Mein Leben als Chirurg - Dr. Karl B. Otto - E-Book

Mein Leben als Chirurg E-Book

Dr. Karl B. Otto

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Beschreibung

Ich habe auf meinem langen Lebensweg viele Menschen kennengelernt, von denen ich allerhand lernen konnte. Ich möchte über sie und die medizinische Entwicklung berichten, die mich auf meinem Weg zum chirurgischen Facharzt begleitet haben. Natürlich auch über die Neuerungen, die ich maßgeblich mit aus der Taufe gehoben habe, oder abenteuerliche Operationen im Ausland. Die tägliche Medizinerroutine ist zwar meistens etwas trocken, dennoch gibt es auch lustige und manchmal auch etwas nachdenkliche Episoden im menschlichen und zwischenmenschlichen Bereich, über die es sich lohnt, zu schreiben.

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Dr. Karl B. Otto

Mein Leben als Chirurg

Erinnerungen

Copyright: © 2021 Dr. Karl B. Otto

Lektorat: Erik Kinting – www.buchlektorat.net

Umschlag & Satz: Erik Kinting

Verlag und Druck:

tredition GmbH

Halenreie 40-44

22359 Hamburg

978-3-347-25296-7 (Paperback)

978-3-347-25297-4 (Hardcover)

978-3-347-25298-1 (e-Book)

Die Namen nicht öffentlicher Privatpersonen wurden aus Datenschutzgründen geändert.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Vorwort

Meine Frau schleppte mich eines Tages in ihre Lieblingsboutique in Schnelsen, die 25-jähriges Jubiläum feierte und zu diesem Anlass die aktuelle Herbstkollektion vorstellte. Welch ein Ereignis! Dort traf ich auf ein babylonisches Sprachgewirr aufgeregter Damen, die sich gegenseitig die neuesten Modelle vorführten. Ich suchte mir ein stilles Plätzchen in einer Ecke, aus der ich das Ganze mit gebührendem Abstand beobachten konnte. Mir war schon klar, dass sich in diesem elitären Kreis kein männliches Wesen finden würde, mit dem ich möglicherweise darüber diskutieren könnte, warum Harley immer noch nicht routinemäßig ein ABS einbaut. Wie ich nun so da saß, kam ein junges Mädchen auf mich zu und bot mir einen Prosecco an; sie war wohl die Enkelin der Boutiquebesitzerin. Ich fragte sie, was sie denn sonst so machen würde, worauf sie meinte, sie ginge noch zur Schule, würde aber in diesem Jahr ihre Mittlere Reife ablegen. »Aha«, sagte ich, »und was möchtest du später mal werden?« Nun, sie hatte sich vorher wohl bei ihrer Großmutter erkundigt, wusste von meiner Tätigkeit und erklärte, sie wolle Ärztin werden, so wie ich, oder Mannequin. »Nun, das ist ja eine gute Alternative«, befand ich.

»Weißt du denn ungefähr, wie lange du noch brauchst, bis du soweit bist, wie ich jetzt bin? Ab der Mittleren Reife sind es ja noch drei Jahre bis zum Abitur und dann, wenn du gleich einen Studienplatz bekommst, zwölf Semester Medizinstudium. Danach zwei Jahre Medizinalassistenten-Zeit und etwa sechs Jahre fachchirurgische Ausbildung. Dann zwei Jahre für die zusätzliche unfallchirurgische Qualifikation und noch einmal vier bis fünf Jahre für eine endoprothetische Ausbildung, also für das Erlernen der Fähigkeit, alle großen Gelenke des Körpers mit einer Prothese zu versorgen und sie bei Versagen auch wieder auswechseln zu können. Alles in allem wirst du also noch gut vierundzwanzig Jahre weiterlernen müssen, wenn du diesen Weg einschlagen möchtest.« Sie schaute mich etwas verdutzt an, meinte dann aber doch relativ prompt: »Ich glaube, dann werde ich doch lieber Mannequin.«

In all den Jahren, vom Medizinstudenten bis zum chirurgischen Facharzt, habe ich viele interessante Menschen kennengelernt und lieb gewonnen. Sie haben mich mal länger mal kürzer begleitet und ich habe viel von ihnen gelernt. Sicher möchte ich auch über medizinische Entwicklungen berichten, die ich maßgeblich mit aus der Taufe gehoben habe, oder über abenteuerliche Operationen im Ausland. Aber die schönsten Geschichten schreibt doch das Leben. Die tägliche Medizinerroutine ist zeitweise ja etwas trocken, es gibt jedoch kleine lustige und manchmal auch etwas nachdenkliche Episoden im menschlichen und zwischenmenschlichen Bereich, über die es sich lohnt, zu berichten.

