Mein Weg mit Robert Koch - Hedwig Koch - E-Book

Mein Weg mit Robert Koch E-Book

Hedwig Koch

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Beschreibung

Die zweite Ehefrau Robert Kochs eröffnet in ihren erstmals publizierten Erinnerungen ungeahnte Perspektiven auf den berühmten Mikrobenjäger. Der international hoch angesehene Robert Koch schockierte in den 1890er Jahren das bürgerliche Berlin: Er ließ sich scheiden, um die 29 Jahre jüngere Hedwig Freiberg zu heiraten. Viele Jahre nach seinem Tod beschreibt Hedwig Koch in ihren Lebenserinnerungen nicht nur die glücklichen Momente an der Seite des Nobelpreisträgers, sondern auch die ungeschminkte Realität der Ehe mit einem schwierigen Partner, den sie gelegentlich als "schulmeisterlich trockenen, unheimlich beamtenhaft fleißigen, ältlichen Musterknaben" erlebt. Sie begleitete ihren Mann auf ausgedehnten Forschungsexpeditionen und gibt tiefe Einblicke in die zweifelhafte Kolonialmedizin am Beispiel ihres vielleicht bekanntesten Vertreters. In ihren Beobachtungen kommen sowohl die Stärken als auch die Abgründe der von Robert Koch betriebenen mikrobiologischen Forschungen zum Ausdruck. Vor allem aber lesen sich ihre Erinnerungen als die Gesellschaftskritik einer Frau, die zwischen selbstloser Hingabe und Aufbegehren gegen erlittene Demütigung und Entwertung schwankt.

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Hedwig Koch

Mein Weg mit Robert Koch

Herausgegeben von Heiner Barz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar.

Der Herausgeber stellt unter folgendem Link zusätzliches Material zur Verfügung: https://bildungsforschung.hhu.de/hedwig-koch/

© Wallstein Verlag, Göttingen 2023

www.wallstein-verlag.de

Umschlaggestaltung : Marion Wiebel, Wallstein Verlag

Umschlagbild : Hedwig Koch, 1897, Quelle:

Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Signatur 4100012

ISBN (Print) 978-3-8353-5328-2

ISBN (E-Book, PDF) 978-3-8353-8474-3

ISBN (E-Book, EPUB) 978-3-8353-8475-0

Mein Weg mit Robert KochAufgeschrieben von Hedwig Koch-Freiberg

(Oder : Aennchen von Tharau’s Martyrium)

An einem frühen Winterabend des Jahres 1889 gingen ein ältlicher, nachlässig mit schlecht sitzendem Anzuge bekleideter, kränklich und überarbeitet aussehender Mann, der durch einen etwas eigensinnigen, harten, aber seelisch tiefen Ernst seiner in’s Weite schauenden Augen und eine ungewöhnlich sicher in sich selbst ruhende, harmonische Körperhaltung, sowie der Art seines Schreitens, jedoch irgendwie frappierend und geistig bedeutend wirkte, und ein sehr junges, sehr hellblondes, noch ganz kindhaftes Mädchen durch den tief verschneiten Berliner Tiergarten.

Der Schnee knirschte unter ihren Füssen und die goldene Victoria auf der alten Siegessäule schien hinter dem mondscheindämmrigen Schleier der tanzenden weissen Flocken mitzuschwingen im Tanze.

Als der Mann trotz der Kälte einmal den Hut abnahm und mit professoral aufgerichtetem, dozierendem Zeigefinger etwas vor sich hinsprach, flogen die langen, über die Glatze seines schmalen, ungewöhnlich langen, schön modellierten Schädels gekämmten Haarsträhnen – Sardellen nannte man das damals – wild nach allen Seiten und auch die langen Schulmädchenzöpfe seiner Begleiterin warf ihr der rauhe Winterwind heftig über die Schulter. –

Dieses Bild hat sich mir deshalb so unvergesslich eingeprägt, trotzdem ich seit damals in nunmehr fast genau einem halben Jahrhundert an allen Grenzen der Erde und an allen Grenzen des Lebens gestanden habe, weil jener Gang durch den Tiergarten der Ausgangspunkt zu meinem Lebensschicksal geworden ist. –

Denn jener Mann war Robert Koch und das Mädchen war ich. –

(Photographien zur Bekräftigung des hier Gesagten sind noch vorhanden).

