Mein intimes Tagebuch - Agnès de S. - E-Book

Mein intimes Tagebuch E-Book

Agnès de S.

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Beschreibung

Die junge, unschuldige Agnès de S. hat gerade die Klosterschule verlassen und verbringt ihre Sommerferien auf dem elterlichen Schloß in Südfrankreich. Ihrem intimen Tagebuch vertraut sie in immer rückhaltloserer Offenheit ihre ersten erotischen Erlebnisse an: Liebesspiele mit einem hübschen Stubenmädchen, zögernd zuerst noch, dann immer hemmungsloser; zärtliche und ausschweifende Abenteuer mit einem Bauernburschen, mit dem stattlichen Sohn des Müllers, mit einem verwegenen Husarenoffizier, mit einer Dame der großen Gesellschaft. Am Ende dieses langen, heißen und stürmischen Sommers 1888 ist aus dem jungen Mädchen eine erfahrene junge Frau geworden, die sich ihre geheimsten Wünsche immer ungenierter erfüllt.

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Seitenzahl: 359

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Agnès de S.

Mein intimes Tagebuch

Aus dem Französischen von Nils-Henning von Hugo

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Die junge, unschuldige Agnès de S. hat gerade die Klosterschule verlassen und verbringt ihre Sommerferien auf dem elterlichen Schloß in Südfrankreich. Ihrem intimen Tagebuch vertraut sie in immer rückhaltloserer Offenheit ihre ersten erotischen Erlebnisse an: Liebesspiele mit einem hübschen Stubenmädchen, zögernd zuerst noch, dann immer hemmungsloser; zärtliche und ausschweifende Abenteuer mit einem Bauernburschen, mit dem stattlichen Sohn des Müllers, mit einem verwegenen Husarenoffizier, mit einer Dame der großen Gesellschaft. Am Ende dieses langen, heißen und stürmischen Sommers 1888 ist aus dem jungen Mädchen eine erfahrene junge Frau geworden, die sich ihre geheimsten Wünsche immer ungenierter erfüllt.

Über Agnès de S.

Agnès de S. berichtet nicht nur mit äußerstem Freimut von ihren Ausschweifungen: zur gleichen Zeit, in der sie ihre geheimsten Wünsche entdeckt, beginnt sie die Heuchelei der gutbürgerlichen Gesellschaft und der Politik ihrer Epoche zu durchschauen. Es ist literaturhistorisch umstritten, ob dieses Buch das anonyme Werk eines bekannten zeitgenössischen Schriftstellers ist. Die Literaturgeschichte ist reich an solchen Fällen. Mit Sicherheit zeichnet das Buch jedoch eine literarische Qualität aus, das es vergleichbar macht mit berühmten Werken von Alfred de Musset oder Guillaume Apollinaire.

Inhaltsübersicht

Mein intimes Tagebuch [Teil 1]Mein intimes Tagebuch [Teil 2]Nachwort
Sonntag, 17. Juni (1888)

Mein Gott, wie stumpfsinnig diese Messen sind! In Paris geht es ja noch: In der Kirche Sankt Thomas von Aquin sieht man wenigstens eine ganze Menge Leute, Neuigkeiten werden ausgetauscht, unnachsichtig lauert man Hüten und Kleidern auf und manche Männer machen mir sogar am Weihwasserbecken auf höchst andächtige Weise den Hof, zum mindesten seit letztem Jahr. Aber hier in den Ferien, wo jeder Lufthauch und der Duft der Provence zum Spazierengehen verführen, ist es ganz etwas anderes!

Trotzdem, eigentlich habe ich gar kein Recht, mich zu beklagen. Ich gehe jetzt schon seit Jahren, ob die Sonne nun scheint oder nicht, ob ich Lust dazu habe oder nicht, jeden Tag zur Messe. Von jetzt ab komme ich mit den Sonntagen und den hohen Festtagen davon, und heute bereitet es mir sogar Vergnügen, zum erstenmal in einem recht amüsanten Aufzug zu erscheinen: ich trage einen taubenblauen Organdyrock, der von einem ziemlich auffälligen Volant in gleicher Farbe eher noch betont wird; ein Mieder aus Gipürenspitze, das oberhalb der Schultern mit Hilfe von Bändern aus roher Failleseide geschlossen wird; dazu einen Seidengürtel mit drei Moiréschleifen.

Das ist eine schlichte, ländliche Garderobe, fast so einfach wie ich selbst; ich putze sie allerdings noch ein wenig auf, und zwar mit einem großen, breitkrempigen Valois-Hut (der vielleicht ein bißchen altmodisch ist, mir aber nun einmal so gut steht!), mit einer kurzen, hübsch aufbereiteten und mit einem Lavendelstrauß geschmückten Schleppe aus Spitzen; dazu modische Strümpfe aus weißem Garn, Pumps und ein Sonnenschirm. In diesem Aufzug genieße ich das Vergnügen, bei einigen Männern hier aus der Gegend, die ein wenig abseits unter einer großen Platane auf das letzte Läuten warten, Neugier für die Pariser Mode und Interesse für meine junge Person zu wecken; das ist eine Reaktion, für die ich durchaus empfänglich bin, vor allem wenn ich meine Situation als Fräulein vom Schloß unter all diesen Bauern hier bedenke.

Nach diesem kleinen Triumph muß ich wohl oder übel die Langeweile des dauernden Kniebeugens, der Predigt und der heiligen Kommunion über mich ergehen lassen, wobei das Ganze noch durch spitze Ellbogenstöße meiner Mutter angereichert wird, die mich in die Seite knufft, als ich mich ein wenig verspätet erhebe und intoniere:

Ich grü-üße Euch mit großer Lie-iebe,

Königin des hi-immlischen Hofes,

E-ewig gesegnete Jungfrau Maria

usw., usw.; denn ich verfüge über die richtige Tonlage, und die Anwesenden richten sich nach ihr. Da ich zwischen den einzelnen Chorälen kaum etwas anderes tue als vor mich hin zu dösen und dabei mit den Fingern über den rotsamtenen Bezug meines Betstuhls zu streichen, der – wie es sich gehört – mit unserem Wappen geschmückt ist, gehen diese Ermahnungen zur Ordnung durchaus in Ordnung, wenn ich es einmal so ausdrücken darf.

Wenn ich diese abgeschmackten Nichtigkeiten erzähle, so deshalb, weil ich heute morgen, während ich hinter meinem Gesangbuch ein sicherlich nicht gerade gottgefälliges Gähnen unterdrückte (wie kann man aber auch so langweilig sein wie dieser Abbé Carassus, der heute gepredigt hat?), einen wichtigen Entschluß gefaßt habe. Ich werde von jetzt ab nach festen Regeln und streng methodisch vor mich hin träumen, jedenfalls soweit ich dazu in der Lage bin, und ich werde meine Träumereien zu Papier bringen.

