Mein Alpe-Adria-Trail - Petra Albenberger - E-Book

Mein Alpe-Adria-Trail E-Book

Petra Albenberger

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Beschreibung

In einer Welt voll Geschwindigkeit und Leistungsdruck zerbrechen immer mehr Menschen an ihrer Lebenssituation. Depression und Burn-out sind die Folgen. "Wie komme ich da wieder raus?" Petra Albenberger hat sich getraut, einfach ihre sieben Sachen zu packen, sich eine Auszeit zu nehmen und von zu Hause in Wals über die Alpen und den Großglockner, durch Österreich, Slowenien und Italien bis ans Mittelmeer zu wandern. Unzählige Erlebnisse mit Menschen und Tieren halfen ihr dabei, wieder zu sich selbst zu finden. Das Buch macht Mut, den ersten Schritt zu wagen, sich zu trauen, etwas zu unternehmen. Und viel zu gewinnen.

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Danke an Mario, der sich mir für die gemeinsame Zeitvoll und ganz angeschlossen und alle Mühen und Strapazenauf sich genommen hat, um mir meinen Traum zu erfüllen!

ImpressumBibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2015 Verlag Anton Pustet5020 Salzburg, Bergstraße 12Sämtliche Rechte vorbehalten.

Lektorat: Dorothea ForsterGrafik und Produktion: Nadine LöbelISBN 978-3-7025-8020-91 2 3 4 5 6 / 18 17 16 15

www.pustet.at

Petra Albenberger

MEIN ALPE-ADRIA-TRAIL

Time-out statt Burn-out

Inhalt

Vorwort

Am Ziel

Time-out statt Burn-out

Aus der Not entsteht ein Entschluss

Die Zeit hat wohl Flügel?

Die Vorbereitungen beginnen

1. Tag:Wals/Siezenheim – Hirschbichl

2. Tag:Hirschbichl – Berggasthof Huggenberg

3. Tag:Huggenberg – Bruck

4. Tag:Bruck – Edelweißspitze

5. Tag:Edelweißspitze – Glocknerhaus

6. Tag:Großglockner

7. Tag:Glocknerhaus – Heiligenblut

8. Tag:Heiligenblut – Döllach – Marterle

9. Tag:Marterle – Stall – Bodenhütte

10. Tag:Bodenhütte – Außerfragant

11. Tag:Außerfragant – Obervellach

12. Tag:Obervellach – Kolbnitz

13. Tag:Kolbnitz – Zlatting

14. Tag:Zlatting – Seeboden

15. Tag:Seeboden – Millstätterhütte

16. Tag:Millstätter Hütte – Döbriach

17. Tag:Döbriach

18. Tag:Döbriach – Naßbodensee

19. Tag:Naßbodensee – Falkertgipfel

20. Tag:Falkertgipfel – Bad Kleinkirchheim

21. Tag:Bad Kleinkirchheim – Arriach

22. Tag:Arriach – Gerlitzen – Ossiacher See

23. Tag:Steindorf am Ossiacher See

24. Tag:Ossiacher See – Faaker See

25. Tag:Faaker See – Neuhaus

26. Tag:Neuhaus – Feistritz an der Gail

27. Tag:Feistritz an der Gail – Valbruna

28. Tag:Valbruna – Tarvisio

29. Tag:Tarvisio – Rifugio Zacchi

30. Tag:Rifugio Zacchi – Kranjska Gora

31. Tag:Kranjska Gora – Trenta

32. Tag:Trenta – Bovec

33. Tag:Bovec – Drežnica

34. Tag:Drežnica – Tolmin

35. Tag:Tolmin – Castelmonte

36. Tag:Castelmonte – St. Andreas

37. Tag:St. Andreas – Šmartno

38. Tag:Šmartno – Subita (Cormons)

39. Tag:Subita – Gradisca d’Isonzo

40. Tag:Gradisca – Sistiana

41. Tag:Sistiana – Camping Obelisco Triest

42. Tag:Camping Obelisco Triest – Mihael

43. Tag:Mihael – MUGGIA

44. Tag:Muggia – Trieste – Lazzaretto

45. Tag:Endlich zusammen – Mario ist bei mir!

46. Tag:

47. Tag:

Nachwort

Vorwort

Dies ist keine allgemeine Beschreibung des Alpe-Adria-Trails (AAT), auch wenn mein Weg mich zumeist am Original-Trail geführt hat. Zurückgelegte Tageskilometer und Höhenmeter sowie die Gehzeit haben sich zu meinen persönlichen Tagesetappen formiert. Mein Buch soll sicherlich auch einen Einblick über den Weg geben, mit einigen Tipps für günstige Übernachtungsmöglichkeiten, schöne Zeltplätze oder empfehlenswerte Restaurants. Aber vor allem geht es hier um mein individuelles Erleben. Besondere Momente, Emotionen und Gefühle, die sich im Verlauf der Tour bei mir eingestellt haben und die sie zu „meiner“ ganz persönlichen Wanderung machten, stehen im Vordergrund und sollen auch die Leserinnen und Leser Anteil haben lassen an meinem großartigen Erlebnis.

Am Ziel

Jetzt sitze ich also hier. Tränen laufen mir übers Gesicht. Nicht zum ersten Mal muss, oder besser, darf ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen auf meinem langen, schönen Weg. Jetzt empfinde ich sie so tief, so innig und so echt, dass ich ein Schluchzen nicht zurückhalten kann. Ich schließe die Augen und denke an so viele Momente in meinem Leben, versuche mich zu erinnern, wann ich zuletzt eine solche Wärme und innere Zufriedenheit verspürt habe. Es ist wohl schon lange her.

An das Kribbeln, das „tolle Empfinden“ habe ich nach dem gestrigen Tag, der so ganz anders war, als ich es mir erträumt und erhofft hatte, kaum mehr geglaubt. Wie es wohl sein wird, endlich am Ziel anzukommen? Dieses außerordentliche Glücksgefühl habe ich nicht für möglich gehalten. Aber heute, jetzt und hier, ist in mir etwas entstanden: der Glaube an eine neue Chance. Die Chance, das Leben und all seine Höhen und Tiefen mit anderen Augen zu sehen, den Alltag nicht nur zu meistern, sondern Tag für Tag mit allen Sinnen bewusst wahrzunehmen. Ich öffne die Augen und blicke ins Meer hinaus bis zum Horizont. Es ist früher Nachmittag am 12. September 2013. Ruhe – nichts als Ruhe. Ich bin angekommen, bin ganz bei mir!

