Mein Jahr als biblische Frau - Rachel Held Evans - E-Book

Mein Jahr als biblische Frau E-Book

Rachel Held Evans

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Beschreibung

Rachel steht mitten im Leben, ist verheiratet und macht beruflich Karriere. Die überzeugte Christin glaubt an Gott und liest regelmäßig in der Bibel. Trotzdem stand sie bisher eher auf Kriegsfuß mit der "Superfrau" aus dem biblischen Buch der Sprichwörter. Als einige ihrer Freundinnen erklären, sie wollen "biblischer leben", ihrer Karriere den Rücken kehren und häuslich werden, stimmt sie das nachdenklich. Ist das wirklich der richtige Weg, als Frau nach der Bibel zu leben? Rachel will es wissen und versucht ein Jahr lang, so biblisch wie möglich zu leben. Dabei nimmt sie so manche Passage wörtlich. Einige ihrer Maßnahmen scheinen absurd, andere genial. Auf ihrer Reise in die Vergangenheit dringt Rachel tief zum Kern biblischer Aussagen vor und entdeckt überraschend Zeitloses.

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Seitenzahl: 356

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Über die Autorin

Rachel Held Evans ist New York Times-Bestsellerautorin und Bloggerin (www.rachelheldevans.com) und lebt mit ihrem Mann Dan in Tennessee, USA. Sie liebt es, Fragen zu stellen und kreativ zu sein – besonders in der Art, wie sie Jesus nachfolgt und ihr Christsein lebt. Ihr Experiment zum biblischen Frausein fand weltweit Interesse. Über ihre ungewöhnlichen Entdeckungen berichteten unter anderem die BBC, die Washington Post, der Guardian (UK), die London Times und Oprah.com.

Rachel Held Evans

Mein Jahr als

biblische Frau

Eine moderne Frau lebt nachbiblischen Traditionen und endecktüberraschend Zeitloses

Aus dem Englischen von Anje Balters

Für Dan, dafür, dass er jedes Jahr

zu einem Abenteuer macht.

Und für alle mutigen Frauen,

deren Geschichten noch erzählt

werden müssen.

Inhalt

Vorwort

Oktober: Sanftmut

November: Häuslichkeit

Dezember: Gehorsam

Januar: Mut

Februar: Schönheit

März: Zucht und Anstand

April: Reinheit

Mai: Fruchtbarkeit

Juni: Unterordnung

Juli: Gerechtigkeit

August: Schweigen

September: Gnade

Danksagungen

Vorwort

Seht die Lilien an – ist das einzige Gebot, das ich jemals befolgt habe.

Emily Dickinson

Ich saß im Friseursalon und schaute mich im Frisierspiegel an: Was um Himmels willen war mit der Frau passiert, die vor genau einem Jahr auf demselben Stuhl gesessen hatte?

Nach 368 Tagen waren meine Haare fast doppelt so lang. Ich hatte sechs Kilo zugenommen, eine leichte Sucht nach ungesäuertem Brot entwickelt und war dreißig geworden. Außerdem hatte ich mich an einen Kleidungsstil aus übergroßen T-Shirts und Folkloreröcken gewöhnt.

Eine hübsche blonde Friseurin fuhr mit ihren Fingern durch mein Monsterhaar. Dabei verfingen sich ihre Nägel ein paar Mal in meinen straßenköterbraunen Zotteln. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie in einem zuckersüßen Ton.

»Also mein letzter Haarschnitt liegt jetzt ungefähr ein Jahr zurück«, sagte ich. »Und wie Sie merken, ist mein Haar zu dick, um es einfach so wachsen zu lassen, ohne … na ja, dass es Folgen hat. Ich möchte also, dass Sie es wieder in Ordnung bringen.«

»Aber warum haben Sie denn ein Jahr lang Ihr Haar nicht schneiden lassen?«, fragte sie.

Warum? Das haben die Leute auch jedes Mal gefragt, wenn ich beim Beten den Kopf bedeckte oder meinen Mann mit »Meister« ansprach. Als ich einen Nachmittag auf dem Dach unseres Hauses verbrachte, ein computergesteuertes Baby adoptierte und während meiner Periode in einem Zelt in unserem Vorgarten kampierte. Genau diese Frage hörte ich auch, als ich eine Meerschweinchenfarm in Bolivien und ein Benediktinerkloster besuchte. Eigentlich bin ich eine ganz und gar moderne Frau, die in Sachen Haushalt nicht unbedingt versiert ist. Vor einem Jahr konnte ich noch nicht einmal einen Knopf annähen! Was bringt jemanden wie mich urpötzlich zum Backen, Stricken und Nähen?

Ahnungslos schaute mich meine Friseurin an. Sollte ich ihr erklären, dass ich meine Haare nicht schneiden lassen habe, weil vor zweitausend Jahren ein jüdischer Zeltmacher einen Brief an seine Freunde in der Stadt Korinth geschrieben hat, in dem er unter anderem erwähnt, dass »lange Haare eine Ehre für die Frau« sind (1. Korinther 11,15)? Nein! Ich entschied mich, ihr die ganze Geschichte zu erzählen. Schließlich konnte ich schlecht wegrennen, nachdem sie mir einen Plastikumhang umgelegt und ungefähr ein Dutzend Schmetterlingsklipps ins Haar geklemmt hatte. Während um uns herum Haartrockner laut brummten und meine »Ehre« büschelweise zu Boden fiel, erzählte ich ihr alles von meinem Jahr, in dem ich »biblisches Frausein« ganz praktisch gelebt hatte:

wie ich versucht hatte, sämtliche Bibelstellen über Frauen zu durchforschen und praktisch in meinem Alltag umzusetzen – vom Alten bis zum Neuen Testament. Wie ich biblische Tugenden leben wollte – von Sanftmut und Sex über Häuslichkeit und Unterordnung bis hin zu Mut und Gerechtigkeit. Und wie ich verschiedene biblische Übertragungen für Frauen praktiziert habe – von Jüdinnen über Nonnen und Amisch bis hin zu konservativen Evangelikalen.

Am Ende dieses Jahres – so dachte ich anfangs – wüsste ich besser, wie »echtes biblisches Frausein« aussieht. Aber wahrscheinlich hätte ich genug von der Bibel und würde gern mal was anderes lesen. Doch ich war überrascht: Je länger ich mit den Texten der Bibel kämpfte, desto mehr lernte ich die Bibel wieder lieben. Und zwar für das, was sie ist, und nicht für das, wie ich sie gerne hätte.

Die Bibel ist ein heiliges Buch, dessen Weisheit meine weit übersteigt und mich aufruft, dem Geschriebenen demütig zu begegnen und mich hinterfragen zu lassen.

