Mein Großvater, der Fälscher - Charlotte Krüger - E-Book
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Mein Großvater, der Fälscher E-Book

Charlotte Krüger

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Beschreibung

"Es ist leichter, Adolf Hitler zu hassen als den eigenen Großvater"

Als Kind hat sie ihren Großvater als freundlichen alten Herrn erlebt, der in den achtziger Jahren mit ihr Briefmarken sammelte. Erst später erfährt Charlotte Krüger, dass sein Leben auch eine dunkle Seite hatte.

Im Auftrag der NS-Führung leitete der SS-Sturmbannführer Bernhard Krüger im KZ Sachsenhausen eine Fälscherwerkstatt, in der Häftlinge britische Pfundnoten herstellten mit dem Ziel, dem Kriegsgegner Großbritannien wirtschaftlich zu schaden. Das »Unternehmen Bernhard« wurde zur größten Geldfälschungsaktion der Geschichte. Wer war der Mann, den Charlotte Krüger so nie kennengelernt hat, der Nazi Bernhard Krüger? Bemühte er sich, »seine« Häftlinge zu schützen oder schickte er einige von ihnen in den Tod? In einer spannenden Spurensuche, die sie zu Zeitzeugen und in Archive führt, nähert sich Charlotte Krüger dem geteilten Leben ihres Großvaters und versucht so, eine Haltung zu ihm zu finden.

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Seitenzahl: 454

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CHARLOTTEKRÜGER

MeinGroßvater, der Fälscher

Eine Spurensuche in der NS-Zeit

Deutsche Verlags-Anstalt

1. Auflage

Copyright © 2015 Deutsche Verlags-Anstalt, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Regina Carstensen, München

Typografie und Satz: DVA/Brigitte Müller

Gesetzt aus der Garamond

Bildbearbeitung: Helio Repro, München

ISBN 978-3-641-12474-8www.dva.de

Für DJ7MG

INHALT

PROLOG – Der Mann mit dem Geldbündel

KAPITEL 1 – An die Kandare genommen

KAPITEL 2 – Die Familienchronik

KAPITEL 3 – Härte zeigen

KAPITEL 4 – Sauber und planmäßig

KAPITEL 5 – Der Auftrag

KAPITEL 6 – Familienfronten

KAPITEL 7 – »Auch wenn ich ein böser Nazi war«

KAPITEL 8 – Eine unblutige Waffe

KAPITEL 9 – So gut wie echt

KAPITEL 10 – Georg Kohn

KAPITEL 11 – Ein echter Deutscher

KAPITEL 12 – »Er hatte keine Wahl«

KAPITEL 13 – Die Briefe

KAPITEL 14 – Krügers Erinnerungen

KAPITEL 15 – Der Greenback

KAPITEL 16 – Letzte Order

KAPITEL 17 – In der Tauchkugel

EPILOG – Der Fälscher

Anhang

DANK

LITERATUR UND QUELLEN

PERSONENREGISTER

PROLOGDerMannmitdem Geldbündel

Der Mann, der am Boden liegt und flennt, ist nicht mein Großvater. Seine Hand umklammert ein Bündel britischer Pfundnoten, das er aus der Fälscherwerkstatt gestohlen hat. Die Rote Armee rückt näher, und in den Blöcken 18 und 19 des Konzentrationslagers Sachsenhausen hat man die Druckmaschinen bereits abgebaut. Jetzt geht es auch für ihn nur noch ums Überleben. Es ist das Ende einer makabren Naziaktion, eines verwegenen Versuchs, den Krieg gegen England doch noch zu gewinnen. Mein Opa stand im Zentrum dieses Unternehmens, genau wie der Mann, der da am Boden liegt und flennt.

Es ist die Schlussszene eines österreichisch-deutschen Spielfilms, der die Geschichte vom »Unternehmen Bernhard« erzählt. Es ist auch die Geschichte meines Großvaters Bernhard Krüger. Über eine Million Menschen weltweit haben den Film Die Fälscher, der sogar 2008 einen Oscar gewonnen hat, angeschaut. Sie alle haben einen Mann gesehen, der sich in die Hosen pinkelt aus Angst, seine Häftlinge könnten sich an ihm rächen. Und der in Selbstmitleid vergeht: Befehlskette und so.

»Sie hätten bei der Wahrheit bleiben sollen«, sagt meine Mutter über die Filmemacher, »die Wahrheit ist viel absurder.« Denn die Szene, wie mein Großvater am Boden liegt, ist vollständig erfunden.

Aber ich kann verstehen, dass der Regisseur und Drehbuchautor Stefan Ruzowitzky das so dargestellt hat – es ist Entertainment! Doch meine Tante sagt, der Film hätte sie beinahe umgebracht. Nicht weil sie leugnen würde, dass ihr Vater ein überzeugter Nazi war. Sondern weil die Geschichte nun mal so einfach nicht ist.

Mein Großvater war tatsächlich Hitlers Geldfälscher. Eines Tages, der Zweite Weltkrieg tobte bereits seit über einem Jahr, erhielt er den Auftrag zu einem, wie selbst Propagandaminister Joseph Goebbels in seinem Tagebuch notierte, »grotesken Plan«.1 Ziel war es, die Wirtschaft des Kriegsgegners England durch eine Schwemme von Falschgeld in den Ruin zu treiben. Kistenweise sollten die Blüten über Großbritannien abgeworfen werden, um erst einen Konsumrausch und dann eine Währungskrise auszulösen. Es sollte die größte Geldfälschungsaktion der Geschichte werden, und mein Großvater war ihr Manager. Zeit seines Lebens ist Bernhard Krüger stolz auf diese Aufgabe gewesen, die beinahe auch gelungen wäre, denn er lieferte insgesamt 134 Millionen falsche Pfundnoten.

Die deutsche Luftwaffe hatte jedoch nicht genügend Flugzeuge, um den Währungsangriff auszuführen. Die Pfundnoten zirkulierten trotzdem in vielen Ländern Europas, denn die Nazis entlohnten mit ihnen Geheimagenten im Ausland und bezahlten Rohstoffe in neutralen Ländern. Ironischerweise finanzierten außerdem 1945 Mitglieder des jüdischen Widerstands damit Flüchtlingstransporte nach Palästina und kauften Waffen für eine jüdische Untergrundarmee.

Nachdem mein Großvater den Auftrag zum Geldfälschen von der SS-Führung erhalten hatte, benötigte er Fachkräfte, die in der Lage waren, massenweise Blüten zu produzieren. Und er suchte sie, so der perfide Plan, in Konzentrationslagern. Es durften nur Juden in seiner Werkstatt arbeiten, denn die konnte man jederzeit liquidieren – wenn die Operation fehlschlug, und auch, wenn sie erfolgreich war. So oder so hätte man die Geheimnisträger für immer zum Schweigen gebracht. Mein Großvater fuhr unter anderem nach Auschwitz und ließ sich dort Häftlinge vorführen. Er schritt die Reihen ab und fragte: »Was ist Ihr Beruf?« Wer die richtige Antwort gab – Maler, Lithograf, Drucker, Setzer –, den nahm mein Großvater mit. Einige der Häftlinge standen bereits auf den Listen für die Gaskammern. Fast alle von denen, die mit ihm gehen mussten, überlebten den Holocaust. Die Falschgelddruckerei meines Großvaters gab ihnen eine Chance, das KZ zu überstehen. Denn solange sie gebraucht wurden, durften sie leben.