Wir kamen aus dem Atelier eines bekannten Berliner Kunstmalers, der zu jener Zeit mein Lehrer war, da ich Malerin werden wollte, und der gerade damals Koch portraitierte. (Später war auch vor allem Prof. Walter Leistikow mein Lehrer.)

Robert Koch hatte von der, ihn seit seiner ersten Indienreise immer noch quälenden Malaria gesprochen und in der Tat, wenn man die Portraitbilder seines gesamten Lebens vergleicht, hat er zu keiner anderen Zeit so kränklich, missmutig und unvorteilhaft ausgesehen wie in jenem Jahre.

Er begann dann, von seinem häuslichen Elend zu reden, von den unhaltbaren Zuständen in seinem Heim und von seinem ganzen Leben überhaupt.

Er erzählte mir, wie er als junger Student in der Hochstimmung nach einem erhaltenen Preise und nach etwas zu viel starkem Punsch einem Fräulein in seiner Heimatstadt einen Kuss gegeben habe. Da sei dann gleich der Vater derselben dagewesen, habe ihm gratuliert und seinen pastoralen Segen gegeben. Sehr schnell sei ihm zum Bewusstsein gekommen, in welche Gefangenschaft er sich damit begeben habe ; an der Schwelle des Lebens verdammt zu sein, seinen Hunger nach Freiheit und Ferne auch weiterhin unterdrücken und in dem Klüngel bigotter, braver, subaltern beschränkter Kleinstädter, in dem er aufgewachsen, ausharren und weiter dahin vegetieren zu müssen. Wie hart der Druck auf seine Jugend gewesen sei, zeige sich schon darin, dass fast alle seine Brüder nach Amerika auswanderten, während der eine Zurückgebliebene, Hugo, ein so enger Spiesser geworden sei, dass er, Robert, seit Jahren nicht mehr mit ihm verkehre.

Damals, als er sich darüber klar geworden sei, was er sich eigentlich angetan habe, hätte der Aerger über sich selbst ihn so erschüttert, dass ihn eine schwere Gelbsucht auf das Krankenlager geworfen habe, von der er nur langsam sich hätte erholen können. Schliesslich musste er sich aber wieder aufraffen und wie ein Stoiker gute Miene zu bösem Spiele machen, denn in den noch biedermeierlichen Zeitverhältnissen, in denen er nun einmal steckte und den kleinstädtischen Grundsätzen, blieb nichts anderes als nun auch zu heiraten.

Schon im ersten Jahre seiner Ehe aber hätte er zu spüren bekommen, wie berechtigt sein Vorgefühl gewesen sei. In weltanschaulichen Dingen fand er kein Echo und in kleinsten Tagesdingen wurde er gereizt. Selbst vor seinen Bekannten habe ihn die Frau lächerlich gemacht. Sie habe sich in ihrer Taktlosigkeit erdreistet, ihn selbst blosszustellen, wenn er unter Menschen ein Glas Wein mittrinken wollte und ihm wie einem Schuljungen die Hand über sein Glas gelegt : »Nein, mein Mann dankt !«

Er sei also entschlossen gewesen, sich wieder scheiden zu lassen.

Doch auf Befehl seines Vaters, da in jener Zeit Scheidungen noch etwas sehr Ungewöhnliches waren und ein Kind erwartet wurde, habe er sich wieder »breitschlagen« lassen. Er habe nur mehr auf alle seine Träume verzichtet, sich mit seinem Schicksal abgefunden, sich ganz in seine Arbeit vergraben und für seelische Bedürfnisse bei Hunden und Vögeln Zuflucht suchen müssen.

