv auf kurzfristige Ausleihungen zu setzen. Hedgefonds haben kein vergleichbares Sicherheitsnetz und daher werden sie immer zögerlicher, was kurzfristige Kredite betrifft. Die Banken stehen auf dem Standpunkt, alles sei in Ordnung, solange die Schuldner ihre Kredite zurückzahlen. Hedgefonds richten ihre Portfolios nach den Marktgegebenheiten aus. Das bedeutet: Schon leichte Anzeichen dafür, dass die Schuldner in Zukunft Probleme haben werden, können die Gewinne des Hedgefonds unmittelbar beeinflussen.14 Die Investitionen der Banken werden oft von der Frage beeinflusst, welche Gebühren sie dafür einstreichen können. Hedgefonds leben (und sterben) von der Performance ihrer Investitionen; also sind sie weniger abgelenkt oder konfliktbeladen. Aus all diesen Gründen sollte eine Definition der Hedgefonds ihre Unabhängigkeit betonen. Sogenannten Hedgefonds, die in Wahrheit Tochterunternehmen von Banken sind, fehlen die Paranoia und die Konzentration, die echten Hedgefonds ihren ganz speziellen Charakter verleihen.

Als ich Anfang 2010 mit der Arbeit an diesem Buch fertig wurde, schienen die Regulierer fest dazu entschlossen, scharf gegen die Finanzbranche vorzugehen. Größtenteils war dies auch berechtigt; auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung beanspruchten die Finanzunternehmen mehr Kapital als angemessen und gingen Risiken ein, welche die Steuerzahler teuer zu stehen kamen. Aber die Kritiker der Wall Street sollten einen Moment nachdenken, ehe sie die Hedgefonds gleichermaßen anprangern. Wer wird Risiken letztlich besser analysieren und managen? Geschäftsbanken und Investmentbanken, die entweder pleitegehen oder von der Regierung gerettet werden? Fondsunternehmen, die Geldmarktprodukte verscherbeln, denen die Regierung einen Riegel vorschieben musste? Und welche Art von Zukunft bevorzugen die Kritiker: Eine, in der die Risiken in gigantischen Banken konzentriert sind, für die letztlich die Steuerzahler einstehen müssen – oder eine Zukunft, in der die Risiken auf kleinere Hedgefonds verteilt sind, die nicht darauf hoffen können, von der Regierung gerettet zu werden? Die Krise hat den moralischen Konflikt im Kern der Finanzbranche offengelegt: Die geretteten Banken können erwarten, dass sie immer wieder aufgefangen werden, wenn sie eigentlich pleite wären. Daher gibt es für sie nur geringe Anreize, exzessive Risiken zu meiden, was eine Pleite nur zu wahrscheinlich macht. Der Kapitalismus funktioniert nur dann, wenn die Institutionen dazu gezwungen werden, die Folgen der von ihnen eingegangenen Risiken auch tatsächlich zu schultern. Wenn Banken Gewinne einstreichen, die Kosten ihrer Fehler aber auf andere verteilen können, ist das Scheitern so gut wie sicher.

Wenn die Politiker ernsthaft aus der Krise zwischen 2007 und 2009 lernen wollen, müssen sie den Finanz-Supermärkten mit ihren wirren und einander überlappenden Gewinnzielen Einhalt gebieten und konzentrierte, kleinere Anbieter fördern, die je nach Qualität ihres Risikomanagements gedeihen oder untergehen. Sie müssen Kapital aus von den Steuerzahlern finanzierten Institutionen zu solchen verlagern, die auf eigenen Füßen stehen. Sie müssen Institutionen schrumpfen lassen, die zu groß sind, um zu scheitern, und solche bevorzugen, die klein genug sind, um pleitegehen zu können. Die Geschichte von A. W. Jones und seinen Nachfolgern zeigt, dass eine partielle Alternative zu den Bank-Supermärkten bereits existiert. Die Zukunft des Finanzwesens liegt in der Geschichte der Hedgefonds – und zwar in überraschendem und bisher noch nicht erkanntem Ausmaß.

1. BIG DADDY

Als sich das zweite goldene Zeitalter Amerikas dem Ende zuneigte und der erste Finanzcrash des 21. Jahrhunderts bevorstand, erwiesen sich die Manager einiger Dutzend Hedgefonds als inoffizielle Könige des Kapitalismus. Die Globalisierung führte zu noch nie da gewesenem Wohlstand; dieser Wohlstand schuf teilweise enormen Reichtum. Und dieser Reichtum wurde in ruhigen Fonds geparkt, deren Manager kräftig profitierten. Allein in den drei Jahren von 2003 bis 2006 verdoppelte sich das Kapital der 100 größten Hedgefonds auf 1 Billion Dollar1 – genug, um alle an der Börse Shanghai gelisteten Aktien oder die jährliche Wirtschaftsleistung Kanadas aufzukaufen. Niemand zweifelte daran, dass dieses Hedgefonds-Phänomen neu, noch nie da gewesen und ein Symbol der damaligen Ära war. Ein Zeitschriftenautor erklärte: »Es ist der große Traum an der Wall Street geworden, einen Hedgefonds mit einem Kapital von einigen hundert Millionen Dollar zu führen und dabei zweistellige Millionenbeträge für sich selbst einzustreichen.«2 Ein anderer schrieb: »Hedgefonds sind der letzte Schrei auf dem heutigen Markt – das logische Extrem des protzigen Erfolgskults.«3

