Mein Baby gehört mir! - Catherine Spencer - E-Book

Mein Baby gehört mir! E-Book

Catherine Spencer

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Beschreibung

Werde ich ihn wiedersehen? Mit sehr widersprüchlichen Gefühlen fährt die hübsche Imogen in ihre Heimatstadt Rosemont, wo sie an einem Schultreffen teilnehmen wird. Zehn Jahre hat sie nichts von Joe gehört, aber unvergesslich ist noch immer die Nacht, in der sie in seinen Armen die Liebe kennen lernte - mit fatalen Folgen. Bis heute weiß Joe nichts von der Schwangerschaft, von dem Baby, das kurz nach der Geburt starb. Doch auch Imogen ahnt nichts von den grausamen Lügen, die ihre Mutter ihr erzählte, um ihre Tochter für immer von Joe abzubringen. Jetzt ist sie da - die Stunde der Wahrheit ...

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Seitenzahl: 202

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IMPRESSUM

Mein Baby gehört mir! erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 1998 by Kathy Garner Originaltitel: „The Secret Daughter“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 1385 - 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Monika Simmet

Umschlagsmotive: GettyImages_Lakshmi3

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733747633

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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­­­1. KAPITEL

„Du willst doch nicht etwa absagen?“ Tanya zog die von Imogen zerknüllte und in den Papierkorb geworfene Einladung wieder heraus und strich sie glatt. „Die langjährige Direktorin eurer High School geht in Ruhestand und lädt alle ehemaligen Schüler zu ihrer Abschiedsfeier ein. Und zudem begeht deine Heimatstadt hundertjähriges Gründungsjubiläum. Eine solche Gelegenheit findest du so schnell nicht wieder, Imogen!“

„Gelegenheit wozu?“ Imogen, die an einem Entwurf für Mrs. Lynch-Carters Fenster arbeitete, blickte nicht einmal auf.

„Um dich mit deiner Mutter auszusöhnen, natürlich. Oder willst du warten, bis sie tot ist? Glaub mir, meine Liebe, du würdest dir dein Leben lang Vorwürfe machen.“

„Wenn meine Mutter mich sehen möchte, weiß sie, wo sie mich findet, Tanya.“

„Aber es liegt an dir, den ersten Schritt zu tun.“ Unwillkürlich nahm Tanyas Stimme jenen einschmeichelnden Tonfall an, der normalerweise reichen Kundinnen vorbehalten war, die sich einbildeten, guter Geschmack habe etwas mit Geld zu tun. „Gib doch zu, Imogen, dass du unter der Entfremdung zwischen dir und deiner Mutter leidest. Und ihr geht es bestimmt genauso.“

„Das bezweifle ich“, entgegnete Imogen. Nur allzu gut erinnerte sie sich, wie eilig Suzanne Palmer es gehabt hatte, ihre Tochter nach deren „Sündenfall“ aus der Stadt zu schicken. „Gerade als ich sie am nötigsten brauchte, hat sie mich im Stich gelassen.“

„Und dafür willst du sie ihr restliches Leben lang bestrafen?“, fragte Tanya. „Hast du dir nie überlegt, ob sie ihr Verhalten von damals vielleicht längst bereut und nur nicht weiß, wie sie es wieder gutmachen kann? Noch hast du die Chance, mit ihr Frieden zu schließen. Nach ihrem Tod ist es dafür zu spät.“

Dieser Gedanke quälte Imogen schon seit längerem, wenngleich sie es nicht offen zugeben wollte. Vor allem in letzter Zeit vermisste sie ihre Mutter mehr denn je. Einen Menschen zu haben, dem der andere so viel bedeutete, dass er über dessen Leben zu bestimmen versuchte, war immer noch besser, als völlig allein in der Welt zu stehen.

