Mit mutigem Schritt zurück zum Glück - Margot Käßmann - E-Book

Mit mutigem Schritt zurück zum Glück E-Book

Margot Käßmann

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Beschreibung

Das neue, überraschende und persönliche Buch der Bestseller-Autorin Margot Käßmann. Voller Lebensfreude schreiben sie und ihr Lebensgefährte Andreas Helm über das Glück, sich jemandem neu anzuvertrauen. Ein Buch, das Mut macht, sich etwas zu trauen und das Leben zu feiern. Margot Käßmann und Andreas Helm waren als Jugendliche ineinander verliebt und haben sich später komplett aus den Augen verloren. Nach 40 Jahren haben sie sich unerwartet wiedergesehen. Heute sind sie wieder ein Paar. Beide schreiben über das Glück in all seinen Facetten: gemeinsames Erleben, geteilte Freude, neue Perspektiven. Das, was im Leben bedeutsam ist: Zuneigung, Vertrauen, gemeinsame Werte und der christliche Glaube. Wie gut es ist, einander lange zu kennen und dennoch offen für ein neues Miteinander und neue Erlebnisse zu sein. Nebenbei schwingt der Sound einer ganzen Generation mit, der sogenannten »Babyboomer«, Menschen, die Ende der 50er- und Anfang der 60er-Jahre groß geworden sind.

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Prof. Dr. Margot Käßmann / Andreas Helm

Mit mutigem Schritt zurück zum Glück

Weil uns das Leben immer wieder überrascht

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Das neue, überraschende und persönliche Buch der Bestseller-Autorin Margot Käßmann. Voller Lebensfreude schreiben sie und ihr Lebensgefährte Andreas Helm über das Glück, sich jemandem neu anzuvertrauen. Ein Buch, das Mut macht, sich etwas zu trauen und das Leben zu feiern.

Margot Käßmann und Andreas Helm waren als Jugendliche ineinander verliebt und haben sich später komplett aus den Augen verloren. Nach 40 Jahren haben sie sich unerwartet wiedergesehen. Heute sind sie wieder ein Paar.

Beide schreiben über das Glück in all seinen Facetten: gemeinsames Erleben, geteilte Freude, neue Perspektiven. Das, was im Leben bedeutsam ist: Zuneigung, Vertrauen, gemeinsame Werte und der christliche Glaube. Wie gut es ist, einander lange zu kennen und dennoch offen für ein neues Miteinander und neue Erlebnisse zu sein. Nebenbei schwingt der Sound einer ganzen Generation mit, der sogenannten »Babyboomer«, Menschen, die Ende der 50er- und Anfang der 60er-Jahre groß geworden sind.

Inhaltsübersicht

Für unsere wunderbaren inzwischen [...]

Vorwort

Unverhofftes Wiedersehen

Veränderungen sind auch Wagnis

Was Beziehung trägt

Wertschätzende Kommunikation

Herkunft

Heiraten

Eltern sein

Über die Liebe

Bilder und Klänge

Umbrüche und Aufbrüche

Friedensbewegung

Gesellschaftliches Engagement

Humor und Leichtigkeit

Altwerden oder: Alles hat seine Zeit

Epilog

Für unsere wunderbaren inzwischen erwachsenen Kinder:

 

Sarah

Sarah

Hanna

Lea

Lea

Jonas

David

Esther

Vorwort

Die Idee zu diesem Buch ist nach einem Spaziergang entstanden. Wir hatten Bekannte von Andreas getroffen. Und die sagten: So eine schöne Geschichte, die solltet ihr auch mit anderen teilen! Ja, dachten wir, das wäre vielleicht eine Idee. Und bevor es andere erzählen, machen wir das selbst.

Es geht dabei nicht so sehr um eine Liebesgeschichte. Das scheint uns immer ein wenig übertrieben, weil der Begriff »Liebe« so dramatisch daherkommt. Uns geht es eher darum, die Dankbarkeit für das Glück, sich wiederzufinden, mit anderen zu teilen. Wir erzählen in diesem Buch auch von dem Mut, im Alter noch einmal den Schritt in eine Beziehung zu wagen.

