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Klaus-Rainer Martin

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Beschreibung

Am Sonnabend, dem 2. September 1944 wurde ich eingeschult. Bei uns im Erzgebirge spürte man zu dieser Zeit noch nichts davon, dass der Krieg einmal für das Deutsche Reich verloren gehen könnte. Unser Lehrer war ein Mann mittleren Alters. Er hatte als Soldat an der Ostfront seinen rechten Arm verloren, "für den Führer geopfert", wie er sagte, und durfte deshalb wieder in seinem Beruf als Lehrer arbeiten. Bei jeder Gelegenheit berichtete er von den Heldentaten der deutschen Soldaten und seinen persönlichen Kriegserlebnissen. Und er ließ uns wissen, dass er viel lieber als Soldat an der Front kämpfen würde, als uns zu unterrichten. Am 20. April 1945, zu Adolf Hitlers 56. Geburtstag, sollten wir nur zu einer Feierstunde in die Schule kommen. Doch dazu kam es nicht mehr.  Als sechsjähriger Junge sah ich an diesem Vormittag, wie amerikanische Panzer in unseren Ort einzogen. Damit war der 19. April 1945 mein letzter Schultag in der ersten Klasse. Am Montag, dem 1. Oktober 1945 begann überall in Deutschland wieder der Schulunterricht. Als Klassenlehrer stellte sich uns ein junger Mann mit Namen "Dieter" vor. Wir sollten ihn duzen. Er erzählte uns, dass er Junglehrer sei und uns am Vormittag immer das beibringen werde, was er am Nachmittag vorher im Lehrerseminar gelernt habe. Das sei nötig, denn die bisherigen Lehrer, die ausnahmslos der Nazipartei NSDAP angehört hätten, seien zumindest in der sowjetischen Besatzungszone alle aus dem Schuldienst entlassen worden. Schule soll künftig etwas anderes sein, als in der Nazizeit.

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Klaus-Rainer Martin

Meine ersten beiden Schuljahre

1944/45 und 1945/46

Dieser Bericht ist meiner Enkeltochter Jonna gewidmet, welche im 2. Schuljahr im Jahr 2020, also 75 Jahre nach mir, wegen der Corona-Pandemie elf Wochen (einschließlich der Osterferien) nicht zur Schule gehen konnte und seit dem 8. Juni 2020 zeitweise „Präsenzunterricht“ erhält, während ich 1945 in der 1. und 2. Klasse wegen des Kriegsendes und Zusammenbruchs der Nazi-Herrschaft fünf Monate (einschließlich der Sommerferien) nicht zur Schule gehen konnte und danach noch einige Monate eingeschränkten Unterricht erhalten hatte. Wir leben heute in einem friedlichen Deutschland. Ich bitte sie, in ihrem Leben alles dafür zu tun, dass uns Frieden, Freiheit des Denkens und die Demokratie erhalten bleiben. BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Meine ersten beiden Schuljahre

1944/45 und 1945/46

 

 

Mein Schulanfang

Am Sonnabend, dem 2. September 1944 wurde ich eingeschult. Elf Tage vorher war ich sechs Jahre alt geworden und hätte noch ein Jahr länger zu Hause bleiben können. Doch meine Mutter war der Meinung, dass man so schnell als möglich eingeschult werden sollte. Und so war ich die ganze Schulzeit über und auch in der Berufsschule stets der Jüngste.

 

Bei uns im Erzgebirge spürte man zu dieser Zeit noch nichts davon, dass der Krieg einmal für das Deutsche Reich verloren gehen könnte, obwohl bereits am 24. Juli 1943 ein furchtbarer Luftangriff auf Hamburg gewütet hatte und sich die deutsche Wehrmacht bereits seit der Niederlage in Stalingrad im Februar 1943 in der Sowjetunion auf dem Rückzug befand. Meine Mutter glaubte aber als überzeugte Nationalsozialistin noch an das Märchen von der „Wunderwaffe“ und damit an den „Endsieg“ der nationalsozialistischen Wehrmacht. Dieser Glaube wurde auf uns Kinder übertragen.