Ich werde es ganz für mich allein tun. Immerhin habe ich im vorigen Jahr in Philosophie den ersten Preis für meinen französischen Aufsatz bekommen und im Jahr davor ein summa cum laude im Kurs «Theorie». Das ist doch immerhin etwas! Und was aus diesem Tagebuch, dessen wahrscheinlichstes Schicksal darin bestehen wird, in den ersten Flammen des September zu Asche zu verglühen, auch immer werden mag, ich kann daraus sicherlich zum mindesten die Genugtuung ziehen:

Den Überdruß zu überlisten, den der trübe Tag des Herrn uns bereitet!

Also Kopf hoch, edles Kind!

Montag, 18. Juni

Meinem «Kopf hoch» von gestern abend folgt heute morgen das große «kopfhängen lassen». Ich fühle mich beschmutzt, dumm, unnütz, abstoßend. Um es geradeheraus zu sagen, ich bin wieder einmal von dieser unglaublichen und abscheulichen Sache heimgesucht, die man nur in gewundenen und blöden Worten beschreiben und außerdem nur in das Ohr einer Kammerzofe oder einer Mutter flüstern kann, um ihnen zu verstehen zu geben, daß man während einiger Tage nicht dieselbe sein wird! Aber als ob es sich nur darum handeln würde, nicht mehr dieselbe Frau zu sein, wenn man eines schönen Morgens zu einem bedauernswerten Tier geworden ist, das sich versteckt, um zu verbluten! Wenn ich darüber nachdenke, so stehen wir Frauen nicht etwa deshalb so tief unter den Männern, weil wir vielleicht weniger stark oder weniger intelligent wären, was ja nun wirklich noch nicht bewiesen ist. O nein! Dieser Anschein entsteht auf Grund dieser Tage, einer heimlichen Erniedrigung, in deren Verlauf ich bisweilen sterben möchte, nur um nicht mehr spüren zu müssen, wie dieses Blut aus mir herausfließt. Man wird vielleicht sagen, ich machte eine allzu große Affäre daraus, wo es sich doch schließlich nur um eine vorübergehende Unpäßlichkeit handelt. Aber es ist eine große Affäre, dieser Augenblick der Unpäßlichkeit, der uns unausweichlich einholt, was auch immer wir tun, so als wolle er uns die Erbärmlichkeit unserer Lage in Erinnerung rufen. Und es handelt sich nicht einmal um die Bestrafung für eine Sünde – welcher Sünde denn auch? –, denn es sind davon ja sowohl die ehrbarsten Jungfrauen betroffen wie die allerausschweifendsten Kreaturen, und diese zweifellos sogar sehr viel weniger als jene.

Mein armes Tagebuch fängt ja gut an! Heute bin ich die Beute einer unheilbaren Schwermut. Ich bin drauf und dran, die Arbeiter von Remoulins zu beneiden, die am Samstagvormittag fröhlich singend nach Hause kommen und vielleicht glücklich sind in dem Bewußtsein, erst wieder am Montag an ihren Arbeitsplatz zurück zu müssen, und die sich erst einmal an ihren kleinen Gewürzmühlen und ähnlichem Firlefanz in Haus und Hof zu schaffen machen.

Um mich ein bißchen auf Trab zu bringen, habe ich meine Handvoll Bücher eingeräumt, meine Malhefte, meine Buntstifte, meinen Wandteppich und meine Nadeln zum Sticken; kurzum, das ganze Arsenal eines jungen Mädchens, das zwar das Internat hinter sich gelassen hat und wegen seiner Vornehmheit und Gewissenhaftigkeit allgemein geschätzt wird, das aber noch kein sweet home sein eigen nennt. Ach, zum … Teufel damit, jetzt reicht’s mir aber. Es ist besser, nicht mehr dauernd an all das zu denken und mich mehr mit anderen Dingen zu beschäftigen.

Wir erwarten dieses Jahr nämlich sehr viele Gäste. Vater hat beschlossen, über die weiblichen und männlichen Stammgäste hinaus einige im geschäftlichen und politischen Leben erfolgreiche Herren einzuladen. Das alles bedeutet ziemlich viel Arbeit für mich. Da Valérie für diese Aufgaben zu zartbesaitet ist (sagt meine Mutter), zu linkisch (sagt mein Vater) und zu jung (sagen alle beide), erfülle ich meine Pflichten als junge Tochter des Hauses so gut es eben geht: zusammen mit Emmeline achte ich auf das Weiß der Wäsche, mit Félicie auf den Glanz des Tafelsilbers, mit Jousè Aubanou auf die Frische der Blumenarrangements; ich bringe in Erfahrung, was unsere Gäste morgens besonders gern mögen, ich erneuere das Petroleum ihrer Lampen; ab und zu frage ich meine Mutter ehrerbietig, wie weit sie mit ihrem bestickten Tischtuch, und meinen Vater, wie weit Monsieur Eiffel mit seinem Turm gekommen ist; ich versuche, den Piräus nicht für einen Mann zu halten und unseren Landwirtschaftsminister Méline nicht für eine Kammerzofe.

Aber was das letztere anbetrifft, so ist die Gefahr ziemlich gering: Monsieur Méline ist Republikaner, äußerst häßlich und außerdem dumm wie Bohnenstroh. Emmeline, unsere Kammerzofe, dagegen ist hübsch und temperamentvoll, und die Glückliche weiß kaum, daß wir in einer Republik leben. Nebenbei bemerkt, tun wir das wirklich? Es ist nicht unbedingt die Meinung aller hier im Hause.

All dies, die Provence, die Ferien, das Schloß, geht mir ziemlich auf den Keks. Meine Schwester ist eine dumme Gans, mein Bruder interessiert sich nicht für mich, der Onkel behandelt mich wie eine unreife Göre, und ich selbst langweile mich: alles und jedes langweilt mich und alle Leute langweilen mich. Sobald ein kleiner Windhauch weht, gehe ich im Park spazieren oder auch bis zum maurischen Gehölz. Und wenn die Affenhitze unerträglich wird, bleibe ich in meinem Zimmer, schließe die Fensterladen und lese einen Roman, den ich meiner Mutter gemopst habe, oder ich schreibe irgend etwas zusammen, so wie heute. Aber was auch immer ich tue, es passiert leider gar nichts. Und was sollte auch schon groß passieren?

Dienstag, 19. Juni

Heute morgen bin ich mit Line aus dem Dorf zurückgekommen, von wo wir einen Korb junger Erbsen und einen anderen mit frisch gepflückten Kirschen geholt haben. Sie richtet es so ein, daß wir unter dem Vorwand, ein Pfund Auszugsmehl abholen zu wollen, das der Müller uns schuldet, an der Mühle vorbeigehen; in Wirklichkeit will sie mit Boniface, dem Sohn des Müllers, schwatzen und ihn ganz nach Lust und Laune ein bißchen zappeln lassen. Nun gut, ich mag Emmeline wirklich sehr gerne, und ich habe überhaupt nichts gegen diesen großen Burschen: von dem Dutzend Männer, das mir vorgestern ganz unauffällig bei meiner Ankunft vor der Kirche auflauerte, gefällt er mir noch am besten. Auf also zur Mühle.