• • •

Ich bin in einem evangelikalen Umfeld aufgewachsen. Mein Frauenbild war deshalb vorgeprägt. Als ich das erste Mal Joyce Meyer im Fernsehen predigen hörte, war ich überzeugt, dass sie in die Hölle kommen würde. Ich war damals ungefähr neun Jahre alt, doch ich erinnere mich noch ganz genau daran: Sie hatte einen Kurzhaarschnitt, trug einen roten Hosenanzug und große goldene Ohrringe. Sie ging auf der Bühne hin und her – in der einen Hand das Mikrofon, in der anderen eine Bibel – und sprach mit einer Überzeugungskraft und Dringlichkeit, die ich nie zuvor erlebt hatte. Ihre Selbstsicherheit machte mir Angst. Wie konnte sie nur bei all der Sünde, die sie allein schon durch ihr Auftreten auf sich lud, dermaßen dreist reden? Wie konnte sie davon reden, dass Gott Freude an uns hat, wo doch jeder wusste, dass Frauen nicht das Wort Gottes predigen dürfen? Nach Aussage meiner Sonntagschullehrer war das nämlich eine Aufgabe, die ausschließlich Männern vorbehalten war.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon jede Menge unterschiedlicher Aussagen über die angemessene Rolle der Frau zu Hause, in der Gemeinde und in der Gesellschaft allgemein zu hören bekommen. Jede dieser Aussagen wurde unterstrichen mit der Behauptung, es sei Gottes Wille, dass alle Frauen überall dies oder das täten. In meiner Welt wurden Frauen wie Joyce Meyer für Ketzer gehalten. Denn es sei eine Verletzung von Paulus’ Aussage in 1. Timotheus 2,12, wenn Frauen von der Kanzel predigten. Dort stand doch: »Einer Frau erlaube ich nicht, öffentlich zu lehren oder sich über den Mann zu erheben. Sie soll vielmehr still und zurückhaltend sein.« Gleichzeitig hielten aber dieselben Evangelikalen Altmennoniten für gesetzlich, weil sie in Übereinstimmung mit Paulus’ Anweisung in 1. Korinther 11,5 den Kopf bedeckten. Pastoren sagten Ehefrauen, sie sollten sich ihren Männern unterordnen, weil das der Apostel Petrus in 1. Petrus 3,1 so lehre. Aber niemand verlangte von Frauen, ihre Ehemänner mit »Herr« anzusprechen, wie es nur drei Sätze weiter in 1. Petrus 3,6 steht.

Nach Aussage des christlichen Psychologen James Dobson waren Frauen Männern nicht unterlegen. Sie seien schlicht für andere Aufgaben geschaffen. Die Berufung der Frau liege, so Dobson, in ihrem Zuhause, wo sie Gott und ihrem Mann dienen könne, indem sie für Sauberkeit sorge, sich ums Essen kümmere und – was am allerwichtigsten sei – Babys bekäme.

Mein Mann Dan und ich hatten eine langfristige Übereinkunft: Wir würden erst Kinder bekommen, wenn wir aus eigener Kraft reich würden oder ich meinen 30. Geburtstag überschritten hätte – je nachdem, was als Erstes einträte. Diese Übereinkunft war mir absolut recht. Bis zu meinem 29. Geburtstag am 8. Juni 2010, also vier Monate vor dem Beginn meines Experimentes. Ein paar Tage nach besagtem Geburtstag saß ich auf einem Wohnzimmerfußboden, umgeben von Krabbelkindern, Geschenkpapier, aufgeblasenen Luftballons und erschöpften Müttern. Da fragte ich mich: Könnte dies wirklich mein letztes Jahr in Freiheit sein? Eine weinerliche junge Mutter beschrieb qualvoll detailliert den verdächtigen Windelinhalt ihrer Zweijährigen. Danach tauschte die ganze Gruppe von Müttern Horrorgeschichten über das Elterndasein aus. Plötzlich hörte ich, wie mich jemand in schmeichelnd-verschwörerischem Tonfall fragte: »Na, wann können wir denn bei dir mit Nachwuchs rechnen, Rachel?«

Mittlerweile betrachtete ich die Frage als Kompliment, als eine Art Einladung. Aber nun, da ich steil auf die dreißig zuging, gab es nicht mehr so viele plausible Antworten. Und die Wahrheit – dass ich panische Angst vorm Muttersein habe – war einfach zu peinlich, um sie laut auszusprechen. Ganz kurz ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich vielleicht mit einer Lüge davonkommen würde. Sie wissen schon: Einfach mit den Achseln zucken, ein paar Tränen verdrücken und dann etwas über Gottes Plan sagen, um anzudeuten, dass wir es ja versuchen. Mal ehrlich, wer würde sich dann noch genauer erkundigen? Stattdessen hörte ich mich sagen: »Ich glaube, ich möchte erst noch ein Buch schreiben!« Zu allem Überfluss klang diese Ansage sehr viel selbstgefälliger, als ich es beabsichtigt hatte.

Mein Mann ist ganz sicher nicht derjenige, der in Bezug auf Kinder drängeln würde. Er ist der Typ Mann, dem Effizienz über alles geht. Und nach sieben Jahren Ehe bewegt sich unsere Zwei-Personen-Familie wie eine SWAT-Einheit durch die Welt. Wir kommunizieren überwiegend in Form eines Codes aus Handbewegungen und gehen alles als hoch organisiertes Team an: von der Hausarbeit über Ausflüge bis hin zur Leitung unserer Firmen, die wir von zu Hause aus betreiben. Aufgaben werden schweigend demjenigen zugewiesen, der als Erster Zeit hat, sie zu erledigen. Wir vergeuden kaum Zeit damit, über Arbeits- oder Rollenverteilung zu reden. Wenn es Zeit fürs Abendessen ist, kocht einfach einer von uns. Wenn das Geld zu Ende geht, nimmt einer von uns einen Auftrag an. Wenn der Spülschwamm in der Küche anfängt, wie ein totes Tier zu stinken, entsorgt Dan ihn.

Bei anderen Ehepaaren haben wir miterlebt, was ein paar Windeln und Autokindersitze anrichten können. Also zuckt Dan immer mit den Schultern, wenn ich das Thema »Kinder« anspreche, und meint: »Wir haben’s doch nicht eilig, oder?« Dann stimme ich ihm schnell zu, wechsle das Thema und tue so, als ob das rhythmische Ticken in meinem Körper etwas anderes sei als meine biologische Uhr.

Bei meinen Eltern waren Erwartungen an Frauen, Geschlechterrollen und Hierarchien fast nie ein Thema. Unterordnung war etwas, das meine Mutter ein einziges Mal im Jahr 1976 praktiziert hatte, aber nicht jeden Tag (mehr dazu später). Als Freigeist in einer streng traditionellen Glaubenskultur kam meine Mutter oft völlig überfordert aus der Gemeinde zurück. Wie oft sollte sie für irgendeine Veranstaltung oder eine arme Seele eine Mahlzeit kochen, irgendwelche Kinder hüten oder eine Hochzeitsfeier organisieren? »Die Einzigen, die Spaß an Büfetts von Selbstgemachtem haben, sind Männer«, sagte sie immer. »Die ganze Arbeit bleibt an den Frauen hängen.«

Trotz ihrer Abneigung gegen Aufläufe, Salate und Kuchenbüfetts beklagte sich meine Mutter aber nie über ihre Rolle als Ehefrau und Mutter. Und das, obwohl sie eine Zeit lang ihre Berufstätigkeit als Lehrerin aufgab, um zu Hause zu bleiben und sich um uns zu kümmern, als wir noch klein waren. Klug, mitfühlend und lustig, wie sie war, beschützte sie mich und meine Schwester vor der Gesetzlichkeit, von der wir umgeben waren. Außerdem versicherte sie uns immer wieder, dass wir werden könnten, was wir wollten, auch wenn Leute etwas anderes behaupteten.

