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Als an einem unbeschwerten Tag unter Freunden plötzlich ein LKW frontal auf sie zuraste, war sie sich sicher: Das war's jetzt. Und trotzdem war nicht Angst ihr überwiegendes Gefühl in diesem Schockmoment, sondern Zufriedenheit. Sie wusste, sie hat in ihrem Leben und mit ihren ganz persönlichen Entscheidungen alles richtig gemacht und hätte nichts daran geändert. Aber wie hat sie es geschafft, ihr Leben so erfüllt und ohne Reue zu führen? Das zeigt Carina Berry, die als Influencerin erreicht hat, wovon so viele träumen, in diesem Buch. Es handelt von Mut, vom Respekt vor sich selbst und von den tausend Chancen, die das Leben jeden Tag bietet.
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Seitenzahl: 195
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Carina Berry:
Mein Leben, meine Regeln
Alle Rechte vorbehalten
© 2023 edition a, Wien
www.edition-a.at
Satz: Bastian Welzer
Cover: Sophia Volpini de Maestre
Lektorat: Sophia Volpini de Maestre
Gesetzt in der Premiera
Gedruckt in Europa
1 2 3 4 5 — 26 25 24 23
ISBN 978-3-99001-651-0
eISBN 978-3-99001-652-7
CARINA BERRY
Was ich in dem Moment lernte, den ich für meinen letzten hielt
DER UNFALL
AUF DER SUCHE NACH ANTWORTEN
UNSCHÖNES ERWACHEN
WER BIST DU?
ALTE GLAUBENSSÄTZE
KARRIEREENTSCHEIDUNGEN
BEZIEHUNGEN
VERMEINTLICHE NIEDERLAGEN
ERFOLG
ES LIEGT AN DIR
WERDE ZUM VORBILD
DEIN LEBEN, DEINE REGELN
Der Tag schien perfekt zu sein. Zwei befreundete Influencer aus Deutschland haben endlich ihren Weg zu mir nach Österreich gefunden, gemeinsam mit meiner Schwester wollten wir einige Tage gemeinsam verbringen, zuerst in Wien, dann in meinem Heimatdorf. Damals war das für mich das Highlight meines Sommers, gemeinsam Content createn, mit erfolgreichen Social-Media-Profis gemeinsam etwas erschaffen, viele Menschen erreichen und dabei einfach eine gute Zeit haben. Ich fühlte mich überglücklich. Nach einer ausgiebigen Partynacht in Wien machten wir uns auf den Weg zum Dunkelsteinerwald, bei meinem Heimatdorf, zum Haus meiner Eltern. Zugegeben, der Dunkelsteinerwald ist, wie der Name vielleicht schon vermuten lässt, keine Influencer-Metropole, kein Szene-Hotspot und auch nicht gerade aufregend. Genau deswegen hatte ich mir etwas Besonderes überlegt, um meinen Freunden eine unvergessliche Zeit in meiner Heimat zu bieten und unseren Followern trotzdem interessanten Content zu liefern. Wir fahren an die Donau, verbringen die Nacht dort unter Sternen, grillen Marshmallows am Lagerfeuer und genießen die Ruhe, für meine Großstadt-Influencer-Friends genau das Richtige, um der Realität für eine Nacht zu entfliehen und online eine einmalige Experience mit unseren Followern teilen zu können. Das Wetter war auf unserer Seite, strahlender Sonnenschein und heiße August-Temperaturen versprachen eine angenehme, trockene und vor allem warme Sommernacht, in der sogar die Möglichkeit für ein Mitternachts-Bad im Mondschein gegeben war.
»Thomas, nimmst du mich auf deinem Motorrad mit?«, wandte ich mich an einen meiner Besucher. »Ich bin in meinem Leben noch auf keinem Motorrad gesessen, das ist mein erstes Mal! Ich will wissen, wie sich das anfühlt.« Angst oder Mistrauen begleiten mich nur selten, vor allem, wenn es um meine eigenen Entscheidungen geht. Zweifel hatte ich also zu diesem Zeitpunkt keine. Dass mir diese unschuldige Frage nach einer Mitfahrgelegenheit trotzdem noch lange im Kopf herumkreisen sollte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Irgendwo war aber trotzdem der Wurm drin. Neben all dem Hype, all der Euphorie und diesem Gefühl von »wir sind die Coolsten«, war die generelle Atmosphäre, die uns vier über die gemeinsamen Tage hin begleitete, im Nachhinein gesehen, vielleicht etwas toxisch. Meine beiden Freunde haben sich immer wieder aufgefordert und bestärkt, bei jedem Blödsinn mitzumachen. Wer ist schneller, lauter, lustiger? Irgendwie ja auch unterhaltsam. Linda, meine Schwester, und ich haben uns wohlgefühlt, wir haben uns treiben und mitziehen lassen. Der Hype der Influencer-Friends schien unausweichlich, immerhin waren wir alle hier, um Content zu produzieren, Spaß zu haben und unsere Follower auf ein kleines Abenteuer an der Donau mitzunehmen.