Nachdem wir Boniface auf Wiedersehen gesagt, uns bei ihm bedankt und das Mehl eingepackt haben, machen wir uns wieder auf den Weg und gehen die Wiese Cacau entlang: und wer steht wohl auf der Wiese Cacau? Der Esel des Müllers; aber in welchem Zustand, das arme Tier! Unter seinem Bauch hängt ein riesiges, krankhaft aussehendes Ding; es ist ganz steif und rötlich, manchmal baumelt es zwischen seinen Beinen hin und her, manchmal zuckt es mit einem plötzlichen Schlag an seinen Bauch. Emmeline ist plötzlich ganz rot und zieht mich am Ärmel:

«Schauen Sie nicht hin, Mademoiselle, das ist etwas ganz Häßliches.»

Häßlich oder nicht, meine Neugier ist geweckt. Es war vor zwei Jahren, ich erinnere mich als sei es gestern gewesen, als ich im Bois de Boulogne ein Pferd bemerkt habe, einen schönen Apfelschimmel, der ebenfalls eine Art steifes Bein zusätzlich zu seinen vier Beinen hatte. Valérie und ich machten zusammen mit Mutter und Miss Julia einen kleinen Spaziergang, und die beiden veranlaßten uns, dem Tier auf der Stelle den Rücken zuzukehren, so als hätten sie den Teufel erblickt. Dies große, alberne und ungehörige Ding machte damals einen eigenartigen Eindruck auf mich: ich träumte davon, vielleicht weil ich kapierte, daß ein junges, gut erzogenes Mädchen die Augen abwendet, wenn es ein Pferd erblickt, das nicht genauso beschaffen ist wie alle anderen. Und ich habe dann auch keine weiteren mehr gesehen, vielleicht einfach deshalb, weil der Zufall mir nicht gerade günstig gesonnen war.

Diesmal bin ich ganz allein mit Emmeline und daher fest entschlossen, mir die Sache aus der Nähe anzuschauen. Wenn das ein Gebrechen ist, sollte der Müller es ihm wirklich wegmachen lassen; denn Line hat schon recht, es ist häßlich. Andererseits denke ich mir: es ist doch schließlich der Esel des Müllers, den alle hier in der Gegend kennen und den ich vor noch nicht einmal einer Woche, nämlich am Tag unserer Ankunft, gesehen habe. Er kann sich eine solch bösartige Krankheit doch eigentlich nicht in so kurzer Zeit zugezogen haben? Während ich noch hin und her überlege und diesen Prügel aus Fleisch, der zwischen seinen Beinen hängt, betrachte, ist Line resigniert stehen geblieben. Der Esel, der sie genau kennt, trabt zu ihr hinüber, schnüffelt an ihrem Korb und bettelt um eine Handvoll frischer Erbsen, die sie ihm dann auch gibt. Währenddessen profitiere ich davon, daß sie ihn zwischen seinen Ohren krault und bücke mich einen Augenblick lang. Nein, das ist ganz entschieden kein Gebrechen oder irgendeine Krankheit. Ich glaube eher, alle Esel haben so ein Ding. Dieses hier ist vielleicht bloß besonders lang und besonders dick, zumindest heute. Es ist zweifellos die Hitze; oder vielleicht hat er auch einfach zuviel Kleie gefressen. Während wir weitergehen, traue ich mich, Linette zu fragen:

«Linette, was ist denn mit dem Esel von deinem Boniface passiert?»

Sie ist mit einemmal feuerrot geworden und antwortet mit ganz veränderter Stimme:

«Oh, nichts, Mademoiselle. Er hat nur Sehnsucht.»

«Er hat Sehnsucht? Nach wem denn?»

«Nun, nach der Eselin natürlich.»

Sie prustet los, und ich kann nichts mehr aus ihr rauskriegen. Dieser Esel, der sich nach der Eselin sehnt und wegen ihr so ein Ding herausstreckt, das so lang wie ein Arm ist! Wozu soll das wohl gut sein?

Mittwoch, 20. Juni

Keiner meiner offiziellen Freier gefällt mir, weder aus der Nähe noch von ferne. Im Augenblick gibt es fünf oder sechs davon und ganz ohne Zweifel wird es keiner von ihnen versäumen, während der Ferien hier bei uns aufzukreuzen und mir ein bißchen den Hof zu machen. Herr von A., den die Damen Gonzague nennen, ist bereits gestern mit drei Booten angekommen. Er ist beinahe ein Nachbar: eine Art gentleman-farmer von gutem Adel und ausreichendem Vermögen, der flußabwärts in V. Ländereien, Weinberge und ein großes Wohnhaus besitzt, das er als Schloß bezeichnet.

Er stattet uns also nicht erst seit gestern kurze, aber häufige Besuche ab, sobald es Sommer ist. Er ist gerade vierzig, ziemlich eingebildet, ein großer Jäger und Hundeliebhaber, ein Kenner von Weinen und ohne Zweifel auch von Bäuerinnen, die er unbedingt lauthals und recht vertraulich anquatschen muß, wenn er einer, die einen etwas muntereren Eindruck macht, begegnet; er geht mit weit ausgreifenden Schritten, spricht in bellendem Tonfall und küßt die Hand meiner Mutter wie ein Mann, der seit einer Woche fastet; er ist sein selbsternannter Favorit. Für mich ist er das allerdings kaum, zumindest so lange nicht, bis ich nicht auf die dreißig zugehe ohne irgendeinen anderen gefunden zu haben, was jedoch einigermaßen überraschend wäre.

In einigen Tagen wird der kleine Graf W. aus dem Auswärtigen Amt, der Favorit meiner Mutter, eintreffen. Ziemlich wertloser Adel, zweifelhaftes und sicher einigermaßen wackeliges Vermögen. Seine Eroberungen beim weiblichen Geschlecht kann man unmöglich ignorieren; er spricht zuviel darüber und, was meiner Ansicht nach noch schlimmer ist, in Worten, die unterschwellig niederträchtige oder beleidigende Anspielungen enthalten. Zum Beispiel: «Die kleine Frau von N.? Meinen Sie die, deren Mann so oft auf Reisen ist?»

Davon einmal abgesehen ist er in konventionellem Sinn durchaus ein schöner Mann; küßt ausgiebig die Hand und ist ein untadeliger Plauderer; scheint sich seines Erfolgs trotz meiner sehr kühlen Begrüßung sicher.