Meine Eltern liebten die Bibel. Allerdings schienen sie auch intuitiv zu wissen, dass Regeln, durch die Menschen nur schuldbeladen, erschöpft und verwirrt werden, nicht wirklich von Gott kommen können. Ich glaube, das ist einer der Gründe, weshalb es mir nichts ausmacht, als evangelikale Christin bezeichnet zu werden, obwohl ich nicht mehr davon überzeugt bin, dass jeder, der anders ist als ich, in die Hölle kommt. Der evangelikale Glaubensstil ist so etwas wie die Muttersprache meines Glaubens. Wenn ich wütend oder aufgeregt bin, falle ich in diese Sprache zurück. Und es ist auch meistens die Sprache, in der ich Gottes Stimme höre.

Doch ich reibe mich an manchen evangelikalen Traditionen. Im Laufe der Jahre fand ich mich immer häufiger in Diskussionen über »biblisches Frausein« wieder, besonders weil meine Freundinnen und ich heirateten und selbst Familien gründeten. Viele waren beeinflusst vom evangelikalen Komplementarismus, einer Bewegung, die als Reaktion auf den Feminismus der zweiten Welle begann. Die wohl einflussreichsten Vertreter dieser Sicht sind Edith Schaeffer (Mit Phantasie und Liebe. Von der Kunst, den Alltag zu verschönern, 1971) und Elisabeth Elliot (Als Frau leben, 1976)1. Beiden wurden hoch gelobt als Vorbilder, wie eine Frau ihr Leben als Christin führen sollte.

Immer wieder hörte ich: »Es sind genauso viele Menschen durch Frau Schaeffers Zimtschnecken zum Glauben gekommen wie durch die Predigten ihres Mannes.« Doch hinter diesen charmanten Worten steht eine knallharte Überzeugung, die keinerlei Kompromisse duldet: Die tugendhafte, rechtschaffene Frau dient in erster Linie von zu Hause aus als Ehefrau, die sich ihrem Mann unterordnet, als tüchtige Hausfrau und als liebende Mutter. »Das ist der Platz der Frau«, schreibt Elliot, »und wir müssen alle wissen, wo unser Platz ist, und dort dann auch bleiben. Das Gebot Gottes stellt uns dorthin, wo wir hingehören.«

Das theologische Bollwerk der Komplementarismusbewegung ist der Rat biblischen Mann- und Frauseins (Council of Biblical Manhood und Womanhood – kurz: CBMW). Unter der Leitung des konservativen Pastors John Piper und des Theologen Wayne Grudem brachte das CBMW zwei Grundsatzpapiere heraus, die den Einfluss der Bewegung weit ausdehnten: besonders durch das »Danvers Statement« von 1988. Laut diesem Grundsatzpapier führe die Befürwortung einer feministischen Ideologie unter Christen zu einer »Bedrohung der Autorität der Bibel«. Denn sie »gefährde die Klarheit der Heiligen Schrift«, »schränke den Zugang zu ihr für normale Menschen ein« und verschiebe sie »in den Bereich theoretischer Spitzfindigkeiten«. Alle Frauen, die in der Nachfolge Gottes leben wollen, sollten sich nicht der vorherrschenden Kultur anpassen, sondern ein »biblisches Frausein anstreben«.2

Nun haben wir Evangelikalen ja die unschöne Angewohnheit, mit dem Begriff »biblisch« um uns zu werfen, als wäre es Luthers zweiter Vorname. Besonders gerne stellen wir den Begriff vor andere stark befrachtete Begriffe: Wirtschaftslehre, Sexualität, Politik und Ehe. So wollen wir den Eindruck vermitteln, dass Gott eine eindeutige, ein für alle Mal feststehende Meinung zu diesen Dingen hat. Eine Meinung, die zufällig auch mit unserer eigenen übereinstimmt. Dabei beteuern wir hartnäckig, dass wir nie »herauspicken«, welche Teile der Bibel wir ernst nehmen.

Dennoch ist es so gut wie immer selektiv, wenn man den Begriff biblisch verwendet. Rein theoretisch wäre es nämlich auch biblisch, wenn eine Frau von ihrem Vater verkauft würde (2. Mose 21,7) und sie ihren Vergewaltiger heiraten müsste (5. Mose 22,28-29). Es wäre biblisch, wenn sie in der Gemeinde schweigt (1. Korinther 14,34-35), ihren Kopf bedeckt (1. Korinther 11,6) und eine von mehreren Ehefrauen ihres Mannes ist (2. Mose 21,10).

Deshalb faszinierte mich dieser Begriff »biblisches Frausein« so sehr. Ist es möglich, dass eine Zusammenstellung geistlicher Texte wirklich eine einzige verbindliche Formel dafür bietet, wie man Frausein als Christ lebt? Texte, die eine Vielzahl unterschiedlicher Genres enthalten und im Laufe Tausender von Jahren gesammelt wurden, und zwar in Kulturen, die sich extrem stark von der unseren unterscheiden? Passen alle Frauen der Bibel in dieses eine Muster? Und muss ich ebenfalls hineinpassen?

Ich gehöre zu den Menschen, die die Dinge, welche ihnen auf dieser Welt am meisten Angst machen oder sie am meisten faszinieren, gern beim Namen nennen. Ich stürze mich Hals über Kopf in solche Themen hinein. Deshalb machen mir Small Talk und Stillsitzen so viel Mühe. Und deshalb wachte ich eines Morgens auf mit einer völlig verrückten Idee, die jeden Winkel meines Gehirns in Beschlag nahm: Was, wenn ich es einfach mal ausprobieren würde? Was, wenn ich »biblisches Frausein« einmal wörtlich nähme?

Wie sich herausstellte, gibt es Verlage, die einen sogar noch für solche verrückten Ideen bezahlen! Am 1. Oktober 2010 gelobte ich also, mit Unterstützung von Dan und einem unerschrockenen Team von Verlagsprofis, ein Jahr meines Lebens damit zu verbringen, wahres biblisches Frausein anzustreben. Diese Aufgabe machte es erforderlich, mich mit jeder Stelle in der Bibel zu beschäftigen, in der es um Frauen geht. Ich sollte herausfinden, wie Frauen auf der ganzen Welt diese Bibelstellen auslegen und auf ihr Leben übertragen. Darüber hinaus wollte ich in meinem ganz normalen Alltag so viel wie möglich von dem umsetzen, was die Bibel über das Frausein lehrt – und es manchmal auch bis ins Extrem wörtlich nehmen.

Es würde kein Herauspicken geben: vom Alten bis zum Neuen Testament, vom 1. Buch Mose bis zur Offenbarung, von den Levitischen Gesetzen bis zu den Paulusbriefen! Ein Jahr biblischen Frauseins würde unter anderem bedeuten, vor Sonnenaufgang aufzustehen (Sprüche 31,15); mich meinem Mann unterzuordnen (Kolosser 3,18), mein Haar wachsen zu lassen (1. Korinther 11,5), Dan mit »Meister« anzusprechen (1. Petrus 3,5-6), mich um die Armen zu kümmern (Sprüche 31,15), einen »sanften und stillen Geist« zu entwickeln (1. Petrus 3,4) und während meiner Periode rituell unrein zu sein (3. Mose 15,19-33).