War es vielleicht doch möglich, sich einander wieder anzunähern? Nicht als Mutter und Tochter, sondern als zwei gleichberechtigte Erwachsene, die sich gegenseitig respektierten? Aus dem in Schwierigkeiten geratenen Teenager von einst war inzwischen eine unabhängige junge Frau geworden, die gelernt hatte, ihr Leben allein zu meistern. Sollte sie da nicht über ihren Schatten springen und den ersten Schritt zur Versöhnung tun?

„Außerdem ist sie Witwe, und du bist ihr einziges Kind“, redete Tanya ihr weiter ins Gewissen. „Jetzt, da sie alt wird, hat sie niemand mehr außer dir.“

Dass ihre Mutter überhaupt jemals altern könnte, war für Imogen schwer vorstellbar. Ihrer Einschätzung nach würde Suzanne lieber streng Diät halten, sich liften und das Haar färben lassen, als dem natürlichen Alterungsprozess nachzugeben. Aber sie wurde nun bald sechzig, und sie hatten sich seit acht Jahren nicht mehr gesehen.

„Die Teilnahme an dieser Feier liefert dir doch den idealen Grund für einen Besuch zu Hause“, beharrte Tanya, die bei Imogen eine gewisse Nachgiebigkeit spürte und nun erst recht nicht lockerließ. „Was vergibst du dir schon, wenn du einfach bei deiner Mutter klingelst und sagst, du seist gerade in der Gegend und wollest nur mal sehen, wie es ihr geht?“

„Meine Mutter hat zwar viele Fehler, aber ganz bestimmt ist sie nicht dumm, Tanya. Sie würde mich sofort durchschauen.“

„Mag sein, aber was macht das schon, wenn euch die kleine Notlüge hilft, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen?“

So gesehen wäre es tatsächlich engstirnig und unreif, diese Gelegenheit zur Versöhnung ungenutzt verstreichen zu lassen, überlegte Imogen. Immerhin war sie kein leicht zu erschütternder Teenager mehr, wie damals, als Joe Donnelly mit der Wucht und Geschwindigkeit eines durchs Weltall rasenden Meteors ihren Weg gekreuzt hatte und ebenso schnell wieder aus ihrem Leben verschwunden war.

Falls sie sich tatsächlich zu einem Besuch in ihrer Heimatstadt Rosemont durchrang, würde sie sich allerdings nicht nur mit ihrer Mutter auseinandersetzen müssen.

„Mir ist klar, dass du außerdem vor einer weiteren Begegnung Angst hast.“

Tanyas wissendes Lächeln traf bei Imogen einen wunden Punkt, und sie fragte ein wenig zu schnell: „Mit wem?“

„Oh, mir kommt da ein gewisser Joe Donnelly in den Sinn.“

Wie hatte sie nur in diese so offensichtliche Falle tappen können? Imogen bemühte sich um eine möglichst gleichgültige Miene. „Ich wüsste nicht, wieso. Seit Jahren habe ich keinen Gedanken mehr an ihn verschwendet.“

Tanya, diese elegante, schöne, beneidenswert gebildete und kultivierte Frau, begann plötzlich wie ein unreifes Schulmädchen zu kichern und rief: „Wer lügt, dem wachsen Hörner!“

Zum Teufel, sie hat recht! dachte Imogen, denn sie hatte Joe Donnelly ja wirklich nie ganz vergessen können. Natürlich hatte sie es versucht – und phasenweise war es ihr sogar geglückt, wochen- ja sogar monatelang jeden Gedanken an ihn zu verdrängen. Meistens dann, wenn sie an einem größeren Auftrag arbeitete. Langwierige Diskussionen mit Kunden über französische Seidentapeten oder Jugendstilkacheln waren nicht unbedingt dazu angetan, Erinnerungen an Joe Donnelly zu wecken.

Doch sobald sie sich mit einem Mann öfter traf, ertappte sie sich dabei, wie sie ihn mit dem schwarzhaarigen jungen Rebellen aus ihrer Heimatstadt verglich, dessen unwiderstehliches Lächeln und Wortgewandtheit damals selbst eine Heilige in Versuchung geführt hätten. Obwohl Imogen sich einzureden versuchte, dass aus ihm wahrscheinlich längst ein fader Spießer mit Bierbauch und – falls er seinem Vater nachkam – Glatze geworden war, erlahmte allein bei der Erinnerung an Joe jedes Mal ihr Interesse an dem neuen Verehrer.

