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Michail Chodorkowski

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Beschreibung

Putins Gefangener: Michail Chodorkowski erzählt sein Leben

Während seiner zehnjährigen Gefangenschaft war Michail Chodorkowski der bekannteste Häftling Russlands. In diesem Buch, das 2011 in der Haft entstand und kapitelweise herausgeschmuggelt wurde, erzählt Chodorkowski erstmals ausführlich und offen von seiner Kindheit und Jugend, seinem Aufstieg zu einem der reichsten Ölunternehmer Russlands und von seinen Überzeugungen, die ihn zum Gegner Wladimir Putins werden ließen.

Wir erleben einen Mann, der sich nicht leicht in eine Schublade stecken lässt, der sich mutig für eine offene Gesellschaft engagiert in einem Staat, in dem Regimekritiker gefährlich leben, und der sich auch in der Haft noch unbeugsam zeigt. Die russische Journalistin Natalija Geworkjan ergänzt die Aufzeichnungen Chodorkowskis um Kapitel, die die Hintergründe weiter ausleuchten.

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MICHAIL CHODORKOWSKI

MIT NATALIJA GEWORKJAN

Mein Weg

Ein politisches Bekenntnis

Aus dem Russischen von Steffen Beilich

Deutsche Verlags-Anstalt

1. Auflage

© 2012 by MBK IP Limited

© 2012 by Natalija Geworkjan

Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe

Deutsche Verlags-Anstalt, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Olga Radetzkaja, Berlin

Typografie und Satz: Brigitte Müller/DVA

Gesetzt aus der Giovanni

ISBN 978-3-641-06098-5

www.dva.de

Inhalt

Vorwort Michail Chodorkowski

Anstelle eines Vorworts Natalija Geworkjan

EINFÜHRUNGNatalija Geworkjan

Ein russischer Kafka

KAPITEL 1 Michail Chodorkowski

»Borissytsch« – ein Fremder, der doch Respekt verdient

KAPITEL 2Natalija Geworkjan

Der Angriff

KAPITEL 3Michail Chodorkowski

Ich wollte der Beste sein

KAPITEL 4Natalija Geworkjan

»Furchtbar jung!«

KAPITEL 5Michail Chodorkowski

Politik

KAPITEL 6Natalija Geworkjan

Die goldene Zeit der Laienbankiers

KAPITEL 7Michail Chodorkowski

Rosprom und Yukos

KAPITEL 8Natalija Geworkjan

Vor dem Öl

KAPITEL 9Michail Chodorkowski

Verantwortung

KAPITEL 10 Natalija Geworkjan

Yukos

KAPITEL 11Michail Chodorkowski

1998

KAPITEL 12Natalija Geworkjan

Nach Jelzin

KAPITEL 13 Michail Chodorkowski

Unter Putin

KAPITEL 14 Natalija Geworkjan

Richtungswechsel

KAPITEL 15Michail Chodorkowski

Über Russlands Zukunft

Anstelle eines Nachworts Michail Chodorkowski

Namenregister

MICHAIL CHODORKOWSKI

Vorwort

Als mir 2004, nach knapp einem Jahr in der Gefängniszelle, zum ersten Mal angetragen wurde, meine Memoiren oder wenigstens eine ausführliche Selbstauskunft zu verfassen, lehnte ich nach kurzer Überlegung ab. In meinen Augen sind Memoiren vor allem eine Art Bilanz des eigenen Lebensweges, und das bedeutet unweigerlich, dass man sein Innerstes, das, was man sein Leben lang in sich trägt, offenlegt – vorausgesetzt, man ist ehrlich mit sich selbst. Damals schien mir der Zeitpunkt dafür noch nicht gekommen.

Die Welle von Verhaftungen von Yukos-Mitarbeitern, die erzwungene Ausreise meiner Geschäftspartner und vieler mir nahestehender Freunde aus Russland, die enormen Steuerforderungen, die letztlich die erzwungene Pleite und Zerschlagung des Unternehmens zur Folge hatten – all das war noch zu »heiß«, und ich hatte das Gefühl, meine Offenheit könnte diejenigen gefährden, die noch in Freiheit waren. Und was ich am wenigsten mag, ist, meine Pflichten zu verletzen – auch wenn es in diesem Fall keine konkreten Verpflichtungen gab, den Inhalt von Gesprächen, Unterredungen etc. geheim zu halten.