Manche Praktiken würde ich nur einmal durchführen. Andere wollte ich während des gesamten Jahres durchhalten. Jeden Monat würde ich mich auf eine ganz bestimmte Tugend konzentrieren: Sanftmut, Häuslichkeit, Gehorsam, Mut, Schönheit, Anstand und Züchtigkeit, Reinheit, Fruchtbarkeit, Unterordnung, Gerechtigkeit, Stille und Gnade.

Außerdem sollten mir während des gesamten Jahres die »Zehn Gebote biblischen Frauseins« als Wegweiser im Alltag dienen:

I. Du sollst dich in allen Dingen dem Willen deines Ehemannes unterordnen (1. Mose 3,16; 1. Petrus 3,1; Epheser 5,22; 1. Korinther 11,3; Kolosser 3,18).

II. Du sollst deinen häuslichen Pflichten nachkommen (Sprüche 14,1; 31; 1. Timotheus 5,14; Titus 2,4-5).

III. Du sollst Mutter sein (1. Mose 1,28; Psalm 128,3; 1. Timotheus 5,14).

IV. Du sollst einen sanften, stillen Geist haben (1. Petrus 3,3-4; Titus 2,3-5; 1. Timotheus 3,11).

V. Du sollst dich anständig und züchtig kleiden (1. Mose 24,65; 4. Mose 22,5; 1. Timotheus 2,8-10; 1. Petrus 3,3).

VI. Du sollst beim Gebet deinen Kopf bedecken (1. Korinther 11,3-16).

VII. Du sollst dein Haar nicht schneiden (1. Korinther 11,15).

VIII. Du sollst in der Gemeinde nicht lehren (1. Korinther 14, 33-35; 1. Timotheus 2,12).

IX. Du sollst nicht tratschen oder lästern (1. Timotheus 5,13-14).

X. Du sollst keine Autorität über einen Mann haben (1. Timotheus 2,12).

Meine Recherche nahm ich sehr ernst. Ich durchforschte feministische, konservative und liberale Kommentare. Ich suchte jüdische, katholische und protestantische Sichtweisen zu jedem der Themen heraus und sprach mit Frauen, die in ihrem eigenen Leben alte biblische Regeln praktizieren. Von vorn bis hinten durchgekämmte ich die Bibel und beschäftigte mich mit jeder Aussage über Mütter, Töchter, Witwen, Konkubinen, Königinnen, Prophetinnen und Prostituierte.

Schon ein paar Wochen nach Beginn meines Selbstversuches ärgerte ich meine Freundinnen mit wahllosen Fakten über biblisches Frausein. Nehmen wir beispielsweise Sprüche 31. Wie sich herausstellte, können wir uns bei einer Frau für das alte Akrostichon bedanken! Qualvoll detailliert skizziert sie die alltäglichen Tätigkeiten einer tüchtigen Ehefrau und schürt dadurch seit 3000 Jahren Minderwertigkeitskomplexe bei fast jeder Frau der christlich-jüdischen Tradition. Die Frau aus Sprüche 31 steht jeden Tag vor Sonnenaufgang auf, plant jede Mahlzeit, bringt exotische Nahrungsmittel nach Hause, führt ein profitables Unternehmen, kleidet Ehemann und Kinder, investiert in Immobilien, kümmert sich um die Armen, verbringt Stunden am Webstuhl und arbeitet bis spät in die Nacht … König Lemuels Mutter riet ihm, genau danach Ausschau zu halten, wenn er eine Frau sucht. Mich ließ das zu der Überzeugung gelangen, dass König Lemuels Mutter eigentlich gar keine Schwiegertochter haben wollte. Stellen Sie sich ein Achselzucken vor und diesen gewissen Blick bei den Worten: »Eine tüchtige Frau – wer findet sie?«, und Sie wissen, was ich meine.

Doch dann färbte sich das Laub bunt und der erste Tag meines Jahres biblischen Frauseins stand bevor. Auf unerklärliche Weise sprach mich folgender Satz in Sprüche 31,25 an: »Kraft und Würde ist ihr Gewand, und sie lacht des kommenden Tages.« Als ich dann daran dachte, wie absurd es war, dass ausgerechnet jemand wie ich so etwas tat, da konnte ich nur noch lachen über das, was vor mir lag. Und das hatte etwas seltsam Befreiendes.

1 Elisabeth Elliot. Let Me Be a Woman (Tyndale House, 1976, Deutsch: Als Frau leben, 1976)

2 http://www.cbmw.org/Danvers

Oktober: Sanftmut

Nichts für »wilde« Mädchen?

Nicht der äußerliche Schmuck – wie kunstvolle Frisuren, goldene Ketten oder aufwendige Kleidung – soll für euch Frauen wichtig sein. Eure Schönheit soll von innen kommen! Schmückt euch mit Unvergänglichem wie Freundlichkeit und Güte. Das gefällt Gott.

1. Petrus 3,3-4

Diesen Monat:

Einen sanften und stillen Geist entwickeln

(1. Petrus 3,3-4).

Schluss mit Klatsch, Tratsch und Lästern

(1. Timotheus 5,13).

Eine Knigge-Lektion

(Sprüche 11,22).

Kontemplatives Gebet einüben

(Psalm 131).

Ein »Zankschwein« für Benehmen wie die »zänkische Frau« aus den Sprüchen

(Sprüche 21,19; 19,13; 27,15).

Auf dem Dach Buße tun für zänkisches Verhalten

(Sprüche 21,9).

Petrus beschreibt eine gottesfürchtige Frau als eine Frau mit einem »sanften und stillen Geist«. Als ich mit Freundinnen über mein Ziel für den Monat Oktober sprach, nämlich einen sanften und stillen Geist zu entwickeln, da lachten ein paar von ihnen. Gar nicht gemein, sondern auf sympathische, wissende Art und Weise. Das lag zum Teil daran, dass sie mich kannten. Zum Teil aber auch daran, dass viele von uns Gemeindemädels diese Geschichte mit dem »sanften und stillen Geist« schon seit frühester Kindheit eingeimpft bekommen haben. Paulus’ Brief an die Christen in Kleinasien dient oft als Abschreckung: für alle christlichen Mädels, deren lästige Fragen in der Sonntagschule nicht willkommen sind oder deren »wilde Art« ihren Müttern Sorgenfalten auf die Stirn treibt.