„Dein Schweigen verrät, dass ich recht habe“, stellte Tanya fest.

„Keineswegs.“

„Ach komm, Imogen! Der Kerl spukt dir doch noch immer im Kopf herum. Gib es zu.“

„Selbstverständlich erinnere ich mich noch an ihn“, bekannte Imogen, um Objektivität bemüht. „Aber zu behaupten, ich würde ständig an ihn denken, ist absurd. Als ich ihn das letzte Mal sah, war ich ein naives Mädchen von knapp achtzehn Jahren und hatte gerade die High School abgeschlossen. Natürlich war ich fasziniert von einem Mann, der nur wenige Jahre älter als ich und bereits ein stadtbekannter Casanova war. Jetzt, mit siebenundzwanzig, können mich Motorradrowdys wie er allerdings nicht mehr beeindrucken.“

„Jede Frau hängt an dem Mann, mit dem sie das erste Mal geschlafen hat.“

„Ich nicht.“

„Dann besteht kein Grund, nicht nach Hause zu fahren.“

„Nicht im Geringsten“, bekräftigte Imogen und ärgerte sich insgeheim, weil sie sich wieder einmal in die Enge hatte treiben lassen. Schuld daran war nur ihr dummer Stolz, der sie bisher auch abgehalten hatte, sich mit ihrer Mutter zu versöhnen.

„Und als reife Frau von siebenundzwanzig solltest du die Größe aufbringen, deiner Mutter endlich zu verzeihen.“

Nun ja, wieso eigentlich nicht? Nachdenklich kaute Imogen an dem Ende ihres Bleistifts. Bestimmt würde es schmerzlich sein, sich der Vergangenheit zu stellen, aber irgendwann musste sie sich damit auseinandersetzen, um endlich ihren Seelenfrieden zu finden. Wichtig war nur, dass sie sich auf das Verhältnis zu ihrer Mutter konzentrierte und keine sinnlosen Spekulationen über einen Mann anstellte, der nur einmal mit ihr geschlafen und dann keinen Gedanken mehr an sie verschwendet hatte.

Solange sie diesen Vorsatz beherzigte und ihre Gefühle unter Kontrolle hielt, konnte nichts passieren.

„Na schön, du hast mich überzeugt“, sagte sie zu Tanya. „Ich werde die Einladung annehmen und sehen, ob ich das Verhältnis zu meiner Mutter verbessern kann.“

Doch es kam alles anders, als Imogen geplant hatte. Die erste Überraschung erlebte sie bei ihrer Ankunft an einem Samstagnachmittag Ende Juni in Deepdene Grange, dem Sitz der Familie und wahrscheinlich einzigem Haus in der Stadt, das die Bezeichnung „Villa“ wirklich verdiente.

„Madam ist nicht zu Hause“, teilte ihr eine fremde junge Frau mit, bei der es sich vermutlich um eines der Hausmädchen handelte. Sie musterte Imogen argwöhnisch und stellte sich vor die offene Tür, als befürchtete sie, die unbekannte Besucherin könnte sich gewaltsam Zutritt ins Haus verschaffen.

Einen Moment lang verschlug es Imogen die Sprache. In den vergangenen Wochen waren ihr immer wieder Zweifel gekommen, ob es klug sei, nach Hause zu fahren, und als sie heute Morgen von Vancouver nach Toronto geflogen und von dort mit einem Leihwagen in nordöstlicher Richtung weitergefahren war, hatte sich der schmerzhafte Druck im Magen mit jeder Meile, der sie Rosemont näher kam, verstärkt. Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass sie ihre Mutter nicht antreffen würde.