Ich frage mich, wie er mit solch einer Situation umgegangen ist. Er hat das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau betreten, einen der wohl grauenhaftesten Orte, den die Nationalsozialisten errichteten, und er konnte dort mit einem Fingerzeig über Leben und Tod entscheiden. Wie kann man so etwas mitmachen und dabei glauben, auf der richtigen Seite zu stehen? Bernhard Krüger konnte ich diese Frage nicht mehr stellen, weil ich zu jung war, um mit dem Namen Auschwitz überhaupt etwas anfangen zu können. Als er starb, war ich zehn Jahre alt.

Ich habe mich mit ihm nie gestritten und nie versöhnt. Als Opa liebte ich ihn. Mit dem SS-Mann war ich nie direkt konfrontiert. Aber wenn jemand meinen Großvater mit allen anderen Nazis über einen Kamm schert, werde ich jedes Mal ärgerlich. Ich weiß, dass das irrational ist. Ich selbst erlaube mir das, über meinen Großvater zu schimpfen, ihn anzuklagen. Aber wenn andere es tun, werde ich automatisch zur Verteidigerin. Dann denke ich, die kannten ihn doch gar nicht, was erlauben die sich für ein Urteil?

Aber was wusste ich eigentlich? Hatte ich mich je bemüht, die familieninternen Erzählungen über Bernhard Krüger zu überprüfen? Hatte ich je versucht nachzuforschen?

Im April 2011 lernte ich in Washington eine Frau kennen, die mehr über meinen Großvater wusste als ich selbst. Margaret Shannon hatte sich zehn Jahre lang mit ihm und seiner Geldfälscherfabrik beschäftigt. Es begann 1999 mit einem Rechercheauftrag vom Simon Wiesenthal Center, das eine Tauchmission im österreichischen Toplitzsee plante. Später arbeitete sie mit dem New Yorker Autor Lawrence Malkin zusammen, der ein Buch über die Fälschergeschichte verfasste.2

Ich traf Margaret Shannon in der Cactus Cantina, einem mexikanischen Restaurant, in dem die Familie Bush früher regelmäßig zu Gast war. Sie erzählte mir von ihren jahrelangen Recherchen. »Es gibt immer noch Spuren«, sagte sie, »die ich nicht bis zu Ende verfolgt habe.« Sie hatte zahlreiche Akten gesichtet, eine Datenbank angelegt, hatte die Herausgabe von CIA- und FBI-Akten erwirkt, und sie war mit Malkin nach London gereist, um die Bernhard-Noten zu verfolgen.

»Ich habe furchtbar viel Zeit damit verbracht«, berichtete sie. Oft hatte sie sich gefragt, was der SS-Sturmbannführer Krüger für ein Mensch war. Sie hatte Zeugenaussagen gelesen, in denen es hieß, Bernhard Krüger habe die Häftlinge gut behandelt. »Sie mochten ihn«, schlussfolgerte ein französischer Offizier in einem Bericht über meinen Großvater und die Häftlinge. Und doch handelte es sich bei Bernhard Krüger um einen ranghohen SS-Mann, einen überzeugten Nazi, der Karriere machen wollte. Deswegen verstand Margaret Shannon meine gemischten Gefühle und die nicht enden wollenden Fragen: Was war das für ein Verhältnis zwischen meinem Großvater und den Juden? Was war Bernhard Krüger für ein Mensch? Was trieb ihn an?

Die Geschichtsforscherin hatte schon häufiger mit jungen Deutschen aus der dritten Generation gesprochen, die mit ähnlichen Fragen zu kämpfen hatten. »Im Alter von dreißig geht es los mit dem Nachforschen«, sagte sie, »wenn man über die gröbste Selbstbezogenheit hinweg ist.« Sie kannte die Zerrissenheit derer, die mehr wissen wollen, als die Eltern beantworten können. Die verstehen wollen, warum die Großeltern bei den Nationalsozialisten mitmarschiert waren. »Warum schreiben Sie nicht ein Buch über die Suche nach Ihrem Großvater?«, schlug sie vor. »Die Geschichte über Bernhard Krüger ist noch nicht geschrieben worden.«

Damit begann meine Reise. Dutzende Gespräche habe ich geführt, Archive aufgesucht und den Nachlass Bernhard Krügers durchgearbeitet. Möglichst viele Lücken wollte ich in der Biografie meines Großvaters füllen: Wie kam er überhaupt zum Geheimdienst? Warum hat man ausgerechnet ihn, einen Funker aus Stettin, zum Leiter einer solchen Geheimoperation erkoren? Waren die falschen Banknoten wirklich so gut? Wie konnte es meinem Großvater gelingen, eine der sichersten Währungen der Welt so perfekt nachzumachen? Warum hatte er darauf bestanden, dass die Werkstatt kurz vor Kriegsende nach Mauthausen verlegt wurde? Wollte er die Häftlinge retten? Warum wurden die Mordermittlungen nach dem Krieg gegen ihn eingestellt? Hatten ihn seine Häftlinge entlastet? War der Staatsanwalt vielleicht selbst ein Altnazi? Und: Was wurde aus all den Blüten?

Dieses Buch ist eine Spurensuche. Es erzählt die Geschichte eines Nazis, vielleicht sogar die eines Mörders – und die des erfolgreichsten Geldfälschers, den es je gab. Es handelt von meinem Großvater, und damit geht es auch um mich selbst.

Ich bin nicht neutral. Ich habe mich oft gefragt, was »ich« eigentlich in dieser Geschichte zu suchen habe. Was tun meine Gefühle, was tun meine Irrtümer und Hoffnungen überhaupt zur Sache? Eigentlich nichts, und doch wiederum alles, denn dies ist nicht nur eine deutsche Geschichte, sondern es ist ebenso eine Familienangelegenheit. Deswegen kann ich sie nur persönlich nehmen.

1 Joseph Goebbels: Die Tagebücher. Hrsg. von Elke Fröhlich. Teil 1. Aufzeichnungen 1923–1941. Bd. 7, Juli 1939 – März 1940. München 1998, S. 95

2 Lawrence Malkin: Hitlers Geldfälscher. Wie die Nazis planten, das internationale Währungssystem auszuhebeln. New York/Bergisch Gladbach 2008

KAPITEL 1AndieKandare genommen

Im Frühjahr 1989 fuhr mein Vater ins Krankenhaus, um meinen Großvater zu besuchen. Die Metastasen hatten bereits alle Organe angegriffen. Er hatte keine Chance mehr. Als mein Vater die Krebsstation verließ, ahnte er, dass dies das letzte Mal war, dass er seinen Vater gesehen hatte. Er notierte die Worte, die mein Großvater zum Abschied gesagt hatte, auf einen kleinen quadratischen Zettel und heftete ihn über den Lichtschalter in seiner Küche. Dort hing er, bis er selbst an Krebs erkrankte. Auf dem Zettel stand: »Die haben mich ganz schön an die Kandare genommen.«

Seit der Trennung meiner Eltern wohnte mein Vater in einer kleinen Zweizimmerwohnung in Hamburg-Curslack, ich bei meiner Mutter im Nachbarort Neuengamme. Nach der Schule kam ich häufig bei ihm zum Lernen vorbei, denn er besaß einen Computer mit Internetzugang. Der Rechner befand sich zusammen mit seiner Funkanlage in der Küche: Logbuch, Morsetasten, Transceiver. Er war Amateurfunker. Oft blieb ich am Türrahmen stehen und sah mir den Zettel mit den letzten Worten meines Naziopas an. Mein Vater erzählte dann von seinem letzten Besuch im Krankenhaus. Und sagte zum Schluss: »Die haben mich ganz schön an die Kandare genommen, das waren Vaters letzte Worte! So war er!« Er lachte kurz – und wurde still.