Aber Hedgefonds sind nicht neu. Es gab sie auch früher schon. Die erste oben zitierte Zeile stammt aus einem 2004 im New York Magazine veröffentlichten Artikel. Die zweite stammt aus einem bemerkenswert ähnlichen Artikel im New York Magazine, der allerdings vier Jahrzehnte früher veröffentlicht wurde. Der Artikel von 2004 betonte, dass Hedgefonds-Manager »die Richtung des Markts 22 Tage hintereinander korrekt prognostizieren« können. In der Version von 1968 ging es um »den Hedgefonds-Typ, der sieben Wochen lang einen Gewinn von 20 Prozent pro Woche auf sein Kapital« erzielt hatte. Der Artikel von 2004 klagte über Hedgefonds, die »nicht nur arrogant und isoliert, sondern auch noch heimlich« agierten. In der Version von 1968 hieß es mürrisch, die »Menschen in der Hedgefonds-Branche« sprächen »nur zögerlich über ihre Erfolge«. Hätten sich die Hedgefonds-Manager als die Stars des neuen Jahrhunderts erwiesen – hätten sie also die Unternehmensaufkäufer-Barone der 1980er-Jahre und die Dotcom-Magier der 1990er-Jahre abgelöst –, dann sollte man sich daran erinnern, dass sie auch schon die Stars einer früheren Ära waren. In einem bekannten Bericht über den Boom der 1960er-Jahre heißt es: »Ein Hedgefonds-Manager kann sich vom Markt entfernen und dennoch wissen, wo dessen Rhythmus und sein eigener Rhythmus miteinander im Einklang sind.« »Wenn man wirklich weiß, was vor sich geht, muss man nicht einmal wissen, was vor sich geht, um zu wissen, was vor sich geht … Man kann die Schlagzeilen ignorieren, weil man sie schon vor Monaten antizipiert hat.«4

Die größte Legende der ersten Hedgefonds-Ära war Alfred Winslow Jones, der Gründervater, von dem bereits die Rede war. Im New York Magazine wurde er 1968 als »Big Daddy« der Branche beschrieben. Allerdings war er ein sehr untypischer Wall-Street-Patriarch. Wie viele der Hedgefonds-Titanen späterer Zeiten veränderte er die Finanzbranche und hielt sich dennoch in gewisser Weise von ihr fern. 1949, als Jones seinen »abgesicherten Fonds« erfand, wurde der Berufsstand der Vermögensverwalter von steifen, konservativen Typen dominiert, die man bezeichnenderweise »Treuhänder« nannte. Ihre Aufgabe bestand lediglich darin, das Kapital zu bewahren, statt es zu mehren. Die führenden Unternehmen der Branche trugen Namen wie Fidelity und Prudential – und sie verhielten sich auch so. Der Autor John Brooks beschrieb einen guten Treuhänder wie folgt: »Er ist ein Muster unnahbarer Ehrlichkeit und Nüchternheit. Sein weißes Haar ist streng, aber auch nicht zu streng gescheitelt – und seine blauen Yankee-Augen zwinkern niemals.«5 Aber Jones war aus völlig anderem Holz geschnitzt. Als er sich dem Finanzbereich zuwandte, hatte er bereits rastlos mit anderen Karrieren experimentiert. Er pflegte Freundschaften zu Schriftstellern und Künstlern, die nicht alle ständig nüchtern waren. Und obwohl er der Begründer der hyperkapitalistischen Hedgefonds werden sollte, hatte er in seiner Jugend heftig mit dem Marxismus sympathisiert.