»Ja, sicher, hau dich rauf!«, antwortete Thomas, ohne mit der Wimper zu zucken. Super, ich fuhr also mit dem Motorrad mit, meine Schwester und mein anderer Freund würden uns mit dem Auto hinterherfahren, Zelt, Campingausrüstung und alles, was das Herz sonst noch so an einer lauen Camping-Nacht begehrt, war im Kofferraum verfrachtet und dem Mini-Adventure stand nichts mehr im Weg.
Gegen 16 Uhr waren wir abfahrtbereit. Wie es sich für waschechte Influencer gehört, musste natürlich auch mein erster Ritt auf der Maschine festgehalten werden. Ich sprang auf das Motorrad, setzte den Helm auf und winkte aufgeregt und voller Vorfreude meiner Schwester zu, die meine Insta-Story für mich filmte. Ich legte meine Hände um Thomas' Bauch und überlegte kurz, wie ich dann später, bei der Donau angekommen, das Video textlich untermalen sollte… »Meine Erste Ausfahrt«, dahinter ein Motorrad-Emoji. »So soll es sein«, dachte ich mir, während ich mich darauf vorbereitete, dass der erste wilde Ritt gleich losgehen sollte. Nervös war ich schon, war ja immerhin mein erstes Mal. Außerdem wurde mir kurz vor Abfahrt plötzlich bewusst, dass wir doch alle etwas übernächtig waren. Die lange Partynacht und das ständige gegenseitige Aufputschen hatten ihre Spuren hinterlassen, zumindest bei mir. »Aber Thomas wird schon wissen, was er macht«, hoffte ich.
Abfahrt. Und schon ging’s los. Der Geruch des Benzins schoss mir sofort in die Nase. Daneben hörte ich das laute Gebrumme, eigentlich ein angenehmer Sinneseindruck, der mich an den Rasenmäher-Traktor meines Vaters erinnerte. Die Geschwindigkeit, die Thomas an den Tag legte, riss mich dann aber doch relativ schnell aus meinen Nostalgie-Gedanken. Zack, lagen wir schon in der ersten Kurve und erst da realisierte ich, welche Kräfte auf uns einwirkten. Nach der ersten Linkskurve folgte erneute Beschleunigung. »Was geschieht hier gerade?«, dachte ich nur, während ich immer mehr das Gefühl hatte, die Kontrolle zu verlieren. Viel Kontrolle hatte ich ohnehin nicht, denn nicht ich, sondern Thomas saß am Steuer, mir blieb also nur das Festhalten, doch selbst das war plötzlich gar nicht mehr so einfach.
Ich wusste nicht mehr, wo oben und wo unten ist. Die Geschwindigkeit war so hoch, dass ich das Gefühl hatte, die G-Kräfte würden von allen Seiten auf mich einwirken. Ich konzentrierte mich nur noch darauf, mich irgendwie an dem Fahrer festzuklammern, mit aller Kraft rammte ich ihm meine Finger in den Bauchraum, drückte meine Arme so fest ich nur konnte um ihn herum zusammen, bis ich plötzlich merkte, was sich eigentlich wirklich abspielte. »Scheiße. Wir fahren auf der falschen Straßenseite«. Er muss wohl nach dem Abbiegen aus der Ausfahrt meiner Eltern auf der falschen Seite geblieben sein. Da ich mit Festklammern beschäftigt war, war mir das in der ersten Instanz gar nicht bewusst gewesen, doch als ich nun bei Sinnen war und merkte, dass wir auf der linken Seite unterwegs waren, realisierte ich erst, wie gefährlich die Situation tatsächlich war. Kurz hatte ich Hoffnung. Die nächste Kurve Richtung Hauptstraße stand bevor und ich war überzeugt davon, dass er nach seiner kurzen »Show-Einlage« wieder auf Kurs, wieder auf die richtige Straßenseite lenken und hoffentlich auch die Geschwindigkeit reduzieren würde. Doch Fehlanzeige.