Ich weiß nicht, wen mein Großvater mit die meinte. Die Franzosen? Die Engländer? Die Nazis? Die Presse? Die Stasi? Gegner hatte er genug, selbst in seiner eigenen Familie.

Eine Kandare ist ein Gebissstück, das Pferden angelegt wird und das mit den Zügeln verbunden ist. Der Reiter kann über die Kandare starken Druck aufbauen, im Extremfall sogar den Kiefer des Pferdes brechen. Das Tier spürt, dass es gehorchen muss.

Die haben mich ganz schön an die Kandare genommen.

Ich frage mich, ob mein Großvater sich selbst bedauert hat, weil seine Geheimoperation und seine Karriere durch die »Niederlage« so abrupt und endgültig beendet wurden. Und dass er als Verbrecher galt, obwohl fast alle Juden, die in Block 18 und 19 für ihn arbeiten mussten, überlebt hatten. Mein Großvater sprach von »seinen« Häftlingen, »seinen« Juden.3 Ist es möglich, dass er sich für sie eingesetzt, für sie gekämpft, seine Existenz für sie aufs Spiel gesetzt hat?

Seine letzten Worte waren jedenfalls Worte des Selbstmitleids. Es waren die Worte eines Mannes, für den der Eintritt in die SS eine Karrierechance war.

Mein Großvater selbst war auch Zwängen ausgesetzt. Jedenfalls empfand er es so. Hätte er versagt, so erzählte mir mein Vater einmal, wäre er an die Ostfront geschickt worden. Dieser Gedanke musste für ihn der Horror schlechthin gewesen sein. Die Ostfront, das wäre auf jeden Fall die Kandare. Dorthin geschickt zu werden wäre einem Todesurteil gleichgekommen. Also war für ihn der Erfolg die beste Überlebenschance. So zumindest glaubten wir das in unserer Familie.

Mein Vater war sich sicher: Opa hatte damals keine andere Wahl. Ich hatte immer das Gefühl, er rechtfertigte meinen Großvater in diesem Punkt. Als brauchte er die Vorstellung, dass sein Vater nicht anders hätte handeln können. Vielleicht hätte er sonst die Tatsache nicht ertragen, dessen Sohn zu sein. Oder er wollte nicht, dass ich meinen Großvater allzu leichtfertig verurteile. Sprachen wir über die Nazivergangenheit seines Vaters, ging er in Deckung. Es war ein Thema, bei dem ich mich stets hütete, laute Töne anzuschlagen, weil es ihm wehgetan hätte.

Wann immer wir meinen Großvater in seiner kleinen Wohnung in Hamburg-Harburg besuchten, war er erstklassig gekleidet und frisch rasiert. Überall roch es nach Zigarren, und an den Wänden hingen afrikanische Holzmasken: lang gezogene Gesichter mit düsteren Augenschlitzen und dicken Lippen. Als wir die Masken nach Opas Tod von den Wänden nahmen, entdeckten wir, was er mit Filzstift auf die Innenseite geschrieben hatte: »Rhodesia, Victoria Falls, 1974. Rand 5. Von einem Neger gekauft«.

In seinem Bad standen Rasierpinsel und Seife, womit meine beiden Geschwister und ich uns zum Spaß gegenseitig einschäumten. Dort bewahrte mein Großvater auch seinen Expander auf, mit dem er sich in Form hielt.

Er hat uns nie ausgeschimpft oder die Geduld verloren. Wir Kinder wären allerdings auch nicht auf die Idee gekommen, ihn ernsthaft zu piesacken – er war ja schon so alt. Unsere Besuche liefen immer gleich ab. Erst flitzten wir die Treppe hoch in die Stube, am Käfig mit den Kanarienvögeln vorbei zum Wohnzimmertisch, und plünderten seine Bonbondose. Dann nahm mein Großvater drei bunte Plastikelefanten aus dem Regal, das waren unsere Sparbüchsen. Für jeden von uns steckte er ein Fünfmarkstück hinein. Oft wärmte er uns Bockwürste in einem kleinen, verkalkten Blechtopf auf. Dabei trompetete er durch die Lippen. Irgendwann holte er einen Stapel gebrauchtes Millimeterpapier hervor, dessen Rückseiten wir bemalen durften. Auf dem Wohnzimmertisch lagen verschiedene Zirkel, mit denen wir Ornamente zeichneten und mit farbigen Filzstiften ausmalten. Opa brachte uns bei, wie man kleine Bilder oder Buchstaben exakt mit Blaupapier durchpauste. Dabei tranken wir knallgrünen Waldmeistersirup aus bunt bedruckten Senfgläsern. Die Erwachsenen saßen währenddessen am Küchentisch und redeten.

Meine Mutter war selten dabei, sie mied meinen Großvater. Mit ihrer ungebändigten Frisur und ihrem frechen Mundwerk entsprach sie so gar nicht seinem Frauenideal, und sie ließ auch keine Gelegenheit aus, den Konflikt zwischen ihnen beiden eskalieren zu lassen. Sie hielt ihn für einen reaktionären Nazi, und er sie für eine Linksextreme, die gefälligst den Mund halten sollte, wenn die Männer sich über Politik unterhielten. Was die beiden voneinander dachten, war kein Geheimnis in unserer Familie.

Also waren es meistens nur Papa und Opa, die am Esstisch saßen. Sie unterhielten sich in gedämpftem Ton, und beide stützten dabei den Kopf in die Hand. Später kamen wir Kinder zu ihnen, dann wurde geknobelt. Wenn mein Großvater schlecht gewürfelt hatte, rief er: »Alles kalter Kaffee!« und gab sein lautes, rauchiges Lachen von sich. Er roch nach Zigarre und Rasierwasser, und beim Atmen drang ein leises Pfeifen aus ihm heraus, das nur hörte, wer direkt neben ihm saß.

Ich war gern bei meinem Opa, der zeit seines Lebens zur Untermiete wohnte. Vor dem Krieg hatte er nur ein Zimmer gehabt, weil er Junggeselle war. Nach dem Krieg fand er bei Bauern Unterschlupf. Da war er auf der Flucht. Und nach der Gefangenschaft wohnte er diskret wieder als Untermieter, weil er Angst hatte, die Stasi oder der Mossad könnten ihn aufspüren und ein Mordkommando vorbeischicken.