Er habe stoisch gewartet, bis die aus dieser Ehe hervorgegangene Tochter, die ein gut Teil älter sei als ich, das Mädchen, zu dem er sprach, erwachsen wäre und verheiratet werden konnte. Er habe versucht, sie in sein Herz zu ziehen, aber sie sei immer mit ihrer Mutter gegen ihn aufgetreten und habe so viele Eigenschaften dieser Mutter geerbt, dass er sich innerlich vollständig auch von ihr hätte lösen müssen.

Er habe schon die Nächte in seinem Laboratorium verbracht, um diesem Heim wenigstens zeitweilig zu entgehen, aber die »Anseres domesticus« hätten ihn selbst dorthin verfolgt. –

Jetzt aber, seit seiner ersten grossen Auslandsreise, sei es unmöglich länger zu ertragen. Es sei ihm zum Ersticken heftig zum Bewusstsein gekommen, wie sehr er sich durch eine einzige Dummheit sein Leben ruiniert habe. Und nun, eben noch vor Toresschluss sei ich ihm begegnet, das wahre Aennchen von Tharau, und er wolle mich heute fragen, ob ich es wohl vermöchte, sein ferneres Leben mit ihm zu teilen. Es seien zwar noch einige Schwierigkeiten zu überwinden und er sähe wohl, dass er sich äusserlich bereits habe von dem ihn überall umgebenden Spiessertum selbst infizieren lassen, aber noch sei es nicht zu spät. Er wolle mich auf Händen tragen, wenn ich ja sagen könnte. Denn wenn auch ich ihn in Stich liesse, wisse er überhaupt nicht mehr, wozu er noch leben und immer nur für andere arbeiten solle.

Er sei sich selbst schon ganz zuwider geworden bei seinem ewigen Totquälen von Tieren im Dienste an der Menschheit.

Wenn ich ihn aber aus seiner Einsamkeit erlöste und mit mir die Poesie des Lebens an seiner Seite wäre, würde er bestimmt noch vieles mehr als er schon getan habe leisten können. –

Jedenfalls aber würde er unter keinen Umständen wieder in seinen Käfig zurückkriechen.

Und ich sah, wie dem als eisern und verschlossen bekannten Manne ein paar verlorene Tränen in den Bart rollten und in der eisigen Luft dort festfroren.– Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich einen Mann weinen sah, und ich habe es niemals vergessen !!

Bis dahin hatte ich respektvoll seine wissenschaftlichen Leistungen bewundert, aber nun berührte etwas an diesem 29 Jahre älteren Manne mein innerstes Herz. Tonfolgen aus dem Fliegenden Holländer von Wagner gingen mir durch den Sinn und ein Bild fiel mir ein, welches ich zu Hause besass, von jenem anderen mittelalterlichen Arzt, Vesalius, der zuerst systematisch Postmortem-Untersuchungen an Menschen vorgenommen, wie er in dunkler Nacht in stillem Kellergewölbe vor einer Leiche steht. Ich sah auch diesen einsamen Robert Koch in seinem Laboratorium über das schmerzenvolle Lager armer, wehrloser lebendig aufgeschnittener, namenlos leidender Tiere gebeugt, in stiller Nacht gelassen in ihrem zuckenden Fleisch herumschneidend oder ihnen Nadeln in die Augen bohrend und unberührt von ihrer Pein.

Ein Grauen erfasste mich – – –, doch, da dies alles zu höheren Zwecken geschah und er mich so sehr für seine Seelenruhe zu gebrauchen schien, wie konnte ich ihm da Nein sagen, !! , wie konnte ich es über’s Herz bringen. !! Zudem blieb meine Vorstellung ja weit hinter der grauenvollen Wirklichkeit zurück. Zwar verursachten mir alle Einzelheiten, die er mir sonst noch erzählte, grosses und schmerzliches Unbehagen, aber ich war damals zu weltfremd und kindhaft, um die ganze Tragweite dieser Dinge zu verstehen und die Folgen, die für mich daraus entstehen konnten, zu überblicken. Ich sah nur diese ernsten, so sehr männlichen Tränen. –

Ich sagte wohl nicht viel, aber immerhin, meine Antwort muss ihm wohl genügt haben. Denn bald darauf besuchte er meine damals bereits schwer kranke Mutter. Ich war ja so jung, dass er ohne deren Einwilligung gar keine Beschlüsse fassen konnte.