Jones wurde in der neunten Stunde des neunten Tages des neunten Monats des Jahres 1900 geboren – eine Tatsache, mit der er noch viele Jahre später seine Familie langweilte.6 Er war der Sohn eines Amerikaners, der die Geschäfte von General Electric in Australien leitete. Nach einer Familienlegende besaßen die Jones das erste Auto in Australien. Ein Familienfoto aus dieser Zeit zeigt den dreijährigen Alfred, der eine weiße Matrosenmütze und eine weiße Jacke trägt. Neben ihm sitzt seine Mutter mit einem aufwendigen, federgeschmückten Hut. Nachdem die Familie zum Stammsitz von GE in Schenectady, New York, zurückgekehrt war, ging Alfred dort zur Schule und studierte, der Familientradition folgend, in Harvard. Aber als er 1923 sein Studium abgeschlossen hatte, wusste er nicht, was er tun sollte. Ihm gefiel keiner der typischen offensichtlichen Karrierewege für einen begabten Absolventen einer Elite-Universität. Allmählich begann das Jazz-Zeitalter. F. Scott Fitzgerald beschrieb die ziellosen Antihelden in seinem Roman Der große Gatsby: schlank, groß gewachsen, mit weichen Gesichtszügen und dichtem Haarwuchs. Jones hätte problemlos in Fitzgeralds Welt gepasst. Aber Jones hatte andere Pläne für sein Leben. Er hatte die Wanderlust seines Vaters geerbt und heuerte als Zahlmeister auf einem Trampdampfer an, wo er ein Jahr damit verbrachte, in der ganzen Welt herumzureisen. Später nahm er einen Job in der Exportbranche und dann einen als Statistiker bei einem Investmentberater an. Nachdem er noch eine ganze Weile ziellos gelebt hatte, absolvierte er die Prüfung für den Auslandsdienst und erhielt eine Anstellung im Außenministerium.7

Jones wurde sofort als Vizekonsul der USA nach Berlin versetzt und kam im Dezember 1930 dort an. Die Wirtschaft Deutschlands befand sich im freien Fall: Die Produktion war in diesem Jahr um 8 Prozent geschrumpft und es gab 4,5 Millionen Arbeitslose. Bei den Wahlen drei Monate zuvor hatte die kaum bekannte nationalsozialistische Partei von der im Volk verbreiteten Wut profitiert und 107 Sitze im Reichstag erreicht.8 Jones’ Aufgaben brachten ihn in unmittelbaren Kontakt mit den Problemen Deutschlands. Er verfasste zwei Studien über die Lebensbedingungen der deutschen Arbeiter. Eine befasste sich mit deren Zugang zu Nahrungsmitteln, die andere mit der Wohnsituation. Seine Beziehung zu Deutschland wurde intensiver, als er Anna Block kennenlernte, eine sozialistische Aktivistin gegen die Herrschaft der Nazis. Anna war die Tochter einer jüdischen Bankiersfamilie – attraktiv, kokett und wohlhabend. Für eine Weile entkam sie der Entdeckung durch die Nazis, indem sie ihre Aktionen von der Geburtsabteilung einer Berliner Klinik aus durchführte. Jahre später, als sie in Paris für die Widerstandsbewegung tätig war, wettete sie darauf, dass sie sich nur mit einer Pappschachtel als Gepäck im besten Hotel von London einmieten könne. Als Jones Anna 1931 kennenlernte, arbeitete sie für eine Gruppe, die sich als Leninistische Organisation bezeichnete, und war darauf aus, ihren dritten Ehemann zu finden. Jones war fasziniert von Annas Mischung aus sozialistischem Engagement und großbürgerlichem Charme. In persönlicher und politischer Hinsicht wurde er zu ihrem Erfüllungsgehilfen.9

Jones heiratete Anna heimlich, aber diese Verbindung wurde von seinen Kollegen in der Botschaft schnell entdeckt. Dieser Bruch führte zu seinem Abschied aus dem auswärtigen Dienst im Mai 1932, nur anderthalb Jahre nach seinem Eintritt. Aber dies war nicht das Ende seiner Verbindung zu Deutschland. Im Herbst 1932 kehrte er unter dem Pseudonym »Richard Frost« nach Berlin zurück und arbeitete heimlich für die Leninistische Organisation.10 Im folgenden Jahr vertrat er die Gruppe in London, wobei er den Decknamen »H. B. Wood« annahm und versuchte, die britische Labour Party, die pazifistisch gesinnt war, davon zu überzeugen, dass militärische Aktionen gegen Hitler erforderlich seien. Den britischen Behörden wurden Jones’ Aktivitäten allmählich verdächtig; vor allem als sie erfuhren, dass er die marxistische Arbeiterschule in Berlin besucht hatte, die unter der Verwaltung der deutschen kommunistischen Partei stand. Ein Offizieller des Außenministeriums schrieb in einer Antwort auf eine dringende Anfrage aus London11: »Es ist bekannt, dass Mr. Jones während seiner Tätigkeit im auswärtigen Dienst Interesse für den Kommunismus gezeigt hat.«

Der deutsche Widerstand gegen Hitler erwies sich eher als romantisch denn als praktisch wirksam. Dasselbe hätte man auch über Jones’ Beziehung zu Anna sagen können. Das Paar ließ sich nach wenigen Monaten scheiden und Jones ging 1934 von London nach New York. Dort schrieb er sich als Student der Soziologie an der Columbia University ein und heiratete Mary Elisabeth Carter, ein Mädchen aus der Mittelschicht, deren Eltern eine Plantage in Virginia hatten.12 Jones’ Leben schien nun in konventionellen Bahnen zu verlaufen, aber der Wechsel war nicht vollständig. Er erhielt seine Verbindungen zu linken Gruppierungen in Deutschland in den 1930er- und in den frühen 1940er-Jahren aufrecht. Und möglicherweise war er auch in Operationen des amerikanischen Geheimdienstes involviert.13 Nach seiner Heirat mit Mary brach er 1937 zu einer Hochzeitsreise in das vom Krieg zerrissene Spanien auf.14 Die frisch Verheirateten reisten per Anhalter mit der Schriftstellerin Dorothy Parker bis an die Front. Dort trafen sie Ernest Hemingway, der sie zu einer Flasche Scotch Whisky einlud.