An dritter Stelle Pierre-Félix L., der ältere Bruder der keuschen Suzanne, ein sechsundzwanzigjähriger, ausgesprochen hübscher Bengel, ausgezeichnete Familie, durchaus zufriedenstellendes Vermögen. Traut sich nicht, seinen Anspruch offiziell anzumelden: er ist nicht von Adel und meine Mutter ist in diesem Punkt unerbittlich. Aber der Vater von Pierre-Félix ist mit meinem befreundet, und so ist der Sohn für Papa der Favorit unter den Bewerbern.

Im übrigen interessiert sich dieser Sohn mehr für Gedichte und schöne Literatur als für Börsenspekulationen. Er ist nicht unbedingt das, was man im Augenblick so gern einen Intellektuellennennt, das heißt, glaube ich, eine Art Revolutionär oder ein Träumer, der reichlich nebelhaften Ideen nachhängt, sicherlich jedoch ein Mann von freimütiger Intelligenz. Es scheint mir aber doch, daß es ihm an dieser ein wenig brutalen Robustheit mangelt, die einen so starken Eindruck auf unsere delikaten Körperteile macht. Kurz und gut, er traut sich nicht nur nicht (aber was heißt hier trauen? frage ich mich), sondern er traut sich nicht einmal sich zu trauen: er hat mir gegenüber immer nur Worte von so höflicher Reserviertheit gefunden, daß sie mir eher wie Worte vollkommener Gleichgültigkeit erschienen sind.

Dazu noch weitere: Graf S. von R., auch er im diplomatischen Dienst, gegenwärtig auf einem Posten in Moskau; nach dem, was man so hört, ein sehr wichtiger Posten, aber eben Moskau! Brrr … Im übrigen habe ich ihn erst ein einziges Mal gesehen, und zwar während einiger Tage vor einem Jahr. Auch er intelligent, wenn auch auf eine ganz andere Art; und verführerisch. Aber er ist immerhin fast dreißig Jahre älter als ich.

Mal sehen … Man kann all diesen Herren noch den schönen, allzuschönen Baron Ch. hinzufügen, ein weiterer Favorit meiner Mutter: guter Adel, gutes Vermögen, schönes Stadthaus, schöne Haare, über die er mit seiner schönen Hand ununterbrochen streicht, schöner, allzuschöner Mund, weich und rosig. Die jungen Damen unserer Gesellschaft haben nur Augen für ihn und er kaum für sie.

Es gibt Augenblicke, da ist er mir richtig zuwider. Ich komme mir fast männlicher vor als er, obgleich er fürchterlich mit drei Duellen angibt, aus denen er mit ein paar Schrammen hervorgegangen ist.

Und dann ein Sohn der P.-W. s, den Bankiers: ein weiterer Favorit meines Vaters: unermeßliches Vermögen, aber das reizt mich zufälligerweise um keinen Deut stärker als der Besitzer dieses Vermögens: ein großer Bursche, traurig und griesgrämig wie ein Rechnungsbuch.

Schließlich und endlich, der einzige, dem sich mein junges Mädchenherz vielleicht, sehr vielleicht allerdings, ohne Einschränkung zuneigen könnte, es ist der arme Géraud von R.-B., den wir zusammen mit seiner Mutter in vierzehn Tagen erwarten. Der Vorteil, aber auch zugleich der Nachteil von Géraud ist, daß er nur ein Jahr älter ist als ich. Sicherlich, ich führe ihn an der Nase herum, aber er langweilt mich auch zu sehr mit seiner ewigen Ergebenheit. Er hat irgend etwas zugleich Weltgewandtes und Eingeschüchtertes an sich, das mich sehr berührt. Er ist niemandes Favorit (womit ich sagen will, daß ihn weder Vater noch Mutter, noch irgendeine Tante begünstigen), er ist einzig und allein der Favorit seiner schrecklichen Mutter, die finster entschlossen ist, ihn mir mit Gewalt anzudrehen. Das geschieht ausschließlich meines Vermögens wegen, denn Géraud hat fünf Brüder und Schwestern und wird dereinst nicht gerade reich sein. Naiv, wie er ist, meint er es ehrlich; er mag mich wohl aufrichtig gern und würde es zweifellos lieber sehen, wenn ich arm wäre, damit er mir seine Hand und seine kleine Leibrente anbieten könnte. Ein bißchen arg wenig, wenn man mich fragt!

Im Augenblick interessiert mich das alles nicht so sehr. Es macht mir Spaß, sie und noch einige andere um die schöne Erbin, die ich bin, herumscharwenzeln zu sehen; aber einen von ihnen zu ermutigen, und wenn es vielleicht auch nur ein ganz klein wenig wäre, um mich unversehens verheiratet zu sehen, ohne es zu wollen? Nur eine Närrin …

Donnerstag, 21. Juni

Heute ist der Tag des heiligen Ludwig von Gonzague, «der durch eine besondere Gunst Gottes von jung auf in vollkommener Unschuld lebte», und so weiter und so fort.

So wie ich in gewisser Beziehung, denn ich fühle mich unschuldig, so verdammt unschuldig … Dieser liebe Ludwig von Gonzague ist zugleich der Schutzherr unserer Familie und auch derjenige der christlichen Jugend (wir stammen mehr oder weniger direkt von Gonzague von Castiglione ab); so ist es in Kastilien am heutigen Tag unerläßlich, die Messe in Weiß zu feiern. Ich bin zur kleinen Messe gegangen, die bei Tagesanbruch stattfindet und eigentlich für die Dienerschaft zelebriert wird; Abbé Dioudonnat bringt sie so zügig über die Bühne, daß ich jetzt noch eine gute Stunde Zeit habe.

Unschuldig, wie ich bin, komme ich also wieder zum Thema. Ich nähere mich den zwanzig, und wenn man mich bis Weihnachten verheiraten sollte, würde ich in den Augen meines Gatten ebenso dumm und unwissend dastehen wie die junge Dame in Chabriers Operette ‹Verfehlte Erziehung› angesichts ihres Gontran de Boismassif. Mutter wird mir am Vorabend des großen Ereignisses eine Menge der üblichen, schon rituellen Enthüllungen machen müssen; aber Solange von V., die gerade vor drei Monaten Frau von Saint-P. geworden ist, hat mir gestanden, daß sich diese Enthüllungen etwa auf folgendes beschränken: «Laß es mit dir geschehen und denk an etwas anderes.» Und dann gab es natürlich noch das Getuschel in der Klosterschule, aber das schien mir auch nicht gerade so furchtbar seriös zu sein.