Beim Schreiben haben wir überlegt: Sich wiedersehen ist das eine. Doch wie entsteht daraus eine tragfähige Beziehung? Wir sind jetzt mehr als sieben Jahre wieder zusammen – wie wurde das möglich? Uns ist klar geworden: Es sind ähnliche Überzeugungen und Prägungen, die Erfahrungen einer Generation, die unserem Miteinander ein Fundament geben. Dazu gehören Wertvorstellungen, die uns früh mitgegeben wurden. Deshalb schildern wir nicht nur unser Wiedersehen und was sich daraus entwickelt hat, sondern blicken zurück auf das Lebensgefühl unserer Generation. Wir gehören zu den »Babyboomern«, die jetzt langsam abtreten. »Fridays for Future« übernimmt viele unserer Überzeugungen, aber es ist nicht so, dass sie »how dare you« – »wie könnt ihr es wagen?« – sagen müssten. Auch wir haben uns in der Friedens- und Umweltbewegung engagiert!

So ist ein Buch entstanden, das viele biografische Passagen hat. Der Theologe Hans Küng hat in seinen Lebenserinnerungen geschrieben, sein Freund Walter Jens habe gesagt: »Du darfst in deiner Autobiographie über alles schreiben, nur muss es immer einen Bezug zu dir haben.«1 So schildern wir gesellschaftliche Entwicklungen und Ereignisse mit dem Bezug, den wir zu ihnen oder sie zu uns hatten.

Wir sind inzwischen beide im Ruhestand. Es geht darum, herauszufinden, was jetzt wichtig ist. Wie wir die letzte Etappe leben wollen. Wir beide sind dazu viel im Gespräch, beim Essen, bei Spaziergängen – und wenn wir nicht zusammen sind, am Telefon. Deshalb hat dieses Buch größtenteils Gesprächscharakter. Verschiedene Schriftarten kennzeichnen, wer gerade schreibt.

 

Wir haben länger überlegt, wie wir unser Buch betiteln wollen. Um die Ecke der Wohnung in Hannover gibt es ein wunderbares Café mit dem Namen »Zurück zum Glück«, in dem wir uns gern mit anderen treffen. Eigentlich lächeln alle, wenn sie den Namen hören.

Wir denken, das passt auch als Titel für unsere Geschichte. Nicht, dass es kein Glück gab zwischen unserer ersten Beziehung und der jetzigen. Wir waren glücklich in unseren Ehen, wir waren und sind es mit unseren Kindern und Enkeln. Aber es war ein mutiger Schritt, in unserem Alter noch einmal zu wagen, eine neue Beziehung einzugehen. Und ja, wir haben das Glück gefunden.

Wir danken allen, die uns ermutigt haben, dieses Buch zu schreiben. Und wir wünschen allen, die es lesen, dass sie auch immer wieder Schritte zum Glück wagen.

 

Margot Käßmann und Andreas Helm

Usedom im Sommer 2021

Unverhofftes Wiedersehen

MARGOT // Im Jahr 2013 war ich zu einem Vortrag in Marburg eingeladen. Am nächsten Morgen zog ich meinen Koffer vom Hotel zum Bahnhof, als ein DHL-Wagen mitten auf der Kreuzung anhielt und der Fahrer ausstieg. Er rief: »Margot!!!«

Fehim kam über die Kreuzung gerannt, blieb freudig vor mir stehen und erzählte, er sei bei meinem Vortrag gewesen. »War super!« Aber »der Schogger«, der eigentlich mitkommen wollte, hätte dann doch keine Zeit gehabt. Ich habe mich echt gefreut, Fehim zu sehen und von Andreas, Spitzname »Schogger«, zu hören. Vor vielen, vielen Jahren waren wir alle in Stadtallendorf eng verbunden …

Anfang 2014 habe ich an der Universität Gießen einen Vortrag zur Reformation gehalten. Alles lief ziemlich normal. Am Ende kamen einige Menschen, um mir nur kurz die Hand zu schütteln, etwas zu fragen oder anzumerken. Andere baten darum, ein mitgebrachtes Buch zu signieren. Unter ihnen war auch Evi, mit der ich vor vielen Jahren zu einer Ausgrabung in Israel war. Wir haben uns begeistert in den Arm genommen. Als Evi ging, stand als Nächstes ein Mann vor mir und sagte schlicht: »Hallo, ich bin Andreas.«

In meinem Kopf rotierte es. Wer ist das? Dann wurde mir klar: Das ist der Andreas! Meine Jugendliebe. Mit 14, 15 sind wir »miteinander gegangen«, wie es damals hieß. Gemeinsam haben wir im Posaunenchor der Kirchengemeinde gespielt, zusammen den Kindergottesdienst in der Herrenwaldkirche gestaltet, Freizeiten am Edersee erlebt – und den ersten Kuss getauscht – danach noch ein paar mehr. Es war sehr aufregend, heimlich Händchen zu halten.

