Psychotherapie bei Komplextraumata (Leben Lernen, Bd. 334) - Roland Kachler - E-Book

Psychotherapie bei Komplextraumata (Leben Lernen, Bd. 334) E-Book

Roland Kachler

0,0
26,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wie Trauma-Opfer sich von »Inneren Tätern« befreien Traumatisierungen, die durch Menschen erfolgen, wie bei sexueller Gewalt, wiederholtem körperlichen und emotionalem Missbrauch oder Folter, stellen TraumatherapeutInnen immer noch vor große Herausforderungen. Roland Kachler legt mit diesem Buch einen neuen Ansatz vor, der die toxischen psychischen Abläufe bei einer Man-made-Traumatisierung sehr genau unter die Lupe nimmt und die Behandlungspraxis auf diese Erkenntnisse abstimmt. Im Zentrum der Neukonzeption steht der Vorgang der Intrusion, bei der ein Täter gewaltsam in den Innenraum des Opfers eindringt und sein »Täter-Imprint« hinterlässt. Das führt bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu großen Verletzungen und langanhaltenden Störungen. Wie die zahlreichen Behandlungsbeispiele zeigen, wird eine Traumaheilung möglich, wenn es gelingt, den »Inneren Täter« vollständig zu entmachten und zu distanzieren.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 244

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Roland Kachler

Psychotherapie bei Komplextraumata

Depotenzierung des Inneren Täters und Heilung der Traumawunden

Klett-Cotta

Zu diesem Buch

Roland Kachler legt mit diesem Buch einen neuen traumatherapeutischen Ansatz vor, der die toxischen psychischen Abläufe bei einer Man-made-Traumatisierung sehr genau unter die Lupe nimmt und die Behandlungspraxis auf diese Erkenntnisse abstimmt. Im Zentrum der Neukonzeption steht der Vorgang der Intrusion, bei der ein Täter gewaltsam in den Innenraum des Opfers eindringt und sein »Täter-Imprint« hinterlässt. Das führt bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu großen Verletzungen und langanhaltenden Störungen. Wie die zahlreichen Behandlungsbeispiele zeigen, wird eine Traumaheilung möglich, wenn es gelingt, den »Inneren Täter« vollständig zu entmachten und zu distanzieren.

Die Reihe »Leben Lernen« stellt auf wissenschaftlicher Grundlage Ansätze und Erfahrungen moderner Psychotherapien und Beratungsformen vor; sie wendet sich an die Fachleute aus den helfenden Berufen, an psychologisch Interessierte und an alle nach Lösung ihrer Probleme Suchenden.

Alle Bücher aus der Reihe ›Leben Lernen‹ finden Sie unter: www.klett-cotta.de/lebenlernen

Impressum

Leben Lernen 334

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Jutta Herden, Stuttgart

unter Verwendung einer Abbildung von © Brinja Schmidt/iStock by Getty Images

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Altusried-Krugzell

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-608-89308-3

E-Book ISBN 978-3-608-11959-6

PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20595-4

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Einleitung: Das Projekt dieses Buches – ein neuer Ansatz in der Traumatherapie

… erleben wir eine Zeitenwende?

Mein Unbehagen mit der Täter-Introjekt-Arbeit bei Komplextraumatisierungen

Mein Unbehagen mit der Traumaheilung als Traumakonfrontation

Auf dem Weg zu einer neuen Traumatherapie bei Komplextraumata

Kapitel 1

Komplextraumata als gewaltförmige und intrusive Traumatisierung

1.1 Formen der gewaltförmigen, intrusiven Traumatisierung

1.2 Die Intrusion – Grenzverletzung und Eindringen des Täters

Die Intrusion als gewalttätiges Handeln des Täters

Die Verantwortung des Täters für die Intrusion

Die Intrusion als Eindringen in die Innenräume der Betroffenen

1.3 Die Prozesse der Intrusion und Invasion des Täters in den Innenraum der Betroffenen

1.4 Traumatherapeutische Konsequenzen und Interventionen

Metaphern für den Täter als Akteur seines intrusiven Handelns

Kapitel 2

Das Täter-Imprint und der internale Täter-Komplex – wie der Innere Täter entsteht und destruktiv wirkt

2.1 Das Imprinting – die Entstehung des Täter-Imprints

2.2 Das Imprint als Prägung auf der Ebene der Sinnesmodalitäten

2.2.1 Visuelles Täter-Imprint

2.2.2 Akustisches Täter-Imprint

2.2.3 Haptisch-taktiles Täter-Imprinting über die Haut

2.2.4 Nocirezeptorisches Täter-Imprint

2.2.5 Propriorezeptives, kinästhetisches Täter-Imprint

2.2.6 Interozeptives und viszerozeptives Täter-Imprint

2.2.7 Olfaktorisches und gustatorisches Täter-Imprint

2.3 Imprinting als Prägung auf verschiedenen zentralen neuropsychologischen Ebenen

2.3.1 Imprinting der Amygdala als dauerhafte Sensitivierung der Alarmreaktion und Einbrennen des Tätergesichtes

2.3.2 Imprinting des Hippocampus und dessen Schädigung

2.3.3 Imprinting des Stresssystems als dauerhafte Überaktivierung des Organismus

2.3.4 Imprinting der sensorischen kortikalen Felder

2.3.5 Imprinting des Schmerzsystems

2.3.6 Imprinting des impliziten Gedächtnisses

2.3.7 Imprinting und Schädigung des Immunsystems

2.3.8 Imprinting des epigenetischen Systems

2.3.9 Imprinting und Schädigung des Telomersystems

2.4 Introjektion und Täter-Introjekt als Sekundärprozess – der internale Täter-Komplex

2.5 Das Täter-Imprint und der innere Täter-Komplex als bleibende destruktive und toxische Fremdkörper

2.5.1 Die weiter traumatisierende Wirkung des Täter-Imprints und des Inneren Täter-Komplexes

2.6 Konsequenzen für die Traumatherapie bei Komplextraumata

Kapitel 3

Das Trauma der Betroffenen – die Verletzung und Verwundung des Körper-Hauses und des Selbst-Hauses