Die Auflösung Europas, deren Zeuge Jones zunächst in Deutschland und dann in Spanien wurde, war eine Extremversion der Turbulenzen in seinem eigenen Land. Das in Der große Gatsby geschilderte Amerika war von dem verdrängt worden, was John Steinbeck in Früchte des Zorns schilderte; das Jazz-Zeitalter war der Depression gewichen. An der Wall Street folgte in den frühen 1930er-Jahren eine Reihe von Kurseinbrüchen auf den Crash vom Oktober 1929. Investoren flohen scharenweise aus dem Markt, in den früher so geschäftigen Brokerbüros wurde es ruhig. Es hieß, dass man durch die berühmten Straßen in der Nähe der Börse spazieren konnte, ohne aus den offenen Fenstern etwas anderes zu hören als das Klackern von Backgammon-Würfeln.15 Das Erstaunliche an Jones ist allerdings, dass er nach den Erfahrungen mit der politischen Linken im Untergrund aus all diesen Turbulenzen vernünftiger hervorging, als er zuvor je gewesen war. Er setzte sich ehrgeizig mit den drängendsten Fragen seiner Zeit auseinander, aber seine Entscheidungen waren recht moderat.

Jones’ Politik erwuchs aus seinen Veröffentlichungen als Soziologe und Journalist. In den späten 1930er-Jahren, als sich die Bedrohung durch die Nazis in ganz Europa verbreitete, stürzte sich Jones in die Forschungen für seine Doktorarbeit, motiviert vom Wunsch, zu verstehen, ob ein solches Unglück auch sein eigenes Land treffen könnte.16 Seine Doktorarbeit reflektierte die Voreingenommenheit der politischen Linken beim Thema der soziologischen Klassenstrukturen. Es war sein Anliegen, die Beziehung zwischen der wirtschaftlichen Situation der Amerikaner und ihrer Einstellung zum Eigentum herauszufinden; er wollte »erforschen helfen, in welchem Maß wir ein einiges Volk und in welchem Maß wir eine getrennte Klassengesellschaft sind«.17 Ende 1938 und Anfang 1939 zog Jones mit Mary nach Akron in Ohio, damals ein Brennpunkt industrieller Konflikte. Er organisierte ein Team von Assistenten, die 1700 Interviews durchführten. Als er die Ergebnisse dieser Interviews einer statistischen Überprüfung unterzog, kam er zu der Schlussfolgerung, dass akute ökonomische Unterschiede nicht wirklich zu polarisierten Weltanschauungen führen. Das widersprach den sozialistischen Ansichten aus seiner Jugend und war ein Beweis für die Lebensfähigkeit der amerikanischen Demokratie.

Jones’ Doktorarbeit, die er 1941 unter dem Titel Life, Liberty and Property in Buchform veröffentlichte, wurde zu einem Standardwerk der Soziologie. Sie verhalf Jones zudem zu einer weiteren Karriere – diesmal als Journalist. Die Zeitschrift Fortune publizierte eine Kurzfassung der Doktorarbeit und bot Jones zudem einen Job an. Er nahm das Angebot freudig an, obwohl er das Schreiben als harte Arbeit empfand. In einem 1942 veröffentlichten Essay forderte er, dass Roosevelts Verstaatlichungspolitik revidiert werden müsse, sobald der Krieg vorbei sei.18 Sein Respekt für den Markt, der seine Entwicklung weg vom Sozialismus und hin zur politischen Mitte bestärkte, vermischte sich mit seinem bleibenden Interesse an Verteilungsprogrammen. »Das Ideal«, so schrieb er in der Fortune, sei eine Mischung aus rechter und linker Politik. »So konservativ wie möglich beim Schutz des freien Marktes und so radikal wie nötig bei der Sicherung der Wohlfahrt der Menschen.«

1948 gab ihm ein Auftrag von der Fortune die Möglichkeit, sich mit der Finanzbranche zu beschäftigen, die er seit seiner kurzen Tätigkeit für einen Anlageberater zwei Jahrzehnte zuvor weitgehend ignoriert hatte. Das Ergebnis war ein Artikel, der 1949 unter dem Titel »Fashions in Forecasting« veröffentlicht wurde. Er ist vor allem deshalb erstaunlich, weil er keine Verbindungen zu Jones’ späterem Erfolg an der Wall Street aufweist. Allerdings antizipiert er einige Hedgefonds, die später kommen sollten.