Mein Gehirn ist ab diesem Zeitpunkt dem Denken nicht mehr hinterhergekommen. Zu viele Eindrücke trafen auf zu viel Geschwindigkeit, zu viel Angst und Panik trafen auf eine Starre, die ich nicht durchbrechen konnte. Denn das wäre der einzige Ausweg gewesen. Aus dieser Starre auszubrechen, etwas zu sagen, zu schreien, ihn irgendwie zu stoppen. »Fahr nicht so schnell! Bist du verrückt? Fahr auf die andere Seite!«, sind Gedanken, die irgendwo in meinem Gehirn herumschwebten, die es aber nie aus meinem Mund herausgeschafft haben. Alles, was ich wahrnehmen konnte, war die unglaubliche Geschwindigkeit, er zog erneut und wir rasten davon. Innerhalb von gerade einmal fünf Sekunden, so lange war die Abfahrt von meinem Elternhaus circa her, waren wir schon aus dem Ort gedüst. Ergo, Landstraße. Die erste Kurve nach dem Verlassen meiner Ortschaft ist eine ziemlich scharfe Linkskurve. Wir hängten in der Kurve und ehe ich mich versah, waren wir erneut auf der linken Straßenseite unterwegs. Wir haben die Kurve extrem geschnitten, waren mit gefühlten 120 km/h unterwegs und befanden uns auf der falschen Straßenseite. »Irgendetwas geht hier gerade gewaltig schief«, meldete zumindest mein Bauchgefühl.
Keine halbe Minute saß ich auf diesem Motorrad, doch es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Ab der ersten Sekunde, in der Thomas Gas gegeben hat, hatte ich Angst. Es war mir zu laut, zu schnell, zu gefährlich. Vor allem aber war es mir zu unsicher, da wir uns auf der falschen Straßenseite bewegt haben. Wir fetzten also gerade aus der Kurve, fuhren auf der linken Seite und plötzlich sah ich zwei große, blaue LKWs schnurstracks auf uns zukommen. Ich weiß, LKWs haben Einheitsgrößen, aber diese beiden Lastenfahrzeuge, die uns auf unserer Spur entgegenkamen, schienen größer, schwerer und gefährlicher zu sein, als jeder Laster, den ich in meinem Leben je gesehen hatte. Ich wusste sofort, wir haben keine Chance. Wir werden es nicht schaffen, noch rechtzeitig auf den anderen Fahrstreifen zu gelangen.
Ich habe aufgehört zu denken, gleichzeitig sind mir tausend Dinge durch den Kopf gegangen.
Es war verrückt, als ich realisiert habe, dass wir wohl oder übel einem Frontalzusammenstoß mit dem ersten der beiden LKWs nicht mehr ausweichen konnten. Ich habe aufgehört zu denken, gleichzeitig gingen mir allerdings tausend Dinge durch den Kopf. Um nach rechts zu fahren war keine Zeit, auf der linken Seite war der Graben, dahinter Maisfelder. In der Mitte die LKWs. Ich war in diesem Moment überzeugt davon, dass ich sterben werde. Wir rasten mit vollem Karacho frontal auf diesen LKW zu, es gab scheinbar keinen Ausweg mehr und mir wurde von Bruchteil einer Sekunde zu Bruchteil einer Sekunde immer mehr bewusst, dass dies wohl die letzten Augenblicke meines Lebens waren. Die Todesangst, der ich nun plötzlich zwangsläufig ausgesetzt war, fühlte sich allerdings anders an, als ich erwartet hatte.
Im Leben wirst du immer wieder Schlüsselmomente erleben. Manche davon werden dir erst später bewusst, manchmal bemerkst du erst nach Wochen, Monaten, sogar Jahren, dass dieser eine Moment ein viel stärkeres Gewicht hatte, als erst von dir angenommen. Manchmal weißt du allerdings auch sofort, dass sich dein Leben, deine Ansichten und deine Einstellung nach diesem einen Moment für immer verändern werden. Und so war es bei mir in diesem einen, kleinen, unfassbar kurzen und doch so langsam vergehenden Moment, als ich dachte, ich muss sterben. Die Panik, die ich die letzten Sekunden über auf dem Rücksitz des Motorrads verspürte, war weg.
