Meine Liebe findet dich - Roland Kachler - E-Book

Meine Liebe findet dich E-Book

Roland Kachler

4,8
19,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Roland Kachler hat nach dem Unfalltod seines Sohnes einen neuen Weg in der Trauerarbeit entwickelt: Nicht das Loslassen, sondern die Liebe zum Verstorbenen steht im Zentrum des Trauerprozesses. Der Autor beschreibt den Weg durch die Trauer hin zur Liebe und zu einer neuen Beziehung zum Verstorbenen. Zahlreiche Menschen haben in den 3 Büchern von Roland Kachler einfühlsame Trauerbegleitung gefunden. Nun ist das Standardwerk in einem Band erhältlich.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 616

Bewertungen
4,8 (16 Bewertungen)
12
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Roland Kachler

Meine Liebe findet dich

Der Wegweiser für Trauernde

Impressum

Gesamtausgabe der Standardwerke von Roland Kachler:

Meine Trauer wird dich finden, Kreuz Verlag 2005, 12. Auflage 2014

Damit aus meiner Trauer Liebe wird, Kreuz Verlag 2007, 4. Auflage 2011

Meine Trauer geht – und du bleibst, Kreuz Verlag 2009, 3. Auflage 2010

© KREUZ VERLAG

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2015

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © Mauritius Images

Autorenfoto: © www.michaelfuchs-fotografie.de

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (Buch) 978-3-451-61327-2

ISBN (E-Book) 978-3-451-80280-5

Inhalt

Band 1Meine Trauer wird dich findenEin neuer Ansatz in der Trauerarbeit

Band 2Damit aus meiner Trauer Liebe wirdNeue Wege in der Trauerarbeit

Band 3Meine Trauer geht – und du bleibstWie der Trauerweg beendet werden kann

Vorwort zur Gesamtausgabe

Zwölf Jahre sind seit dem Tod unseres Sohnes Simon vergangen. Zehn Jahre sind verstrichen seit der Niederschrift meines ersten Trauerbuchs »Meine Trauer wird dich finden– Ein neuer Ansatz in der Trauerarbeit«. Damals, in den ersten Jahren nach dem Tod von Simon, war dieses Schreiben ein Versuch, meinen unendlichen Schmerz und meine abgrundtiefe Trauer in Worte zu fassen. Ich wusste aber auch, dass ich in diesem Buch etwas grundlegend Neues zur Trauer sagen muss. Mit der damals gültigen Trauerpsychologie konnte und wollte ich nicht leben. Ich wollte in meinem Trauerprozess mehr als Abschiednehmen. Ich wollte meine Liebe zu meinem Sohn weiterleben können. Und dafür suchte ich nach Worten, nach Ideen und nach Konzepten. Dabei ist der zentrale Grundgedanke dieses Buches entstanden: Wir brauchen für unsere verstorbenen geliebten Menschen einen bergenden, schützenden, haltenden und heilsamen Ort. Wir brauchen diesen – so der Fachbegriff – sicheren Ort, damit wir unseren geliebten Menschen nicht noch einmal verlieren. Wir brauchen diesen Ort für unseren geliebten Menschen, damit wir ihn weiter lieben und bewahren können. Dieses erste Trauerbuch stellte das alte Dogma von der Trauer als reinem Abschiedsprozess infrage und überwand damit auch das von Trauerndenso gefürchtete »Loslassen«. Das Trauerbuch war und ist vielen Menschen wie eine befreiende Erlaubnis, so zu trauern, wie es Trauernden naheliegt, nämlich in der Trauer und über die Trauer hinaus lieben zu dürfen. Neu war und ist auch die Anwendung von Imaginationen in der Trauerarbeit und für den Trauerprozess.

Welche große Resonanz dieser neue Traueransatz bei Trauernden finden würde, wusste und ahnte ich nicht. Die Zustimmung in vielen Briefen, Mails, Anrufen und direkten Reaktionen nach Vorträgen war und ist bis heute unglaublich. Immer wieder höre ich, wie gut das Buch Menschen tut, die einen großen Verlust erleben mussten, wie hilfreich es für sie ist. Erstaunlich auch, dass bei Psychotherapeuten und Trauerbegleitung ebenfalls nur Zustimmung zu hören ist. Noch bis vor Kurzem waren Psychotherapeuten, Ärzte und Pfarrer nur unzureichend für die Trauerbegleitung ausgebildet, lange waren sie von den alten Trauermodellen geprägt. Doch seit dem Erscheinen von »Meine Trauer wird dich finden« hat sich auch hier viel geändert, nicht zuletzt durch meine Vorträge und Fortbildungsseminare bei professionellen Trauerbegleitern. Auch wenn in der Öffentlichkeit immer noch die veralteten Phasenmodelle und das Loslassen behauptet werden, so kann doch bei der informierten Gruppe der Trauerbegleiter von einem Wandel gesprochen werden. Die Trauer wird als kreative Beziehungskraft verstanden, über die einerseits die konkrete, äußere Abwesenheit des geliebten Menschen realisiert werden muss und über die andererseits die innere Beziehung zu ihm gefunden werden kann.

Zwölf Jahre sind seit dem Tod unseres Sohnes Simon vergangen. Ein langer Trauerweg liegt hinter mir und meiner Familie. Auf dem Weg durch die dunkle Landschaft der Trauer war das erste Buch ein wichtiger Orientierungspunkt, von dem aus auch ich meinen Trauerweg als Liebesweg gehen konnte. Natürlich blieben auf diesem langen und unwegsamen Weg die Tiefen, die Abstürze und die Überflutungen durch den Schmerz. So sind zwei weitere Trauerbücher entstanden. Sie spiegeln meinen weiteren Weg in und durch die Trauer, zugleich sind sie auch immer wieder das wissenschaftlich überprüfte Abbild des langen Trauerweges, der bei schweren Verlusten in der Regel mehrere Jahre dauert. In dem Band »Damit aus meiner Trauer Liebe wird – Neue Wege der Trauerarbeit« bildet die Liebe den roten Faden durch die Trauer. In »Meine Trauer geht – und du bleibst – Wie der Trauerweg beendet werden kann« beschreibe ich, wie die Trauer ihr Ziel finden kann. Dabei können wir allmählich die Trauer verabschieden, auch wenn die Sehnsucht und die Wehmut wohl immer bleiben werden. Und natürlich darf der geliebte Mensch Teil meines Lebens bleiben. Ich bin dankbar, dass der Verlag hier in diesem Sammelband allen Trauernden, Interessierten und ehrenamtlichen und professionellen Trauerbegleitern die Möglichkeit gibt, meinen Traueransatz im Überblick und im Zusammenhang zu sehen und zu lesen. Ich wünsche diesem Band, dass er mein nun nicht mehr so neues Trauerkonzept immer wieder neu bekannt macht für die Liebe, die in der Trauer brennt.

Roland Kachler

Band 1

Meine Trauer wird dich finden

Ein neuer Ansatz in der Trauerarbeit

Inhalt

VorwortLieben statt Loslassen

1Trauern – mehr als Abschiednehmen! »Meine Liebe zu dir will bleiben«

Loslassen ist nicht nötig – Der Abschied von einem Dogma der Trauerpsychologie

Muss ich die Liebe zurücknehmen?

Ist weinen alles?

Ist am Ende alles gut?

2Es bleibt aber die Liebe – Trauer als kreative Beziehungsarbeit »In meiner Liebe bleibst du mir nahe«

Die Trauer bringt den Geliebten nahe

Die Trauer ruft die Liebe wach

Nicht ohne die Toten, sondern mit ihnen leben – Was wir von der Ahnenverehrung lernen können

Noch einmal: Die Toten gehören zu den Lebenden – Einsichten aus der systemischen Familientherapie

3Die Trauer sucht einen guten Ort Da werde ich dich immer finden«

Wo soll ich dich suchen?

Der Tod als Reise zu einem neuen Ort

Einen guten Ort für den Verstorbenen finden

Auch der Trauernde braucht einen sicheren, haltenden Ort

Ein neues Trauermodell – Die Beziehung weiterleben!

4Am offenen Sarg – Die erste Begegnung mit dem Verstorbenen »Du bist nicht tot, bleib bei mir!«

Ich will dir nah sein!

Was ich noch für dich tun kann, werde ich tun

Der Abschied vom Leib des Verstorbenen

Du bleibst als Gegenüber bei mir

5Leben mit den Orten der Präsenz des Verstorbenen »Dorthin, wo du bist, zieht es meine Seele«

Im Grab beerdigt – und doch gegenwärtig

Hier darf ich dir meine Trauer zeigen, hier bin ich getröstet

Am Grab pflege ich meine Liebe zu dir

Auch an anderen Orten finde ich dich

6Leben mit der Erinnerung »Was ich mit dir erlebt habe, geht nie verloren«

Erinnern schmerzt und tröstet

Äußere und innere Bilder – immer bist du in ihnen bei mir

Erinnerungszeichen – sie rufen dich in mir wach

Erinnerungszeiten – ich erlebe diesen Tag mit dir

Erinnerungsrituale – durch sie erinnere ich mich an dich

7Leben mit den Symbolen der Natur »Du bleibst bei mir in den Bäumen, im Wind und in den Sternen«

In der Natur begegne ich dir

Naturerfahrungen als Brücke zum Verstorbenen – Der Regenbogen führt mich zu dir

Sichere Orte in der Natur – Von deinem Stern blickst du auf mich herab

Symbolische Stellvertreter der Natur – Du kommst zu mir geflogen

Synchronizität als überraschende Begegnung – Ganz plötzlich leuchtest du mir auf

8Leben mit der Transzendenz »Du gehst nie verloren, weil du aufgehoben bist im Unendlichen«

Wirst du weiterleben in einer anderen Welt?