Eine alte Tradition unserer christlichen Erziehungsanstalt für junge Mädchen wollte es, daß sich die Gewitzteren unter den Weißen (den Weißen, aber deshalb nicht unbedingt Arglosen) vierzehn Tage vor dem «großen Ereignis» gegenseitig mit den Schmerzen und Freuden des Ehelebens vertraut machten. Das ging im Wäschezimmer der Großen, im dritten Stock vor sich, unter dem Vorwand, unsere kleine Wäsche in die Regale einzuordnen; und zwar zu einer Zeit, in der wir nicht durch die Schwester Wäschebeschließerin gestört sein würden. Wir waren sechs oder sieben, die unter einer Decke steckten, Hélène und Amélie de K. (die Zwillinge), Marguerite de N. (die «Marguerite von den Margueriten» genannt wurde), Véronique de la P., Suzanne L., spöttisch die «keusche Suzanne» genannt, denn das gesamte Kloster (eingeschlossen die Schwestern) mußte ihren Busen schon irgendwann einmal gesehen haben: jedenfalls gab sie sich große Mühe, damit er ganz unverhofft und wie zufällig plötzlich aus ihrem Nachthemd herausquoll. Schließlich gehörten natürlich die liebe Sylvia und ich dazu. Ja, es sind sieben, genau.

Wir ordnen also die Wäsche ein und wechseln angesichts unserer an den Knien eng anliegenden Höschen und unserer gestärkten Unterröcke allerhand äußerst zweideutige Scherzworte, als Véronique plötzlich erklärt:

«Das ist noch nicht alles, meine Damen, wir sind nicht zum Quatschen hier. Diejenige, die etwas Interessantes zu erzählen hat, soll die Hand heben und die übrigen sind gefälligst ruhig.»

Daraufhin entwickelt sich eine etwas wirre Diskussion: Amélie de K. hat ihre Mutter überrascht, als sie mit hochgeschobenem Kleid auf den Knien von Herrn von S. saß, den ganz Paris kennt, und der sie eng umschlungen hielt. Sie glaubt, daß er (sie senkt die Stimme) «ihr Liebhaber» ist. Aber was geschah dann?

«Mama war sehr rot, sie ist mit einem Satz aufgesprungen und hat mich angeschrien, ich solle verschwinden, und so habe ich mich sang- und klanglos aus dem Staube gemacht.»

Sylvia ist eines Tages ohne anzuklopfen in das Zimmer ihres älteren Bruders gegangen. Sie hat gesehen, wie Julie, das Stubenmädchen, ganz dicht vor ihrem Bruder kniete, der ihr über die Haare strich. Julia bewegte ihren Kopf auf und ab und umschlang ihn dabei mit ihren Armen, und Lucien (ein gutaussehender Bursche von 25 Jahren) war so weggetreten, daß er sich nicht einmal rührte, als Sylvia hereinkam, übrigens nur, um im gleichen Augenblick wieder zu verschwinden.

«Sie hat ihn vielleicht um Geld gebeten», entschieden wir.

Marguerite von den Margueriten hat ihre Tante ganz nackt gesehen, als sie vor dem Spiegel stand, sich selbstvergessen anschaute und mit einer Hand über die Spitzen ihrer Brüste strich und mit der anderen zwischen ihren Schenkeln hin und her fuhr. Interessant, sicherlich, aber auch nicht gerade neu, entscheidet der Rat der Sieben.

«Ihr müßt wissen», beharrt Marguerite, «ich habe sie öfters gesehen. Sie hat Haare, nun ja, Mädchen, sie hat Haare auf dem Bauch, beinahe bis zu den Brüsten.»

Wir sagen ihr, sie soll schweigen, um Hélène de K. zuhören zu können, die an einem Ballabend in einem dunklen Flur von einem alten Freund des Hauses in eine Ecke gezerrt worden ist, übrigens ohne sich groß dagegen zu sträuben, wie wir sehr wohl heraushören können:

«Er hat meine Röcke hochgeschoben und hat versucht, mit seiner Hand in mein Höschen zu gelangen. Was glaubt ihr, was ich für Ängste ausgestanden habe! Er fummelte mir zwischen den Beinen herum und mit der anderen Hand knöpfte er sich die Hose auf. Ich traute mich nicht, mich zu rühren oder auch nur hinzugucken. Zum Glück (die Heuchlerin!) hat mich in dem Augenblick Lucie gerufen und er hat sich aus dem Staub gemacht.»

Es folgen einige mehr oder weniger bis zum Überdruß wiedergekäute Geschichten über alte Freunde oder junge Tänzer, die sich in irgendwelchen versteckten Winkeln ziemlich eng an einen drücken. Aber die Zeit schreitet fort, und unsere Einweihung in die letzten Geheimnisse bleibt ziemlich nebulös. Sylvia und ich wissen auch nicht mehr als die anderen, und wir einigen uns, Véronique zuzuhören, die angeblich gesehen hat, wirklich gesehen haben will, wie ihr Bruder und ihre Schwägerin «ein Kind gemacht» haben. Und das geschah nicht während der schrecklichenStunden tiefdunkler Nacht, sondern im Halbdunkel eines Salons, dessen Tür sie völlig in Gedanken aufgemacht hatte:

«Meine Damen, folgendermaßen hat sich das abgespielt. Los, Agnès, leg dich auf den Tisch, du bist die Frau. Und ihr müßt ihr einen Wäschestapel unter den Kopf legen. Siehst du, da liegst du also, daraufhin umarmt er dich heftig, und dann legt er sich drauf, zwischen deine Beine, so ungefähr, und dann tut es dir weh, und danach bekommst du ein Kind.»

Sie hat mich in ihrem Bemühen, sich möglichst wirklichkeitsgetreu auf mir zu bewegen, halb erstickt, und die Einweihung der «Weißen-aber-durchaus-nicht-Schüchternen» ist an dieser Stelle ins Stocken geraten. Sylvia und ich denken bei uns, daß die Erkenntnisse nicht so arg erhellend sind und daß man nicht so viel Lärm um die Liebe und die Hochzeit machen würde, wenn dies schon alles wäre.

Freitag, 22. Juni

Emmeline hat mir heute morgen einen Teller von den Kirschen gebracht, die wir zusammen gepflückt haben. Meine Mutter hat entschieden, Emmeline sei nicht hübsch; das entspricht weder meiner Meinung noch derjenigen all dieser Herren, deren Blicke nur allzu gerne auf ihr verweilen. Sie hat ein fein gezeichnetes Gesicht mit hohen Backenknochen und einer kurzen und breiten Nase, mit eigenartigen Augen, deren Farbe sich nicht zwischen Grau und Blau entscheiden kann, einer Haut, die von einem schönen Goldbraun ist, einem Mund, der ein bißchen voll und rot ist und mit der Andeutung eines ganz feinen Schnurrbarts über den Lippen.

Was das übrige anbetrifft, so ahnt man, daß sie die robuste Gesundheit eines Mädchens vom Lande hat, ein ganz schön fülliger Körper, aber ohne jede Schwerfälligkeit, eine herrliche Art zu gehen und sich umzudrehen: ihr Rock schwenkt um ihre Hüften, so als ob sie sich mitten im Tanz befindet; ich bin absolut unfähig, es ebenso zu machen, und im übrigen würde sich das auch nicht schicken! Ich hätte beinahe die schwarzglänzenden Haare vergessen, weich und geschmeidig und zu einem großen Knoten hochgebunden; wenn sie sich kämmt, fallen sie ihr jedoch bis über die Hüften: ich habe ihr einmal dabei geholfen.