Die Menschwerdung

An unsere Schulzeit haben wir wohl alle unterschiedliche Erinnerungen – gute und schlechte –, meist überwiegen jedoch die guten Ereignisse. Allerdings sind Erlebnisse, wie sie in der Feuerzangenbowle beschrieben werden, wohl eher selten.

Zu den schönen Begebenheiten gehörten für mich unsere Klassenreisen nach Sylt, wo wir in den Dünen, die heute leider alle bewachsen sind, herumturnten. Mit unserem Referendar durften wir das erste Mal in Kampen an den FKK-Strand, den man frech Abessinien nannte.

Zur damaligen Zeit gab es noch keine Discos, sodass die Partys immer zu Hause gefeiert wurden. Wir malten die Glühbirnen mit Wasserfarbe rot und grün an und nahmen die Schallplatten mit unserem ersten Tonbandrekorder auf, damit wir die Platten beim Engtanz nicht immer neu auflegen mussten.

Ganz stressfrei war diese Zeit natürlich auch nicht, zumal meine Versetzung aufgrund meines suboptimalen Einsatzes zeitweilig gefährdet war. Es kam, wie es kommen musste: Ich wiederholte eine Klasse und befand mich somit in guter Gesellschaft mit Bismarck und Einstein. Meine schlechten Noten in Fremdsprachen konnte ich mit guten Zensuren in Musik, Sport, Chemie und Mathematik ausgleichen, sodass dem Abitur dann nichts mehr im Wege stand.

Mitte der Fünfzigerjahre wurde eine neue Bundeswehr aufgebaut und 1958 wurden dann die ersten Wehrpflichtigen eingezogen. Junge Männer, die vor 1937 geboren wurden, waren von der Wehrpflicht befreit. Mein Jahrgang gehörte zum ersten, der dieser Wehrpflicht nachkommen sollte. Ein Jahr zuvor war ich gemustert und aufgrund meiner sportlichen Verfassung als tauglich eins eingestuft worden. Dadurch konnte ich den Wunsch äußern, zur Marine zu kommen.

Nach dem Abitur muss man sich entscheiden, wie man seinen weiteren Lebensweg gestalten wollte. Nun gab es natürlich auch schon in der Unterstufe Mitschüler, die genau wussten, welchen Beruf sie später ergreifen würden. Ich meine natürlich nicht diejenigen, die schon im Kindergarten sagten, sie wollten Kapitän oder Lokomotivführer werden, sondern diejenigen, denen schon früh klar war, dass sie Meeresbiologe, Ingenieur oder Neurochirurg werden würden. Bei mir stand nur fest, dass ich nicht Medizin studieren wollte. Als Kind wurde bei mir eine Blinddarmoperation mit Äthernarkose durchgeführt, die aufgrund des Äthergeruchs einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen hatte. Wie man weiß, können Gerüche ja sehr nachhaltig in der Erinnerung verbleiben. Weil die Berufswahl eine gefühlsmäßige Entscheidung ist, war die Erkenntnis, dass Äther nicht mehr verwendet wurde, dabei also weniger von Bedeutung. Da ich einerseits an vielen Studiengängen interessiert, andererseits aber noch nicht sicher war, beschloss ich also, zunächst meinen Wehrdienst bei der Marine abzuleisten.

Im Frühjahr 1958 bekam ich meinen Einberufungsbescheid und musste mich am 16. April in Ebkeriege bei Wilhelmshaven einfinden. Die Einkleidung erfolgte in der üblichen militärischen Vorgehensweise nach dem Motto: Wie groß? Passt. Da wir die erste Wehrpflichtigen-Crew nach dem Krieg waren, fehlte es natürlich noch an der nötigen Ausrüstung, sodass wir zunächst mit grauen Heeresuniformen eingekleidet wurden.