Über alle Grenzen hinaus

Urbilder für transzendente sichere Orte

9Leben mit dem inneren Begleiter »Weil ich dich liebe, lebst du in meinem Herzen«

Dein Platz ist in mir

Du bleibst in mir immer lebendig

Du bist mein inneres Gegenüber

Du bleibst Teil unserer Familie

10In Beziehung bleiben »Die Liebe lässt uns miteinander leben«

Eine Beziehung wie jede andere auch?

Zwei Beziehungswelten – ein nötiger Übergang

Von der Idealisierung zu einer realistischen Sicht – Auch du hast deine Schattenseiten

Die Normalisierung als Chance und Risiko – Ich will dich auch im Alltag nicht verlieren

Die Integration der Beziehung zum Verstorbenen – Überall gehörst du zu mir

11Leben in der Hoffnung »Eines Tages werden wir uns sehen und uns in die Arme fallen«

Ich will dir nachsterben und bei dir sein

Ich lebe hier und freue mich auf dich

Und dann werden wir uns in den Armen liegen

Literatur

Literaturnachweis

Vorwort

Lieben statt Loslassen

Der Tod beendet das Leben, aber nicht die Liebe! Die Trauer zeigt, wie sehr wir den Verstorbenen liebten und immer noch lieben. Die Trauer will, dass die Liebe weitergeht – über den Tod des geliebten Menschen hinaus. Nicht zum Loslassen, sondern zum Lieben will dieses Buch ermutigen und begleiten.

Der Verstorbene bleibt eine wichtige, geliebte Person im Leben des Hinterbliebenen. Dabei wissen Trauernde sehr genau, dass die Liebe eine neue Ausdrucksweise braucht. Die Trauer ist das Gefühl, das uns hilft, eine neue Beziehung zum Verstorbenen zu finden. Sie wandelt die bisherige Weise des Liebens in eine neue, in eine innere Liebe. Ich möchte Sie als Leserin und Leser unterstützen, eine andere, aber nicht weniger intensive Beziehung zu Ihrem verstorbenen geliebten Menschen zu finden.

Ich schreibe dieses Buch als Psychotherapeut und als Betroffener. Vor wenigen Jahren habe ich meinen sechzehn Jahre alten Sohn durch einen Verkehrsunfall verloren. Der Schmerz und die Trauer waren und sind unendlich groß. Und dennoch wollte ich meinen Sohn nicht verlieren – nicht in meiner Liebe! Ich wusste in meiner Trauer – in meiner Tätigkeit als Psychotherapeut hatte ich es noch anders gesehen –, dass es letztlich nicht um ein Loslassen, sondern um ein Lieben auf eine neue Weise geht. Das tröstet mich immer wieder und schenkt mir immer wieder neu die Erfahrung, dass meine Liebe zu meinem Sohn weitergeht. Natürlich bleiben die Trauer und der Schmerz, und dennoch ist die Liebe der einzig mögliche Weg, die Beziehung zu meinem Sohn weiterzuleben. Ich möchte Sie als Leserin und Leser an diesen Erfahrungen teilhaben lassen. Deshalb sind, etwa zu Beginn jedes Kapitels, in kursiver Schrift eigene Erfahrungen wiedergegeben. Vielleicht können Sie sich darin wiederfinden, vielleicht können Sie Ihre anderen Erfahrungen darin deutlich als die eigenen unterscheiden und würdigen.

Auf dem Weg zu einer neuen Beziehung zu meinem Sohn wurde ich wie viele andere Menschen von der gängigen Trauerliteratur alleingelassen. Ich fand nur wenige Hinweise, wie Hinterbliebene die Beziehung zum Verstorben weiterleben und gestalten können. Stattdessen schlägt die Trauerliteratur vor, sich vom geliebten Menschen zu verabschieden und ihn loszulassen. Nicht nur aus meiner eigenen Erfahrung, sondern auch nach vielen Gesprächen mit anderen Trauernden muss dies als äußerst problematische Einseitigkeit bezeichnet werden.

Deshalb werden im ersten Kapitel die folgenschweren Irrtümer der bisherigen Trauerpsychologie kritisch beleuchtet und analysiert. Für leichtere Verluste ist die übliche Trauerpsychologie zwar hilfreich, bei schweren Verlusten von nahestehenden Menschen lässt sie die Trauernden aber allein.

Im zweiten Kapitel wird dann eine ganz neue Trauerpsychologie vorgestellt. Das Mitgefühl, die Liebe und die Sehnsucht – die drei Schwestern der Trauer – helfen, eine bleibende Beziehung zum Verstorbenen herzustellen. Der Trauerprozess wird hier als kreative Beziehungsarbeit verstanden.

Im dritten Kapitel wird gezeigt, wie die Trauer für den Verstorbenen einen sicheren Ort findet. Die tieferen Schichten der Seele halten die Bilder und Symbole eines solchen Platzes bereit, an dem der Verstorbene sicher und geborgen weiterlebt. Die Trauer will dem Verstorbenen einen guten Platz im Leben des Hinterbliebenen geben.

Die ersten drei Kapitel erläutern also die psychologischen Hintergründe und theoretischen Grundlagen des hier vorliegenden neuen Trauerverständnisses. Neuere Ansätze aus der Familientherapie, der systemischen Therapie, der Hypnotherapie, der Traumatherapie, aber auch aus der Analytischen Psychologie Carl Gustav Jungs sowie Einsichten aus der Religionspsychologie werden zur Begründung der Trauerpsychologie als einer Beziehungspsychologie herangezogen.

Unmittelbar Betroffene können die ersten drei Kapitel zunächst überschlagen, um direkt in die Kapitel vier bis elf hineinzugehen. In diesen Kapiteln beschreibe ich, wie Sie als Trauernde und Hinterbliebene die Beziehung zu Ihrem geliebten Menschen finden und gestalten können. Der Trauerprozess und die dabei erlebten inneren Erfahrungen werden ganz neu gesehen und so verstanden, dass sie den Lesern zu einer inneren und lebendigen Beziehung zum Verstorbenen verhelfen können.

Auf diesem Weg möchte ich Sie, möchte ich Trauernde, möchte ich Hinterbliebene in und mit diesem Buch begleiten. Ich möchte Ihnen in diesem Buch Anregungen, konkrete Hilfestellungen und Übungen anbieten, wie Sie Ihre Liebe zu ihrem Verstorbenen weiterleben können.

Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Liebe zu Ihrem verstorbenen geliebten Menschen immer tiefer und lebendiger werden kann und dass er zu einem lebendigen Gegenüber in Ihrem Leben wird.

Ostern 2005

1 Trauern – mehr als Abschiednehmen!

»Meine Liebe zu dir will bleiben«

Loslassen ist nicht nötig – Der Abschied von einem Dogma der Trauerpsychologie

Ich stehe am offenen Grab. Die Sargträger ziehen die Hölzer unter dem Sarg weg, die Seile spannen sich. Dann lassen sie den Sarg langsam ins Grab. Ich weiß, dass in diesem Holzkasten mein Sohn liegt. Nun wird es endgültig sein: Mein Sohn ist nicht mehr da. Er ist nicht mehr bei mir. Mein Entsetzen ist so groß, dass ich nicht begreife, was hier eigentlich passiert.

Das ist der letzte Abschied. Ich muss scheiden von meinem Sohn, und er von mir. Ich muss unter-scheiden, zwischen mir, dem Lebenden, und meinem Sohn, dem Toten. Ich muss loslassen. Meinen Sohn aus den Händen geben. So sagt es der Pfarrer am Grab, so sagt es die derzeitige Trauerliteratur.

Doch in meiner eigenen Trauer spüre ich mehr denn je: Ich will nicht Abschied nehmen, loslassen schon gar nicht. Ich weiß natürlich, dass mein Sohn nicht mehr lebt und deshalb leiblich nicht mehr greifbar ist. Und dennoch und gerade deshalb möchte ich ihn nicht verlieren, sondern weiterhin eine Beziehung mit ihm leben – natürlich eine Beziehung, die anders aussieht als die zu einem lebenden Menschen.

Deshalb geht es mir in diesem Buch um ein neues Modell des Trauerns. Ein Modell, das dem Hinterbliebenen hilft, mit dem Verstorbenen und nicht ohne ihn zu leben. Nicht das Loslassen steht im Zentrum, sondern die Liebe zum Verstorbenen, die weiter reicht. Auch wenn der Tod das Leben des Verstorbenen beendet, die Liebe des Hinterbliebenen beendet er nicht.

Der Tod verändert nur die Beziehung zum Verstorbenen. In der Liebe des Hinterbliebenen lebt diese Beziehung weiter!

Es geht eben nicht nur um Loslassen und Abschiednehmen, auch wenn das nach der gültigen Trauerpsychologie das Ziel jeder Trauer ist und sein soll. Die Trauer, so der wissenschaftliche Konsens, ist die Emotion des Abschieds. Die Trauer hilft dem Hinterbliebenen, den Verstorbenen loszulassen. Diesen die ganze Trauerpsychologie auch heute noch bestimmenden Grundgedanken formulierte Sigmund Freud schon 1913 in seiner Schrift »Totem und Tabu« wie folgt: »Die Trauer hat eine ganz bestimmte psychische Aufgabe zu erledigen, sie soll die Erinnerungen und Erwartungen der Überlebenden von den Toten ablösen« (Freud, Gesammelte Werke, Bd. IX, S. 82).In seiner für die Psychologie der Trauer sehr einflussreichen Schrift »Trauer und Melancholie« (Freud, Gesammelte Werke, Bd. X) vertieft Freud diesen Ansatz weiter. Die Ablösung erfordert vom Trauernden sehr viel Energie. Deshalb wird dieser Prozess von Freud als »Trauerarbeit« beschrieben. Die bisherige Trauerpsychologie empfiehlt daher nachdrücklich:

Lerne den Tod des Verstorbenen als Realität zu sehen!