Nachdem ich in die praktische Politik eingetaucht war, stellte ich mit einem vielleicht etwas naiven Erstaunen fest, dass Moral hier wirklich keinen Platz hat, dass selbst elementarer Anstand nichts gilt, und dass Verrat und Lüge ganz einfach die gängigen Verhaltensweisen sind. In der Politik wird ununterbrochen gelogen, mit und ohne Grund, es wird gelogen, weil es »so sein muss«, und je weiter oben in der Machtpyramide jemand steht, desto tiefer reißt ihn dieser Strudel der Lüge hinab.

Auch jetzt, im neunten Jahr meiner Haft, fällt mir hier im Straflager in Karelien, während ich im Fernsehen den Ablauf der sogenannten »Wahlen« verfolge, unweigerlich auf, wie da eine Art Teufelskreis der Lüge entsteht, der »Lüge im Quadrat« oder sogar »im Kubik«, deren simple Winkelzüge auch ein Häftling ohne Zugang zum Internet erkennt. Die Abgeordneten der Staatsduma lauschen mit verständigem Blick den Ausführungen der Staatsführung zur Korruption. Dabei wissen sie nur zu gut, dass die Korruption längst sämtliche Bereiche unseres Lebens durchdringt und dass sich durch bloße Worte, und sei es der höchsten »Entscheidungsträger«, nichts ändern wird, solange es nicht zu einem Regimewechsel kommt und sich kein anderes Regierungssystem in Russland etabliert. Auch der Redner auf der großen Tribüne der Staatsduma weiß bestens über die Korruption Bescheid; ihm ist außerdem klar, dass die Abgeordneten ihm nicht glauben, sondern nur einen »verständigen Gesichtsausdruck« aufsetzen. Der Fernsehzuschauer, der diese neuerliche Lügenspirale verfolgt, erträgt das alles nicht mehr und schaltet, wann immer es geht, auf TV-Serien um. Aber das Schlimmste ist, dass sowohl dem »Korruptionsbekämpfer« am Rednerpult als auch den Duma-Abgeordneten ebenso wie der gesamten Regierung nur allzu klar ist, dass der Fernsehzuschauer ihnen nicht glaubt und die Bevölkerung das alles nicht mehr sehen will. An die Effizienz einer solchen »Korruptionsbekämpfung« glaubt niemand mehr, aber alle reden sich ein, die Lüge sei ein integraler Bestandteil der Politik, und anders gehe es nun einmal nicht.

Für mich war es in meinem früheren Leben als Unternehmer unmöglich zu lügen: Entgegen den vielen Gerüchten über meine angebliche »Unfähigkeit zu verhandeln« (und das ist einer der Lieblingsmythen des Kreml) wussten alle, mit denen ich in den Jahren meines Unternehmerdaseins direkt zu tun hatte, dass ich kein einfacher Verhandlungspartner war und sehr zäh sein konnte. Aber niemals – niemals! – habe ich Verpflichtungen, die ich übernommen hatte, nicht erfüllt. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie man unternehmerisch tätig sein kann, wenn man Vereinbarungen nicht einhält – schließlich kommt man dann entweder aus den Prozessen nicht mehr heraus, oder man stirbt keines natürlichen Todes … Das »Eintauchen« in die Politik hat mich jedenfalls erschüttert: Worte und Verpflichtungen kamen den Politikern leicht über die Lippen, ebenso leicht wurden sie auch wieder gebrochen.

Und obwohl ich, wie schon erwähnt, niemandem gegenüber konkret verpflichtet war, Vereinbarungen und anderes geheim zu halten, bin ich heute nach wie vor überzeugt, dass ich, ehe ich von jemand anderem berichte als mir selbst (und ohne das geht es in Memoiren nun einmal nicht), ihn zuvor fragen muss, ob es ihm recht ist, dass sein Handeln öffentlich wird, oder ob es dafür noch zu früh ist.