Die Sonne scheint mir angenehm warm ins Gesicht. Von den Haaren tropft salziges Meerwasser. Noch kann ich das Erlebte der letzten Wochen nicht zur Gänze realisieren. Immer wieder tauchen Bilder in meinem Kopf auf – mal dieses, mal jenes, wirr durcheinander. Augenblicke, Momente. Etwa eine halbe Stunde sitze ich so hier am Strand auf den von der Sonne gewärmten Steinen.

Ich gehe zurück zu „Gonzo“, meinem Trailrucksack. Das Riesending war an mir wie angewachsen und ich fühle mich fast nackt ohne es. Ich hole das Handy heraus. Fast hastig wähle ich Marios Nummer: „Hallo Schatz, heute bin ich angekommen – so richtig angekommen! Nicht einfach nur in Muggia, nein …“ Die Worte sprudeln nur so aus mir heraus. Danach atme ich tief durch und blicke wieder hinaus aufs Meer. Große Frachter fahren in der Ferne. Für mich wird es Zeit, alles wieder einzupacken und mich aufzumachen. Von Muggia nach Lazzaretto zum Campingplatz, gleich an der Grenze zu Slowenien und direkt neben dem Hotel, das Mario und ich morgen für ein paar Urlaubstage zu zweit beziehen werden.

Time-out statt Burn-out

Sommer 2012, 5:40 Uhr, ein gewöhnlicher Arbeitstag. Der Wecker reißt mich unsanft aus dem Schlaf. Eine unruhige Nacht liegt hinter mir. Wieder einmal Schweißausbrüche, von einer Seite auf die andere gedreht und erst in den frühen Morgenstunden in einen tiefen Schlaf gefallen. Ich fühle mich wie erschlagen. Mario, mit dem ich seit vielen Jahren in einer festen Beziehung lebe, ist bereits vor mir aufgestanden und gerade im Bad. Er ist gut gelaunt und verabschiedet sich von mir mit einem Lächeln und einem Kuss. Warum kann ich nicht so guter Laune sein? Müde steige ich aus dem Bett. In letzter Zeit geht es mir oft so. Ich bin ein Morgenmuffel geworden. Schrecklich!

Seit einigen Jahren arbeite ich bei uns im Ort im Altenwohnheim. Eigentlich mag ich meine Arbeit. Besonders hier, bei den alten Mitmenschen, habe ich das Gefühl, etwas Sinnvolles, etwas Gutes zu tun, helfen zu können. Und doch: In letzter Zeit fallen mir auch in der Arbeit die Dinge immer schwerer. Alles geht nicht mehr so leicht von der Hand: aufstehen, arbeiten und nach der Arbeit abschalten. Wie in den meisten Pflegeeinrichtungen herrscht auch in diesem Haus ein permanenter Mangel an Pflegekräften. Das erfordert regelmäßig Überstunden und kurzfristiges Einspringen für Kollegen. Für jemanden wie mich, die gerne bei einem Lauf- oder Radfahrtraining nach getaner Arbeit entspannt, besonders bitter. Nach zwölf Stunden Dienst fehlt mir dazu der Elan. Ich möchte einfach einmal weg! Von dem täglichen Hamsterrad, von Stress und Arbeit, von der gewohnten Umgebung. Was würde ich dafür geben! Als ich kurz darauf auch noch ohne Vorzeichen und aus heiterem Himmel einen Hörsturz bekomme, fange ich schön langsam an, darüber nachzudenken, was mit mir los ist.

Ein paar Tage später sehe ich am Abend einen Bericht im Fernsehen: Burn-out – ein immer größeres Problem unserer Gesellschaft. Bin ich etwa auch davon betroffen? Sicher nicht! Burn-out, das haben doch nur schwache Menschen. Versager! Oder? Was ist das wirklich, ein – Burn-out? Es scheint jedenfalls in aller Munde zu sein. Politikern widerfährt dieser Zustand ebenso wie Künstlern oder Hausfrauen. Offensichtlich kann es jeden treffen. Aber was sind die Vorzeichen? Wie erkenne ich diese Krankheit? Und was, wenn ich bereits zum Kreise der Burn-out-Erkrankten gehöre? Apropos krank: Eine Diagnose wird vielleicht gestellt, aber als Krankheit wird Burn-out nicht anerkannt. Was aber ist es dann? Man fühlt sich doch krank!

Der Bericht geht mir einige Tage nicht mehr aus dem Kopf. Ich will mich informieren. Reden möchte ich darüber mit niemandem. Mario hat wohl auch kaum Verständnis dafür. Also versuche ich erst einmal über das Internet Informationen zu bekommen, bevor ich ihm von meinen Befürchtungen erzähle.

Der Begriff Burn-out tauchte erstmals in den 1970er-Jahren in den Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit Pflegeberufen auf … Besonders gefährdet sind Personen, deren Berufe mit Menschen zu tun haben, die sich in emotional belastenden Situationen befinden. Man zählt seit den 1990er-Jahren aber auch viele andere Personengruppen zu den Burn-out-Gefährdeten. Ich denke, selbst die Diagnose zu erstellen, ist sehr schwierig. Wann hat man ein Burn-out? Habe ich schon eines? Manche Symptome sprechen dafür. Aber was kann man dagegen tun? Die Arbeitsstelle wechseln? Eine Auszeit nehmen? Wer kann sich denn das leisten! Aber das wär’s … Einfach mal weg! Abschalten!

Mario:

Ich möchte meine Sicht der Dinge, meine Gedanken zu und auf unserem Weg als Ergänzung mit einbringen.

In meinem Leben stellte Sport immer einen wesentlichen Bestandteil dar, der mir von früher Kindheit an, dank meiner Eltern, bedingungslos und allzeit ermöglicht wurde. Vor einigen Jahren bin ich beim Rennradsport gelandet und diesem bis zum heutigen Tag absolut verfallen. Ich glaube von mir behaupten zu können, dass ich alles mit einer gewissen Hingabe und Ehrgeiz gemacht habe, ohne wirklich die Spitze der Berges erklommen zu haben. Wenn ich so zurückdenke, muss ich leider feststellen, dass ich sehr egoistisch sein kann. Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, ziehe ich das durch – ohne Wenn und Aber. Als ich Petra vor vielen Jahren kennenlernte, befand ich mich nicht gerade in der glücklichsten Phase meines Lebens. Wir haben in all den Jahren viele Höhen und Tiefen erlebt, und sind heute glücklich und verheiratet. Es ist schön für mich zu sehen, dass meine Frau dieses Buch schreibt, nachdem sie sich ihren Traum des Gehens erfüllt hat.