Meine Tagebuchaufzeichnungen zeigen: Ich war sehr, sehr verliebt, zum ersten Mal im Leben. Was für überbordende Gefühle, eine so aufregende Zeit! Die Frage, ob die Gefühle erwidert werden, die Vorfreude, einander zu sehen, die Unsicherheit, das Glück.

Die erste Liebe, den ersten Kuss vergisst wohl niemand. Es ist eine so intensive Phase im Leben, da gibt es wahrhaftig »Frühlingsgefühle«.

Ich hatte Andreas rund 40 Jahre nicht gesehen und habe mich riesig gefreut, dass er zu meinem Vortrag gekommen war. In dem ganzen Chaos schafften wir es nur, ganz schnell die Handynummern auszutauschen. Später, auf dem Weg zum Flughafen, habe ich mich geärgert, dass ich mich so schnell zum Aufbruch hatte drängen lassen. Für ein Gespräch zu zweit nach der Veranstaltung hätte die Zeit doch noch gereicht …

Wir haben uns dann ein paar Wochen später zum Essen verabredet, als ich in der Nähe der Stadt, in der er wohnt, einen Termin hatte. Wir haben ein bisschen »Faktencheck« gemacht, einander viel erzählt und gestaunt, wie vieles in unseren Leben parallel gelaufen war. Beide waren wir 26 Jahre verheiratet gewesen, jetzt aber schon länger geschieden. Beide haben wir vier Kinder, zwei haben sogar denselben Namen, und beide sind wir Eltern von Zwillingen.

Es war ein eher ruhiges Treffen. Am Ende habe ich Andreas erzählt, dass ich bald einen Vortrag in unserer alten Kirchengemeinde in Stadtallendorf halten würde. Die Kirche ist vor einigen Jahren entwidmet worden, es gibt nicht mehr genug Gemeindemitglieder. Ein Verein mit dem Namen »Jumpers« macht dort aktuell Jugendarbeit – ein wenig anders als damals, aber vom Konzept her sehr überzeugend. Die Träger wollen Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung fördern. Ich unterstütze das hin und wieder mit einer Veranstaltung. Andreas sagte, da würde er auch gern kommen.

*

Es war dann ein paar Wochen später schon ein besonderes Gefühl, gemeinsam an dem Ort zu sein, der für uns so eine große Bedeutung hatte. Dort hatten wir Posaune gespielt und Kindergottesdienst gestaltet. Hier war der Discokeller, den Pfarrer Lauer uns als Jugendlichen hatte einrichten lassen. Wir konnten dort damals »unsere Musik« hören, miteinander tanzen.

Andreas und ich freuten uns an den Erinnerungen und an der aktuellen Begegnung. Als mir nach der Veranstaltung jemand ein Foto schickte, auf dem wir beide zu sehen sind, musste ich schmunzeln: fast wie früher. Wir sehen jedenfalls sehr glücklich aus.

Im Sommer kam Andreas nach Berlin, um seine Tochter zu besuchen. Ich lebte seit ein paar Jahren ebenfalls dort. Wir haben uns zu einem Spaziergang um den Schlachtensee verabredet. Dieses Mal ging das Gespräch lange und war sehr intensiv, der Spaziergang wurde immer länger. Wir haben uns ausführlich erzählt, was das Leben in den letzten Jahrzehnten so mit sich gebracht hatte. Es war eine langsame Wiederannäherung. Aber irgendwie war es auch einfach, weil wir uns so nahe waren, damals in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts.

Wir wissen, woher wir kommen, wer wir sind, kennen die familiären Zusammenhänge, aus denen wir stammen, und wissen auch um das soziale Umfeld, in dem wir aufgewachsen sind.