Charlotte Krüger mit ihrem Großvater

© Familienarchiv Krüger

Und selbst während des Krieges lebte er nur kurz mit meiner Großmutter zusammen. Als sie sich kennenlernten, wohnte sie in einer geschmackvoll eingerichteten Wohnung in Berlin-Kreuzberg. Er hatte etwa einen Kilometer entfernt ein Hinterhauszimmer in der Stresemannstraße, die damals Saarlandstraße hieß. Im Vorderhaus befindet sich heute ein Theater, gegenüber hat die SPD-Parteizentrale ihren Sitz. Fast jeden Morgen fahre ich mit dem Fahrrad daran vorbei. Dann habe ich oft das Bild vor Augen, wie meine Großeltern am Landwehrkanal spazieren gehen.

Meine Oma, Margaretha Krüger, geborene Seelbach, trägt auf den alten Familienfotos stets ein modisches Kostüm mit passender Kopfbedeckung, Handtäschchen und eleganten Schuhen, mein Opa immer einen Anzug, oft mit Hut. Ein fesches Nazipärchen mit doppeltem Einkommen. Auf späteren Aufnahmen schiebt Margaretha Krüger einen Kinderwagen vor sich her, darin liegt »Klein Bernd«, mein Vater, der 1941 geboren wurde. Kurz vor Kriegsende kam ein zweites Kind zur Welt, meine Tante Birgit. Im Rückblick betrachtet, steuerten sie durch das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Aber für sie war es wohl ein Spaziergang durch das bessere Leben.

Ich frage mich, ob mein Großvater diesen Perspektivwechsel selbst vollzogen hat. Wann ist ihm klar geworden, dass vieles, vielleicht alles, was er damals für richtig gehalten hatte, falsch war? Und wie ist es überhaupt möglich, dass jemand sich für »gut« hält, der eine Naziuniform trägt? Bestimmt hat mein Großvater sich nicht als Verbrecher gesehen. Aber wie hat er sein Handeln vor sich selbst gerechtfertigt?

Jedes Mal wenn ich jemandem erzähle, mein Großvater sei ein Geldfälscher gewesen, reagieren die Leute erstaunt und neugierig. Geld fälschen, das klingt für viele nach Abenteuer, das hat Ganovencharme. Ob er es auch so gesehen hatte? Es würde jedenfalls gut zu ihm passen. Sein derber Humor, die Zigarren, die Frauen, die guten Anzüge! Ein »ausgebuffter Typ«, wie mein Vater zu sagen pflegte.

Bis zu seinem Tod wohnte Bernhard Krüger bei einem befreundeten Ehepaar am Grotelerweg in Hamburg. In dem kleinen Einfamilienhaus gab es einen Seiteneingang, durch den man über eine schmale, mit Teppich belegte Treppe hinauf in seine Einliegerwohnung gelangte. Manchmal waren wir bei seinen Vermietern, Tante Käthe und Onkel Hans, im Erdgeschoss zum Kaffee eingeladen. Mein Großvater hielt sich bei solchen Anlässen streng an seine eigene Choreografie: Er zog sich einen Anzug an, rasierte sich, kaufte einen Strauß Blumen, durchquerte den Vorgarten und klingelte an der Haustür. Tante Käthe ging zu diesem Anlass extra zum Friseur, und mein Opa rückte den Stuhl zurück, damit sie sich setzen konnte – in ihrem eigenen Wohnzimmer. Alles hatte seine Ordnung.

All das gefiel mir als Kind sehr an meinem Großvater. Seine Verlässlichkeit, sein gutes Aussehen, seine kauzigen Angewohnheiten. Und er hatte Charme. Ich war nicht die Einzige, die sich von ihm beeindrucken ließ. In seinem Wohnzimmer gab es zwei große Fenster. Wenn er Geburtstag hatte, waren beide Fensterbretter vollgestellt mit Kuchen und Torten, die diverse Nachbarinnen für ihn gebacken hatten. Er war ein Frauentyp.

Margaretha und Bernhard Krüger mit Hund

© Familienarchiv Krüger

Er selbst hatte eine große Leidenschaft, und das waren die Briefmarken. In den Regalwänden seiner kleinen Wohnung standen die Alben dicht gedrängt. Schlug man sie auf, offenbarte sich die ganze Akkuratesse seines Charakters. Die Seiten seiner Alben trennte dünnes, gemustertes Seidenpapier, das er gekonnt umblätterte, ohne auch nur den feinsten Knick zu hinterlassen.

Er liebte Briefmarken, und zwar mit System. Das war noch so ein Opa-Ritual: In einer Zigarrenkiste sammelte er gebrauchte Briefumschläge, und bei unseren Besuchen schnitt er sorgfältig die Ecken mit den Briefmarken ab und legte sie in eine Schale mit Wasser. Nach einer Weile lösten sie sich vom Papier und wurden einzeln zum Trocknen ausgebreitet. Wir begutachteten die Marken ausgiebig, und mein Großvater erzählte uns von ihren Besonderheiten: »Hier fehlt der Stempel, Achtung, hier ist ein Zacken abgeknickt. Schau mal, hier, Lotta, das ist die Königin von England!« Das war meine Lieblingsmarke, die junge Queen Elizabeth mit der edelsteinbesetzten Krone.

Ich ahnte damals nicht, dass mein Großvater im Auftrag von Heinrich Himmler während des Krieges auch britische Briefmarken gefälscht hat. Es war eine kuriose Propagandaaktion zur Demoralisierung des Feindes. Damals gab die englische Post anlässlich der fünfundzwanzigjährigen Amtszeit von Georg V. grüne Briefmarken mit dem Konterfei des schnauzbärtigen Königs heraus. Auf den Propagandafälschungen meines Großvaters wurde das Profil des Monarchen durch den Kopf Josef Stalins ersetzt, und der Schriftzug lautete: »THIS WAR IS A JEWSH WAR 1939–1944.« Leider war im Satz, sehr zum Ärger von Bernhard Krüger, das »i« von »jewish« verloren gegangen. Dieser plumpe Slogan war sein fantasieloser Versuch, den britischen Propagandafälschungen etwas entgegenzusetzen. Die Engländer hatten Hitler mit Zombiegesicht auf Briefmarken gedruckt und dazu »Futsches Reich« geschrieben. Britische Agenten hatten die Marken als Mittel zur psychologischen Kriegsführung ins Deutsche Reich eingeschleust. Die Briefmarkenschlacht war jedoch die harmloseste, die mein Großvater mit seiner Fälscherwerkstatt focht.

Meine zwei Geschwister, Anna und Cord, und mich stattete er mit jeweils einer Pinzette, einer Lupe und je zwei Briefmarkenalben aus – eines für die deutschen und eines für die internationalen Marken. Ich eiferte ihm nach und versuchte, meine grünen Briefmarkenalben mit der gleichen Sorgfalt und Geduld zu führen wie er. Noch heute fällt es mir schwer, eine schöne Briefmarke einfach wegzuschmeißen.