Der Artikel begann mit einer Attacke auf die »standardisierten, altmodischen Methoden zur Prognose des Aktienmarkts«, also die Untersuchung von Frachtaufkommen, Rohstoffpreisen und anderen ökonomischen Daten zur Bestimmung, wie Aktien bewertet sein sollten. Diese Bewertungsmethode erfasste einen Großteil des tatsächlichen Börsengeschehens nicht. Jones nannte etliche scharfe Kursveränderungen von Aktien in Zeiten, als sich die ökonomischen Daten nicht verändert hatten. Nach dieser Zurückweisung der fundamentalen Analyse wandte sich Jones einer Vorgehensweise zu, von der er sich mehr versprach: die Feststellung, dass Aktienkurse von prognostizierbaren Mustern der Anlegerpsychologie angetrieben werden. Geld mochte vielleicht eine Abstraktion sein, eine Serie von Zahlensymbolen, aber es war auch ein Medium, das einen verbissenen Kampf zwischen Furcht und Gier ausdrückte; es war ein Barometer der Massenpsychologie.19 Vielleicht war es ganz natürlich, dass ein Soziologe die Hypothese attraktiv fand.

Jones war der Überzeugung, dass die Emotionen der Anleger Trends am Aktienmarkt auslösen. Ein Anstieg der Aktienkurse macht die Investoren optimistisch, was zu einem weiteren Kursanstieg führt. Dies wiederum löst noch stärkeren Optimismus aus – und so weiter. Diese Rückkoppelungsschleife treibt die Aktienkurse nach oben und schafft einen Trend, dem man mit Gewinn folgen kann. Der entscheidende Trick ist, in dem Moment auszusteigen, wenn sich die Psychologie umkehrt – wenn die Rückkoppelungsschleife die Kurse auf ein unhaltbar hohes Niveau geführt hat, wenn die Gier der Angst Platz macht und das Pendel in die andere Richtung ausschlägt. Die Prognostiker, die Jones in der Fortune porträtierte, präsentierten neue Methoden zur Erkennung dieser Wendepunkte. Manche glaubten, ein Kursanstieg stehe vor seinem Ende, wenn der Dow-Jones-Index steigt, die meisten Einzelaktien aber fallen. Andere argumentierten, dass einer Hausse die Käufer ausgehen und die Wende bevorsteht, wenn bei steigenden Kursen die Umsätze sinken. Alle aber waren sich darin einig, dass Aktiencharts das Geheimnis des finanziellen Erfolgs enthalten, weil sich die Muster in diesen Charts wiederholen.

Jones zollte den die Charts beobachtenden Prognostikern Respekt, zeigte aber eine erstaunliche Ignoranz in Bezug auf die akademischen Wirtschaftswissenschaften. 1933 und 1934 hatte Alfred Cowles, einer der Begründer der statistischen Methoden in der Ökonomie, zwei Studien publiziert, in denen er Tausende von Anlageempfehlungen auswertete, die von Praktikern an den Finanzmärkten stammten. Der erste der beiden Artikel erschien mit der Überschrift »Können Aktienmarktprognostiker prognostizieren?« Die Zusammenfassung bestand nur aus drei Wörtern und beantwortete die Frage: »Das ist zweifelhaft.« Jones zitierte Cowles’ Studien selektiv in der Fortune und erwähnte nebenbei, der Meister habe Hinweise auf Trends in monatlichen Kursentwicklungen gefunden. Er erwähnte nicht, dass Cowles keine Trends gefunden hatte, als er Kurse in Drei-Wochen-Intervallen untersuchte. Zudem verschwieg er Cowles’ Schlussfolgerung, dass jede Erscheinung von Kursmustern an den Märkten zu schwach und zu unzuverlässig sei, um auf dieser Basis profitables Trading zu ermöglichen.20 Aber zumindest in einem Punkt waren sich Jones und Cowles einig: Beide waren der Meinung, dass erfolgreiche Börsenprognostiker ihre Performance nicht dauerhaft aufrechterhalten können. Schon die Tatsache, dass eine Prognose abgegeben wird, zerstört sie wahrscheinlich. Nehmen wir zum Beispiel an, ein Finanzprognostiker könne sagen, wann ein Aufwärtstrend einige Tage lang bestehen bleibt, bis ein bestimmtes Kursniveau erreicht ist. Die Investoren würden diesen Ratschlag befolgen, den Kurs sofort bis auf das vorhergesagte Niveau treiben und den Trend somit sehr frühzeitig abwürgen. Auf diese Weise würden die Prognostiker die Funktion der Märkte beschleunigen und sich selbst um ihre Jobs bringen. Wie Jones in der Fortune schrieb, würde es dann keine Trends mehr geben. Der Markt würde »auf relativ sanfte und geordnete Weise fluktuieren und sich lediglich fundamentalen ökonomischen Veränderungen anpassen.«