3.1 Die evolutionsbiologisch angelegten neuropsychologischen Reaktionen des Körpers bei einer Intrusion

3.2 Die psychischen und physischen Innenräume des Menschen

3.2.1 Individueller Nah- und Eigenraum im psychosozialen Kontext

3.2.2 Körpergrenzen als Umhüllung durch die Haut

3.2.3 Das Ich als Raum unserer Autonomie und Selbstbestimmung

3.2.4 Raum der Selbstwahrnehmung und des Selbstwertgefühles

3.2.5 Körperinnenraum als psychophysiologischer Raum

3.2.6 Raum der Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte

3.2.7 Intimraum und Raum der eigenen Sexualität und Geschlechtsidentität

3.2.8 Raum der Identität und Einzigartigkeit

3.2.9 Personaler Raum der Identität und der Würde

3.2.10 Raum der Überlebensfunktionen

3.3 Das Trauma-Körper-Haus und das Trauma-Selbst-Haus

3.3.1 Das Körper-Haus als psychophysische Basis und das Trauma-Körper-Haus

3.3.2 Das Selbst-Haus als psychische Ganzheit und das Trauma-Selbst-Haus

3.3.3 Eingangsdiagnostik der beklagten Symptomatik und der intrusiven Traumatisierung

3.3.4 Körper- und Selbst-Symbole als therapeutische Metaphern und stabilisierende Ressourcen

Therapiedialog Einführung der Metapher von Trauma-Körper-Haus und Trauma-Selbst-Haus

3.4 Der Einbruch in das Körper-Haus – die Entstehung des Trauma-Körper-Hauses

3.4.1 Psychophysiologische Reaktionen des Körpers auf die Intrusion

3.4.2 Aktivieren von Schutz-, Abwehr- und Ausstoßungsreaktionen und das Erleben von vergeblichen Abwehrreaktionen

3.4.3 Physische Körperschmerzen durch die Verletzung und Verwundung als Traumaschmerz

3.4.4 Psychische Körperschmerzen der Verletzung und Verwundung

3.4.5 Ausbildung des Schmerzgedächtnisses und Chronifizierung des Traumaschmerzes

3.4.6 Das Trauma-Körper-Haus beruhigen und erstversorgen – die Stabilisierungsarbeit I

3.5 Der Einbruch in das Selbst-Haus – die Entstehung des Trauma-Selbst-Hauses

3.5.1 Beschädigungen des Selbst-Hauses bei der Intrusion des Täters

3.5.2 Beschädigung im Inneren des Trauma-Selbst-Hauses

3.5.3 Das Trauma-Selbst-Haus erstversorgen und stabilisieren – die Stabilisierungsarbeit

II

Therapiedialog Aktivierung einer Inneren Heilerin und Architektin

3.6 Bleibende Beschädigungen des Trauma-Körper-Hauses und des Trauma-Selbst-Hauses – die Traumafolgestörungen

Kapitel 4

Traumatherapie als Depotenzierung und Distanzierung des Täter-Imprints und des internalen Täter-Komplexes

4.1 Bergen der traumatisierten Ego-States aus intrusiver Traumatisierungsszene als Traumatransformation

4.1.1 Vorbereitung für die Bergearbeit

4.1.2 Durchführung der Bergearbeit als Traumatransformation

Therapiedialog Traumatransformation durch Bergearbeit

4.2 Beelterungsarbeit und beginnende Heilung am schützenden heilsamen Ort

Therapiedialog Beelterungsarbeit am schützenden heilsamen Ort

4.3 Depotenzierung und Distanzierung des Täter-Imprints

4.3.1 Vorbereitung der Depotenzierungs- und Distanzierungsarbeit

Therapiedialog Vorbereitung der Depotenzierung

4.3.2 Grundlegende Interventionsschritte der Depotenzierungs- und Distanzierungsarbeit

Therapiedialog Depotenzierung des Schwimmlehrers auf der Depotenzierungsbühne

4.3.3 Depotenzierung und Distanzierung des Täter-Imprints in der intrusiven Traumatisierungsszene

Therapiedialog Depotenzierung der Jugendgang in der Traumatisierungsszene

4.3.4 Externalisierung des Täter-Imprints und des internalen Täter-Komplexes aus dem Trauma-Körper-Haus und anschließende Depotenzierung

Therapiedialog Externalisierung des Täters aus dem Trauma-Körper-Haus über Empörung und Wut

4.3.5 Externalisierung des Täter-Imprints und des internalen Täter-Komplexes aus dem Trauma-Selbst-Haus und anschließende Depotenzierung

Therapiedialog Externalisierung des Täter-Imprints aus dem Trauma-Selbst-Haus

4.4 Herausforderungen und Schwierigkeiten

4.4.1 Täter-Imprint töten, vernichten oder depotenzieren?

4.4.2 Täter-Imprint entzieht sich der Depotenzierung

4.4.3 Täter-Imprint ist nicht erinnerbar oder dissoziiert

4.4.4 Loyalität gegenüber dem Täter-Introjekt?

4.4.5 Depotenzierung des Täter-Introjekts und des ganzen internalen Täter-Komplexes?

4.4.6 Weiterentwicklung des depotenzierten und verwahrten Täter-Komplexes

4.4.7 »Resozialisierung« des Täter-Imprints und späte Versöhnung?