»Ich bin gespannt, ob du den sanften und stillen Geist schaffst«, schrieb mir eine meiner Leserinnen. »Ich habe es versucht und bin kläglich gescheitert. Aber wahrscheinlich bin ich einfach zu laut, direkt und eigensinnig, um diesem Bild zu entsprechen.«

Eine andere schrieb: »Es ist traurig, dass so vielen starken, begabten, mutigen Frauen eingeredet wird, sie müssten diese gesamte starke Seite ihrer Persönlichkeit auf Eis legen, weil sie sonst nicht sanft und still genug sind. Ich erlebe Frauen, die ihren kleinen Teil der Welt durchaus zum Besseren verändern könnten. Doch sie verharren in dieser Pose der Sanftmut und tun gar nichts.«

Eine dritte Leserin fügte noch hinzu: »Dieser Vers dudelt ununterbrochen in meinem Kopf, und immer denke ich, ich sei nicht gut genug. Bin ich überhaupt fürs Christsein geschaffen?«

Das konnte ich gut nachempfinden. Mein Mann ist geduldig und zurückhaltend. Ich dagegen scheine schon mit tausend Meinungen geboren worden zu sein – und der Begeisterung, diese Meinungen auch kundzutun. Leidenschaftlich, überzeugend und zu Übertreibungen neigend, kommt mir das Informationszeitalter sehr entgegen. Ich blogge, halte Vorträge, schreibe Bücher und twittere. Und ab und zu fragt mich die Nielsen Company, ein Umfrageinstitut mit Sitz in den Niederlanden, oder ein Journalist sogar nach meiner Meinung zu einer bestimmten Frage.

Auf der Suche nach mehr biblischen Worten über sanftmütige Frauen schaute ich ins Buch der Sprüche: eine Sammlung weiser Worte, die uns einige der geistreichsten Bemerkungen, Witze, Lobeshymnen und Gedichte über Frauen bescheren. Die Beschäftigung mit dem Weiblichen sollte nicht weiter verwundern. Schließlich hatte der Autor, König Salomo, siebenhundert Frauen und dreihundert Konkubinen! Zu den mitwirkenden weiblichen Charakteren in den Sprüchen gehören unter anderem die tugendhafte Frau, die törichte Frau, die tüchtige Hausfrau, die Frau, für die man sich schämen muss, Frau Klugheit und Frau Dummheit. Häufige Auftritte hat darin auch die sogenannte »zänkische Frau«, die offenbar genau das Gegenteil von einem sanften und stillen Geist darstellt:

»Besser in der Wüste wohnen als bei einer zänkischen und zornigen Frau« (Sprüche 21,19).»Ein törichter Sohn ist seines Vaters Herzeleid und eine zänkische Frau wie ein ständig triefendes Dach« (Sprüche 19,13).»Eine zänkische Frau und ein triefendes Dach, wenn’s sehr regnet, lassen sich miteinander vergleichen: wer sie aufhalten will, der will den Wind aufhalten und will Öl mit der Hand fassen« (Sprüche 27,15-16).»Besser im Winkel auf dem Dach wohnen als mit einer zänkischen Frau zusammen in einem Hause« (Sprüche 21,9).

Die zänkische Frau brachte mich auf eine Idee, wie ich vielleicht ein paar von meinen weniger sanftmütigen Angewohnheiten loswerden konnte. Ich beschloss, eine Art Sparschwein einzurichten, in das ich jedes Mal eine Münze stecken musste, wenn ich mich selbst bei einer zänkischen Handlung ertappte. Als zänkisches Verhalten zählte dabei unter anderem auch: Tratschen, Lästern, Nörgeln, Jammern und Klagen, Übertreiben und bissige Bemerkungen. In der Bibel werden bissige Bemerkungen nicht konkret genannt. Aber im Rahmen einer Entscheidung, die ich noch bedauern sollte, fügte ich dieses kleine Laster der Liste als eine Art Dreingabe hinzu. Ich nannte das Ganze mein »Zankschwein«. Außerdem beschloss ich, dass am Monatsende jeder Cent, der in das »Zankschwein« gewandert war, einer Minute entsprach, die ich büßend auf dem Dach verbringen musste. Denn laut dem Buch der Sprüche ähnelt das Leben mit einer zänkischen Frau einem triefenden Dach.

Schon nach den ersten paar Tagen waren in dem »Zankschwein« 26 Cent und ein zerknitterter Notizzettel, auf dem ich die einzelnen Übertretungen notiert hatte:

6.10.10: 1 Cent, bissige Bemerkung darüber, dass Dan offenbar mein erstes Gebot zu Kopf gestiegen ist.

7.10.10: 1 Cent, über das »Zankschwein« gejammert.

7.10.10: 1 Cent, über den Selbstversuch allgemein gejammert.

8.10.10: 5 Cent, über negative Kommentare in meinem Blog geschimpft (vier der fünf Laster waren beteiligt).

8.10.10: 1 Cent, Dan angenörgelt, dass er den Müll rausbringen soll.

9.10.10: 1 Cent – mich darüber beschwert, dass Dan völlig willkürlich auch noch das Fluchen auf meine Lasterliste gesetzt hat.

Allem Anschein nach machen bissige Bemerkungen einen großen Teil meines Humors aus und bin ich eine Person, die viel jammert. Positiv zu bemerken ist aber auch, dass ich anscheinend gar nicht so viel tratsche und lästere – das ist gut, denn das zu unterlassen, verlangt ja auch das neunte Gebot. Klatsch, Tratsch und üble Nachrede werden in der Bibel als überraschend schwerwiegende Übertretung betrachtet. Sie gehören neben Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier, Bosheit, Neid, Mord, Hader, List, Niedertracht und Gotteslästerung zu den Anklagepunkten, die der Apostel Paulus in Römer 1 gegen die sündhafte Menschheit aufführt. In den Sprüchen gibt es an mehreren Stellen die Warnung vor übler Nachrede. Auch in Paulus’ Briefen an Timotheus geht es oft um die Sorge über Klatsch, Tratsch und Gerede unter Frauen in der Urgemeinde von Ephesus. Paulus schreibt besonders über Frauen in Leitungspositionen: »Ebenso sollen die Diakoninnen vorbildlich leben, keine Klatschmäuler sein, sondern besonnen und in allen Dingen zuverlässig« (1. Timotheus 3,11).

Es war im Übrigen die Sünde der üblen Nachrede oder loshon hara (»böses Gerede«), durch die sogar eine der mächtigsten Frauen Israels zu Fall kam: die Prophetin Mirjam, Schwester des Mose und Leiterin der Anbetung des Volkes Israel. Sie wurde von einer Hautkrankheit befallen, etwas Ähnlichem wie Schuppenflechte, nachdem sie gehässige Bemerkungen über Zippora, die Frau ihres Bruders gemacht hatte, die Kuschiterin war (4. Mose 12,1-16). Wie an dieser Geschichte deutlich wird, brauchte man gar nicht zu lügen, um sich des loshon hara schuldig zu machen. Denn es wurden auch wahre Aussagen als böse betrachtet, wenn sie aus Gehässigkeit oder Boshaftigkeit geäußert wurden. Interessanterweise wurde Mirjams Bruder Aaron nicht bestraft, obwohl er beim Lästern mitgemacht hatte.