Akzeptiere, dass der Verstorbene nicht mehr da ist!

Lasse den Verstorbenen los!

Nimm Abschied von ihm und dem bisherigen gemeinsamen Leben!

Lerne ohne den Verstorbenen zu leben!

Baue ein neues Leben ohne den Verstorbenen auf!

Auch ich habe als Psychotherapeut immer in diesem Sinn beraten: »Nehmen Sie Abschied! Lassen Sie los. Beerdigen Sie Ihren Angehörigen. Suchen Sie nach neuen und anderen Lebenszielen und nach neuen Beziehungen.« Oft habe ich den Betroffenen Abschiedsrituale vorgeschlagen, in der Hoffnung, dass der Trauernde »endlich« loslassen kann.

Ich habe natürlich wahrgenommen, dass Trauernde sich dabei nicht richtig verstanden fühlten und sich nicht selten gegen mein Drängen auf Loslassen wehrten. Aber ich dachte, das sei ein vorübergehender Widerstand und der Betroffene sei noch nicht »so weit« für dieses Abschiednehmen. Mithilfe der Psychotherapie sollte er zum Loslassen gelangen, schließlich meinte ich als Psychologe zu wissen, was in der Trauerarbeit nötig und hilfreich ist. Dabei argumentierte ich durchaus in Übereinstimmung mit der gesamten Trauerliteratur. Ich wusste es nicht besser. Ich selbst hatte bis dahin keinen eigenen schweren Verlust erlebt und kannte von daher die tiefen Gefühle von Trauernden nicht aus eigener Erfahrung.

Die kleinen, weniger schweren Verluste, die ich bis dahin erlebt hatte, waren im Loslassen durchaus bewältigt. Für leichtere Verluste mögen die bisherigen Trauermodelle und Empfehlungen ausreichen. Nicht aber für schwere, schmerzliche Verluste von sehr nahestehenden Menschen.

So fühlte ich mich in meiner eigenen Trauer um meinen Sohn dann auch von der gängigen Trauerliteratur nicht verstanden. Wirkliche Hilfe erfuhr ich dort nicht. Im Gegenteil: Mein Ärger über die Psychologie, über die Trauerratgeber wurde immer größer. Warum wird dort meine ungeheure Sehnsucht nach meinem Sohn nicht gesehen, geschweige denn verstanden? Warum wird dort nicht akzeptiert, dass ich nicht loslassen will? Ich will doch festhalten, natürlich nicht den Toten, der vor mir im Sarg liegt, nicht den Leichnam. Aber etwas anderes – nämlich das Wesen, die Gestalt, die Person, das Du des geliebten Menschen. Warum hilft dazu die Trauerliteratur nicht? Warum unterstützt sie mich nicht dabei, eine andere, neue, aber nicht weniger intensive Beziehung zu meinem Sohn zu finden?

Für diese Sehnsucht nach einer inneren Beziehung möchte ich Hilfestellungen geben, nicht zum Loslassen! Und ich weiß inzwischen, dass viele Trauernde genau darin Begleitung suchen, von der Trauerpsychologie in dieser Hinsicht aber alleingelassen werden.

Deshalb schreibe ich dieses Buch – als Hilfe für andere Menschen in diesem ganz anders verstandenen Trauerprozess und als Beschreibung meines eigenen Weges zu einer neuen Beziehung zu meinem Sohn. Dafür habe ich mich von den gängigen Vorstellungen der Trauerpsychologie gelöst und mich meinen eigenen Erfahrungen überlassen. Ich habe mit anderen Trauernden geredet, deren Verlust zwei, acht oder über zwanzig Jahre zurückliegt. Immer wieder habe ich bei mir und anderen entdeckt, dass die Beziehung zum Verstorbenen nicht zu Ende ist. Sie geht weiter, anders zwar, aber nicht mit weniger Nähe, nicht mit weniger Liebe – im Gegenteil.

Wie erleichtert war ich, als ich dann bei meinen Recherchen auf neuere amerikanische Trauerliteratur stieß, in der ich mich in meinen Erfahrungen bestätigt sah. Dennis Klass und dessen Kollegen (Klass, Silverman und Nickman, 1996) haben in vielen empirischen Untersuchungen gezeigt, dass trauernde Eltern oder trauernde Geschwister, Witwer und Witwen und trauernde Partner die Beziehung zum Verstorbenen weiterleben.

So wurde mir mehr und mehr deutlich: Trauern ist nicht nur die Emotion des Abschieds, sondern Trauer ist das Gefühl, das Hinterbliebenen hilft, eine neue Beziehung zum Verstorbenen zu finden.

Ihr Widerstreben gegen das Loslassen ist in Ordnung. Nehmen Sie sich hier in Ihren Gefühlen und Wünschen ernst, was immer auch Trauerratgeber oder andere wie Psychologen, Ärzte, Angehörige oder Freunde sagen mögen.

Ihre Gefühle sagen Ihnen richtigerweise: Loslassen und Abschiednehmen ist nur ein Teil des Trauerns – aber nicht alles!

Muss ich die Liebe zurücknehmen?

In der Trauer drücken wir unseren Schmerz darüber aus, dass der geliebte Mensch nicht mehr leiblich da ist. Die Liebe, die ich diesem Menschen geschenkt habe, lässt sich mit ihm nicht mehr leben, jedenfalls nicht mehr in konkreter Form. Und umgekehrt werde ich von ihm auf diese Weise auch nicht mehr geliebt.

Die Trauerpsychologie hat daraus in der Nachfolge Freuds die Schlussfolgerung gezogen, dass wir unsere Liebe zum Verstorbenen zurücknehmen müssen. Die Liebe wird in der psychoanalytischen Theorie »Libido« genannt und als psychische Energie verstanden. Diese lassen wir dem anderen zufließen und mit ihr besetzen wir den anderen. In wichtige Beziehungen investieren wir also Energie in Form von Zuwendung und Engagement. Bei einem Verlust läuft diese Energie nun sozusagen ins Leere und findet keine Resonanz mehr. Deshalb muss der Trauernde diese Energie vom Verstorbenen abziehen und zurücknehmen. Auch dies ist ein wichtiger Teil der viel beschworenen Trauerarbeit. Hat der Trauernde seine Libido nun wieder zur eigenen Verfügung, ist er von der alten Beziehung frei und kann seine Liebesenergie in andere Beziehungen hineingeben.

Verstärkt wurde dieser Ansatz von der Bindungstheorie, die John Bowlby (Bowlby, 1983) entwickelt hat. In allen menschlichen Beziehungen, insbesondere zu geliebten Menschen, verwirklicht sich das angeborene Bedürfnis nach Bindung. Bowlby hat bei Tieren und Kindern, die von ihren Eltern getrennt wurden, beobachtet, dass sich diese nach anfänglichem Protest, nach Verzweiflung und Trauer mit dem Verlust abfinden. Er hat aus diesen Verhaltensbeobachtungen ganz ähnlich wie die Psychoanalyse geschlossen, dass die Trauer ihre Funktion darin hat, den Verlust zu akzeptieren und die Bindung aufzulösen.

Die Trauerpsychologie empfiehlt in der Nachfolge der Psychoanalyse und der Bindungstheorie deshalb den Trauernden Folgendes:

Spüre in der Trauer, dass deine Liebe ins Leere geht.

Realisiere, dass das Gegenüber deiner Liebe nicht mehr da ist.

Lasse deine Wut darüber zu. Sie hilft dir, dich vom Verstorbenen zu distanzieren und zu lösen.

Ziehe deine Liebesenergie ab, löse die emotionale Bindung zum Verstorbenen.

Nimm deine Liebe zu dir zurück.

Nutze die frei gewordene Energie für dich oder bringe sie in neue Beziehungen und Bindungen ein.

Auch hier wird wieder eine fundamentale Erfahrung vieler Trauernder übersehen: Zwar kann die Liebe nicht mehr konkret gelebt werden, aber sie geht nicht ins Leere. Der Verstorbene bleibt als Gegenüber in Erinnerungen oder inneren Bildern präsent. Und vor allem: Er bleibt für den Hinterbliebenen der geliebte Mensch, auch noch nach langer Zeit. Natürlich muss die Liebe nun andere Formen finden, in denen sie sich dem Verstorbenen zeigen kann. Und: Sie verändert sich auch im Lauf einer langen Zeit, so wie sich in jeder Beziehung die Liebe verändert.

Aber – so berichten viele – die Liebe bleibt. Und damit bleibt der Verstorbene eine wichtige Person im Leben vieler Hinterbliebener. Auch hier geht es im Trauerprozess nach meinem Verständnis nicht um das Beenden der Liebe, sondern um ihre Transformation. Die Trauer hilft bei dieser Wandlung der Liebe zum Verstorbenen.

Lassen Sie in der Trauer Ihre Liebesgefühle zu. Diese dürfen ganz intensiv sein und Sie ganz erfüllen. Das ist nicht »verrückt«, sondern darin zeigt sich die Kraft Ihrer Seele, weiter lieben zu wollen.

Vertrauen Sie der Liebeskraft Ihrer Seele! Sie wird auch nach dem Tod Ihres geliebten Menschen Wege finden, diesen weiter zu lieben, ihm nahe zu sein und mit ihm in Beziehung zu bleiben.