Kapitel 5

Traumatherapie als Heilung des Trauma-Körper-Hauses und des Trauma-Selbst-Hauses

5.1 Traumaheilung als Heilung des Trauma-Körper-Hauses

5.1.1 Lindernde und liebevolle Körperwahrnehmung

5.1.2 Heilende Arbeit mit den Schutz- und Abwehrschmerzen

Therapiedialog Arbeit mit den muskulären Abwehrschmerzen

5.1.3 Heilende Arbeit mit dem Verletzungs- und Verwundungsschmerz

5.1.4 Heilende Arbeit mit den inneren Verwundungen im Trauma-Körper-Haus

Therapiedialog Arbeit mit den tiefen Traumawunden

5.2 Wiederaneignung und Wiederbewohnen des Körpers-Hauses

5.3 Traumaheilung als Heilung des Trauma-Selbst-Hauses

Statt eines Nachwortes

Literaturverzeichnis

Einleitung: Das Projekt dieses Buches – ein neuer Ansatz in der Traumatherapie

… erleben wir eine Zeitenwende?

Beim Fertigstellen dieses Buches geschieht eine unvorstellbare Katastrophe in unmittelbarer geografischer Nähe bei uns in Europa, die wohl eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents und unseres Landes darstellt. Ein Aggressor überfällt ein benachbartes Land und beginnt eine zerstörerische Invasion. Wenn Sie dieses Buch lesen, werden sich Ihnen ganz sicher immer wieder Parallelen zwischen einem individuellen traumatisierenden Täter und dem politisch agierenden Aggressor aufdrängen. Es steht wohl auch eine Wende in der Therapie von Komplextraumata an, insbesondere in der Arbeit mit dem traumatisierenden Täter.

Es ist wohl nur Zufall, dass die politische Zeitenwende und die grundlegenden Veränderungen in der Therapie von Komplextrauma zusammenfallen. Dennoch wird der hier vorgestellte Traumaansatz durch die gegenwärtige bedrohliche Lage aktueller und auch politischer, als ich es mir je hätte denken können. Und so lässt sich dieses Buch und dieser neue Ansatz für die Therapie von Komplextraumata nicht ohne das beängstigende politische Geschehen lesen, von dem wir zum jetzigen Zeitpunkt im März 2022 überhaupt noch nicht wissen, welche destruktiven Eskalationen entstehen werden. Es bleibt mir nur zu hoffen, dass zu dem Zeitpunkt, an dem Sie dieses Buch in den Händen halten werden, das Schlimmste vorbei ist – was immer das Schlimmste ist. Nun also zur Therapie von Komplextraumata.

Mein Unbehagen mit der Täter-Introjekt-Arbeit bei Komplextraumatisierungen

Die Traumatherapie bei Man-made-Traumata, also von Tätern verursachten Traumata, ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit, der zwar nicht einfach, doch immer auch sinnerfüllend ist. Doch die Arbeit mit dem Inneren Täter scheitert immer wieder. Dabei erachte ich die Bearbeitung des Inneren Täters für unbedingt nötig, weil er im inneren System der Klientinnen destruktiv und retraumatisierend weiterwirkt. Ohne dessen Bearbeitung ist daher eine Traumaheilung nicht möglich. Doch habe ich mich dem Inneren Täter gegenüber oft ohnmächtig und hilflos erlebt. Bei Traumabehandlungen hatte ich versucht, mit dem Inneren Täter in einen Dialog zu kommen, ihn in seiner Tat zu verstehen, und die traumatisierten Klientinnen angeleitet, dies ebenso zu tun. Das allein schon war immer wieder schwierig. Zudem erlebte ich mein Verständnis für den Täter, das dabei verbalisiert werden musste, oft auch als Verrat an den schwer traumatisierten Klientinnen. Der Versuch, im Dialog beim Inneren Täter Einsicht, Verantwortungsübernahme oder gar Reue zu erreichen, scheiterte ebenfalls sehr häufig. Die Klienten, meist Frauen, blieben zurück mit einer erneuten Ohnmachtserfahrung, die auch mich wiederum enttäuscht oder resigniert zurückließ. Natürlich habe ich die Ursache für das wiederholte Scheitern an der für die Traumatherapie so wichtigen Stelle bei mir gesucht. Habe ich etwas übersehen, habe ich die Methoden, wie sie in der Ego-State-Therapie angewandt werden, falsch verstanden oder nicht richtig angewandt, habe ich einen blinden Fleck im Umgang mit Inneren Tätern? Ich habe mich dann entschieden, die Man-made-Traumata und Komplextraumata noch einmal von Grund auf neu zu analysieren und verstehen zu wollen, insbesondere das Handeln der Täter und deren destruktive Wirkung. Ich habe meine Klientinnen nochmals genau befragt, was bei einer gewaltförmigen, intrusiven Traumatisierung eigentlich mit ihnen geschieht.