Laut Talmud bringt loshon hara drei Personen um: diejenige, die redet, diejenige, die das Gesagte hört, und die Person, über die geredet wird. »Umbringen« mag dem modernen Leser vielleicht ein bisschen übertrieben vorkommen. Aber denken Sie nur einmal an all die zerstörten Freundschaften, ruinierten Karrieren und vereitelten Chancen, die durch Lästern und üble Nachrede von Frauen verursacht wurden. Plötzlich scheint diese heftige Sprache durchaus angebracht, nicht wahr? Jedes Mal wenn wir das Klischee bedienen, dass Frauen nicht miteinander auskommen, richten wir Schaden für das Weiterkommen unseres Geschlechts an. Die Komikerin Tina Fey hat das einmal so formuliert: »Sabotage zwischen Mädels ist die drittschlimmste Verhaltensweise von Frauen.«3

Daran musste ich denken, als ich einen Cent in mein »Zankschwein« warf. Gerade hatte ich eine nicht besonders schmeichelhafte Insiderinformation weitergegeben über eine meiner Erzfeindinnen unter den Autorinnen … und dann noch einmal drei Cent dafür, dass ich über die Existenz des »Zankschweins« gejammert hatte. Ich war wild entschlossen, mit meiner »Dachstrafe« unter zwei Stunden zu bleiben. Aber als dann der 1. November auf der 10-Tage-Wettervorhersage auftauchte, da schaute ich nach, ob ich einen Regenschirm brauchen würde.

• • •

Außerdem fing ich an, meinen Kopf beim Gebet zu bedecken, um mein sechstes Gebot (»Du sollst beim Gebet deinen Kopf bedecken«) zu befolgen. Das Gute daran, ein Projekt wie meines im Oktober zu beginnen, ist, dass Kapuzenpullis und -jacken wunderbar als unauffällige Kopfbedeckung dienen können. Man kann 1. Korinther 1,11 bei jeder Mahlzeit und jedem Gottesdienst unauffällig beachten. Die Leute denken sicher, dass einem vielleicht kalt ist, halten einen aber nicht gleich für einen religiösen Freak. Dasselbe gilt für Schals und Mützen.

»Aber sollst du nicht eigentlich ohne Unterlass beten?«, fragte meine Schwester Amanda, die anscheinend sogar noch mit 26 eine ewige Sonntagsschul-Streberin war.

»Ja, vielleicht solltest du einfach den Kopf immer bedeckt halten«, stimmte Dan ein.

»Vielleicht versuche ich das im März beim Thema Anstand«, entgegnete ich.

»Du solltest auch darauf achten, koscher zu essen«, sagten manche Freunde. »Du solltest außerdem ein Kloster besuchen, ein Baby bekommen und dir einen Privat-Rabbi besorgen!« Ich war ziemlich sicher, dass Rabbis nicht für einzelne Projekte gebucht werden konnten, und der Sache mit dem Baby hatte Dan gleich von Anfang an einen Riegel vorgeschoben.

»Wir werden auf keinen Fall als Teil deines Versuches ein Kind bekommen«, sagte er. »Auf gar keinen Fall!«

Aber die lautesten Stimmen kamen von meinem Blog, wo die Leser in Rekordanzahl auf die Ankündigung meines Projektes reagierten.

»Das wird geil!«

»Du bist verrückt.«

»Ich habe einen Knoten im Magen: aus Sorge um dich!«

»Weiter so – mach dich nur lustig über Gottes Wort.«

»Das hat doch A. J. Jacobs schon gemacht.«

»Ich finde, du bist verrückt, aber das sind ja die meisten kreativen Leute.«

Man hätte doch meinen sollen, dass ich nach drei Jahren Blog-Erfahrung eine virtuelle Superkraft entwickelt hätte, zu der unter anderem ein außergewöhnlich dickes Fell gehört. Aber als ich mir jetzt all die Kommentare ansah, da geriet meine Selbstsicherheit dermaßen ins Wanken, dass ich mich seekrank fühlte. Dieser Ansturm von Lob und Kritik löste unglaubliche Selbstzweifel in mir aus. Kurz darauf, es war an einem Dienstagvormittag gegen 10.30 Uhr, fand ich mich heulend unter meiner Bettdecke wieder. Ich jammerte darüber, wie schwer es sei, Autorin zu werden (außer dass wir verrückt sind, haben wir Kreative nämlich auch gern mal unsere Launen …).

Für Selbstmitleid blieb mir allerdings nicht viel Zeit. Die unmittelbarste Auswirkung meines neuen »biblischen Frauseins« brachte nämlich ein entsprechendes Tagesprogramm mit sich: Ich musste erst das Bett machen, bevor ich meine E-Mails checkte. Bevor ich bei Facebook surfte oder mich an mein Schreibprojekt setzte, musste ich Dan Frühstück machen und mit der Wäsche fertig sein. Dieser Versuch, das zweite Gebot einzuhalten (»Du sollst dich deinen häuslichen Pflichten widmen«), erforderte eine erhebliche Verschiebung der gewohnten Prioritäten! Und das verwirrte nicht nur mich, sondern auch meinen Mann. Am ersten Morgen des Projektes wachte Dan auf und roch den Duft von Rührei. Da nahm er diese hocherfreute, aber leicht argwöhnische Haltung an, die Männer haben, wenn sie nicht so genau wissen, ob sie sich freuen sollen oder ob die ganze Sache nur eine Falle ist.

»Danke, Schatz«, sagte er nach seinem zweiten Glas Orangensaft. »Ich kann ja dann den Abwasch machen.«

»Nein, kannst du nicht. Das ist jetzt mein Job«, entgegnete ich.

Zweifelnd sah Dan mich an. »Bist du sicher?«

»Ja. Glaubst du, die Frau aus Sprüche 31 hat ihren Mann den Abwasch machen lassen? Also geh und entspann dich. Ich räume ab.«

Fröhlich wie ein kleiner Junge sprang Dan von seinem Stuhl auf. Und ich stand vor einem Riesenstapel fettiger Teller, die zusammen mit denen vom Vorabend ganz sicher nicht alle in den Geschirrspüler passen würden. In dem Augenblick hatte ich das Gefühl, dass ein Jahr doch sehr, sehr lang sein kann.

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Dans Tagebuch

Ich bin es nicht gewohnt, Rachel daran zu erinnern, etwas zum Mittagessen zu machen, aber gerade eben hatten wir ein Gespräch, das ungefähr so ging:

ICH: Kannst du mir eine Kleinigkeit zum Mittag machen?

RACHEL: Okay. Kannst du das Bild für mein Blog bearbeiten?

ICH: Moment mal. Sagst du mir da etwa gerade, was ich tun soll?

RACHEL (lächelnd): Na ja, du sagst mir ja auch, was ich tun soll.

ICH (lächelnd): Ja, aber ist das denn nicht genau das, wozu du dich bereit erklärt hast?

Danach sagten wir beide eine Weile nichts.

RACHEL: Okay, ich mache dir was zu essen; aber würde es dir etwas ausmachen, wenn ich mir erst noch die Haare föhne? (Sie hatte die nassen Haare in einen Handtuchturban gewickelt, und das schon seit mindestens einer halben Stunde).

ICH (im halb ernsten Tonfall): Also ich weiß ja nicht; verspäteter Gehorsam ist doch eigentlich Ungehorsam, oder?

Rachel stand auf, um mir etwas zu essen zu machen. Wow. Dieses Gespräch oder etwas Ähnliches hätte vor dem Start des Projektes niemals stattgefunden. Uns war beiden klar, dass dieser ganze Dialog mit einem Augenzwinkern stattgefunden hatte. Trotzdem fühlte ich mich nicht gut dabei. Schließlich habe ich Rachel ja nicht geheiratet, weil ich jemanden zum Essenmachen brauche.