Wenn ich mir den Tod vorgestellt hatte, habe ich immer an die Geister gedacht, die sich neben mir aufbauen werden. Die Geister meiner versteckten Talente, meiner unerfüllten Träume und die meiner Wünsche. Die Geister, die wir zum Leben erwecken hätten können, während wir noch die Chance dazu hatten. Die Geister, die aber mit uns sterben, wenn unsere Zeit gekommen ist. Wie viele Geister würden neben dir an deinem Todesbett stehen? Zu meinem Erstaunen, war es in meinem Fall kein einziger. In dem Moment, als ich aus tiefster Überzeugung daran geglaubt habe, nun zu sterben, habe ich unfassbare Ruhe empfunden. Ich sah keine Geister ungelebter Träume, ich sah mein Leben nicht in Episoden oder Bildern an mit vorbeiziehen, nein, ich habe lediglich gewusst, dass ich in meinem Leben bis zu diesem Tag alles richtig gemacht habe. Es klingt vielleicht verrückt, aber diese innere Gelassenheit und die Realisation, dass ich mein Leben genauso gelebt hatte, wie ich das für richtig empfunden hatte, erfüllte mich. In diesem einen Moment, kurz vor meinem voraussichtlichen Tod, gab es keine »ich wünschte ich hätte das noch gemacht«-Gedanken, keine Reue, und keine unerfüllten Träume. »Wenn ich jetzt sterbe, dann will es so sein und das ist okay«, ich wusste, ich hatte alles richtig gemacht, auch wenn es nicht immer einfach war.
Diese innere Zufriedenheit, zu wissen, alles richtig gemacht zu haben, rüttelte mich noch einmal wach. Wir kamen dem LKW immer näher, ich wusste, ich muss handeln. So zufrieden ich auch anscheinend bis dato mit meinem Leben und meinen Entscheidungen gewesen zu sein schien und so akzeptabel sich in diesem Moment selbst der Tod anfühlte, so wollte ich trotzdem leben, weitermachen und noch viele weitere Jahre so verbringen, wie ich es schon seit langer Zeit tat. Ich hatte zwei Möglichkeiten zur Auswahl:
A. Ich bleibe sitzen. Überlasse dem Fahrer die Kontrolle, die Macht über mein Leben und hoffe darauf, dass er sich noch irgendwie vorbeischlängelt, akzeptiere aber auch die eher zutreffende Wahrscheinlichkeit, dass wir in wenigen Momenten frontal in den Lastwagen krachen.
B. Ich nehme mein Leben selbst in die Hand. Dem Fahrer kann ich nicht mehr vertrauen, sonst wäre ich erst gar nicht in diese Lage geraten. Entweder ich überlebe irgendwie oder ich sterbe. Aber ich weiß zumindest, dass ich alles versucht habe und mein Leben, wie so oft, selbst in die Hand genommen habe.
Du kannst dir wahrscheinlich schon denken, für welche Variante ich mich entschieden habe. B. Ob es im Nachhinein gesehen die intelligenteste, die »beste« oder die für mich vorteilhafteste Entscheidung war, weiß ich nicht. Ich bin aber überzeugt davon, dass es die Richtige war, denn sie war meine.
Viel Zeit zum Nachdenken gab es, auch wenn sich diese Sekunden wie Stunden anfühlten, nicht. Ich folgte nur noch meinem Instinkt, wie ein Reflex machte sich mein Körper für den Absprung bereit, andere Möglichkeiten gab es für mich in diesem Moment nicht. Ich habe meine Beine gestreckt, mich vom Motorrad hochgedrückt und bin seitlich abgesprungen. Wobei es nicht unbedingt ein Sprung, sondern eher ein Schleudern war. Die Geschwindigkeit, mit der wir unterwegs waren, verlangte nach keinen großen Sprüngen mehr, denn die Kräfte die im Spiel waren, haben mich so oder so, von der Maschine katapultiert.
Das Motorrad war weg, ich war in der Luft und mein Gehirn setzte aus. Egal, was aber nach dem Aufprall passieren sollte, ich wusste, ich habe in meinem Leben alles richtig gemacht.