Mein Unbehagen mit der Traumaheilung als Traumakonfrontation

Doch noch an einer anderen Stelle empfand ich Unbehagen. Natürlich ist nach der Stabilisierungsarbeit das Trauma mit Methoden wie der Bildschirmtechnik zu bearbeiten und damit emotional in die Vergangenheit zu verweisen. Doch in mir entstand die Frage, was mit den Traumawunden und mit den Traumaverletzungen passiert. Ich hatte den Eindruck, dass ich mit meiner Traumaarbeit auf dem halben Weg stehen blieb, das Trauma im Wortsinn als innere Verletzung und Verwundung nicht ausreichend sah und die Klientinnen mit diesen bis ins Tiefste reichenden ungeheuer schmerzlichen Erfahrungen alleinließ.

Auf dem Weg zu einer neuen Traumatherapie bei Komplextraumata

Zunächst begann ich die Konzepte für das Verständnis des sogenannten Täter-Introjektes zu hinterfragen, die mir in meiner konkreten Arbeit mit dem Inneren Täter nicht hilfreich waren und allmählich nicht mehr richtig erschienen. Deshalb will ich in diesem Buch einen neuen Ansatz für die Traumatisierung durch destruktive, gewalttätige Täter1 und deren Weiterwirken im inneren System der Betroffenen2 entwickeln.

Wenn wir nun die Prozesse der Traumatisierung durch einen traumatisierenden Täter und den Inneren Täter neu verstehen lernen, können wir auch erkennen, was die Betroffenen bei einer Traumatisierung erleben. Traumatisierungen bei sexueller, bei körperlicher oder emotionaler Gewalt müssen wir neu als massive Verletzung der Innenräume der Betroffenen sehen. Das Eindringen des Täters und die Verwundung der Betroffenen sind schmerzhaft, beschämend, verletzend und zerstörend. Dies ist mit dem Wort »traumatisierend«, also verwundend im eigentlichen Sinne, zu beschreiben. Erst wenn wir die Verletzungen, die Schmerzen und die schmerzende Zerstörung der Innenräume der Betroffenen wieder ins Zentrum unseres Traumaverständnisses rücken, können wir ihr Leid besser würdigen. Und schließlich können wir ihnen auch traumatherapeutisch auf neue Weise helfen. Ich möchte Sie, die mit von schweren Man-made-Traumata und Komplextraumata verwundeten Betroffenen arbeiten, einladen, einen neuen Ansatz der Traumaheilung bei Komplextraumata kennenzulernen. In dieser Herangehensweise sollen einerseits die Prozesse bei der Traumatisierung durch den Täter und andererseits die tiefen Verwundungen bei den Betroffenen besser und neu verstanden werden.

Wir wollen uns folgenden Fragen stellen, die wir auf dem Weg zu einem neuen Traumaansatz für Komplextraumata beantworten wollen und mit deren Beantwortung dieses neue Trauma-Konzept seine Grundstruktur erhält:

Was geschieht bei einer gewaltförmigen Traumatisierung durch einen Täter im Genaueren?

Hier werden wir die destruktiven und traumatisierenden Aktionen des Täters bei der Traumatisierung genauer analysieren. Dabei spielt der Prozess des Eindringens eine zentrale Rolle, den wir genauer verstehen müssen und den ich präzise beschreiben werde. Ich bezeichne dieses grenzüberschreitende und grenzverletzende Eindringen des traumatisierenden Täters in diesem Buch als Intrusion. In der gegenwärtigen Traumapsychologie wird der Begriff vorwiegend für das überfallartige Auftauchen von Traumabildern, -filmen und -gefühlen aus dem Inneren von traumatisierten Betroffenen verwendet. Dies ist aber nach meinem Verständnis eine sekundäre Folge des ersten, nämlich traumatisierenden Eindringens des Täters in den Innenraum der Betroffenen.

Bei wem liegt die Verantwortung für eine gewaltförmige und damit intrusive Traumatisierung durch einen Täter?

Diese Frage scheint sich selbst zu beantworten, weil die Verantwortung für das Zufügen eines Traumas immer beim Täter liegt. Allerdings implizieren die zurzeit genutzten Konzepte der Internalisierung und Introjektion des Täters durch die Betroffenen oft sehr subtil, dass die Betroffenen bzw. deren Gehirn den Täter selbst nach innen nehmen. Aus meiner Sicht aber liegt bei einem gewaltförmigen Eindringen des Täters die Aktivität eindeutig beim Täter und es gibt dabei keine bewusste oder unbewusste Hereinnahme des Täters als Inneren Täter durch die Betroffenen, seien es vom Trauma betroffene Kinder und Jugendliche wie bei sexueller Gewalt oder Erwachsene bei einer Vergewaltigung oder bei Folter. Wir werden vielmehr sehen, dass der Täter aktiv und grenzüberschreitend in die Betroffenen eindringt und deshalb die Verantwortung für dieses Eindringen, also für die Intrusion, ganz beim Täter liegt.

Welche neuen Konzepte helfen uns, die Entstehung des Inneren Täters besser zu verstehen?