Meine Mutter war empört über diesen Besuch.

Sie staunte über das, was sie die naive Unverfrorenheit dieses ältlichen, abgelebten Mannes nannte, der ihr unappetitlich war, weil um seine Hände noch die Todesqualen von vielen Tausenden, wie sie meinte, zwecklos hingeopferter Tiere geisterten. Sie glaubte nicht daran, dass man am Tierkörper gewonnene Erkenntnisse einfach auf den Menschen übertragen könnte. Sie hatte in ihrer ländlichen Heimat noch mancherlei von uraltem, germanischen Volkswissen kennengelernt. Sie war überzeugt, dass der Geist das Primäre und Ausschlaggebende sei und dass man nicht verschiedene Krankheiten und Symptome als solche behandeln, sondern krankhafte Störungen vom Geiste her bekämpfen solle, indem man den seelischen Widerstand stärke und unterstütze durch natürliche Lebensweise und natürliche, einfache Anregungsmittel, Diät, Autosuggestion, reine Luft, Sonne und vor allem bestes Trinkwasser usw. etwa im Sinne von Pfarrer Kneipp. Bei wieder normal gewordenem Widerstand würde die grosse, göttliche, kosmische Lebenskraft, von der in uns allen ein Fünklein arbeitet, ganz von selbst auch mit eingedrungenen Bakterien ebensogut fertig werden, wie es durch medizinische oder chemische Gifte erreichbar sei. Mich selbst hatte sie jedenfalls in meiner Kindheit einfach durch systematisches Bestäuben der erkrankten Stellen mit Alkohol kuriert, als der Arzt mich für schwer diphteritiskrank erklärt hatte.

Sie war also leider kaum im Stande, genügendes Verständnis für Koch’s wissenschaftliche Leistung zu zeigen und auch später nur zu geneigt, sich in Bezug auf Koch’s Heilmittel ähnlich zu äussern, wie es die Mutter des Napoleon Buonaparte in Bezug auf andere Belange von deren grossem Sohne getan hat. »Pourvu que cela dure.«

Dieser Mann also, der eine Tochter besass, die älter war als ich, hatte von ihr die Jugend und das Leben ihres »Seelchens« verlangt, ihres mondscheinblonden, so vielfach begabten Kindes, das im Notfall im Stande sein würde, ohne jede Hilfe, allein durch eigene Fähigkeit sich einen Namen und einen genügend angenehmen Lebensrahmen zu schaffen.

Dieser Mann, der nach ihrer Auffassung nichts, aber auch gar nichts dafür zu bieten hatte.

Er hatte sich nämlich verpflichtet gefühlt, ihr mitzuteilen, dass er zur Zeit nichts weiter besässe als sein Beamtengehalt, da er alle seine Ersparnisse hingeben müsse, um von seinen früheren Fesseln frei zu werden. Er hoffe zwar auf finanzielle Erfolge durch ein neues Heilmittel, doch vorläufig sei dies noch Zukunftsmusik. (Und für mich ist es das auch geblieben. Ich habe zwar nach Kochs Tode aus seinen Steuererklärungen gesehen, dass er in den späteren Jahren nach den grossen Tropen-Expeditionen, besonders denen im Dienste Englands und nach dem Nobel-Preis recht bedeutende Einnahmen hatte, und ich habe es mit Erstaunen gesehen, denn mir gegenüber redete er nach wie vor davon, ich brächte ihn in den Schuldturm, wenn ich einen Regenschirm oder ein Paar Schuhe brauchte. Doch er hatte ja nicht nur für 2 Haushaltungen zu sorgen, wie seine amerikanische Schwester mir nach seinem Tode schrieb, sondern wohl eher für vier. Für seine erste geschiedene Frau, dann für den Haushalt seiner verheirateten Tochter, dann für sein früheres Verhältnis, ein Fräulein Elisabeth Stanislaus, die er, als er mich kennengelernt, nach Amerika verschickt hatte, die es aber vorher noch erreichte, eine Unterredung mit mir zu haben, wo sie mich dann vor Koch’s Charakter warnte. Als Koch in Baden-Baden gestorben war und ich mich noch dort befand, erhielt ich von diesem Fräulein noch einen Brief aus Amerika, in dem sie mich bat, ich möchte sie doch weiter unterstützen, sie würde jetzt gern nach Deutschland zurückkommen und irgendeinen Beruf ergreifen ! Ja und schliesslich seinen eigenen Haushalt mit mir.)