Ich sah gern dabei zu, wie er mit Pinzette und Fadenzähler hantierte. Wenn seine gepflegten Altherrenhände mit den Briefmarken beschäftigt waren, hatte das immer etwas Feierliches. An einer Hand fehlte ihm die Kuppe seines Zeigefingers. Wenn wir Kinder ihn fragten, wie das passiert sei, gab er stets dieselbe Geschichte zum Besten: Eines Tages habe er auf einem Bauernhof ein Schaf streicheln wollen. Es stand da und blökte »Mäh, mäh«. Als er seine Hand nach dem Tier ausstreckte, machte es plötzlich haps! Es hatte ihm die Fingerkuppe abgebissen. Mein Großvater mimte das Schaf, wie es auf einmal nach ihm schnappte, und griff dabei nach meinem Finger. Ich kreischte und lachte.

Im Biologieunterricht, ich war ungefähr in der achten Klasse, zeigte unser Lehrer uns das Gebiss eines Schafs. »Schafe sind Wiederkäuer«, erklärte er und strich mit den Fingern über die breiten Backenzähne, »die brauchen diese Mahlzähne, um das Gras zu zerkauen, aber keine oberen Schneidezähne wie die Fleischfresser.«

»Das kann nicht sein«, rief ich selbstbewusst, »meinem Großvater wurde von einem Schaf der Finger abgebissen!« Mein Lehrer hielt dagegen und versicherte, dass mein Großvater mir einen Bären aufgebunden hätte. Die Klasse brach in Gelächter aus. Zu Hause fragte ich meine Mutter. Sie sagte, mein Opa sei als junger Mann in Chemnitz mit seinem Finger in eine Maschine geraten und habe so seine Kuppe verloren. Das war jedenfalls die Geschichte, die er ihr aufgetischt hatte. Als ehemaliger Geheimdienstler war er routiniert darin gewesen, Legenden zu verbreiten. Als ich bei meinen späteren Recherchen im Berliner Bundesarchiv seine SS-Akte fand, gab es darin keinen Hinweis auf eine fehlende Fingerkuppe. Da stand nur: »Besondere Merkmale – keine!« Also musste es im Krieg oder danach passiert sein. Was sollte diese Geheimnistuerei?

Die Verschwiegenheit hatte mein Vater übernommen. Vielleicht, weil er später beim Bundesgrenzschutz ebenfalls »Geheimnisträger« war. Aber es kann auch sein, dass ich einfach nicht genug nachgefragt habe. Die letzten Worte, die mein Vater zu mir sagte, waren: »Morgen räumen wir die Garage auf.« Kein Selbstmitleid, kein Bedauern, nie. Eine Woche später war er tot. Ich war dreiundzwanzig.

Mit meinem Vater konnte ich über alles reden. Aber ich habe nicht über alles mit ihm geredet. Er konnte die fesselndsten Geschichten erzählen. Nur von Opa erzählte er fast nie.

In den Tagen und Wochen nach dem Tod meines Vaters habe ich viele Familiengeschichten gehört, auch über meinen Großvater. Von meiner Tante, meiner Mutter, von den Freunden meines Vaters. Vieles davon wusste ich nicht, und ich schwor mir, all das aufzuschreiben, bevor die Erinnerung verblasste. Damals hatte ich aber den Mut nicht aufgebracht, mich damit auseinanderzusetzen. Nun ist mein Vater schon über zehn Jahre tot. Mehr und mehr Menschen, die ihn und meinen Großvater kannten, werden nach und nach sterben, und mit ihnen die Geschichten.

Mir ist es stets leichtgefallen, meinen Großvater einen »Nazi« oder sogar einen »bösen Nazi« zu nennen. Ich sah genauso wenig einen Widerspruch darin, gleichzeitig zu behaupten, dass Bernhard Krüger ein netter Opa war. Meinem Vater ging es anders. Mein Vater mied das Wort »Nazi«. Stattdessen erklärte er, um Sachlichkeit bemüht, »Opa war SS-Sturmbannführer«. Er sagte: »Opa erhielt seine Befehle von Heinrich Himmler.« Ich weiß, dass er vor allem als junger Mann große Furcht davor hatte, als Sohn eines SS-Offiziers selbst etwas Monströses an sich zu haben. Es war die Angst, dass das Böse Teil unserer Familie ist.

Einmal fuhr mein Vater mit uns Kindern nach Salzburg. Ich war ungefähr elf, meine Schwester Anna dreizehn und mein Bruder Cord sechzehn. Ich war begeistert vom »Haus der Natur«, einem riesigen Museum mit einem fantastischen Aquarium. Auf der Tour durch die Ausstellung gelangten wir in einen Raum mit Unterwasseraufnahmen vom Toplitzsee. Mittendrin hing ein Foto von Bernhard Krüger.

»Papa«, fragte meine Schwester, »warum hängt denn hier ein Bild von Opa?« Ein paar Tage später, zurück in Hamburg, rief mein Vater uns Kinder zusammen. Auf seinem Wohnzimmertisch hatte er einige Aktenordner bereitgelegt. Darin waren Briefe und jede Menge alter, vergilbter Dokumente abgeheftet. An diesem Tag erzählte uns mein Vater die Geschichte von Bernhard Krüger. Er erzählte, dass KZ-Häftlinge in der Geldfälscherwerkstatt für meinen Großvater arbeiten mussten. Er berichtete auch von den Juden, für deren Tod er verantwortlich war. Eines Tages seien zwei Fälscher aus der Werkstatt an Tuberkulose erkrankt. Aber da sie Geheimnisträger waren, hätten sie nicht einfach ins Lazarett gebracht werden können. Also habe mein Opa die Tbc-Fälle bei seinen Vorgesetzten gemeldet. Die beiden wurden erschossen.

Googelt man den Namen »Bernhard Krüger«, kommt man auf eine Seite mit dem Bild eines SS-Mannes, der zwei gefesselte, vor ihm am Boden kniende Männer hinrichtet. Gleich daneben ist das Foto meines Großvaters zu sehen. Die Nebeneinandersetzung suggeriert, Bernhard Krüger habe zwei Menschen exekutiert. Aber mein Vater war überzeugt, dass sein Vater kein Mörder war. »Was hätte er machen sollen?«, sagte er. »Er hatte keine andere Wahl!«

Die familieninternen Erzählungen gleichen sich in diesem Punkt: Bernhard Krüger war ein Nazi, aber er war kein Mörder. So wie mein Großvater die Geschichte meinem Vater berichtet hat, gab sie dieser an uns weiter. Ich fand: SS-Männer sind doch Mörder! Wenn man gesehen hat, was die SS in Sachsenhausen und in Auschwitz macht, wie hat man da noch Mitglied in diesem Mörderverein sein können? Es ist vollkommen egal, wie nett einer zu seinen Enkelkindern ist: Nazi bleibt Nazi. Als Bernd Eichinger in Der Untergang die »menschliche Seite« Hitlers auf die Kinoleinwände brachte, regte ich mich auf. Ich fand: Hitler hat kein Recht auf eine menschliche Seite. Ich wollte mich auch nicht in Hitlers Lage einfühlen.