In einem Maß, das er selbst unmöglich vorhergesehen haben konnte, antizipierte Jones die Geschichte der Hedgefonds. In den folgenden Jahrzehnten entdeckten Finanzinnovatoren immer wieder Möglichkeiten, von den Märkten zu profitieren. Viele von ihnen mussten feststellen, dass die Gewinnchancen verschwanden, wenn erst einmal eine genügende Anzahl von Investoren ihre Erkenntnisse verstanden hatten, weil die Märkte effizienter geworden waren. In den 1950er- und 1960er-Jahren sollte Jones selbst eine neue Markteffizienz schaffen. Aber die Art dieser Veränderungen war sicherlich nicht das, was er erwartet hatte.

Als im März 1949 der Artikel in der Fortune erschien, hatte Jones bereits den ersten Hedgefonds der Welt gestartet. Der Grund dafür war keine plötzlich bei ihm ausgebrochene Begeisterung für die Finanzmärkte. Ganz im Gegenteil: Er beschäftigte sich mehr mit seiner politischen Entwicklung vom Liberalismus zum Sozialismus und zurück und mit Gartenarbeit auf seinem neuen Landsitz in Connecticut.21 Nun aber, da er Ende 40 war, zwei Kinder und teure Leidenschaften hatte, kam er zu dem Entschluss, dass er Geld brauche.22 Seine Bemühungen, als Journalist mehr zu verdienen, waren gescheitert. Er hatte Forbes in der Hoffnung verlassen, eine neue Zeitschrift auf den Markt bringen zu können, aber er hatte mit zwei Entwürfen keine Finanziers gefunden. Da er auf dem Gebiet der Publizistik nicht vorankam, wechselte Jones zu Plan B. Er sammelte von vier Freunden 60.000 Dollar ein und steckte 40.000 Dollar von seinem eigenen Geld in sein Geschäft, um sein Glück als Investor zu versuchen.

Jones’ Erfolgsbilanz in den folgenden 20 Jahren gehört zu den bemerkenswertesten aller Zeiten. Bis 1968 hatte er eine Gesamtrendite von knapp 5000 Prozent erzielt. Das bedeutete, dass ein Anleger, der ihm 1949 10.000 Dollar anvertraut hatte, nun stolze 480.000 Dollar besaß.23 Seine Konkurrenten ließ er weit hinter sich. Zum Beispiel erzielte er in den fünf Jahren vor 1965 eine Rendite von 325 Prozent, was die Rendite des heißesten Investmentfonds im selben Zeitraum (225 Prozent) vergleichsweise bescheiden aussehen ließ. In den zehn Jahren vor 1965 hatte Jones fast doppelt so viel verdient wie sein erfolgreichster Wettbewerber.24 Nach anderen Maßstäben kann sich seine Performance in diesen Jahren sogar mit der Leistung von Warren Buffett messen.25

Jones’ Investmentfirma startete in einem schäbigen, aus anderthalb Zimmern bestehenden Büro in der Broad Street. Er hatte die Büroräume von einem Versicherungsunternehmen angemietet, das einem seiner Investoren gehörte: einem eleganten Herrn, der gern blaue Hemden mit weißem Kragen und dazu eng geknotete Krawatten trug. Er fuhr ein wunderschönes Packard-Cabriolet. An manchen Vormittagen in diesen Jahren holte Carlton sein prächtiges Auto aus der Garage und fuhr zu Jones’ Wohnung, 30 Sutton Place. Dann fuhren beide mit offenem Verdeck an der East Side entlang und tauschten ihre Börsenprognosen aus. Auf Jones’ Schreibtisch standen eine Royal-Schreibmaschine und ein auf einem Buchständer montiertes Lexikon. Dann gab es da noch einen Börsenticker, der durch eine gläserne Abdeckung geschützt war, eine elektromechanische Rechenmaschine, die per Hand bedient werden musste, und ein Sofa, auf dem Jones gern seinen Mittagsschlaf hielt.26

Jones überprüfte, ob er die Ratschläge der Chartbeobachter für profitable Investitionen nutzen konnte. Wirklich innovativ war aber die Struktur seines Fonds. Professionelle Investoren gingen in der Regel so vor, dass sie in Aktien investierten, wenn sie einen Kursanstieg erwarteten, und hohe Cash-Bestände hielten, wenn nach ihrer Ansicht eine Trendwende nach unten zu erwarten war. Aber Jones machte es besser. Wenn die Charts eine Hausse signalisierten, investierte er nicht nur 100 Prozent seines Kapitals in Aktien. Er lieh sich Geld, um zum Beispiel zu 150 Prozent »long« zu sein. Das bedeutete, dass er Aktien mit dem 1,5-fachen Wert seines Kapitals besaß. Wenn die Charts allerdings Probleme andeuteten, verkaufte Jones nicht nur seine sämtlichen Positionen. Er nahm Leerverkäufe von Aktien vor – er lieh sich also Aktien von anderen Investoren und verkaufte sie in der Erwartung, dass ihr Kurs fallen würde. Dann könnte er sie mit Gewinn zurückkaufen.