Aus der Not entsteht ein Entschluss

Mein Freund und ich sind sehr sportlich. Kaum ein Tag, an dem nicht trainiert oder zumindest irgendeine Art von Bewegung ausgeübt wird. Ich bin dieses Jahr einen Marathon gelaufen. Mario bereitet sich schon das ganze Jahr auf eines der härtesten Radrennen Europas vor: das Race Around Austria (RAA), das er im Viererteam bestreiten wird. Ich selbst kann mich nach meinem Marathon nicht mehr richtig für sportliche Hochleistungen motivieren.

Dann genießen Mario und ich unsere letzten Urlaubstage endlich in Zweisamkeit und sitzen bei herrlichem Sommerwetter am See. Da passiert etwas Gravierendes: Mario macht mir einen Heiratsantrag!!! Diese Frage weiß ich natürlich augenblicklich zu beantworten. Immerhin kennen wir uns fast das ganze Leben – wir sind schon nebeneinander auf der Schulbank gesessen. Es ist ein freudiges Glücksgefühl, das mich überkommt. Endlich wieder etwas für die Seele, etwas Einzigartiges, Schönes! Wieder ein Ziel vor Augen. Am selben Tag, als die Sonne sich langsam tief über den See neigt, ereignet sich noch etwas Wegweisendes: Ich blättere in einer Zeitung und überfliege die Überschriften und Seiten. Immer dasselbe Allerlei, denke ich zunächst. Doch dann weckt plötzlich eine Überschrift auf Anhieb mein Interesse: Der Alpe-Adria-Trail! Ein neuer Weitwanderweg durch drei Länder! Über die Alpen bis zum Meer.

Gespannt lese ich Zeile für Zeile des Artikels durch. Ich bin sofort Feuer und Flamme. Alles prickelt in mir. Wow! So etwas will ich machen! Genau das! Durch unser schönes Österreich über die Alpen nach Slowenien und weiter bis nach Italien ans Meer! Augenblicklich fangen alle Gedanken an sich zu überschlagen. Wie, wann …? Kaum zu Hause angekommen, schalte ich meinen Laptop ein. Schnell finde ich die Homepage des Alpe-Adria-Trails. Der gesamte offizielle Trail besteht aus 36 Tagesetappen und seine Beschreibung weckt bei mir größtes Interesse.

Wandern hat viele Facetten: Eine davon heißt Entschleunigung bis zum natürlichen persönlichen Tempo. Dadurch erreicht man den Zustand einer anstrengungslosen Aufmerksamkeit, die es zulässt, die Natur besonders intensiv wahrzunehmen. Eine Wahrnehmung, die sich lohnt. Zu sich selbst finden auf dem Weg in Richtung Süden. Aufgeladen mit der Energie des Großglockners, geht es vom höchsten Berg Österreichs in einer vom Licht durchfluteten Traumlandschaft mit herrlichen Naturschauspielen entlang alpiner Flüsse, türkisfarbener Bäche, Wasserfälle und herrlicher Seen bis zur Küste der azurblauen Adria in das kleine, romantische Fischerdorf Muggia. Ein Traumweg, der seit Sommer 2012 die drei Kulturen im Alpe-Adria-Raum verbindet.

Das wars! Mehr brauchte ich nicht zu lesen! Es hat mich bis in die letzte Faser meines Körpers erreicht, richtiggehend durchströmt. Nichts mit Powertraining, Sekundenzählen, Blick auf die Uhr …

In den nächsten Tagen studiere ich mit Hilfe von Routenplanern und Landkarten Abschnitte, die ich noch extra bestreiten möchte. Circa eine Woche und etwa 250 Kilometer sowie einige Höhenmeter kämen noch dazu. Insgesamt komme ich nach langem Studium der Unterlagen auf etwa 1 100 Kilometer und 30 000 Höhenmeter. Und das alles mit schwerem Gepäck. Dass man auch dafür trainieren muss, ist klar, aber das sollte ja kein Problem darstellen. Wie gesagt: Vor die Haustür und los geht’s – bis zum Meer! Der Weg ist das Ziel. Keinerlei Stress während des Trails. Ruhetage werden allerdings nur wenige eingerechnet. Zwei vielleicht oder drei (so ganz ohne sportlichen Hintergrund geht das natürlich auch wieder nicht). Ich rechne also mit etwa 46 Tagen, plus/minus zwei Tage. Dass das mit fünf Wochen Urlaub im Jahr nicht zu machen ist, ist mir auch schnell klar. Einfach wird das nicht. In meiner Arbeit herrscht wie gesagt Pflegekräftemangel und die Kollegen werden nicht gerade in Begeisterung ausbrechen, wenn ich ihnen mitteile: „Ich bin dann mal den Sommer über nicht da!“ Immer mehr und mehr spukt der AAT in meinem Kopf herum. Ich überlege hin und her. Ich will diesen Trail gehen. Eines Abends, als wir beim Abendbrot sitzen, frage ich Mario, ob ich mir die Hochzeitsreise aussuchen darf. Er sieht mich skeptisch an. Ich erzähle ihm von meinen Plänen, zeige ihm die Seite im Internet und den Zeitungsartikel, den ich aufgehoben habe. Er ist überrascht, welche Berechnungen ich bereits angestellt habe. Auch ihm gefällt die Idee sofort. Leider weiß er auch, dass es bei ihm unmöglich sein wird, sich so lange Urlaub zu nehmen. Da geht sich keinesfalls der ganze Trail aus, das ist klar. Wir reden lange darüber und obwohl Mario eigentlich nicht der begeisterte Bergsteiger ist und sich viel lieber in schnellen Ausdauersportarten verausgabt, gefällt ihm die Idee. Schnell steht der Entschluss fest: Er wird mich in den ersten zwei Wochen begleiten und dann trennen wir uns irgendwo in Kärnten. Von da an gehe ich den Weg alleine bis nach Muggia. Dort werden wir uns wiedersehen und anschließend noch ein paar Tage Badeurlaub am Meer anhängen. So einmal die erste grobe Planung.

Ich nütze die Gelegenheit und erzähle ihm von den Schwierigkeiten in meinem beruflichen Dasein, und meiner angeschlagenen Psyche und dem drohenden Burn-out. Er hört mir geduldig zu, gibt aber zu verstehen, dass Burn-out „a Blödsinn“ ist. Letzten Endes meint aber auch er, mir würde diese Auszeit sicherlich guttun. Wir beschließen, die ersten beiden gemeinsamen Wochen etwas gemütlicher anzugehen. Es wird in Hütten übernachtet und wir werden es uns kulinarisch gut gehen lassen. Flitterwochen eben – nur halt im Gebirge und nicht im Fünf-Sterne- Hotel. Wir beraten bis in die späten Nachtstunden bei einer Flasche Rotwein und viel Vorfreude.