Ich möchte die Konzepte der Internalisierung und Introjektion des Täters überwinden, weil bei der akuten Traumatisierung nicht das Bild des Täters nach innen genommen wird, vielmehr brennen der eindringende Täter und sein intrusives Handeln sich in die verschiedenen inneren Systeme der Betroffenen ein. Ich werde diesen Prozess als Imprinting bezeichnen.

Wie ist der Innere Täter bei einer gewaltförmigen Traumatisierung zu konzeptualisieren?

Das Imprinting, das beim Eindringen des Täters in die physischen und psychischen Innenräume automatisch durch den Täter verursacht wird, hinterlässt den destruktiven Abdruck des Täters und seiner intrusiven Aktionen in den neurobiologischen und psychologischen Systemen der Betroffenen. Diesen Abdruck bezeichne ich als Täter-Imprint, das den destruktiven und toxisch wirkenden Kern des Inneren Täters darstellt.

Welche Rolle spielen die in der bisherigen Traumapsychologie so wichtigen Konzepte der Internalisierung, Introjektion und des Täter-Introjekts?

Wir werden sehen, dass das Täter-Introjekt erst in einem späteren Abschnitt einer Traumatisierung entsteht. Die Betroffenen müssen nach der akuten Traumatisierung durch die Intrusion des Täters innerlich, und oft auch konkret, mit dem Täter umgehen, weil sie mit dem Täter zum Beispiel aus dem Familienkreis meist weiter in Beziehung stehen. Dafür nehmen sie in dieser Zeit zwischen den akuten Traumatisierungen den Täter im Sinne einer Internalisierung und Introjektion als Bild in sich auf. Schließlich konstruieren die Betroffenen ein inneres Bild vom Täter, um mit der traumatisierenden Aktion des Täters und mit ihm als intrusivem Akteur zu überleben und zu leben. Es entwickelt sich in diesem Gesamtprozess ein innerer Täter-Komplex, dessen destruktiver und toxisch wirkender Kern aber das Täter-Imprint ist. Der innere Täter-Komplex wird hier abgekürzt und umgangssprachlich als Innerer Täter bezeichnet.

Wie sieht nun die Bearbeitung des Täter-Imprints im Rahmen einer neuen Traumatherapie aus?

Aus dem neuen Konzept des Imprintings und des Täter-Imprints wird verständlich, warum bisherige Konzepte der Behandlung des Inneren Täters dessen destruktive Dynamik unterschätzen. Der Versuch, den Inneren Täter zu verstehen, mit ihm in Dialog zu treten, mit ihm zu verhandeln, ihn zu verwandeln und zu integrieren, muss deshalb in aller Regel scheitern. Stattdessen schlage ich hier Behandlungsstrategien für den Inneren Täter, insbesondere für das Täter-Imprint vor, welche die Depotenzierung, Entmachtung und Verwahrung des Täter-Imprints und des gesamten Täter-Komplexes anstreben.

Was geschieht neurophysiologisch und psychisch mit den Betroffenen, wenn der Täter in seinem traumatisierenden Handeln in deren Innenräume eindringt?

Ich will ein Trauma durch einen Täter wieder verstärkt vom Wortsinn her als Wunde und die Traumatisierung entsprechend als Verletzung und Verwundung der Betroffenen verstehen. Deshalb steht neben den bekannten neurobiologischen Prozessen der Traumareaktion wie der emotionalen Überflutung durch Angst und Panik, der Erfahrung der Ohnmacht und des Totstellreflexes, der Erfahrung von Freezing, Numbing und Dissoziation nun das Erleben des physischen und psychischen Schmerzes im Zentrum meines Traumaverständnisses.

Wie ist die Traumatisierung der Betroffenen als Verletzung und Verwundung genauer zu verstehen?

Die Traumatisierung durch einen gewalttätigen, intrusiven Täter wird hier als destruktive Grenzverletzung, als schmerzhafte und bleibend schmerzende Verwundung und als Destruktion innerer psychologischer und physiologischer Strukturen der betroffenen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen verstanden. Die inneren Räume der Betroffenen werden metaphorisch als Räume und Zimmer im Körper-Haus und Selbst-Haus der Betroffenen beschrieben. Die Verwundung, Verletzung und Zerstörung des Körper- und Selbst-Hauses der Betroffenen machen diese zu einem Trauma-Körper-Haus und einem Trauma-Selbst-Haus, in dem die destruktiven Traumafolgen als Komplextraumata sichtbar werden.

Wie sieht die Traumatherapie als Traumaheilung der Traumaverletzungen und Traumawunden aus?

Die Traumatherapie muss mehr sein als die distanzierende Bearbeitung der Traumaszenen, zum Beispiel über die Beobachter- oder Bildschirmtechnik. Diese bisherigen Schritte sind zwar weiterhin nötig, aber sie dienen der Vorbereitung einer Traumatherapie, die sich als Heilung der Verletzungen und Verwundungen der Betroffenen in deren psychischen und körperlichen Innenräume versteht. Traumatherapie muss zur Heilungsarbeit an und mit den schmerzenden Verletzungen werden, sodass die traumatisierten, destruktiv veränderten und oft auch zerstörten Innenräume geheilt werden und die Betroffenen sich wieder in einem geheilten und integrierten Selbst- und Körper-Haus heimisch fühlen können.