Plötzlich war ich wieder da. Ich war wach. Meinen Körper spürte ich nicht, in diesem Moment wohl auch besser so, und als ich um mich blickte, sah ich nur Maisfelder, viel Kies, einige Pfosten und die zwei LKWs am Straßenrand. »Thomas, Thomas!«, mehr konnte ich in diesem Moment nicht von mir geben. Ich wusste weder, wo er ist, noch ob er am Leben ist oder wie es ihm geht. Mit aller Kraft schrie ich, bis ich plötzlich das erlösende »Carina!«, vermerkte. Puh, er war am Leben, ich war am Leben, ich verspürte keinen Schmerz. Für einen Moment war alles gut. Die bierbäuchigen Fernfahrer, die sichtlich schockiert waren und mittlerweile aus ihren Trucks ausgestiegen waren, telefonierten hektisch. Ich vernahm, dass sie nach uns gesehen und die Rettung gerufen haben, gesprochen habe ich allerdings nicht mit ihnen. Noch immer benebelt, habe ich mich weiter umgesehen. Ich nahm Thomas' Schreie, die telefonierenden LKW-Fahrer und sogar meine Schwester wahr, die gerade mit dem Auto an der Unfallstelle ankam. Noch bevor sie es zu mir schaffte, blickte ich hinunter zu meinen Füßen. Was zuerst wie eine Illusion, wie ein falscher Film, wie ein Traum wirkte, brannte sich nun immer klarer in meine Wahrnehmung. Hätte ich in diesem Moment Schmerzen verspürt, wäre ich vermutlich in Ohnmacht gefallen. Meine Füße waren komplett verdreht, nicht mehr am Knochen haltend. Beide in die entgegengesetzte Richtung schauend, wie in einem Horrorfilm. Dellen, Verdrehungen, Brüche: Meine Füße und Beine befanden sich einem Zustand weit entfernt von Normalität. In diesem Moment wurde mir erst bewusst, wie heftig mein Aufprall gewesen sein musste, dass ich wohl mit meinen Beinen voraus gelandet bin und womöglich nie wieder gehen würde können. Adrenalin und der körpereigene Schutzmechanismus haben mir zumindest das Wahrnehmen der höllischen Schmerzen erspart, die nach Verletzungen dieser Art unvorstellbar sind. Bevor ich weinen, reagieren oder die Geschehnisse einordnen konnte, stand meine Schwester vor mir, etwa dreißig Sekunden nach Aufprall.
»Carina, oh Gott! Carina, oh Gott!«, mehr hörte ich nicht von ihr. Als sie meine Beine sah, legte sich allerdings ein Schalter bei ihr um. Sie wollte mich schützen, hat sich über mich gebeugt und angefangen, wie ein Wasserfall beruhigend auf mich einzureden. Das kann sie gut, auch heute noch. Kurz darauf trafen auch meine Eltern ein, zu meinem Leidwesen auch mein kleiner Bruder, der mich nie so hätte sehen sollen. Schwach, verletzlich und gebrochen, aber auch das gehört zum Leben.
Wenige Momente später war auch schon die Rettung da. Alles passierte ziemlich schnell und ich vernahm viele Eindrücke und Emotionen, obwohl ich meine eigene Gefühlslage noch nicht ganz einordnen konnte. Trotz des heftigen Aufpralls war ich, meines Erachtens zumindest, ziemlich klar im Kopf. Als die Sanitäter mich nach meinen Daten fragten, ratterte ich meine Sozialversicherungs- und meine Handynummer runter, als wäre nichts passiert. Und plötzlich wurde alles ganz lustig. Das Beruhigungsmittel, das sie mir gespritzt haben, hat seinen Nutzen auf jeden Fall erfüllt. Ich war happy, habe gelacht und war ganz aufgeregt. Die orangene Vakuum-Trage, in die sie mich verfrachtet haben, um sicher zu gehen, keine inneren Verletzungen zu verstärken und die Wirbelsäule zu schützen, fand ich in diesem Moment besonders amüsant. »So knallig, so schön, so lustig«, sind Gedanken, an die ich mich noch heute klar erinnern kann. Trotz meines Highs habe ich die Geräuschkulisse, die sich durch den annähernden Hubschrauber entwickelt hat, richtig gedeutet. »Der Hubschrauber ist da. Alles wird gut«, gab mir meine Mama mit auf den Weg, bevor ich verfrachtet und ins Universitätsklinikum Krems eingeliefert wurde. »Alles wird gut, Carina…«