Begriffe wie Pünktlichkeit, Sauberkeit, Ordnung, Geschwindigkeit und Ausdauer waren mir im Elternhaus, beim Sport und in der Schule leidlich näher gebracht worden – mal mehr, mal weniger, aber immerhin. Dies sollte sich nun ändern, sodass diese Eigenschaften in ihrer Bedeutung neu belegt werden mussten.

Laufen und stillstehen ist ja als Single eine der kleinsten Übung. Soll eine ganze Kompanie dies aber gleichzeitig tun, ist das schon mit einer gewissen Schwierigkeit verbunden. Kommentar des Zugführers: »Das klingt ja, als ob eine Ziege aufs Trommelfell scheißt.«

Nachdem wir laufen, marschieren und grüßen gelernt hatten, nahte der erste Ausgang: Wir mussten um 24 Uhr wieder in der Kaserne sein. Ich fuhr mit meinem Motorrad in die Stadt, um mir einen Film anzusehen. Der endete so früh, dass ich genügend Zeit gehabt hätte, rechtzeitig zurück zu sein. Leider sprang mein Motorrad auf dem Rückweg aber nicht an, sodass ich erst sechs Minuten nach der Ausgangssperre wieder in der Kaserne war. Am nächsten Morgen wurde ich zum Kompaniechef zitiert, der wohl vor den neuen Wehrpflichtigen ein Exempel statuieren wollte. Zur Bestrafung bekam ich eine Ausgangssperre von vier Wochen. Ich hatte jetzt gelernt, dass das akademische Viertel bei der Pünktlichkeit nicht mehr in Anspruch genommen werden konnte.

Auch die Begriffe Ordnung und Sauberkeit mussten neu belegt werden. Wer macht schon sein Bett nach dem Schlafen absolut faltenfrei und wer richtet seine Unterhosen im Spind mit einem Lineal aus? Vor dem Wochenendurlaub wurde am Freitagvormittag überall rein Schiff gemacht. Wir hatten uns redlich Mühe gegeben, die Bude auf Vordermann zu bringen. Der Spieß kam dann zum Stubenappell, blickte sich kurz um und schien zunächst zufrieden zu sein. Dann fuhr er aber mit dem Zeigefinger über den oberen Rand der Tür, bekam einen verzweifelten Blick und pustete in Richtung meines Gesichts gegen seinen Finger und fragte: »Sehen Sie mich noch?«

Als Langstreckenruderer war mir der Begriff Ausdauer schon geläufig, sollte aber nun durch eine neue Erfahrung ergänzt werden. Vorgesehen war ein Langstreckenmarsch in voller Kampfausrüstung – Stahlhelm, Karabiner und 20 Kilo Gepäck. Der Marsch sollte sich über 30 Kilometer erstrecken. Die Besonderheit dieses Tages war allerdings, dass die Temperatur auf über 29 Grad stieg, sodass die Belastung fast unerträglich wurde. Die Kleinsten in unserer Kompanie im vierten Zug fielen nach zehn Kilometern reihenweise mit Hitzschlag um und wurden mit dem Krankenwagen abtransportiert. Wir Langen vorne im ersten Glied kamen zwar etwas besser zurecht, hatten aber auch erhebliche Probleme. Unser mit 1,90 Metern längster Mann drohte zu kollabieren. Er guckte etwas glasig und hatte schon aufgesprungene Lippen. Mein Nebenmann nahm ihm sein Gepäck ab und ich seinen Karabiner, sodass er etwas Erleichterung hatte. Der Marsch wurde dann aufgrund der vielen Ausfälle vorzeitig abgebrochen. Das böse Erwachen zeigte sich dann aber unter der Dusche. Keiner unserer Füße hatte die Exkursion unbeschadet überstanden. Die Glücklichsten hatten nur wenige Blasen, bei den schlimmen Fällen hatte sich die Haut abgelöst, was kleine blutige Rinnsale zum Abfluss der Dusche verursachte. Nun, wir haben es alle überlebt – der eine in der Koje, der andere im Krankenrevier.