Ja, die Jahre des Lebens verändern uns. Aber wir beide haben den Eindruck, der Wesenskern eines Menschen verändert sich auch in 40 Jahren nicht, selbst wenn es ein bisschen gedauert hat, bis wir uns erzählt hatten, was in dieser Zeitspanne so alles passiert war. Als wir am Schlachtensee mit der Verabredung auseinandergingen, dass Andreas mich im Herbst auf Usedom besuchen würde, war mir eigentlich klar: Wenn er dort hinkommt, dann wird das etwas Bleibendes.

 

 

ANDREAS // Von Margots Vortrag im Februar 2014 hatte ich viele Wochen zuvor durch einen Artikel in der örtlichen Tageszeitung erfahren. Spontan dachte ich: Das wäre doch mal ein Anlass, sie zu sehen, nachdem ich die Verabredung mit Fehim, gemeinsam einen Vortrag von ihr in Marburg zu besuchen, verpasst hatte. Ich nahm mir jedenfalls fest vor, die Gelegenheit dieses Mal zu nutzen. Zwar hatte ich Margot ab und an in den Medien gesehen, aber unser Kontakt war schon sehr lange abgerissen.

Eines Morgens wurde mir schlagartig bewusst, dass ich auch den Termin in Gießen wahrscheinlich verpasst hatte. Und ich dachte: Wie ärgerlich, dass ich mir das Datum nicht aufgeschrieben habe! Als ich einem Freund davon erzählte, klärte dieser mich darüber auf, dass der Vortrag erst in der folgenden Woche stattfinden würde. Ich hatte mir tatsächlich ein falsches Datum gemerkt.

Gespannt machte ich mich auf den Weg zum Audimax, dem großen Vortragssaal der Gießener Universität, und fand, obwohl ich sehr früh dran war, nur noch einen Platz in den hintersten Reihen. Als es losging, war der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt. Margot sprach im Rahmen einer Ringvorlesung über das Leben von Martin Luther und gab einen Ausblick auf das Reformationsjubiläum, das im Jahr 2017 anstand. Während des Vortrags machte ich einige Fotos von Margot, die mir aber leider – bedingt durch die große Distanz bis zur Bühne – nicht so recht gelungen sind. Alle Aufnahmen sind unscharf …

Nachdem Margot ihre Ausführungen beendet hatte, gab es reichlich Applaus. Zuhörerinnen und Zuhörer strömten nach vorne zur Bühne, anscheinend um sich ein Autogramm geben zu lassen oder andere persönliche Anliegen vorzubringen. Mir kam der Gedanke, ebenfalls nach vorne zu gehen und Margot »Hallo« zu sagen. Aber die vielen Leute um sie herum, die alle etwas von ihr wollten, ließen mich zögern. Ich fragte mich: Ist das ein günstiger Zeitpunkt für ein Wiedersehen nach so langer Zeit? Sicherlich würde es irgendwann eine andere Gelegenheit geben, Margot zu treffen. Ich wandte mich schon zum Gehen, als eine innere Stimme mir sagte: Du gehst jetzt zu ihr.

Ich kam erst fast zum Schluss an die Reihe. Ob sie mich wohl wiedererkennen würde? Als wir uns das letzte Mal sahen, war ich 15. Sicherheitshalber sagte ich deshalb, als ich vor ihr stand, als Erstes meinen Namen. Margot schien überrascht und zugleich erfreut, mich zu sehen. Wir wechselten nur wenige Sätze, weil sie kurz darauf aufbrechen musste. Demnächst sei sie, wie sie sagte, wieder einmal in der Nähe. Dann könnten wir uns in Ruhe treffen. Mit diesen Worten reichte sie mir ihre Visitenkarte.

Wenige Wochen später holte ich Margot mit dem Auto vom Bahnhof in Darmstadt ab. Vor Beginn einer Veranstaltung in Ober-Ramstadt, bei der sie aus ihrem neuen Buch lesen wollte, hatten wir noch etwas Zeit für ein Gespräch in einem Restaurant. Wir erzählten uns viel über unsere Kinder und was sonst so alles passiert war in den letzten 40 Jahren, zumindest in groben Umrissen. Es war ein eher sachliches Gespräch, geprägt vom Austausch vieler Fakten. Dennoch hatten wir beide wohl das Gefühl, dass es irgendwie weitergehen sollte. So lud sie mich zu einer Veranstaltung in der evangelischen Kirche in Stadtallendorf ein. Der Kirche, in der damals unsere Jugendliebe begonnen hatte.