Der zweite Grund, warum ich 2004 noch nicht bereit war, meine Memoiren zu verfassen, hatte damit zu tun, dass ich, kurz nachdem ich ins Gefängnis gekommen war, zu schreiben begonnen hatte. Am Anfang war das sehr schwer. Artikel sind keine Interviews – hier will jeder Satz gut bedacht sein. Angesichts meiner besonderen Lage war mir klar, dass meine Texte nicht nur von meinen Freunden gelesen würden – und alle anderen würden nach Schwachstellen suchen, um später umso schmerzhafter »zuzuschlagen«. Nach den ersten Artikeln gab es viele Zweifel: Ob ich selber schreibe, wozu ich das mache und überhaupt … Es gab viele Fragen. Umso wertvoller war da für mich die Unterstützung der Verlage (Wedomosti und Nowaja gaseta), die als erste an mich glaubten und meine Arbeiten veröffentlichten. Gleichzeitig gab es auch unter meinen Angehörigen und Freunden viele Zweifler, denn der Autor Chodorkowski in meinen Artikeln entsprach oft nicht dem öffentlich verbreiteten Chodorkowski-Bild, das vor meiner Verhaftung geprägt worden war. Es war nicht einfach für mich, das alles über mich zu lesen und zu hören …

Damals, im Jahr 2004, beschloss ich für mich, dass die Zeit für Memoiren noch nicht gekommen war. Ich muss den Leser aber gleich enttäuschen oder auch erfreuen: Auch jetzt ist die Zeit nicht reif dafür. Es ist immer noch zu früh. Wann ich zu einer Autobiografie im eigentlichen Sinn bereit sein werde, kann ich nicht sagen. Das hängt sowohl mit meiner derzeitigen Situation zusammen als auch damit, dass ich noch nicht Bilanz ziehen will – ich hoffe noch auf eine Zukunft!

Zu diesem Buch habe ich mich auch deshalb entschlossen, weil ich Natascha Geworkjan schon seit über 15 Jahren als wunderbare, aufrichtige Journalistin und einfach als guten Menschen kenne. Natascha, die zu den Journalisten zählt, deren Meinung mir äußerst wichtig ist, zweifelte zunächst selbst daran, ob die Beiträge, die in der Nowaja gaseta unter meinem Namen veröffentlicht wurden, tatsächlich von mir waren. Ausgerechnet ihre 2004 formulierte kritische Haltung zu meinen literarischen »Talenten« und meiner Autorschaft haben sich die Kreml-Propagandisten zunutze gemacht und tun dies bis heute. Als sie mir vorschlug, gemeinsam ein Buch zu schreiben, war mir deshalb auch gleich klar, dass dies keine leichte Aufgabe werden würde.

Das Buch hat zwei Autoren, die in der Bewertung, Auslegung und Beschreibung mancher Ereignisse oft unterschiedlicher Meinung sind. Das ist ganz normal. Auch in der Frage, inwieweit sie den Aussagen einzelner im Buch vorkommender Personen Glauben schenken, sind sich die Autoren nicht immer einig. Jeder von uns zeichnet für seinen Teil verantwortlich, für das, was er in der Ich-Form sagt. Während der Arbeit an diesem Buch (in Form eines Briefwechsels) haben Natascha und ich viel gestritten, und das, was der Leser zu sehen bekommt, ist im Großen und Ganzen das Ergebnis eines Kompromisses. Das Wichtigste, was die Autoren dieses Buches eint, ist ihre Loyalität gegenüber den gemeinsamen Werten der europäischen Zivilisation, deren integraler Bestandteil auch mein Land ist – ungeachtet der vergeblichen Bemühungen kleiner und großer Politiker und Politintriganten, Russland in den verschiedenen Phasen seiner Entwicklung vom einmal gewählten Weg abzubringen.