Und da ist es für mich klar: ICH WERDE DIESEN WEG GEHEN!

Ich bin wichtig! Ich muss etwas für mich tun!

Seit dieses Unternehmen für mich zur Tatsache geworden ist, hat sich auch mein Gemütszustand schlagartig gebessert. Nun habe ich wieder Ziele vor Augen: erst die Hochzeit, dann der Alpe-Adria-Trail. Ich beschließe alles festzuhalten. Ich will keinen Gedanken, kein Gefühl in Vergessenheit geraten lassen, und so nehme ich ein Heft aus dem Computerkasten, einen Stift und fange an zu schreiben.

Die Zeit hat wohl Flügel?

Der Herbst ist bereits vorüber und der Winter hat im Land Einzug gehalten. Ich führe ein Trainingstagebuch, in dem ich meine sportlichen Aktivitäten genau aufzeichne. Dabei werden von mir Sportart, Dauer des Trainings, aber auch das jeweilige Befinden notiert. Vielseitigkeit ist mir besonders wichtig. Deshalb übe ich mehrere Sportarten aus. Laufen, Radfahren, Bergsteigen und Skitourengehen gehören zu meinen Lieblingsdisziplinen. Bei Schlechtwetter trainiere ich auch in unserem Fitnessverein oder wir gehen dann und wann klettern in eine Halle. Anders als das Jahr zuvor bei meinem Training für den Marathon gibt es jetzt keinen fixen Trainingsplan. Ich übe das, was gerade Spaß macht. So soll es sein. Freut es mich einmal nicht, so gehe ich auch gerne einfach einen Tag in die Therme zum Relaxen – kommt nur nicht besonders oft vor. Ich verschlinge Bücher, wann immer mir die Zeit dafür bleibt. Natürlich bevorzugt Werke über Trekking, Bergsteigen, Weitwandern, Erlebnisberichte. Die Vorfreude auf die kommenden Ereignisse lassen mein Leben in neuem Licht erscheinen. Es geht mir besser, ich bin ruhiger und verspüre wieder innere Wärme und Zufriedenheit. Dies spiegelt sich auch in meinem beruflichen Dasein wieder. Nichts wirft mich gleich aus der Bahn oder deprimiert mich. Und einen wichtigen Leitspruch habe ich jetzt verinnerlicht: Man braucht unbedingt Ziele im Leben. Schön, dass ich das mit 44 Jahren endlich begriffen habe.

22. Februar 2013

Unsere Hochzeit! Die Wochen und Tage zuvor war eigentlich keine Zeit mehr, an den Trail oder sonstwas zu denken. Die letzten Vorbereitungen haben all meine Energie in Anspruch genommen. Familie und Freunde sind mit dabei und machen mit ihrer Anwesenheit und ihren Glückwünschen diese Momente unvergesslich.

Nicht schlecht haben die meisten gestaunt, als wir sie über die Hochzeitsreise informiert haben. „Ihr seid ja total verrückt!“ oder „Na typisch, ihr beiden!“, bekamen wir da zu hören. Jedenfalls zeigten sich alle interessiert und beeindruckt.

Natürlich gehen auch diese Tage vorüber und es kehrt mehr oder weniger der Alltag wieder ein. Beruf, Hausarbeit und … die Gedanken an das große Ziel, an die bevorstehende Auszeit finden wieder Platz in meinem Kopf und nisten sich dort ein. Mit Freude und Interesse durchforste ich sämtliche Internetseiten, die Outdoor-Artikel anbieten oder bewerten, lese Bergsportmagazine, vergleiche Ausrüstungsgegenstände, frage mich in Bagpacker-Foren durch und lese Buch um Buch einiger „Trekking-Helden“, die bereits irgendwo auf Gottes schöner Erde unterwegs waren und dies zu Papier gebracht haben.

Jede freie Minute bin ich, wenn möglich, draußen unterwegs. Größere und kleinere Skitouren sind in dieser Zeit mein Haupttrainingsprogramm. Die Tage werden wieder länger und mit Beginn der Sommerzeit bleibt auch nach der Arbeit noch genügend Zeit, um etwas zu unternehmen.

An Schlechtwettertagen baue ich nun immer wieder Trainingseinheiten ein, die gezieltes Krafttraining an den Geräten beinhalten. Das wird zwar nicht gerade von mir bevorzugt, ist aber wichtig. Dabei geht es nur sekundär um die Beinmuskulatur. Die kann ich auch beim Skitourengehen oder am Rad trainieren. Vielmehr geht es um die Rücken-, Schulter-, Nacken- und Bauchmuskeln. Ich rechne mit einem Gewicht von circa 18 Kilogramm, das mein Trekkingrucksack haben wird. Das beansprucht vor allem in unwegsamem Gelände die gesamte Körpermuskulatur. Ich habe mir vor längerer Zeit den Fuß gebrochen. Dabei haben sämtliche Keilbeinknochen Haarrisse abbekommen. Dies wurde jedoch erst nach einem Dreivierteljahr richtig erkannt. Erst gut ein Jahr später endeten meine Dauerschmerzen durch neuerliches Zertrümmern der Bruchenden mittels Schallwellentherapie und der Fuß konnte nach weiteren sechs Wochen Gips zusammenwachsen. Damit ich den Vorfuß optimal auf diese bevorstehende Belastung einstellen kann, benütze ich ein selbst gebasteltes Balancebrett. Da der Fuß auch dem Marathontraining und dem Bewerb selbst standgehalten hat, bin ich diesbezüglich allerdings recht zuversichtlich.

Ich trainiere regelmäßig. Auch nach einem 12-Stunden-Tag gehe ich noch laufen oder radfahren. Bin ich einmal müde und lustlos, dann zeige ich meinem inneren Schweinehund die Faust. Und tatsächlich: Es geht darum zu beginnen, den Schweinehund zu überwinden. Tu es! Geh! Los, absolviere dein Training! Das ist es. Ist der erste Schritt einmal getan, dann läuft alles wie von selbst und macht auch Spaß. Der Körper gewöhnt sich allmählich daran und verlangt sogar nach diesen Glücksgefühlen, die sich einstellen, wenn man ein Training hinter sich hat. Das Gefühl danach, wenn man entspannt unter der Dusche steht, ist tief befriedigend. Ich rate also jedem: Einfach damit beginnen. Laufen oder radfahren. Kurze, flache Einheiten, die mit der Zeit gesteigert werden. Pulsuhr mitnehmen! Es macht mehr Freude, nach ein paar Wochen den Erfolg mit eigenen Augen zu sehen. Am besten mit dem Partner oder einem Freund trainieren. Das ist nicht so langweilig am Anfang und man motiviert sich gegenseitig. Na? Jetzt Lust auf Bewegung bekommen?