Aber es ist leichter, Adolf Hitler zu hassen, als den eigenen Großvater. Ihm kann ich seine menschliche Seite nicht so einfach aberkennen. Das wäre verlogen. Also teilte ich ihn einfach in zwei Hälften: in den Großvater, der mit mir Briefmarken einsortiert hat, und in den SS-Mann, der in Auschwitz Juden für seine Geheimoperation rekrutiert hat. Den einen habe ich geliebt, dem anderen bin ich nie begegnet. Er war nicht Teil meines Lebens.

So wurde die Nazivergangenheit meines Opas nicht zu meinem Problem. Jedenfalls erst einmal nicht.

Heute frage ich mich, wie es für meinen Vater war, als Sohn eines SS-Mannes aufzuwachsen? Wie häufig hat er in seiner Jugend die Erfahrung machen müssen, dass ihn Leute mit Abscheu betrachteten, weil er der Sohn von Bernhard Krüger war? Und begegnete man ihm aus ebenjenem Grund nicht auch mit Anerkennung? Was aber war schlimmer? Und wann wurde meinem Vater überhaupt bewusst, dass mein Großvater Anteil hatte am größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte? Leider habe ich ihn auch das nicht gefragt, als er noch lebte.

Nach dem Krieg hatte mein Großvater Kontakt zu ehemaligen Kameraden. Sie halfen ihm bei der Suche nach Arbeit. Mein Vater Bernd Krüger wuchs umgeben von alten Nationalsozialisten auf. Als er sechzehn war, ging er auf Wunsch meines Großvaters zum Bundesgrenzschutz. Er verpflichtete sich für acht Jahre und wurde, genau wie sein Vater, zum Funker ausgebildet. Er wuchs mit denselben Männlichkeitsidealen auf: sportlich, schneidig, korrekt im Auftreten. »Er eiferte seinem Vater damals nach«, glaubt meine Mutter.

Erst nach dem Bundesgrenzschutz nahm Bernd Krüger ein Lehramtsstudium auf. Als die Studenten 1968 gegen die Vätergeneration rebellierten, waren meine Eltern mit dabei. Meine Mutter erinnert sich noch daran, wie es war, als sie meinen Großvater zur Rede stellten. Er habe versucht, es zu rechtfertigen, sagt sie. Dann seien die Gespräche regelmäßig eskaliert, bis schließlich mein Großvater in Tränen ausbrach. »Er war ja so weich«, erinnert sie sich.

Und das war mein Vater auch. In meiner Erinnerung hat er versöhnlich über Bernhard Krüger gesprochen.

Meine Tante Birgit glaubt jedoch, dass mein Vater mit ihm »gebrochen« habe. Ich habe das nicht so wahrgenommen, aber vielleicht hat er das vor uns Kindern verborgen, aus welchem Grund auch immer. Allerdings hat Tante Birgit in den sechziger Jahren Deutschland verlassen, und so sind allein die damaligen Attacken meiner Eltern gegen meinen Großvater, gegen die ganze Nazigeneration für sie in Erinnerung geblieben. Aber meine Eltern griffen ebenso meine Tante an. Sie waren damals sehr links, und die Schwester meines Vaters war eher unpolitisch. Unpolitisch zu sein war 1968 der schlimmste Makel, den jemand haben konnte. Und so legten sich alle miteinander an, und nicht selten spielte dabei die Art und Weise, wie jeder Einzelne mit der Nazivergangenheit unserer Familie umging, eine Rolle. Meine Tante floh schließlich. Sie verließ das Land, ging erst nach England, dann nach Afrika, am Ende nach Neuseeland. Doch heute ist sie diejenige, die am versöhnlichsten über Bernhard Krüger spricht. Vielleicht, weil sie so weit weg ist.

Bis heute stehen meine Tante und meine Mutter politisch weit voneinander entfernt. Wenn sie auf meinen Großvater blicken, dann sieht jede einen anderen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte mit den Hortensien im Garten und den Morddrohungen. Meine Mutter erzählt Folgendes: Anfang der siebziger Jahre habe ein Mann »vom Verfassungsschutz« bei meinem Großvater angerufen und ihn gewarnt, Terroristen aus dem Umfeld von Beate Klarsfeld würden ihn umbringen wollen. Meine Mutter machte sich damals wie heute darüber lustig, weil mein Großvater hinter den Gardinen gesessen und hinausgespäht habe, aus Angst, »im Garten würde sich jemand hinter den Hortensien verstecken«.

Meine Tante weist das strikt zurück. Nicht er, sondern seine Vermieterin habe Angst gehabt vor den Terroristen. Sie, meine Tante, habe ihren Vater zur damaligen Zeit oft besucht, und sie meinte, dass er kein Feigling war und ganz normal einkaufen ging, ohne sich zu fürchten.

Ich wusste nicht, ob mein Großvater Angst hatte oder nicht, aber mich interessierte auch viel mehr, wer ihn damals umbringen wollte. Und ob diese Aussage »vom Verfassungsschutz« auch stimmte. Ich schrieb eine E-Mail an Beate Klarsfeld. Die deutsch-französische Journalistin hatte zusammen mit ihrem Mann Serge 1972 den SS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie in Bolivien aufgespürt. Hatte sie sich auch einmal mit meinem Großvater beschäftigt? Und was wusste sie über die angeblichen Mordpläne aus ihrem damaligen Umfeld?

»Wir waren nie auf der Spur Ihres Großvaters, das war eine Falschmeldung vom Nachrichtendienst«, antwortete sie mir. Es blieb unklar, woher das Gerücht stammte, bis ich später in einer Polizeiakte auf ein Telegramm vom Bundeskriminalamt (BKA) in Bonn stieß, in dem über Drohanrufe informiert wurde, die im Juli 1976 unter anderem bei der deutschen Nachrichtenagentur dpa eingegangen waren. Eine Frauenstimme habe in französischem Akzent verkündet: »Wir wollen alle SS-Leute jagen, jetzt auch in Deutschland.« Nach Peiper sei nun auch »Bernhard Krüger dran«, hieß es in einem zweiten Anruf. Der frühere SS-Standartenführer Joachim Peiper war kurz zuvor in seinem Haus in Frankreich ermordet worden.

Wahrscheinlich hatte also nicht der Verfassungsschutz ihn gewarnt, sondern das BKA. Mein Großvater hätte also einen guten Grund gehabt, ängstlich zu sein.

Aber das war aus meiner Sicht ohnehin noch nicht die entscheidende Frage. Sondern mich beunruhigte, dass mein Großvater damals ein Ziel von Nazijägern war. Sie setzten ihn auf dieselbe Liste wie Peiper, der in Italien und Belgien Kriegsverbrechen begangen hatte. Er war für mindestens zwei Massaker mitverantwortlich, bei denen über hundert Menschen ums Leben kamen.

Gehörte Bernhard Krüger in dieselbe Kategorie von Kriegsverbrechern? Das war die Frage, über die wir in unserer Familie nie diskutierten. Denn wir gingen alle davon aus, dass er keiner war. Aber so genau nachgeforscht hatten wir auch nicht.

War mein Großvater, wie so viele andere NS-Täter auch, viel zu gut davongekommen?