Er hatte sich ebenfalls verpflichtet gefühlt, meiner Mutter mitzuteilen, dass er mir auch Kinder nicht mehr geben könne, da er früher, als er sich von seiner ersten Frau körperlich getrennt hätte und andere Zerstreuungen suchte, an sich eine Operation vorgenommen habe, um keinen wilden Hafer zu säen und deshalb schlaflose Nächte vielleicht zu haben. Eine Operation, nun wie man sie heute im dritten Reich macht, um erbkranken Nachwuchs zu verhindern. – Jetzt seien es nicht körperliche Wünsche in erster Linie, sondern er sehne sich nach einem Menschenwesen, das im Stande sei, seelisch wirklich mit ihm zu schwingen und ihn aus seiner Einsamkeit zu befreien. Meiner Mutter Kind hätte er geprüft, sogar nach der sokratischen Methode und trotz ihrer Jugend immer einen Widerhall gefunden. Selbst in wissenschaftlichen Fragen hätte er aus meinen Antworten ersehen, dass ich ihn besser begriffen hätte als seine Assistenten. –

In Bezug auf die eben erwähnte Operation möchte ich hier betonen, dass ich diese Tatsache nach bestem Wissen und Gewissen berichte und wenn nötig, das hierzu Gesagte jederzeit eidlich bekräftigen kann. Als nach Kochs Tode dessen Bruder Hugo glaubte, mich beleidigen zu dürfen, weil ich keine Kinder hatte und ich ihm darauf hin den Grund mitteilte, hat er es gewagt, mich eine Lügnerin zu nennen !! Es war aber keine Lüge und wurde auch keine dadurch, dass diese Mitteilung Koch’s Bruder peinlich war. – Es ist auch noch ein hierfür beweisender Brief vorhanden.

Robert Koch hatte also meiner Mutter gesagt, sie möge trotz alledem Vertrauen zu ihm haben, und mein Leben ruhig in seine Hände legen. Er würde mich so glücklich machen wie es menschenmöglich sei.

Doch sie wollte nicht.

Ich versuchte sie zu überzeugen, dass dieser Mann, der schon so vieles für die Menschheit getan habe, mit anderem Masse gemessen werden müsse als Durchschnittsmenschen und er es wohl verdient habe, aus der Mitte dieser Menschheit, für die er sich opferte, auch einmal ein Geschenk zu erhalten, und da er gerade mich zu gebrauchen schien, sei es an mir, als einen Dank der Menschheit dieses Geschenk meines Lebens darzubringen.

Ich wiederhole, ich war ein weltfremdes, romantisches Kind damals, von übersteigertem Idealismus. Eine lange und bittere Lebenserfahrung aber hat mir inzwischen gezeigt, dass andere Menschen nicht geneigt oder im Stande sind, an solchen Idealismus zu glauben.

Sollte also ein solcher Mensch diese Zeilen zu Gesicht bekommen, so will ich ihn deshalb nur bitten, sich doch einmal ganz sachlich zu überlegen, welche Gründe denn etwa noch, ausser den genannten, hätten für mich damals unter den gegebenen Umständen in Betracht kommen können !