Jetzt, da Sie dieses Buch lesen, haben Platon Lebedew und ich nach Verbüßung der ersten Achtjahresfrist in Haft bereits eine zweite Haftstrafe erhalten und warten auf das Jahr 2016; reich sind wir längst nicht mehr. Wladimir Putin hat sich selbst erneut für das Amt des Präsidenten nominiert. Der Chefjurist unseres Unternehmens, Rechtsanwalt Wassja Alexanjan, ist gestorben, bevor er die Aussagen machen konnte, die die Ermittlungsbeamten von ihm wollten. Die Staatsanwälte, Richter und Ermittlungsbeamten, die an unserem Verfahren beteiligt waren, haben inzwischen weitere Beförderungen, Sternchen und Prämien erhalten. Die russische Forbes-Liste hat sich nicht wesentlich verändert; die Reichen sind im Landesdurchschnitt insgesamt noch reicher und die Armen noch ärmer geworden.

Aber man kann auch noch etwas anderes beobachten, und das ist selbst aus dem Fenster einer Gefängniszelle in Sibirien oder Karelien zu sehen: Es gibt mit jedem Jahr, jedem Monat und Tag mehr aufrichtige Menschen, Menschen, die ein Gewissen haben, Menschen, die Veränderungen wollen. Bei aller Befangenheit wage ich zu behaupten: Dass diese Veränderungen kommen, ist nur eine Frage der Zeit.

Ich selbst habe jedenfalls vor, zum Wohl der Generationen zu wirken, die dieses Land schon sehr bald übernehmen werden. Der Generationen, die wirklich Veränderungen wollen. Der Generationen, mit denen neue Werte und neue Hoffnungen auf den Plan treten.

NATALIJA GEWORKJAN

Anstelle eines Vorworts

Es ging auf Weihnachten zu, und ich war auf der Suche nach einer passenden Karte. Der einzigen, die ich verschicken wollte. Der Besitzer des Geschäfts in der Rue du Geoffroy kannte mich. Ich bin ganz vernarrt in dieses Pariser Geschäft, das wie aus einer anderen Welt ist: mit Federhaltern, handgeschöpftem Papier und naiv gestalteten Karten. Er wies auf die Ecke, wo die Weihnachtskarten zu finden waren; ich setzte mich einfach auf den Fußboden und begann die Karten zu durchstöbern. Plötzlich fragte jemand neben mir: »Aber sagen Sie mal, wozu denn noch Karten schicken, wenn alle schon E-Mails schreiben?« »Da, wo ich sie hinschicke, kommen keine Mails an«, sagte ich, ohne aufzublicken. Die junge Frau ließ nicht locker: »Wo soll das denn sein, wo keine Mails ankommen?« »In Sibirien, im Gefängnis«, antwortete ich, ohne meine Suche zu unterbrechen. Eine Pause, unerwartete Stille. Endlich blickte ich auf und sah, wie die wenigen Kunden im Geschäft und auch der Besitzer mich irgendwie betreten ansahen. Die Frau war eine Reporterin von France 2, neben ihr stand ein junger Mann mit einer Kamera und noch einer mit einem Mikrofon. »Sibirien? GULAG?«, fragte die Frau weiter nach. »Ganz genau«, nickte ich. Sie bat mich, das noch einmal in die Kamera zu sagen. Ich habe ein Prinzip: Journalistenkollegen schlage ich solche Bitten nicht aus. Also stand ich auf und wiederholte: »Ich möchte meinem Bekannten eine Karte nach Sibirien schicken. Er ist Geschäftsmann. Er sitzt dort im Gefängnis. Und ich hoffe sehr, dass er sie bekommt.« Die Kamera wurde ausgeschaltet. Die Leute im Geschäft traten nun näher und sagten, dass alles gut würde, dass die Karte auf jeden Fall ankäme und man ihn gewiss freilassen würde. Erstaunlicherweise fragte niemand, wofür mein Bekannter eigentlich einsitzt. Für diese Leute ist Sibirien, ist der Gulag ein Symbol der Ungerechtigkeit. Punkt. Der Besitzer des Geschäfts winkte ab, als ich zahlen wollte, und legte noch einen passenden Umschlag zur Karte und einige Blatt Papier mit handgearbeiteten Monogrammen dazu – für einen Brief. Die Journalistin holte mich draußen ein. »Darf ich fragen, wie er heißt, Ihr Bekannter?« »Chodorkowski«, antwortete ich. Die junge Frau gab sich alle Mühe, den schwierigen Namen aufzuschreiben. Er sagte ihr nichts. Sie sah mich an: »Und wer ist das?« Ich überlegte. »Die einen sagen: ein Genie, die anderen: ein Krimineller.«

NATALIJA GEWORKJAN

EINFÜHRUNG

Ein russischer Kafka

Ein Schwächling, Lügner, Volksbetrüger,

als tatenloser Geck bekannt,

durch Zufall nur berühmt als Sieger,

beherrschte damals unser Land.