Vertrauen sie der Wandlungsfähigkeit der Liebe! Sie wird neue Formen und neue Weisen des Liebens finden.

Ist weinen alles?

Natürlich gilt es in einer bestimmten Hinsicht loszulassen: Der Verstorbene wird leiblich nicht mehr da sein. Ich kann ihn nicht mehr umarmen, ich kann nicht mehr direkt mit ihm reden, ich kann seine Entwicklung nicht mehr mit ihm teilen. Ich verliere mit dem Verstorbenen unendlich viel, es ist ein ungeheuer großer Verlust, den ich als Leere oder als Wunde in mir erlebe.

Den Schmerz über diese schreckliche Realität drücke ich in meiner Trauer aus. Deshalb halte ich es für besser, von der Trauer nicht als Emotion des Abschiedes, sondern als Emotion des Verlustes zu sprechen.

Meine Trauer macht mir bis tief ins Körperliche hinein immer wieder aufs Neue schmerzlich bewusst, dass der andere weggegangen ist und nicht mehr leibhaftig da ist. In diesem Prozess lernt meine Seele allmählich, die reale Abwesenheit des Verstorbenen zu akzeptieren. Die Trauer wird vom Gefühl des Verlustes zu einem Gefühl, das den Abschied auf der realen Ebene ermöglicht. Insofern, und nur in diesem Sinn, kann man die Trauer als das Gefühl des Abschiedes bezeichnen.

In der herkömmlichen Trauerpsychologie wird aber das Trauern selbst immer wieder einseitig funktionalisiert. Es soll das Loslassen und das Auflösen der Beziehung zum Verstorbenen ermöglichen. Damit wird die Trauer implizit und ungewollt zu einer »Negativemotion«, jedenfalls im Erleben des Trauernden. Die Trauer soll das fördern, was der Trauernde nicht will: das Hergeben, das Loslassen, das Abschiednehmen.

Dabei wird nicht zwischen dem äußeren Abschied und einer weitergehenden, inneren Beziehung zum Verstorbenen unterschieden.

Ungeachtet dieser wichtigen Differenzierung wird das Trauern generell als Mittel des Loslassens und des Abschiedes eingesetzt und auch der Eindruck vermittelt, dass nur eine bestimmte Art des Trauerns, wie zum Beispiel das expressive Weinen, richtig ist. Wir wissen aber, dass das Trauern individuell sehr verschieden zum Ausdruck kommen kann; häufig trauern Männer und Frauen auch sehr unterschiedlich. Diese wichtige Differenz wird oft zu wenig berücksichtigt.

Die Trauerpsychologie empfiehlt deshalb Folgendes:

Erlaube dir deine Trauer, weil sie dir beim Loslassen hilft.

Lebe deine Trauer aus: Schreie deinen Schmerz heraus, weine, lasse die Tränen zu – sooft und intensiv als möglich.

Zeige deinen Schmerz und bringe ihn nach außen. Er hilft dir den Verlust zu »ver-schmerzen«.

Lasse auch die anderen Gefühle wie Ohnmacht, Verzweiflung, Scham und Wut zu – auch sie sind Teil deiner Trauer, auch sie sind ganz in Ordnung.

Lasse deine Wut zu, denn sie ist besonders wichtig für die Aufgabe des Loslassens.

Diese Empfehlungen halte ich, trotz der eben genannten Problematik, nach wie vor für wichtig. Immer noch brauchen viele Menschen in unserer Gesellschaft die Erlaubnis und die Ermutigung, sich auf ihre schmerzlichen Gefühle einzulassen, ihre Trauer zu leben und sie als etwas Wichtiges anzunehmen. Oft helfen auch Gruppen von Trauernden, in denen die Betroffenen ihre Trauer ohne Scheu zeigen und ausleben dürfen. Ebenso ist in vielen Fällen professionelle Hilfe in Form von psychologischer Beratung oder Psychotherapie angezeigt und nötig.

Die Trauer wird aber nur dann zu etwas Hilfreichem, wenn wir verstehen, dass sie nicht nur für das Loslassen notwendig ist. Die Trauer – so mein Verständnis – ist mehr als eine »Negativ- oder Loslassemotion«, sie ist Ausdruck der Liebe zum Verstorbenen. Bei meinem Verständnis von Gefühlen hat jedes Gefühl ganz zentral einen Beziehungsaspekt: Jedes ist der Versuch, mit anderen in einer bestimmten Weise in Beziehung zu treten. Deshalb ist für mich – und für viele andere Trauernde – das Gefühl der Trauer auch ein Kommunikationsversuch mit dem Verstorbenen über den Tod hinaus. Sie zeigt in ihrem Aspekt der Liebe, dass sie in Verbindung zum Verstorbenen bleiben will. Und das tut sie tatsächlich auch, wie viele Erfahrungen und die Untersuchungen von Dennis Klass und seiner Kollegen (1996) zeigen.

Lassen Sie Ihre Trauer zu – in all ihren Formen, im Weinen, im Schreien, im Seufzen, in traurigen Gedanken, im stillen Traurigsein, im Rückzug oder wie auch immer sich Ihr Schmerz zeigen mag.

Bleiben Sie bei der Form des Trauerns, die für Sie stimmt. Sie müssen nicht immer sichtbar in Form von Tränen trauern – Sie finden die Form, die zu Ihnen passt.

Die Trauer zeigt Ihnen, dass Ihre Seele in Verbindung zum Verstorbenen bleiben will. Die Trauer ist Ausdruck Ihrer Liebe zu dem geliebten Menschen.

Bildlich gesprochen ist jede Träne, jedes Seufzen, jeder traurige Gedanke, jeder Teil Ihrer Trauer wie eine unendlich wertvolle Perle, die Sie Ihrem geliebten Mensch aus Liebe schenken.

Bildlich gesprochen ist Ihre Trauer selbst – wie immer sie bei Ihnen aussehen mag – ein Brief, den Sie aus Liebe Ihrem geliebten Menschen schicken.

Ist am Ende alles gut?

Nun sind zwei Jahre vergangen, seit mein Sohn tot ist. Es gibt Tage, da habe ich das Gefühl, dass es mir besser geht. Aber was heißt schon »besser«? Habe ich mich an seine Abwesenheit gewöhnt? Kann ich damit leben? An solchen »besseren« Tagen kann ich mich bei der Arbeit vergessen, kann auch wieder die kleinen Dinge des Lebens genießen. Ich erlebe also durchaus einen Fortschritt in meinem Trauerprozess.

Aber dann gibt es Momente und Tage, da ist überhaupt nichts besser. Da steigt meine tiefste Trauer auf, da falle ich wie zu Beginn in tiefste Löcher. Dann habe ich den Eindruck, es wird gar nichts besser, weil der Verlust meines Sohnes durch nichts, aber auch gar nichts zu ersetzen ist.

Und dann gibt es Momente und Zeiten, da will ich nicht, dass es mir besser geht, da will ich an der Trauer festhalten. In ihr erlebe ich mich meinem Sohn besonders nahe.

Von dieser doppelten Erfahrung berichten viele Trauernde, die einen schweren Verlust erlitten haben: Einerseits spüren sie ein Abnehmen ihrer Trauer, andererseits gibt es Tage, an denen die ganze Trauer wieder präsent ist. Hinterbliebene, deren Verlust über Jahre zurückliegt, berichten, dass es immer wieder traurige und sehnsuchtsvolle Momente gibt. Ihre Trauer ist in gewisser Weise nie ganz zu Ende.

In der gängigen Trauerliteratur werden dagegen Phasenmodelle der Trauer beschrieben. Sie erwecken den Eindruck, dass jeder Trauernde bestimmte Phasen durchlaufen muss und dabei bestimmte Traueraufgaben zu erledigen hat.

Dem Trauernden und den professionellen Trauerbegleitern wird empfohlen, diesen Trauerprozess entsprechend den vorgegebenen Phasen zu gestalten und sich auf diese Phasen so einzulassen, dass sie durchlebt und schließlich hinter sich gelassen werden können. Damit entsteht – von den Autoren sicherlich ungewollt – der Druck, dass am Ende des Prozesses die Trauer abgeschlossen, also der Verstorbene losgelassen sein soll.

Ein sehr bekanntes und die Trauerpsychologie prägendes Phasenmodell hat zum Beispiel Verena Kast (1977) erarbeitet:

Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens:Zunächst möchte der Trauernde den Tod des geliebten Menschen nicht wahrhaben. Er verdrängt und verleugnet diese Realität immer wieder.

Phase der aufbrechenden Emotionen:In dieser Phase brechen Schmerz, Trauer, Wut und Ohnmacht auf. Diese Gefühle gehören zum Trauerprozess und fördern diesen.

Phase des Suchens und Sich-Trennens:Der Trauernde sucht den Verstorbenen so lange, bis er schmerzlich realisieren muss, dass dieser nicht mehr da ist. Damit wird das Abschiednehmen und Loslassen zu einer auch psychischen Realität im Trauernden.

Phase des neuen Selbst- und Weltbezugs:Der Hinterbliebene kann sich neu auf die Welt und auf neue Beziehungen einlassen, nachdem er im Trauerprozess eine Veränderung seiner Person erlebt hat.

Ich will nicht leugnen, dass diese Modelle durchaus zur Orientierung über die eigene Situation in der Trauer helfen können. Sie sind wie eine grobe Landkarte, die mir zeigt, an welchem Ort ich mich auf meiner Trauerreise befinde.