Sie hat mir irgendwann erzählt, dass es mit einem »Bad Hair Day« endet, wenn sie ihr Haar zu lange in einem Handtuchturban trocknen lässt … ich werde ihr sagen, dass sie erst ihr Haar föhnen kann.

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Eine schöne Frau ohne Zucht ist wie eine Sau mit einem goldenen Ring durch die Nase.

Sprüche 11,22

Natürlich kam ich zu meinem Benimmkurs zu spät.

Als ich endlich mit meinem kleinen knatternden Auto in der feinen Wohngegend ankam, in der Flora Mainord lebt, war es bereits 17 Uhr. Eigentlich waren wir um 16.30 Uhr verabredet gewesen. Aber nachdem ich von der Schnellstraße abgefahren war, zuckelte ich den Rest des Weges hinter einem Schulbus her. Kurz vorm Ziel bog ich falsch ab und irrte in einem Labyrinth von Straßen herum, deren Namen alle etwas mit Wasser zu tun hatten. Und ich musste ganz dringend aufs Klo!

Es schien Flora nichts auszumachen, dass ich zu spät kam. Flora war eine große Frau mittleren Alters mit dunklem Haar und olivfarbenem Teint. Sie trug ein schwarzes Top, eine schwarze Hose und Kaskaden glitzernden Schmucks um den Hals. Ihr Haus war dekoriert wie ein Palast. Überall standen Kristall- und Porzellangefäße in alten Vitrinen. Rechts vom Entree lag ein sehr förmlich wirkendes Speisezimmer, in dem für ein Fünf-Gänge-Menü gedeckt war. Auf der linken Seite befand sich das Wohnzimmer, von wo aus ich im Hintergrund die Stimme von Maria Carey zu hören glaubte. Ich fragte mich, wo Flora zwischen all den feinen Möbeln, den Seidenkissen und den Familienerbstücken wohl ihren Mann ließ. »Möchten Sie sich vielleicht erst noch ein bisschen frisch machen im Bad oben?«, fragte sie. Oh ja!

Im Internet hatte ich nach einer Benimmtrainerin gesucht. Denn ich dachte, so ein Kurs würde vielleicht meine Ecken und Kanten ein wenig glätten. So könnte ich mich dem sanften stillen Geist, von dem Petrus schreibt, ein bisschen mehr annähern. Aber heutzutage sind zertifizierte Benimmtrainer ungefähr genauso schwer aufzutun wie Privat-Rabbis. Also musste ich eine zweistündige Autofahrt in Kauf nehmen zwecks eines Privat-Benimmkurses zu den Themen: offizielles Essen, angemessenes Verhalten beim Vorstellen, Gesprächstraining, Manieren, Verfassen von Dankeskarten und Einladungen, Erscheinungsbild und Benehmen im Geschäftsleben. Flora wurde sehr empfohlen und hatte einen interessanten Werdegang aufzuweisen: Schönheitskönigin, Wettermoderatorin, Modeberaterin, Unternehmerin, Benimmexpertin.

In dem Bad im ersten Obergeschoss gab es ein schickes Sofa, das mich ein bisschen aus der Bahn warf, genauso wie die Reihe zarter weißer Handtücher, die auf dem Waschbecken lagen. Weil ich nicht so genau wusste, welches davon ich benutzen sollte, wischte ich mir die Hände an meinem Rock ab.

Echt stilvoll, Rachel!

Den Anfang des Kurses machte eine Übersicht über Floras Bibliothek mit Benimmliteratur, zu der unter anderem auch ein paar reizende Erstausgaben von Emily Post sowie einige signierte Ausgaben der Klassiker von Letitia Baldrige gehörten. Ich riss ein paar selbstironische Witze über meine Schusseligkeit. (Das machen meine Mutter und ich nämlich immer, wenn wir nervös sind.) Aber Floras pummelige Bäckchen blieben in einem Lächeln erstarrt, das wie festgetackert wirkte. Immer wieder hielt sie inne, um mich erst ausreden zu lassen und dann ihre Lieblingszeilen aus dem Buch laut vorzulesen: »Das optimale Gespräch muss ein Austausch von Gedanken sein und nicht, wie so viele glauben, die sich am meisten Sorgen über ihre Unzulänglichkeiten machen, eine eloquente Zurschaustellung von Scharfsinn oder Redekunst.«

»Die Eigenschaften einer großen Dame sind immer noch in der Regel der vier S zu finden: Seriosität, Schlichtheit, Sensibilität und Stille.«

Dann begaben wir uns in das Speisezimmer, wo Flora kunstvoll zwei Gedecke arrangiert hatte. Eines mit einer Tischkarte, auf der mein Name stand, und eines mit einer Tischkarte mit ihrem Namen. Ich war insgesamt mit fünf Gabeln, vier Messern, drei Tellern, zwei Löffeln und einer Armada von Gläsern konfrontiert: bestehend aus einem Wasserglas, einer Champagnerflöte, einem Weißweinglas, einem Rotweinglas und einem Sherryglas. Ich hatte ja keine Ahnung, dass reiche Leute so viel Alkohol trinken.

Flora erklärte mir ruhig und gelassen jeden Gegenstand auf dem Tisch und erinnerte mich immer wieder daran, auf meine Haltung zu achten und mein Essen zum Mund zu führen statt umgekehrt.

»Sind Sie jetzt vertraut mit dem kontinentalen Speisestil?«, fragte sie, nachdem sie mir ein Krabbenküchlein als Appetizer gebracht hatte.

»Wahrscheinlich meinen Sie damit etwas anderes als das Frühstück im Hampton Inn, das im Preis enthalten ist, oder?«

Dieses Mal wurde ich mit einem perlenden Lachen belohnt, und schon bald saßen wir bei einem ganz ungezwungenen, netten von Flora selbst zubereiteten Essen.

Besonders gut gefiel mir an Floras Unterrichtsstil, wie sie kleine Anekdoten und historische Details einflocht. So hielt etwa ein Gast bei einem Staatsbankett von Eleanor Roosevelt die Fingerschale irrtümlich für ein Getränk und trank daraus. Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm daraufhin Mrs Roosevelt ebenfalls ihre Fingerschale und trank daraus wie der Gast. Nach Floras Einschätzung ist das der Inbegriff guten Benehmens.

»Es geht gar nicht darum, alles richtig zu machen, sondern um grundsätzlichen menschlichen Anstand. Es geht letztlich darum, den anderen über sich selbst zu stellen.«

Nach einem zweiten Glas Champagner hatte ich außerdem gelernt, wie man sich die Serviette richtig auf den Schoß legt (mit den Kniffen zum Tisch), wie man eine Dankeskarte schreibt (innerhalb einer Woche, nachdem man ein Geschenk bekommen hat) und wie man ein Kompliment annimmt (ohne es mit gespielter Bescheidenheit abzutun). Am Ende des Tages saß ich gerade, hielt Blickkontakt und konnte Komplimente annehmen wie ein Profi.