ALEXANDER S. PUSCHKIN, Eugen Onegin1

MBC – so nennen ihn alle. Die drei Initialen von Michail Borissowitsch Chodorkowski. Er selbst unterschreibt auch so. Seine Freunde nennen ihn manchmal »Chaider«. Außerdem war er bekannt als der reichste Russe, Eigentümer von Yukos, der besten Erdölgesellschaft im Land. Jetzt nennt man ihn »Russlands wichtigsten Gefangenen«. Die kürzeste Geschichte über MBC habe ich bei einem französischen Fremdenführer aufgeschnappt, der russischen Touristen in Vaux-le-Vicomte, einem nahe Paris gelegenen Schloss des 17. Jahrhunderts, von dessen einstigem Besitzer Fouquet erzählte – eben jenem Oberintendanten Fouquet, der auf Geheiß Ludwigs XIV. von d’Artagnan verhaftet wurde. Der Fremdenführer erzählte in etwa Folgendes: »Und so kam also der König in dieses prunkvolle Schloss. Über dem Eingang sah er das Motto, das, aus dem Lateinischen übersetzt, lautet: ›Es gibt keine Höhen, die ich nicht erreichen könnte‹; er sah auch den wunderbaren Park, in dem ihm zu Ehren ein zauberhaftes Schauspiel inszeniert worden war. Colbert aber machte wegen Fouquets unehrlich erworbenen Reichtums Stimmung. Außerdem sagte man damals, er hätte es auf die Macht abgesehen. Der König war eine Zeitlang bei Fouquet zu Gast, danach gab er den Befehl, ihn zu verhaften. Und weiter verlief alles so wie in der Geschichte über Herrn Putin und Herrn Chodorkowski.«

Allerdings erlaubte man dem Häftling Fouquet im 17. Jahrhundert erst 15 Jahre nach dem Urteil einen Besuch seiner Gemahlin. Der Häftling Chodorkowski erhielt im 21. Jahrhundert immerhin schon fünf Jahre nach Beginn des zweiten Strafverfahrens im Jahr 2006 einen längeren Besuch von seiner Familie. Wir waren gerade dabei, dieses Buch zu Ende zu schreiben, als er nach all diesen Jahren zum ersten Mal wieder seine Frau und seine Kinder in die Arme schließen konnte – in der Strafkolonie Nr. 7 im Kreis Segesha, Karelien, wo er, wenn kein Wunder geschieht, die verbleibenden fünf von vierzehn Jahren, zu denen er nach dem zweiten Verfahren verurteilt wurde, absitzen muss (abzüglich der zu diesem Zeitpunkt bereits verbüßten sieben Jahre). Segesha liegt rund 700 Kilometer nördlich von Petersburg, die Temperaturen schwanken zwischen –25 Grad im Winter und +25 Grad im Sommer. Und doch ist das näher an Moskau und klimatisch schonender als in der Strafkolonie im sibirischen Krasnokamensk, wo er nach dem ersten, 2005 gefällten Urteil einsaß.