Die Erfahrung bei schweren Verlusten zeigt auch, dass der Trauerprozess kein Durchleben von aufeinanderfolgenden Phasen ist, sondern zunächst ein immer neues Kreisen, ein Vorwärts- und dann wieder Zurückgehen darstellt. Dieser komplexe Prozess, der oft auch geprägt ist von Sprüngen, Abstürzen und Umwegen, dient einem Ziel, nämlich dem Finden einer inneren Beziehung zum Verstorbenen.

Der Trauerprozess mit seinen verschiedensten Erfahrungen ist also nicht nur ein Weg, der dem Akzeptieren der äußeren Realität des Verlustes dient, sondern er ist viel mehr: Er ist ein Weg zu einer neuen Liebe, er ist ein Weg zu einer Beziehung zum Verstorbenen, die gerade kein Ende kennt.

Auf diesem Weg möchte ich Sie, möchte ich Trauernde, möchte ich Hinterbliebene begleiten. Ich möchte Ihnen in diesem Buch Anregungen, Hilfestellungen und konkrete Übungen an die Hand geben, wie Sie Ihre ganz eigene Beziehung zu Ihrem verstorbenen geliebten Menschen finden und leben können.

Erlauben Sie sich Ihr Widerstreben gegen die Vorstellungen »Die Zeit heilt schon alle Wunden« und »Am Ende wird alles gut«.Finden Sie Ihren ganz eigenen Weg durch die vielfältigen Erfahrungen des Trauerns.Erlauben Sie sich dabei Umwege, Abstürze, »Rückfälle«, Sprünge und andere ungewöhnliche Erfahrungen.Sie können Ihrem eigenen Weg trauen, weil die Kraft, nach einer anderen inneren Beziehung zu Ihrem geliebten Menschen zu suchen und diesen zu finden, in diesem Trauerweg steckt.Ihr Gefühl »Es wird nichts mehr so sein wie früher. Alles wird ganz anders sein« stimmt, denn eine äußere Beziehung zu Ihrem geliebten Menschen wird es nicht mehr geben, dafür eine ganz andere, eine innere Beziehung.Das eine kann und soll das andere nicht ersetzen. Und doch ist angesichts der Realität des Verlustes eine neue innere Beziehung zu Ihrem geliebten Menschen unendlich wertvoll und auch tröstlich.

2 Es bleibt aber die Liebe – Trauer als kreative Beziehungsarbeit

»In meiner Liebe bleibst du mir nahe«

Die Trauer bringt den Geliebten nahe

Mein Sohn ist nicht mehr da. Morgens muss ich ihn nicht mehr wecken, abends kommt er nicht mehr nach Hause. Wenn ich alleine zu Hause bin, ist seine Abwesenheit in der Leere des Hauses mit Händen zu greifen. Zugleich war mir mein Sohn noch nie so nahe. Ich höre seine Stimme und sein Lachen, ich sehe ihn vor mir. Ich spüre ihn neben mir, ganz leiblich, sehr konkret. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass ich ihn berühren, ihn umarmen kann. Manchmal verschmelze ich förmlich mit ihm. Ich rede mit ihm und er mit mir. Wie ist das möglich, wie kann das sein? Er ist doch weg, unendlich weit weg?

Es ist eine verwirrende Erfahrung: Im Gegensatz zur eigenen Erwartung ist der Verstorbene mit seinem Tod nicht nur fern, sondern auch ungeheuer nah. Er ist gerade nicht abwesend, sondern innerlich anwesend. Er ist da – so intensiv wie nie. Die Beziehung und Bindung zu ihm ist nicht unterbrochen, sondern intensiviert – bis ins Schmerzhafte.

In der Trauerliteratur wird darauf kaum eingegangen, allenfalls wird es als vorübergehendes Phänomen in der Trauerphase des Suchens gewertet. Das bedeutet aber auch, dass der Trauernde diese Näheerfahrung überwinden sollte.

Ich möchte dagegen dieses Erleben ernst nehmen. Ich gehe hier aus von einer inneren Weisheit unserer Psyche oder unseres Unbewussten, aus der heraus alles psychische Erleben einen tieferen Sinn hat. Die überwältigende Näheerfahrung verstehe ich von daher als dringlichste Aufforderung unserer Seele: Bleib dem geliebten Menschen nah, lass ihn nicht einfach los. Und vor allem: Lass diese Nähe zu! Lebe sie! Die Näheerfahrung ist als Impuls zu verstehen, den geliebten Menschen als ein Gegenüber, als ein Du zu bewahren und in eine Beziehung zu ihm zu treten.

Der Hinterbliebene erlebt diese Nähe als eine Beziehung ganz eigener Qualität. Beschreibende Worte versagen hier. Wir könnten sie als innere, als geistige, als rein psychische Beziehung, kurz: als Liebe zu einem abwesenden Menschen verstehen. Diese unterscheidet sich zunächst nicht von der Beziehung zweier Liebender, die über Monate und Jahre getrennt sind und sich nicht sehen können.

Anders als diese Liebenden kann der Trauernde aber nicht unmittelbar davon ausgehen, dass der Verstorbene lebt. Das steht für das konkrete Empfinden des Trauernden auch außer Frage. Er spürt das Gegenüber des geliebten Menschen. Er braucht dafür keine naturwissenschaftlichen Beweise. Auch esoterische oder spiritistische Spekulationen sind dazu nicht nötig. Der geliebte Mensch ist mir einfach nahe als Gegenüber, als ein Du mit einer eigenen Realität, die ich so gelten lassen und würdigen will.

Die Erfahrung, dass der Verstorbene nahekommt, ist einwichtiger Teil der Trauer und unendlich wertvoll. Sie lädt Sie ein, den geliebten Menschen als inneres Gegenüber zu bewahren. Lassen Sie diese Näheerfahrungen zu, und trauen Sie diesen als eine erste Form einer neuen Beziehung zum geliebten Menschen.

Wer solche Näheerfahrung noch nicht erlebt hat, kann sich darauf verlassen, dass die innere Weisheit seiner Seele andere Wege findet, die Beziehung zum geliebten Menschen zu knüpfen. Wir werden auf dem gemeinsamen Weg in diesem Buch viele Formen der Beziehungsgestaltung zum Verstorbenen entdecken.

Die Trauer ruft die Liebe wach

Der Verlust und der Schmerz rufen so intensiv wie kaum etwas im Leben eines Menschen Gefühle wach, die zunächst nicht zum Schmerz der Trauer zu passen scheinen. Für mich sind es die in der Trauerpsychologie unbeachteten und ausgeschlossenen Schwestern der Trauer. Sie passen nicht in die Konzepte, in denen die Trauer auf das Loslassen des Verstorbenen zielt. Diese Gefühle wollen das Gegenteil, nämlich die Nähe zum Verstorbenen. Auch sie zeigen allein durch ihre Existenz, dass sie in der Evolution des Menschen und in seiner Psyche einen wichtigen Platz und auch einen Sinn gerade in der Situation des Verlustes und des Todes besitzen.

Das Mitgefühl

: Weil wir den Verstorbenen liebten, fühlen wir mit seinem Schicksal. Er musste vielleicht lange leiden, er darf nicht mehr leben – er, den wir so sehr liebten. Das ist so, als hätte ich gelitten, als dürfte ich nicht mehr leben. Das rührt mein Herz, das bekümmert mich, das schmerzt mich. Viele Trauernde fühlen sich so intensiv in den Verstorbenen ein, dass sie ihm mit allen Mitteln unbedingt seinen Tod erspart hätten und gerne an seiner Stelle gestorben wären. In diesem starken Mitgefühl bei schweren Verlusten setzen sich viele Trauernde an die Stelle des Verstorbenen. Psychologisch gesehen identifizieren wir uns mit dem Verstorbenen. Darin zeigt sich der Wunsch unserer Seele, dem Verstorbenen ganz nahe sein zu wollen, gewissermaßen mit ihm zu verschmelzen. Wir brauchen diese Erfahrung als Fundament unserer späteren Beziehung zu ihm.

Die Liebe

: Intensiv bis in den äußersten Schmerz hinein zeigt mir der Verlust, wie sehr ich den verloren gegangenen Menschen liebte und jetzt erst recht liebe. Der Verlust ist wie ein Brennglas, in dem meine Liebe kristallklar und intensiv ins Bewusstsein tritt. Für viele Trauernde ist es verwirrend, manchmal beschämend, dass sie ihre Liebe zum Verstorbenen so intensiv spüren wie noch nie. Doch gerade angesichts des Todes zeigt sich die Liebe mit ihrer ganzen Kraft, gerade jetzt ist sie in ihrer Intensität wichtig, gerade jetzt ist sie richtig. Dafür braucht sich niemand zu schämen.

Der Trauernde sieht den geliebten Menschen nun mit all dem, was dessen Person ausgemacht hat, was liebenswert an ihm war, was an gemeinsamer Liebe und Nähe bisher gelebt wurde. Das ganz Besondere, das Einmalige in der Person des Verstorbenen wird bis in die tiefsten Strukturen deutlich. Dabei wird auch schmerzlich erfahren, dass dieser Mensch, so wie ich ihn geliebt habe, einzigartig und unersetzbar ist. Alles andere tritt in den Hintergrund. Man kann das – wie häufig in der Trauerliteratur – als Idealisierung des Verstorbenen abwerten.

Dies wird dem eigentlichen Sinn dieser Liebeserfahrung in der Trauer nicht gerecht. Die Trauer ruft die Liebe wach und macht sie zur Gegenkraft zum Verlust. Die Liebe, auch gerade mit den Anteilen der Idealisierungen, zeigt sich so eindeutig, damit die Beziehung zum Verstorbenen über den Tod hinaus weitergehen kann.