Eines Tages, es war im Herbst 1974, stand ein Unbekannter vor der Tür seiner Vermieterin in Korntal, wo er damals noch lebte. Der Mann wollte ihr seinen Namen nicht nennen, fragte aber nach Bernhard Krüger. Wenig später erhielt mein Großvater per Einschreiben einen Brief von Julius Mader aus Ost-Berlin. Der DDR-Journalist Mader, der für die Staatssicherheit als »Offizier im besonderen Einsatz« (OibE) tätig war, interessierte sich schon seit Jahren für das Falschgeldvermögen der Nazis. »Herr Krüger, ich möchte Sie auf die Neuauflage meiner Dokumentation Der Banditenschatz aufmerksam machen, in der Sie in Wort und Bild eine große Rolle spielen«, schrieb er. In dem Buch beschreibt Mader, wie seine Mordanzeige gegen Bernhard Krüger bei den zuständigen Behörden im Sand verlief (siehe Kapitel zwölf). Für Mader war das ein Beweis für den nachsichtigen Umgang der westdeutschen Justiz mit dem »Fälscherboss der deutschen Finanzoligarchie«.4

Mein Großvater empfand es anders. Er glaubte, seine Strafe verbüßt zu haben, und mehr als das. Er fühlte sich auch von seinen Kindern missverstanden.

In einer alten Zigarrenkiste fand ich einen Zettel mit Notizen, die er offenbar kurz vor seinem Tod aufgeschrieben hatte. Es handelt sich um Aufzeichnungen für ein Gespräch mit seinem Sohn. Unter dem Namen »Bernd« listete er Dinge aus seinem Nachlass auf: »Chronik, Reiterbilder, Zinnkrug, Ahnen-Aufnahmen und Wandbilder (auch von VI F4), UB-Unterlagen, Bierkrug, weißer Kakadu«. »UB« stand für »Unternehmen Bernhard« und »VI F4« war die Bezeichnung für die Fälscherabteilung im SS-Auslandsgeheimdienst, für den mein Großvater tätig war. Offenbar wollte er mit meinem Vater noch einmal über diese Unterlagen sprechen, die ich nach dem Tod meines Vaters erbte.

Ganz oben auf der Liste steht: »Anonymer Abgang«. Diesen Wunsch hat mein Vater ihm erfüllt. Es gibt kein Grab von Bernhard Krüger. Mein Vater sagte immer, er habe Angst gehabt, die falschen Leute könnten sein Grab besuchen. Als Kind dachte ich, Neonazis seien damit gemeint, aber inzwischen glaube ich, er hatte die Stasi im Sinn, oder Linksradikale. Jedenfalls hat er uns keinen Ort gelassen, an dem wir um ihn trauern können. Alles, was von ihm übrig ist, sind diese alten, vergilbten Dokumente, Chronologien, Memoirenfragmente, Briefe, Unterlagen von der Entnazifizierung und aus einem Mordermittlungsverfahren. Niemand aus meiner Familie hat sie je intensiv durchgearbeitet. Es war an der Zeit, dass sich das änderte.

3 Dies berichtete mir der KZ-Überlebende Jack Plapler, siehe Kapitel fünf.

4 Julius Mader: Der Banditenschatz. Berlin (Ost) 1966, S. 302

KAPITEL 2DieFamilienchronik

Jack Plapler stand in seinem Vorgarten, wo er auf uns wartete. Es war ein warmer Tag im Sommer 2009. An diesem Tag begegnete ich dem KZ-Überlebenden zum ersten Mal. Schon von Weitem sahen meine Schwester Anna und ich ihn hinter dem Zaun stehen. Seine schlohweißen Haare leuchteten in der Sonne. Er schaute in unsere Richtung, ein Greis mit großen, runden Augen und wachem Blick. In dieser Gegend im Westen Berlins waren wir noch nie gewesen, die Häuser waren schmal und spitzgiebelig, mit kleinen, dicht bewachsenen Vorgärten.

Ich war aufgeregt, und ich hatte auch ein wenig Angst. Mit jedem Schritt, den wir uns näherten, wurde ich unsicherer.

Was erwartete uns hier? Das Einzige, was uns mit dem Mann verband, war ein Verbrechen, das den Namen meines Großvaters trug. Was für ein Recht hatte ich überhaupt, ihn aufzusuchen? Obwohl ich ihm noch nie begegnet war, fühlte ich mich nicht wie eine Unbeteiligte. Dabei hatte ich das Falschgeldunternehmen nicht erlebt, also war ich auch nicht beteiligt. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich noch nie jemandem begegnet, der den SS-Mann Bernhard Krüger kennengelernt hatte. Es ist leichter, sich unbelastet zu fühlen, solange man in der Deckung bleibt.

Was sollte ich sagen? »Guten Tag, ich bin die Enkelin eines SS-Verbrechers, darf ich hereinkommen?« Meine Gedanken rasten, als wir den Gartenzaun erreichten.

Drei Wochen zuvor hatte ich zufällig in einer Berliner Tageszeitung von einer neuen Ausstellung über die Fälscherwerkstatt in der Gedenkstätte Sachsenhausen gelesen.

Ich rief dort an und erfuhr, dass bei der Veranstaltung auch Zeitzeugen sprechen würden. Aufgeregt telefonierte ich mit meiner Schwester: »Da müssen wir hin!«

Doch als der Termin näher rückte, zog ich mir eine üble Halsentzündung zu. Während ich mit Fieber im Bett lag, fuhr Anna allein nach Oranienburg und traf in der Gedenkstätte einen der letzten Überlebenden aus dem Fälscherblock, der eine kurze Ansprache hielt: Jack Plapler.

Zunächst traute sie sich nicht, auf ihn zuzugehen. Es war aber eine einmalige Gelegenheit, einem Zeitzeugen zu begegnen, der über die Geldfälschung und über unseren Großvater berichten konnte. Doch wie sollte sie ihn ansprechen? Die Veranstaltung ging zu Ende, ohne dass sie den Mut gefasst hatte, sich bemerkbar zu machen. Erst als sie sah, wie Herr Plapler in ein Auto stieg, ergriff sie ihre letzte Chance. Sie trat an die offene Beifahrertür und fragte ganz direkt:

»Was halten Sie von Bernhard Krüger?«

Herr Plapler blickte aus dem Auto hoch und fragte zurück: »Wer sind Sie?«

Anna erklärte: »Ich bin seine Enkelin.«

Es folgte eine Reaktion, mit der meine Schwester am wenigsten gerechnet hatte. Herr Plapler schlug nämlich vor: »Kommen Sie doch einmal zum Kaffee vorbei!«

Jetzt stand er vor uns, im grauen Anzug, mit gebügeltem Hemd. Er drückte uns freundlich die Hand, blickte uns in die Augen und fragte nach unseren Namen. Anna und Charlotte, aha. Er nickte und bat uns hinein. Bevor wir die Haustür erreichten, drehte er sich um, deutete auf die umstehenden Häuser und sagte: »Früher haben hier SS-Leute gewohnt. Tja, so ändern sich die Zeiten.« Halb verschämt, halb irritiert stimmten wir zu und folgten ihm in den Flur.