Diesen Ort nach so langer Zeit wieder einmal zu sehen, weckte in mir viele Erinnerungen. Hier waren Margot und ich Kindergottesdiensthelfer gewesen, im Alter von 14, 15 Jahren. Hier haben wir zusammen im Posaunenchor gespielt und uns das erste Mal ineinander verliebt.

Über den kirchlichen Rahmen hinaus war dieser Ort aber vor allem ein sozialer Treffpunkt für alle Kinder und Jugendlichen der Siedlung, ganz gleich welcher Religion oder Nationalität jemand angehörte. Stadtallendorf hatte zu dieser Zeit viele »Gastarbeiter« – so nannte man sie damals – aus den verschiedensten Ländern wie der Türkei, Portugal, Italien etc.

Mir ist in diesem Zusammenhang eine Geschichte in besonderer Erinnerung geblieben: Ich sollte mit den kleineren Kindern ein Krippenspiel einstudieren und aufführen. Die mitspielenden Kinder waren evangelisch, katholisch und auch muslimisch. Fehim, unser Freund, jünger als wir, wollte unbedingt mitspielen und wurde so muslimischer Hirte. Das war kein Problem, sondern Ausdruck einer selbstverständlichen Ökumene und Interreligiosität, auch wenn wir diese Worte und deren Bedeutung damals noch nicht kannten. Diese Offenheit für ein Miteinander, auch der Konfessionen und Religionen, hat uns geprägt.

Pfarrer Lauer erlaubte uns Jugendlichen damals, einen großen ungenutzten Raum im Keller der Kirche zu einer Art Diskothek auszubauen. Da wurde gesägt, gehämmert und gestrichen. Als wir fertig waren, trafen sich hier regelmäßig die Jugendlichen aus der näheren Umgebung, um gemeinsam Musik zu hören und zu tanzen. Miteinander den Rolling-Stones-Song »Angie« eng umschlungen als eine Art Stehblues zu tanzen – das war der Himmel! Zum ersten Mal in unserem Leben hatten wir mit viel Gemeinsinn etwas geschaffen. Wir fühlten uns gesehen und anerkannt. Das war die beste Motivation, die wir bekommen konnten, uns auch in Zukunft zu engagieren.

Gut kann ich mich an Informationsabende in unserem Discokeller erinnern, bei denen ein Film zur Einführung gezeigt und anschließend über das Thema Drogenmissbrauch diskutiert wurde. Wenn ich heute darüber nachdenke, wird mir bewusst, wie immens wichtig die Arbeit in den sozialen Brennpunkten unserer Gesellschaft ist. Kinder und Jugendliche, die von zu Hause wenig oder gar keine Unterstützung erhalten, brauchen Hilfe. Sie sind für die prekäre Situation, in der sie sich oft befinden, nicht verantwortlich. Die Gesellschaft hat die moralische Pflicht, ihr Engagement auf diesem Gebiet weiterhin zu intensivieren, damit die Schere zwischen Arm und Reich nicht immer mehr auseinandergeht. Zudem ist es eine Investition in die Zukunft, wenn gestärkte Persönlichkeiten mit ihren Fähigkeiten unser Gemeinwesen bereichern.

In der Herrenwaldkirche wurden damals solche Überzeugungen für Jugendliche in die Praxis umgesetzt.

*

Wenige Wochen später besuchte ich meine älteste Tochter in Berlin. Da Margot zu dieser Zeit auch in Berlin wohnte, trafen wir uns zu einem Spaziergang rund um den Schlachtensee. Es war ein angenehm warmer Spätsommertag, wir hatten viel Zeit zum Reden. Keine anderen Termine drängten uns zur Eile. So entstand zwischen uns ein Gespräch, in dem Tiefgründiges Raum hatte und Vertrautes zum Vorschein kam. Ich denke, dieser immer länger werdende Spaziergang, der uns auch dann noch den Nachbarsee, die Krumme Lanke, umrunden ließ, war entscheidend für den Beginn unseres neuen Miteinanders. Margot erzählte auch von ihrem Ferienhaus auf Usedom und lud mich ein, sie dort irgendwann im Herbst zu besuchen, wenn es zeitlich passen würde.