Die Vorbereitungen beginnen

Nach langem Vergleichen und Einholen von vielen Meinungen kaufe ich mir Anfang April meine ersten beiden wichtigen Wegbegleiter. Ich gehe von Geschäft zu Geschäft, suche mir einen Trekkingschuh und einen Trekkingrucksack aus, lasse den Rucksack mit einem Sandsack beschweren und gehe damit in den Geschäften etwa eine halbe Stunde herum. So manchen schiefen Blick ernte ich dabei schon, aber daran erkennt man Fachkenntnis und die Qualität des Geschäftes. Das muss überall möglich sein. Immerhin sind es die beiden Gegenstände, die ich stets am Körper tragen werde – bei Wind und Wetter und jeder Art von Gelände. Man kann sich auch im Internet schlaumachen, in Foren surfen und so weiter. Aber es bringt am meisten, sich eine eigene Meinung zu bilden, indem man die Sachen testet.

Nach ein paar Stunden des Suchens und Ausprobierens habe ich mich schließlich entschieden: Schuhe und Rucksack sollten mir die allerbesten Dienste erweisen und mich nicht im Stich lassen.

Meine zwei treuesten Begleiter

Schön langsam zieht sich der Schnee zurück und das Training in der freien Natur kann beginnen. Voller Enthusiasmus stopfe ich meinen Rucksack voll mit meinem Kletterseil, sämtlichen im Keller hängenden Karabinern und allerlei Gewand und Kleinkram. Ich stelle das Gepäck auf die Waage. Es zeigt 13,5 kg. Noch eine Wasserflasche seitlich und meinen Fotoapparat vorne drauf. Der kommt auf jeden Fall mit. Ich hab auch ein System ausgeklügelt, wie ich ihn transportiere, sodass er nicht stört und doch immer griffbereit ist. Einfach mit zwei Karabinern am oberen Riemen seitlich festgeklickt. Perfekt! Mit Flasche und Fotoapparat wiegt das Ganze jetzt circa 15 Kilogramm. Und schon wird der erste Berg gestürmt … Eva-Maria, eine gute Freundin, begleitet mich auf meinen ersten Touren. So auch auf den nahe gelegenen Gaisberg. Puhhh …. Und das sind „nur“ 15 Kilogramm! Das Gewicht am Rücken ist nicht das große Problem. Aber die Knie machen mir bereits nach einer Stunde leicht zu schaffen und die Blasen an meinen Füßen geben sich auch ein heiteres Stelldichein.

Outdoor-Training

Erst jetzt, Mitte April, wird es endlich etwas frühlingshafter. Da ist dann die Freude, den Gipfel endlich zu erreichen, doch größer als gedacht und das anschließende Weißbier auf der Hütte verdampft förmlich. Beim Runtergehen hole ich mir noch schnell eine zusätzliche Blase und genieße die nächsten zwei Tage den netten Muskelkater. Beim nächsten Training ein paar Tage später begleitet mich Mario. Dieses Mal sind die Füße dick mit Hirschtalg eingecremt. Geht gleich besser. Keine neuen Blasen. Ein bisschen komisch dürfte es auf die Leute, denen wir begegnen, doch wirken: Ich mit dem riesen Rucksack auf dem Buckel und mein Mann vor mir mit den Händen in der Hosentasche … Die Trainingseinheiten werden zahlreicher. Nicht nur auf die umliegenden Berge gehe ich, sondern auch längere, flache Strecken.

Unterwegs mit „Gonzo“ – meiner 20 Kilogramm schweren, langen blauen Buckelnase!

Mitte Mai sind nun alle erforderlichen Utensilien besorgt. Das ganze Material wird original in den Rucksack gepackt, genauso wie es beim Trail sein soll, und natürlich getestet. Es sind 20 Kilogramm Gewicht. Nicht gerade wenig. Das Zelt ist da schon mit eingerechnet. Weniger wird es nicht, denn … Was ist man schon als Frau ohne Pinzette und Rasierer? Ich will ja nicht gänzlich verwildern. Etwas Kultur muss sein und die paar Gramm machen den Braten auch nicht fett!

Mittlerweile ist auch Mario im Besitz seiner gesamten Ausrüstung. Sein Training konzentriert sich allerdings im Moment noch voll auf das Rennrad und nur dann und wann begleitet er mich mit dem schweren Rucksack auf eine Tour.

Ein paar Tage, bevor es endlich losgeht, lädt Mario die GPS-Daten, die auf der Alpe-Adria-Trail-Internetseite angeboten werden, auf das Navi. Ich werde mich, wenn ich dann alleine am Trail unterwegs bin, eindeutig sicherer fühlen, wenn ich den Weg nicht nur in E-Book-Form am Tablet habe, sondern zusätzlich am Navi. Das war vielleicht die letzte, aber enorm wichtige Tat vor dem Start.

Die Rucksäcke werden gepackt …

Die Vorfreude ist jetzt unbeschreiblich. Am Tag davor packen wir alles zusammen. Jeder konzentriert sich, um nichts Wichtiges zu vergessen. Marios Rucksack und Gonzo lehnen prall gefüllt im Wohnzimmer. Alle Vorbereitungen sind getätigt. Für Maggie, unsere Katze, ist tonnenweise Vorrat im Keller gestapelt. Im Haushalt ist alles erledigt. Dank an die Familie, die jeden Tag Blumen gießt und die Katze lieb hat. Auf sie ist immer Verlass!

Nun kann der Trail beginnen …

Mario:

Die letzten Stunden zu Hause!

Ich habe hin und wieder darüber nachgedacht, wie es denn werden soll, aber mich nicht wirklich damit beschäftigt, da ich ja immer viel anderes im Kopf habe. Die letzten Monate war ich wieder einmal sehr mit dem Rennenfahren beschäftigt

Doch nun ist es so weit! Morgen geht es los und ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich mich freuen soll! Da ich mir nie Zeit genommen habe, mich ordentlich zu regenerieren, bin ich eigentlich urlaubsreif, denn die Anstrengungen der letzten Wochen haben sich in meinen Beinen ganz schön bemerkbar gemacht. Nur: Wird das eigentlich ein Urlaub? Ich gehe diesen Weg sicher nicht aus meiner eigenen Überzeugung heraus, aber dennoch bedeutet er für mich eine Herausforderung. Da kommt mein Ehrgeiz wieder zum Vorschein.