Emmeline gefällt mir so wie sie ist, und sie weckt meine Neugier. Sie ist fünfundzwanzig geworden, und weder hier noch in Paris, wo sie uns seit diesem Jahr ebenfalls zur Hand geht, ist irgendein Abenteuer von ihr bekannt geworden, nicht einmal irgendein Flirt, um vielleicht jemandem gefällig zu sein. Emsig und schweigsam geht sie im Schloß hin und her, zieht mich an und macht mir an den Abenden, an denen wir Gäste haben, äußerst geschickt die Haare; sie sieht mich an, macht mir Komplimente, lacht, seufzt, und dann möchte ich sie schrecklich gern umarmen und mich mit ihr auf der Erde herumwälzen, so sehr ähnelt sie meiner lieben Sylvia.

Sonnabend, 23. Juni

Ich habe ohne große Begeisterung einige Kleider eingeordnet; dann habe ich mich, da es selbst bei geschlossenen Fensterladen sehr heiß war (entlang der Gardon zieht ein Gewitter herauf), dazu entschlossen, das rosa Faltenkleid, das mir doch tatsächlich zu eng ist, gegen ein leichtes Kaminkleid auszutauschen. Gelegentlich werde ich wieder einmal meine Maße nehmen, um mir von Madame Tourreù, die wirklich ganz hervorragend arbeitet, ein Ballkleid machen zu lassen.

Da stehe ich nun also im Nachthemd und barfuß, um den Hals zwar nicht gerade den Strick, sondern meine Korallenkette, und suche in den Tiefen der Schublade mein Maßband. Und da schießt mir ein kleiner, teuflischer Gedanke durch den Kopf: ich bin allein in diesem fürchterlich warmen Zimmer, warum sollte ich da nicht einmal von dem großen Spiegelschrank profitieren, um die Tante von Marguerite nachzumachen? Ich weiß, daß es eine Sünde ist, sich völlig nackt zu betrachten, aber ich muß schließlich diese Maße nehmen, und Abbé Dioudonnat wird mir wegen dieser Lappalie nicht gleich die Absolution verwehren.

Kaum gedacht, schon gemacht! Es ist jetzt bereits länger als ein Jahr her, seit ich zum letztenmal Gelegenheit dazu hatte. In der Zwischenzeit habe ich im Grunde genommen auch gar kein Verlangen verspürt, mich so zu sehen. Und vor einem Jahr war ich noch ein kleines Mädchen.

Ich bin gewachsen. Barfuß messe ich gut einen Meter sechzig. Ich habe nicht gerade eine Wespentaille, aber doch die Taille eines gutklassigen Mädchens: genau 56 Zentimeter. In Wirklichkeit wirkt sie, selbst ohne Korsett, sehr schmächtig, da ich ziemlich breite Hüften habe: die Hüften einer richtigen Frau, sagt meine Näherin. Das heißt, daß ich durchaus sehr gut zurechtkomme, ohne eine Tournüre unter meinen Röcken zu tragen: ich habe genug Rundungen, ganz abgesehen davon, daß junge Mädchen eigentlich sowieso kein Polster tragen sollen.

Ich glaube, daß meine Figur auch von hinten ziemlich schmeichelhaft ist. Ich habe ein recht tiefliegendes Kreuz. Meine Näherin – sie nun schon wieder – findet meine Rundungen durchaus sehenswert. Das ist eine komische kleine Person, diese Madame Roubère, die mir seit zwei Jahren in Paris meine Sachen näht. Ihrer Meinung nach zögere ich ein wenig zu sehr, eine Frau zu werden. Voriges Jahr, als sie zu mir kam und ich einen langen Faltenrock aus flandrischer Seide anprobieren sollte und noch in Unterröcken dastand, hat sie mir zweimal kräftig auf die … Hinterbacken geklatscht und dabei ausgerufen: «Das muß mir aber alles noch etwas kräftiger werden, mein kleines Fräulein!» Ich kann mir schon vorstellen, daß es nicht sehr angenehm ist, Stoffe über ein Brett zu drapieren, aber schließlich bin ich ja auch nicht gerade mager. Sie hat noch hinzugefügt: «Es genügt nicht, nur schöne Augen zu haben, mein kleines Fräulein. Die Männer achten nicht nur darauf!»

Ich weiß. Sie achten auch auf den Busen und auf alles übrige. Meine Brüste sind leider noch nicht so voll und schwer wie zum Beispiel die von Sylvia, die herrlich rund sind und mit einem großen braunen Fleck mittendrauf. Sie sind sehr weiß, mit ganz zarten rosa Brustwarzen: man könnte meinen, eine Erdbeere in einer Schale mit Schlagrahm. Und sie halten auch ohne Schnürleibchen sehr gut!

Wenn ich zum Beispiel sage, so heißt das, daß wir in der Klosterschule zur «Unbefleckten Empfängnis» allerhand Vergleiche angestellt haben, und zwar gegen Ende des Jahres, wenn der Schlafraum der Großen dort oben unter dem Dach richtiggehend zum Backofen wurde.

Die Gerissensten unter uns richteten es so ein, daß sie ihr allzu sittsames Hemd über die Schulter gleiten ließen und ihren Herzensfreundinnen für den Augenblick einer falschen Bewegung den Ansatz und bisweilen auch ein verschwenderisch anmutendes Mehr an Busen präsentierten; ein Busen, dem es gelungen war, sich ein wenig zu befreien:

«Deiner wird ja auch immer größer, meine Liebe, ich erkenne ihn ja gar nicht wieder. Die Spitzen werden ziemlich rot. Und wie findest du meinen?»

Wir gingen kaum viel weiter, beziehungsweise viel tiefer. Man flüsterte sich zwar gegenseitig ins Ohr – und setzte ich weiß nicht was für einen Gesichtsausdruck dabei auf –, Marguerite von den Margueriten habe einen richtigen Brustschleier, der ganz schwarz und ziemlich kläglich auf ihre Putenschenkel drapiert sei, aber niemand hatte dieses Phänomen wirklich einmal richtig gesehen. Zwei- oder dreimal war auch ein bißchen schwarzgelockter, stark geringelter Haarflaum in einem versiegelten Umschlag von einem Pult zum anderen gewandert: «Vorsicht, es springt!», was wir äußerst komisch fanden.