 

Der Krieg war für sie nur eine unvermeidbare Episode, in welcher unser Vater nicht in der Kreisleitung der „Deutschen Arbeitsfront (DAF)“ tätig sein konnte, sondern als Hauptmann in Jugoslawien eine Kompanie befehligte. – Die DAF war in der Nazizeit der gemeinsame Einheitsverband von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Die bis dahin bestehenden Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, und damit auch das Tarif- und das Streikrecht, waren von den Nationalsozialisten aufgelöst und das Vermögen der Gewerkschaften der DAF übergeben worden. Mein Vater war in der DAF zuständig für die Klärung arbeitsrechtlicher Belange in der Textilindustrie des Kreises, soweit sie nicht auf Reichsebene entschieden wurden, wie z.B. die Entlohnung.

 

Unser Vater musste 1933 den „großen Ariernachweis“ vorlegen, um seine Stelle bei der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) des Kreises antreten zu dürfen. Das von den Nazis erlassene „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes“ schrieb vor, dass alle, welche ein Amt in einer staatlichen Stelle antreten wollten, einen Abstammungsnachweis seiner eigenen Vorfahren und die der Ehefrau zurück bis zum 1. Januar 1800 vorlegen mussten.

 

Der große Ariernachweis war beim Rasse- und Siedlungshauptamt des Kreises zu beantragen und musste Namen, Geburts- und Sterbedatum, Wohnorte, Beruf und Religion aller Personen enthalten. Bei ungeklärten Familienverhältnissen, z.B. bei unehelicher Geburt, entschied die Reichsstelle für Sippenforschung darüber, ob trotzdem ein Ariernachweis erteilt werden darf. Das war bei meiner Großmutter mütterlicherseits der Fall, denn sie war unehelich geboren, aber eine geborene Himmler.

 

Mein Vater legte großen Wert darauf, zu erfahren, ob ihre Ahnenreihe zu der des Reichsführers der SS Heinrich Himmler Verbindungslinien aufweist. Doch die Großmutter erhielt zur Enttäuschung meines Vaters vom Rasse- und Siedlungshauptamt des Kreises die schriftliche Mitteilung, dass sie nicht mit Heinrich Himmler verwandt sei. Die Großmutter meinte daraufhin, sie werde diesen Brief aufbewahren, „man weiß ja nie, wozu das einmal gut ist“. Und tatsächlich konnte sie nach der Kapitulation damit beweisen, dass sie nicht mit dem SS-Verbrecher Heinrich Himmler verwandt ist.

 

Die DAF saß in der Kreisstadt Zwickau in einem ehemaligen Hotel, das einem Juden gehört hatte. Nun war es ein Bürogebäude der NSDAP. Auch die Hitlerjugend (HJ), die nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) und die deutsche Wehrmacht hatten Büroräume in diesem ehemaligen Hotel.

 

Mein Vater hatte stets eine rechte Gesinnung. 1916 beendete er seine Bäcker-Lehre, meldete sich als Kriegsfreiwilliger zum Militär und war bis zum Ende des ersten Weltkriegs im November 1918 in Flandern Soldat. Dann schloss er sich in Berlin einem Freikorps an. Am 13. März 1920 nahm dieses Freikorps  in Berlin am Kapp-Lüttwitz-Putsch teil, benannt nach dem Freikorps-General Lüttwitz. Dieser Putsch richtete sich gegen die in der Novemberrevolution geschaffene Weimarer Republik und wurde niedergeschlagen. Dafür wurden die Teilnehmer aber nicht bestraft. Als die Reichswehr 1920 aufgrund des Versailler Vertrages auf 100.000 Mann verkleinert und die Freikorps verboten werden mussten, wurden die Freikorps aufgelöst und ihre Mitglieder in den Polizeidienst übernommen. Mein Vater übte diesen bei der kasernierten Bereitschaftspolizei in Zwickau aus. 1922 schied er wegen seiner Ablehnung der Weimarer Republik aus dem Polizeidienst aus und erhielt eine Abfindung in Höhe von 5.000 Reichsmark.  Mit dieser Abfindung gründete er gemeinsam mit seinem Schwager, einem Schuhmachermeister, eine Stiefelfabrik. 1925 traten beide der „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP)“ bei. Durch die Produktion brauner SA-Stiefel für die NSDAP war die Auftragslage sehr gut, geriert aber durch die im Oktober 1929 beginnende Weltwirtschaftskrise in Schieflage. 1930 musste die Stiefelfabrik schließlich Konkurs anmelden. Nun war mein Vater bis Januar 1933, als er die Funktion bei der DAF erhielt, arbeits- und mittellos.