Nach einem Vierteljahr nahte das Ende unserer Grundausbildung. Wir hatten gelernt, wie man mit einem Karabiner und einer Pistole schießt und dass man vor langen Märschen die ältesten Socken anziehen sollte, um die Strapazen unbeschadet zu überstehen. Wir waren schnell und konnten in wenigen Sekunden vom Sportdress in den Kampfanzug wechseln. Beim Exerzieren musste die Ziege mit dem Trommelfell nicht mehr herhalten. Wir hatten gelernt, dass Ordnung und Sauberkeit mit normalen zivilen Maßstäben nicht mehr im Einklang standen und wir das akademische Viertel nicht mehr in Anspruch nehmen konnten. Wir waren also im militärischen Sinne fast schon richtige Menschen.

Jetzt stand unsere Verlegung nach Bremerhaven an, wo wir einen technologischen Lehrgang absolvieren sollten. Die Idee dieses Lehrgangs war, dass künftige Seeoffiziere ein Gefühl für technische Belange entwickeln mussten. So haben wir an der Drehbank unsere Zylinder gefertigt, in der Schmiede Kunstwerke hergestellt, U-Eisen auf Zehntelmillimeter gefeilt und Gewinde geschnitten. Im theoretischen Unterricht wurde dann außer den seemännischen Belangen auch Elektrotechnik vermittelt, sodass Kreuz- und Wechselschaltung für uns dann keine Fremdworte mehr waren.

Nach einem weiteren Vierteljahr erfolgte dann die Verlegung nach Kiel an die Tirpitzmole, wo wir unser erstes Bordkommando bekamen. Dort lagen die Schiffe Eider und Trave, auf die wir verteilt wurden. Dieses waren keine Kreuzfahrer, sondern kleine Schiffe von ca. 750 Tonnen, die eher einem kleinen Fischkutter glichen. 16 Kadetten von uns wurden im Vorschiff untergebracht, einem kleinen Raum von ca. 20 Quadratmetern, in dem auf jeder Seite acht Eisenstangen standen, die mit einem Haken versehen waren. Hier wurden zur Nacht unsere Hängematten aufgehängt. Tagsüber wurden diese dann an Backbord und Steuerbord in Backskisten verstaut. Die Bänke und Tische waren an der Decke aufgehängt. An der Rückwand waren 16 Spinde, ca. 30 Zentimeter breit, in denen unsere gesamte Habe untergebracht werden musste. In dieser Unterkunft durften wir das nächste halbe Jahr verbringen.

Nach Erlernen der Grundregeln der Seemannschaft ging es dann zu einer Auslandsfahrt ins Mittelmeer. Da ich, wie viele meiner Gefährten, noch nicht so ganz seefest war, hat mich der Orkan in der Biskaya mit elf Windstärken dann erheblich mitgenommen, doch das war dann im Mittelmeer sehr schnell vergessen. Als Seekadetten wurden wir in den italienischen und spanischen Häfen sehr freundlich aufgenommen. Nach Ende der Seereise erfolgte dann die Verlegung auf die Offiziers. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verließen wir unser Bordkommando. Einerseits traurig das Schiff, das wir inzwischen lieb gewonnen hatten, verlassen zu müssen, andererseits dankbar, nach einem halben Jahr den Hängemattenschlaf gegen ein festes Bett tauschen zu dürfen.

Die Marineschule Mürwick feierte 2010 ihr 100-jähriges Jubiläum und ist ein steinernes Zeugnis deutscher Marinegeschichte. Allerdings wurden wir nicht in diesem altehrwürdigen Gebäude untergebracht, sondern im Trampedachlager, das aus sechs Holzhütten bestand, die nach dem Krieg zur Unterbringung von Flüchtlingen genutzt wurden. Für den Unterricht durften wir die Burg, wie sie liebevoll genannt wurde, aber in Anspruch nehmen. Diese war jetzt unsere Schule, in der wir im nächsten halben Jahr zu Seeoffizieren ausgebildet werden sollten. Vormittags hatten wir Unterricht in den Fächern Seekriegsgeschichte, Ballistik, terrestrische und Astronavigation während nachmittags Formaldienst, praktische Seemannschaft, Segeln, Schießen und V-Boot-Fahren angesagt war.