Aus diesen Fragen und den ersten hier angedeuteten Antworten wird sich also ein neuer Ansatz in der Traumatherapie von Komplextraumata, die ein intrusiver Täter den Betroffenen zufügt, entwickeln. Ich lade Sie ein, mit mir diesen Weg zu gehen, damit sich für komplextraumatisierte Klientinnen3 neue Wege der Traumaheilung eröffnen.

Kapitel 1

Komplextraumata als gewaltförmige und intrusive Traumatisierung

Fallbeispiel 1

Vergewaltigung in Bewusstlosigkeit

Eine 22-jährige Frau lernt auf einer Party einen ihr bisher unbekannten Mann kennen. Nachdem sie seine Annäherungsversuche eindeutig ablehnt, mischt er ihr K. o.-Tropfen – wie sie später rekonstruiert – in ihr Getränk. Stunden später erwacht sie in einem Nebenraum in einem Bett. Sie spürt Schmerzen am ganzen Körper und eine brennende Scheide. Sie riecht den Geruch von Sperma an ihrem ganzen Körper und hat den Impuls zu erbrechen. Sie ahnt sofort, was mit ihr geschehen ist und fühlt sich tief beschämt. Zu Hause angekommen, duscht sie stundenlang, um sich zu reinigen und den Täter abzuwaschen. In den nächsten Wochen und Monaten aber hat sie das auch körperlich immer wieder spürbare Gefühl, dass der Täter in ihrem Inneren sitzt. Die Klientin kommt fünf Jahre nach der Vergewaltigung mit ihrem Partner zunächst in die Paartherapie, weil sie unter schwerem Vaginismus leidet, der jeden Geschlechtsverkehr mit ihrem Partner verhindert.

Fallbeispiel 2

Sexuelle Gewalt durch Klavierlehrer

Der heute 40-jährige Manager fühlt sich gegenüber dominierenden Kollegen und Chefs machtlos und wie gelähmt. Erst im Laufe des Coachings zeigt sich, dass diese Symptomatik auf frühe sexuelle Gewalt zurückzuführen ist. Als Neunjähriger wird der Klient von seinem Klavierlehrer immer wieder aufgefordert, ihn genital zu berühren und bis zur Ejakulation oral zu stimulieren. Der Junge ist gänzlich verwirrt und spürt einen massiven Ekel. Er wird in der späteren Kindheit und Jugend immer wieder von Flashbacks von den mehrmals über längere Zeit stattfindenden Übergriffen überfallen, dabei riecht er die Samenflüssigkeit und hört das Stöhnen des Lehrers. Er hat das Gefühl, dass der Lehrer sich mit seinem Stöhnen in seinem Kopf befindet. Wenn er an die Übergriffe erinnert wird, hat er immer wieder den Impuls zu erbrechen.

1.1 Formen der gewaltförmigen, intrusiven Traumatisierung

Wir gehen hier von Man-made-Traumata aus, die von Tätern, häufig auch von nahen Bezugspersonen, den Betroffenen – Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen – zugefügt wurden. Diese Man-made-Traumata, die ich als Komplextraumata (Hecker & Maercker, 2015; Sack et al., 2018) verstehe, haben dabei immer einen gewaltförmigen Charakter, weil sie eine Grenzverletzung und eine Intrusion in den Innenraum der Betroffenen darstellen. Dies ist zum Beispiel bei einer Vergewaltigung wie in Fallbeispiel 1, bei Folter oder bei einem mit Todesdrohung verbundenen Überfall deutlich sichtbar. Werden diese gewaltförmigen Traumatisierungen vom Täter, also seine grenzüberschreitenden, intrusiven Aktionen über einen längeren Zeitraum wiederholt, sprechen wir von sequentieller Traumatisierung. Ein Beispiel hierfür ist die wiederholte körperliche Gewalt des alkoholkranken Vaters gegenüber seinen Kindern oder die wiederholten sexuellen Übergriffe des Klavierlehrers in Fallbeispiel 2.

In diesen Fällen findet eine Komplextraumatisierung statt, weil die Täter destruktiv tief in die Person eines Betroffenen eindringen. Dies gilt aus meiner Sicht nicht nur für wiederholt und über längere Zeit stattfindende Traumatisierungen, sondern auch für einmalige intrusive Traumatisierungen wie in Fallbeispiel 1. Die Folge ist eine komplexe Traumatisierung, also ein K-PTBS (Hecker & Maercker, 2015; WHO-ICD, 2019) mit massiv destruktiven Folgen für die Betroffenen, nicht selten mit der Entwicklung zum Beispiel von Essstörungen oder einer Borderline-Symptomatik (Bohus, 2019; Bohus & Lieb, 2019) als Traumafolgestörung (Sack et al., 2018; Sack, 2020).

Die Man-made-Traumata als Traumatisierung durch die destruktive, eindringende und damit intrusive Aktivität von Tätern findet in vielfältiger Form bei Kindern und Jugendlichen, aber auch bei Erwachsenen statt. In der Psychotherapie begegnen wir häufig intrusiven Traumatisierungen, die in der Kindheit stattgefunden haben und nun aufgrund der dauerhaften Folgesymptome, wie einer Essstörung oder einer anhaltenden Depression, später aufgearbeitet werden sollen. Wenn wir heute mit einer früher traumatisierten Klientin arbeiten, aktualisieren wir die traumatisierten Ego-States von damals mit ihren Traumareaktionen und Traumawunden von früher. Hier spreche ich im Folgenden von den traumatisierten Ego-States, die damals bei der intrusiven Traumatisierung und infolge von dieser entstanden sind (Fritzsche, 2021; Kachler, 2021).