Als Petra die Tour Ende letzten Jahres vorgeschlagen hat, dachte ich mir, ja, ist mir recht. Das geh ich schon, ohne viel dafür zu tun. Ich bin absolut fit. Das sollte sich in den nächsten Tagen als großer Fehler herausstellen …

1. Tag:

Kilometer: 38

Höhenmeter aufwärts: 1 130

Höhenmeter abwärts: 603

Gehzeit: 8 ¾ Stunden

Wals/Siezenheim – Hirschbichl

Der Wecker läutet um 6:30 Uhr. Wäre allerdings nicht nötig gewesen, denn ich liege seit einiger Zeit bereits wach im Bett. Ich bin überraschend ruhig. Habe Bilder im Kopf, wie die erste Etappe, die zweite Etappe, der ganze Tag, die erste Nacht und all die Zeit werden wird. Nach dem Frühstück creme ich meine Füße dick mit Hirschtalg ein – ein Ritual, das sich in den nächsten Tagen und Wochen zur absolut notwendigen Routine entwickeln wird.

Zum Glück beginnt diese erste Etappe gleich mit einem freudigen Ereignis: Ein guter Freund, Thomas, wird mit uns einen Großteil dieser Strecke bestreiten. Gerade als wir uns von den Nachbarn verabschieden, kommt er um die Ecke. Ein gut gelauntes „Guten Morgen“ und ein strahlendes Lächeln kommen uns entgegen und heben gleich die Stimmung. Die ersten Schritte sind getan. Ganz bewusst und intensiv versuche ich, mir diese einzuprägen. Während Mario und Thomas bereits plaudern und scherzen, gehe ich ein paar Schritte hinter ihnen her. Dann geselle ich mich zu den beiden und bin ebenfalls guter Dinge.

Thomas schießt die ersten Fotos von uns und dem Blick auf einen unserer liebsten Berge, den Hochstaufen, gleich nach Verlassen unseres Hauses. Noch kommt es mir nicht so vor, als würde ich jetzt für viele Wochen unterwegs sein. Es geht Richtung Großgmain, vorbei am schönen Freilichtmuseum. Ein kurzes Wegstück danach erreichen wir den Latschenwirt. Der Wirt hat geschlossen, doch wir denken ohnehin noch längst nicht ans Essen oder eine Pause. Durch den Wald gehen wir weiter bis Wolfschwang in Richtung deutsch-bayerische Grenze.

Diesen Weg sind wir schon so oft mit dem Fahrrad gefahren, sodass es uns seltsam scheint, nicht schneller vorwärtszukommen. Und vor zwei Wochen haben wir hier die Generalprobe für den Trail absolviert. Damals sind wir bei Winkl vor Bischofswiesen über den Reissensteig und die Zehnkaseralm hinauf zum Stöhrhaus und nach kurzer Rast auf der schönen Berghütte noch etwa eine Stunde weitergegangen, bis wir einen geeigneten Zeltplatz fanden. Dort verbrachten wir die erste Nacht in unserem Zelt und labten uns an unserem Trekkingfood. Am nächsten Tag haben wir die Überschreitung vollendet, sind über den Reitsteig hinunter und wieder nach Hause. Das ließ bereits erahnen, dass es kein Kinderspaziergang werden würde. Der Unterschied lag nur darin, dass ich danach ausruhen konnte …

Anfänglich ist es bewölkt, mit 18 Grad herrscht zum Glück für die erste, sehr lange Etappe perfektes Wanderwetter. Doch die Sonne kommt immer mehr durch und es wird wärmer und zunehmend schwül. Da freuen sich die Stechmücken und eine regelrechte Mückenarmada umschwärmt jeden von uns. Ich zücke mein „Anti Brumm“ und sprühe mich ein. Das wirkt! Die Viecher fliegen zwar nach wie vor auf mich zu, machen aber sofort kehrt und verschwinden wieder. Mario geht es nicht besonders gut. Bereits jetzt verspürt er immer wieder auf flachen Teilstücken und vor allem bergab Krämpfe in den Oberschenkeln. Sobald es bergauf geht, fällt ihm das Marschieren leicht. Die Mückenschar um ihn veranlasst ihn zusätzlich zu einigen nicht jugendfreien Flüchen. Trotzdem verweigert er hartnäckig mein „Anti brumm“. Wir bleiben immer wieder kurz stehen, bis er seine Muskeln gelockert und ausgeschüttelt hat. Der Weg führt uns vor Winkl weiter bergauf über Loipl auf der Schwarzeckstraße bis in die bayerische Ramsau. Wir sind bereits 22 Kilometer in fünf Stunden mit nur kurzer Pause unterwegs. Mario geht es immer schlechter. Und das auf der ersten Etappe? Ich muntere ihn immer wieder auf. Auch Thomas versucht, ihn positiv zu stimmen, indem er ihm Zeit zum Entspannen gibt und ruhig mit ihm spricht. Ich habe ärgste Bedenken. Wenn er bereits in der ersten Etappe solch massive Beschwerden hat, wie soll das weitergehen? Das klappt nie. Oder wird sich seine Muskulatur an die ungewohnte Belastung gewöhnen? Wenn ja, wie lange wird das dauern? Muss er den Trail womöglich bereits am Beginn abbrechen und ich den Weg alleine fortsetzen? Natürlich tut er mir leid und trotzdem bin ich irgendwie wütend. Ich habe mich jetzt so lange Zeit darauf vorbereitet, gespart, trainiert und wirklich auf den Tag gefreut – nicht nur gefreut, sondern ihn ungeduldig herbeigesehnt –, an dem es endlich losgeht. Heute ist es so weit. Nun schimpft und jammert mein Mann und plagt sich. Ich habe mir ausgemalt, wie der erste Tag ablaufen würde, wie er sein sollte. Und nun ist es ganz anders. Thomas trägt beim Bergabgehen in den Ort Ramsau Marios schweren Rucksack. Trotzdem kann dieser kaum mehr einen Schritt vor den anderen machen. Eine Frau beobachtet uns auf dem Weg hinunter. Sie nimmt Mario schließlich ein Stück mit ins Tal. In Ramsau machen wir Pause, essen und trinken etwas. Ich laufe, während sich Mario etwas erholt, durch den schönen Ort und suche eine Apotheke. Es gibt keine, aber einen Drogeriemarkt. Hier bekomme ich auch, was ich suche: konzentriertes Magnesium und ein Sportgel zum Einreiben. Die nette Dame hinter dem Tresen schenkt mir noch eine kleine Dose mit Murmeltiersalbe und ich kehre mit den Schätzen wieder zum Gasthaus zurück. Mario nimmt gleich das mitgebrachte Magnesium und massiert das Gel in seine geschundenen Oberschenkel ein. Thomas verlässt uns hier und wird von seinem Vater abgeholt. Danke noch mal, Tom! Ohne dich wäre ich bereits am ersten Tag verzweifelt!