„Nicht zu Hause?“, wiederholte sie und schüttelte ungläubig den Kopf.

Das Mädchen verzog keine Miene. „Leider nein.“

Aber es war nachmittags vier Uhr, und seit Imogen denken konnte, trank ihre Mutter täglich um diese Zeit im Wintergarten Tee.

Wie um sich zu überzeugen, dass sie nicht vor dem falschen Haus stand, spähte Imogen über die Schulter des Mädchens in die Eingangshalle. Nichts hatte sich verändert. An der Decke hing noch immer der kostbare Kristallleuchter, dessen Lüster nun im Sonnenlicht funkelten, das Eichengeländer der breiten Treppe war wie eh und je auf Hochglanz poliert, und auch der handgeknüpfte persische Teppichläufer war noch derselbe. Selbst die Vase mit Rosen auf dem antiken Tischchen neben dem goldgerahmten Spiegel hatte am selben Platz gestanden, als Imogen vor neun Jahren ihr Zuhause verlassen und sich geschworen hatte, nie wieder hierher zurückzukehren.

Das Dienstmädchen rückte weiter nach rechts, um der unbekannten Besucherin die Sicht zu versperren. „Darf ich fragen, wer Sie sind?“

„Wie bitte?“ Ganz in ihre Erinnerungen versunken, hatte Imogen Mühe, wieder in die Gegenwart zurückzufinden. „Oh, ich bin Mrs. Palmers Tochter.“

Außer hochgezogenen Brauen genehmigte sich das gut ausgebildete Hausmädchen kein Anzeichen von Erstaunen. „Madam ist übers Wochenende verreist und wird morgen Nachmittag zurückerwartet. Sie hat nichts von einem Gast erwähnt.“

Da Imogen nicht wusste, wie ihre Mutter auf den Besuch reagieren würde, hatte sie vorsichtshalber im einzig guten Hotel der Stadt ein Zimmer für sich reservieren lassen. Eine weise Vorsichtsmaßnahme, wie sich nun herausstellte, denn offenbar hatte Suzanne Palmer es nicht für nötig befunden, ihr derzeitiges Hauspersonal darüber aufzuklären, dass sie eine Tochter besaß.

„Sie hat mich nicht erwartet. Ich wohne im ‚Briarwood‘ und würde ihr gern eine Nachricht hinterlassen, damit sie weiß, dass ich in der Stadt bin.“

„Ich richte ihr gern etwas aus.“

„Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich schreibe ihr lieber ein paar Zeilen.“ Ehe die junge Frau protestieren konnte, war Imogen an ihr vorbei ins Haus geschlüpft.

Sie hatte gehofft, dadurch, dass sie mit den Örtlichkeiten vertraut war, beweisen zu können, hier aufgewachsen zu sein, doch als sie nun schnurstracks zu dem kleinen Arbeitszimmer ihrer Mutter ging, blieb ihr das Mädchen dicht auf den Fersen.

„Madam schätzt es nicht, wenn jemand Unordnung in ihre Unterlagen bringt“, wandte es ein, als Imogen den eleganten Damenschreibtisch ihrer Mutter öffnete.

Ebenso wenig hat Madam es „geschätzt“, mir vor neun Jahren zuzuhören, als ich ihr erklären wollte, was in jener bewussten Nacht passiert ist, dachte Imogen grimmig und sagte: „Keine Angst, Ihnen werden durch mich keine Unannehmlichkeiten entstehen. Im Übrigen habe ich nicht vor, in den persönlichen Dingen meiner Mutter herumzuschnüffeln.“

Als sie nun jedoch aus einem der kleinen Fächer ein Blatt Papier zog, fielen einige Überweisungsdurchschläge heraus und flatterten zu Boden. „Alles nur halb so schlimm“, meinte Imogen, während sie alles wieder einsammelte.