Zwischen mir und meiner Mutter gab es damals also noch viel böses Blut. Erst als sie immer kränker wurde schwieg sie und weinte nur noch über mich. Denn Koch hatte mich veranlasst, weil sie sich ihm gegenüber so absolut feindlich einstellte, von ihr fortzugehen und in einer Pension Unter den Linden zu wohnen. Auch mein alter Malprofessor, Gustav Graef, der mich schon seit Kindertagen kannte, war ganz verzweifelt darüber, dass Hede, das Sonnenkind, so verblendet sich zeigte, und er fühlte sich fast mit verantwortlich für mein Schicksal ; da ich Koch ja bei ihm getroffen hatte. Er, der als 70jähriger, weise gewordener Mann und als berühmter Künstler und feinsinniger, bedeutender Portraitmaler ein geübter Psychologe war, von dem eine ganze Reihe berühmter Männer seiner Zeit portraitiert worden sind, hatte Koch als er ihn malte, – wozu er ein ganzes Jahr gebrauchte, denn er arbeitete zwischendurch noch an einem Portrait von mir und begann sein grosses Werk »Die verfolgte Phantasie« – er hatte Koch ziemlich genau studiert und beobachtet. Und leider auch er fand ihn nicht so gross, wie er mir erschien. Er fand ihn nüchtern, trocken, pedantisch und schon ein wenig arteriosklerotisch. Er billigte ihm nur eine gute und methodische Beobachtungsgabe und viel Fleiss zu. (Dies ist übrigens die gleiche Charakteristik, die Prof. B. Heymann, der den ersten Band von Koch’s Biographie schrieb, einmal in einer privaten Unterhaltung auch mir gegenüber äusserte.) Also unheimlicher Fleiss, Beobachtungsgabe und manuelle Geschicklichkeit. Der Künstler fand ihn sonst aber nicht interessant, sondern unschöpferisch und in vielem primitiv, auch in seinem Kunstgefühl. Doch schliesslich beruhigte auch er sich und ist später aus Freundschaft für mich, kurz vor seinem Tode noch mein Trauzeuge geworden. Es ist merkwürdig, ein anderer Künstler, der Maler Prof. Liebermann, der doch nur eine schnelle, besonders im Ausdruck sehr unähnliche Zeichnung von Koch angefertigt hat, soll diesen später als einen grossen Kunstkenner erklärt haben, weil er ihn einmal in seinem Hause, beim Eintreten in das Zimmer, in dem Koch auf ihn wartete, vor dem berühmten Spargelbilde jenes bekannten Franzosen stehend fand. Er hat aber übersehen, dass damals noch jemand neben Koch stand, nämlich ich, und er wusste nicht und dergleichen überhaupt anzunehmen scheint ihm gänzlich unmöglich und ungeheuerlich gewesen zu sein, dass ich es war, die Koch auf dies Bild aufmerksam gemacht und ihm die wunderbar lebendige, virtuos geistreiche Malerei erklärt hatte. Warum sollte Koch auch ein Kunstkenner gewesen sein, weil er als Knabe einmal einen Kalbsfuss nach Vorlage gezeichnet ! Er brauchte es für seinen Beruf ja nicht. Während also in den Jahren seines Aufstieges die meisten Menschen Koch verkleinerten, befeindeten, beneideten und auch öffentlich kein gutes Haar an ihm liessen, so dass er oft grollte »Feinde ringsum, Feinde ringsum« und mir erzählte, selbst der Kaiser Friedrich habe einmal zu ihm gesagt : »Na, lieber Koch, Sie haben aber gewaltig viele Feinde und sehr gehässige.« Doch er hätte ruhig erwidert : »Viel Feind, viel Ehr, Majestät.« Jetzt nun wieder, nachdem sein Ruhm vom Ausland her, endlich auch in Deutschland nicht mehr zu untergraben war, können Menschen, die ihn überhaupt nicht kannten, sich nun wieder nicht genug tun, ihn mit allen nur erdenklichen Vollkommenheiten zu schmücken, wie sie sonst nur Halbgöttern zu eigen sind.