Die folgende Zusammenstellung stellt nur einen Überblick über die wichtigsten intrusiven, gewaltförmigen Traumatisierungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit (Hanswille & Kissenbeck, 2010) dar:

Sexuelle und sexualisierte Gewalt

Sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt in unterschiedlicher Massivität vom übergriffigen Betrachten eines Kindes bei der Kinderpornografie bis zur Penetration stellen eine massive Grenzverletzung, Ausbeutung und Zerstörung der kindlichen Sexualität, des Körpergefühls und der Identität des Kindes dar. Bei Kindern und Jugendlichen ist auch eine Involvierung des Kindes in eine für den Täter stimulierende Handlung, zu der es keine Zustimmung geben kann, als sexuelle Gewalt zu werten. Die Auswirkungen von sexueller Gewalt sind für die weitere Biografie der Betroffenen äußerst destruktiv (Kahn, 2018; Büttner, 2021).

Die Vergewaltigung von Frauen und Vergewaltigungsversuche, oft verbunden mit Androhung oder Einsatz von körperlicher Gewalt, sind sexuelle Gewalt, die sowohl auf sexuelle Ausbeutung als auch auf zerstörende Machtausübung abzielt (Büttner, 2021).

Körperliche Gewalt

Unterschiedlichste Formen körperlicher Gewalt wie Schlagen, Treten und Stoßen, Festhalten des Kindes oder Jugendlichen gegen seinen Willen, Einsperren oder Würgen lösen beim Kind überflutende Todesängste aus. Sogenannte häusliche Gewalt gegen Frauen, also Gewalt in intimen Beziehungen in Partnerschaft und Ehe, wird noch immer in ihrer Wirkung auf die Betroffenen unterschätzt, aber auch in ihrer Wirkung auf die Kinder als Zeugen dieser Gewalt.

Das Erleben von Überfällen, Folter oder Verletzungen bei kriegerischen Auseinandersetzungen ist eine massive intrusive Verletzung und Bedrohung der körperlichen und damit auch der psychischen Integrität der Betroffenen.

Emotionale oder psychische Gewalt

Die emotionale oder psychische Gewalt kann von Anschreien, Beschimpfen, Herabwürdigungen, persönlichen Abwertungen, Beschämungen wie durch Bloßstellen oder durch Auslachen, zynischen oder sadistischen Verbalien bis zum Quälen durch Liebesentzug oder Schweigen reichen. Emotionales Erpressen und Nötigen bewirken eine massive Entwürdigung, Demütigung und Beschämung und dienen aus Sicht der Täter häufig der Einschüchterung, Manipulation und Machtausübung gegenüber den Betroffenen. Diese Formen der emotionalen Gewalt finden nicht nur gegenüber Kindern und Jugendlichen, sondern häufig auch in toxischen Beziehungen statt. Eine besonders massive Form der emotionalen Gewalt ist die rituelle Gewalt zum Beispiel in Sekten oder kinderpornografischen Tätergruppen (Miller, 2012).

Miterleben häuslicher Gewalt bei Kindern und Jugendlichen

Die Wahrnehmung der häuslichen Gewalt zwischen den Eltern löst über die Spiegelneuronen bei den Kindern häufig eine Todesangst aus. Desgleichen erleben Kinder über die Identifikation mit dem Opfer die gewalttätige Intrusion des Täters auch an sich selbst. Zudem löst die Aggression gegenüber der Partnerin auch bei Kindern massive Bedrohungsgefühle aus (Brisch, 2012).

Vernachlässigung bei Kindern und Jugendlichen

Die fehlende Präsenz der Eltern und Missachtung von elementaren körperlichen oder psychischen Bedürfnissen von Kindern wirkt sich als Vernachlässigung aus. Bei einer Vernachlässigung scheint es auf den ersten Blick kein direktes Eindringen eines Täters zu geben, vielmehr sind die Eltern gerade in ihrer Abwesenheit und Nicht-Präsenz traumatisierend. Doch bei den meisten Vernachlässigungen gibt es auch intrusives Täterverhalten, wenn das Kind angeschrien, festgehalten oder geschlagen wird. So wird der fünfjährige Junge immer wieder angeschrien, weil er in seiner Reaktion auf die Vernachlässigung einkotet. Das dreijährige vernachlässigte Mädchen sieht immer wieder gewaltverherrlichende pornografische Filme, die intrusiv in das Innere des Mädchens eindringen.

Die hier in aller Kürze benannten Man-made-Traumatisierungen sind in ihren unterschiedlichen Formen als intrusive, in den Innenraum der Betroffenen eindringende Komplextraumatisierungen zu verstehen.

Man-made-Traumatisierungen sind als gewaltförmige und intrusive Komplextraumatisierung zu verstehen. Der Täter überschreitet mit seinem Handeln die Grenzen der Betroffenen und dringt verletzend und destruktiv in deren Innenraum ein. Sie bewirken eine Komplextraumatisierung mit möglichen massiven psychischen Folgeerkrankungen wie zum Beispiel einer Essstörung.