Ich schlage Mario vor, noch ein Stück zu gehen, bis wir ein geeignetes Plätzchen für unser Zelt finden, und dort erst einmal zu rasten. Doch er will weiter. Bis Hirschbichl, das sich genau auf der deutsch-österreichischen Grenze befindet, sind es noch etwa acht Kilometer und 400 Höhenmeter. Er schultert den Rucksack und marschiert los. Aufwärts geht es jetzt wieder besser voran. Die Krämpfe und Schmerzen haben nachgelassen. Ich versuche mich auf meine eigenen Empfindungen zu konzentrieren und genieße trotz allem den Aufstieg. Vom malerischen Hintersee geht es los. Der Weg führt durch das Klausbachtal, eingebettet zwischen lauter Bergen über 2 000 Meter, die Gipfel sind von der tief stehenden Abendsonne in wärmendes Licht getaucht. Nur wenige Leute befinden sich noch auf dem zum Nationalpark Berchtesgaden gehörenden, wunderschönen Weg hinauf zum Alpengasthof Hirschbichl. Ich genieße die Stille. Ein wohliges Gefühl überkommt mich. Ich versuche, alles rund um mich aufzunehmen und mir gut einzuprägen. Einige Schritte hinter Mario gehend, mache ich immer wieder Fotos von der beeindruckenden Natur und der Bergkulisse.

Erst spät am Nachmittag, kurz nach 18 Uhr, kommen wir am Alpengasthaus an. Der Hirschbichlpass liegt auf 1 183 Meter Seehöhe im Pinzgau, 40 Meter von der bayerischen Grenze entfernt. Die Heimat hat uns also wieder. Das Gasthaus war einst ein altes Zollwachhaus und hat wie das dazugehörige Bergheim von Anfang Mai (je nach Wetter- und Schneeverhältnissen) bis Ende Oktober geöffnet. Da auch eine asphaltierte Straße über den Pass führt, ist er ein beliebtes Ziel für Radfahrer.

Wir haben nur am Großglockner Zimmer reserviert. Ansonsten sind wir auf gut Glück unterwegs. Wenn einmal keines frei sein sollte, wird halt das Zelt ausgepackt. Heute würden wir uns allerdings über einen gemütlicheren Schlafplatz freuen. So frage ich im Gasthof nach einem freien Zimmer und das Glück ist auf unserer Seite. Um 20 Euro buchen wir eines samt Frühstück. Es ist wirklich sehr schön hier oben. Die Wolken, die sich tagsüber noch gehalten haben, sind alle verschwunden und der Abendhimmel erstrahlt in tiefem Dunkelblau. Würde ein Kind ein solches Blau in einem Bild malen, würde man es rügen, diese Farbe sei doch etwas zu kitschig und unrealistisch … Wir stillen unseren Hunger mit einer deftigen Speck- und Käseplatte und unseren Durst mit einem Weißbier.

Bei etwa 18 Grad sitzen wir noch vor der Gaststätte im Freien und genießen die Aussicht und die Stille. Ein unglaublich anstrengender erster Tag liegt hinter uns. Mario ist froh, angekommen zu sein, und massiert seine Beine. Wir erfreuen uns noch an der untergehenden Sonne und fallen angenehm müde in dem gemütlichen kleinen, mit frisch duftendem Bettzeug ausgestatteten Zimmer ins Bett. In Gedanken lasse ich unseren ersten Tag auf „meinem“ Trail und unserer Hochzeitsreise Revue passieren und falle bald in einen tiefen Schlaf.

Mario:

Zum ersten Tag fällt mir eigentlich nur ein bestimmtes Wort ein. Als wir um 8 Uhr losmarschieren, bin ich noch guter Dinge und die erste Stunde verläuft so, wie ich es mir vorgestellt habe. Doch bereits beim ersten (!) Abstieg – vielleicht 20 Höhenmeter – zwischen Wolfschwang und Hallthurm spürte ich starke Schmerzen in meinen Beinen und dachte mir: Lass dir ja nichts anmerken! In den nächsten Stunden war der Weg nur leicht hügelig. Ich spürte zwar immer wieder das eine oder andere Zwicken, dachte aber, dass es mit der Zeit besser werden würde. Der Anstieg aufs Hochschwarzeck bereitete mir noch keine Probleme, doch ab da war es endgültig vorbei. Auf der Asphaltstraße bergab konnte ich keinen Schritt mehr vor den anderen setzen. Petra und Thomas schauten mich an und konnten es kaum glauben. Ich dachte mir nur: Wie soll ich da runterkommen? Zum Glück gibt es freundliche Autofahrer. Eine Dame nahm mich ein Stück mit hinunter ins Tal, das war meine Rettung.

Wir genossen die Rast in der Ramsau und verabschiedeten uns von Thomas. Danach galt es noch, den Anstieg zum Hirschbichl zu bewältigen. Der lange Tag und die Schmerzen machten sich jetzt auch schon beim Bergaufgehen bemerkbar. Das Resümee des ersten Tages: Ich habe das Ganze total unterschätzt und kann mir im Moment beim besten Willen nicht vorstellen, wie das weitergehen soll.

2. Tag:

Kilometer: 30,5

Höhenmeter aufwärts: 640

Höhenmeter abwärts: 810

Gehzeit: 6 ¼ Stunden

Gesamtdauer: 8 Stunden

Hirschbichl – Berggasthof Huggenberg

Obwohl ich in fremden Betten meist nicht wirklich guten Schlaf finde, war ich diese Nacht wie narkotisiert. Trotz einer Gruppe mit Kindern in den Nebenzimmern erwachte ich nicht. Mario weckt mich um sieben Uhr früh. Für meinen Geschmack heute noch dunkelste Nacht, um nicht zu behaupten Geisterstunde. Der gestrige Tag macht sich bemerkbar. Verschlafen blicke ich zum Fenster hinaus. Strahlend blauer Himmel und kein Wölkchen zu sehen. Herrlich! Das motiviert mich schließlich doch aufzustehen. Ich gehe mich waschen, packe mein Zeug wieder in den großen Rucksack und warte, bis Mario fertig ist. Im angrenzenden Gasthaus ist das Frühstück bereits für uns gerichtet. Wir genießen frisch gemahlenen Kaffee und Brötchen mit Wurst und Käse. Dann brechen wir auf. Die Strapazen von gestern sind schnell vergessen und die Vorfreude auf neue Erlebnisse beflügelt mich. Auch Mario ist gut gelaunt. Ich mache noch schnell ein paar Fotos von dieser herrlichen Umgebung am Hirschbichl, bevor wir Richtung Weißbach weitergehen. Es ist 8:35 Uhr.