„Aber sie waren nach Datum geordnet“, jammerte das Mädchen und war plötzlich gar nicht mehr so selbstsicher. „Madam ist in diesen Dingen sehr genau.“

Zumindest in dieser Hinsicht hatte sich nichts geändert. „Das war sie schon immer. Ich kenne ihr Ordnungssystem und werde alles wieder in die richtige Reihenfolge bringen.“

Rasch begann Imogen die Belege zu sortieren, unter denen sich auch eine größere Zahlung an St. Mary befand, die ehemalige Privatschule ihrer Mutter in Norbury, vierzig Meilen westlich der Niagarafälle. Sie war darüber nicht sonderlich erstaunt. Suzanne Palmer hatte sich immer sehr großzügig gezeigt, wenn sie jemand ihrer Unterstützung für wert befand. Gegenüber ihrer Tochter und bestimmten Schichten von Rosemonts Bevölkerung war sie allerdings weniger mitfühlend gewesen.

Nachdem Imogen die Belege wieder geordnet und ins Fach zurückgelegt hatte, schrieb sie einige Zeilen an ihre Mutter und reichte dem Mädchen das zusammengefaltete Blatt. „Ich bleibe nur wenige Tage in der Gegend und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Brief meiner Mutter sofort nach ihrer Rückkehr geben würden.“

Sie war kaum aus der Tür, da wurde diese auch schon hinter ihr zugemacht.

Da sie es nicht eilig hatte, ins Hotel zu kommen, fuhr Imogen langsam in Richtung Stadtzentrum. Obwohl sie sich vorgenommen hatte, keine nostalgischen Gefühle aufkommen zu lassen, weckten die vertrauten Gebäude nun doch wehmütige Erinnerungen.

An den Säulen des Rathauses hingen Transparente, die auf das hundertjährige Bestehen der Stadt hinwiesen, und neben den schmiedeeisernen Straßenlampen an der Hauptstraße hatte man Blumenkübel aufgestellt. In Richter Merriweathers Haus befand sich nun ein Steuerberatungsbüro, das frühere Krankenhaus war in ein Jugendzentrum umgewandelt worden.

Hinter dem Bahnhof teilte sich die Straße. Rechts ging es zum Seeufer und links nach Lister’s Meadows, wo die Donnellys gewohnt hatten.

Mit den Leuten auf der anderen Seite der Gleise haben wir nichts zu schaffen, hatte Imogens Mutter gesagt, als ihre fünfzehnjährige Tochter darauf bestanden hatte, dort an einer Geburtstagsparty teilzunehmen. Im Gegensatz zu Suzanne hatte Imogen sich in dieser Gegend wegen des nachbarschaftlichen Zusammenhalts der Bewohner sehr wohl gefühlt. Zwar waren die Häuser dort klein und standen eng beieinander, aber es gab weder Zäune zwischen den verschiedenen Grundstücken noch Schilder, die den Durchgang verboten.

Die Donnellys hatten im letzten Haus der Straße an einem kleinen Bach gewohnt. Ob sie noch immer dort lebten? Mit Imogens Weggang vor neun Jahren war auch der Kontakt zu Patsy Donnelly abgebrochen, mit der sie dieselbe Klasse auf der High School besucht hatte. Und was Joe betraf …

Nun, Joe Donnelly war an einer längerfristigen Beziehung zu Imogen Palmer nicht interessiert gewesen. Nur wenige Tage nachdem er mit dem reichsten Mädchen der Stadt eine Nacht verbracht hatte, war er aus der Stadt verschwunden. Er verdiente es nicht, dass sie auch nur einen einzigen weiteren Gedanken an ihn verschwendete.

Es gab also absolut keinen Grund, in östlicher Richtung weiterzufahren, um festzustellen, ob Joes Vater noch immer seine vormals sonntags wie werktags täglich fünfzehn Stunden geöffnete Autowerkstatt betrieb. Trotzdem konnte sie nicht widerstehen. Erwartete sie, Mr. Donnelly über einen Motor gebeugt zu sehen oder seinen jüngeren Sohn Sean an der Zapfsäule? Oder gar, dass Joe lässig wie eh und je auf seiner Harley Davidson saß und mit Kennerblick die in einer scheinbar endlosen Parade vorbeiziehenden Mädchen begutachtete, die ihre körperlichen Reize großzügig zur Schau stellten, um ihn auf sich aufmerksam zu machen?