Die Sehnsucht

: Die Sehnsucht – in der Psychologie kaum beachtet – ist die Kraft, die trotz der realen Abwesenheit des Geliebten weiter liebt und die nicht aufhört zu hoffen, den Geliebten eines Tages in die Arme schließen zu dürfen. Viele Trauernde berichten von einer geradezu rasenden, schmerzenden Sehnsucht. Die Sehnsucht glaubt an den abwesenden Geliebten. In der Sehnsucht ist er in Bildern, in Gefühlen und in Handlungen ständig präsent. Darin liegt die paradoxe Kraft des Gefühls der Sehnsucht: Sie weiß sehr wohl, dass der Verstorbene nicht mehr da ist, aber im Sehnen ist er dem Hinterbliebenen intensiv nahe. Bettina von Arnim beschreibt die paradoxe Kraft der Sehnsucht poetisch und doch psychologisch sehr präzise:

Wer sich nach Licht sehnt,

ist nicht lichtlos,

denn die Sehnsucht

ist schon Licht.

Diese drei zentralen Aspekte der Trauer machen deutlich, dass die Trauer in ihrem innersten Kern die Beziehung und die Liebe zum Verstorbenen beibehalten will. Das bestätigen mir viele Trauernde. Sie sind ganz erleichtert, wenn ich sie nach ihrer Sehnsucht und ihren Liebesgefühlen und nicht nur nach ihrem Schmerz frage.

Sehr deutlich wurden mir die Aspekte des Mitgefühls, der Liebe und der Sehnsucht bei einem elfjährigen Mädchen, das seine Mutter verloren hatte. Nach deren Tod entdeckte sie ein altes T-Shirt aus der Jugendzeit der Mutter. Sie zog es an und trug es wochen- und monatelang. Damit schlüpfte sie mitfühlend gewissermaßen in die Kleider ihrer Mutter, um sich mit ihr zu identifizieren. Immer wieder schlich sie in das Arbeitszimmer der Mutter, das nach deren Tod noch unberührt geblieben war. So konnte sie in ihrer Sehnsucht der Mutter nahe sein. Sie durchblätterte Fotoalben mit Bildern, die sie mit großer Liebe anschaute. Das Grab der Mutter dagegen mied sie, weil sie sich dem direkten Schmerz der Trauer nicht aussetzen wollte. Offensichtlich lebt dieses Mädchen die Beziehung zu ihrer Mutter, auch wenn sie nicht, wie von der Umwelt erwartet, regelmäßig das Grab ihrer Mutter besucht. Über die Brücke der Identifikation baut dieses Mädchen eine nahe innere Beziehung zu ihrer Mutter auf.

Dem zentralen Beziehungsaspekt der Trauer, wie er sich im Mitgefühl, in der Liebe und in der Sehnsucht zeigt, möchte ich in diesem Buch nachgehen. Ich möchte Sie gerne anleiten, in der Trauer die Liebe zu entdecken, sie ernst zu nehmen und sehr bewusst zu leben.

Achten Sie Ihr Mitgefühl mit dem Verstorbenen, Ihre Sehnsucht nach ihm und Ihre Liebe zu ihm. Diese Gefühle sind die innerste Kraft der Trauer, die die Beziehung zum Verstorbenen bewahren werden!

Bildlich gesprochen sind diese das innerste Licht im tiefen Dunkel der Trauer. Je mehr Sie sich auf diese Seite im Trauerprozess einlassen können, desto mehr kann sich die Trauer wandeln und ihre Beziehungskraft entfalten.

Nicht ohne die Toten, sondern mit ihnen leben – Was wir von der Ahnenverehrung lernen können

Die Idee des Abschieds, die nahelegt, dass der Verstorbene aus dem Leben verschwindet, ist ein neuzeitlicher Gedanke. Der Sozialphilosoph Jean Baudrillard hat aufgezeigt, dass moderne Gesellschaften nicht nur den Tod, sondern auch die Toten aus dem gesellschaftlichen Leben verdrängt haben. Die Hoffnung, dass mit dieser Ausgrenzung das Leben einfacher oder leichter würde, hat sich nicht erfüllt, im Gegenteil! Mit dem Ausgrenzen der Toten hat sich das Leben verkürzt und entleert, weil die Beziehung zu den Toten als eigene Beziehungsrealität einfach nur abgeschnitten wird. Die Trauerpsychologie hat in der Nachfolge Freuds die neuzeitliche Verbannung der Toten unreflektiert übernommen und sie nun auch noch für die Seele des Einzelnen zum Ziel des Trauerprozesses erklärt. Eine innere Beziehung zum Verstorbenen wird deshalb immer noch als Symptom eines ungelösten, manchmal auch pathologisch gewerteten Trauerprozesses verstanden.

Dagegen gab es in fast allen alten Kulturen vor diesem Ausgrenzungsprozess die Ahnenverehrung. In ihr spiegelt sich, was unsere Seele eigentlich will: mit den Toten weiterleben. Wenn man die Totenverehrung in verschiedenen Kulturen genauer untersucht, zeigen sich folgende Merkmale:

Die Toten erhalten einen guten Platz in der Gemeinschaft, zum Beispiel sind sie in einem Hausaltar präsent oder sie werden wie bei Zulustämmen in Afrika in der Hütte der Familie des Verstorbenen beerdigt.

Die Toten bleiben präsent im Leben, sie werden als anwesend erlebt und sind so Gegenüber und Gesprächspartner für die Lebenden.

Die Toten wirken weiter, manchmal intensiver als im Leben. Dies kann durchaus auch bedrohlich für die Lebenden sein.

Mit den Toten wird gelebt, zum Beispiel bei Festen, bei denen die Ahnen der Familie und des Dorfes mitfeiern.

Die Toten werden geehrt und verehrt. So wird die Achtung für die Toten ausgedrückt.

Für die Toten wird in Form von Opfern und Gaben etwas getan.

Die Toten segnen die Lebenden und spenden ihnen Lebenskraft.

Für einen modernen Betrachter mag manches befremdlich erscheinen. Auch mir erging es bis zum Tod meines Sohnes so. Aber für mich als Trauerndem drückt sich in diesen Traditionen der Ahnenverehrung genau das aus, was ich fühle: Meine innere Beziehung zu meinem Sohn geht weiter. Und ich will diese Beziehung bewusst leben. Wenn ich mich und andere Trauernde genauer beobachte, dann entdecke ich, dass wir – freilich in anderem Gewand – unsere Trauer ganz ähnlich leben wie unsere Vorfahren ihre Ahnenkulte. Umgekehrt zeigen uns die Strukturen und Rituale der Ahnenverehrung nicht nur, dass unsere Seele die weitere Beziehung zum Verstorbenen will, sondern wie wir diese sehr bewusst gestalten können. Dazu möchte ich Sie als Leserin und Leser in diesem Buch ermutigen und anleiten.

Trauen Sie Ihrer Empfindung, dass Ihr verstorbener geliebter Mensch auch weiterhin zu Ihnen und zu Ihrem Leben gehört. Alte Menschheitserfahrungen ermutigen, mit den Verstorbenen zu leben, sie in unserer Seele wachzuhalten und sie in unser Leben mit hineinzunehmen.

Noch einmal: Die Toten gehören zu den Lebenden – Einsichten aus der systemischen Familientherapie

Immer wieder fragen mich Menschen, die mich neu kennenlernen: »Wie viele Kinder haben Sie?« Dann stockt mir der Atem. Was soll ich nun sagen? Soll ich den Tod meines Sohnes verleugnen? Gehört mein Sohn nicht mehr zu mir? Ist er nicht mehr mein Kind? Ich weiß, dass mein Sohn zur Familie gehört, auch weiterhin. Deshalb sage ich: »Ich habe zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn, der vor zwei Jahren starb.«

Was sich aus unserem Blick auf die Ahnenkulte ergeben hat und was ich in der eben geschilderten Situation immer wieder ganz hautnah erlebe, erhält nun weitere Unterstützung. Die Familientherapie nach Bert Hellinger (Weber, 1993; Hellinger, 1994) weist in vielen Familienaufstellungen nach, dass Verstorbene ebenso zum Familiensystem gehören wie die noch Lebenden.

Diese inzwischen sehr bekannte Methode hilft Menschen, ihre Probleme und Themen aus der eigenen Familiengeschichte heraus zu verstehen. Die Herkunftsfamilie des Betroffenen wird dazu mit einer Familienaufstellung dargestellt und sichtbar gemacht, sodass häufig unmittelbar die prägenden Kräfte und Hintergründe seiner Familie deutlich werden.

Dazu wählt der Betroffene aus einer Gruppe Teilnehmer aus, die stellvertretend die Rolle der einzelnen Familienmitglieder übernehmen. Diese Stellvertreter werden nun in einem großen Raum so aufgestellt, dass sie das innere Bild der Familie des Betroffenen abbilden. So stehen beispielsweise die Eltern voneinander abgewandt, weil sie sich innerlich schon lange getrennt haben; eine Tochter steht nahe der Mutter, weil sie mit der Mutter sehr stark mitgefühlt hat, während der Bruder den Vater anblickt, mit dem er sich verbunden fühlte. In einer solchen Aufstellung spüren einerseits die Stellvertreter, andererseits der Aufstellende und die Beobachter, was in dieser Familie fehlt oder wo sie aus dem Gleichgewicht geraten ist. Von daher erklären sich häufig die Probleme dieser Familie und des Aufstellenden.