Inna, Chodorkowskis Frau, erzählte mir einmal von ihrem allerersten längeren Wiedersehen nach der Verhaftung, in Sibirien: »Unsere Tochter war damals zwölf, die Zwillinge vier Jahre alt, ich nahm sie nicht mit dorthin. Jetzt, in Segesha, konnten sie ihren Papa besuchen. Aber nach Krasnokamensk … Dahin ist es fast wie mit der Postkutsche, man brauchte drei volle Tage für die Reise. Es war Oktober, dort war es schon kalt. Wie soll ich dir das erklären … Seit seiner Verhaftung waren zwei Jahre vergangen. Und als wir zusammen waren, hatte ich das erste Mal seit zwei Jahren das Gefühl der Geborgenheit. Ich verschlief die ganzen drei Tage. Ich machte die Augen auf, hörte, dass jemand mit ihm spricht, und machte sie wieder zu. Ich konnte einfach nicht aufstehen. Ich musste ihm nichts erklären. Er machte Rührei, gab mir zu essen. Und ich schlief wieder ein. Ich hatte das Gefühl, mich entspannen zu können. Das war eine Art ›Loslassen‹ von dieser Anspannung, die seit der Verhaftung keinen Moment ausgesetzt hatte. Und auch danach lange nicht wegging.«

Von Dezember 2006 bis Juni 2011 war Chodorkowski permanent im Gefängnis oder im Gerichtssaal, in dieser Zeit waren Besuche nur einmal monatlich erlaubt. Zwei winzige Stühlchen vor einer vergitterten Glasscheibe, ein Telefon. Und er auf der anderen Seite der Scheibe. Einmal im Monat kamen seine Eltern, im nächsten Monat seine Frau – entweder mit der Tochter oder den Söhnen. Die gesamte Familie in diesem winzigen Raum unterzubringen, wäre schlichtweg unmöglich gewesen.

Wie viel ist passiert, seit die Idee zu diesem Buch entstand! Und in all der Zeit nur ein freudiges Ereignis: Swetlana Bachmina, Juristin bei Yukos, kam wieder frei. Die Mutter von zwei kleinen Kindern, die in der Strafkolonie ein drittes zur Welt brachte, war im Jahr 2006, mit 37 Jahren, einfach zwischen die Mühlsteine der einmal angeworfenen Repressionsmaschinerie geraten und zu sieben Jahren verurteilt worden, weil sie wer weiß was und zu wessen Gunsten unterschlagen haben sollte. Sie wurde 2009 entlassen, nach einem Begnadigungsgesuch und Tausenden von Unterschriften, die im Internet für ihre Freilassung gesammelt worden waren.

Im Oktober 2011 verstarb, keine 40 Jahre alt, Wassili Alexanjan, ein schöner und kluger Mann, Absolvent der Universitäten Moskau und Harvard, der die Rechtsabteilung des Yukos-Konzerns geleitet hatte. Er hatte gegen Chodorkowski und Lebedew aussagen sollen. Aber er hatte nicht ausgesagt. Das Gefängnis hat ihn umgebracht: Innerhalb von zwei Jahren wurde er dort zum Invaliden, beinahe erblindet, an Krebs, AIDS und Tuberkulose erkrankt. Zum Sterben ließ man ihn nach Hause – gegen eine Kaution von 50 Millionen Rubel.

In der Zeit, in der dieses Buch geschrieben wurde, ist die Hoffnung auf Präsident Medwedew als einen wirklichen Präsidenten und professionellen Juristen aufgekeimt und wieder erstorben. Chodorkowski war und bleibt Putins Gefangener, es ist Putin, der Chodorkowski seine Frist zumisst. Mit Recht hat diese ganze Geschichte nicht mehr zu tun als Putins Wahl für eine dritte Amtszeit mit einer Wahl im herkömmlichen Sinne des Wortes.

Als wir den Plan zu diesem Buch fassten, war Chodorkowskis Schlussplädoyer im zweiten Prozess noch nicht gesprochen, sein Satz »Ich schäme mich für mein Land« noch nicht gefallen. In seiner Rede hieß es weiter:

»Ich bin keineswegs ein idealer Mensch, aber ich bin ein Mensch der Ideen. Wie jedem fällt es mir schwer, im Gefängnis zu leben, und ich will nicht darin sterben. Aber wenn es sein muss, werde ich nicht schwanken. Meine Überzeugung ist mir mein Leben wert. Ich glaube, das bewiesen zu haben.

Und die Ihre, meine Herren Opponenten? An was glauben Sie? An das Recht der Obrigkeit? An das Geld? Daran, dass das »System« straflos ausgeht? Ich weiß es nicht, das müssen Sie entscheiden.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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