An einem nasskalten Novembertag fuhr ich mit der Bahn nach Usedom. Mit im Gepäck waren die Briefe, die Margot mir vor Jahrzehnten geschrieben hatte, als sie zu einem Schüleraustausch in England gewesen war. Ich hatte sie aufgehoben und vor wenigen Tagen zum ersten Mal nach 40 Jahren wieder hervorgeholt. Ich wollte Margot die Briefe im Laufe der nächsten Tage zeigen, wenn ich es für angemessen hielt. Es kam anders. Schon am ersten Abend spürte ich, dass der richtige Zeitpunkt dafür gekommen war, und las Margot die Briefe nacheinander vor. Es war wie eine Zeitreise.

*

Inzwischen sind einige Jahre vergangen. Das ist schon daran zu merken, dass Andreas schreibt, ich hätte ihm damals nach dem Vortrag meine Visitenkarte gegeben. Ich dachte, wir hätten beim ersten Wiedersehen Telefonnummern ausgetauscht ;) So schnell verschwimmt Erinnerung …

Ich hatte Andreas bei unserem Abschied nach dem Treffen in Berlin sehr spontan gesagt: »Komm gern mal auf Usedom vorbei.« Als wir dann ein konkretes Datum verabredet hatten, zu dem er sich auf den Weg machen würde, habe ich mich gefreut. Eine Freundin, der ich von den Plänen erzählte, war skeptisch und fragte: »Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist? Und dann gleich für fünf Tage? Und was ist, wenn er dir auf den Wecker geht? Das kannst du doch gar nicht absehen.« Ich war da ziemlich entspannt. Weil ich zutiefst überzeugt war: Das wird gut.

Von Gießen bis nach Usedom ist es eine Bahnfahrt von zehn Stunden. Andreas kam erst am frühen Abend an. Ich hatte alles vorbereitet für Spaghetti bolognese und Salat. Und siehe da, es ließ sich alles ganz locker an, ich kochte Nudeln und die Soße, Andreas machte den Salat. Danach redeten wir – stundenlang …

Andreas hatte die Briefe mitgebracht, die ich ihm als 15-Jährige aus dem fast vierwöchigen Schüleraustausch in Bristol geschrieben hatte. Ich war angerührt von der Ernsthaftigkeit, mit der ich damals über uns als Paar nachgedacht habe, und auch von der Nähe, dem Vertrauen, das wir als Jugendliche geteilt haben. »Wir gehören einfach zusammen«, hatte Andreas mir damals geschrieben. Das empfinde ich genauso.

Am nächsten Morgen beim Joggen dachte ich: Garantiert habe ich seine Briefe auch noch. Solche Erinnerungen werfe ich doch nicht weg! Im Keller des Ferienhäuschens standen noch zwei Kisten, die viele Umzüge lang nicht ausgepackt worden waren. Und siehe da, in einem Ordner waren die Briefe von Andreas aus den Jahren 1973/74. Ich habe sie auf den Frühstückstisch gelegt. Er hat sich über meinen Fund gefreut und war erstaunt, wie ernsthaft er damals manches formuliert hatte – als hätte er sich das im Rückblick selbst nicht zugetraut. Und es war tatsächlich auch noch eine Karte von Fehim dabei, dem gemeinsamen Freund unserer Jugendzeit. Er war damals noch ein Kind und vor noch gar nicht langer Zeit aus Izmir nach Stadtallendorf gekommen.

Andreas und ich haben ihn später zusammen in Marburg besucht. Inzwischen ist er Vater von drei erwachsenen Kindern und Großvater. Fehim hatte Tränen in den Augen und sagte: »Meine lieben, lieben Freunde«, das hat mich sehr gerührt. Als ich den Film »A Star is born« gesehen habe, hat mich das Lied »I will always remember us this way« bewegt. Ich bin kein Fan von Lady Gaga. Aber dieses Festhalten einer schönen Erinnnerung ist ein anrührender Gedanke …

 

Die Beziehung zwischen Andreas und mir wurde etwas Bleibendes ohne allzu große Hürden. Da gab es gar keine dramatischen Entscheidungen, keine großen Hindernisse zu überwinden, sondern wir haben, so merkwürdig das klingt, über die 40 Jahre hinweg an das alte Vertrauen unmittelbar wieder anknüpfen können. Ich genieße das Vertrauen, das in dieser neuen Partnerschaft möglich ist.