Wieso verspürte sie nun ein Gefühl der Enttäuschung, als sie entdeckte, dass die Werkstatt von einer großen Benzingesellschaft aufgekauft und in eine Selbstbedienungstankstelle umgewandelt worden war? Dabei hätte sie doch froh sein müssen, dass nichts mehr sie an früher erinnerte.

„Werd endlich erwachsen, Imogen!“, sagte sie verärgert. „Statt dich mit den Donnellys zu beschäftigen, solltest du dir lieber überlegen, was du deiner Mutter sagst, wenn du sie triffst.“

Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass hinter ihr kein Auto kam, riss sie entschlossen das Steuer herum, fuhr zurück und auf direktem Weg zum Hotel. Bis sie geduscht und sich umgezogen hatte, würde es Zeit fürs Dinner sein.

Imogens Zimmer im zweiten Stock des Briarwood war hübsch möbliert und mit Blick auf den See. Als Erstes schaltete sie die Klimaanlage ab, öffnete dann die Glastür und trat auf den kleinen Balkon hinaus.

Im Hotelgarten direkt unter ihr fand eine Hochzeitsfeier statt. Die zierliche junge Braut im weißen Kleid und mit Orangenblüten im Haar strahlte nur so vor Glück. Imogen verspürte einen schmerzhaften Stich. Nicht um den Bräutigam beneidete sie die junge Frau, sondern um die Aura von Unschuld, die sie umgab und die sie, Imogen, schon als Teenager verloren hatte.

Obwohl sie erst siebenundzwanzig war, fühlte sie sich plötzlich alt. Und verbittert. Dabei hatte sie alles, was in der heutigen Zeit zählte. Sie war beruflich erfolgreich, besaß Geld, und genügend Männer fanden sie attraktiv. Einige hatten ihr sogar schon einen Heiratsantrag gemacht.

Trotzdem spürte sie seit langem eine innere Leere. Dabei war sie wie diese junge Braut einmal voller Lebensfreude und Optimismus gewesen. Aber nach …

Nein! Sie durfte jetzt nicht wieder alte Wunden aufreißen. Im Lauf der Jahre hatte sich der tiefe Schmerz von damals in sanfte Trauer gewandelt, und dabei sollte sie es belassen. Ihre Zukunft lag einen halben Kontinent von hier entfernt in Vancouver, und sobald sie mit ihrer Mutter gesprochen hatte, würde sie dorthin zurückkehren.

Die Uhr des Rathauses schlug sechs. In ihrer gedrückten Stimmung hatte Imogen wenig Lust auf ein Dinner in der steifen Atmosphäre des vornehmen Speisesaals. Nachdem sie geduscht und statt des eleganten Leinenkostüms von vorhin ein leichtes Sommerkleid angezogen hatte, beschloss sie, das Abendessen ausfallen zu lassen und lieber einen ausgedehnten Spaziergang zu machen. Vielleicht half ihr die Bewegung an der frischen Luft, sich ein wenig zu entspannen. Jedenfalls würde sie danach besser schlafen können als mit einem schweren Steak im Magen.

Die Luft war warm. Vom See her wehte ein leichter Wind und kräuselte das Wasser an der Oberfläche. Imogen setzte ihre Sonnenbrille auf, ging die wenigen Schritte zur Uferpromenade hinunter und wandte sich dann nach rechts. Sie passierte die Schiffsanlegestelle und den Musikpavillon, kam dann zum öffentlichen Strand und wanderte eine Weile am Wasser entlang, ehe sie durch den Park zurückging und nach ungefähr einer Stunde zum Rosemont Tea Garden kam.