Ich beschreibe die Prozesse in diesem Buch für betroffene Kinder und Jugendliche und für Erwachsene. Die gewaltförmigen Traumatisierungen wirken auf Kinder und Jugendliche in aller Regel sehr viel massiver, weil sie weniger Abwehrmechanismen besitzen und in ihrer Entwicklung wegen der Plastizität ihres Gehirns sehr vulnerabel sind. Dennoch sind die Prozesse bei Erwachsenen beispielweise bei einer Vergewaltigung, bei Folter, bei häuslicher Gewalt, Überfällen oder rituellem Missbrauch ganz ähnlich. Die gewaltförmige Traumatisierung erzwingt auch bei erwachsenen Betroffenen eine teilweise oder gänzliche Regression in kindliches Erleben und Fühlen. Insofern wirken hier dann die gleichen Mechanismen wie bei Kindern und Jugendlichen. Deshalb spreche ich summarisch von Betroffenen und benenne dann Unterschiede zwischen Kindern und Jugendlichen einerseits und Erwachsenen andererseits ausdrücklich. Wenn wir dann heute mit der Klientin explizit mit dem Erleben des traumatisierten Kindes und Jugendlichen von damals arbeiten, benenne ich diesen Erlebenszustand von damals im Anschluss an die Ego-State-Therapie (Fritzsche, 2021; Kachler, 2021) als traumatisierten Ego-State. Wir aktualisieren diesen traumatisierten Ego-State und arbeiten mit ihm mit allen hier beschriebenen Methoden wie mit einer Person von heute.

1.2 Die Intrusion – Grenzverletzung und Eindringen des Täters

Fallbeispiel 3

Körperliche Gewalt in toxischer Beziehung

Die 25-jährige Frau lebt in einer toxischen Beziehung, in der es immer wieder massive verbale Auseinandersetzungen gibt. Der Partner schreit sie immer wieder an und scheint sie mit seinen drohenden Blicken zu durchdringen. In einer Diskussion stürzt ihr Partner sich auf sie, wirft sie nieder und würgt sie. Sie bekommt keine Luft und ist in schierer Todesangst. Sie spürt noch während der Gewalttat, wie ihr Körper einfriert und sie sich ganz in ihr Inneres zurückzieht. Dennoch kann sie sich von diesem Mann nicht trennen, bis er sie ein zweites Mal würgt. Sie kommt drei Jahre nach diesen Gewalttaten in die Praxis. Auslöser sind asthmatische Attacken, für die es keine medizinische Erklärung gibt.

Wagen wir nun einen neuen Blick und damit ein neues Verständnis auf das, was hier in diesem Fallbeispiel und allgemein bei einer gewaltförmigen Traumatisierung durch einen Täter geschieht. Dabei müssen wir den Prozess der intrusiven Traumatisierung in der Akutsituation genauer analysieren und verstehen.

Die Intrusion als gewalttätiges Handeln des Täters

Im Fallbeispiel oben dringt der Täter mit seinem Schreien und seinen bedrohlichen Blicken in den psychischen Innenraum der Klientin ein. Mit dem Zupacken seiner Hände und Abschnüren des Atems besetzt der Täter den gesamten Körper und den Atemraum der Frau. Bei einer Man-made-Traumatisierung überschreitet der Täter die Grenzen der Betroffenen, überwältigt sie mit seiner brutalen Handlung und dringt in die betroffene Person ein. Dies gilt für eine einmalige Traumatisierung wie bei einem Schlag ins Gesicht, einer Vergewaltigung oder bei einem Raubüberfall ebenso wie für wiederholte, sequentielle Traumatisierungen und bei wiederholten sexuellen Übergriffen gegenüber einem Kind. Ich bezeichne diesen Prozess als Intrusion, also als Eindringen in den Raum einer Person, das je nach Art der Traumatisierung zwar anders aussieht, im Prinzip aber immer eine gewaltförmige und gewalttätige Handlung ist.

Traumatisierendes Täterhandeln ist das grenzverletzende, destruktive Eindringen in den Innenraum einer anderen Person. Dies wird als Intrusion bezeichnet. Das intrusive Täterhandeln übt immer auch Gewalt in unterschiedlichen Formen aus und ist deshalb immer auch gewaltförmig.

Man-made-Traumatisierungen sind in diesem Sinne gewaltförmig, weil sie die Grenzen der Betroffenen missachten, überschreiten und verletzen. Ich werde deshalb gewaltförmige Man-made-Traumatisierungen als intrusive Traumatisierung bezeichnen, um damit die eigentliche Dynamik solcher Traumatisierungen klarzumachen.

Das Eindringen kann mehr oder weniger gewaltförmig sein. Am sichtbarsten und für die Betroffenen physiologisch auch als Verletzung schmerzlich spürbar und psychologisch äußerst destruktiv ist das Eindringen bei einer Vergewaltigung wie im obigen Fallbeispiel 1. Auch bei massiver körperlicher Gewalt wie beim Schlagen eines Kindes oder bei häuslicher Gewalt gegenüber einer Partnerin wie in Fallbeispiel 3 ist die Intrusion mit einer körperlich spürbaren Verletzung verbunden. Doch auch psychologische Formen der Gewalt wie das Anschreien eines Kindes oder der Partnerin wie im obigen Fallbeispiel sind gewaltförmig und intrusiv.