Also damals, in jener ersten Zeit, habe ich Koch gar nicht oft gesehen, und er war ja auch längere Zeit in Aegypten. Wenn er aber kam, war er blass und elend. Er hatte auch wieder an seinem eigenen Körper wissenschaftliche Versuche gemacht. In dieser Beziehung, in Hinsicht auf männlichen oder menschlichen Mut, ist er immer wundervoll und ein Held gewesen. Aber er stand dann da mit schulmeisterlich erhobenem Zeigefinger und dozierte über Spectral-Analyse oder den pythagoräischen Lehrsatz.

Eines Tages brachte er mir auch ein altes Mikroskop mit, das er sich, wie er sagte, von dem Gewinn seiner ersten wissenschaftlichen Arbeiten mühsam erspart habe und mit dem er seine ersten Entdeckungen gemacht hätte, das für seine neueren Arbeiten aber nicht mehr brauchbar sei. Er schenkte es mir und gab mir damit den ersten Mikroskopier-Unterricht, um mich nachher, wenn ich etwas mehr Einsicht in seine Wissenschaft gewonnen hätte, um etwas zu bitten. Für diesen Einführungs-Unterricht genüge das Instrument noch.

In der Folge bat mich Koch dann, der damals mit seinem neuen Heilmittel stark beschäftigt war, ihn ein paar Experimente mit mir machen zu lassen, als Zeichen meines Vertrauens. Mit Tierversuchen käme er nicht mehr vorwärts und sich selbst könne er nicht so einwandfrei beobachten wie einen anderen Menschen. Seine Assistenten aber wolle er nicht gern in den gegenwärtigen Stand seiner Arbeiten hineinblicken lassen. Meine gesunde blühende Jugend wäre gerade das Rechte. Er rief wieder meine Opferwilligkeit an und meinen Idealismus, indem er für den Wert für die Menschheit sprach usw. Er könne zwar die Wirkung nicht vorher sagen, da er ja eben noch experimentiere. Ich könne möglicherweise recht krank werden, aber allzu schlimm würde es wahrscheinlich nicht kommen.– Sterben würde ich voraussichtlich nicht ! Nun, ich liess mich bewegen und erfüllte seine Bitte und bin dann ja auch recht schwer und lange krank gewesen und hatte noch vor einigen Jahren, wie mir meine Masseuse damals sagte, Spuren jener Injektionen auf dem Rücken. Jenes Mikroskop habe ich nach Kriegsende, als ich während der plötzlichen Geldentwertung buchstäblich am Verhungern und in Verzweiflung war und niemand mir half (selbst meine Witwenpension war anscheinend durch irgendein Versehen, abgesehen von der Inflation bis auf einen Bruchteil verfallen. Später als es absolut nicht weiter ging und ich hätte meinem Leben ein Ende machen müssen, blieb mir nichts anderes übrig, als an den damaligen preussischen Finanzminister, Herrn Dr. Richter, zu schreiben, welcher dann auch dafür sorgte, dass ich den normalen Satz wieder erhielt, nachdem er mit den zuständigen Stellen gesprochen hatte. Herr Geheimrat Kleine erzählte mir damals, dessen Vetter im Finanzministerium Regierungsrat war, niemand habe gewusst, wie dieses Herabsetzen erfolgt sei. Aber auch bei einer Normalpension blieb in jenen furchtbaren Zeiten gegenüber meinen damaligen Verpflichtungen nur ein Tropfen.) Ich habe also jenes Mikroskop damals in letzter Verzweiflung verschleudern müssen für ein Butterbrot an einen Chemiker, der in der Zeitung ein gebrauchtes Mikroskop suchte und dem es für seine Zwecke nach Besichtigung zu genügen schien. Ich musste zu jener Zeit auch von Tag zu Tag damit rechnen, dass mein Hauswirt den historischen Nachlass von Koch auf die Strasse setzte oder verpfändete, da ich die Miete für meine damalige grosse Wohnung nur unter den schwersten persönlichen Opfern für mich auf bringen konnte. Jener Käufer aber scheint schliesslich doch von dem Instrument enttäuscht gewesen zu sein, denn er muss es