Meine Mutter sollte, wie es oft bei Müttern ist, recht behalten. Es wurde tatsächlich wieder alles »gut«, auch wenn der Weg dorthin kein leichter war, aber dazu später. Die Reha war hart, die Zeit im Rollstuhl war für mich, aber auch für mein Umfeld, herausfordernd und trotzdem weiß ich heute, dass dieser Unfall mich im Nachhinein gesehen mehr gestärkt als geschwächt hat. Denn auch wenn ich unzählige Verletzungen hatte, dem Tod direkt ins Auge geblickt habe und monatelang leiden musste, um wieder auf die Beine zu kommen, so bin ich um eine Erkenntnis reicher geworden: Ich habe in meinem Leben alles richtig gemacht. Ich bin bereit zu sterben, wenn es denn sein muss, ohne Reue, ohne »ich wünschte, ich hätte«-Gedanken und ohne auch nur eine einzige Entscheidung je anders getroffen zu haben. Aber wieso? Ich weiß, ich mag mein Leben, aber die Überzeugung, dass ich für mich den richtigen Weg eingeschlagen habe, die kam erst nach oder während des Unfalls zum Vorschein. Genau verstehen konnte ich das aber nicht, weshalb ich versuchte, die Puzzlesteine zusammenzusetzen und in meiner Vergangenheit mit dem Grübeln und Hinterfragen anzufangen und nach Antworten zu suchen. Denn eines wusste ich: Was auch immer es war, das mich so zufrieden und glücklich machte, was immer mich mein Leben lang getrieben hat, Entscheidungen so zu treffen, wie ich sie heute treffe, ich möchte es bewahren. Ich möchte auch die nächsten vierzig Jahre genauso auf mein Leben zurückblicken und wissen, ich habe für mich alles richtig gemacht.
Du wirst später noch verstehen, warum es so wichtig ist zu wissen, WER du bist, wenn es um die richtigen Entscheidungen und die eigene Lebensgestaltung geht. Um herauszufinden, was ich also richtig gemacht habe, um zu erkennen, WIE ich meine Entscheidungen getroffen habe und was mich eventuell von anderen Menschen abhebt, will ich gemeinsam mit dir meine Person, meine Vergangenheit und prägende Erfahrungen skizzieren. Denk vielleicht auch über deine Vergangenheit, deine Wege, die du bereits eingeschlagen hast, und Schlüsselmomente in deinem Leben nach. Vielleicht ist das ein guter Anfang, um auch deinen Stärken und Schwächen auf den Grund zu gehen und zu erkennen, was du vielleicht anders machen kannst oder was du bereits in der Vergangenheit richtig gemacht hast.
Ich bin die Älteste von drei Geschwistern. Meine Eltern haben uns immer supported und meine Geschwister Julian, Linda und ich hatten immer schon ein gutes Verhältnis. Auch die Natur hat mich immer umgeben. So wie damals, bin ich heute tief im Herzen ein Landei. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in der Nähe von St. Pölten in Niederösterreich, war mir Natur, Wald und Wiese immer näher als Hochhäuser und Großstadtstress. Was mir sofort in den Kopf geschossen ist, als ich nach dem Unfall zum ersten Mal intensiv über mein Leben und meine Vergangenheit nachgedacht habe, ist, dass mich meine Eltern schon als kleines Kind immer haben machen lassen. Sie haben meine Kreativität gefördert, mich diese ausleben lassen und haben nie versucht mich einzubremsen.
Ich war schon immer sehr eigensinnig. Wollte ich etwas, dann habe ich es irgendwie bekommen oder war kreativ genug, meinen Willen durchzusetzen. Bereits in jungen Jahren habe ich meine eigenen Projekte auf die Beine gestellt. Beim Vierziger meiner Mutter habe ich den Gästen Steine verkauft, die ich zuvor bemalt hatte. Zugegeben waren das keine künstlerischen Meisterwerke, aber die Steine haben sich gut verkauft. Die lagen einfach zur freien Entnahme im Garten, an der Donau oder am Straßenrand herum. Warum also nicht Geld daraus machen?