Wenige Monate nach unserem Gespräch besuchte ich anlässlich einer Israelreise in Jerusalem die Gedenkstätte Yad Vashem. Dort sollen die Schicksale von sechs Millionen Ermordeten vor dem Vergessen bewahrt werden. Von vielen kann die Lebensgeschichte jedoch gar nicht erzählt werden, weil niemand überlebt hat, der sie schildern könnte. Wenn ganze Familien ermordet wurden und damit sämtliche Erinnerungen für immer verloren sind. Wo keine Erinnerungen mehr sind, kann man nicht einmal gegen das Vergessen angehen, da bereits alles vergessen ist. Es ist die totale Auslöschung, die sogar die Möglichkeit von Trauer eliminiert.

Ich hatte mich auf Tränen eingestellt, aber es überwog das Gefühl von Ohnmacht. Kann es wenigstens gelingen, derer zu gedenken, die unter meinem Großvater gelitten haben? Das wäre immerhin ein Anfang. Als ich nach Yad Vashem fuhr, hatte ich die Liste der Häftlinge aus der Fälscherwerkstatt bei mir. Nachdem ich Jack Plapler getroffen hatte, wollte ich mehr erfahren. Wie war es für die anderen weitergegangen? Nach der Befreiung. In Yad Vashem stieß ich in der öffentlichen Datenbank auf einige Häftlingspersonalkarten aus dem KZ Mauthausen, auf denen aber nur einige persönliche Daten verzeichnet waren. Dass die Fälscherwerkstatt am Ende nach Mauthausen verlegt wurde, war mir nicht neu. Ich suchte weiter, arbeitete mich auf der Liste der 140 Namen vor. Bei vielen gab es keinen Treffer. Schließlich wurde mir klar, dass in diesem Schoah-Archiv vor allem die Toten verzeichnet sind, nicht diejenigen, die überlebt hatten.

Als ich den Namen »Plapler« in die Suchmaschine eintippte, stieß ich auf vier Karteikarten:

Eda Plapler, geborene Goldbring, Beruf Hausfrau, 1942 vergast in Auschwitz.

Herschel Plapler, Schneider, 1941 erschlagen im KZ Buchenwald.

Marie Plapler, Schneiderin, 1942 vergast in Auschwitz.

Benno Plapler, Schüler, 1942 erschossen in Riga.5

Alles, was von diesen Menschen übrig geblieben war, schienen vier Blatt Papier zu sein, ausgefüllt von einem der letzten Menschen, der sich noch an sie erinnert: Jack Plapler, der im Alter von dreiundzwanzig Jahren fast seine ganze Familie verloren hatte. Seine Mutter Eda, seinen Vater Herschel, seine Schwester Marie und seinen kleinen Bruder Benno.

*

Der Tisch war bereits gedeckt, als wir das Wohnzimmer betraten. Auf einer weißen gebügelten Decke stand feines Geschirr. Herr Plapler bat uns, Platz zu nehmen. Er ging in die Küche, kehrte mit einer Porzellankanne voll Filterkaffee zurück und stellte sie auf ein Stövchen. Danach stützte er sich mit den Händen auf die Stuhllehne, prüfte, ob alles an seinem Platz war, nickte, setzte sich hin und begann zu erzählen. Er berichtete routiniert, schon viele Male waren Filmteams hier gewesen, hatten sein Wohnzimmer umgeräumt und ihre Kameras aufgestellt. Und auch wir sollten seine Geschichte noch mehrere Male hören, denn diesem ersten Besuch sollten weitere folgen. Es gab die Stellen in seiner Erzählung, an denen er die immer gleichen Sätze hervorholte, als hätte er die Erinnerungen über die Jahre in einer Wortkette konserviert, an der er sich entlanghangelte. Es gab aber ebenso jene Momente, in denen Herr Plapler, selbst über siebzig Jahre später, das nächste Wort einfach nicht zu fassen bekam. Dann schaute er auf, schwieg einen Augenblick und setzte an einer anderen Stelle erneut an.

Die Geschichte von Jack Plapler begann in dem kleinen Ort Grifte in der Nähe von Kassel, ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Sein Vater Herschel stammte aus dem galizischen Proszowice bei Krakau. In dieser Gegend verlief bis 1914 die Grenze zwischen Österreich-Ungarn und dem russischen Zarenreich. Als der Krieg begann, war Herschel Plapler zweiunddreißig. Gleich in den ersten Wochen marschierte die russische Armee durch Galizien. Herschel wurde eingezogen und musste für den Zaren gegen die deutschen Truppen kämpfen. Irgendwann geriet er jedoch in Kriegsgefangenschaft und kam als Zwangsarbeiter nach Hessen. Hier musste er jahrelang in einer Ölraffinerie nahe Kassel schuften. Seine Frau war mit den beiden Kindern in Proszowice geblieben. Nach dem Ende des Krieges entschloss er sich, sie nachzuholen. So kam Familie Plapler in die hessische Provinz. Bald wurde das dritte Kind geboren, Isaak. Viele Jahre später wählte dieser Sohn einen neuen Namen, in der Hoffnung, es damit im Nachkriegsdeutschland leichter zu haben: Jack.

Im Jahr 1925, Isaak war gerade fünf, zog die Familie nach Kassel. Vater Herschel Plapler fand dort eine Stellung als Zwischenmeister in einer Schneiderei. Auch der junge Isaak packte mit an: Immer freitags lieferte er die Winterjoppen aus und erhielt dafür ein kleines Trinkgeld. Die Familie bezog eine bescheidene Wohnung im Zentrum der Altstadt. In Kassel lebten zu dieser Zeit rund 2750 Juden. Ein ganzes Stadtviertel war von dem jüdischen Textilunternehmer Sigmund Aschrott entworfen und ohne öffentliche Hilfe gebaut worden, mit Parks, Kirchen und einer Dampfstraßenbahn.

Familie Plapler, um 1930 (in der Mitte Isaak Plapler)

© Jack Plapler, mit freundlicher Genehmigung

Isaak besuchte die jüdische Volksschule in der Spohrstraße. Sein Lieblingslehrer, Karl Witepski, war zugleich der Oberkantor in der Synagoge. »Er war ein netter Mensch, und er hatte eine wunderbare Stimme«, sagte Plapler, »und ich war sein Lieblingsschüler.« Durch ihn entdeckte Isaak seine Begeisterung für den Gesang. Im Gemeindechor schulte er seine schöne Knabenstimme, und auch in der Synagoge wurde er oft nach vorne gerufen, um die Gebete vorzusprechen.

»Warum wirst du nicht Opernsänger?«, fragte ihn eines Tages ein Mann aus der Gemeinde. Opernsänger? Isaak wusste nicht einmal, wovon der Mann sprach. Er hatte noch nie ein Opernhaus betreten. Da stimmte der Mann eine Arie von Giacomo Puccini an: »Und es blitzten die Sterne«. Es ist eine Liebeserklärung des zum Tode verurteilten Cavaradossi an seine Geliebte Tosca. »Es lief mir eiskalt den Rücken runter«, erinnerte sich Plapler. Von diesem Moment an träumte er davon, eines Tages Opernsänger zu werden. »Aber«, setzte er hinzu, »unser geliebter Führer hatte ja etwas anderes mit mir vor.«

ENDE DER LESEPROBE