wohl verschenkt haben. Jahre später las ich in den Tageszeitungen, ein Sammler habe es bei einem Portier am Kurfürstendamm gefunden und an das Kaiserin Friedrich-Haus für 2000 M. in gutem Gelde verkauft. Ich hatte in Normalgeld umgerechnet vielleicht 2-4 Pfennige dafür erhalten, und ich hätte es nicht einmal damals hergegeben, wenn nicht auch das R. K.Institut es abgelehnt hätte, es nur als Geschenk anzunehmen. Die Herren sahen es wohl damals noch nicht als historisch an, denn Herr Prof. Möllers sagte, als ich es ihm angeboten hatte, um ihm einen schöneren Ehrenplatz im Institut zu geben und er hineingesehen hatte, ach, das hat keinen Zweck, das ist nicht mehr zu brauchen und im Institut sind noch mehrere, mit denen Koch ebenfalls gearbeitet hat. Ich darf die Versicherung abgeben, dass es mir sehr schwer geworden ist, mich von jenem Mikroskop zu trennen wegen der vielen für mich daran haftenden Erinnerungen und nachdem es dreissig Jahre auf meinem Tisch gestanden hatte. Aber seit jener Zeit wird erzählt, ich hätte das Instrument schnöde in den Müllkasten werfen lassen, weil ich zu ungebildet wäre, um seinen Wert zu begreifen ! und weil es Koch von seiner ersten Frau geschenkt worden sei. Nun, wenn das letztere wahr wäre, dann müsste Koch ja ein überaus übler Charakter gewesen sein, und von einer ganz rohen Geschmacklosigkeit, wenn er mir damals, als er mein Leben in Gefahr bringen wollte, mich derart angelogen haben sollte. Dann hätte er mir jenes Mikroskop überhaupt nicht schenken dürfen. Ich habe mich nach dem Beweisgrund für jene Legende erkundigt, und man hat mir aus dem Kaiserin Friedrich-Haus mitteilen lassen, jemand habe im Jahre 1914 festgestellt, an der Nummer des Instruments, dass es – ich glaube im Jahre 1876 von Koch’s damaliger Frau von einem Apotheker in Wollstein gekauft worden sei. Nun, ich darf vorläufig noch an der Korrektheit jener Nachforschung zweifeln. Erstens deshalb, weil im Jahre 1914 jenes Mikroskop noch in meinem Besitz war und noch niemand seine Nummer gesehen hatte und zweitens, weil dann Koch’s Briefe an mich aus 20 Jahren eine einzige Lüge gewesen sein müssen. Vielleicht ist es so gewesen, dass jene Dame das Instrument tatsächlich bestellt hat, im Auftrage von Koch. Aber jene Lesart ist in der Literatur immer wiederholt worden und soll sogar in das goldne Buch der grossen Deutschen mit aufgenommen worden sein !! – – Wie waren doch gleich die Textworte jenes Liedes von Aennchen von Tharau, das Koch immer wieder in Bezug auf mich hersagte oder noch lange nach unserer Verheiratung unter meinem Fenster in unserem Garten in Westend auf einer alten Zither, die noch aus seiner Jugend stammte, spielte ? Aennchen von Tharau mein Reichtum, mein Gut / Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut. – Durch Kummer und Sorgen, durch Krankheit und Not, durch Freude und Grauen bis in den Tod ?

Oder jenes andere alte Gedicht, das er mir als ich 17 Jahre alt war in mein Schulmädchen-Töchter-Album schrieb. (Noch vorhanden.) Es rauschen die Wasser, die Wolken vergehn, / doch es bleiben die Sterne, sie wandeln und stehn. / So auch mit der Liebe der treuen Geschicht, / sie regt sich, bewegt sich, doch ändert sich nicht !! –

Doch ich muss mit meiner Erinnerung noch einmal zurück in eine frühere Zeit. Zum Dank dafür, dass ich Koch gestattet hatte, mich als Versuchskaninchen zu benutzen, schenkte er mir die kleine Statuette von Professor Eberlein, da er mich in jener Zeit immer Psyche nannte, so wie Gustav Eberlein das Figürchen getauft hatte, und er fand, ich habe mit der kleinen Statue viel Aehnlichkeit.