Was mich anbetrifft, so habe ich dort nicht einmal ein kleines Rasenstück, höchstens ein blondes Kinnbärtchen, das sich wie eine Spirale kräuselt; ich kann es mit meinen Fingern noch so sehr auseinanderziehen, sobald ich es loslasse, ringelt es sich wieder zu winzigen Korkenzieherlocken zusammen. Meiner Ansicht nach ist diese, auf dem kleinen Wulst aufgesetzte und verrückt spielende Haarsträhne ganz hübsch und verleiht all diesem weißlichen Rosa ein wenig Farbe. Sylvia hat sich eines Tages in durchaus netter Weise über mich lustig gemacht, als es mir nämlich gelungen war, ihr einen kurzen Einblick zu gewähren und den Vorhang zu meiner kleinen Hütte ein wenig zu lüften. Und ich muß sagen, daß ihre eigene (eine große braune und ziemlich krause Kugel) auf eine viel überzeugendere Weise eindrucksvoll ist. Aber wie auch immer, ich mag mich so wie ich bin!

Um mich zu trösten, drehe ich ein paar Löckchen hinein, ich versetze dem Ding einen kleinen Schlag mit der Bürste, ich erforsche die eigenartigen Falten und Fältchen ein wenig, die sich unter dem spitzen Kinnbärtchen verstecken, und die an gewissen Tagen (oder vielmehr an gewissen Abenden) ganz feucht sind und meinen Fingern ganz freundlich entgegenkommen; an anderen wiederum (wie zum Beispiel heute) sind sie trocken und spröde. Aber an dieser Stelle ist sowieso ein Halt geboten. Sonst würde mir der Abbé wirklich noch die Absolution verweigern.

Sonntag, 24. Juni

Jousè Aubanou hat mir heute morgen Anlaß zu einer hübschen kleinen Überlegung gegeben. Dieser «kleine» Jousè, der jüngste Sohn von Félicie, ist in einem Jahr irrsinnig gewachsen und ungemein kräftig geworden! Er ist beinahe einen Kopf größer als ich, aber man nennt ihn trotzdem immer noch den Kleinen. Jousè hatte also gerade einen ganzen Armvoll Rosen, Heliotrop und Jasmin mit mir zusammen gepflückt. Als ich mein Gesicht tief in diesen Strauß versenkte, um mich mit seinem Duft vollzusaugen, ist er rot geworden und hat gesagt:

«Mademoiselle Agnès, wissen Sie, daß Sie noch viel besser riechen als diese Blumen?»

«Du bist wohl verrückt geworden, Jousè; das ist sicherlich mein Kleid, das gerade frisch gewaschen ist.»

Und er:

«O nein! Das ist nicht Ihr Kleid, Mademoiselle. Sie riechen ebenso gut wie die Heilige Jungfrau auf ihrem Altar.»

Dabei habe ich mich daran erinnert, daß Félicie mich vor einer Woche ganz schüchtern gefragt hat, ob ich den kleinen Jousè, der fast ausschließlich Dialekt spricht und nur ganz schlecht schreibt und liest, nicht ein wenig unterrichten könne; Félicie, die seit zehn Jahren verwitwet ist, hat kaum die Muße gefunden, ihm etwas beizubringen. Und Jousè würde tatsächlich viel besser vorankommen, rechtschaffen und aufgeweckt, wie er ist, wenn er französisch sprechen und schreiben könnte. Man muß Abbé Dioudonnat einmal hören, der sich leidenschaftlich für die Pflege und Förderung der provenzalischen Sprache und Literatur einsetzt (falls diesen heiligen Mann überhaupt etwas in Leidenschaft versetzen kann), wenn er den Skandal anprangert (und er hat durchaus recht damit), daß man in der Provence einem Ladenjungen oder einem Ladenmädchen auch nur die geringfügigste Stellung verweigert, wenn sie ausschließlich Dialekt sprechen. Ich und Lehrerin? Warum nicht? Félicie hat so viele Verdienste und der Kleine ist sehr hübsch.

Ich werde ihn im übrigen heute abend beim St. Johannisfeuer sehen, ihn und die ganze Dorfjugend und den Müller Roumanilho, seine Frau Mirèio und ihren Sohn Bonifas, den Schmied Brulot, seine Frau Nio und ihr Dutzend Kinder und Neffen und Nichten, sowie den Notar, ein altes Männchen, und die schöne Notarsgattin, die heimlich in meinen Vater verliebt ist. Papa wird das Feuer von St. Johann eigenhändig anzünden, dann werden die Herren und die Damen brav nach Hause gehen, während die Jungen und die Mädchen aus dem Dorf die Nacht beim Tanz verbringen werden … und bei all dem anderen, denn es hat den Anschein, daß um dieses Feuer von St. Johann herum eine ganze Reihe von Ehen für zumindest eine Nacht geschlossen werden! Ich würde auch gerne dort bleiben, aber das gehört sich ja leider nicht!

Dienstag, 26. Juni

Was für eine Nacht! Es ist fast vier Uhr morgens; ich habe gerade noch einmal meine Lampe angezündet, da ich unmöglich schlafen kann und trotzdem total erschöpft bin. Zu diesem verrückten Zustand trägt aber auch eine Menge bei: eine Tasse Mokka, die ich gestern abend heimlich getrunken habe, ein glühend heißer Tag und dieses malvenfarbene Licht des Sonnenuntergangs, das in diesen kurzen Nächten nur deshalb allmählich zu verlöschen beginnt, um dem unbestimmten Rosa der Morgenröte von der Rhône her Platz zu machen, so als ob Abenddämmerung und Morgendämmerung einen nicht enden wollenden Kuß austauschten …

Das Unwetter, das schon seit zwei Tagen die Gardon entlang heraufzog, ist in dem Augenblick losgebrochen, als ich meine Kerze gelöscht und mich schlafen gelegt habe. Es hat in schweren und großen Tropfen angefangen zu regnen, und ich habe gehört, wie diese Tropfen auf den Blättern der Platane unten im Hof, auf den hinaus mein Zimmer geht, zerplatzt sind; dem erschrockenen Wiehern der Pferde und dem Scharren ihrer Hufe auf dem Pflaster folgte dann sehr schnell ein dumpfes und drohendes Grollen. Eine Stunde lang haben sich Donner, Regen und Blitze über dem Schloß ausgetobt, haben mal die Pappelreihen am Ufer der Gardon attackiert, mal die Riesenkonifere im Park, mal – noch viel näher – das Türmchen des Gnadentempels. Mein Zimmer war durch diese Blitzschläge zeitweise hell erleuchtet, so wie von irgendeiner elektrischen Maschine. Der Donner rollte, grollte und krachte und ließ die Fenster von den Schlägen seiner Riesenfäuste erzittern. Mir schien es, als ob ich schon seit ewigen Zeiten im Zentrum dieses entfesselten Tobens stände und als würde nur mir allein dieses Unwetter gelten. Außerdem ergriff mich Furcht, eine Furcht, in der ich, je heftiger der Sturm meine Ohren und Augen beutelte, mit einem wohligen Schauer immer tiefer versank, und die ich gewiß nicht in dem Maße verspürt hätte, wenn das Unwetter mich im Freien und während des Tages überrascht hätte: denn die Notwendigkeit, irgendwo Schutz suchen zu müssen, die Sorge um verdorbene Kleider, die Angst vor den Blitzen, vor irgendwelchen Schmerzen in der Brust, vor meiner Mutter, der es die Stirn zu bieten galt, hätten mich todsicher durch ihre vordergründige Realität von diesem ungreifbaren Phantom der Furcht abgelenkt, während mein Bett, mein Zimmer und das Schloß selbst, obgleich sie mich doch vor dem Unwetter schützten, den Schrecken vor ihm erst recht verdoppelten und mich ihm wehrlos auslieferten; dabei lag ich bereits wie unter einem Leichentuch begraben, festgehalten von der weichen Feuchtigkeit der Bettücher, die an meinem Körper klebten, gefangen wie in einem Kerker, dessen Mauern jäh abgekühlt waren, gefangen schließlich von C. selbst, diesem düsteren Gefängnis, an dessen Pforten dieses heiß ersehnte Unwetter pochte: das Leben.