Leerverkäufe und Leverage waren auch schon in den 1920er-Jahren angewendet worden, hauptsächlich von Marktteilnehmern, die mit ihrem eigenen Geld spekulierten.27 Aber das Trauma von 1929 hatte für einen schlechten Ruf beider Techniken gesorgt – und man hielt sie für zu riskant für Profis, denen man die Ersparnisse anderer Leute anvertraut hatte. Jones’ Innovation bestand in der Prüfung, wie man diese Methoden ganz ohne Draufgängertum miteinander kombinieren kann. Er wandte »spekulative Maßnahmen für konservative Zwecke« an, wie er oft sagte. Indem er routinemäßig einen Teil seiner Mittel vorsichtshalber für Leerverkäufe nutzte, sicherte er sein Portfolio gegen Marktrisiken ab, selbst dann, wenn die Charts keinen Kursverfall signalisierten. So konnte er große Mengen vielversprechender Aktien kaufen, ohne sich über einen Zusammenbruch des Dow-Jones-Index Sorgen machen zu müssen. Jones beschrieb das so: »Man konnte zusätzliche Aktien kaufen, ohne so hohe Risiken einzugehen wie jemand, der ausschließlich kaufte.«28 Traditionell orientierte Investoren mussten heiße Unternehmen wie Xerox oder Polaroid verkaufen, wenn der Markt unsicher aussah; ein Hedgefonds dagegen konnte selbst dann von einer klugen Aktienauswahl profitieren, wenn der Markt überbewertet zu sein schien.

In einem Prospekt, den er 1961 an seine Investoren verteilte, erklärte Jones die Magie des Hedgings anhand eines Beispiels.29 Nehmen wir an, es gebe zwei Investoren, von denen jeder mit 100.000 Dollar ausgestattet ist. Nehmen wir weiterhin an, dass beide gleichermaßen begabt sind, was die Aktienauswahl betrifft, und die Zukunft an der Börse optimistisch sehen. Der erste Investor operiert auf der Basis konventioneller Anlageprinzipien und steckt 80.000 Dollar in die besten Aktien, die er finden kann. Die restlichen 20.000 Dollar investiert er in sichere Anleihen. Der zweite Investor, der sich an Jones’ Prinzipien hält, nimmt einen Kredit von 100.000 Dollar auf und verfügt nun über eine Kriegskasse von insgesamt 200.000 Dollar. Er kauft gute Aktien im Wert von 130.000 Dollar und verkauft schlechte Aktien im Gegenwert von 70.000 Dollar leer. Das verleiht dem zweiten Investor eine überlegene Diversifizierung in seinen Long-Positionen. Da er 130.000 Dollar zur Verfügung hat, kann er eine größere Bandbreite von Aktien kaufen. Außerdem ist er Marktbewegungen weniger ausgeliefert: Seinen Leerverkäufen von 70.000 Dollar stehen Long-Positionen von 70.000 Dollar gegenüber; netto hat er also 60.000 Dollar an der Börse investiert, beim ersten Anleger sind es dagegen 80.000 Dollar. Auf diese Weise geht der Hedgefonds-Investor geringere Risiken bei der Aktienauswahl ein (wegen der Diversifizierung) und zudem ein geringeres Marktrisiko (aufgrund des Hedgings).

Und es wird noch besser. Betrachten Sie die Auswirkungen auf Jones’ Profite. Nehmen wir an, dass der Aktienmarkt um 20 Prozent steigt. Weil sie ihre Aktien geschickt auswählen, schneiden die Long-Positionen der Investoren in Jones’ Beispiel um 10 Prozent besser ab als der Markt, was einen Wertzuwachs um 30 Prozent ergibt. Die Short-Positionen des gehedgten Anlegers schneiden ebenfalls gut ab: Wenn der Index um 20 Prozent steigt, dann steigen seine Short-Positionen nur um 10 Prozent, weil er mit Erfolg Unternehmen ausgewählt hat, deren Aktien unterdurchschnittlich abschneiden. Die Performance der beiden Investoren sieht nun so aus:

Dieses Ergebnis scheint eine Grundregel des Investierens zu widerlegen, die besagt, dass man nur dann höhere Renditen erzielen kann, wenn man höhere Risiken eingeht: Der gehedgte Investor verdient um ein Drittel mehr, obwohl er ein geringeres Marktrisiko eingegangen ist und auch bei der Aktienauswahl weniger riskiert hat.