Ähnlich war es mit den Kriecherln. Die Pflaumenähnlichen Früchte sind in unserem Garten wie verrückt gewachsen. Wir hatten so viele Obstbäume, dass wir selbst mit Mamas Marmeladen, Säften, Kuchen und Strudeln nie alles aufbrauchen konnten. Mein junger Geschäftsgeist wusste, was zu tun ist und so stellte ich mich mit einem Kübel voller Kriecherln an den Straßenrand und verkaufte die überschüssigen Früchte. Ich war schon immer eine Business-Frau und ich wollte schon immer meinen Willen durchsetzen. Hatte ich eine Idee, dann folgte prompt die Umsetzung. Ein Highlight meiner frühzeitigen Projekte war zudem der Zirkus. Eines Nachmittags trommelte ich alle Kinder aus meinem Dorf zusammen und jeder sollte sich einen verrückten Act überlegen, den er dann vorträgt. Der Nachbarsjunge ist mit dem Einrad gefahren, eine Freundin präsentierte eine Hundeshow, jeder hatte sich etwas überlegt und zur Krönung wurden dann alle Dorfbewohner, Eltern, Bekannte, jeder der Lust hatte, zu uns in den Garten eingeladen, um das Spektakel zu bewundern. Egal, welche verrückte Idee wir umgesetzt haben, was für Späße, Geschäftsideen oder Spiele wir uns überlegt hatten, das meiste ist auf meinen Mist gewachsen.
Meine Eltern haben mich, meistens, machen lassen. Ich bin ihnen sehr dankbar dafür, denn sonst wäre ich heute nicht die Person, die ich bin. Natürlich haben sie manchmal die Reißleine gezogen. Dass ich ihnen oft richtig auf die Nerven gegangen bin, ist mir auch bewusst, aber ihre lockere Art und die Freiheit, die sie mir bei der Umsetzung meiner Projekte und meiner Kreativität entgegengebracht haben, haben mich wohl auch bei der gnadenlosen Verwirklichung meiner Träume und Ziele bestärkt.
Egal wofür ich brenne, ich will und gebe immer 110 Prozent. Auch schon als Kind. Sprachen haben mich zum Beispiel immer fasziniert. Waren wir in Frankreich, hat mir meine Mutter französische Bücher vorgelesen. In Spanien gabs zum Einschlafen spanische Hörbücher und im Italien-Urlaub dröhnten aus unserem Autoradio keine geringeren als Eros Ramazotti, Umberto Tozzi und Adriano Celentano. Schon damals wusste ich, irgendwann will ich nicht nur zwei, nicht drei, auch nicht fünf, sondern zehn Sprachen beherrschen. Drei Sprachen kann jeder, also »dream big«, dachte ich mir. Zehn unter dreißig, das war mein Traum. Mittlerweile bin ich frisch dreißig, beherrsche zumindest neun. Zählt man Österreichisch dazu, was eine eigene Sprachkunst für sich ist, sind es tatsächlich zehn. Groß zu träumen, konkrete Ziele zu haben und immer über den Horizont hinaus zu denken und zu probieren sind sicherlich Eigenschaften, die mir in meinem weiteren Leben geholfen haben. Natürlich fällt auch der größte Träumer oft auf die Schnauze, ich weiß wovon ich spreche, habe ich nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch tatsächlich schon einige mehr oder weniger dramatische Bruchlandungen hingelegt. Aber auch das gehört dazu, öffnet dir die Augen und macht dich stärker.
Bist du schon einmal vor einem »Nein« gestanden? Haben dir Menschen gesagt, du kannst, darfst oder sollst gewisse Dinge nicht tun, weil sie nicht ins System passen? Hast du dich davon abbringen lassen? Ich bin mir sicher, dass viele Menschen vor einem »Nein« zurückschrecken, sich dem »Nein« beugen und auf Meinungen anderer statt den eigenen Willen vertrauen.
Wenn ich meine Lebensgeschichte so durchgehe, fällt mir auf, dass ich oft mit einem »Nein«, einem »das geht nicht« oder einem »du bist verrückt« konfrontiert wurde. Was ich auch merke, ist dass ich früher, wie heute, ein Nein nicht so einfach akzeptiere. Die gnadenlose Willensdurchsetzerin bin ich noch immer, damals wie heute. Gerade in Teenager-Jahren war das besonders interessant. Rebelliert habe ich nicht, aber mein Durchsetzungsvermögen ist immer stärker geworden. »Ich will ein Auslandjahr