Aber hatte ich dadurch jetzt einen sanften und stillen Geist bekommen? Der Lastwagenfahrer, der mich auf dem Heimweg beim Überholen schnitt, hätte das wahrscheinlich vehement verneint. Er kostete mich 5 Cent.

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Erlöse mich von geistlicher Furchtsamkeit und vor Ungestüm … Von aller Unachtsamkeit in meinem Verhalten erlöse mich, oh Herr.

Aus Gertrudes vierter geistlicher Übung

Gegen Ende Oktober, als die Berge in meiner Heimatstadt in einem letzten strahlenden Rot aufleuchteten, wurde mir klar, dass mein »Zankschwein« irgendwie nicht richtig funktionierte. Sicher, ein paar schlechte Angewohnheiten war ich losgeworden: Ich jammerte nicht mehr so viel, hörte besser zu, und es gelang mir richtig gut, das Thema zu wechseln, wenn gelästert oder getratscht wurde. Einmal hatte ich es sogar geschafft, einen ganzen Tag lang keinen einzigen Cent ins Schwein stecken zu müssen, aber innerlich war ich nicht ruhiger geworden. Mein Geist blieb rastlos.

Auf meinem Blog sammelten sich weiterhin endlos Kommentare und E-Mails zu meinem Projekt. Schon bald war mir klar: Die auf Reaktionen basierende Kultur von Facebook, Twitter und Co. können jemanden wie mich in eine Ein-Mann-Freak-Show verwandeln. Positive Kritik katapultierte mich in schwindelerregende Höhen, während negative Kommentare eine Abwehrhaltung bewirkten und mich manchmal auch richtig wütend machten. Ich fand es furchtbar, dass Leute, die ich noch nicht einmal kannte, mich dermaßen beeinflussen konnten! Ein einzelner Kommentar von »Anon1« oder »MilwaukeeDad« war in der Lage, mir schlaflose Nächte zu bereiten!

Anhänger des kontemplativen Gebets lehren, dass der Schlüssel zur Gelassenheit darin besteht, einen unbeständigen Geist zu beherrschen. In Sprüche 16,32 heißt es: »Ein Geduldiger ist besser als ein Starker, und wer sich selbst beherrscht, ist besser als einer, der Städte gewinnt.« In unserer immer stärker fragmentierten, unablässig lärmenden Welt erfordert die Suche nach intensivem Leben und Denken konzentrierte Schritte der Selbstkontrolle. Geerdet zu sein heißt, Wurzeln zu entwickeln.

In einem letzten verzweifelten Versuch, doch noch meinen nicht besonders sanften und stillen Geist in den Griff zu bekommen, beschloss ich, endlich etwas zu tun, was ich schon seit Langem vor hatte: Ich wollte mich mit dem kontemplativen Gebet beschäftigen.

Nun ist es in aller Regel so, dass wir Evangelikalen vor allem Mystischen und auch vor der Meditation zurückschrecken. Denn diese Praktiken hören sich zu passiv und zu sehr nach Innenschau an für unser von Aktionismus getriebenes religiöses Empfinden. Doch ich wollte es dennoch mit einem etwas strukturierteren Gebet versuchen. Ein wenig hatte ich bereits über die Lectio Divina recherchiert und über das Gebet der Sammlung, und ich beschloss, genau damit zu beginnen.

Die Lectio Divina oder »göttliche Lesung« hat eigentlich mit Lesen gar nichts zu tun. Es geht dabei viel mehr ums Zuhören. Sich dem Text so anzunähern wie einem Altar und Gott einzuladen, selbst in den Worten des Textes zu sein und sich so zu zeigen. Es gibt dabei unterschiedliche Vorgehensweisen. Aber in der Regel beginnt eine Lectio Divina damit, dass man einen Bibelabschnitt langsam durchliest und sich alle Wörter oder Bilder aufschreibt, die die Seele berühren. Danach folgt eine Phase der stillen Meditation und danach wird derselbe Abschnitt noch einmal gelesen. Dieser Ablauf kann beliebig oft wiederholt werden. Die Methode wird manchmal mit einer Mahlzeit verglichen: Man labt sich an den Worten Gottes, indem man erst einen Bissen nimmt (Lesen), diesen kaut (Meditation), dann schmeckt (Gebet) und ihn schließlich verdaut (Kontemplation). Der Gedanke dahinter ist, jede Feinheit, jedes »Aroma« des Textes »herauszuschmecken« und sich dann daran zu freuen.

Ganz ähnlich hilft auch das Sammlungsgebet dabei, den Geist ruhig werden zu lassen, damit die Wahrheit ihre Wirkung darin hinterlassen kann. Im Sammlungsgebet sucht man sich ein heiliges Wort oder einen Bibelvers aus und konzentriert sich intensiv darauf. Das dient als eine Art Ausgangspunkt, als ein Anker, zu dem man zurückkehren kann, wenn die Meditation durch Ablenkung gestört wird. Das Ziel dieser Übung besteht letztlich darin, über alle Gedanken, Bilder und Wahrnehmungen hinauszugelangen, um einfach in der Realität zur Ruhe zu kommen, die jenseits von Worten liegt. Diese Methode wird schon seit Jahrhunderten von Christen praktiziert, besonders in den orthodoxen Gemeinden im Osten.

Ich beschloss, eine Woche lang jeden Morgen kontemplatives Gebet zu praktizieren und dabei das Wort »Frieden« als das Wort der Sammlung zu verwenden sowie Auszüge aus den Psalmen und den Sprüchen als Lectio Divina. Ich brachte noch ein paar Atemübungen mit ein, die mir halfen, mich zu konzentrieren, und beschloss, jede Sitzung mit einer Meditation von Teresa von Avila abzuschließen, der legendären spanischen Kirchenlehrerin:

Lass dich nicht ängstigen, nichts dich erschrecken.

Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe.

Wer Gott hat, hat alles. Gott allein genügt.

Es heißt, Teresa von Avila habe so lange Phasen der Ekstase gehabt, dass sie sich gelegentlich während der Messe erleichtert habe. Für mich bestand die Herausforderung darin, zwanzig Minuten Gebet durchzuhalten, ohne dabei einzuschlafen oder aufzugeben. Wenn die gesamte Familie von zu Hause aus arbeitet, dann fühlt sich sogar das Schlafzimmer wie ein Arbeitsplatz an. Immer wenn ich gerade angefangen hatte, klingelte das Telefon, der Signalton vom Wäschetrockner ertönte oder Dan klopfte leise an die Tür, um beispielsweise zu sagen, dass er noch eine Zweieinhalb-Kilo-Zuckerpackung für einen Videodreh bräuchte. Aber an den paar wenigen Tagen, an denen mir der erwünschte Rückzug gelang, geschah etwas Starkes, Geheimnisvolles.

Bisher war ich überzeugt, dass es wider meine Natur sei, einen sanften und stillen Geist zu entwickeln. Ich dachte, Milde sei etwas für einen anderen Typ Frau: für den Typ, der sich nicht um Theologie oder Politik kümmert und die Welt nicht verändern will. Aber die Bilder und Worte, die jeden Morgen mein Denken fluteten, waren alles andere als sanftmütig und schwach. Die Meditation erfüllte mich mit einem Gefühl von Sicherheit, Kraft und unnachgiebiger Entschlossenheit.