Ich hatte das mir unerträglich gewordene Bettuch bis auf meine Füße zurückgeschlagen; befreit von allem, was auf mir lastete, wuchs das Verlangen in mir, mich nackt und glücklich der Gewalt der Blitze und des besänftigenden Regens auszuliefern. Die Hitze, die von dem Unwetter aus dem Tal gefegt worden war, schien ganz und gar in mein mit den Fensterladen verschlossenes Zimmer zurückgewichen zu sein. Ich keuchte. Die Hand, mit der ich über meine Brüste und meinen schmerzenden Bauch strich, war schweißnaß; allein die Tatsache, daß meine Oberschenkel sich gegenseitig berührten, wurde mir unerträglich. In dem gleichen Augenblick, in dem ich sie spreizte, um zu versuchen, ein wenig Frische von draußen zu erhaschen, verstand ich auf eine ganz verschwommene Weise, daß mein Körper den wilden und zärtlichen Ausbruch, der über das Tal hereinbrach, für sich selbst forderte, und ich begann, mich fieberhaft zu streicheln. In dem beinahe ununterbrochenen Getöse des Donners hörte ich mich schreien, vielleicht aber flüsterte ich es auch nur:

«Ich halte es nicht mehr aus, ich will nicht mehr …»

Ich wand mich auf meinem Bett und schämte mich über meinen Mut, die Geste zu vollziehen, die ich vor ein paar Tagen vor dem Spiegelschrank nur angedeutet hatte und die ich nun in diesem Aufruhr wie rasend und ganz bewußt weiterführte; ich schämte mich und war erleichtert, als ich fühlte, wie unter dem Spiel meiner Finger meine Lust emporstieg und ich mich der Hoffnung hingab, diese Lust möge ungestümer und wirklicher sein, ausgelöst von dem Verlangen einer anderen Hand als meiner eigenen, von einem anderen Körper, an den ich mich anlehnen könnte, von einer anderen Leidenschaft, der ich mich anzubieten vermöchte, meinen Anteil zu nehmen. Und ich wiegte mich in der Illusion einer weniger selbstsüchtigen und weniger heimlichen Lust. Und meine Lust kam unwiderstehlich, und ich biß in meine Schlummerrolle, um nicht zu schreien, so schön war es, so stark, so viel besser als irgendwann vorher.

Denn es ist natürlich nicht das erste Mal, auch wenn ich bisher noch niemals so sehr von dieser Lust aufgewühlt worden bin, wie zum Beispiel Sylvia: als ich sie eines Tages, ohne so recht zu verstehen, was ich da eigentlich sah, beinahe überrascht hatte, gestand sie mir, sie mache «es», um an den Abenden, an denen sie sich «nicht wohl in ihrer Haut» fühlte, einschlafen zu können; und wenn ich vielleicht auch weniger vom Dämon besessen bin, als Hélène de K., die mich seinerzeit verblüfft, entrüstet, ja angewidert hat, als sie mir eines Tages, als wir es alle drei gewagt hatten, von unseren Abenteuern zu sprechen, mit leuchtenden Augen erzählte, sie mache es beinahe jeden Morgen auf dem Klo, weil im Bett, wo es Sylvia machte (und auch ich gelegentlich) das Risiko, auf frischer Tat ertappt zu werden, zu groß sei, und weil es auf dem stillen Örtchen «wegen des Geruchs» sowieso angenehmer sei. Und sie roch tatsächlich immer mehr oder weniger nach Pipi.

Nein, mir ist es im Verlauf dieses Jahres vielleicht zehn- oder fünfzehnmal im Schlafraum in einer Art Halbschlaf passiert, und zwar so instinktiv, daß ich mich beim Aufwachen kaum daran erinnern konnte; und drei- oder viermal ist es mir in Paris an solch stürmischen Abenden wie dem heutigen passiert. Es ist jetzt bald zwei Jahre her, daß mir die Schwester im Schlafraum vorwarf, es getan zu haben, und zwar gerade als ich mich – das ist allerdings wahr – anschickte, es tatsächlich zu tun. Und so hatte ich Anspruch auf eine strenge Strafpredigt der Mutter Oberin, ohne Zweifel die gleiche, die sie allen Schuldigen auftischte; ich war nicht nur der Hölle verfallen, wo ich im übrigen (aber das war eine ziemlich unverschämte Überlegung, die ich da bei mir selber anstellte) meine besten Freundinnen und die Hälfte aller Klosterschülerinnen Frankreichs und Navarras wiedergetroffen hätte, sondern ich würde außerdem meine Haare und meine Zähne verlieren, würde wahnsinnig werden, und was weiß ich noch alles! Aber da Hélène sich eigentlich recht gut hält, wenn man einmal davon absieht, daß sie immer dunkle Ringe um die Augen hat, war ich nicht sehr beunruhigt. Weil ich all diese Strafpredigten und so ein großes Trara jedoch nicht ausstehen kann, habe ich darauf geachtet, nur noch unter Beobachtung aller nur möglichen Vorsichtsmaßnahmen rückfällig zu werden.

Und siehe da! Der Sturm weicht gleichzeitig aus meinem Körper und meinem Zimmer, entfernt sich in Richtung auf die Rhône und läßt mich erschöpft in meiner Bettkuhle zurück. Ermüdet, aber nicht befriedigt, leider! Wenn ich die Zeichen richtig deute, so ist es höchste Zeit zu heiraten.

Wir werden sehen. Es wird schon hell draußen. Das Rosa der Morgenröte hat über den gelblichen Schein der Lampe triumphiert. Der Schlaf hat mich schließlich besiegt. Bis morgen vielleicht, Tagebuch, oder vielmehr bis nachher.

Am gleichen Tag, abends