Wie fast überall in der Stadt, hatte sich auch hier einiges verändert. Über die Terrasse mit Blick auf den See, wo einst verblichene Sonnenschirme alten Damen Schatten gespendet hatten, war nun ein schickes Sonnensegel gespannt, die schäbigen Plastiktische und – stühle hatte man durch moderne Korbmöbel ersetzt. Und statt des früheren Buttergebäcks mit selbst gemachter Erdbeermarmelade und Tee in bunt zusammengewürfelten Tassen, wurden nun auf der schwarzen Tafel vor dem Eingang kalte Suppen, Salate und Nudelgerichte angeboten.

Von dem dort ebenfalls offerierten Langustensalat angelockt, trat Imogen durchs offene Tor. Während sie sich nach einem freien Tisch umsah, hörte sie plötzlich jemand rufen: „Bist du das, Imogen Palmer, die ihr Gesicht hinter einer Sonnenbrille versteckt?“

Erschrocken wirbelte sie herum und entdeckte wenige Meter entfernt an einem Tisch in der Ecke Patsy Donnelly. Von allen, die ich kenne, muss ich ausgerechnet sie hier treffen, dachte Imogen verzweifelt und nahm notgedrungen die Sonnenbrille ab, was sie sofort bereute, da Patsys tiefblaue Augen sie nur allzu sehr an Joe erinnerten.

„Ich bin es, Patsy Donnelly“, sagte Joes Schwester, die Imogens Schweigen offenbar falsch deutete. „Erinnerst du dich nicht mehr an mich?“

„Natürlich“, versicherte Imogen hastig. „Ich bin nur überrascht, dich zu sehen.“

Es klang nicht gerade begeistert, was Patsy jedoch nicht zu bemerken schien. Sie lud Imogen ein, sich an ihren Tisch zu setzen, und rückte ihr einen Stuhl zurecht. „Wieso überrascht?“, fragte sie und lachte. „Ich werde mir doch Miss Duncliffes große Abschiedsfeier nicht entgehen lassen. Viele ihrer ehemaligen Schüler sind gekommen, sogar Joe. Du wirst in den nächsten Tagen noch allerhand vertraute Gesichter sehen. Wie lange bleibst du?“

„Nur ein paar Tage“, antwortete Imogen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich zu Patsy an den Tisch zu setzen, obwohl sie am liebsten schnurstracks ins Hotel zurückgekehrt wäre, ihre Sachen gepackt und schnellstens die Stadt verlassen hätte. Was machte Joe auf der Abschiedsfeier einer Lehrerin? Nach allem, was sie von ihm wusste, hatte ihn die Schule doch nie interessiert, vom Sportunterricht einmal abgesehen.

Patsy winkte einem Kellner und bat ihn, ein zusätzliches Weinglas zu bringen. Dann blickte sie Imogen erwartungsvoll an. „Und nun erzähl, was du so treibst? Bist du verheiratet? Hast du Kinder?“

„Weder noch.“ Das hörte sich reichlich unhöflich an, doch Imogen stand mehr oder weniger unter Schock. Joe Donnelly war in der Stadt, und sie fühlte sich einem Wiedersehen mit ihm nicht gewachsen.

Patsys beugte sich vor. Ihr hübsches, lebhaftes Gesicht drückte Bestürzung aus. „Hätte ich das nicht fragen sollen?“

Erst jetzt wurde Imogen bewusst, dass sie geradezu verletzend unhöflich gewesen war und Suzanne Palmer sich für das Verhalten ihrer Tochter zutiefst geschämt hätte. Sie bemühte sich, ihren Fehler wieder gutzumachen. „Doch, doch. Ich hatte nur nicht erwartet, dass du dich noch an mich erinnerst.“

Völlig aus der Luft gegriffen war diese etwas lächerliche Ausrede nicht, da Imogen bis zu ihrem dreizehnten Lebensjahr keine Schule besucht hatte, sondern zu Hause von einer Privatlehrerin unterrichtet worden war. Wäre es nach ihrer Mutter gegangen, hätte sie die restliche Schulzeit in einem vornehmen Internat zugebracht. Imogen hingegen hatte sich verzweifelt gewünscht, ein ganz „normaler“ Teenager wie ihre Altersgenossen in der Stadt zu sein, und sie hatte schließlich mit Unterstützung ihres Vaters durchgesetzt, auf die Rosemont High School zu kommen.