Natürlich ist es ein mutiger Schritt, in unserem Alter noch einmal eine Beziehung zu wagen. Es scheint mir aber leichter, als etwa bei Parship völlig neu anzufangen. Freundinnen und Freunde erzählen mir manchmal, wie schwierig das ist. Da ist große Unsicherheit: Wer ist der oder die andere überhaupt? Biografien können ja auch einfach erfunden werden. In Zeiten von digitalem »Dating« über Plattformen wie Parship gibt es anscheinend nichts, was es nicht gibt. Da wird teilweise geheuchelt und gelogen, dass sich die Balken biegen.

Wenn du dich von früher kennst, musst du nicht fragen, wer jemand ist, woher jemand kommt. Und auch das beschriebene Ghosting, dass man es mit jemandem zu tun bekommt, der vorgibt, ein anderer zu sein, und dann auf einen Schlag völlig verschwindet, nicht mehr erreichbar ist, weil seine Lebensumstände schlicht erfunden waren, ist ausgeschlossen.

Freundinnen, Freunde, Bekannte haben sich gefreut, wenn sie gemerkt haben, dass Andreas und ich wieder zusammen sind. »Echt?«, fragte meine Cousine Monika. »Finde ich super!« Sie war damals in den 70ern eng mit uns verbunden. Unsere Geschwister freuten sich mit uns. Und unsere Kinder mögen wir gegenseitig sehr gern. Sie alle waren bei meinem 60. Geburtstag, teilweise mit Partnerin oder Partner, dabei. Da ist insgesamt und rundherum ein gutes Miteinander, für das wir sehr dankbar sind.

Als ich Andreas zum 75. Geburtstag seiner Mutter begleitete, sagte einer seiner Brüder schlicht: »Hallo, Margot, lange nicht gesehen.« Das war entlastend. Diese Entspanntheit tut mir gut. Für seine Familie bin ich einfach die Margot, die sie von früher kennen. All die Ämter und Aufgaben, die ich in meinem Leben hatte, spielen schlicht keine Rolle. Lustig wurde es aber, als mich ein Gast bei diesem Geburtstag fragt, ob mir schon einmal jemand gesagt hätte, dass ich »dieser Frau Käßmann« echt sehr ähnlich sehe … Da war das Gelächter dann doch groß.

Auch andere lustige Momente gab es. In Berlin hatte ich einen Interviewtermin mit dem Redakteur einer Zeitschrift. Er fragte am Schluss, ob ich ihm denn anvertrauen würde, falls es eine neue Beziehung in meinem Leben gäbe. Ich sagte mit leicht ironischem Unterton: »Natürlich, wenn sich etwas ergibt, sind Sie garantiert der Erste, den ich anrufe!«

Monate später war ich zu den Bad Hersfelder Festspielen eingeladen. Die diesjährige Aufführung drehte sich um Martin Luther, ich war gebeten worden, mir das Stück anzuschauen, um am folgenden Tag öffentlich darüber zu diskutieren. Andreas begleitete mich. Bei einem Treffen vor der Aufführung wurde mir klar: Der Journalist, der am nächsten Tag die Diskussion moderieren würde, war exakt jener Mann, der vor einiger Zeit in Berlin mit Blick auf eine mögliche neue Partnerschaft derart insistiert hatte.

Andreas war nicht nur am Abend, sondern auch als Gast bei der Diskussion am nächsten Tag dabei. Aber der Journalist kam überhaupt nicht auf die Idee, einen Zusammenhang zu sehen. Er dachte wahrscheinlich, wie so manche, es müsste – wenn ich einen Partner hätte – irgendein prominenter Mensch neben mir stehen. Andreas, meinen Freund aus Jugendzeiten, hatte er nicht »auf dem Schirm«.

Wir haben uns als Paar nie versteckt, zusammen Gottesdienste besucht, sind gemeinsam ins Kino, ins Theater und zu Konzerten gegangen. Andreas ist manchmal dabei, wenn ich eine Predigt oder einen Vortrag halte, ich komme manchmal mit, wenn er einen Theater- oder Clownauftritt hat. Auf ausgedehnten Spaziergängen sind wir gemeinsam unterwegs. Aber vielleicht ist unser Miteinander so selbstverständlich, dass es nicht auffällt. In Familie, Nachbarschaft und Freundeskreis wissen alle seit Jahren, dass wir ein Paar sind.