Ein paar Schritte weiter zweigt ein Weg zur Litzlalm ab, einer netten Jausenstation, die man von hier in etwa einer halben Stunde gut erreichen kann. Wir jedoch verlassen den Nationalpark Berchtesgaden und wechseln in den Naturpark Weißbach, wo wir über den Erlebnisweg in den Ort gelangen. In historischen Zeiten erfüllte der Hirschbichlpass eine wichtige Funktion als Verbindung zwischen Bayern und Österreich. Auf diesem Weg wurden alle Arten von Waren, vor allem aber Salz transportiert. Der vom Hirschbichl herabfließende Weißbach gab dem Ort dann auch seinen Namen. Schön, so manches über den Weg, auf dem man sich gerade bewegt, zu wissen. Ich lese gerne am Vortag ein bisschen über die Strecke, die vor mir liegt. Das bringt Informationen, die das Wandern am nächsten Tag zu einem speziellen Erlebnis werden lassen. So auch heute. Es herrscht Stille. Man hört nur die Vögel zwitschern. Die Luft ist am Morgen angenehm kühl und das Wetter ein Traum. Was für ein herrlicher Tagesbeginn! Mario geht voran. Ich folge ihm. Keiner von uns beiden sagt etwas. Obwohl ich ihn gerne fragen würde, wie es ihm geht. Die Frage kann ich mir allerdings sparen, denn nach nur wenigen Schritten bergab beginnen sich Marios Oberschenkelmuskeln wieder zu verkrampfen und er flucht und schimpft, bleibt stehen, versucht die Beine zu dehnen, auszuschütteln und geht wieder weiter. Ich halte etwas Abstand und gehe langsam hinter ihm her. Mir gelingt es dennoch, abzuschalten und das herrliche Panorama zu genießen.

In Weißbach kaufen wir uns in einem kleinen Laden eine Jause und halten kurz Rast. Die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel und die Temperatur steigt rasant an. Bestimmt hat es jetzt schon um die 20 Grad. Dabei ist es erst 9:45 Uhr. Dass der Weiterweg bis Saalfelden immer am Radweg entlangführt und nicht besonders aufregend sein wird, weiß ich natürlich – schließlich habe ich selbst die Routen von zu Hause bis zur Franz-Josefs-Höhe am Großglockner zusammengestellt. So marschieren wir den doch sehr eintönigen Weg entlang. Fußgänger treffen wir keine, nur einige Radfahrer, ab und an einen Läufer oder Rollerskater. Bei sengender Hitze und nach schier endlosem Weg kommen wir endlich zum Buchweißbach, an dem wir eine Rast einlegen und unsere Füße abkühlen. Mario hat neben seinem Muskelproblem nun auch noch mit ersten Blasen an den Zehen und Fußballen zu kämpfen. Auch an mir ist der lange erste Tag nicht gänzlich ohne Folgen vorbeigegangen. Diese beschränken sich aber Gott sei Dank auf leichte Schulter- und Nackenschmerzen. Einzig eine sehr unangenehme Augenentzündung kündigt sich an. Die Augen jucken und kratzen. Da werde ich wohl die nächsten Tage auf die Kontaktlinsen verzichten und auf die Brille umsteigen müssen. Mal schauen, wie sich das weiterentwickelt. Bepanthen Augentropfen sind eingepackt.

Wir kühlen uns ab, um der Tropenhitze möglichst zu entkommen. Das Wasser des Baches ist trotz der 37 Grad Lufttemperatur eisig kalt. Nur ungern packen wir wieder zusammen, um den Rest der heutigen Strecke in Angriff zu nehmen. Bis zum Berggasthof Huggenberg, unserem heutigen Ziel, ist es noch ein Stück.

Zurück auf dem Radweg, gehen wir stillschweigend und in Gedanken versunken nebeneinander her, als ein Rennradfahrer an uns vorbeifährt. Kurz hinter ihm folgt das weibliche Pendant. Plötzlich bremst sie, etwa 50 Meter vor uns, stark zusammen, bleibt stehen und dreht sich um. Sie sieht etwa eine Minute in unsere Richtung, ohne etwas zu sagen. Ich nehme im ersten Augenblick an, sie warte auf jemanden. Doch plötzlich wendet sie sich direkt an uns: „Bist du die Petra? Seid ihr die zwei vom Alpe-Adria-Trail??“ Erstaunt bejahe ich ihre Frage. Ich muss wohl ziemlich verdutzt ausgesehen haben, denn sie kommt näher, nimmt die dunkle Sportbrille ab und stellt sich vor. „Hi, ich bin die Christine und verfolge deine Vorbereitungen zum Trail schon seit Wochen auf Facebook mit großem Interesse! Ohh … Ich freu mich sehr, dass ich euch heute treffe!“ Und ich erst! Was für ein schöner Zufall! Wir sind leider beide so perplex, dass wir völlig versäumen, ein Foto von dieser Begegnung zu machen. Trotzdem – sie bleibt in meinem Kopf! Christine wünscht uns noch alles erdenklich Gute und verspricht, auch weiterhin gespannt den Trail zu verfolgen. Dann fährt sie ihrem Mann hinterher. Weg ist sie. Ich freue mich noch lange über diese schöne Begegnung.

Wir erreichen endlich Saalfelden und kehren im ersten Café ein. Durst! Die Hitze ist enorm. Wir genießen die kurze Pause vor dem letzten Anstieg zum Berggasthof Huggenberg, wo wir die Nacht verbringen werden. Die Hitze macht mir heute besonders zu schaffen. Oder ist es nicht nur die Hitze? Immerhin hatten wir gestern eine Megaetappe und auch heute ist es kein Spaziergang. Wir sind froh, als wir endlich oben ankommen.

Nach einem ersten kühlen Getränk freue ich mich auf die Dusche. Dann sitzen wir auf der schönen Terrasse mit Aussicht auf ganz Saalfelden, das Steinerne Meer und die umliegende Bergwelt. Herrlich. Rund um uns tummeln sich Esel, Schafe, ein Pfau, ein Hund, Katzen und junge Enten. Ein Idyll! Wir kennen die Familie Strickner schon seit längerer Zeit und haben hier auf der Huggenbergalm bereits einige nette Feten gefeiert. Im Sommer führt eine Sommer-, im Winter die Winterrodelbahn ins Tal. Auch mit den Tourenschi sind wir hier schon gewesen. Und fast immer gab’s die legendären Kasnockn!