Zunächst werden nur die noch lebenden Familienmitglieder aufgestellt, in einem zweiten Schritt werden auch die toten Familienmitglieder in die Familienaufstellung und damit in die Familie hereingeholt, insbesondere die, die vergessen oder in der Erinnerung der Familie getilgt wurden. Die Familienaufstellung wird dann vom Therapeut so verändert, dass auch die Verstorbenen einen guten Platz in der Familie erhalten. Mit diesem Schritt wird der Verstorbene von den noch Lebenden gesehen und geachtet. Wie in einem Ritual spricht zum Beispiel das nachgeborene Kind zum im Krieg gefallenen Vater: »Du bist mein Vater – ich achte und ehre dich.«

Dieses Ritual hat eine befreiende Wirkung auf die Nachfahren. Sie müssen nun nicht mehr das Problem oder das Lebensthema des Verstorbenen übernehmen und durch Nachahmung sühnen. Alle Beteiligten spüren nun eine Erleichterung und eine Ruhe, die ohne die Berücksichtigung des Verstorbenen nicht da war. Nun können auch die Energien und hilfreichen Botschaften des Verstorbenen als ein gutes Vermächtnis für die Nachfahren fruchtbar gemacht werden. Der Stellvertreter des Verstorbenen segnet die noch Lebenden und entlässt sie in deren eigenes Leben.

Was ich hier in aller Kürze geschildert habe, macht deutlich, dass Verstorbene sehr wohl zu den Lebenden gehören, nämlich zu deren Familie und in die Seelen der einzelnen Familienmitglieder. Das Unbewusste einer Familie und des Einzelnen macht keinen Unterschied zwischen Lebenden und Toten, vielmehr sind alle noch wirkmächtig und in diesem Sinn »lebendig«. Alle – die Lebenden und die Toten – beziehen sich auf der unbewussten Ebene eines Familiensystems und der Seele aufeinander, stehen also in einer nahen Beziehung zueinander. Das Ganze einer Familie und die Seele des Einzelnen braucht beide – die Toten und die Lebenden!

Und das wissen Kinder in einer intuitiven und ursprünglichen Weise: Der Vater eines fünfjährigen Jungen war vor einigen Monaten gestorben. Seine Großmutter nahm ihn dann auf ein Familientreffen mit. Nach dem Kirchgang ging die ganze Familie in einer großen Gruppe zum Gasthaus. Mit dem Blick auf die Familie fragte der Junge: »Oma, gehören die alle zu uns?« »Ja, die gehören alle zu unserer Familie«, antwortete seine Großmutter. Nach kurzem Überlegen sagte darauf der Junge: »Aber der Papa gehört da auch dazu.« Dieser Junge spricht aus, was zum Ganzheitsgefühl der Psyche des einzelnen Familienmitglieds, aber auch des Familiensystems gehört: Die Verstorbenen sind wichtiger und lebendiger Teil der Familie, und umgekehrt ist Familie nur dann ganz, wenn die Verstorbenen in ihr anwesend sein dürfen.

Für das Verständnis der Trauer eröffnen sich damit neue Horizonte: Der Tod ist nicht das Ende familiärer und persönlicher Beziehungen. Vielmehr erhält im Trauerprozess der Verstorbene einen wichtigen und guten Platz im Ganzen der Familie und im Gesamtraum der Seele.

Die Welt derer, die leben, und die Welt derer, die tot sind,sind wohl sehr viel enger verknüpft und verwoben, alswir in unserem rationalen Denken der modernen Welt glauben. Das macht ein Brauch in Japan deutlich: Schon die Lebenden werden in die Grabinschrift eines Familiengrabes eingetragen. In blauen Schriftzeichen werden die Verstorbenen, in roten die noch Lebenden geschrieben. Die Verstorbenen gehören über den Tod hinaus zu den Lebenden, und die Lebenden gehören durch ihre Verpflichtung gegenüber den Toten in den Beziehungsraum der Toten. Der Unterschied zwischen den Lebenden und Toten ist klein und zeigt sich nur in der Farbe der Inschrift. Die Toten leben mit den Lebenden, die Lebenden mit den Toten. Die Verbindung zwischen den beiden Welten ist die beziehungsstiftende Kraft der Liebe, die sich wie die innere Glut in der Asche der Trauer verbirgt. Thornton Wilder hat dies unübertroffen so ausgedrückt:

Was bleibt, ist die Liebe. Da ist ein Land der Lebenden und ein Land der Toten, und die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe – das einzige Bleibende, der einzige Sinn.

3 Die Trauer sucht einen guten Ort

»Da werde ich dich immer finden«

Wo soll ich dich suchen?

Mein Sohn ist tot, er ist nicht mehr da. Unendlich weit entfernt ist er. Da gibt es nichts zu leugnen. Es gibt keine härtere Realität als dieses »Nicht mehr da!«. Das braucht mir niemand zu sagen. Meine Hände sind leer, meine Arme greifen ins Leere. Was heißt da loslassen? Er wurde mir weggerissen, weggenommen, entfernt von mir. Und zugleich will ich nur eines: Ich will ihn wiedersehen, ich will ihn haben. Da bin ich wie ein kleines verzweifeltes Kind. Wo finde ich meinen Sohn wieder? Es muss doch einen Ort geben, an dem ich ihn finde, an dem ich ihm begegnen kann. Es muss ihn doch irgendwo geben. Wo ist er hingegangen?

In der Trauer brechen viele Fragen auf. Bei plötzlichen Todesfällen, Unfällen oder Suiziden ist es häufig die Frage nach dem »Warum«. Immer wieder drängt sich die Frage auf: Wie konnte das passieren? Und warum musste es passieren? Und natürlich auch: Hätte ich es verhindern können? Sehr bald schon stellt sich in schweren Trauersituationen eine weitere unabweisbare Frage: Wo ist der Verstorbene? Gibt es einen Ort, an dem ich ihn finden kann, wo ich ihm begegnen kann?

Im Phasenmodell der Trauer (vgl. Kapitel 1) gehört diese Frage in die Phase des Suchens. Demnach sucht der Trauernde zunächst in der äußeren Realität, ob er den Verstorbenen entdecken kann. Und tatsächlich entdeckt der Trauernde ihn plötzlich. Wie aus dem Nichts auftauchend sah ich meinen Sohn um die Ecke kommen – um dann festzustellen, dass es ein anderer Junge seines Alters war. Für einen Moment war ich enttäuscht, doch durch die Begegnung irgendwie auch getröstet. Es war für mich wie ein Zeichen, dass mein Sohn nicht so weit entfernt sein kann, dass es einen Ort geben muss, an dem ich ihn finden kann.

Natürlich wusste ich dabei sehr genau und realistisch, dass ich ihn nicht auf der Straße, in seiner Schule oder an einem anderen Ort finden würde. Aber ich spürte auch, dass es einen solchen Ort geben wird, nicht in einer äußeren Realität, wohl aber in einer ganz anderen, inneren Wirklichkeit. Das vergebliche Suchen im Äußeren hat also einen tieferen und weiterführenden Sinn: Die Seele sucht nach einem Ort, an dem der Verstorbene weiterlebt und deshalb die Fortdauer der Beziehung zu ihm möglich sein wird. Ein anderer Vater, der seinen dreißigjährigen Sohn verlor, drückte das so aus: »Ich weiß und glaube, dass mein Sohn an einem Ort ist, wo es ihm gut geht. Ich weiß nicht, wo das ist, aber dort geht es ihm gut.«

Es ist nicht erstaunlich, dass die erste Frage von trauernden Kindern bis zur Pubertät lautet: »Wo ist der Papa oder die Mama jetzt?« Für Kinder ist diese Frage ganz selbstverständlich und ungeheuer wichtig. Es scheint so, dass sie die Frage zunächst aus Sorge um den Verstorbenen stellen. Er soll es gut haben, er soll sicher aufgehoben sein. Umgekehrt gibt die Antwort dann auch den Kindern eine gewisse Sicherheit und Ruhe. Auch wenn eine Traurigkeit zurückbleibt, wenden sich die meisten Kinder wieder ihren alltäglichen Aufgaben zu, weil sie wissen, dass der Verstorbene sicher aufgehoben ist und er ihnen zum Beispiel vom Himmel herab fürsorglich zuschaut.

Man kann dies alles nun als kindliches Bedürfnis abwerten. Ich ziehe es vor, die Frage nach dem Ort des Verstorbenen als eine zentrale und wichtige Fähigkeit der Seele im Trauerprozess zu verstehen. Sie braucht das Wissen um einen sicheren Ort für den Verstorbenen, damit sie in Verbindung zu ihm bleiben kann. Auch hier zeigt die Trauer ihre kreative, beziehungsstiftende Kraft.

Lassen Sie die Frage nach dem Aufenthaltsort des Verstorbenen zu. Sie ist Ausdruck der beziehungsstiftenden Kraft der Trauer.

Ihre Seele braucht das Wissen um einen sicheren Ort für den Verstorbenen.

Der Tod als Reise zu einem neuen Ort

Die einfache Frage der Kinder nach dem Aufenthaltsort des Verstorbenen wird in allen Kulturen und Weltreligionen beantwortet. Die Frage und ihre Beantwortung stammen aus den archetypischen Schichten des Unbewussten. Wie C. G. Jung aufgezeigt hat, beantworten diese Schichten unserer Psyche allgemeine Menschheitsfragen mit Bildern, die sich ihrer Struktur nach über alle Zeiten und Kulturen hinweg gleichen (Jung, 1985).

So wird der Tod überall als der große Übergang des Verstorbenen in eine andere Welt verstanden. Diese Reise in die Anderswelt wird in einer weitverbreiteten Symbolik als die Überfahrt über das Meer oder den Totenfluss, als Wanderung der Seele, als Aufstieg in den Himmel oder als Hinabsteigen in das Totenreich geschildert. Oft wird der Verstorbene oder seine unsterbliche Seele dabei von einem Begleiter wie einem Engel oder Fährmann geführt, weil die Reise beschwerlich und oft auch gefährlich ist.