Aber wirklich „dazugehört“ hatte sie nie. Der Kreis ihrer Freundinnen beschränkte sich auf die wenigen Mädchen, die nach Meinung ihrer Mutter der „richtige Umgang“ für eine Palmer waren. Imogen konnte an einer Hand abzählen, wer von ihren ehemaligen Klassenkameradinnen jemals für würdig erachtet wurde, den Fuß nach Deepdene Grange zu setzen und dort Tennis zu spielen oder die wohl gepflegten Zehen in den Swimmingpool zu tauchen.

Patsy war diese „Ehre“ nie zuteil geworden, obwohl sie in der Klasse äußerst beliebt gewesen war. Imogen hatte sich zwar immer gut mit ihr verstanden, aber außerhalb der Schule hatten sie wenig miteinander zu tun gehabt.

„Ich soll mich nicht an dich erinnern?“, rief Patsy und bedeutete dem Kellner, ihnen beiden aus der auf dem Tisch stehenden Flasche Wein einzuschenken. „Du warst das unvergesslichste Mädchen, das je die Pforten unserer Schule passiert hat, Imogen. Einerseits waren wir völlig eingeschüchtert von dir, andererseits wollten wir alle sein wie du. Du warst für uns eine Art Prinzessin. Vornehm und hoheitsvoll, sozusagen die Grace Kelly der Schule, deshalb war ich auch völlig …“

„Ja?“, fragte Imogen neugierig, da Patsy jäh verstummt war. „Sprich weiter. Was wolltest du sagen?“

Patsy zuckte die Schultern und begann mit ihrer Papierserviette zu spielen. „Ach nichts. Ich habe nur überlegt, ob du mit jemandem … fest liiert bist.“

„Nein, bin ich nicht.“

„Verstehe.“ Noch immer vermied Patsy es, sie anzusehen. „Und … wo lebst du jetzt, und was machst du beruflich?“

Imogen warf ihr einen verwunderten Blick zu. Die Patsy, die sie früher gekannt hatte, war nie um einen Gesprächsstoff verlegen gewesen. „Ich arbeite für eine Innenausstattungsfirma in Vancouver.“

„Innenausstattung?“ Patsy gewann ihre alte Lebhaftigkeit zurück und lächelte bewundernd. „Das passt zu dir!“

„Im Grunde genommen tue ich nichts anderes, als reiche Frauen dabei zu beraten, wie sie ihre Bäder streichen oder was sie sich ins Wohnzimmer stellen sollen.“

„Bestimmt gehört da noch mehr dazu. Du hattest ja schon immer ein besonderes Stilgefühl. Selbst in Jeans und T-Shirt hast du irgendwie elegant ausgesehen.“

„Wahrscheinlich deshalb, weil meine Mutter mir nur Designerjeans zu tragen erlaubte. Aber wie steht’s mit dir, Patsy? Gibt es in deinem Leben einen Ehemann oder Kinder?“

„Keinen Ehemann, aber Kinder. Ich bin zweifache Tante. Dennis ist siebeneinhalb, und Jack wird im Oktober sechs. Zwei süße Lausejungen, wie du gleich selber sehen wirst.“ Sie hob ihr Weinglas. „Auf unser Wiedersehen!“, sagte sie, trank etwas Wein und berichtete dann weiter: „Joe ist mit den beiden nach Flanagan’s Slough zum Fischen gefahren. Ich habe mich hier mit einigen Freundinnen von früher getroffen, und da ich ohne Auto bin, kommt er auf der Rückfahrt vorbei und nimmt mich nach Hause mit.“