Dreimal wollten Journalisten gerne über unsere Beziehung berichten. Anlässlich eines größeren Artikels, in der Biografie, anlässlich eines Filmporträts. Ich wollte das möglichst vermeiden, weil ich zu oft den Vorwurf gehört hatte, in einem kirchlichen Amt zu sehr Privates zu zeigen. Und ich war dankbar, dass andere sich darauf eingelassen haben, nichts über die Beziehung von Andreas und mir zu berichten. Seriöse Journalisten sind eben keine sensationsgierigen Dampfplauderer. In dem Filmporträt, das Renata Schmidtkunz realisiert hat, ist Andreas dann als »Jugendfreund« aber doch zu sehen. Wir gehen miteinander über die Schienen einer Bahnstrecke in unserer alten Heimat und zur Herrenwaldkirche. Es war schön, ihn dabei zu haben, als Teil meines Lebens.

Bis heute sind wir nicht zusammengezogen, leben im Prinzip für uns allein, aber doch meist zusammen – mal in Hannover, mal in Gießen, mal auf Usedom, mal unterwegs. Da ist viel Freiheit und wenig Druck, wie eine Beziehung zu sein hat. Wir sind inzwischen beide im Ruhestand und können unsere Zeit einteilen. Mir gefällt das im Moment sehr gut, dieses Pendeln zwischen Orten und der gemeinsamen wie der getrennten Zeit. Vielleicht ändert sich das, wenn wir noch älter werden und die Unterstützung des anderen brauchen, ich weiß es nicht. Aber es ist ein schönes Gefühl, für Veränderungen offen sein zu können.

 

 

Margot fand tatsächlich die Briefe, die ich ihr damals nach England geschickt hatte, wieder. Oje, war das aufregend! Und sie las mir vor, was ich ihr vor 40 Jahren geschrieben hatte. Konnte es wirklich sein, dass das meine Worte waren, meine Gedanken und Empfindungen, hier auf Papier verewigt? In dieser Form hatte ich das nicht mehr in Erinnerung. Diese Ernsthaftigkeit, mit der ich damals über Liebe, Vertrauen, Verantwortung und vieles mehr nachgedacht hatte, überraschte mich ziemlich. Das hätte ich mir gar nicht zugetraut.

Einander Briefe schreiben ist für viele Menschen nicht mehr zeitgemäß. Welche Erinnerungsstücke aus den Anfängen einer Paarbeziehung würden heutzutage übrig bleiben? Das meiste läuft ja elektronisch ab: per E-Mail, über Messenger-Dienste und andere elektronische Kommunikationsmittel. Wie schade: Denn früher oder später wird all das, was da miteinander geteilt und einander zugedacht war, verschwunden sein. Nicht mehr aufrufbar, weil technisch überholt und ausgemustert, vielleicht auch bewusst oder unbewusst mit einem Klick komplett gelöscht. Es ist wohl was dran an dem Satz: Wer schreibt, der bleibt.

 

Beim Stöbern in den alten Unterlagen fanden wir auch noch einige gemeinsame Fotos von früher. Auch das war bewegend. Auf einem Bild stehen wir beide zusammen vor der Herrenwaldkirche und spielen wacker nebeneinander Zugposaune. Ein anderes Foto ist bei Margots Eltern zu Hause auf der Terrasse entstanden: Mein Freund Metin dirigiert uns im Spaß beim Posaunespielen. So eine schöne Erinnerung! Auf einer anderen Aufnahme sind wir lachend auf einer Freizeit am Edersee zu sehen.

 

Als meine Familie, Freunde und Bekannte erfuhren, dass wir wieder ein Paar sind, war die erste Reaktion Verblüffung. Dann aber waren sie alle begeistert.

Beinahe jeder und jede kennt Margot, durch das Fernsehen oder ihre Bücher. Kam manchen unsere Beziehung zunächst etwas befremdlich vor, so änderte sich das schnell, wenn ich erzählte, dass wir schon einmal, vor sehr vielen Jahren, ein Paar gewesen waren.