Der Tod verlangt also nicht nur vom Trauernden, sondern auch vom Verstorbenen selbst einen Übergang und eine Veränderung. Trauerrituale wie das der Beerdigung sind daher Übergangsriten für den Hinterbliebenen wie für den Verstorbenen. Sie bereiten den Verstorbenen für diese Reise vor. So werden ihm in den Grabbeigaben steinzeitlicher Bestattungen Nahrung und Proviant für den Weg mitgegeben (Stephenson, 1980; Barlowen, 2000).

In allen Mythen und Religionen, die den Tod als Übergang verstehen, ist das Ziel für den Verstorbenen ein Aufenthaltsort in der anderen, jenseitigen Welt. Dieser Ort ist meist ein Ort der Ruhe, des Friedens, der Sicherheit wie zum Beispiel das Paradies oder der Himmel. Oft ist es auch ein Ort überweltlicher Transzendenz wie die Lichterscheinung, die im Tibetanischen Totenbuch beschrieben wird.

Die negativen Pendants dieser Orte des Friedens wie der Hades bei den Griechen, die Scheol im Alten Testament oder die Hölle des christlichen Mittelalters zeigen umgekehrt, wie schrecklich es für den Verstorbenen wäre, an diesen Ort zu kommen und dort bleiben zu müssen. Auch hier drückt sich noch im Schrecklichen die Sehnsucht aus, eigentlich einen guten Ort für den Verstorbenen finden zu wollen.

In diesen archetypischen Bildern bildet sich ab, was jeder einzelne Trauernde bewusst und unbewusst im Trauerprozess tut: Seine Psyche sucht für den Verstorbenen einen guten Ort, an dem dieser geborgen und gehalten ist. Trauerarbeit ist deshalb vor allem auch die Bemühung der Seele, diesen Ort zu finden und einzurichten. Die Seele des Trauernden geht auf die Suchreise danach – sie tut das für den Verstorbenen und für sich selbst.

Die Trauer lädt uns ein, auf die Suchreise nach einem sicheren Ort für den Verstorbenen zu gehen. Lassen Sie Ihre Seele auf die Suche gehen, wie und wo immer sie suchen will. Erlauben Sie sich auch ganz konkret, also zum Beispiel in Ihrer häuslichen Umgebung, nach dem Verstorbenen Ausschau zu halten oder ihn am früheren gemeinsamen Urlaubsort zu suchen. Die Suchreise wird sich von konkreten äußeren Orten hin zu symbolischen, transzendenten oder innerseelischen Orten bewegen.

Sie können sicher sein, dass sich bei dieser Reise ein guter Ort für den Verstorbenen finden wird. Sie können dabei Ihrer Seele viel Zeit lassen. Sie brauchen nichts zu erzwingen, nichts zu tun oder zu wollen. Sie können Ihre Seele auf dieser Suchreise unterstützen. Nehmen Sie die Bilder auf, die mythische, religiöse und philosophische Traditionen über den sicheren Ort der Verstorbenen zur Verfügung stellen. Und vor allem: Nehmen Sie die Einfälle, Gedanken, Bilder und Träume wahr, die Ihnen Ihre Seele im Verlauf dieser Suchreise zukommen lässt.

Einen guten Ort für den Verstorbenen finden

Auch in der Psychotherapie von traumatisierten, also psychisch schwer verletzten und geschädigten Menschen hat das Bild eines sicheren und guten Ortes eine zentrale therapeutische Bedeutung. Ich möchte nun für die Trauerarbeit nach einem schweren Verlust wesentliche Elemente dieses therapeutischen Vorgehens (Reddemann, 2001 und 2004) aufgreifen und übernehmen.

In der Traumatherapie wird der Betroffene angeleitet, für sein traumatisiertes Ich einen sicheren Ort zu suchen. Dies findet in Form einer Fantasie- und Vorstellungsübung, also durch Imagination statt. Das jüngere, traumatisierte Ich des Betroffenen, meist das verletzte Ich aus der Kindheit, wird in der Vorstellung aus der schrecklichen Situation des Traumas herausgeführt und an einen Ort gebracht, an dem keine weitere Traumatisierung stattfinden kann und kein Täter hingelangen oder eindringen kann. Betroffene werden gebeten, sich einen solch absolut sicheren Ort vorzustellen. Das kann eine Insel sein, die von einem schützenden Zauberkreis umgeben ist; es könnte eine Burg oder es könnte eine schützende Höhle im Erdinneren sein. Dorthin wird dann das verletzte, jüngere Ich geführt. Betroffene berichten, dass sie sich damit geschützt fühlen und dabei ruhig werden.

Erstaunlich ist nun, dass die Bilder und Symbole der Traumatisierten für diese sicheren Orte sehr stark den Aufenthaltsorten für Verstorbene ähneln, wie sie in den religiösen Überlieferungen beschrieben werden. Offensichtlich stammen in beiden Fällen die Bilder aus den archetypischen Tiefenschichten der Seele. Unsere Psyche scheint mit dem Verstorbenen genauso umzugehen wie mit eigenen Persönlichkeitsanteilen. Das liegt natürlich auch nahe, da der verlorene, geliebte Mensch schon vor seinem Tod zu einem Teil in mir und zu einem Teil von mir geworden ist.

Im Bild des sicheren Ortes in der Imagination oder in den religiösen Überlieferungen zeigt sich die gleiche psychische Wirklichkeit. Ob dies auch einer naturwissenschaftlichen, »äußeren« Wirklichkeit entspricht, sei hier offengelassen. Entscheidend ist für mich, was den Hinterbliebenen hilft, mit dem Verstorbenen weiter eine Beziehung zu leben. Wenn Sie als Leser oder Leserin sich auf die folgende kleine Imaginationsübung einlassen können, werden Sie unmittelbar spüren, wie tröstlich allein die Vorstellung oder der Gedanke des sicheren Ortes für Ihren Verstorbenen sein kann.

Auch im Weiteren werde ich immer wieder solche Imaginationsübungen vorschlagen. Diese Methode ist in verschiedenen psychotherapeutischen Ansätzen wie in der Aktiven Imagination in der Psychologie C.G. Jungs, im Katathymen Bilderleben, in der Hypnotherapie und zuletzt in der genannten Traumatherapie entwickelt worden. Die Imagination hat sich dort als wichtiges Therapeutikum erwiesen. Deshalb möchte ich Sie in die Trauerarbeit einführen und Trauernden in Form von einzelnen Übungen zugänglich machen.

Hinweis: Alle Imaginationsübungen in diesem Buch können von Ihnen eigenständig durchgeführt werden. Tun Sie das so, wie es für Sie und Ihre besondere Situation stimmig ist. Zwingen Sie sich nicht zu den Übungen. Sie sind als Vorschlag und Einladung gedacht.

Wer wenig Erfahrung mit solchen Übungen hat oder zurzeit keinen Zugang zu ihnen findet, kann die Übungen wie die anderen Textteile des Buches nur lesen. Auch so entfalten die Bilder und Fantasiereisen ihre besondere Wirkung. Wenn Sie einen Schritt weitergehen möchten, können Sie sich die Übungen langsam und laut vorlesen und sich dabei zunehmend auf die Bilder der Übungen einlassen.

Wer Erfahrung hat, kann die Übungen als hilfreiches Material und Grundlage für eigene Imaginationen und Fantasiereisen nehmen.

Die Übungen dieses Buches ersetzen keine psychologische Begleitung (wie Seelsorge, Psychologische Beratung oder Psychotherapie), die bei schweren Verlusten anzuraten ist.

ÜBUNG

Erste Schritte auf der Suchreise nach einem sicheren Ort für den geliebten Menschen

Es tut gut, sich selbst einen ruhigen und geschützten Ort für diese Vorstellungsübung zu suchen und sich dann entspannt niederzulassen. Vielleicht möchten Sie auf einem Teppich am Boden liegen oder in einem bequemen Sessel oder einem guten Stuhl sitzen.

Zunächst werden noch viele Gedanken und Einfälle in Ihrem Kopf herumschwirren. Wahrscheinlich wird Ihnen Ihr verstorbener geliebter Mensch einfallen. Bilder und Erinnerungen werden aufsteigen, Trauer und Schmerz werden sich bemerkbar machen.

Lassen Sie das alles einfach zu. Manchmal kann die Trauer zu stark werden, dann steht jetzt vielleicht das Weinen im Vordergrund. Manchmal ist es dann für eine Imagination noch zu früh. Warten Sie ab, bis Sie wieder einen Impuls dazu in sich spüren.

Vielleicht aber möchten Sie jetzt einsteigen in eine Vorstellungsübung, bei der Sie die ersten Schritte auf der Suche nach einem sicheren Ort für Ihren geliebten Menschen tun können.

Ich möchte Sie einladen, sich einen Ort vorzustellen, an dem Sie sich zunächst selbst sicher fühlen, ein Ort, an dem Sie Ruhe und Frieden erleben können.

Lassen Sie diesen Ort vor Ihrem inneren Auge als Bild entstehen, so wie Ihre Seele das im Augenblick kann und mag. Es kann ein Bild sein, das sehr intensiv und nahe und groß ist, oder auch entfernter, vielleicht blasser oder klein. Es kann auch nur ein Gedanke sein.

Vielleicht fällt Ihnen ein Bild von einem großen Garten mit alten Bäumen ein. Vielleicht ist es eine Insel im Meer, vielleicht ist es eine Bergspitze oder ein großer Fels, vielleicht ein großer Baum, an dessen Stamm man sich lehnen kann. Es könnte ein helles und warmes Licht sein.