Und jetzt stellen wir uns einmal eine Abwärtstendenz vor: Die Magie funktioniert sogar noch besser. Wenn der Markt um 20 Prozent absinkt und wenn die von den beiden Anlegern ausgewählten Aktien den Markt ebenfalls um 10 Prozent schlagen, sieht die Rendite wie folgt aus:

Letztlich schneidet der Hedgefonds während einer Hausse besser ab, obwohl ein geringeres Risiko eingegangen worden ist. Und in einer Baisse schneidet er besser ab, weil ein geringeres Risiko eingegangen worden ist. Natürlich stimmen die Berechnungen nur dann, wenn die Aktien gut ausgewählt werden. Die Inkompetenz eines Anlegers, der dies nicht beherrscht, würde bei Jones’ Vorgehensweise sogar noch stärker zum Ausdruck kommen. Aber dennoch: Angesichts der Vorteile des Hedgings stellt sich die Frage, warum andere Fondsmanager es nicht übernommen haben.

Die Antwort begann mit den Leerverkäufen, die, wie Jones in seinen Berichten an die Investoren vermerkte, »eine kaum bekannte Vorgehensweise waren, die Anleger grundlos abschreckte«30. Leerverkäufe hatten seit dem Crash einen schlechten Ruf, der noch für lange Zeit andauern sollte: Während der Börsenpanik 2008 wurden Leerverkäufe eingeschränkt. Aber wie Jones geduldig erklärte, erfüllen die Leerverkäufer eine sozial nützliche antizyklische Funktion. Indem Investoren Aktien verkaufen, deren Kurse höher steigen, als es gerechtfertigt erscheint, können sie Spekulationsblasen schon während deren Entstehung abmildern. Indem sie die Aktien später zu niedrigeren Kursen zurückkaufen, sorgen sie für eine sanfte Landung. Sie fördern keine wilden Spekulationen, sondern sie mildern die Kursschwankungen ab. In den folgenden Jahren wiesen Hedgefonds-Manager immer wieder auf diesen Punkt hin, aber das Stigma blieb dennoch.

Es gab aber auch noch andere Gründe, warum rivalisierende Investoren Jones’ Methode nicht einsetzten. Bis zu einem gewissen Punkt ist der Leerverkauf schlechter Aktien nicht schwieriger als der Kauf guter Aktien. Es geht um den gleichen intellektuellen Prozess, nur eben in umgekehrter Richtung. Statt nach Aktien mit schnellem Gewinnwachstum zu forschen, sucht man nach solchen mit langsamem Gewinnwachstum. Statt nach Unternehmen mit gutem Management zu suchen, hält man Ausschau nach Firmen, die von Scharlatanen geleitet werden. In anderer Hinsicht sind Leerverkäufe allerdings schwieriger. Weil es ein irrationales Vorurteil gegen Leerverkäufe gibt, unterliegen sie härteren steuerlichen und regulatorischen Restriktionen. Während der Käufer einer Aktie theoretisch unbegrenzt hohe Gewinne erzielen kann, sind es beim Leerverkäufer maximal 100 Prozent – und dies auch nur dann, wenn die Aktie auf null fällt.31 Zudem sind Leerverkäufe nur ein Teil einer Hedging-Strategie, sobald man diese weiter verfeinert. In dieser Hinsicht war Jones seinen Zeitgenossen voraus.

Die Verfeinerung beginnt mit der Tatsache, dass manche Aktien stärkere Kursschwankungen aufweisen als andere: Sie haben unterschiedliche Volatilitäten. Wenn man 1000 Dollar in eine unbewegliche Aktie investiert und eine volatile Aktie im Gegenwert von 1000 Euro verkauft, hat man keine wirkliche Absicherung: Sollte der Aktienmarkt im Schnitt um 20 Prozent steigen, könnte die unbewegliche Aktie nur um 10 Prozent anziehen, während volatilere Titel um 30 Prozent zulegen. Daher maß Jones die Volatilität aller Aktien – er bezeichnete sie als »Schnelligkeit« – und verglich sie mit der Volatilität des S&P-500-Index.32 Er untersuchte zum Beispiel die signifikanten Kursschwankungen von Sears Roebuck seit 1948 und gelangte zu der Schlussfolgerung, dass sie 80 Prozent der Schwankungen des Gesamtmarkts entsprachen. Daher sprach er Sears eine »relative Schnelligkeit« von 80 zu. Andererseits waren manche Aktien volatiler als der Gesamtmarkt: General Dynamics brachte es auf eine relative Schnelligkeit von 196. Folglich bot der Kauf und Verkauf identischer Aktienpositionen von Sears und General Dynamics keine Absicherung. Wenn Jones’ Fonds zum Beispiel 100 Aktien der volatilen General Dynamics zu 50 Dollar leerverkaufte, musste er 245 unbewegliche Aktien von Sears Roebuck halten, um das Marktrisiko des Fonds neutral zu halten.

In seinem Bericht an die Investoren erklärte Jones diesen Punkt wie folgt: